Nach langer Zeit melde ich mich mal wieder mit einer Kurzgeschichte zurück. Oder wohl eher mit einer Kurzgeschichtenreihe. Die wird in den Bereich Horror und Fantasy gehen. Inspiriert hat mich dazu besonders der Winter, die dunkle Jahreszeit, aber auch das wunderbare Lied "Lullaby" von The Cure. Ich hoffe, es gefällt euch! ;)
Ein schmaler Streifen Licht. Alles, was vom Tag, der Hoffnung, übrig geblieben ist. Die Tannen wiegen im Wind und lassen ein unheimliches Rauschen entstehen, das in der Luft lieht wie eine leise Warnung. Verlasse nie das Haus. Nie, niemals. Natürlich würde er das nicht. Die Stimme hatte recht. Die Stimme aus der Tanne, die vor ihm aufragt, wie ein Dämon, bereit, ihn in die Arme zu schließen, und ihn von der Nacht, ihrer Tochter, verschlingen zu lassen. Was dort draussen nicht alles passierte. Der Streifen Licht wird bedohlich dünn und färbt sich in das kalte, seelenlose Blau der Nacht, die Wolken schwebende Inseln in einem Meer voller Monströsitäten, die wenig Rettung versprechen. Die Abendluft weht herein, lässt ihn schaudern. Er schließt das Fenster. Möchte sofort zurück stürzen zu seinem warmen Bett, zu vertraut um ihn mit Schrecken zu konfrontieren. Doch er hält inne. Dort. Auf dem Gehweg. Eine junge Frau. Oder ein Mädchen? Sehr jung, so viel steht fest. Zu jung, um der Nacht zum Opfer zu fallen. Hat sie noch eine Chance? Nein, jetzt nicht mehr. Verloren, eine weitere Seele, bald geschluckt von den unendlichen Tiefen der schwarzen Hölle die abends den Himmel verdrängt und ihren gierigen Schlund aufsperrt. Sie schlendert dort entlang, unwissend. Auf ihren hohen Schuhen, sie telefoniert. Eine schmale Handtasche locker in der linken Hand. Er schließt die Augen und beginnt zu zittern. Sie ist nun außer Reichweite. Er wartet auf ihren Schrei. Das muss er nicht lange. Er ertönt aus der Richtung der stillgelegten Mine ein paar Straßen hinter seinem Haus. Eine verdorrte Wiese, ein Tal, und der einzige Weg nach unten: Die hohen Schotterberge, rutschig und gnadenlos. Verlor man den Halt, stürzte man über den rauen Boden, bis man in dem zugewucherten, kleinen Tal landete, das direkt an ein unerkundetes Stück Wald grenzte. Man erzählte viele Geschichten über den Wald, doch er kennt sie nicht genau. Nur soviel: Dort passierte Seltsames. Der Schrei der Frau klingt lange nach. Klingt er nach, oder hört sie nur nicht auf? Er zittert stärker. Vielleicht war es ein Freudenschrei. Sie war betrunken. Nein... unmöglich. Selbst wenn man betrunken war, würde man eher an seinem Freudenschrei ersticken, als ihn in die unverzeihliche Schwärze zu kreischen. Rette sie, sagt die Stimme, hilf ihr. "Ich kann nicht, sie wird mich auch holen, die Nacht!", stößt er hervor und bricht unter seinem Fenster zusammen. Die Leute sagen, Mut schützt dich. Ist es nicht so?, sagt die Stimme diesmal. Er sitzt einen Moment da und denkt. Er weiss, es stimmt. Nur wie ist es so mit dem Mut? Man kann sich einreden, mutig zu sein, doch wenn dies nicht stimmt, und man leichtsinnig den sicheren Zufluchtsort verlässt, ist das Schicksal besiegelt. Ist es das wert? Sie könnte dir nie wieder etwas anhaben... Tu es, beharrt die Stimme.
Und er steht auf. Steht auf, nimmt seinen Mantel und tritt vor die Tür, wird sofort umschlossen von dem spöttischen Hohn des Windes. Keine Wohnung mehr erleuchtet. Sie verstecken sich, oder sind in die gnädige Unwissenheit des Schlafes geflohen. Was er hier tut, ist Selbstmord. Und doch atmet er die Kälte ein und tritt auf die Straße, seinem Feind die Stirn zu bieten. Dieser umzingelt ihn nun. Verzehrt die Farbe der Häuser und Bäume und taucht alles in ein trostloses, eintöniges Schwarz. Die Ungewissheit... Er biegt um die Ecke. Und da sind sie. Die Schatten. Sie versuchen, unentdeckt zu bleiben. Doch sie entgehen seinem furchtsamen Blick nicht. Hab Mut!, wiederholt die Stimme ihren Apell. Er läuft weiter. Sie begleiten ihn. Sind um ihn, in ihm, ergreifen Besitz von ihm, so dass sein Herz zu Stein wird. Und sie lachen. Es kommt aus den Häusern, dort wo es schon dunkel ist. Sie sind schon drinnen, denkt er, sie sind durch die Türen geschlüpft, diese Nacht macht keine Gefangenen. Hier werde ich den sicheren Tod finden.
Umschlossen von den dämonischen Schattengestalten erreicht er die Mine. Und dort liegt die Frau. Auf der Seite, die Beine angezogen, die Tasche umklammert. Ihr Kleid und ihre Haare sind staubig vom Schotter. Ob sie noch lebt? Hilflos, alleine in der Dunkelheit, ist diese Chance gleich null. Er wankt zu ihr, kniet sich nieder, fühlt ihren Puls. Ihr Herz schlägt, doch ihre Haut fühlt sich an wie die Luft selbst, als wenn sie schon ein Teil von ihr ist. Ein starker Wind fährt durch die Bäume, und sie neigen sich vor, dunkler noch als die Schwärze selbst, um auch ihn zu sich zu nehmen. Doch er schreit. Der mühsam bewahrte Mut verschwindet und lässt ihn völlig schutzlos in der verdorrten Wiese sitzen, neben sich die kalte Frau. Die sich plötzlich bewegt. Sie packt in am Handgelenk, die Augen leicht offen. Er schreit erneut, zuckt zurück, doch sie hält ihn gepackt. "Hey, was soll der Lärm? Wer biss'n du?", lallt sie, ihr Atem sauer von all dem Alkohol. Er bringt kein Wort hervor, keucht nur. Sie verdreht die Augen. "Bin wohl eingenickt. Is zwar gut, dass ich jetzt wach bin, aber deswehen mussu doch nich gleich so rumbrüll'n.". Sie lacht, wie ihm scheint, hysterisch und ängstlich. Weiss sie denn nicht, das der Schlaf hier draussen nicht schützt? Nur in fest verschlossenen Häusern? Er verzieht das Gesicht. Erhebt sich. Weg von hier bloß weg. Die Frau hängt noch an ihm, zieht sich an ihm hoch. Er schüttelt sie ab, geht schnellen Schrittes Richtung Heim, bloß weg. Sie lacht wieder. Was tut sie nur?! "Da hat wohl jemand Angst im Dunkl'n, hmm? Schon Halluzinationen?", ruft sie. Er ist verunsichert. Sie ist nicht die erste, die das sagt. Aber sie liegt falsch. Wie die Anderen. Erkennt denn nur er die unsägliche Gefahr dir Schwärze? Hier wird einem nicht verziehen, rein gar nichts.... Sie spricht wieder, ihre Stimme dunkler, doch er geht weiter, immer weiter, nie Stehen bleiben. "Sie glauben dir nicht, oder? Kein Wort? Wie schade das doch ist. Es ist naiv von den Leuten, nur zu glauben, was sie nicht ängstigt. Doch die Wahrheit ist unumgänglich.". Er wird schneller, immer schneller. Etwas stimmt hier nicht. Sie lallt nicht mehr. Ihre Stimme, so tief. "Unumgänglich, so unumgänglich....Für die Wissenden.". Er will rennen, weg, weg, weg, nur WEG! Doch etwas schließt sich um seinen Arm. Etwas ist an seinem Ohr und brüllt mit der grausamen Stimme der Hölle, das ihm das Blut gefriert und das Herz stoppt: "Unwissenheit ist ein Segen, Wissen ein Fluch, und der Tod die Erlösung, wenngleich die Strafe!".
Er wird herumgerissen, ein Schmerz und: Er spürt Wärme. Eine feuchte, sich ausbreitende Wärme, die über seinen Körper tropft. Er fühlt den Schnitt an seinem Hals, und er sinkt zu Boden. Das Letzte, was er sieht, ist das Gesicht der Frau, ein Schattenwesen oder der Teufel höchstpersönlich. Die ist über ihm und grinst, die röstige Klinge in der Hand, ihre brennden Augen rot, oder ist es bloß sein Blut? Er weiss es nicht, und wird es nie wissen. Er fällt, fällt in die Schwärze, die ihn verdaut und einverleibt, für die Unendlichkeit, stets begleitet von dem Lachen des kalten, grausamen Windes.