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Nachdem Shanna ihre Verblüffung endlich überwunden hatte, schlüpfte sie aus dem Bett und mühte sich ab, mit beiden Händen den schweren Riegel wieder vorzuschieben. Mit dem Rücken an die Tür gelehnt, ließ sie nun zum ersten Mal bewusst ihren Blick durch den Raum wandern. Rechts von ihr an der Wand stand das riesige, schnörkellose Bett aus dunklem Tropenholz. Daneben die eckige Holztruhe, aus der er in der Nacht die Hängematte heraus geholt hatte. Ihr Blick folgte den grob verputzten Wänden und entdeckte einen kleinen Bücherschrank. Sie eilte hinüber zu dem Möbelstück und öffnete eine der verglasten Türen. Es befanden sich viele Bücher darin und dieser Umstand
entlockte Shanna ein entzücktes Lächeln. Vorsichtig nahm sie den ledergebundenen Band von Samuel Richardsons *Pamela* heraus und konnte ihre Freude gar nicht fassen. Neben William Blake standen noch Werke von Balzac, Molière, Voltaire, Keats und Lord Byron. Niemals hätte sie für möglich gehalten, in einer Umgebung wie dieser, solche Schätze zu finden. Shanna war eben im Begriff, ihre Entdeckungsreise fortzuset- zen, als es an der Tür hämmerte.
"Aye Kapitän, ich habe alles, was ihr mir aufgetragen habt“, schallte es von draußen. Shanna zuckte zusammen. Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte doch nicht öffnen - nein, das war viel zu gefährlich. Sie ging zu Tür
und rief so bestimmt es ihr möglich war:
„ Legt alles auf den Boden und dann geht wieder, …sofort!“
Es dauerte einen Moment, bis eine Reaktion von der anderen Seite kam:
„ Aber der Kapitän hat doch…“
Weiter kam der Mann nicht, denn Shanna schnitt ihm einfach das Wort ab:
„ Er ist jetzt nicht hier, darum sage ich, legt die Sachen vor die Tür und dann verschwin- det!“ Sie hörte, wie etwas auf dem Boden abgestellt wurde und Geschirr klirrte. Dann entfernten sich schwere Schritte.
Nach einem Moment des Abwartens öffnete sie vorsichtig die Tür. Vor ihren Füßen stand
ein großes Tablett mit Brot, Wein und Käse. Zu ihrer großen Freude entdeckte sie auch Gläser, einige Früchte und ein zusammen-geschnürtes Bündel. Schnell hob sie die Sachen auf, brachte alles hinüber zum Schreibtisch und verschloss die Tür wieder sorgfältig.
Ihre Neugierde war nicht zu bändigen. Flink wurde der Knoten des Bündels gelöst und zum Vorschein kamen eine gelbe Bluse, ein bunter Rock und etwas Seltsames, das aussah wie ein Mieder mit Hose. So ein Kleidungsstück hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen, da war sie sich völlig sicher. Shanna begann sofort damit, sich dieses sonderbare Teil anzuziehen. Es war viel zu
weit, aber in der Taille konnte man mit einem Bändchen die Weite regulieren,sodass es passte. Der Rock war zu kurz, denn er reichte nur bis unter die Wade und der Bund rutschte ihr auf die Hüften hinunter. Die Bluse passte allerdings ganz gut, war allerdings viel zu freizügig ausgeschnitten. Ihren Brustan- satz konnte sie so kaum verbergen, aber das kümmerte Shanna im Moment wenig, denn es war ein gutes Gefühl wieder Kleider am Körper zu tragen.
Mit der einen Hand den Rockbund festhal- tend, schenkte sie sich ein Glas Wein ein, denn etwas anderes gab es nicht zu trinken. Nachdem das Glas geleert war, setzte sie sich
auf den einzigen Stuhl im Raum, brach Stücke von Brot und Käse ab und füllte sich das Glas noch einmal nach. Genüsslich kauend, die Füße an den Körper gezogen, saß sie inmitten dieser ihr fremdartigen Umgebung und freute sich des Lebens.
Ja, sie freute sich – an all die schrecklichen Ereignisse der letzten zwei Tage wollte sie nicht denken. Ihr war klar, dass der Moment bald kommen würde, an dem sie sich mit ihrer jetzigen Situation auseinandersetzen musste, aber heute war ihr gar nicht nach grübeln. Shanna genoss es einfach, allein zu sein, auch wenn es sich nicht vermeiden lassen würde, dass dieser Pirat bald wieder auftauchte, um ihr das Leben mit seinem
ungehobelten Benehmen schwer zu machen.
Sie hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, da näherten sich auch schon schnelle Schritte der Tür. Das ungeduldige Klopfen, gefolgt von der Aufforderung:
„ Macht die Tür auf, Madame…ich warte,“ war nicht zu verkennen. Anscheinend hatte er immer noch schlechte Laune und sie beeilte sich, seiner überaus freundlichen Bitte nachzkommen.
Der Riegel war kaum zurückgeschoben, stürmte Malcom auch schon hinein, warf seinen Säbel wütend auf das Bett und wendete sich dann mit finsterem Blick ihr zu:
„Was hatte ich Euch befohlen, verdammt noch
mal! Weib, habt Ihr so wenig Verstand, um zu bebegreifen, in welcher Gefahr Ihr Euch hier befindet! Wenn ich sage, lasst niemanden hinein – bedeutet es auch, Ihr habt die Tür niemandem zu öffnen. Ist das jetzt ein für alle Mal klar?“ schnauzte er sie an.
Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden? Was heißt überhaupt reden - er brüllte wie ein Stier. Sie stand mit offenem Mund vor ihm und war jetzt ebenso wütend, wie er.
" Ihr seid ein ungehobelter Hornochse, Sire. Der Herr verschwindet, wenn ihm danach ist. Nun gut! Aber, mit Verlaub, mir war schlecht vor Hunger und Durst und als dieser Kerl die
Sachen vor die Tür gestellt hatte, hörte ich ihn doch weggehen. Es war also gar keine
Gefahr dabei. Allerdings, hätte ich mich an Eure Anweisung gehalten, wäre ich jetzt wohl schon vor Schwäche in Ohnmacht gefallen. Das stört den feinen Herrn ja nicht, aber mir war es wichtig, etwas in meinen Bauch zu bekommen, ihr, ihr...ooh,“ giftete sie ihn mit funkelnden Augen an, die Hände wie eine Marktfrau in die Hüften gestemmt.
Malcom hätte sie schütteln können. Er war außer sich vor Wut, dennoch war da auch ein Gefühl der Belustigung und der Achtung. Viele ganz unterschiedliche Gefühle empfand er in diesem Moment und stellte wieder fest, dass diese Frau anders war, denn sie hatte keine Angst vor ihm. Selbst wenn er so
wütend war wie jetzt, schien ihre Wut der Seinen ebenbürtig zu sein. Sie hatte Stolz und Mut, diese Shanna Hamilton und es würde ihm große Freude bereiten, zu er- fahren, was sie noch alles zu bieten hatte.
„ Nun, was sagt ihr dazu?“ drang ihre Stimme wieder an sein Bewusstsein. Er hatte ihr gar nicht mehr zugehört, weil sie so, wie sie da stand, ein grandioses Weibsbild abgab.
„ Verzeiht Madame, ich war in Gedanken. Wozu soll ich etwas sagen?“
" Ich hatte Euch gefragt, ob ihr mit mir zum Meer hinunter gehen könntet? Es würde mir glaube ich gut tun,“ wiederholte sie ihre Frage.
Malcom nickte nur kurz, ging zu dem Tablett
hinüber und brach sich etwas Brot ab, goss Wein in ein Glas und leerte es mit einem Zug. „ Habt ihr Euch schon satt gegessen oder wollt ihr mir noch Gesellschaft leisten“, fragte er jetzt betont freundlich. Shanna musste daraufhin lächeln und kam, den Rock in der Taille festhaltend, langsam auf ihn zu.
Amüsiert schaute er an ihr herunter und bemerkte beiläufig:
„ Ian hat für derlei Dinge anscheinend kein gutes Auge, meine Liebe. Normalerweise pflegt er seine Weiber nicht anzuziehen, wenn ihr versteht, was ich meine! Es scheint mir, dass die Kleidung etwas groß ist, oder was meint Ihr, Madame?.“
„ Pah…ich weiß genau, was Ihr meint! Danke,
aber es geht schon,“ meinte sie etwas missmutig. Malcom war belustigt über ihre Reaktion, ging zu seiner Truhe hinüber und wühlte solange darin herum, bis er einen Lederriemen herausangelte.
„ Kommt mal zu mir. Wir werden dafür sorgen, dass Ihr Eure beiden Hände wieder benutzen könnt,“ schmunzelte er. Shanna folgte seiner Aufforderung und Malcom band ihr den Rock mit dem Riemen fest um die Taille.
Er stand ganz dicht vor ihr. Sie konnte seinen Atem spüren und nachdem er sein Werk vollendet hatte, sahen sie sich einfach nur an.
Sein Gesicht war so nah über ihrem, seine Augen glänzten wie das Meer in der Abend- sonne und für diesem Moment wollte sie
merkwürdiger Weise nirgendwo anders sein…..
Fortsetzung folgt...