Beschreibung
Dreiteilige, selbst erlebte Geschichte. Hier Teil 1.
Es war mal wieder soweit. Fast zwei Stunden vor Abflug stand ich mit meinem Gepäck im Düsseldorfer Flughafen zum Abflug nach Birmingham. Von dort sollte es mit Leihwagen weiter nach Mittelengland in die Stadt Derby gehen. Dort war ich für einen Lehrgang angemeldet, der am übernächsten Tag beginnen sollte.
Es war später Herbst. Das Laub hatte den Bäumen schon längst Lebewohl gesagt und vergnügte sich am Boden. Es war sonnig und relativ windstill. Würde ein ruhiger Flug werden. Nichts hasste ich mehr, als das ständige Gerüttele, wenn es durch schweres Wetter ging. Aber heute sah es so aus, als ob ich meinen Kaffee an Bord des kurzen Fluges unfallfrei zum Mund führen könnte.
Ich war der erste, der seine Bordkarte einer englischen Stewardess, heute sagt man wohl Flugbegleiterin, aushändigte und meinen Platz am Fenster direkt über den Tragflächen einnahm. Wenn es irgendwie ging, wählte ich bei der Buchung stets einen Platz in der Mitte des Flugzeuges. Als Vielflieger wusste man natürlich, dass die Kräfte beim Flug dort am wenigsten zu spüren waren.
Nachdem alle Passagiere ihre Plätze eingenommen und das Handgepäck in den Miniaturfächern über den
Sitzreihen verstaut hatten, begannen die Damen vom fliegenden Personal mit ihrer Jazzgymnastik. Ich tat wie immer sehr interessiert, obwohl ich die Übungen im Schlaf hätte wiederholen können. Während noch das 'Bei-einem-Druckabfall-fallen-Sauerstoffmasken-automatisch-von-oben-herunter'-Programm lief, wurden die Triebwerke der kleinen zweistrahligen Maschine gestartet und sie rollte die Runway herunter zur Startbahn. Eine weitere Dame wanderte unterdessen den Gang hinunter und prüfte, ob auch alle Passagiere der Aufforderung 'Fasten Seat belts' gefolgt waren. Offensichtlich war das der Fall, denn sie kehrte recht bald zurück und nahm selbst ihren Sitzplatz ein.
Die Maschine drehte auf die Startbahn ein, stoppte kurz, und dann jaulten auch schon die Triebwerke auf. Endlich ging es los. Man könnte bei diesem Wetter noch mal etwas von der Landschaft sehen. Die kleine Kurzstreckenmaschine hob nach kurzer Rollphase ihre Nase, und es drückte einen leicht in den Sitz, als es ab in den Himmel über Düsseldorf ging. Nach kurzer Zeit erlosch dann auch das Hinweisschild, das wir gefälligst angeschnallt bleiben sollten, und ich konnte beobachten, wie sich die Mienen so mancher Passagiere begannen zu entspannen.
Es gab, soviel hatte ich in den vielen Stunden in der Luft gelernt, sehr unerschiedliche Kategorien von Fluggästen. Ohne in ihre Gesichter zu schauen, konnte man sie schon unterteilen. Diejenigen mit Notebooktasche oder Aktenkoffer, zu diesem Personenkreis gehörte auch ich, waren die Businessmen, die Vielflieger. Sie waren in der Luft mehr mit ihren Unterlagen und ihrem elektronischen Spielzeug beschäftigt, als mit dem Genießen der Aussicht. Dann gab es die Leute, die nur gelegentlich, aber dafür umso lieber von A nach B flogen. Es ging in Urlaub, oder die Familie wurde mal wieder besucht. Sie kommentierten so ziemlich alles, was sie beim Blick aus den Fenstern zu sehen bekamen.
Tja, und dann gab es natürlich auch diejenigen mit Flugangst. Sie taten mir immer sehr leid, wenn ich
zusehen musste, wie sie litten. Meist hatten sie so feuchte Hände, dass der Becher Kaffee keinen Halt fand. Mit Schweißperlen auf der Stirn saßen sie da und waren außerstande nach draußen zu sehen. Zumeist hatten sie aus diesem Grund Sitzplätze am Gang und nicht am Fenster gebucht. Ich konnte ihre Ängste nur zu gut nachvollziehen, da ich sie immer mit meiner Panik beim Zahnarztbesuch verglich.
'Fasten Seat belts' war also gerade erloschen als eine Stimme aus den Bordlautsprechern klang: 'Ladies and Gentlemen. Welcome on board. My name is Roger Wilson. I'm Your captain on this flight to Birmingham. The weather conditions are fine, wind calm. We will proceed to flight level 20 (Anm. des Autors: 20.000 Fuß, ungefähr 6.800 Meter). Our flight will last about 1h30m. I hope You will enjoy the flight with us. Thank You.' Und in gebrochenem Deutsch ging es weiter: 'Mein Damen und Erren. Willkommen an Bord unseres Fluges nach Birmingham. Mein Name ist Roger Wilson und ik bin Ihre Kapitein auf dieses Flug. Unsere Wetter auf dieses Flug ist schöin und wir werden brauchen ungefähr ein Stund und dreißig Minute. Dank schöin.'
Dafür, das es sich um eine Maschine der BA (British Airways) handelte, war sein Deutsch recht ordentlich. Da hatte ich schon ganz anderes erlebt. Er hielt sein Versprechen. Einmal ihre Reiseflughöhe erreicht glitt die Maschine sanft über den Wolken dahin, und ich konnte mich noch einmal in meine Kursunterlagen vertiefen. Je länger der Flug dauerte, umso mehr entspannten sich auch die Gesichtszüge der Panik-Passagiere. So einen Kandidaten hatte ich neben mir auf dem Sitz zum Gang hin. Er war vielleicht Mitte 30 und definitiv noch nie geflogen. Die Bestätigung meiner Vermutung bekam ich dann während des Fluges.
'Fliegen Sie öfter?' kam seine erste Frage von links. Ich bestätigte freundlich und wandte mich wieder meinen Papieren zu. Doch lange hatte ich nicht Ruhe. 'Also ich flieg' jetzt das erste Mal. Hab' mich bisher immer drücken können und bin mit der Fähre rüber.' Diesmal nickte ich nur, doch es half nichts. Er hob wieder an. 'Ist ein komisches Gefühl, wenn die Kiste so abhebt nicht?' Da sein Satz als Frage formuliert war, musste ich antworten. 'Schon, aber man gewöhnt sich dran.' Dann machte ich noch einen Fehler, indem ich fortfuhr: 'Bin früher selber geflogen. Ist immer etwas anderes, wenn man den Steuerknüppel selbst in der Hand hat.' 'Oh, interessant. Kann da viel passieren, so?' Kam es dann auch prompt zurück. Meine Papiere konnte ich jetzt vergessen, Konversation war angesagt. 'Nein, nicht wirklich. Die Jungs da vorne sind Profis. Die haben das schon im Griff.' Er nickte zaghaft, aber ich sah, wie es in ihm arbeitete. Die nächste Frage kannte ich deshalb auch schon. 'Ist ihnen schonmal was passiert? Was sind sie denn geflogen?'
OK, es nutzte nichts. Also erstmal in Steno von meiner Bundeswehrzeit geplaudert. Da ich jemanden mit Flugangst neben mir sitzen hatte, hielt ich mich mit kritischen Schilderungen zurück. Als ich eine kurze Erzählpause einlegte, kam von der Sitzreihe hinter uns der Spruch: 'Bei dem Wetter könnte auch meine Oma fliegen.' Wir drehten uns beide um. Ein etwas korpulenter Schlips tragender Mittvierziger grinste uns an. Und dann meinte er, zu meinem Nachbarn gewandt. 'Da hab' ich schon andere Flüge erlebt, kann ich ihnen sagen.' Hätte er doch nur den Mund gehalten. Ich konnte förmlich sehen, wie mein Nebenmann wieder blass wurde im Gesicht. Also versuchte ich gleich gegenzusteuern. 'Sicher, aber heute ist bestes Wetter.' Mein Einwand war aber nur die Steilvorlage, auf die unser Hintermann gewartet hatte. 'Klar, bei dem Wetter ist alles easy, wenn die Technik mitspielt.'
'Geht oft was kaputt?' meinte dann auch der Erstflieger neben mir. Fast gleichzeitig bekam er von uns zur Antwort. (Ich)'So gut wie nie. Flugzeuge sind das sicherste Transportmittel überhapt' (ER)'Klar geht oft was kaputt, aber irgendwie schaffen die das da vorne trotzdem, die Kiste heil runter zu kriegen.' Ich entschied, mich aus der Unterhaltung auszuklinken. Brachte eh nichts. Trotzdem konnte ich nicht vermeiden, dem Gespräch der beiden weiter zu folgen. Offensichtlich genoss unser Hintermann die wachsende Panik meines Nachbarn. Der wiederum war mittlerweile in einem erbarmungswürdigen Zustand. Glücklicherweise verließ die Maschine dann ihre Reiseflughöhe, was den bald kommenden Landeanflug auf Birmingham Airport ankündigte.
Wieder wurden wir aufgefordert, uns anzuschnallen und unsere Sitze in eine aufrechte Position zu bringen. Ich hielt den zweiten Teil dieser Aufforderung stets für einen Witz. Bei den gerade mal 10 Grad zu verstellenden Sitzlehnen konnte man wohl kaum von einer Liegeposition reden. Ich half dem Nervenbündel neben mir beim anschnallen und versuchte noch einmal, ihn zu beruhigen. 'Die Jungs machen das dreihundert Mal im Jahr. Glauben sie mir, ist alles kein Problem.' Wieder war er nur imstande zu nicken, wobei ihm ein leiser Seufzer entglitt. Ich setzte meine langweiligste Miene auf, zu der ich fähig war und packte meinen Papierkram wieder weg, während die Häuser der Randbezirke von Birmingham immer größer wurden. Die Fahrwerke fuhren geräuschvoll aus und die Landeklappen wurden gesetzt, was mein Nachbar mit weiß hervortretenden Knöcheln seiner Fingergelenke quittierte.
Jetzt im langsamen Endanflug wackelte die Maschine ab und zu, was nicht gerade dazu beitrug, das Elend neben mir zu bessern. Fast war ich geneigt, seine Hand zu halten. Nur der Umstand, dass es sich bei ihm um einen IHN und nicht um eine SIE handelte, hinderten mich daran. 'Gleich haben sie es geschafft.' meinte ich und hatte mit Bedacht diese Worte gewählt. Um ein Haar wäre mir nämlich der Satz: 'Gleich haben sie es hinter sich.' entfleucht. Das hatte ich jedoch eben noch verhindern können. Wieder stöhnte er leise. Die Wiese vor der Landebahn kam in Blumenpflücknähe. Ein sicheres Zeichen für das baldige Aufsetzen der Räder.
Supersanft setzte die Maschine leicht quietschend zuerst mit dem Hauptfahrwerk auf, neigte die Nase, bis auch das Bugfahrwerk wieder Arbeit bekam. Im gleichen Moment wurde geklatscht. Das war immer so und wurde nur von den Passagieren mit wenig Mitflugerfahrung zelebriert. Ich enthielt mich stets. 'Das war's schon. Sie haben's geschafft.' Mit diesen Worten versuchte ich meinen Nebenmann aus seiner Starre zu erlösen, was auch half. Erleichterung zeigte sich in seinem Gesicht, und auch das Blut war wieder gewillt, in seinen Kopf zurückzukehren. 'Puuuh!' kam es nur aus ihm heraus. 'Ich darf gar nicht an den Rückflug denken.' 'Unsinn.' erwiderte ich. 'Wird auch nicht schlimmer als heute. Sie werden sich schnell daran gewöhnen. Und irgendwann können sie so einen Flug dann sogar genießen.' Er nicke zögerlich. 'Ich hoffe.' sagte er, als die Maschine zu ihrer Parkposition rollte. Dann war es endlich geschafft, und der Kampf um die erste Position beim Auschecken begann. Jeder wollte gleichzeitig sein Handgepäck aus den Fächern angeln. Welch ein Unsinn, dachte ich dann immer. Nachher stehen sie doch nur am Laufband herum und warten auf ihre Koffer und Trollies. Trotzdem war es immer das Gleiche.
Ich verabschiedete mich von meinem Nachbarn mit den Worten: 'War nett, sie kennen gelernt zu haben. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.' Und er tat es mir gleich. 'Die Welt ist ein Dorf.' Meinte er. Bald hatten wir uns auf dem Fluhafen aus den Augen verloren. Ich wusste, dass meine Abschiedsfloskel kaum zutreffen würde. Was man manchmal für sinnfreie Dialoge führt.
(Und wie ich mich irren sollte)... Fortsetzung folgt