Ich habe Dich gesehen, nach so langer Zeit endlich wiedergesehen und Du warst wunderschön.
Du wirktest so rein und strahlend. Ein weißer Schimmer umgab Dich, als würdest Du von innen leuchten.Du sahst so gesund aus, so voller Leben und blicktest mit deinen gütigen Augen zu mir herab, während ein herzliches Lächeln auf Deinen Lippen lag.Du sagtest, ich solle Dich öfter besuchen, Du wärest zwar nicht einsam, doch fehlten Dir die Menschen, auf die es Dir ankommt.
Ich weiß das. Doch es fällt mir so schwer.
Der Alltag nimmt mich Anspruch, die täglichen Probleme saugen mich leer.Der Schritt zu Dir ist immer in meinen Gedanken, doch wird er so oft verdrängt von den Lasten des Lebens.
Du fehlst mir!
Kleinigkeiten erinnern mich und plötzlich ist der vergessene Schmerz wieder greifbar und grausam und allgegenwärtig.
Neue Menschen sind in mein Leben getreten. Ich versuche Deinen leeren Platz zu besetzen, doch niemand kann ihn ausfüllen.
Mir fehlen unsere langen Gespräche, die echte und innige Fürsorglichkeit und Dein Interesse.
Wie oft habe ich es nicht zu schätzen gewusst, wie selbstverständlich habe ich es erachtet.
Wie oft habe ich Dich warten lassen, in meinem jugendlichen Egoismus. Habe unnützen Verabredungen die Priorität gegeben.
Ich hätte jede gemeinsame Sekunde sammeln und in meinem Herzen verschließen müssen, um die jetzige Leere auch nur annähernd ausfüllen zu können.
Dein Besuch tröstet mich so sehr.
Du warst weder zornig, noch enttäuscht, lächeltest einfach und sagtest mir ohne Worte, dass Du mir all das verziehen hast.
Ich habe gesehen, dass es Dir gut geht.
In all den Jahren hast Du Deine Schönheit an das Leben verloren. Es hat Dich gezeichnet und verhärmt.
Doch gestern strahltest Du wie noch nie zuvor.
Wie oft habe ich Deine Bemühungen als lächerlich empfunden, dein selbstloses Streben nach Glück für die Menschen, die du liebtest, Deine weisen Worte, die ich erst jetzt verstehen kann.
Wie oft möchte man die Zeit zurückdrehen und mit jetzigem Wissen das Leben noch einmal leben.
Ich möchte mein Zögern ungeschehen machen, an dem Tag unseres letztens Treffens.
Möchte den Mut aufbringen, Dich fest in den Arm zu nehmen, ohne Scheu und Befremdlichkeit.
Ich möchte, dass Du weißt, dass ich Dich liebe.
Ich wünschte, ich hätte es Dir an diesem Tag gesagt und all die Jahre vorher dieses Gefühl aus meinen Taten sprechen lassen.
Ich wünschte, Du könntest sehen, dass ich Deine Ratschläge befolgt habe, dass ich Dich nun mit dem Stolz erfüllen könnte, den Du nie brauchtest, um mich zu lieben.
Ich wünschte, du könntest die Tränen sehen, die ich in einsamen Momenten um Dich weine.
Sie würden mein damaliges Verhalten erklären. Es gibt keine Entschuldigung für mein Fernbleiben. Ich hatte so furchtbare Angst. Nichts konnte ich tun, nichts Tröstendes sagen, nur zusehen, wie das Leben dich raubt, mit jedem Atemzug. Wie es Dich so undankbar entlohnte, so grausam und ungerecht und an Dir die Wunder scheiterten.
Ich verstehe es noch immer nicht.
Alles, was mir bleibt, sind die Momente, die ich in meine Gedanken holen kann und die nur ein schaler Ersatz für Deine echte Wärme sind.
Ich warte nun auf Deine Besuche, hoffe Dein Strahlen noch einmal zu sehen und lege diesen Brief und eine Rose auf den kalten Stein, der so fremd und gestaltlos, doch das Einzige ist, was mir von Dir geblieben ist.
Irgendwann werden wir uns wiedersehen und ich werde Dich umarmen und Dir all die Worte sagen, die ich im Leben verschwiegen habe.
Always remember to respect and honour your mother...