Serana saß auf der alten Holzbank, die in der Vergangenheit mal weiß gestrichen worden war. Wenige Farbreste erzählen davon. Sie hatte es sich vor dem kleinen weißen Haus mit den blauen Klappläden gemütlich gemacht. Still beobachtete sie das Kommen und Gehen der Wellen. Wie oft hat sie diesem Spiel der Wellen schon zugeschaut? Wie oft dieses Fauchen, Plätschern oder Klatschen gehört? Manchmal sanft, manchmal heftig, fast bedrohlich, ein anderes mal beruhigend. Dieses Geschehen gab es schon ewige Zeiten. Ein Kommen und Gehen, das es schon sehr, sehr lange gab, lange bevor ihre Augen es erblicken konnten, ihre Ohren es hören konnten. Es wird noch sein, wenn ihre Augen es nicht mehr sehen und ihre Ohren es nicht mehr hören können.
Es ist und bleibt, wie es ist. Es bleibt so, wie es ist und ist immer anders.
Sie lächelte und fühlte in sich eine wunschlose Glückseligkeit. Ja, da waren keinerlei Wünsche mehr. So fühlt sich also ein reiches, erfülltes Leben an. Das Leben hatte sie reich beschenkt, mit großen und kleinen Geschenken. Viele Geschenke wurden ihr zuteil. Keines war wertvoller als ein anderes. Gerade jetzt wurde sie wieder beschenkt. Ein diamantenes Glitzern, ein Feuerwerk, das die Sonnenstrahlen für sie auf dem Meer explodieren und erstrahlen ließen. Ehrfürchtig und dankbar lächelte sie.
Auch das Streicheln des Windes und die Ruhe, die sie umgab waren Geschenke, die ihr so oft geschenkt wurden. Immer verbunden mit schönen Empfindungen und einem tiefen Gefühl des Verbundenseins mit Wasser, Wind und Licht.
Serena lebte allein in ihrem kleinen weißen Haus am Strand. Keine einzige Sekunde fühlte sie sich einsam. Sie war nie allein. Noch nie im Leben war sie alleine. Selbst in Zeiten, in denen Trauer, Schmerzen, Trennungsgefühle, Depression, ja sogar Todessehnsucht ihr Leben bestimmten war sie nie alleine. Niemals war sie alleine. Das Leben ist und bleibt immer. Das Leben lässt niemanden allein.
Ja, heute nach so vielen Lebensjahren, weiß sie das mit Gewissheit.
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Serena fühlt schwere, bleierne Müdigkeit. Heute werde ich in die Sterne schauen, bis meine Augen selbst Sterne sind. Sie richtet sich ihr Bett für die Nacht. Zwei Isomatten auf einer weißen Plastikliege, die immer vor dem Haus steht. Ein kleines Schlafkissen und eine dicke Wolldecke.
Ihre luftige Tageskleidung wurde gegen das weiße Baumwollhemdchen mit dem Spitzenbesatz ausgetauscht. Ein kleiner Durst wurde mit wenigen Schlückchen Wasser gestillt, dann legte Serena sich auf ihr Freiluftbett.
Das Meer wusst, dass sie gerne ein Wiegenlied hören wollte. Die Geräusche der Wellen wurden sanfter und ruhiger. Es war das Abendlied der Wellen für Serena. Sie liebte das Meer. Mit geschlossenen Augen lauschte sie hingebungsvoll den Tönen und Klängen. Meine Augen wissen, wann sie die Sterne sehen können, dachte sie und versank in der Melodie des Meeres.
Serena träumte. Sie träumte von einem wunderschönen Vogel, der himmlische Melodien sang. Er saß in einem vergoldeten Käfig, sang wunderbare Melodien, für die Menschen, die ihn liebten. Deren Augen schauten ihn durch die goldenen Gitterstäbe an. Ja, er konnte die Liebe dieser Menschen in ihren Augen sehen. Doch sie hielten ihn gefangen. Dennoch sang er seine Lieder. Er sang sie für sie, er sang sie auch für sich selbst, weil in seinen Melodien seine Träume enthalten waren. Seine Träume von Freiheit, seine Träume, die ihn zu anderen wunderschönen Vögeln fliegen ließen, von denen er noch schönere Lieder lernen konnte. Träume von wunderschönen Bäumen, auf deren Ästen er saß und noch schönere Lieder sang. Oh, wie liebte er diese Träume. Manchmal träumte er, dass die Tür zu seinem goldenen Käfig weit offen stand und er hinaus flog in die Welt seiner Träume.
Er dachte dann aber an die Tränen der Menschen, die ihm so gerne zuhörten und sich an seiner Schönheit erfreuten und fühlte Mitleid für sie. Wenn sie nur wüßten, dass er immer wieder zurückkehren würde, wenn sie ihm seine Freiheit schenken würden. Die Türe zu seinem Käfig müsste nie verschlossen werden. Er würde jedes mal, wenn er aus der Welt seiner Träume zurückkehrte noch schönere Lieder für sie singen. Sie würden erkennen, das. s sie, indem sie ihm die Freiheit schenkten, sich selbst beschenken würden.
Serena erwachte, dachte über ihren Traum nach und schaute zu den Sternen. Oh, wie wundervoll sie glitzerten. Mit der Zeit sah sie mehr und mehr Sterne. Wie schön ist doch diese Welt!
Ja, sie konnte diesen Vogel sehr gut verstehen. Sie war in der Welt ihrer Träume. Sie lebte ein Leben, das sie sich früher erträumt hatte. Für sie gab es keinen Käfig mehr, in den sie freiwillig zurückkehren musste. Sie lebte ein Leben in Freiheit. Ihrer Liebe waren keine Grenzen gesetzt. Menschen kamen zu ihr, genossen ihre Nähe, ihre Liebe, und gingen wieder. Alle die kamen, kamen, weil sie es wollten, nicht aufgrund irgendwelcher Verpflichtungen. Serena schenkte allen ihre Liebe und Nähe und achtete darauf, dass der Besucher das Maß der Liebe und Nähe bestimmte. Es gab viele Menschen, denen sie sehr nahe sein durfte. Diese Nähe ist etwas wundersam beglückendes. Sie war unendlich dankbar. Was ich doch für ein Leben führe, dachte sie und war glücklich. Mit diesem Glücksgefühl schaute sie in die Sterne. Zwei Sterne kamen ganz langsam auf sie zu, legten sich sanft auf ihre Augen. Serena schlief mit Sternenaugen, dem Wiegenlied des Meeres, dem Streicheln des Windes - wunschlos glücklich ein.
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Ein Sonnenstrahl kitzelte Serena, sie lächelte, öffnete ein klein wenig ihre Augen. Ja, ein neuer Tag wurde ihr geschenkt und sie freute sich auf diesen neuen Tag. Wie wunderbar habe ich geschlafen, dachte sie. Sie reckte sich langsam. In ihrem Alter ist das Aufstehen nicht mehr ganz so leicht. Sie bewegte die Glieder. Langsam kehrte ihre Beweglichkeit zurück. Ihre Hand erfaßte den Türrahmen, mit dessen Hilfe sie sich aufsetzen konnte. Ja, in meinem Alter hat man für alles die notwendige Zeit. Auch für das Aufstehen. Nun saß sie auf ihrer weißen Plastikliege. Die Sonnenstrahlen wärmten ihren Rücken. Diese Wärme schenkte ihr Energie und Kraft um sich aufzurichten. Die Schritte fielen ihr schwer. Doch sie hatte ja Zeit. So viel zeit, wie nötig war. Sie brühte sich einen Kaffee. Sie trank gerne einen Kaffee zu Tagesbeginn, dazu eine Scheibe Weißbrot mit Butter. Das war ihr Frühstück, das sie im Stehen genoß. Zwischendurch ging sie immer ein paar Schritte. So brachte sie ihren Körper langsam dazu sich wieder an Bewegungen zu erfreuen.
Ein Schluck Kaffee - zwei Schritte - ein Biss ins das Weißbrot - drei Schritte - ein Schluck Kaffee- vier Schritte.....
Es war ein Spiel, das sie morgens mit ihrem Körper spielte. Bisher spielte er immer mit. Sie dankt ihm jeden Tag dafür. Es dauert einige Zeit bis die ihr mögliche körperliche Bewegungsfähigkeit erreicht ist.
Sie ging hinunter zum Strand, legte auf einen Stein ihr Baumwollhemdchen und nahm ihr morgendliches Bad. Die Wellen winkten ihr schon lange zu und warteten bereits auf sie. Serena badete immer nackt. Sie liebte es den direkten Kontakt von Haut und Wasser zu fühlen. Die Kühle des Wassers weckte ihre Geister. Sie legte sich mit dem Rücken auf das Wasser. Im Bewusstsein, dass 1000 Wasserhände sie tragen, übergab sie ihren Körper dem Wasser. Die Bewegung der Wellen wurde zu ihrer Bewegung. Vertrauensvoll ließ sie sich tragen. Wie leicht sie sich fühlte. Nein mehr noch, sie fühlte sich als Wasser. Augenblicklich nahm die die Temperatur des Wassers an. Ja, sie war Wasser.
Selbstvergessen fanden ihre Füße wieder festen Stand auf dem Sandboden. Erfrischt und voller Energie ging sie Richtung Strand. Wassertropfen funkelten auf ihrer Haut wie Diamenten. Die Sonne trocknete sie. Der Wind streichelte sanft die gealterte Haut und ließ die feinen Körperhaare winken. So saß Serena auf einem Stein bis ihre Haut trocken war, zog wieder das weiße Baumwollhemd an und ging in der Geschwindigkeit, die ihrem Körper jetzt möglich war zurück zum Haus. Serena schrieb manchmal Gedichte. Heute war ein Gedichtmorgen. Sie holte ihren Block, Kugelschreiber, setzte sich an ihren Tisch. Von dort hatte sie die beste Aussicht auf den Strand.
Sonnenstrahlen
Wellen tragen sie zu mir
Sonnenstrahl gesättigtes Wasser
Meine Füße stehen in dir
In dir sonnenstrahlsattes Wasser.
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So waren ihre Gedichte - Momentaufnahmen. Das Leben besteht aus Momenten. Lebe im Moment und du bist im Leben. Lebe in der Vergangenheit und du existierst nicht mehr. Lebe in der Zukunft und du bist noch nicht geboren. Der Moment ist das was zählt. Alles andere hat keine Bedeutung, wird sie auch nie haben.
Serena war im Leben.
(co) Eloha 17.01.2012
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