Beschreibung
Am 21.12.2012 geht die Welt unter - und ich habe es gewusst.
Es ist Freitag, der 21.12.2012. In 3 Tagen wäre Weihnachten, wenn wir es denn erleben würden. Das werden wir aber nicht. Deshalb habe ich auch keine Geschenke gekauft. Warum auch? Wird sowieso niemand merken.
Die Uhr zeigt 23.28 Uhr und in 32 Minuten geht die Welt unter. Wieso ich das weiß? Der Maya-Kalender endet am heutigen Tage.
Eigentlich glaube ich nicht an Vorhersagen. Selbst die Wettervorhersagen sind zu 50 % falsch. Aber die Mayas hatten ein Händchen für so etwas. Und so weit ich weiß, ist alles, was der Maya-Kalender hergab, eingetreten.
Ob ich Angst habe? Nein. Ich bereite mich seit ein paar Monaten auf diesen Tag vor. Ich habe meinen Job gekündigt und sämtliche Lebensversicherungen, Sparverträge und sonstige Geldanlagen aufgelöst. Was habe ich von Rücklagen, wenn ich nicht mehr bin? Und da auch kein anderer mehr sein wird, gibt es niemanden, der sich nach meinem Ableben an dem Geld erfreuen könnte.
Meine Kollegen haben komisch geguckt, als ich meinem Chef die Kündigung vor die Füße geknallt habe. Ich habe auf den ganzen Saftladen geschimpft und endlich mal den angestauten Frust der letzten Jahre heraus gelassen. Das hat richtig gut getan. Dann bin ich für 4 Monate um die Welt gereist, zumindest in die Länder, die mich schon immer interessiert haben. Ich wollte schließlich selbst sehen, was hier alles zerstört wird.
Vor drei Wochen bin ich zurückgekehrt. Seitdem weiß ich nicht mehr so viel mit mir anzufangen. Meine Freunde und Bekannten arbeiten alle. Mein Gott, sind die vernagelt. Hauptsache Geld scheffeln. Wofür? Wie heißt es doch so schön? Das letzte Hemd hat keine Taschen. Die werden sich ärgern, wenn es dann „Adieu“ heißt und sie bis zum letzten Tag geschuftet haben.
Langsam werde ich nervös. Man weiß ja nicht, wie die Welt untergeht. Kommt eine Sturmflut, die alles Leben mit sich reißt? Ein Meteoritenhagel, der überall einschlägt? Eine Feuersbrunst, die sich über alle Kontinente ausbreitet? Ich habe seit drei Wochen jeden Tag ferngesehen. Aber selbst die Wissenschaftler haben keine Ahnung, was passiert. In den Medien gibt es mal ein paar alberne Abhandlungen über das Datum, aber irgendwie scheint es niemand wirklich ernst zu nehmen.
Noch maximal 20 Minuten. In 20 Minuten endet der Tag und wir schreiben den 22.12.2012. Langsam müssten sich doch mal ein paar Vorboten zeigen. Ich habe mich in meine Decke gekuschelt und schaue aus dem Fenster. In der Hand halte ich ein Glas Rotwein und auf dem Schoß steht der Pappkarton mit dem Rest Pizza. Scheiß auf die Kalorien. Der letzte Tag muss doch gefeiert werden. Ich habe eigentlich zwei Freunde eingeladen, aber sie wollten in einem Club. Sie meinten, ich wäre doch völlig übergeschnappt. Die Welt ginge nicht unter. Diese Dummköpfe.
Der Himmel hat sich verdächtig zugezogen. Es sieht nach Unwetter aus. Plötzlich zuckt der erste Blitz vom Himmel. Es ist kalt draußen, so um die minus fünf Grad Celsius. Jetzt kommen die ersten Hagelkörner. Sie haben die Größe von Tischtennisbällen. Das ist recht groß, aber man hat schon größere gesehen. Mich durchströmt eine innere Unruhe, eine Aufregung. Es ist keine Angst, eher eine nervöse Vorfreude. Ich habe mal einen Tandem-Fallschirmsprung gemacht. Damals ging es mir ähnlich. Es ist dieser Nervenkitzel. Ich mag das Gefühl.
Der Hagel prasselt wie wütend hernieder. Der Sturm pfeift durch die Fenster. Immer wieder Donnergrollen und Blitze. Ich habe es ja gewusst. Was werden die ganzen Ignoranten sich ärgern. Meine letzten 300 Euro liegen auf dem Tisch. Der Himmel ist tiefschwarz. Klar, es ist Nacht, aber der Himmel ist noch schwärzer als normal. Gleich passiert etwas Großes. Ich überlege, ob ich nachher wie bei Silvester den Countdown mitzähle. Noch 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 und Knall.
Es sind noch 5 Minuten. Der Hagel hat nachgelassen, auch die Donner sind verstummt. Es regnet noch. Ich trinke den letzten Schluck Rotwein. Langsam müsste man doch etwas sehen können, oder? Ich schnappe mir meinen Mantel und gehe vor die Tür. Vielleicht kann ich dort etwas erkennen.
Der Regen hat aufgehört, der Wind pfeift noch ein wenig kühl, aber der orkanartige Sturm hat nachgelassen. Ich schaue auf meine Funkarmbanduhr. Tatsächlich zähle ich den Countdown leise mit. 5, 4, 3, 2, 1 – wir schreiben den 22.12.2012. Die Erde dreht sich weiter. Ich kann jetzt sogar den Mond erkennen. Er scheint mich höhnisch anzugrinsen.
Ich gehe wieder ins Haus, spüle das Geschirr weg und stecke meine 300 Euro ein. Ich fürchte, ich muss nächste Woche zum Arbeitsamt gehen. Ich brauche einen neuen Job und muss Arbeitslosengeld beantragen. Ich hätte es wissen müssen. Welche Vorhersagen haben sich schon jemals bewahrheitet? Der Maya-Kalender ist wohl auch nur eine schlechte Wettervorhersage.