Love & Respect
Mein eigenes kleines Haus ist ganz bescheiden, aber auch ein Audi steht vor unserer Tür. Mein Jugendtraum, ein Wohnmobil ist das berühmte Tüpfelchen auf dem i. Mit viel Arbeit und Fleiß habe ich all das erreicht. Meine Tochter ist im Gymnasium die Klassenbeste und auch mein Sohn hatte bis jetzt mehr als zufrieden stellende Noten. Mit viel Liebe und Hingabe kreierte ich für jedes einzelne Familienmitglied eine durchaus ansprechende, akribisch genau dokumentierte, mit tollen Fotos kunstvoll verzierte Website und stellte sie ins Internet. Die ganze Welt sollte meine Familie loben!
Damals vor 18 Jahren, verlangte ich deine Liebe und mit dir wollte ich meinen Lebenstraum erfüllen. Jetzt sagst du: „Ich liebe dich aber ich bin nicht mehr glücklich!“ Was soll der ganze Mist und dieser esoterische Kitsch? Deine Freundinnen erwähnst du! Das sind doch alles Nuten! Ich möchte mit dir nicht mehr darüber sprechen, denn du weißt, ich werde einer Trennung nicht zustimmen, wir werden nie auseinander gehen!
Dein Gespräch von gestern und der heutige widrige Tag, ich kann nicht mehr, ich habe die Schnauze voll von all diesen Schwachköpfen!
Mein Chef fordert mich auf nach Hause zu gehen, ich wäre nicht mehr tragbar nach meinem Vergehen! Nun gut, ich habe missbräuchlich den Geschäftscomputer für nicht ganz legale Sachen benutzt. Aber ist diese Lappalie ein fristloser Kündigungsgrund, nach so vielen Jahren? Die werden sich noch wundern und sich verzehren nach meinen Fähigkeiten. Man beaufsichtigt mich während ich meine persönlichen Sachen packe und anschließend werde ich zu meinem roten Audi eskortiert. Peinlich, ich fühle die hämischen Blicke meiner Kollegen und fahre das allerletzte Mal durch das gut gesicherte Portal des Atomkraftwerks.
Ich will mein viel zu frühes Erscheinen zu Hause nicht erklären, deshalb parke ich meinen Wagen am Uferweg und lasse die Minuten und Stunden ungenutzt verstreichen.
Meine Erinnerungen überrumpeln mich, ich kann sie nicht mehr sortieren. Meine Tochter, ich hasse sie nicht, doch sie will nicht mehr auf mich hören. Mein Sohn Lukas mein Liebling, auch er kann mich nicht mehr verstehen und du meine Frau behauptest und lügst wenn du mir die Liebe versprichst. Deine Schwester mochte mich auch nie leiden und wenn ich nur an deine Mutter denke... ach ja, klar, wie konnte ich das nur übersehen, sie ist es, die von dir die Scheidung verlangt!
Ich werde es euch allen zeigen und ihr werdet all das noch bereuen!
Mit Musik könnte ich mich etwas ablenken, ist vielleicht eine CD im Handschuhfach? Ach, da ist ja eine die gehört doch meiner Frau, Marla Glen Love & Respect was kann das schon sein? Gehört sie wirklich... oder war sie jeweils Mittwochabend gar nie im Turnverein? Love & Respect, Love & Respect, Love & Respect? Ich werde auch dieses Rätsel noch klären aber erst hör ich da rein! Oh nein, das soll Musik sein? Es schmerzt in meinen Ohren und verstärkt den Druck in meinem Kopf ich massiere meine Schläfen und presse die Stirn an das kühle Seitenfenster. Noch eine knappe Stunde und dann ist die Wartezeit um.
Vor meinem Haus steht mein Nachbar, der hat mir gerade noch gefehlt, ich steige aus und er begrüßt mich. Er spricht von meiner Föhre, sie stört ihn, ich sage ganz beiläufig, „mich sicher nicht“ und etwas lauter, „ich habe jetzt keine Zeit, wir werden sehen!“ Ich trage den Karton mit meinen Bürosachen ins Haus und unbemerkt nach unten in meinen Raum. Ich habe keine Lust nach oben zu gehen, ich will sie alle Drei jetzt nicht sehen. Ich bleibe lieber vor meinem Computer sitzen, der spricht und diskutiert nicht mit mir und überhaupt bald ist es vorbei, die Qualen, die Schinderei, die Last, die Entbehrungen und die Pein!
„Essen!“ „Nein, ich will nichts essen, lass mich allein!“
Da ist immer diese lautlose Stimme. Sie ist in mir, gibt mir Mut und Kraft für das Notwendige zu tun. Es gibt kein zurück! In der Dunkelheit werde ich es schaffen. Ich schau zum wiederholten Mal auf meine Uhr. Die Minuten verstreichen nur langsam, ich kann an nichts anders denken, ich stehe auf, gehe fünf Schritte bis zur Tür, lausche, es ist still in meinem Haus. Lukas schläft, das ist sicher aber die Sarah und meine Frau...
Ich kann nicht mehr sitzen, gehe auf und ab, fünf Schritte hin zur Tür und fünf Schritte zurück. Horche der Lautlosigkeit und meiner Stimme in mir.
Ich fühle mich gefangen wie ein Tier im Käfig! Muss endlich raus aus diesem Raum! Lautlos steige ich die Treppe hoch, es brennt nur noch das kleine Licht im Korridor! Steige weiter nach oben und horche an jeder Schlafzimmertür. Es ist alles ruhig, es wurde auch Zeit! Also jetzt ist es soweit. Ich hole noch einmal tief Luft, alle meine Muskeln sind zum zerreißen gespannt und mein Herz klopft wie verrückt. Ihr wolltet es so! Geräuschlos öffne ich die Tür, gehe ans Bett und betrachte im schwachen Licht meine schlafende Frau, du musst die erste sein.
Wie in Trance drücke ich mit meiner ganzen Kraft ein Kissen auf dein Gesicht. Du wehrst dich wie verrückt, es nützt dir aber nichts! Endlich werden deine Arme und Beine schlaff und ich habe es geschafft! Die Anstrengung war groß aber ich kann mich noch nicht entspannen es muss weiter gehen. Sarah, es tut mir leid aber auch für dich ist die Zeit gekommen. Unglaublich diese Stärke, fast hättest du es geschafft, aber mit meinem letzten Kräfteverbrauch habe ich auch an dir mein Wille durchgesetzt!
„Lukas was machst du hier? Komm her ich erkläre es dir!“
„Lukas!“
Lukas rennt, nein er fliegt die Treppe nach unten ich rufe abermals seinen Namen!
Hastig und in Panik dreht er am Schlüssel der wie gewohnt innen an der Haustür steck. Er ist entkommen, verdammt, zögernd stehe ich da und überlege, derweil flitzt er barfuss und Pyjama zum Nachbarhaus. Das Licht geht an, er betätigte die Klingel, drückt unaufhörlich auf den Knopf und lässt ihn gar nicht mehr los. Die Nachbarin öffnet. Er ist ganz aufgeregt aber die Stimme gehorcht ihm nicht, das ist gut und gibt mir Zuversicht und mein kontrolliertes Handeln kommt zurück. Zwei drei Mal tief durch Atmen und schon stehe ich vor dem Eingang und drücke wie mein Sohn zuvor, zu dieser vorgerückten Stunde, den Klingelknopf unter dem Lichtschalter neben der Tür. Frau Krause erscheint an ihrer Pforte und ich rufe sofort nach meinem Sohn, „Lukas!“ Wie immer hört er nicht auf mich. Er wird mir nicht entkommen und Krauses können mich schon gar nicht hindern das Unabwendbare zu tun! Meine lautlose und innere Stimme hat die Lösung für mein Problem und ich höre mich sagen: „Bitte, ich möchte mit meinem Sohn unter vier Augen sprechen!“
Sie geht darauf ein und sagt: „ Dann kommen sie,“ und zeigt auf das Gästezimmer am Ende des Flurs. Verstört und zitternd wie Espenlaub steht mein Junge vor mir. Ich schließe die Tür. Ich will ihn in meinen Arm nehmen, er will nicht, er weicht von mir zurück, dann habe ich keinen anderen Ausweg, ohne zu zögern drücke ich ab, er sinkt zu Boden und ich will nur noch weg!
Weinend streichelt die Nachbarin über Lukas Haar und sagt es wird alles wieder gut!
Doch er glaubt ihr nicht, seine Schwester ist Tod, seine Mama ist Tod und er will nicht mehr zurück!
Hastig verlasse ich diesen Tatort, meine Mission ist noch nicht zu Ende. Ich haste zurück in mein Haus, stehe geschützt im Wohnzimmer hinter der Gardine und beobachte das Nachbarhaus. Eine Ambulanz fährt vor für meinen Sohn, ist er nicht Tod? Wie kann das sein? Überall, alles voller Polizei, abgesperrt, die Nachbarn evakuiert, ich bin ganz allein. Welches Desaster, alles geplant und vorbereitet und Lukas kann im letzten Moment noch entkommen und meine Nachbarn, diese Idioten alarmieren die Polizei. Ich weine, bin todtraurig und möchte sterben aber niemand bringt mich um. Ich möchte fliehen, es ist unmöglich bin eingesperrt! Hilfe diese Leben ist nichts mehr wert!