Kurzgeschichte
Schwarze Tinte

Georg saß am Schreibtisch. Sein schwerer Kopf lag aufgestützt auf dem linken Arm. Der starre Blick ermattete im lodernden Kaminfeuer. Bedrückt wandte er sich ab und schaute nun, genauso regungslos wie zuvor, auf das leere Blatt Papier, das vor ihm lag. 
– Es zeigte sich bereit, seine Geschichte aufzunehmen.

Vorsichtig, leicht zitternd, tauchte er die Schreibfeder in schwarze Seelentinte ein. Sie passte exakt zu seinem Befinden, was ihm ein hämisches Lächeln entlockte.
Es war, als würde jemand seine Hand führen. Worte reihten sich aneinander, Sätze flossen wie von selbst aufs Papier. Nur ab und zu unterbrach er kurz, um die Feder aufs Neue mit tiefem Schmerz zu tränken.
Unentwegt schrieb er weiter, zeitweise auch mit geschlossenen Augen. Seite um Seite füllte sich und Stunde um Stunde verging. Die Wanduhr tickte stetig den Takt. Allmählich wurde ihm leichter.
Wieder tauchte er die Feder ein – doch diesmal blieb sie trocken. Jetzt huschte ein wirkliches Lächeln über sein Gesicht.

Im Kamin lag gleißende Glut. Überall auf dem Fußboden und auch auf dem Tisch waren die schwarz beschriebenen Seiten ausgebreitet. Georg hauchte die letzten Worte trocken – nun endlich war er die Geschichte los, sie konnte ihm nichts mehr anhaben.
In tiefem Frieden mit sich selbst nahm er das erste Blatt, zerknüllte es, und warf es laut lachend auf die Glut. Hell flackte das Feuer auf – nur einen kurzen Augenblick. Nach und nach schmiss er genüsslich sein gesamtes Werk in den Kamin und erfreute sich an jedem Aufflackern. Immer ausgelassener, begann er zu hüpfen, zu tanzen und zu singen. Während die letzte Seite in Rauch aufging, rief er euphorisch: „Meine Geschichte ist Geschichte!“

Als er am nächsten Morgen aufwachte, war die Glut längst ausgegangen. Er füllte die Überreste in einen Eimer und öffnete die Tür. Sonnenstrahlen blinzelten ihm entgegen. Frohgemut trat er in den Garten und verstreute die Asche – noch bevor sie den Boden berührte, trug ein Windhauch sie fort.
Verschmitzt lugte ein Spätzchen vom Kirschbaum herunter und zwitscherte ihm zu. Er grüßte freundlich zurück und wusste – nun war es Zeit, seine neue Geschichte zu schreiben.