Makui lebt allein mit ihrer Wölfin Suna am Strand, weil ihre Angst vor Menschen sie aus der Stadt vertrieben hat.
Der Wind trug eine leichte Brise heran. Makuri spürte den warmen, vertrauten Sand unter ihren Füßen. Neben ihr lief die Wölfin Suna, die sie eigenhändig aufgezogen hatte. Makuri ließ ihre Gedanken schweifen, sie fühlte sich sehr geborgen in ihrer gewohnten Umgebung. Sie war keine gewöhnliche Frau. Schon seit Jahren lebte sie am Strand, denn sie konnte nicht unter Menschen sein. Menschen gaben ihr ständig das Gefühl, dass sie irgendetwas falsch machte. Daher hatte sie sich voll und ganz dem Leben am Strand und ihrer Wölfin Suna verschrieben. Der Strand war immer einsam und das Meer faszinierte Makuri. Lange hatte sie mit dem Gedanken gespielt, wieder in die Stadt zurückzukehren, aber jedesmal wenn sie es versucht hatte, hatte es nur wieder Angst in ihr ausgelöst. Am Strand fühlte sie sich sicher und wusste, da sie keine Familie oder Freunde hatte, dass niemand nach ihr suchen würde. Leben tat sie wie eine Ureinwohnerin. Bekleidet mit einem schlichten weißen Kleid, ernährte sie sich von Früchten in der Umgebung. Selten ging sie auch mal in ein nahegelegenes Dorf, wo sie ein wenig Proviant geschenkt bekam. Makuri konnte und wollte nicht anders leben. Sie legte sich neben Suna in den Sand und spürte das Meerwasser an ihren Füßen. „Suna, du verstehst mich am besten. Du erwartest nichts von mir und du würdest mir alles verzeihen,“ flüsterte sie der Wölfin ins Ohr. Diese schnurrte. Makuri fuhr mit ihrer Hand sanft über das weiche Fell, bis sie neben der treuherzigen Wölfin eingeschlafen war.
Toko stand am Ãœbergang von dem Dorf zum Strand. Er beobachtete Makuri schon eine lange Zeit. Oft stand sie da und ihre langen, nussbraunen Haare bewegten sich im Wind. Er konnte nur zu gut nachvollziehen, warum sie geflohen war. Toko hatte zwar keine Angst vor Menschen, aber er hielt seinen stressigen Arbeitsalltag einfach nicht mehr aus. In Makuri sah er eine Frau, die ihn verstehen würde. Bis jetzt hatte er sich aber einfach nicht getraut sie anzusprechen, da er wusste, dass sie Angst vor Menschen hatte. Zerbrechlich lieferte sie sich dem Meer aus, wie sie da lag im Sand. Toko beschloss sich ihr anzunähern und endlich auf sie zuzugehen. Leise schlich er durch den Sand und setzte sich neben sie. Suna begann zu knurren und Makuri wachte auf. Verschlafen fragte sie: „Was ist den los, Suna?“  Dann bemerkte sie Toko, sprang auf und entfernte sich ein paar Meter. Erst nachdem sie Entfernung aufgebracht hatte, wagte sie ihn anzusehen. Suna stand neben ihr, jederzeit bereit, sie mit dem Leben zu verteidigen. „Was willst du von mir? Habe ich etwas verbrochen?“ Er ging ein paar Schritte auf sie zu: „Makuri, ich will dir nichts Böses ehrlich. Ich bewundere deinen Lebensstil.“ Das machte sie doch sehr nachdenklich: „Du kennst mich?“ „Allerdings,“ erwiderte er mit einem Lächeln. Toko wollte aber nicht verraten, woher er sie kannte. Makuri fing an ihn näher zu betrachten, um sich an ihn zu erinnern. Sie hatte immerhin bis zu ihrem 17ten Lebensjahr in der Stadt gelebt und war zur Schule gegangen. Er hatte schwarzes Haar und braune Augen. Sein Kleidungsstil war schlicht und modern, sie konnte nichts Besonderes an ihm feststellen. „Lass mich bitte etwas hier, bei dir, bleiben.“ Makuri sah ihn verwirrt an, erwiderte dann aber: „Ich kann nicht darüber entscheiden, wer an diesem Strand lebt. Er gehört mir nicht, aber du kannst nur bei mir bleiben, wenn Suna nichts dagegen hat. Ansonsten musst du auf die andere Seite des Strandes.“ Toko nickte: „Gut. Dann lassen wir Suna entscheiden.“ Wie auf das Wort lief Suna auf ihn zu und beschnupperte ihn. Zunächst sah es so aus, als wolle sie ihn beißen, aber dann sah sie ihn freundlich an und sprang fröhlich an ihm hoch. Makuri belohnte Toko mit einem Lächeln und kam etwas auf ihn zu: „Solange du das Leben hier akzeptierst und keine bösen Absichten hast, kannst du meinetwegen hier bleiben.“ Sie konnte nicht „nein“ sagen, wenn sie in seine ehrlichen Augen sah. Dennoch wunderte sie sich über sich selbst, vorher hätte sie so etwas nie zugelassen. Mittlerweile war sie sicher, dass sie ihn kannte, aber ihre Erinnerungen waren durch ihre schlechten Erfahrungen mit Menschen getrübt worden. Nachdem Suna von ihm abgelassen hatte, wagte er es noch ein paar Schritte auf sie zuzumachen. Makuri wollte sich einmal in ihrem Leben ihrer Angst stellen, wenn es ihr auch noch so schwer fiel. Dann stand sie zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder, einem Menschen direkt gegenüber.
Sie atmete schnell, ihre Hände wurden feucht und sie zitterte am ganzen Körper, als sie Toko gegenüberstand. Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich. Erschrocken riss sie die Augen auf, denn sie spürte zum ersten Mal in ihrem Leben, was Nähe wirklich bedeutete. Sie schloss die Augen und schmiegte sich an ihn. Trotzdem kam sie gegen ihre Angst nicht an, obwohl Makuri ahnte, dass ihr Herzklopfen andere Gründe hatte. Zitternd löste sie sich von ihm und trat wieder ein paar Schritte zurück. „Ich hoffe du verstehst, dass ich mich nicht so schnell an einen Menschen gewöhnen kann.“ „Natürlich tue ich das, aber ich möchte auch, dass du weißt, wie viel du mir bedeutest,“ rief er. Makuri dachte, ihr würde das Herz stehen bleiben, als sie das hörte. Sie wandte sich von ihm ab und legte sich wieder mit Suna in den Sand. Leise legte sich Toko neben sie. Sie sah ihn verwirrt an und flüsterte: „Wer bist du?“ Toko nahm ihre Hand und flüsterte zurück: „Makuri, weißt du noch, damals auf der Mittelschule?“ Beide schwiegen und starrten verträumt in den Himmel. Plötzlich setzte Makuri sich auf und sah ihn mit großen Augen an: „Toko?! Du? Wir haben uns seit der Mittelschule doch nicht mehr gesehen!“ Er lachte: „Ja, genau der bin ich. Das mag sein, aber ich konnte dich nie vergessen. Das kleine, schüchterne Mädchen mit dem langen nussbraunen Haar, was immer Angst vor den anderen hatte.“  Das Meer trug seine Worte hinaus in die Welt. Makuri hatte nie Kontakt mit den anderen gehabt, aber die ehrlichen Augen von Toko Yamaki, kannte sie nur zu gut. Makuri stand auf: „Ich hätte nie gedacht, dass wir uns wiedersehen, Toko. Ich…“ Sie konnte nicht mehr und rannte so schnell sie konnte, zu ihrem Felsen, auf dem sie immer sehr gut nachdenken konnte. Suna folgte sofort. Toko sah ihr nach und fragte sich, was Makuri dazu trieb. Er wollte einfach, dass sie ihre Angst verlieren konnte. Vorsichtig ging er ebenfalls in Richtung Felsen, dann sah er sie da sitzen. Sie hatte die Knie angezogen und die Arme darumgelegt. An ihren Wangen liefen Tränen hinunter. Suna hatte sich an Makuri angelehnt und versuchte sie zu trösten. Toko berührte dieser Anblick sehr, es überraschte ihn, wie verständnisvoll Tiere waren, so konnte er verstehen, dass Makuri Tiere den Menschen vorzog. Toko fasste sich ein Herz, folgte ihr auf den Felsen hockte sich vor sie und wischte ihr eine Träne aus dem Gesicht. „Toko, ich..“ Er legte ihr einen Finger auf die Lippen: „Shh, Makuri, was ist denn los mit dir?“ Sie kniff die Augen zusammen und sagte keuchend: „I-ich bin so froh, dass du bei mir bist. D-die Angstgefühle vor Menschen haben hier keine Bedeutung. Meine Aufregung hat weniger mit der Angst vor Menschen zutun, als mehr mit deiner Anwesenheit.“ Toko schenkte ihr ein warmes Lächeln, woraufhin sie errötete. „Es ist schön das zu hören, Makuri.“ Er strich ihr durch das nussbraune Haar, sie, die ihn liebevoll anschaute, versuchte, seine Nähe und die Wärme, die er ausstrahlte, zu genießen. Tief in ihrem Inneren, wusste Makuri, dass Toko der Einzige war, dessen Nähe sie zuließ. Nun saßen die beiden zusammen auf dem Felsen, Suna lag auf ihren Beinen und sie sahen sich einen wunderschönen Sonnenuntergang an.
Ein paar Tage später, hatte Makuri sich schon soweit an das Zusammenleben mit Toko am Strand gewöhnt und sie machten einen Spaziergang. Makuri fragte ihn: „Toko, was hat dich hierher geführt und warum, willst du am Strand leben?“ „Auf diese Frage habe ich gewartet. Ich habe das stressige Arbeitsleben satt, aber der wahre Grund,“ er hielt inne und blieb stehen. Makuri blieb ebenfalls stehen . Wieder standen sich die beiden gegenüber, aber beide spürten, dass es diesmal anders war. „Bist du, Makuri.“ „Toko..,“ flüsterte sie, doch weiter kam sie nicht. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, schloss die Augen und küsste sie. Makuri zwang sich ruhig zu bleiben, schloss ebenfalls die Augen und genoss den Moment. Sie spürte die Brandung an ihren Füßen und seine weichen Lippen auf ihren. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie dachte, es würde explodieren. Sie realisierte, dass ihr Leben wieder einen Sinn hätte, wenn er bei ihr war. Die zwei, mit Suna am Strand. Bei dem Gedanken, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Als sie sich von einander lösten, sahen sie in die Sonne, die die Wolken durchbrach. Toko nahm ihre Hand und sagte: „Makuri, mit dir zusammen, will ich für immer an diesem Strand bleiben und wenn unsere Zeit gekommen ist, will ich mit dir zusammen im Sand sterben.“
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©2011 Lena-Luise Leopold              Â