Romane & Erzählungen
Die späte Antwort Gottes

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"Die späte Antwort Gottes"
Veröffentlicht am 05. Januar 2012, 280 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Gelernter Koch, seit 1985 mich dem Schreiben hingegeben, ab 1989 anthroposophisches intensives Studium bis 1997. Neu mein Inneres soweit aufgebaut (Denken, Fühlen, Wollen -also meine eigene Gehirnwäsche mir erlaubt, also die Gehirnwäsche der Gesellschaft durch Erziehung, Schule, Gesellschaft und Umwelt endlich überwunden). Mich neu also zurechtgefunden mit der Weltanschauung der anthroposophischen Geisteswissenschaft, die von der Karma- und ...
Die späte Antwort Gottes

Die späte Antwort Gottes

Beschreibung

Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Ein seelenkranker junger Mensch auf dem jahrzehntenlangen Weg der Selbstheilung im Vertrauen zu Gott. Es ist wahr: Wer suchet, der findet. Wer anklopft, dem wird aufgetan. Dass viele, die auch gesucht haben und nicht fanden, die auch angeklopft haben und meinen, ihnen wurde nicht aufgetan, mögen aus dieser Arbeit, falls die Lust darauf besteht, Antworten finden -oder auch nicht. Jeder ist eben seines eignen Glückes Schmied. Nämlich seines eigenen Innenlebens.

Die Späte Antwort Gottes

 

Die späte Antwort Gottes

 

Oder

 

...und noch ein Mysteriendrama

 

von

Rüdiger Siegfried Kugler

(Der manchmal befremdlich anmutende Schreibstil ist aufgrund persönlicher Motive beabsichtigt)

 

Inhaltsverzeichnis

 

Unser HEUTE wie das GESTERN

 

 

Prolog

1.Dich werde ich nie vergessen

2.„Stelldirvor, ichweißwas“  „Nein wirklich“

3.Ein häufiger Weg in die Realität

4.Einzigartig (Für Tatjana)

5.Ein bleibender Hauch von Liebe

6.Mit einem Bein im Knast

7.Fremd in Bokelrehm: Ausgeliefert

 

Das MORGEN unser WOLLEN

 

8.Aus der Teufelsküche in die Gottessaat

9.Sein schönstes und sein schlimmstes Geheimnis

10.Aufhellende Feinheiten der letzten 10 Jahren

11.„Bei dir ist doch eine Schraube locker“

 

Epilog

Des Schleiers Spalt weite gelüftet

Unser

HEUTE

Wie

das

GESTERN

 

 

Aus

 

Dr. Rudolf Steiners

 

Priester Apokalypse“

 

(Faksimile)

 

Eine Vortragsreihe über die Offenbarung Johannis

 

Gehalten für die Priesterschaft

 

der Christengemeinschaft

 

in Dornach

 

vom 5. bis 22. September 1924

 

 

PROLOG

 

Aus dem 16. Vortrag, Dornach, 20. September 1924 Rudolf Steiner:„...1933, meine lieben Freunde, bestünde die Möglichkeit, dass die Erde mit allem, was auf ihr lebt, zugrunde ginge, wenn nicht die andere weise Einrichtung da wäre, die sich nicht errechnen lässt, so dass die Rechnungen nicht immer stimmen können dann, wenn die Kometen die andere Form angenommen haben. Man würde im Sinne des Apokalyptikers sagen:  

 

Ehe denn der ätherische Christus von den Menschen in der richtigen Weise erfasst werden kann, muss die Menschheit erst fertig werden mit der Begegnung des Tieres, das 1933aufsteigt.

Das ist apokalyptisch gesprochen...

 

 

 

 

Dich werde ich nie vergessen

Mit einem sehnsüchtigen Herzen ausgerüstet umklammerten mich die Krallen des Alltags der Arbeitswelt. Die Falle schnappte ebenso erbarmungslos zu, wie es jedem Jugendlichen ergeht, der mit nebelhaften Zukunftsplänen der Schule den Rücken kehrt, um einen zukünftigen Beruf zu ergreifen –und ich war sechzehn.

Ein mir bis zu jenem Zeitpunkt unbekannter Lauf kam ins Rollen. Von einem Augenblick zum anderen stand ich im Berufsleben oder vielmehr, ich fing an fremden Boden unter meinen Füßen abzutasten, mit dem Ziel, eines Tages, nach drei Jahren, eine sichere Existenz als mein Heil, mein Los anzupacken; es waren Rosinen im Kopf. Dass es drei Jahre unerfüllter Sehnsucht, erdrückender Einsamkeit, des oft Aufgeben-wollens werden würden, hätte ich mir damals nicht im Entferntesten vorstellen können, schließlich begann alles so unsagbar vielversprechend. Vorerst jedenfalls gaukelte mir meine Fantasie –wie seit der Kindheit- märchenhafte Erwartungen vors geistige Auge. Rosig würde mein Leben werden, nur noch schön sein. Ich  war dem Elternhaus entkommen.

Es war ein nicht in Worte zu fassender, unvergleichlich schöner Sommertag. Die Sonne legte sich machtvoll ins Zeug, Menschen, Tiere und Pflanzen zu erfreuen, und speziell mich, der ich nun anfangen wollte, erwachsen zu werden.

Am Rande eines Waldes, der Stätte, die mich von jeher eigenartig anzog, hatte ich meine zweite Heimat gefunden. Wenn mich das Rauschen der Baumkronen berührte und Tierstimmen aus dem Unterholz zu mir drangen, hörte ich einen wundersamen Ruf, der mir geheimnisvoll zuflüsterte: „Hier kannst du unbeobachtet deine Herzenswünsche darbringen!“

Den Hang herab, zu Fuße des Berges, lag verträumt und wunderschön anzusehen Baiersbronn. Insgeheim beglückwünschte ich mich zu dieser grandiosen Wahl, meine Lehrstelle  als Koch, die einige hundert Km entfernt von meiner Heimatstadt Ludwigshafen lag, derart ideal getroffen zu haben!

Mit dem Ford Taunus 17M lieferten mich meine Eltern in meinem zukünftigen Heim ab. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Pensionsleiter, Herrn Bothe, aßen wir noch gemeinsam zu Mittag in dem gemütlich eingerichteten Restaurant, dabei konnte ich kaum noch meine Ungeduld zügeln. Schließlich war es soweit: Mama und Papa brachen auf, zurückzufahren dahin, woher sie mich gebracht hatten. Bemüht, meine Nervosität zu verbergen, konnte ich es kaum glauben, nie mehr eingeschlossen zu sein in dem Gefängnis elterlicher Befehlsgewalt. Und endlich, mit herzlichem Händedruck bei den üblichen Abschieds-Umarmungen das Versprechen abgelegt, brav zu bleiben, ihnen keine Schande zu machen und bald zu schreiben, fuhren sie davon. Das Winken fiel mir schwer. Ich war frei! Die Freude darüber ließ kein Platz für Sentimentalität. Frei! Frei nach sechzehneinhalb Jahren. Frei vom Druck der Angst vor einer Strafe, wenn nach Einstellung der Eltern man etwas ausgefressen hatte. Frei von elterlicher Beobachtung und lästigen Verwandtschaftspflichten. Deshalb hatte ich mich für den Beruf Koch entschlossen, um frei zu sein.

Mein Gott, wie irrte ich mich. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung vom Kampf ums Überleben in der Arbeitswelt als Lehrling, der zu lernen hatte, ein Mensch zweiter Ordnung zu sein. Jedenfalls da, wo ich gelandet war. Im selben Augenblick aus dem Schutzwall  der Elternabsolution, geriet ich in die in Kraft tretende Vogelfreiheit eines jungen Menschen, der, fernab von der Heimat, niemanden hatte, der ihm den Rücken stärkte, war Gefahr im Anzug von Erwachsenen, die ihre Macht erbarmungslos ausnutzten. In den Fängen gelandet von  Machenschaften, Leistungszwang, Unmenschlichkeit, einseitigen Richtlinien unantastbarer Broterwerbsmoral; wer sich nicht unterwarf wurde vernichtet. Innerhalb weniger Tage, wie mit einem Vorschlaghammer aufs Denkvermögen, wusste ich, dass das oberste unausgesprochene Gebot meines Umfeldes lautete: Mensch sein vergessen! Recht haben in jedem Falle die über mir. Und die über mir waren alle. Ich war ihnen absolut ausgeliefert. Nichts ahnend, wo hinein ich da geraten war, woher auch?, sah ich dem Wagen meiner Eltern hinterher, der sich langsam entfernte. Und noch bevor er völlig aus meinem Blickfeld war, machte ich auf meinem Absatz kehrt und eilte in den Pfad, der mich in den Wald führte. In der Stille wollte ich gleich mein Glück genießen; meine Freiheit beginnen in der Welt der kühlen Schatten, der beschützenden Bäumen; in einer Welt natürlicher Laute, wo nicht sich gegenseitig angebrüllt wurde, anstatt in normaler Tonart miteinander umzugehen. Tief atmete Ich durch und sog den vertrauten, so lange ersehnten Geruch unberührter Natur ein...

Es war ein Segen, dass ich jene Stunden genoss. Nur selten sollten solche Augenblicke wiederkehren. Von dem Zauber dieser Stätte hatte ich bald nichts mehr. Aber! Dem Himmel sei Dank! Ich lernte Gerhard kennen! Seine Freundschaft wurde mir zu einer erfrischenden Quelle, zu der ich ging, wenn ich meine Umwelt und ihre Alltagsvorstellungen nicht mehr verstand. Er wurde meine Stütze nach des Meisters regelmäßigen Beleidigungen und bösartigen Verhöhnungen oder wenn ihm mal wieder die Hand ausgerutscht war oder das Messer, das er nach mir geworfen, knapp das Ziel verfehlte.

Drei Wochen später, während denen ich im Hause „Schönblick“begriff, dass es für mich da nichts zu lachen gibt, musste ich an einem Montagmorgen zur Berufsschule in Freudenstadt; das war acht Km von Baiersbronn entfernt. Jemand wies uns ordnungsgemäß dem Saal zu, in dem für unseren Berufszweig der Gastronomie der theoretische Unterricht stattfand, unterbrochen von der Mittagspause zwischen 12 Uhr und 14 Uhr 30. Wir ließen uns auf den Schulbänken, die in drei Reihen aufgeteilt und durch zwei schmale Gänge getrennt waren, nieder. Ich mich ganz vorne in der mittleren Reihe, direkt vor dem Pult des Lehrers.

Nachdem sich wohl jeder einen Platz erobert hatte, wurden wir bestimmt darüber informiert, was uns erwartete und welche Materialien wir zu besorgen hätten. An Einzelheiten dieses ersten Montagmorgen kann ich mich nicht mehr erinnern, außer, dass ich darüber nachsinnte, inmitten 40 gleichaltriger Jungs zu sein, unter denen bestimmt der eine oder andere davon träumte, einmal der Küchenbulle einer Brigade zu sein, der er dann ordentlich den Marsch blasen konnte mit Anschissen, Fußtritten, Ungerechtigkeiten..., um den ganzen Rotz zurückzugeben, den jetzt der eine mehr, der andere weniger so wie ich abbekam. Wohin meine Augen wanderten: Fremde. Hin und wieder spickte ich über meine Schulter, hin, zum Ende der letzten Bank der ersten Reihe. Dort saß er, der mir bereits auf dem Korridor aufgefallen war. Im Bruchteil einer Sekunde wusste ich instinktiv, dass mich mit diesem Menschen etwas verband. Mögen alle um mich herum in einem Boot gesessen haben. Ich nicht! Ich saß alleine mit dem in einem Boot, der mir die ganze Zeit wie telepathisch versicherte: “Du und ich: wir werden Freunde!“ Und als uns unser Lehrer aufforderte, dass jeder sich mit seinem Namen vorstellen möge, hörte ich nur den einen, als er an der Reihe war: Gerhard Hömens.

Es läutete zur Pause. Wir alle sprangen auf und stürmten in den Flur, dabei entging mir nicht, dass sich Gerhards Tischnachbar an seinen Rockzipfel hängte. Eifersucht ergriff mich. Unnötigerweise wie ich bemerkte. Ganz offensichtlich hatte auch Gerhard Interesse an mir. Er kam zu meiner Seite, sprach mich an, und im Trio landeten wir vor dem Schulgebäude. Um uns die anderen, die sich Sprüche zuriefen, sich ausfragten, kreischten, lachten... Und mich ergriff Panik bei der Idee, dass wir den anderen nicht loswerden würden. Die Eifersucht. Schon wieder! Unnötig, denn ich bemerkte, dass auch Gerhard den anderen als lästig empfand und die Angelegenheit in die Hand nahm... Schon waren wir allein und ich selig.

Die Montage, von 12 Uhr bis 14 Uhr 30, wurden bald zu Musestunden. Eine von Anfang an vorhandene Spur des Zusammengehörigkeitsgefühls und angeregte Gespräche, darunter sogar Themen metaphysischen Inhaltes, in denen wir ein- und dieselbe Weltanschauung entdeckten, senkte in unsere Herzen den Grundstein einer besonderen Freundschaft. Wir spazierten oder erkundeten oder tobten durch die Wälder, unternahmen Ausflüge entlang geruhsam dahinfließender Bäche, machten Rast bei Quellen, bummelten durch nahegelegene Dörfer, kehrten in feine Kaffees oder urtypische Kneipen ein... Wir lachten viel, trieben Späße, ohne andere zu schädigen, wie die Einweihung Gerhards an mich im Kautabak genießen, so dass wir manchen vollbespuckten Aschenbecher in Kneipen zurückließen, verdeckt mit Pappdeckeln. Die arme Serviererin, die unsere zurückgelassene Schweinerei erst entdeckte, waren wir außer Reichweite. Bald trafen wir uns unter der Woche an Abenden, um zum Beispiel im einzigen Kino der dörflichen Umgebung in Baiersbronn einen Film anzusehen. Danach begleitete ich meinen Freund zum 4 Km entfernten Mitteltal, wo er lernte, um selig und beschwingt den Rückweg einzuschlagen, in die Höhle des Löwen. Egal was, wir unternahmen nichts mehr getrennt, ob im Mondenschein, im Sonnenschein, ob als Tramper oder Wanderer vertieft in Ideen und Vorstellungen über einst, jetzt oder später, wir verstanden es einfach, unsere Zweisamkeit über alles zu schätzen, und wo auch immer schütteten wir uns gegenseitig die Herzen aus, liebten und genossen das Leben, waren mit uns allein zufrieden und sprachen nicht nur einmal die Freude über unsere Freundschaft aus; sogar bedeutungsvolles Schweigen hüllte sich in den wundersamen Zauber unserer Zuneigung. Zwei Jungs hatten sich in der Fremde gefunden, denn ebenso wie ich hatte auch Gerhard den Wunsch nach einem Freund in seinem Herzen getragen.

Es war kaum ein Monat vergangen, da wagten wir es, unseren Klassenlehrer zu fragen, ob wir nebeneinander sitzen dürften, was uns erlaubt wurde, vorausgesetzt, dass der Unterricht darunter nicht leide. Es war traumhaft, dass Seite an Seite zu sein sogar an den Montagen nicht mehr nur auf die Pausezeit und der Busfahrt zur jeweiligen Ausbildungsstätte zurück beschränkt war.

Demgegenüber verging die Arbeitswoche unbarmherzig. Meine Angst vor dem Küchenchef behinderte erheblich meine Leistung, die ich durchaus in der Lage gewesen wäre zu erbringen. Ich kam als der Älteste aus einer kinderreichen Familie, hatte Ferienjobs hinter mir und Wochenendearbeit in der Kneipe einer Tante, hier jedoch zum Spielball der Launen meines Meisters geworden hatte ich ein Brett vorm Kopf.

Morgens, beim Aufstehen bereits, überkam mich die Frage: Wie wird der Menschenschinder heute gestimmt sein. Trat er unter angenehmen Anwandlungen seinen Dienst an, durften wir, das war Oma, Jörg, unser Geselle, Doris und ich beim Frühstück sitzen bleiben, was Seltenheitswert hatte. Missmutig zu kommen war seine Regel, mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter, in dem geschrieben stand, sofort die Beine unter die Arme nehmen zu müssen. Kam er aber nach einer durchzechten Nacht voll wie ‘ne Strandhaube zur Arbeit, war es am Schlimmsten. Der Katzenjammer plagte ihn, und das bekamen wir ab.

Wie sehr erleichterte es uns, wenn er sich erst einmal zu Tisch setzte. Das hieß, vorerst Ruhe vor ihm haben. Vielleicht sogar den ganzen Vormittag. Machte er sich allerdings umgehend an die Arbeit, hatten wir schlechte Karten; mit ausfallenden Schlagwörtern, Handgreiflichkeiten und Befehlen statt Unterweisungen verging der Arbeitstag, während solcher zu meiner Angst der Ekel vor diesem Menschen hinzukam. Irgendwie gewöhnte ich mich an seine fünf Finger, die manchmal in meinem Gesicht landeten, auch bekam ich eine gewisse Übung darin, geschickt den Messern auszuweichen, die nach mir flogen, überkam ihn ein Wutanfall. Was mir tatsächlich zusetzte war Frau Bothes krankhafte Überwachung, die die Freiheit aller Angestellten im Auge behielt und private Treffen in unseren Zimmern untersagte. Selbst für nur einen Augenblick, eventuell einer Frage rein betrieblicher Gründe wegen, in das Zimmer von Kollegen zu gehen und sich dabei erwischen zu lassen, hieß sich Ärger einhandeln. Um der Friedewillen wurde versucht, uns dieses Verbot einzureden, und befürchtete nichts weiter, als ein Austauschen und Mitteilen untereinander. Fiel dennoch einem mal die  Decke auf den Kopf, bedeutete dies, die Nacht abwarten, bis alle schliefen. Auf Zehenspitzen wurde dann durch die Flure geschlichen, in die Bude anderer gehuscht, bei Kerzenschein geflüstert mit der Panik vertraut, erwischt werden zu können, und heilfroh darüber, war man später unentdeckt im eigenen Bett gelandet.

Diese Abläufe: tags in der Gewalt des Sadist, nachts der Horror vorm Giftstich einer Schlange, die ihre Ohren überall hatte, damit der Gatte, der seine Ohren nicht überall haben konnte, mit jüngstem Material versorgt werden konnte, bescherten mir nicht nur regelmäßig Albträume, sondern trieben mich in die Sehnsucht nach dem Tod.

Da war diese Oma, die zwischen zwei Stühlen saß. Verwandt mit dem Küchenchef und zum Liebling Jörg gehabt, der kurz vor seiner Gesellenprüfung stand und immer angab, wenn er wieder einmal ein Zimmermädchen aus dem elterlichen Hotel verführt hatte, gab mir unter vier Augen Ratschläge, suchte Verständnis für ihren Enkel und schwieg in seiner Gegenwart; speziell war der schlechter Laune und somit unberechenbar.

Und dennoch! Da war die Aussicht auf den Montag. Ich hatte einen Freund: Gerhard. Ihm konnte ich mich anvertrauen, mein Leid klagen. Und er stand mir zur Seite, umgaben ihn ebenfalls keine schönen Umstände; unzumutbarer Stress, Leistungsdruck, wie von einem Ausgebildeten erwartet, und eine neugierige Mutter, die nämlich des Hotelbesitzers. Nur mit Schlagen wurde Gerhard nicht konfrontiert.

Anfangs kam Gerhard ebenso wenig  zurecht, spielte sogar einmal mit dem Gedanken, das Handtuch zu werfen. Dann hätte er die große weite Welt erkundet. Nur, abstammend von gutbäuerlichem Stamm, war er zum Ãœberleben wie geschaffen. Mit seiner lebensfreudigen, natürlichen Art –immer zu einem guten Streich aufgelegt- kam er überall an. Ihm war so leicht nicht das Rückgrad zu brechen. Bald schon vermochte er es, das Beste aus seiner Lage herauszuholen; und voller Elan strahlte er Lebensfreude aus. Er verfügte über einen Unternehmungsgeist, dass in seiner Gegenwart nie Langweile aufkam. Sein Charme, sein Optimismus, sein Lachen war befreiend und ansteckend. Und zuversichtlich Pläne für die Zukunft schmiedend, baute er mich wieder und wieder neu auf. Noch jedenfalls!

Was meine Homosexualität betraf, lag kein zwingender Grund vor, darüber zu sprechen. Ich war von Kindheit an gewohnt, allein damit zurecht zu kommen.  Nur in Momenten der Selbstbefriedigung wurde ich insofern damit konfrontiert, zwei, drei Schauspieler zum Lustobjekt zu haben. War die Luft raus, war’s das. Nach außen hin also kein Thema, zumal ich einmal den Test gemacht hatte. Der Ãœberlegung: versteht man sich so gut wie Gerhard und ich, dann müsse es doch normal sein, auch in Momenten der Selbstbefriedigung an den Freund zu denken, mich hingegeben, wurde zum totalen Reinfall; ein fehlgeschlagener Versuch reichte und fiel der Vergessenheit anheim.

Leider scheinen Menschen, die über Macht anderer verfügen, keine Grenzen zu kennen. Nach außen hin sozial eingestellt, kam Personal, das für minderwertige Glieder der Gesellschaft erklärt war. Darunter Rita, zum Bedienen, und Waltraut, als Küchenhilfe. Waltraut war ein Kapitel für sich. Wenn ich das richtig verstand, hätte sie eigentlich ins Gefängnis gemusst, statt dessen war ihr die Chance gegeben, sich in diesem Haus zu bewähren. Abwechselnd hielt ich mich mal nachts in Ritas, mal in Waltrauts Zimmer auf. Die beiden selbst waren sich nicht sehr grün. Ich verstand mich mit beiden. Jedoch schweißten die menschlich unzumutbaren Verhältnisse zusammen, auch Rita und Waltraut, die sich immer häufiger fragte, ob es ihr im Gefängnis nicht besser ergangen wäre, derart schlimm wurde ihr tagein tagaus zugesetzt. Die wachsende Einsicht:  Da gibt es welche, die mit dir machen können, was sie wollen, nahm verheerende Formen an. Der Glaube an das Gute im Menschen war erschüttert. Ich litt mit Waltraut, ich litt mit Rita, ich litt über mein eigenes Los. In Ludwigshafen wussten es alle, wie freudig ich das Elternhaus verlassen hatte.  Diesen Triumph, freiwillig zurück zu kehren, konnte ich ihnen nicht geben. Mal fügte ich mich meinem Schicksal, mal haderte ich damit. Und die Schlaftabletten, die ich mir dann und wann von Rita geben ließ, nahm ich nicht ein, sondern sammelte sie instinktiv.

Das Durchhalten im Hause „Schönblick“, das mir bis dahin nach Unternehmungen mit Gerhard möglich war, endete in jener Nacht, als ich nach Hause kam und Jörg, wir waren in einem gemeinsamen Zimmer untergebracht, gerade in meinem Tagebuch las. „Du Schwein!“,beschimpfte er mich angewidert. Hinter mein dunkles Geheimnis gekommen, versprach er mir –der ich klein mit Hut geworden- zwar, keinem von meiner Homosexualität zu erzählen, jedoch unter der Voraussetzung, dass ich fortan einen weiten Bogen um ihn mache, denn er habe gerade beobachtet, wie wir uns –eben noch von Gerhard bis zum Hause begleitet worden- engumschlungen und abknutschend voneinander verabschiedet hätten. Obgleich ich Rita und Waltraut mit ins Vertrauen ziehen konnte und beide großartig zu mir hielten, war dies nicht das selbe, hätte ich Gerhard von diesem Vorfall erzählen können, was ich nicht übers Herz brachte. Von nun an hatte ich nicht einmal mehr nach Feierabend Ruhe. Jede Gelegenheit für Sticheleien und Anzüglichkeiten nutzte Jörg, um meine Freundschaft–die mir heilig war- in den Dreck zu ziehen. Das war zu viel. Und ich plante meinen Selbstmord. An meinem Geburtstag sollte es geschehen! Unsicher darüber, ob meine bisher gesammelten Schlaftabletten ausreichten, ging ich unbefugterweise an jenem Nachmittag in Ritas Zimmer, um das ganze Gläschen an mich zu nehmen, aus dem sie mir bisher das gewünschte gegeben hatte. Damit nicht genug, plante ich, um ganze Sache zu machen, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Als es dann dunkel wurde und im Hause still, schlich ich mich in die Küche, nahm ein Fleischermesser an mich und eine Flasche Wasser, verließ das Haus durch den Hintereingang und ging in den Wald. Alle Schlaftabletten dann geschluckt, verließ mich, das Messer an die Pulsadern gesetzt, die Courage... Das Aufwachen am nächsten Morgen, in meinem Bett sogar, geschah, als wäre ich in einer anderen Welt gelandet. Drei Tage wandelte ich in Trance unter den Menschen. Rita gestand mir bald, dass sie meine Absicht durchschaut und deshalb vorsorglich die Schlaftabletten in Grippetabletten ausgetauscht hatte. Gerhard, dem ich am nächsten Montag im Bus bei der Rückfahrt zur Lehrstelle meinen misslungenen Selbstversuch beichtete, fühlte sich persönlich getroffen und meinte nur: “Hast du denn nicht an mich gedacht?“ Beim nächsten Telefonat mit meiner Mutter konnte ich ihr dann zum ersten Mal von den Schlägen und so weiter berichten. Am darauffolgenden Morgen, unangekündigt, stand sie auf der Matte, mit einem in Baiersbronn gekauften Koffer. Und während ich, von ihr aufgefordert, dabei war, meine sieben Sachen zu packen, ging sie geradewegs zu Herrn Bothe ins Büro, um ihm die Leviten zu lesen.

Sechs Monate waren vergangen, und ich war wieder im Elternhaus; eingezogen in dem Kinderzimmer, das ich mit meinem zweitältesten Bruder geteilt hatte, und das eine Zeitlang zu seinem Reich geworden war. Wir hatten uns nie geliebt, hatten hauptsächlich in Streit gelebt. Ich hatte also keine guten Karten bei ihm. Zusätzlich sorgte sich unsere Mutter um meine Zukunft. Wie sollte es mit mir weiter gehen? Mich würde doch kein Betrieb mehr einstellen. Dem konnte ich entgegenhalten! Ãœber Nacht bekam ich den rettenden Einfall. Und siehe da, an jenem Tag, an dem ich meine Bewerbung zum Kurhotel Bareiss abschickte, kam über Kreuz von Gerhard ein Brief mit genau diesem Vorschlag. Zwei Wochen später lieferten mich meine Eltern zum zweitenmal in einem Lehrbetrieb ab. Gerhard hatte dafür gesorgt, dass sein Zimmerkollege bei einem anderen unterkam und ich bei ihm. Mein Glück war vollkommen. Zu zweit in einer Küche, zu zweit in einem Zimmer, zu zweit standen wir auf, zu zweit –mit den anderen an einem Tisch- frühstückten wir, zu zweit verbrachten wir den Feierabend, zu zweit fuhren wir in die Berufsschule, zu zweit... das währte nicht lange. Ich war ein Dorn im Auge des Kurhotelbesitzers und des Küchenmeisters. Unsere Schichtarbeit wurde uns trennend gelegt. Abwechselnd sollte mal ich, sollte mal Gerhard nach der Berufsschule noch arbeiten. Der freie Tag einmal die Woche, der jedem in diesem Betrieb zustand, fiel bei Gerhard und mir auf unterschiedliche. Mehr und mehr war Gerhard mit anderen, anstatt mit mir zusammen... Da war sie wieder: Die Eifersucht! Sie hatte bis dazumal nur auf der Lauer gelegen. Sich verkrochen, sich still verhalten, ihre Zeit abgepasst. Darauf gewartet, auszubrechen, um mir das Herz zu vergiften, mir die Reinheit meiner Gefühle zu nehmen, mein Innenleben zu verwüsten, in der Absicht, mich dem Verderben preiszugeben. Und das gelang ihr gründlich, indem sie meine Freundschaftsempfindungen umwandelte in ein fragwürdiges Verliebtsein, das in Wahrheit ein körperliches Begehren nach sich zog, das in eine aushöhlende, kraftverzehrende Sucht ausartete; meine zwei, drei Lieblingsschauspieler-Lustobjekte verloren ihren Reiz auf mich. Von heute auf morgen war ich Gerhard verfallen.

Irgendwann gestand ich ihm meine Liebe. Damit überfordert, bat er mich, im Namen unserer Freundschaft, ihn nie anzufassen. Ich schämte mich. Und Gerhards Bitte immerzu im Hinterkopf, nahm das Unglück seinen Lauf. Noch hatten wir schöne Zeiten, besonders dann, wenn ich ihm, nebeneinander auf seinem Bett liegend, aus meinen selbst geschriebenen Werken vorlaß.

Keinem in der Küche war entgangen, was ich für Gerhard empfand, so dass wir uns in einem fort mit zweideutigen Bemerkungen herumzuschlagen hatten, was Gerhard zu viel wurde. Seine Ehre stand auf dem Spiel. Die Ehre seiner Heterosexualität. Er unternahm erst recht mehr mit den anderen Lehrlingen, sah nach Mädchen, und stellte sich nicht weiter meinen Eifersuchtsszenen. Und eines Tages kam er aufgelöst ins Zimmer gestürzt. Ich hatte ihn in eine entsetzliche Lage gebracht. Die Mutter Bareiss’, die für ihr Leben gern schnüffelte, hatte in Abwesenheit von uns beiden mein verstecktes Tagebuch gefunden, es mitgenommen und es ihrem Sohn  unter die Nase gerieben. Es kostete Gerhard, zur Rede gestellt, viel Mühe, ihn unter vier Augen davon zu überzeugen, nichts von meinen perversen Fantasien gewusst zu haben. Zum Beweis erklärte er sich damit einverstanden, dass ich in das Zimmer eines anderen ziehe, wo ich gleich  Bescheid gestoßen bekam, es zu unterlassen, diesem an die Wäsche zu gehen. Nicht lange und ich zog wieder – heimlich- zu Gerhard. Seine Freundschaftsgefühle zu mir waren noch stark genug, bis ihm aufging, was er mir in meinen intimen Fantasien war. Von da an war ich bei ihm unten durch. Es verging kaum mehr ein Tag, an dem nicht auch er mich verhöhnte mit demütigenden Sprüchen. Ob beim Abfall herausbringen, beim Duschen im Hallenbad, das zum Hotelbetrieb gehörte, Spielchen der Lehrlinge unter sich, wenn sie sich zum Spaß zwischen die Beine gingen... sie durften, ich nicht. Das Ertragen solcher Szenen und der Idee ausgeliefert: besser unglücklich mit ihm, als ohne ihn, machte mich zum Schatten meiner selbst. Wir hatten ständig Streit. Wiederholt kam ich in der Küche mit meinem Meister oder einem Kollegen in die Haare. Hinzu kam, dass mich während der Arbeit mein Trieb, der mich mittlerweile zu seinem Sklaven gemacht hatte, davon stehlen ließ, um nach schneller Selbstbefriedigung im Zimmer weiter meiner Aufgabe nachzukommen. Meine Gedankenwelt war mir zu einer fremden geworden!

Heute weiß ich, es war mein rettender Anker, als mich eines schönen Tages Herr Bareiss zu sich ins Büro rief. Damals löste das einen Schock in mir aus, zu erfahren, dass er meine Mutter telefonisch gebeten hatte, für eine Unterredung zu ihm ins Haus  zu kommen. Die Vermutung, von Gerhard getrennt zu werden, machte mir fürchterlich zu schaffen. Und so kam es auch. Festgelegt auf den 15. Januar 1972 sollte ich das Haus verlassen. In diesem Zusammenhang erlebte ich ein Silvester, das als das erste überhaupt meinem Gedächtnis unauslöschlich erhalten blieb. An jenem Morgen wusste ich kurzentschlossen, das neue Jahr gleich in Ludwigshafen beginnen zu wollen. Nur Gerhard zog ich ins Vertrauen. Und beim Packen meiner Habseligkeiten vernahm ich plötzlich das mir so vertraute Gepolter, das von der morschen Holztreppe herrührte. Es war wie damals, als ich so Gerhard zum erstenmal kommen hörte. Ganz unglücklich hatte ich mich auf dem Bett niedergelassen nicht des Zimmers, von dem mir Gerhard nach Ludwigshafen geschrieben hatte, bereits dafür gesorgt zu haben, dass wir zusammen darin leben würden. Die Eltern, die mich gerade im Kurhotel Bareiss abgeliefert hatten, waren verabschiedet. Ja, und dann kam Gerhard aufgeregt hereingestürmt, mit den Worten :“Was hab ich da gerade gehört! Die Hausdame will dich hier reinstecken, weil sie meint, mein Zimmer sei zu klein für zwei? Is’nicht! Komm.“ Schon schnappte er meinen Koffer. „Gibt’s da kein Ärger?“, fragte ich ungläubig. „Ärger,“ meinte Gerhard,„das werden wir schon sehen. Du jedenfalls kommst zu mir!“ Mitten in diese wunderschöne 1. Erinnerung in diesem Haus platzte nun Gerhard zum letzten Mal herein. Gott, wie glücklich war ich in dem Moment, als er die Tür aufriss, zur Schwelle stand, mir etwas entgegenhielt und sagte: „Hier, ich hab dir ‘n halbes Hähnchen geklaut.“ „Danke,“ entgegnete ich, „ich hab’ keinen Hunger.“ „Du Säckel,“ schimpfte er, „da muss einer jetzt verzichten und du willst es nicht.“ „Is’ ja gut, ich werde es essen!“, kam ich ihm entgegen und würgte die Mahlzeit herunter.

Zum letzten Mal stiegen wir gemeinsam die schmalen, knirschenden Stufen hinunter, ins Freie hinaus; unser letzter Händedruck, ein letztes Abschiedsbild von ihm, und er stürmte davon. Ich kämpfte mich den Abhang zur Strasse durch knietief-gefallenen Schnee der letzten Tage hinab, trampte zum Bahnhof in Baiersbronn und ahnte tief unbewusst: Das ist der Beginn, zu lernen, einmal nach meiner Fasson selig zu werden.

 

 

"Stelldirvor, ichweißwas!"

"Nein? Wirklich?"

 

Es begann alles an einem stinklangweiligen, ganz normalen, späten Abend. Ein Onkel -von dem, weswegen Pauken und Trompeten ,etc.-, der kruzefixnochmal als Taxiunternehmer Tag und Nacht auf Tour sein musste, dem jede Ecke, jede Strasse, jedes hinterstes Kabuff, verruchteste Stätten, verschwiegenste Plätzchen vertraut waren, die nicht einmal der Allgemeinsterbliche kannte, hatte ihn gesehen. Ihn, um den sich bald alles drehte. Im Traum wäre ihm nicht eingefallen, sich vorsichtig nach allen Seiten zu drehen, um, falls Späher aus der Verwandtschaftsbrut sich in der Nähe aufhielten, an diesem Abend da mal nicht einzukehren, wo er seit einiger Zeit regelmäßig verkehrte. Es lag auch kein Grund vor, vorsichtig zu sein, lag dieser von ihm gern besuchte Treffpunkt schließlich mitten in einem Viertel, das bei den Besseren keinen guten Ruf hatte. Erst recht bei denen, die in der Folgezeit auf einem einzigen Thema herumreiten konnten, weil sie äußerst günstigen Umständen es zu verdanken hatten, vor Längerem oder Kürzerem aus diesem Viertel herausgekommen zu sein und seither sich zur Elite zählten, zur möchtegern Gesellschaft gehörten.

Wie gesagt, alles begann an diesem stinklangweiligen Abend. Klar! Der Onkel hätte auch an einem ganz normalen Abend davor, oder einem ganz normalen Abend danach ihn sehen können. Aber es geschah unumstößlich an diesem späten Abend im Hemshof! Hemshof? Das ist eine dieser missbilligten Siedlungen am Rande einer Stadt oder kleineren Ortschaft. Dort, wo die sogenannten Asis hausen, der Teil der Gesellschaft, mit dem man nichts zu tun haben will; Individuen, die man nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würde; heruntergekommene Subjekte, zu denen man keinen Kontakt pflegt. Wie es der Zufall wollte, hatte Onkelchen ihn dort gesehen. Gleichzeitig von einer höheren Macht aufgerufen, die dem Onkelchen missionarisch zutraute, einen wichtigen Auftrag, der keinen Aufschub duldete, zu erfüllen,  durchzwickte ihn schaudernd-prickelnd ein Nervenkitzel, der es so richtig in sich hatte. Demnach steuerte er flugs das Taxi Richtung nach Hause, damit das liebe, brave, extravagante Weibchen unverzüglich in grenzenloses Erstaunen versetzt werden konnte. Es-das Weibchen- war aber gar nicht so lieb, so brav, wenn... Ansonsten schon bemüht, eine Seele von Mensch zu sein, gäbe es da nicht diese angenehme Verzückungs-Befriedigungs-Möglichkeit bei Gerüchten, die man so herrlich schön breit zu treten verstand; dieser um  alles in der Welt nicht zu vergleichende Genuss, aus einer Fliege einen Elefanten zu machen...

Natürlich wusste Onkel wie bissig Tantchen werden konnte, wurde es unsanft aus dem seligen Schlaf der Gerechten gerissen. Doch der Zweck, diese brenzlige Angelegenheit schleunigst weiter zu tragen, heiligte die Mittel, mit denen er gedachte, das Tantchen augenblicklich wohlwollend zu stimmen. Und Tatsache! Wie erwartet durchbohrte das Weibchen den Gatten mit gefährlich-todbringendem Giftpfeil, drauf und dran die Stimme zu erheben und sich eines auszuscheltenden Wortschatzes zu bedienen, der den Gatten gepfeffert niederzumachen verstand... Sich seiner Sache absolut sicher und auf alles vorbereitet, vertraut mit dem beschlagenen Wissen, wie das Weibchen im Bruchteil einer Sekunde in Hochform zu bringen war, sich auskennend darin, mit nur einem Worte eine folgende Berichterstattung schmackhaft vorzubereiten, in jahrzehntenlanger Ãœbung sich die Fähigkeit angeeignet, die Brise Salz in der Suppe zum Ausgangspunkt zu nehmen, um das Weibchen in lechzende Neugierde zu versetzen, platzte es geschwind wie der Wind aus ihm heraus: "Stelldirvor, ichweißwas!“

Lüsternd und betört schienen dem Tantchen gleich die Augen herauszuspringen. Es stieß japsente, entzückte Laute von sich. Spannungsschweiß floss von der Stirn. Lady Boshaftigkeit gab sich ein Stelldichein und bescherte dem Tantchen die Gier nach mehr Hören wollen; die grauen Zellen waren in Bewegung gesetzt, damit der Kopf ordentlich Rauchen konnte. Am Ende seines Liedes angelangt, vom Weibchen mit dem unschätzbar-wertvollen Schlussakkord "Nein? Wirklich?" ausreichend belohnt, machte der Onkel sich wieder auf zur Arbeit.

Als die Begünstigte, einmal in der Situation zu sein, zuerst von einem Geheimnis zu wissen, das selbstverständlich der gesamten Familiensippe aufs Brot geschmiert gehörte, kribbelte es in Tantchens Fingerspitzen. Mit dieser sie vom Boden abhebenden Bürde betraut, das Zünglein an der Waage zu sein, wie es in der Schwere einer solchen Angelegenheit alle Jubeljahre nur einmal vorkam, geriet das Tantchen fast in Ekstase. Die Vorfreude, das anzurichten, wozu das Schicksal es bestimmte, trieb ihm beinahe Schaum vor den Mund. Oh, was für eine glückliche Stunde, ein gefundenes Fressen zu haben, das darauf wartete, den Raubtieren zum Fraße vorgeworfen zu werden.

Bedauerlicherweise waren Trommeln abgeschafft, mit denen eine wichtige Botschaft auf geradem Wege in Umlauf zu setzen gewesen wäre. Wie beneidenswert diese Barbarenmethode, eine Dringlichkeit per Handflächen mit geringem Einsatz in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig zu verschicken. Diese Ursitte hatte die Zivilisation verdrängt. Doch wozu gab es das Telefon? Eine Erfindung, die eigens dafür geschaffen wurde, den Ahnenstamm über eine aus ihm hervorgegangene verdorbene Frucht nicht lange im Unklaren zu lassen.

Und da, wo es nun klingelte, wurde eine Oma -von jenem, weswegen...- aus ihren gemütlich-warmen Federn aufgescheucht. Eine Oma, die alles andere als begeistert war, mitten in der Nacht von ihrem Steckenpferd aus dem Bett geholt zu werden. Immerhin war der Tag für wesentliche Wichtigkeiten lang genug. Aber der Apparat hielt nicht still. Da mochte sich Oma einmal, sogar zweimal zur Seite drehen und versuchen, mit dem Kissen auf den Kopf gedrückt die Ohren dicht zu machen, es nützte nichts. Die Quasselstrippe forderte ihren Tribut. Und mit einer saftigen Portion Zorn beladen über diese mutwillige Belästigung, legte sich Oma auf ihrem Gang zum Telefon aus ihrem reichhaltigen Wortkastschätzchen einige Flüche zurecht, die ihren allbekannten Körpergebrechen hervorragend angepasst waren. Schließlich war sie ein altes krankes Mütterlein, das auf Rücksichtnahme, wenigstens in der Nacht, bestehen konnte. Oh, nein, Oma war auf den Störenfried am anderen Ende der Leitung ganz und gar nicht gut zu sprechen. Dem Tantchen war das klar! Wollte es nicht, dass es scheppert in der Kist´, musste es greifen zu einer raffinierten List! Und um den ihm zugedachten Ingrimm Omas an Gift und Galle gleich im Keim zu ersticken, übertraf das Tantchen sich selbst mit der olympiareifen Leistung, Oma in lechzende Neugier zu versetzen; "Stelldirvor, ichweißwas!" plärrte es wie aus der Pistole geschossen durch den Draht.

Mit dem unschätzbar-wertvollen Schlussakkord Omas "Nein? Wirklich?" ausreichend belohnt, konnte sich das Tantchen, seine Schuldigkeit getan, wieder aufs Ohr legen. Oma hingegen hastete -hastete?-, ja, hastete zu Opa. Die ewig-auf-sich-aufmerksam-machenden Leiden waren wie weggeblasen. Wachgerüttelt den Schlaf aus den Augen reibend, schickte sich Opa bereits mit seinem diktatorischen, barschgewaltigen Bassbariton an, dem Mütterlein die Flötentöne beizubringen. Aber Oma war routiniert zur Genüge, dem Gatten, bevor der sich recht versah, mit bemerkenswerter Klugheit über die Schnauze zu fahren und so ihn in lechzende Neugierde zu versetzen, "Stelldirvor, ichweißwas!" Und mit "Nein? Wirklich?" bekam das Mütterlein nach vollendeter Aufklärungsarbeit von Opa sein ausreichendes Lob.

Einig waren sich die bisher Eingeweihten darüber, sie -die Mutter dieser Abartigkeit- unbedingt zu verschonen. Hoffentlich steckte ihr keiner, was hinter ihrem Rücken getrieben wurde. Die Ärmste, was hatte sie für ein schweres Kreuz zu tragen. Ach Gottchen, das ging ja auf keine Kuhhaut mehr. Und nun das noch: Sodom und Gomorra. Musste sie sich aber auch in ihrer Jugend weiß der Kuckuck wo überall herumtreiben? Das kommt davon. Halt, nein! Wer im Glashaus sitzt soll nicht mit Steinen werfen. Selbst wenn die Abgrundgute, der nichts erspart blieb, nicht ganz unschuldig war an ihrem Unglück. Einen solchen Schandfleck –den man ja seinem ärgsten Feind nicht wünschte - hatte sie weiß Gott nicht verdient. Durch die Lupe betrachtet war er ja schon immer ein bisschen komisch. Von ganz anderem Holz geschnitzt, als das der Familiensippe. Und ziemlich zurückgeblieben. Ein schwer ins Herz zu schließender Junge, der nicht nur die 4. Schulklasse wiederholte, sondern es mit der Wahrheit nicht so genau nahm und hin und wieder lange Finger machte. War etwa ihre Erziehung daran Schuld? Steckte in ihr letztendlich der Wurm drin! Von der Prügelstrafe hielt die Gute ja nichts. Damit war ihr nie beizukommen gewesen. Und im Ãœbrigen: kam man ihr mit Ratschlägen und wollte nur das  Beste von ihr, war mit der nicht gut Kirschen essen. Ausgerechnet die hat es nötig, die mit ihren modernen Ansichten und altdahergebrachten Moralvorstellungen, von denen keiner was hielt. Das hatte sie nun davon. Ihre Hände in Unschuld waschen? Man kriegt, was man verdient, meine Liebe. So ist das nun einmal: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wir haben es immer gewusst. Das musste ja so kommen. Jetzt kannst du zusehen, wie du mit dieser Schande fertig wirst. Hättest du bloß auf uns gehört. Wir, an deiner Stelle, würden uns nicht einmal mehr auf die Strasse wagen. Vor Scham würden wir in den Erdboden versinken oder uns einen Strick nehmen... Derweil erinnerte man sich an eine Tante in Leibzig, an eine in Frankreich; der eine oder andere Onkel bekam Bescheid; zwischen Einkaufen, Spazierengehen, Behördengängen, zwischen gegenseitigen Besuchen, Telefonaten und alltäglichen Begegnungen wie Freunde, Bekannte, Nachbarn, etc., nirgends wurde es versäumt, hinter vorgehaltener Hand in lechzende Neugierde zu versetzen mit:„Stelldirvor, ichweißwas!“ Und mit einem „Nein? Wirklich?“bekam der Informant sein ausreichendes Lob. Als eine unbedingt dringliche Wichtigkeit galt es, mit ins uneingeschränkte Vertrauen zu ziehen alle, die zur Zeit hinter schwedischen Gardinen gefilterte Luft einatmeten. Ein Denkmal dem, der das Papier erfunden hat, ein dreifaches Hoch der zuverlässigen Post, ein besonderes Dankeschön dem Briefzusteller, der -das ist doch sonnenklar- speziell dafür im Dienste der Menschheit stand, ein Eisen schmieden zu können, so lange es noch heiß war. Von Westen und von Osten, von Süden und von Norden her hatte man mit dem geistvollen, tiefsinnigen „Stelldirvor, ichweißwas!“ den Erfolg gepachtet für eine Antwort, die in der Regel Tage, Wochen oder ewig auf sich warten ließ, mit diesem ausnahmsweise ausreichendem Lob, das dem Empfänger wie Öl runterging „Nein? Wirklich?“ Und nach vollbrachter Kunde in der Runde, alles was dazu gehörte im Bunde, war bei der Aufklärung über den missratenen Nachwuchs auch wirklich niemand vergessen worden.

Es wurde wieder zur Tagesordnung übergegangen. Traf sich da, traf sich dort zum Austausch von Neuigkeiten. Irgendwie jedoch ließ sich vergleichbares Tratsch- und Klatsch-Material für lechzende Neugierde nicht auftreiben. Im besonderen war es das Tantchen, das  befürchtete, Gras könne über die Angelegenheit wachsen. Nicht auszudenken, geriet diese in Vergessenheit. Und überhaupt! Würde sich eine solche Gelegenheit, es der Schwester mal so richtig zu zeigen, je wieder ergeben? Eine solche verpatzt zu haben, würde sich Tantchen ein Leben lang nicht verzeihen können; und erst recht war nicht auszudenken, käme ihr ein anderer zuvor.

War es nicht sogar ihre verdammte Pflicht, der Schwester reinen Wein einzuschenken. Der war sogar zuzutrauen, den Spieß umzudrehen, obwohl es allesamt gut mit ihr gemeint haben, würde sie jemals dahinter kommen, was alle wussten außer ihr. Von der anderen Seite betrachtet, war es unverantwortlich, ihr die Wahrheit vorzuenthalten. Nein, das konnte man ihr nicht antun. Da machte man sich ja mitschuldig. Ach Gottchen, und das Gewissen! Wie sollte ihr jemals wieder unter die Augen getreten werden können. Zumindest die Möglichkeit musste ihr gegeben werden, das missratene Früchtchen zur Rede zu stellen.

Nein! Da war sich Tantchen seiner ganz sicher. Es ging nicht darum, ihr einen Denkzettel zu verpassen oder Zwiespalt zu säen, Öl aufs Feuer zu gießen oder Gelüsten nachzukommen, das durchtriebene Blut in Wallung zu bringen. Oder Schaden zufügen wollen. Niemals! Als die Güte in Person kam sie sich vor, schließlich erlaubten es die schwesterlichen Gefühle –an sie sich urplötzlich erinnert- nicht, tatenlos zuzusehen, wie ihr hinten herum auf dem Kopf herum getanzt wird. Sich derart streng ins Gericht genommen, konnte das Tantchen bald keinen ruhigen Schlaf mehr finden. So ganz Wohl war ihr dabei nicht, seit Tagen ihre heilige Pflicht zu versäumen. Zusätzlich gab ihr der Gatte eins drauf, erfuhr er, sich danach erkundigt, wie sie reagiert habe, dass sein Weibchen bisher nicht dazu gekommen sei. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es kam zum Tag  X!  Den Telefonhörer von der Gabel genommen bekam Tantchen sie, nach zweimal verwählt, gleich an die Strippe. „Fällt mir ein Stein vom Herzen, dass ich dich antreffe, meine Liebe. Ich hab’ leider eine schlechte Nachricht.“  „Du hörst dich gar nicht gut an. Ist mit dem Taxi was nicht in Ordnung?“  „Wenn’s mal das wäre, meine Liebe! Nein, es betrifft dich. Ich hab’ ja gemeint, es wäre besser, dich da rauszuhalten, aber Mutti ist da anderer Meinung. Einer Mutter muss man das sagen, so schwer es auch fällt. Und du weißt ja, ich hab’mit eigenen Kindern keine Erfahrung. Ich kann ja leider keine kriegen“ „Hör mal, ich hab’ nicht viel Zeit, ich bin gerade beim Essenkochen. Könntest du dich kurz fassen?“ „Sonst ja wirklich gerne, meine Liebe, nur dieses Mal geht das beim besten Willen nicht.  Für das, was ich dir zu sagen habe, musst du dir die Zeit nehmen. Ach, es fällt mir so gar nicht leicht. So etwas sollte man eigentlich gar nicht durchs Telefon machen. Ach Gott, wie du mir leid tust, meine Liebe. Wer sonst, wenn nicht ich, wüsste es am Besten, dass du es in deinem Leben nie leicht hattest. Dir bleibt rein gar nichts erspart. Ach Mensch, warum muss immer ich die Dumme sein...“ „Hör mal,“ wurde dem Tantchen in ihrem beklagenswerten Jammer das Wort abgeschnitten, „komm doch einfach her, wenn dir das, was du mir zu sagen hast, übers Telefon unangenehm ist.“ „Würde ich ja wirklich gerne, meine Liebe, aber ausgerechnet heute hab’ ich keine Zeit...“ „Dann spuk’s doch einfach aus und spann mich nicht länger auf die Folter.“ „Na hör mal,“ ließ sich das Tantchen beleidigt wie eine Leberwurst vernehmen, „wie kommst du darauf, dass ich dich auf die Folter spanne? Und von wegen ausspuken! Mein Reden: Undank ist der Welt Lohn. Da erklär ich mich bereit, die traurige Pflicht zu übernehmen, mich bei dir zu melden, wovor sich alle drücken, und du kommst mir so.“ Tantchen kam in Rage. Was bildete die sich eigentlich ein? Da nahm man in Kauf, sich in Brennnesseln zu setzen und sie nahm sich heraus, einem den Mund zu verbieten. Wenn das meine Kinder wären, wäre ich für jede Hand dankbar, die mir gereicht würde. Sie hat das natürlich  nicht nötig. Glaubt sie! Aber da hatte sie die Rechnung ohne das Tantchen gemacht. „Also gut,“ wetterte es,„wenn du’s nicht anders willst, meine Liebe. Aber gib mir nicht die Schuld, wenn du gleich einen Stuhl brauchst, weil dich die Beine nicht mehr halten. Ich hab’s versucht, dich schonend darauf vorzubereiten. Lass dir bloß nicht einfallen, mir später Vorwürfe zu machen.“

Du meine Güte, bahnte sich da wieder ein Familienkrach an? Bitte nicht! Das hätte gerade noch gefehlt. „Entschuldige,“ bekam das Tantchen zu hören, „ich wollte dir bestimmt nicht zu nahe treten. Jetzt sag mir halt, was du zu sagen hast. Ich werde ganz Ohr sein.“ „Dann halte dich bitte fest! Ich will’s so kurz machen wie möglich. Es geht um deinen Ältesten! Wie du weißt, kommt man mit einem Taxi überall hin. Letztens also, im Hemshof, weißt du, da gibst es so ein Lokal, das heißt Treffpunkt...“ „Treffpunkt?“fiel es Tantchen ins Wort, „damit erzählst du mir nichts Neues. Homos treffen sich dort. Ich weiß, dass er da hingeht. War’s das? Du musst schon entschuldigen, aber ich bin beim Kochen.“

Tantchen war wie vom Blitz getroffen. Da hört sich ja wohl alles auf! Dieses scheinheilige Luder wusste über ihren Ältesten Bescheid und hat es nicht für nötig gehalten, die Familie umgehend darüber zu informieren. Die ganze Aufregung umsonst. Also stell sich das mal einer vor! Nein! Wirklich!

 

 

Ein häufiger Weg in die Realität

 

Diese Geschichte ist wahr. Sie mag in eine Schnulze hineinführen, in einen Groschenroman. Es gibt Im Leben eben einzigartige Begebenheiten. Und Menschen, denen ähnliches widerfahren ist, werden ihre Freude daran haben, über eine Liebe zu hören, von der ich hier erzähle. Einem Schmalztopf entsprungen werden andere sagen, nämlich die, die keine Ahnung davon haben, dass Gott Amor am Werke ist wie eh und je. Dreißig Jahre ist es in unserem Fall her, da traf sein Pfeil mitten ins Herz eines Träumers, dem das wahre Leben wie einem Zuschauer von einer Tribune her vertraut war, sein eigenes allerdings durch die rosarote Brille sah. Erwartungen an seine Zukunft waren hochgesteckt in Friede, Freude, Eierkuchen; die Naivität war ihm ins Gesicht geschrieben. Und träumte er von der großen Liebe seines Lebens, war er in seinem Element. Dann geriet er in romantische Sehnsucht, die ihn in den siebten Himmel hob, und seine Umwelt verschwamm in ihrer Wirklichkeit, wozu die Film- und Glimmerwelt bereits in seiner Kindheit ihren Teil ebenso beitrug, wie Liebesromane, die unseren verträumten Außenseiter in eine einzige Illusionswelt führte. Er war mit einem Wort: Ein Idealist wie’s im Buche steht!

Vor einigen Wochen erst war er –der einfachhalber geben wir ihm den Namen Otto Brunner- 18 Jahre geworden. Kürzlich bei Knöller in Ludwigshafen einen Tanzkurs abgeschlossen, konnte er dieser Leidenschaft, von der Otto nicht einmal ahnte, dass sie in ihm verborgen lag, nicht mehr widerstehen. In dieser neuen Welt, die des Tanzbeins schwingen, ging sein ganzes Taschengeld drauf, wovon er ziemlich wenig hatte. Das konnte ihn nicht davon abhalten, jede freie Minute, die er als Kochlehrling hatte, in die Disco zu gehen. Tanzen wollte er. Tanzen musste er. Da reichten ihm die paar Mark, die der Eintritt kostete, eventuell vielleicht noch für ein, manchmal sogar zwei Getränke, damit der Durst gelöscht werden konnte, nötigenfalls gab es auch fließend Wasser in der Toilette; Hauptsache er konnte, wenn ihm der Rhythmus der Musik ins Blut ging, loslegen. Keine Disco-Veranstaltung an Samstagabenden und Sonntagnachmittagen bei Knöller ließ sich Otto entgehen, demzufolge, ausgezeichnet im Führen geworden, er bei den Mädchen bald zu einem Geheimtipp geworden war. Von jeher in Freundschaften mit Jungen das Größte gesehen, wurde Otto nun eines Besseren belehrt. Anfangs entdeckte er, dass nicht jedes Mädchen sich als eine gute Tanzpartnerin herausstellte und mit so manchem Korb, den er kriegte, war er irgendwo fremd gelandet, musste er, von Natur aus schüchtern, auch lernen umzugehen. Davon nicht klein zu kriegen, stellte es sich als lohnenswert heraus, wieder und wieder zum Tanz aufzufordern, und hielt er eine Tänzerin im Arm, mit der er, wie Wachs in seinen Händen, bei jeder Drehung, jeder Figur fließend davon schweben konnte, merkte er sich dieses Gesicht ganz genau, was zumeist auf Gegenseitigkeit beruhte, die leider die unerfreuliche Nebenwirkung mit sich bringen konnte, dass dieses oder jenes Mädchen sich in Otto verliebte. Selten fiel bei Otto der Groschen sofort, was zum Vorteil hatte, dass zwei junge Menschen einige schöne Stunden mehr gemeinsam verbrachten; sobald ihm nämlich ein Licht aufging, einer seiner Tanzpartnerin das Herz gebrochen zu haben, machte er anstandshalber einen weiten Bogen um sie. Sie sollte nicht unnötig leiden.

Wer in seinem Glauben darüber, dass es eine Art Bestimmung aus einer höheren Welt gibt, manche nennen das auch Schicksal, von nichts und niemandem vom Gegenteil überzeugt werden kann, der wird keine Schwierigkeiten damit haben, wenn wir nun darauf zu sprechen kommen, dass seltsame, ein wenig sogar anrüchige Gegebenheiten Otto dahin führten, wo er zur rechten Zeit, am rechten Ort sein sollte. Irgendwann in der Nacht, auf dem Weg nach Hause, an einem Park vorbei, waren ihm Vorgänge aufgefallen, denen er in folgenden Nächten auf die Spur zu kommen beabsichtigte... Diese und jene flüchtige Bekanntschaft gemacht, wurde er an einem Abend mit in ein Lokal genommen, worin es ihm auf Anhieb gefiel; er war im„Treffpunkt“ gelandet. Die Frage, wie es in einer solchen Stätte zuging, beschäftigte ihn bereits seit einiger Zeit. Nur: jedes Mal, wenn er drauf und dran war, sich selbst einen

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Über den Autor

1CDW
Gelernter Koch, seit 1985 mich dem Schreiben hingegeben, ab 1989 anthroposophisches intensives Studium bis 1997. Neu mein Inneres soweit aufgebaut (Denken, Fühlen, Wollen -also meine eigene Gehirnwäsche mir erlaubt, also die Gehirnwäsche der Gesellschaft durch Erziehung, Schule, Gesellschaft und Umwelt endlich überwunden). Mich neu also zurechtgefunden mit der Weltanschauung der anthroposophischen Geisteswissenschaft, die von der Karma- und Reinkarnation jedes Menschen ausgeht.Rein Persönlich:Schon als Kind gab es für mich 3 Grundthemen. 1. Gibt es Gott? 2. Wieso bin ich schwul? 3. Ich will Schriftsteller werden!Diese 3 Themen bestimmten mein gesamtes weiteres Leben. Ich landete bei den verschiedensten religiösen Strömungen. Und ich verließe sie nach wenigen Monaten. Entäuscht! Schwul wollten sie mir austreiben. Ging bedauerlicherweise nicht. Bis 1988 auch für mich bedauerlicherweise. Näheres habe ich in meinem Buch ausgeführt "Die späte Antwort Gottes" und einiges erklärendes floß auch in meinen Roman "Wenn Schwule lieben".1985 hatte ich eine Schreibblokade. Damals sagte ich mir: Ich möchte nicht im Alter wie so viele bedauern "Hätte ich doch..." Also machte ich mit meinen Roman weiter, der mich seit Jahren beschäftigte. Ich erfuhr immer wieder, auch im näheren Freundesumfeld von jungen Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzten wegen ihrer schwulen Veranlagung. 1985 jedenfalls war ich soweit, zu glauben, ich könne Gott aus meiner Idee löschen. So entstand auch mein erstes Expose, der 1. Teil von damals noch "Unkraut vergeht nicht", später "Die Spreu vom Weizen". Doch wie gesagt, ich hatte eine Schreibblokade. In jener Zeitz gab es Filme von Uwe Frießner, die mich derart ansprachen, dass ich ihm einfach meine 1. Vorlage des 1. Teils von dem späteren "Wenn Schwule lieben" schickte. Ohne, dass er von mir wußte. Viele Wochen vergingen. Ich dachte: das war's. Und dann, eines nachts, so gegen 22 Uhr, klingelte mein Telefon. Und was sage ich: am Ende der Leitung war Uwe Frießner. So etwas von begeistert; und wir redeten lange, und er wollte sich für später die Filmrechte sichern. Von da an konnte ich wieder schreiben. Jedoch war mit mir eine Veränderung bis dahin geschehen. Während der Wochen meiner Verzweiflung las ich ein Buch, an das ich durch seltsame Umstände -ich glaube 9 Jahre zuvor- gekommen war. Damals konnte ich es nicht lesen. Doch ich spürte, dass es einmal sehr wichtig sei, zumal ich erfuhr, dass der Besitzer, der mir das Buch nur kurz leien wollte, nicht mehr dazu kam, es mir wieder wegzunehmen, denn er war kurz darauf durch einen Autounfall ums Leben gekommen. Ein Grund erst recht, weshalb ich das Buch nie aus den Augen verlor. Ohne dieses Buch wäre ich nie an die Esoterik gekommen. Ohne dieses Buch wäre ich nie bei Rudolf Steriner gelandet. Ohne dieses Buch wäre nicht 1988 ein Stein von meinem Herzen gefallen, was die schwule Veranlagung betraf. Und ohne dieses Buch hätte ich nicht meinen Roman "Wenn Schwule lieben" so vollendet wie er jetzt eben besteht. Manches der Einleitungen würde ich ändern, aber die Story als solches liegt mir sehr am Herzen. Sie beantwortet die Wahrheit über das Schwulsein. In 14 Jahren -1980 begann ich mit dieser Idee, sie niederzuschreiben und 1993 nach 5 maligem Umschreiben hatte ich auch mit Zufriedenheit meinen Schreibstil gefunden- entstand also dieser Roman. Uwe Frießner meldete sich dann nicht mehr, nachdem ich ihm ein Exemplar geschickt hatte Vielleicht passte ihm dann nicht, dass ich Gott mit einbringen konnte. Denn ich hatte ihn endlich gefunden; als sein Anruf 1985 kam. Und als ich im September 2000 auch meine eigene Gegenwart begriff, war der Kreis geschlossen meiner 3 Grundthemen, die mich bis heute erfüllten. Soviel zu meiner Person.

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