Romane & Erzählungen
Wenn Schwule lieben - Ein Roman aus der Jugendscene

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"Wenn Schwule lieben - Ein Roman aus der Jugendscene"
Veröffentlicht am 02. Januar 2012, 422 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Gelernter Koch, seit 1985 mich dem Schreiben hingegeben, ab 1989 anthroposophisches intensives Studium bis 1997. Neu mein Inneres soweit aufgebaut (Denken, Fühlen, Wollen -also meine eigene Gehirnwäsche mir erlaubt, also die Gehirnwäsche der Gesellschaft durch Erziehung, Schule, Gesellschaft und Umwelt endlich überwunden). Mich neu also zurechtgefunden mit der Weltanschauung der anthroposophischen Geisteswissenschaft, die von der Karma- und ...
Wenn Schwule lieben - Ein Roman aus der Jugendscene

Wenn Schwule lieben - Ein Roman aus der Jugendscene

Beschreibung

Freundschaft und Liebe, Intrigen und Lügen, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Hoffnungen, Freude und Leid; in dieser Palette und mehr leben die Jugendlichen dieser Story. Und dazwischen Stefan und Romano, die nicht verstehen, was mit ihnen geschieht. Jeder auf seine Art, ob in der Clique oder in der Familie. Werdern sie sich finden? Allen Widerständen zum Trotze?

Wenn Schwule lieben (Ein Roman aus der Jugendszene)

Wenn Schwule lieben

Ein Roman aus der Jugendszene


Sechs Menschen sind es, die zu nennen mir ein auszuführendes Herzensbedürfnis ist. Ihnen ist es mit zu verdanken, dass dieses Buch nun herausgebracht werden kann.

Es waren das bis Ende 1988
WERNER HOHWILLER
KARIN HAUF

Bis heute
HEIKE SCHURIG
BERNHARD HOGREFE
CARMEN GRAESER

Und als Krönung wurde mir im Jahre 1989 ins Leben geführt
INGRID PRATER

Und: herzlichen Dank
HAGEN KUHR,
der du, damit ich mich konzentrieren konnte, die letzten Monate nachmittags mit dem Cello nicht übtest.

In Liebe an meine Mutter -Gerlinde-, die ihre Berufung, fünf Menschen ins Leben zu führen, verehrungswürdig vollbracht hat.

Gang der Handlung:


        Einleitung: Erinnerung in Dulsberg

1. Auszug: Ein Freitagabend in Dulsberg
2. Auszug: Stefans Schwester, Ilka
3. Auszug: Romano und Stefan werden heimlich Freunde
4. Auszug: Romano, was so alles geschieht
5. Auszug: Kopf! Herz! Trieb! Suchen einen Nenner
6. Auszug: Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt
7. Auszug: Es braut sich 'was zusammen
8. Auszug: Viola, Die „Moralpolizei“
9. Auszug: Entscheidende Lebenswende
10. Auszug: In der Gerüchteküche brodelt es
11. Auszug: Böses Erwachen
12. Auszug: Es kommt ganz dick
13. Auszug: Die Würfel fallen

Zwei Jahre und drei Monate später

14. Auszug: Herzen, deren Keim reif wird?
15. Auszug: Denn das Leben, Karma hat das sagen
16. Auszug: Auf verlorenem Posten
17. Auszug: Innerer Widerstreit
18. Auszug: ...die größte aber unter ihnen ist die Liebe

      Ausgangspunkte

Einleitung: ERINNERUNG IN DULSBERG

Schonungslos legt der Winter die Wahrheit bedrückender Familienverhältnisse frei. Er verrät, was hinter den ansehnlichen Backsteinhäusern des Gravensteinerweges wirklich geschieht.
Der weiße, unberührte Schnee in den Vorgärten wirkt auf mich, als wolle er etwas verbergen. Die meisten Kinder von Dulsberg müssen sich nämlich damit abfinden, daß ihnen kaum menschliche Wärme, geschweige elterliche Geborgenheit zuteil wird. Auf diese seelisch-geistigen Werte, die von Nöten sind, um einmal auf eigenen Füßen stehen zu können, müssen sie verzichten. Wen sollte es da wundern, daß Dulsberg von dem ungeschriebenen Gesetz der Gassen beherrscht wird: sich wehren und zuschlagen bevor  –falls überhaupt – nach dem Warum?, dem Wieso? oder dem Weshalb? gefragt wird.

Schon erhebt sich die Dämmerstunde. Noch haben die Kinder Ausgang. Irgendwann wird ihnen kalt, dann gehen sie von ganz allein nach Hause, oder der Hunger treibt sie in die erzieherischen Zügel zurück.

In der Straße „Dulsberg Nord”, vor dem Mädchenheim, halten sich einige türkische und deutsche Jungen auf, die bestimmt nicht nur aus der Nachbarschaft stammen. Dieser Anziehungspunkt hat von seinen Reizen nichts verloren. Das Mädchenheim war früher schon Tag und Nacht gern umschwirrt.
Ich grinse vor mich hin und besinne mich auf Marlene Dietrich. Wie einem Neunmalklugen erklingt mir der Vers aus ihrem wohl berühmtesten Film „Der blaue Engel” im Ohr, „Männer umschwirren mich wie die Motten das Licht, und wenn sie verbrennen, ja!, dafür kann ich nichts.”
Die Mädchen aus dem Heim von heute sind den Mädchen von damals gleichgeblieben. Sie sind leicht zu haben, weil sie sich nach Zuneigung sehnen. Sie nehmen es nicht zur Kenntnis (wollen es vielleicht auch gar nicht zur Kenntnis nehmen), daß sie mit ihrer unkomplizierten, körperlichen Hingabe den Jungen das geben, was für ihr Werben ausschlaggebend ist: den Druck loszuwerden, der einem oft die erhabene Vernunft rauben kann.
Jetzt sehe ich zwei Omas beim Spaziergang nach. Ob diese alten Leute immer noch schwarz aus weiß machen? Ob sie sich immer noch schwarz ärgern über die kleinen Streiche der Kinder und der größeren Streiche der Heranwachsenden? Ob sie sich immer noch bei den Eltern über den sogenannten mißratenen Nachwuchs beschweren? Nichts desto Trotz wird es unter den Jugendlichen Dulsbergs auch heutzutage einen wie Gido geben, der besonders gern das alte Ehepaar Prager aus der Reserve lockt; die Pragers, davon habe ich mich vorhin überzeugt, leben weiterhin im Erdgeschoß, im letzten Haus des Graven-steinerweges.

Nun verwirrt mich ein Mädchen mit strohblondem Haar. Es lehnt sich im zweiten Stock des Mädchenheims aus dem offenen Fenster heraus und ruft ihren Kameradinnen auf der Straße etwas zu.
Ulrike kann das nicht sein. Das ist unmöglich! Oder etwa doch?
Zu jener Zeit jedenfalls wohnte Ulrike in dem Heim. Sie war in der Clique von Andrea, eiferte allerdings im Gegensatz ihrer Freundinnen keinen Jungsbekanntschaften nach; sie ging  fest mit Torsten.

Mir ist kalt geworden und darum werde ich erst einmal in die Dulsbergkneipe gehen.
Einst war diese Kneipe ein häufig besuchter Treffpunkt jener Jugend gewesen, die sich nach Urvätersitte jenen Erwachsenen anpaßten, die sich nur mit Alkohol abgehärtet beweisen konnten.
So wie einst wird es gewiß auch jetzt noch sein!
Ich gehe also durch die Königshutterstraße. Rechts steht ein graues Haus neben dem anderen. Links der gegenüberliegenden Straßenseite, hinter angelegten Sträuchern und Bäumen, ist ein länglicher Parkplatz, der von einem Drahtzaun getrennt an einem Sportplatz grenzt.
Einige junge Burschen, die gerade vorbeiflitzen, rufen mir in Erinnerung Romano und seine Kameraden. Einer unter ihnen war Torsten; der, der mit Ulrike ging. Er war ein ausgekochtes Schlitzohr und bis unter die Haut auf jeden eifersüchtig, der beliebter war als er selbst. Marko war schüchtern und zurückhaltend. Und Gido, der Jüngste, war ein Hans Dampf in allen Gassen, aber trotz seiner Schlagfertigkeit ein liebenswerter Bengel.
Unzertrennlich heckten die Kameraden ein Ding nach dem anderen aus, bis zu jener alles entscheidenden Stunde, in der Romano und Stefan erstmals sich begegneten.

Das Ende der Königshutterstraße erreicht, gelange ich in die Oberschlesische-Straße. Bibbernd vor Kälte schlage ich den Kragen meiner Jacke hoch, stecke meine Hände tief in die Hosentaschen und mit dem Empfinden, daß jedes einzelne Blut-äderchen meiner fast steifen Füße einfriert, befürchte ich, daß das Wirtshaus geschlossen hat; denn was ich gleich brauche ist ein stärkender Rum-Grog.
Einige Schritte weitergehend sehe ich an der Hausfront entlang und: ein Stein fällt mir vom Herzen! Die Lichtreklame der Kneipe ist eingeschaltet.

Viel Trubel ist in der Wirtsstube noch nicht. Im Verlauf des abends aber, so die Stammkundschaft sich eingefunden hat, versteht keiner mehr sein eigenes Wort. Es nimmt dann das Gröhlen der Gäste und die Rufe nach der Bedienung, die im Nebenraum philosophierenden Debatten der Trinker und die Schnulzen aus der Musikbox die Überhand.
Meine Bestellung aufgegeben nehme ich im Nebenraum Platz und überlege. Werde ich bei meinen Recherchen aus der Vergangenheit etwas finden, das nicht hierher gehört?
Schließlich und endlich liefert mir sogar die Musikbox den letzten Beweis: die Zeit blieb in dieser Gegend stehen, denn einige Gassenhauer sind nach wie vor mit in der Plattenauswahl.
Ich werfe ein Zweimarkstück durch den Geldschlitz, beteilige mich an der Musikwahl und umgehe dabei die alten Hits. Mir persönlich reicht die gewohnte Monotonie.

Drei Tische vor mir sitzen zwei nett anzusehende Mädchen, die nach meiner Schätzung achtzehn Jahre sein könnten. Ich höre ihre Unterhaltung und kann mich darauf festlegen, daß sie höchstens vierzehn oder fünfzehn Jahre jung sind. Zweifellos jedoch ähnelt eines der Mädchen Andrea, die unter ihrer Clique stets den Ton angab und jeden angemachten Jungen glatt an die Wand spielte – mit Ausnahme eines jungen Mannes, der ihr zum Verhängnis wurde. In Gedanken versinkend frage ich mich, ob die erste Kreuzung einer zwischenmenschlichen, gar entflammenden Beziehung, oder einer tief ins Herz gehenden Freundschaft der Kreislauf einer nicht zu umgehenden Vorsehung ist. Wenn ja, dann wäre unser Dasein durch eine Wiedergeburt die ewige Neu-einstudierung im Ãœben der Nächstenliebe, dann hätte jeder von uns schon einmal –oder sogar mehrere Male?– gelebt und „nur” in einer anderen Haut gesteckt. Gar in der Haut, über die wir so leichtfertig den Stab brechen???
Der Kopf wird mir ganz duselig. Kommt das von diesen weltfremden Vorstellungen her? Oder hat etwa der wohltuende Rum-Grog Einfluß auf meine Phantasie?
Ich zünde mir eine Zigarette an und schließe die Augen. Aus der Vergangenheit wird ein Ausschnitt meines Wissen von damals zur Gegenwart und zieht vor meinem geistigen Auge vorbei.....

.....Die Parkallee, eine ca. zwei Km längliche, gepflegte Grünanlage inmitten der Straßen „Dulsberg Nord” und „Dulsberg Süd”, dient jung wie alt der Freizeitgestaltung. Beim Spazieren geht man sowohl an frisch gemähtem Rasen und dichten Sträuchern, als auch an einem Planschbecken vorbei. Entlang des Wegesrandes stehen Bänke zum Ausruhen. Von da aus kann ein jeder dem Getümmel der tobenden Gesellschaft zusehen. Ãœber die Wiesen hinweg, bei kleinen Baumgruppen, ragen hier und da vereinzelt Sitzgelegenheiten hervor, bei denen mitunter ein Holztisch steht.
Der Auslauf der Parkallee ist mit einem kleinen, und der Kern der Parkallee ist mit einem großen Spielplatz versehen. Im Hintergrund des großen Spielplatzes steht ein Steinhäuschen, in dem das Handwerkszeug der Gärtner lagert. Seitlich ist eine Art überdachte Terrasse angebaut, unter der einige Hocker stehen. Ein hervorragender Aufenthalt für graue Tage, um sich vor Regen oder bei glühender Hitze vor Sonnenstrahlen schützen zu können. Dorthin verabreden sich tagsüber befreundete Cliquen, die dann ihre geplanten Schandtaten ausführen.

DIE FOLGENDE GESCHICHTE, DIE DAS LEBEN SCHRIEB, BEGANN 1983!

Es war bald Sommeranfang und ein Abend wie jeder andere.  Auf dem Rasen, der mit einem festgetretenen Fußpfad von einem Ende des Parks zum anderen Ende durchlaufen war, direkt beim großen Spielplatz, trafen sich in jener bewußten Abendstunde Romano und seine Kameraden. Den heißen Nachmittag über waren sie im Freischwimmbad Dulsberg gewesen und Romano hatte enorm geflirtet mit Andrea, die sich nie eine Chance entgehen ließ, mit einem hübschen Jungen zu liebäugeln.
Torsten, der seit einigen Wochen mit Ulrike Händchen hielt, amüsierte sich mit Gido und Marko köstlich über den balzenden Freund, der es immerhin erreichte, von Andrea geküßt zu werden.
Nun, im Schutz der Dämmerung, stritten die Kameraden darüber, wem sie zum krönenden Ausklang des Tages noch ein Schnippchen schlagen könnten.
Gido hätte zu gern mit Frau Prager reinen Tisch gemacht; da war nämlich noch eine Rechnung offen. Kürzlich hatte er den Pragers einen entzündeten Knallfrosch durchs Fenster geworfen und so die Gardine angesengt, worüber Frau Prager sich natürlich bei seinen Eltern beschwerte.
Torsten war für Gidos Rache-Gelüste nicht zu haben, weshalb Marko mit einem Vorschlag herausrückte, „Wie wär ’s  mit der alten Dürr?”
Er meinte Frau Pragers Schwester. Die hatte eine halbe Ewigkeit damit ausgeharrt, aus ihrem Rattenloch in einem vernachlässigten, wüsten Hinterhofviertel zu kommen, um in einem besseren Wohnviertel eine geräumige Wohnung beziehen zu können.
Irgendwann gab aus dem Haus, in dem die Pragers ihr Dach über dem Kopf haben, ein Mieter des ersten Stock den Löffel ab, so daß es dazu kam, daß Frau Prager beim Vermieter der freigewordenen Wohnung wegen für ihre Schwester ein gutes Wort einlegte.
Letzthin lebte die alte Dürr erst seit kurzem in Dulsberg, und schon stellte sie den lieben langen Tag ihre Schwester bei weitem in den Schatten, wenn es darum ging, die Tage nicht nur lieb und lang sein zu lassen. Ohne Unterlaß krächzte und jammerte sie über die verwahrlosten Nachbarschaftskinder und lag jedem, der es hören wollte –oder auch nicht, damit in den Ohren, es längst bereut zu haben, nicht in ihrem eleganten Eigenheim, das an der schönen Elbchaussee gelegen haben soll, geblieben zu sein. Da ging wohl die Phantasie mit ihr durch; und von wegen, sie habe einzig und allein ihrer Schwester zuliebe ihr Hab und Gut verkauft, sie sei einzig und allein ihrer Schwester zuliebe in diesem unmöglichen Stadtteil gelandet, wo einem weiter nichts als Halsabschneider und Tagediebe über den Weg liefen...

Die von Gido und Marko zur Sprache gebrachten Ideen reizten Torsten nicht, und ruhelos schlug er seine rechte Faust in die linke Hand. Eine handfeste Schlägerei, die hätte seine Händelsucht zufriedengestellt.
Romano, ferner betört von Andreas Kuß, kam die Streitlust der Kameraden ungelegen, und da sie sich offensichtlich nicht einigen konnten fluchte er: „Menschenskind, heut’ brauchen wir keinen Alarm mehr! Im übrigen sind die Pragers in Urlaub. Ich muß eh die Kurve kratzen, sonst krieg’ ich von meinem Alten wieder die Hucke voll. Der hat heut’ Kohle vom Arbeitsamt abgesahnt und kippt sich seitdem einen hinter die Binsen. So lange, bis er abgefüllt is’ wie ’ne Strandhaube.”
Nahe daran, den Abend als verloren abzubrechen, beobachtete Torsten mit der Neugier eines Schnüfflers jede Veränderung um sich her. Nun sah er jemanden! Dieser jemand kam über den festgetretenen Fußpfad der Wiese direkt auf sie zu.
Zum Zeichen der Kameraden, still zu sein, hielt Torsten den Finger vor den Mund und flüsterte: „Ich glaub’, der da is’ ’ne günstige Zielscheibe für uns.” Geschmeidig rieb er seine Hände ineinander. ”Laßt uns dem ’mal auf ’n Zahn fühlen, denn wenn mich meine geübten Linsen nicht trüben, is ’s Stefan. Und auf den hab’ ich gerade Bock.” „Stefan?’, fragte Romano, der diesen Namen zum ersten Mal hörte. Sein Mangel an Wissen versetzte Torsten in Erstaunen. „Den kennst du nicht!?”, sagte er und informierte ihn. „Stefan is’ zwar noch nicht lang’ in unserer Penne, er geht in die Abschlußklasse, aber alle wissen, daß er schwul is’. Deshalb geht er nirgends hin. Ich selbst hab’ ihn auch noch nie im Park, im Bad oder im H.d.J. gesehen.”
Romano wunderte sich und fragte: „Woher wißt ihr das, daß der Typ schwul is’? Hat er euch das unter die Nase gerieben?”
Aus Sorge, Stefan könne durch eine weitere Auskunft verschont bleiben –zumal er auf Romanos Frage keine Antwort wußte–, drehte Torsten den Kameraden den Rücken zu und trieb sie an: „Na los! Kommt in die Hufe! Jetzt gibt ’s Zunder!”
Stefan, der für den Verlobten seiner Mutter eine Schachtel Zigaretten besorgt hatte, war auf dem Nachhauseweg, als er nun die Jungen auf sich zukommen sah. Nie und nimmer vermutet, daß diese es auf ihn absahen, jagten sie ihm auch keinen Schrecken ein. Umso überraschter mußte er stehen bleiben, weil, von den Jungen umzingelt, Torsten ihm den Befehl erteilte, jedem von ihnen eine Zigarette zu geben.
Irritiert legte Stefan den Sachverhalt dar, daß die Zigaretten nicht ihm gehören, und daß er Nichtraucher ist. Ansonsten? Ja! Da hätte er jedem eine gegeben.
Auf Torsten machte das keinen Eindruck! Er hielt Stefan die Faust vors Gesicht und meinte: „Davon geht uns keiner ab, ob die Zahnstocher für ’n Stecher deiner Alten sind oder für die Großmutter aus Polen. Wir haben ’nen Schmachter und deshalb rückst du jetzt postwendend mit ’n Zahnstochern ’rüber, sonst erkennt dich deine Alte nicht ’mal mehr im Leichenschauhaus.”; und schon wollte er Stefan die Zigaretten aus der Hand reißen, so daß dieser erschrocken einen Schritt zurückwich, sich dabei zur Seite drehte und – direkt in Romanos Augen sah.
„Wenn das meine wären,” druckste er hilflos herum. „Ich habe euch doch nichts..,” mitten im Satz blieb ihm das Wort im Halse stecken. Es gelang ihm nicht, seine Verzweiflung auszudrücken und: er gab sich geschlagen. „Hier,” sagte er und hielt Romano die Hand entgegen,  „ihr könnt die ganze Schachtel haben.”
Romano bekam Mitleid, das er einem Fremden gegenüber noch nie gefühlt hatte, und obwohl gereizt über sich selbst, konnte er nicht anders, als dessen Partei ergreifen, indem er zu Torsten sagte: „Laß ihn laufen! Du siehst doch, daß er sich vor lauter Schiß gleich in die Hosen macht.” Und hartherziger, als er empfand, riet er Stefan, sich schleunigst davonzumachen.
Sich bedankt, wollte Stefan gehen; doch Torsten, wütend über diese Wandlung seines Spaßes, hielt ihn, derb nach seinem Handgelenk gegriffen, auf. „Augenblick, du Schwachmatikus!” Er hatte Mühe sich zu beherrschen, und grenzenloser Haß lag in seiner Stimme. „Die Zahnstocher überläßt du uns! Klaro?”
Und weil Marko und Gido ebenso mit grimmiger Miene dem armen Kerl nähertraten, sah Stefan sich verzweifelt nach Romano um, der –nun erst recht gereizt– ihm zur Hilfe kam. Er schlug Torstens Arm in die Luft und maulte: „Hast du Watte in ’n Ohren? ’s is’ angesagt, ihn ziehen zu lassen. –Und du?!”, wandte er sich Stefan zu. „Sieh endlich zu, daß du dich aus ’m Staub machst, bevor wir ’s uns doch noch anders überlegen.”
Dies ließ Stefan sich kein zweites Mal sagen!

Torsten kochte über vor Wut! Fluchend und schimpfend von dannen gehend wünschte er, mit Arme, Hände und Beine wild um sich schlagend, Romano zum Kuckuck.
Marko, der sich nicht vom Fleck bewegte, wartete auf einen vernünftigen Aufschluß.
„Verdammt!”, fluchte Romano und bedauerte nun seine unüberlegte Hilfsaktion. „Er tat mir einfach leid,” entschuldigte er sich. „Sonst mach’ ich ja auch allen Scheiß mit. Oder was?”
„Na ja,” meinte Marko, seine Meinung zurückhaltend.
„Hast ganz recht, Alter,” sagte Gido, Romanos Ausflüchte angenommen. „Wir müssen schließlich nicht jedem, der uns in die Quere kommt, auf die Glocken hauen.” Und als sei nichts vorgefallen, verabschiedete er sich.
Erleichtert, daß wenigstens ein Kamerad zu ihm hielt, wollte Romano von Marko wissen, ob er noch sauer auf ihn ist. „Weiß ich nicht,” redete er sich heraus, „das muß ich mir noch durch die Birne gehen lassen.” Und er ging.
Allein zurückgeblieben schlug Romano sich mit der Frage herum, warum er mittels eines Fremden seinen Kameraden in den Rücken gefallen war; und ein flüchtiger Hauch seines bestimmten Schicksals nahm bereits Besitz von seinem Herzen......
......” ’tschuldigung! Haben Sie ’mal ’nen Glimmstengel für mich? –Bitte!”, werde ich gefragt und –in die Wirtsstube zurückversetzt. Das Mädchen, das Andrea zum Verwechseln ähnelt, steht vor mir. Ich gebe ihm zwei Zigaretten, eine für seine Freundin, und freundlich bedankt geht es zu ihrem Tisch, wo sich inzwischen zwei junge Männer eingefunden haben.
Ja ist das denn die Möglichkeit oder spielen mir meine sieben Sinne einen Streich? Nein! Es ist das so, daß einer der beiden jungen Männer aussieht wie Heiko, der ein typisches Mannsbild war, wie ’s im Buche steht: groß und kräftig gebaut, breitschultrig und tätowierter Body, cooler Gesichtsausdruck, der enthemmte Selbstsicherheit zur Schau stellt und so weiter..., mit Charaktereigenschaften wie: abgebrüht!, unberechenbar!, jähzornig! und immer auf die eigenen Vorteile aus! Allerdings hätte Heikos überspitzt männlichextremes Auftreten ein gebranntes Kind, das das Feuer scheut, davor bewahrt, ausgerechnet mit ihm einen gründlicheren Kontakt zu haben. Gewiß, Ilka nahm Heiko aus wahrer Liebe zur Frau, doch künftig steigerte er sich in den Komplex, seine Männlichkeit nur mit der Zeugung eines Sohnes beweisen zu können.

Meinen Ãœberblick der Zusammenhänge anno dazumal kann ich nur darauf zurückführen, daß ich mich hier aufhalte –und wohlfühle. Indessen ist es in der Gaststube recht lebhaft geworden. Die Kundschaft ist überwiegend vergnügt und aufgeschlossen, und der Rum-Grog hat mir die Kälte aus den Gliedern verdrängt, so daß ich spürbar ruhiger werde und meine Augen aufhalte, und neugierig, ja, geradezu sehnsüchtig von einer Tischrunde zur anderen sehe. Gern würde ich mich diesem oder jenem heißgelaufenen Gespräch anschließen; nur: ein Fremder wie ich, noch dazu mit tiefgeistigen Gedankengängen, die ins Wesentliche gehen, wird wie Luft behandelt.
Wenn derzeit annähernd empfindsame Menschen in Dulsberg leben, wird es ihnen keineswegs besser ergehen als mir; und wie jenem jungen Menschen aus vergangenen Zeiten-Kreisen.
Anderes ist nicht zur erwarten DA, WO jedem das eigene Ego wichtig ist, WO jeder mit Unangenehmen!, Anderen!, Schwächeren! nichts gemein haben will.
Läßt mich die nackte Tatsache frösteln oder die frische Luftbrise von der Kneipentür her? Zwei weitere Halbwüchsige sind eingekehrt, und die begrüßen mit einem lauten „Hallo!” die Mädchen bei dem Tisch, der kurz mein Interesse einnahm.

Alles in allem hat dieser Abend mich aufgewühlt –und erschüttert. Mein Bedarf ist gedeckt! Die Menschen von heute, mit ihrer Gestik, ihrem Tun und Denken sind nichts anderes als ein Abziehbild der Menschen von gestern; und würde mir nicht alles so zu Herzen gehen, würde ich gleichfalls mit Scheuklappen herumlaufen, nur: ich bin einer jener, die der Wahrheit ins Auge sehen und darum, hier und jetzt, fällt die Entscheidung, daß ich nicht länger hinterm Berg halten werde, denn was damals sich zutrug wird auch heute und morgen nicht ausbleiben. Es ist schrecklich, daß die meisten Heranwachsenden beim Ãœbergang der Schwelle zum Erwachsen-werden keine Bezugsperson haben, die zur rechten Zeit, mit dem rechten Rat –VOR ALLEM JEDOCH MIT VERSTÄNDNIS– zur Seite stehen müßte; so wäre jede individuelle Persönlichkeit keiner Fehlentwicklung ausgesetzt!!!

Aufgewühlt zahle ich, verlasse diese Stätte, und gehe zuletzt noch einmal durch den Gravensteinerweg. Hinter den Wohnblocks liegt ein Fußballplatz, der zur Schule „Alter Teichweg” gehört, bei der in einem Seitenflügel das Haus der Jugend (H.d.J.) untergebracht ist.
Menschenleer wie augenblicklich ist es an den wenigsten Tagen, und zur angekündigten Discostunde, freitagabends, ist eh der Boom los. Bis zum 25sten Lebensjahr hat für DM 1.50 jeder Einlaß. Abweichend von herkömmlichen Discotheken wird kein Alkohol ausgeschenkt, umso preiswerter andere Getränke, weshalb es manchem als verlockendes Abenteuer erscheint, Spirituosen einzuschmuggeln, denn was ist eine Cola ohne Weinbrand oder Pernod?, was eine Limonade ohne Korn oder Gin? Nur, wird einer beim Schmuggeln erwischt, fliegt er hochkantig ’raus und bekommt Lokalverbot; davon Spezies nicht sich abschrecken lassen, wiederholt es darauf anzulegen.
Bis 22 Uhr –dann ist Feierabend angesagt– fiebert jeder Discobesucher einem ausgefallenen Phänomen nach, und Freundschaften werden geschlossen oder beendet, Liebe auf den ersten Blick erwacht oder Trennungen finden statt; währenddessen liegen „Cliquenwirtschaften” nicht auf der faulen Haut, um, zufolge gähnender Langeweile oder grenzenloser Eifersucht oder einfach nur der reinen Gaudi wegen, jemanden am Zeuge zu flicken, oder ein ganz mieses Gerücht in Umlauf zu setzen. Und ansonsten.....?.....

1. Auszug: EIN FREITAGABEND IN DULSBERG

Ãœber Nacht –mit dem Fälligkeitstag im Verzug– nahm ein milder Frühling dem erbarmungslosen Winter seine Macht, und der restliche Schnee ergab sich dem Lauf der Natur.
Die Sonne geizte länger nicht mit ihrer Wärme, die dem Frost entschieden entgegen trat, und ausnahmslos hauchte das Frühjahr jeder auf Erden lebenden Existenz den göttlichen Odem ein, damit der in ihnen ruhende Keim der Liebe erwachen konnte; und es sagten sich endlich Vierbeiner von ihrem gemütlichen Plätzchen hinterm Ofen los, während Kinder mit feuchten Augen ihrem Igel, den sie die Wintermonate über beherbergt und liebgewonnen hatten, wieder die Freiheit schenkten.
Aus dem Süden erreichten Zugvögel ihr Ziel und stimmten fortan die Morgenfrühe mit ihren singenden Weisen ein; Käfer schlüpften aus ihrem Kokon; Bienenarbeiterinnen, die Pollen sammelten, vollbrachten damit den Nestbau und fütterten die Larven, und wie seit alters her kümmerte sie hauptsächlich das Wohlbefinden ihrer Königin; Maulwürfe durchpflügten die Erde; Zitronenfalter breiteten ihre zarten, gelben Flügel aus; Baum und Strauch erblühten, und so wie überall das im Schlaf gelegene Leben erwachte verwandelte die Natur mit ihren Wunder auch die Menschheit, die durch Kälte, Wind und Regen grießgrämig und verbittert das Da-Sein geführt hatte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem entspannten Zufriedensein ins Gesicht geschrieben verbrachten die Menschen ihren Tagesablauf, und kaum, daß sie sich versahen, ging der vom Frühling eingehauchte göttliche Odem in ihren Herzen als Liebe-Fähigkeit auf.
Mollige Pullover, gefütterte Jacken, Pelze, Wintermäntel und triste, graue Kleider landeten endgültig im untersten Schrankfach, und eine farbenprächtige, aberwitzige, absurde Garderobe kündete den frühlingablösenden Sommer an.
Jetzt forderten die Gefühle ihr Recht! Insekten umwarben sich mit Liebestänzen, Vögel turtelten miteinander, der Kater setzte sich bei der Katze durch, der Rüde bezwang die Hündin..., es paarte sich, was auf der Erde kreucht und fleucht; und der Jugend stieg das Blut zu Kopfe!!!

In Dulsberg war wiederum eine Woche schulischer Leistungsdruck ausgestanden und nun, am Freitagabend,  fand vor dem Haus der Jugend ein Ansturm von Heranwachsenden statt, die, ungeduldig darauf wartend, in die Disco gelassen zu werden, drängelten und zerrten und dabei sich anschrieen und pöpelten, so daß der Türsteher und Kassierer es für angebracht hielten, ein Machtwort zu sprechen, um vorzeitig Handgreiflichkeiten, die an diesen Abenden gang und gäbe waren, zu verhindern.
Abgesetzt von der grölenden Menge spannte Andrea auf und ab gehend auf das baldige Erscheinen Romanos, der seit Tagen sich bemühte, ihr zu imponieren; sie allerdings ließ ihn noch zappeln.
Dem Wetter angepaßt trug Andrea ein reizvolles Sommer-Top, das von Spaghettiträger gehalten ihr etwas über den Nabel reichte. Aus den Maßen ihrer Oberweite machte Andrea längst keinen Hehl mehr und mit den hautengen Jeans, in die sie sich wohl mit Schuhlöffel hineingezwängt hatte, lenkte Andrea bewußt die Blicke reifer Männer auf ihre einwandfreien Beine. Für Andreas dichtes, schulterlanges, kastanienbraunes Haar, mit dem der auffrischende Wind spielte, hatte kürzlich ein Barbier ein beachtliches Honorar geboten. Beim Angebot war es geblieben! Um nichts in der Welt hätte Andrea freiwillig auf ihren naturgemäßen Kopfschmuck verzichtet. Allzu häufig bestätigte man ihr, daß sie bereits mit ihrem Haar Aufsehen erreiche; Mädchen (jedenfalls war das Andreas Meinung) mit „nur” einem hübschen Gesicht und kurvenreichen Körperbau gab ’s wie aus einer Sonderanfertigung reichlich.
Beizeiten hatte Andrea es gelernt, weibliche Reize einzusetzen, so daß ein Bursche, der bei ihr landen wollte, recht spendabel sein mußte; und da Andrea es mit keinem gar zu lange aushielt, wechselte sie die Freunde wie die Kleider.

Zehn Minuten seit der verabredeten Zeit mit Romano waren vergangen, und Andreas Laune sank auf den Nullpunkt. Derweil kam in das heile Durcheinander vor dem H.d.J. etwas Ruhe, und Marko und Gido blödelten mit den im Heim lebenden Mädchen, Sonja und Astrid, zu denen Torsten sich gesellte. Für gewöhnlich widmete er den Freitagabend Ulrike, die dieses Wochenende außerhalb Hamburgs bei ihrer Tante war.
An der Reihe, Eintritt zu zahlen, riefen Sonja und Astrid nach Andrea, die, maßlos verärgert, die DM 1.50 aus eigener Tasche zahlen zu müssen, ihnen folgen wollte, als frisch drauflos ihre drei Jahre jüngere Schwester Steffi eintrudelte.
Ihrem puppenhaften Gesicht lag ein kindlicher Ausdruck zutage, und ihrer scharfsinnigen Beobachtungsgabe entging nie die geringste Kleinigkeit. Zwar ziemlich klein gewachsen für ihre zwölf Lenzen und der Schwester nicht ähnlich sehend, verlieh die Kleinwüchsigkeit ihr jedoch etwas niedliches, und die bis zum Hinterteil gewachsenen, vollen Haare, für diese sie Stunden der Pflege opferte, waren Steffis ganz besonderer Stolz.
„Na, läßt dich dein Schwarm sitzen?”, fragte die Kleine die Große, die gereizt antwortete: „Meinetwegen solltest du dir keine grauen Haare wachsen lassen, Schwesterchen. Sobald ich ihn verbraucht hab’ bind’ ich ihn dir auf ’n Rücken, dann kannst du frei über ihn verfügen. Bis dahin mußt du dich gedulden und mit dem vorlieb nehmen, was zur Zeit frei ’rumläuft oder zu kriegen is’."
Auf Freiersfüßen kamen die beiden sich häufig ins Gehege, und obwohl Andrea auffällig hübscher war hatte auch Steffi, die hinter den Jungen her war wie der Teufel hinter der Seele, unzählige Erfolge zu verbuchen. Zudem war ihre forsche Art ein offenes Geheimnis: daß sie (ihrem jugendlichen Leichtsinn zu entschuldigen) jedem Jungen auf der Tanzfläche während Schmusesongs in die Hose griff; so brauchte sie sich nicht erst das Köpfchen zu zerbrechen darüber, wer in Dulsberg den größten und wer den kleinsten Lümmel hatte.
Dem Umstand zu verdanken, Eltern zu haben, die in die Jahre gekommen waren und deshalb die Töchter an einer langen Leine führten, konnten diese nach Hause kommen wann immer es ihnen beliebte. Ließen sie mitunter den jeweiligen Freund bei sich übernachten, schlossen sie vorsichtshalber die Tür ab. War dennoch am Morgen Gefahr im Anzug, konnten die Burschen unentdeckt durchs Fenster flüchten, denn die Wohnung lag im Erdgeschoß. Von der Mutter auf verdächtige Geräusche hin zur Rede gestellt, zogen die Schwestern, sonst wie Hund und Katz, wenigstens dann am gleichen Strang, indem sie angaben, vom Tuten und Blasen keine Ahnung zu haben.
Vor dem H.d.J. löste die Menschenschlange sich auf, und da unter den Schwestern ein gefährliches Wort das andere gab, ließ Andrea, um einen Zank zu vermeiden, Steffi stehen, schloß sich schmollend –Romano hatte weiter auf sich warten lassen– den anderen an und bekam vom Türsteher auf dem Handrücken den Stempelabdruck verpaßt, den man haben mußte, wollte man, nach frischer Luft geschnappt, kein zweites Mal Eintritt zahlen.

Zur selben Zeit war Stefan Zuhause bei Kerzenlicht dabei, sich eine besinnliche Atmosphäre zu schaffen. In seinem Zimmer die HiFi-Anlage eingeschaltet und die LP „mystic man” von Peter Tosh aufgelegt, dachte er, auf dem Teppichboden alle viere von sich gestreckt, mit Kopfhörer und geschlossenen Augen bei Reggaerhythmen über sich nach.
Solch musische Stunden lagen ihm als Einzelgänger, der er war; allerdings, weil längst in seinen Sternen es geschrieben stand, hatten die vergangenen Monate –genau genommen ab seinem 14. Geburtstag– die Ereignisse sich überstürzt.
Ilka, seine Schwester, die er regelmäßig besuchte, hatte in ihrer jungen Ehe selbst mit genug Problemen zu schaffen, wodurch Stefan die Rolle zufiel, ein geduldiger Zuhörer und Berater zu sein, zumal er mit Heiko einfach nicht warm werden konnte. So aber wuchs in Stefans Herzen der insgeheime Wunsch, einen Freund zu haben, mit dem er vertrauensvoll hätte über alles sprechen können, was ihn selbst bewegte. Nur, es mußte ganz anders kommen, sollte sein Schicksal sich erfüllen!
Früher!!, ja da lebte er unbeschwert in seiner Traumwelt. Es kam vor, daß er bis in die Nacht hinein vor der Flimmerkiste zubrachte und, von Rühr- oder Liebesfilmen ergriffen, Rotz und Wasser heulte; nervenaufreibende Psychothriller hatten ihm regelrecht den Schweiß auf die Stirn getrieben, und spannende Western die Haare zu Berge stehen lassen.
Früher!!, ja da las er –nein, da schlüpfte er geistig in packende Bücher, die tagelang Besitz von ihm ergriffen; und die Welt um ihn her verwandelte sich in das Reich der Phantasie.
Das änderte schlagartig sich –und ernüchternd–, als seine Eltern ihm mitteilten, daß sie, weil der Vater aus beruflichen Gründen selten bei der Familie gewesen war, sich auseinandergelebt hatten und deshalb die Scheidung einreichen wollten.
Nach Auflösung der gemeinsamen Wohnung folgte der Umzug der Mutter mit Stefan nach Dulsberg.
Stark wollte er sein! Ganz „ein-Mann-sein”! Und allen Grund zur Freude gab es, insofern in jenen Tagen die Zusage aus Berlin kam, aufgrund seiner Bewerbung, die Lehre zum Einzelhandelskaufmann im Kaufhaus „KaDeWe” machen zu können.
Der Berliner 4-Mächte-Status hatte ihn dazu veranlaßt, in diesen Teil Deutschlands übersiedeln zu wollen; hinzu kam, daß er bei seinem Vater wohnen konnte, solange er keine eigene Wohnung haben sollte.
Bereit seinem Geschick sich zu fügen, führte das gerade erklingende Lied „jah seh no” Stefan in sein Zimmer zurück, und ganz der Musik hingegeben und dem Gedanken: es wird schon irgendwie!, kam seine Mutter, die er erst bemerkte, als sie ihm den Kopfhörer abnahm. Die Augen aufgeschlagen, stützte Stefan sich auf die Ellenbogen und überhäufte seine Mutter mit Komplimenten, da sie sich zum Ausgehen äußerst adrett hergerichtet hatte. Ihre dunkelblonden, wallenden, schulterlangen Haare umrahmten ihr jugendfrisches Gesicht, das mit dezent aufgetragenem Make-up und Rouge hinreißend feminin wirkte. Die Lippen angefettet und die Konturen rosé nachgezogen glänzten verlockend.
Das zweiteilige Cocktailkleid aus Georgette, mit Spitzen-Top, bauschigen Ärmeln und beschwingtem Plisséerock, betonte ihre schlanke Figur außerordentlich, und die schwarzen Velourleder-Pumps mit einem Absatz von 70 mm und pinken Glasstein an der Ferse verliehen ihren makellosen Beinen eine erlesene Attraktivität.
Jede Einzelheit prägte Stefan sich ein und litt darunter, sie bald nicht mehr täglich um sich zu haben; aber mit Blick in die Zukunft, nahm er sich vor, sie bei jeder Gelegenheit zu besuchen, ihr regelmäßig zu schreiben, und vor allem per Telefon täglich mit ihr in Kontakt zu sein.

Begeistert sprang Stefan auf, ließ von seiner Mutter sich liebevoll in die Arme nehmen, und lobte ihr gutes Aussehen.
„Was fange ich ohne meinen begeisterungsfähigsten Bewunderer an? Kannst du mir das sagen?”, fragte sie und hauchte Stefan behutsam einen Kuß auf die Wange.
„Och,” äußerte er ernsthaft, „ich miete einen Privat-Jet und fliege oft zu dir.”
„Das traue ich dir zu,” behauptete die Mutter lächelnd. „Ich habe ein schlechtes Gewissen!”, gestand sie daraufhin. „Ich gehe mit Ralf mich amüsieren und du...” „Also weißt du, Mama!”, fiel Stefan ihr streng ins Wort. „Ich bin kein Säugling mehr. Was glaubst du eigentlich wie ich in Berlin ohne dich klarkomme?”
„Mag sein, mein Sohn. Trotzdem! Immer bist du allein und das ist meines Erachtens nicht gut für dich. Du solltest dann und wann unter junge Leute gehen. Wenn du aus der Schule keinen Anschluß findest, solltest du in dieses Haus der Jugend gehen, von dem du mir letzte Woche erzähltest und erwähntest, am Freitagabend ’mal hinzugehen. Was hält dich auf? Wir haben Freitag und Abend!”
„Na ja,” bestätigte Stefan –und kleinlaut rückte er damit heraus: „Ich habe nicht eine müde Mark!”
„Du bist unmöglich!”, beklagte die Mutter sein Geständnis und sagte, in den Flur gehend: „Fair mir gegenüber ist das nicht gerade. Hattest du mir nicht versprochen, Bescheid zu sagen, wenn du Geld brauchst? Daß du kein regelmäßiges Taschengeld willst ist deine Angelegenheit, aber ich meine, es würde dir bestimmt nicht schaden, manchmal ins Kino oder in ein Eiscafé zu gehen, oder was weiß ich. Dorthin eben, wo sich deinesgleichen trifft.”
Sie kam zurück, gab Stefan einen Zwanzigmarkschein, und sagte: „Hier! Versprichst du mir, heute Abend in diese Disco des Haus der Jugend zu gehen?”
Stefan steckte den Geldschein in die Hosentasche und äußerte spitzbübig: „Es bleibt einem wirklich kein Kummer erspart. Na ja, wenn ’s unbedingt sein muß und ich vermeiden will, daß Ralf mir aufs Dach steigt. Okay, ist gebont!”
„Du bist und bleibst ein Schelm,” stellte die Mutter zufrieden fest und gab zum Abschied ihm einen Kuß auf den Mund. „Schaden wird dir das jedenfalls nicht, und morgen werden wir uns beim Frühstück unsere Schandtaten erzählen.” Sie machte sich auf den Weg und rief von der Wohnungstür her: „Noch etwas: wisch dir, bevor du aus dem Haus gehst, den Lippenstift aus dem Gesicht, sonst, fürchte ich, bekommst du kein Mädchen ab, weil jedes denkt, du bist in festen Händen.” „Das fehlte noch!”, rief Stefan und begab sich, nachdem Stille eingekehrt, gemütlich unter die Dusche.
Knapp eine halbe Stunde später gewaschen, abgetrocknet und Haare gefönt, hielt er in seinem Zimmer sich auf, zog das Kopfhörerkabel aus dem Verstärker, stellte diesen lauter, und begutachtete tänzelnd, nackt wie Gott ihn geschaffen, sich vor dem Schranktürspiegel: die Beine waren kräftig und die Hinterbacken stramm; die Taille schmal breitete formvollendet sich aus zum leistungsstarken Brustumfang; die breiten Schultern, die kräftigen Arme und der sehnige Hals hatten etwas von einem durchtrainierten Sportler; und das vollschlanke Gesicht hatte trotz der derben Nase, dem großen Mund und den fleischigen Lippen den sanften Touch eines Träumers.
Als Einverständnis seines Adamkostüm zwinkerte Stefan sich mit seinen blaugrünen, verschmitzten Augen zu, zog eine dunkelgrüne Cord-Jeans, ein citronen-knalliggelbes T-Shirt und die neuen Turnschuhe an, und schließlich, den Geldschein nicht vergessen, fiel hinter ihm die Tür ins Schloß; dabei überkam ihn Lustlosigkeit. An Dulsberg stellte er keine, nein, hatte er nie Erwartungen gestellt. Berlin war sein Ausgangspunkt, seine Zukunft. Das! dachte er in jener Stunde jedenfalls.

Obwohl die Spots der Disco im Haus der Jugend keinen müden Krieger aufzupäppeln vermochten, verstand das Publikum es, auf seine Kosten zu kommen, so wie Liebespärchen, die zärtlich aufeinander abgestimmt waren oder sich stritten; brandheiße Hits sorgten dafür, daß Tänzer vom Parkett kaum wegzudenken waren; vom Highlife abgesetzt verfeinerten jene ihr Getränk, die Spirituosen eingeschmuggelt hatten; andere verbreiteten längst abgedroschene Witze, und Streitsuchende, die bekannterweise die Schwachen aus einer Runde picken, waren auch da. Ihretwegen kam es gelegentlich vor, daß mit Fäusten eine Diskussion ausgetragen wurde, die nur noch von der angeforderten Streife beendet werden konnte; allerdings deutete bis jetzt nichts auf Ärger hin.
Torsten wich nicht von der Seite seines Schulkameraden Patrick, der einen fertiggedrehten Joint bei sich hatte; und ihm endlich seinen Willen aufgezwungen, gab er  Marko und Gido den Wink, zu folgen. Die Suche nach Romano, der mit Andrea irgendwo sich verkrochen hatte, ließ er sein und verschwand, hautnah aber achtlos an Steffi vorbei, mit seinem Anhang in der Toilette.
Sehnsüchtig sah Steffi hinter ihm her. Sie schwärmte für ihn, und weil Ulrike mit Abwesenheit glänzte, hatte sie ihn nicht aus den Augen gelassen. Daß er, als sie darauf es anlegte, bei ihm zu landen, sich über sie lustig gemacht hatte, war Schnee von gestern, also ein Grund aber kein Hindernis; –kommt Zeit!, kommt Rat. „Gut Ding will Weile haben,” dachte Steffi. „Das trifft natürlich nicht auf jeden zu,” war ihr nächster Gedanke, da sie nun an einem anderen, der in die Disco gekommen war, Gefallen fand und ihrem Leitspruch: an der Nase eines Mannes erkennt man seinen Hannes! absolut zusagte.

Stefan selbst fühlte inmitten der lebensfreudigen Meute sich nicht besonders wohl, wenngleich Bekannte ihn ansprachen und wieder stehen ließen.
Gaby, äußerst kräftig gebaut und eine treu ergebene Kundin der Kosmetikkonzerne, ging mit Stefan in dieselbe Klasse, und bei seinem Anblick lief ihr immer das Wasser im Munde zusammen. Ihn gesehen, beschloß sie vom Fleck weg, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, bevor eine andere ihn ihr wegschnappte. Und ihn gerade in ein belangloses Gespräch verwickelt, funkte Steffi dazwischen! Ohne Rücksicht auf Verluste sprach sie Gaby, diese liebenswerteste Busenfreundin, die sie auf den Tod nicht abkonnte, an. „Hallo, Gaby! Wie geht ’s? Wie steht ’s? Mann, du hast dich ja wieder geil angemalt. Echt du!” Das saß!! Und natürlich roch Gaby den Braten. Bevor sie jedoch die Nebenbuhlerin mit einer dingfesten Gehässigkeit ausstechen konnte, war Steffi mit ihrer Lästerzunge schneller. „Is’ das dein Neuer?”, fragte sie scheinheilig und redete direkt Stefan an. „Du magst wohl Knetmasse?! Oder warum gibst du dich mit ’ner Tonne wie der da ab? Falls du nicht völlig unter Geschmacksverirrung leidest, solltest du dich an mich halten.”
„Ich... Ich,” stammelte der arme Kerl verkannt, daß seinetwegen ein Rivalitätskampf sich abspielte. „Gaby ist aus meiner Klasse!”, erklärte er Steffi, die erwiderte: „Weiter nichts? Dann hat sie ja nichts zu melden!” Sie nahm Stefan bei der Hand und trieb ihn an: „Na los! Laß uns tanzen geh ’n.” „Ich... Ich kann überhaupt nicht tanzen,” entgegnete Stefan befangen; Steffis freches Mundwerk war ihm Gaby gegenüber ausgesprochen peinlich.
Lässig behauptete die Kleine, keinen Jungen zu kennen, der tanzen kann, nahm Stefan ins Schlepptau und versäumte es nicht, hocherhobenen Hauptes Gaby die Zunge herauszustrecken.
Oh, Gaby kochte! Was mußte sie sich beherrschen. Und anstatt den Fuß gegen den Boden zu stampfen fletschte sie die Zähne und schwor: „Das zahl’ ich dir heim, du Miststück. Wart ’s ab! Irgendwann nagel ich dich an die Wand.”

Seit Romano verspätet gekommen war und Andrea seine Entschuldigung angenommen hatte, schwebte er, in einem lichtlosen Winkel schmusend mit ihr, in anderen Regionen.
„Also weißt du,” beschwerte Andrea aus heiterem Himmel sich, „ich bin nicht hier, um mich von dir langlegen zu lassen. Oder wie seh’ ich das? Bin ich etwa Ixi?”
„Wieso?” Romano war ganz verdattert. „Hab’ ich dir einen Knutschfleck gemacht?” „Hej,” fuhr Andrea ihn giftig an, „du tickst wohl nicht richtig. Manchmal glaub’ ich echt, du bist nicht mehr ganz frisch in der Birne.” „Schon gut,” entgegnete Romano, bemüht, die eigene Verstimmung im Zaume zu halten, und wechselte das Thema. „Soll ich dir erzählen, was ich letzte Nacht geträumt hab’?”
„Mach mal,” forderte Andrea. „Bin gespannt, was für ’nen dummen Spruch du diesmal auf Lager hast.” „Paß auf!” Recht geheimnisvoll begann Romano. „Ich träumte sage und schreibe davon, der Besitzer einer oberaffengeilen Fabrik zu sein...” „Und? Weiter?”, unterbrach Andrea gelangweilt. „Tja,” meinte Romano und grinste. „Heut’ morgen wachte ich auf und was sag’ ich dir: ich hatte ’nen riesen Schornstein in der Hand.” „Alte Sau!” Andrea regte sich auf. „Weißt du, was du mich kannst?”, fragte sie und –sagte es ihm nicht, sondern ließ ihn einfach stehen.
Daß Mädchen unter Humor meistens etwas anderes wie Jungs auffaßten, war Romano bekannt, deswegen guckte er nicht in den Mond; nur: von dem Vorhaben, den Kameraden sich anzuschließen, kam er vorerst ab. Das Pärchen auf der Tanzfläche gesehen, erweckte seine ganze Aufmerksamkeit! Und dieses beschattend, kam ihm eigenartigerweise durch Steffis typischen Annäherungsversuch bei Stefan, der sich steif und ungeschickt bewegte, die Galle hoch.
In der Hoffnung, bei Andrea wieder im Kurs zu steigen, spürte er sie auf und fiel gleich mit der Tür ins Haus. „Hast du eigentlich gecheckt, daß deine kleine Schwester sich von ’nem Schwuli begrabbeln läßt?”, stellte er seine Frage in gelungener Weltuntergangsstimmung.
„Armer Irrer,” beleidigte Andrea Romano, nachdem sie Steffis Tanzpartner erkannt hatte. „Dir steht echt die Krawatte quer über ’m Gesicht. Stefan kenn’ ich aus der Penne, und wenn der schwul is’, dann kann er das höchstens von dir haben! Oder wie seh’ ich das?”
Ãœber die Ohren knallrot angelaufen, wollte Romano sich verteidigen, wozu Andrea ihm aber keine Gelegenheit gab, indem sie abschließend ausfallend wurde. „Mach mal nicht ’n Lenz hier, Alter, und verpuff dich!” Und damit hatte Romano an einem Abend die zweite Abfuhr erteilt bekommen. Trotzdem! Er wünschte Andrea dorthin, wo der Pfeffer wächst, und blieb wegen dieser Love-Story, die, wie er meinte, im Keim ersticken müsse, beunruhigt auf seinem Späherposten..., bis ihm –weiß der Kuckuck: warum?, er verstand sich selbst nicht mehr– die Sicherungen durchbrannten; Steffi nämlich warf sich während des Liedes „give me your love” von Frank Duval restlos an Stefans Hals. Dem mußte Einhalt geboten werden! Und Romano kam die Idee, daß dafür speziell nur einer geeignet war. Torsten!

Ihn ausfindig gemacht, wußte Romano augenblicklich, was Sache war. Der Umwelt entrückt, hatten Marko und Gido mehr liegend als sitzend auf Stühlen sich breitgemacht, und Torsten, zwar im Besitz seiner geistigen Kräfte, grinste Romano blöde an, erzählte etwas vom Pferd, und brachte herzlich wenig Interesse auf für Romanos Information, daß der Schwule aus dem Park da sei.
„Stell’ deinen Sender mal ’ne Sekunde auf Empfang,” verlangte Romano, entschlossen, seinen Kopf durchzusetzen. „Keiner erwartet von dir, dem Schwuli die Visage zu verunstalten. ’s genügt ja, daß er ’nen Denkzettel kriegt. Und was glaubst du wohl? Ob das ’n Heidenspaß wird, wenn du Steffi aufreißt und wider abblitzen läßt? Also, was is’ Sache? Ich sag ’s dir, das geht ab wie die Post.”
„Allein ihr dummes Gesicht  zu seh ’n wär’ der Gag wert,” gab Torsten zu. Diese Vorstellung entsprach seinem Geschmack; doch einer Denkminute hingegeben, kritisierte er Romano und meinte: „Aus dir wird man nicht schlau! Wem hat ’s diese Schwuchtel eigentlich zu verdanken, daß sie damals, im Park, ungeschoren davongekommen is’? Hä?!”
In Panik versetzt, geschwind eine Notlüge zu erfinden, ersparte allerdings Torsten ihm diese, da er sich bereit erklärte. „Okay! Ich mach ’s! Irgendwie hab’ ich selbst Bock darauf. So ’ne Chance bietet sich nicht alle Tage. Und falls Uli dahinter kommt, bist du mein Zeuge, daß ’s nur ’n Jux war. Weißt Bescheid?”
„Eine Hand wäscht die andere?”, versicherte Romano, begeistert insgeheim von seiner Ãœberredungskunst; und zurückbleibend, folgte er mit dem Blick Torsten, der das Geplante in die Tat umsetzte. Bereits kurz darauf lief Stefan Hals über Kopf aus dem Haus der Jugend.

Das aufgetretene echte Mitleid für Stefan hatte Romano bald verdrängt, weil: eine Versöhnung mit Andrea herbeizuführen ging vor!

2. Auszug: STEFANS SCHWESTER, ILKA

Eine recht angenehme Erkenntnis ärztlicher Kapazität ist diese: regelmäßiges Lachen ist die praktischste, geradezu natürlichste Vorbeugung gegen Herzleid und körperliche Gebrechen. Und etwas zu lachen, das hatte Ilka erst wieder, seit Nicole vor sechs Monaten das Licht der Welt erblickte.
Fortan galt ihr Ilkas liebende, fürsorgliche Hingabe;  und weil Nicole, wohl mit der Wehmut der Mutter vertraut, selbst in gemachten Windeln ungewöhnlich still war, legte Ilka sie nach einem bestimmten Zeitplan trocken, und das geschah dann auf dem französischen Bett, worüber Ilka ein Badetuch ausbreitete; und dies nun vorbereitet, ging Ilka zum Kinderwagen. (Für ein vernünftiges Kinderbett fehlte bisher das nötige Kapital). „So, mein Spatz,” kündete Ilka an, „wollen wir ’mal sehen, ob du in die Windel gemacht hast.” Ãœber den Kinderwagen gebeugt, grabschte Nicole mit den Händchen nach ihrer mittelblonden, kurzen, moderngeschnittenen Haarpracht. „Hej,” rief Ilka und lachte, „nicht, daß du mir den nächsten Büschel herausreißt.”

Mit dem Wickeln fertig, schmiegte Ilka das quitschfidel zappelnde „Bündel” an ihre Brust und gab im WC in einen eigens dafür vorgesehenen Eimer die schmutzige Windel, die später samt der großen Wäsche auf dem Herd gekocht werden sollte. (Von Pampers konnte in ihrer finanziellen Misere keine Rede sein, da Heiko die Unterhaltskosten seines Kindes gleichgültig waren; zudem teilte er die Haushaltskasse seiner Frau richtiggehend knickrig ein, so daß an eine Waschmaschine nicht im Traum zu denken war).
„Nun fühlen wir uns pudelwohl, mein Spatz. Hm!”, tuschelte Ilka Nicole ins Ohr; und in der Küche ihr das vorbereitete Fläschchen gebend, schweifte sie in Vergangenes über....., an jenem Tag, nach bestandener Gesellenprüfung zur Hotelfachfrau, traf sich Ilka in einer Wirtschaft mit Kollegen auf einen Umtrunk und -lernte Heiko kennen. Es traf sie beide wie ein Blitz! Nicht mehr voneinander abgelassen, stellte Ilka am folgenden Wochenende Heiko, der vor Jahren den Kontakt zu seinen eigenen Eltern abgebrochen hatte, der Mutter und dem Bruder vor.
„Sie also sind der junge Mann, der drauf und dran ist, mir meine Tochter abspenstig zu machen!”, meinte Ilkas Mutter, die Heiko zuvorkommend empfing.
„Wundert Sie das?”, fragte Heiko locker. „Ich muß Ihnen gestehen, wär’ ich zwanzig Jahre früher so alt gewesen wie heut’ und hätt’ Sie kennengelernt, hätt’ ich mich bestimmt in Sie verliebt. Gott sei Dank haben Sie rechtzeitig mit Ilka an mich gedacht.”
„O wei, o wei, Ilka,” äußerte die Mutter, von Heikos Charme eingenommen, „du hast dir ja einen Kavalier der alten Schule an Land gezogen.”
Um eine Entgegnung verlegen, rief Ilka nach Stefan, der, neugierig in seinem Zimmer darauf gewartet, wie ein Schießhund angelaufen kam.
Von Ilka Heiko vorgestellt bekommen, reichte Stefan ihm die Hand und grüßte ordentlich; und bemüht, seine Enttäuschung nicht sich anmerken zu lassen, verstand er nicht, wieso Heiko ihm Knall und Fall unsympathisch war. Seine Ablehnung blieb unbemerkt, besonders deshalb, weil die anfängliche Skepsis der Mutter: ist Heiko für ihre Tochter der Richtige? grundlos schien. Dieser Glückstaumel, in dem sie ihre Tochter mit Heiko sah, war ungewöhnlich und wurde ihr zur wahren Freude, zumal Heiko ihre Tochter auf Händen trug und einer regelmäßigen Arbeit nachging. Warum also, bitteschön!, sollte er ihre Ilka nicht glücklich machen?
Wie im Flug verging die Zeit, während dieser Stefans Antipathie gegen Heiko wuchs und zur Verlobung des Paares angab, früh am Abend zu Bett gehen zu müssen, es sei am nächsten Tag eine Klassenarbeit angekündigt; und zur Vermählung machte er gute Miene zum „bösen Spiel”, das der Vater, der selbstverständlich aus Berlin angereist gekommen war, durchschaute. Schließlich stellte sich bei einem vertraulichen Gespräch „von Mann zu Mann” heraus: was Heiko anbelangte lagen Vater und Sohn auf einer Wellenlänge.
Bald darauf zog das frischvermählte Paar in eine mietgünstige Wohnung, und einer durch dick- und dünngehenden Zweisamkeit lag nichts im Weg....., Nicole, die die Mahlzeit verzehrt hatte, hinderte Ilka an ein weiteres erinnern.
„Na, mein Spatz,” säuselte Ilka, „vorerst sind wir satt.” Unter die Achseln gefaßt, setzte sie ihr Töchterchen aufrecht und wartete das erleichternde Bäuerchen ab. So geschehen, kicherte die Kleine herzerfrischend, tatschte nach der Nase der Mama, die schelmisch die Augen verdrehte und so lange mit ihr spielte, bis das weit aufgerissene Mäulchen Müdigkeit ankündigte.
Nicole zwischen die Kissen des Ehebettes zur Ruhe legend, küßte Ilka sie liebevoll und sagte: „Schlaf’ gut, mein Spatz. Dein Schutzengel wird dir bestimmt einen schönen Traum schicken.”
Bei der Hausarbeit erinnerte Ilka sich dann weiter....., zirka ein Jahr nach der Hochzeit wurde Ilka aus Anlaß einer Rationalisierung des Personal die Stelle als Hausdame in einem luxuriösen Hotel gekündigt. Vom Sachbearbeiter des Arbeitsamtes vertröstet worden, suchte sie eigenmächtig nach einer Erwerbsmöglichkeit; leider erfolglos. Am nächsten Ersten konnte erstmalig der monatlichen Abzahlung des zehntausend DM-Kredits, der für die Wohnungseinrichtung aufgenommen worden war, nicht nachgekommen werden. Ins geldgehende Unternehmungen fielen flach; und daß bereits zum Hintertürchen rein die Bürde des Verderbens „Guten Tag!” sagte, machte beim Lebensmitteleinkauf sich bemerkbar, denn nun mußte Ilka es lernen –der Not gehorchend–, die Mark erst zweimal zu drehen, um sie auszugeben.
Den Gürtel enger schnallend, kam das Ergebnis heraus, daß Bagatellen entsetzliche Kräche entfachten, daß Heiko nach Feierabend alle naselang zu spät und unter Alkoholeinfluß nach Hause kam und Ilka ihm dann vorhielt, daß das Essen kalt geworden sei, und daß sie sich Sinnvolleres vorstellen könne, als stundenlang mit Spannung darauf zu warten, ob es dem gnädigen Herrn von und zu heute eventuell genehm sein wird, zur Nachtruhe vorbeizusehen; und gelegentlich rutschte Heiko die Hand aus.
Stefan, der nur kam, wenn Heiko arbeitete, hatte nie so recht Ilkas Angabe, der Himmel ihrer Ehe hänge voller Geigen, Glauben geschenkt, und auf einen blauen Fleck angesprochen, bekam er von Ilka, die hoffte, daß Heiko sich wieder fangen würde, ein X für ein U vorgemacht.
Diese Hoffnung wurde Ilka radikal zerstört! Hinter vorgehaltener Hand, zwischen Tür und Angel, bekam sie irgendwann beigepolt..., „Dein Göttergatte, meine Gutste, amüsiert sich ganz ungeniert, und das in aller Öffentlichkeit, anderwärts.Du kennst das ja, meine Gutste, die Betrogene erfährt ’ s immer zuletzt!”

Von Ilka zur Rede gestellt, wurde Heiko geständig und versprach, sein Verhältnis umgehend zu lösen. Aber Ilka bestand für einige Zeit auf Trennung, um, wie sie sich ausdrückte, den Brocken zu verdauen.

Ein kurzes Gastspiel bei einer ehemaligen Arbeitskollegin reichte aus; währenddessen mußte Ilka sich nämlich eingestehen, daß sie ohne Heiko unglücklicher war, als mit ihm.
Und beim Unglücklichsein mit ihm blieb es, weil: Ilkas Vertrauen war hinüber! Je krampfhafter sie durch Vergewaltigung ihrer Seele die Gefühle herbeizuführen suchte, die einst zu höchster Glückseligkeit führend eine Herzensangelegenheit waren, umso mehr litt Ilka unter Eifersucht, die sie nicht überwinden konnte, denn ob Heiko Überstunden machte oder mit Kollegen auf einen Abstecher in die Dulsbergkneipe ging, ob er mit seinen Stammbrüdern bis in alle Herrgottsfrühe die Zeit todschlug oder eine seiner Bekannten aus belanglosen Gründen zu Hause anrief, in einer Tour machte Ilka ihm Szenen.
Erst die entscheidende Aussprache, die zu der Überlegung führte, daß möglicherweise ein Kind ihre Ehe retten könnte, versöhnte das junge Paar. Ilka setzte die Pille ab und war bald guter Hoffnung.
Heiko veränderte sich wie Tag und Nacht. Er griff, wann immer er es für nötig hielt, Ilka unter die Arme und umhegte sie, häuslicher denn je geworden, fürsorglich. Eine unheilverkündende Vorahnung sagte Ilka, daß Heiko nicht auf Dauer der liebende Gatte bleiben würde, und das rührte davon her, daß es für ihn feststand, daß nur!, und zwar nur ein Stammhaltergeboren werde; und der Niederkunft bang entgegen sehend, wurde Ilka immer einsilbiger. Diese ihre Wortkargheit nahm Heiko der einfachhalber als normale Folge einer werdenden Mutter hin und gab sich erst recht jede erdenkliche Mühe, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Nebenbei zerbrach er sich den Kopf nach einem gebührenden Namen für den Sohn von seinem Fleisch und Blut. Auf der Arbeit prahlte er über sein  Prachtexemplar, das er in wenigen Monaten haben würde, dermaßen euphorisch, daß kein Mensch mit der Aussicht auf eine Tochter ihm anbeikommen konnte.
Ja, und das Ende vom Lied?
Heiko, der sich, nachdem Mutter und Kind nach einer schweren Entbindung mit Kaiserschnitt außer Lebensgefahr waren, seinem Sohnemann als Papa präsentieren wollte, würdigte die Tochter nicht eines Blickes. Und ohne zu Ilka gegangen zu sein, ersäufte er noch in derselben Nacht sein sich einredendes männliches Versagen in Schnaps und Bier.
Es war das den Mutterfreuden zuzuschreiben, daß Ilka den Schmerz ihres verletzten Feingefühls heimlich, still und leise ins Kissen weinte... Ihrer Familie –der Vater war extra aus Berlin gekommen– führte sie eine schauspielerische Glanzleistung vor. Sie schwindelte das Blaue vom Himmel herunter, wie beispielsweise, daß der auffallend farbenprächtige Blumenstrauß, der von der ehemaligen Arbeitskollegin war, von Heiko sei, der angeblich sein Glück über die Vaterschaft kaum fassen könne.
Nun, die Eltern waren zu täuschen, wohingegen Stefan das selbstquälende Lächeln seiner Schwester durchschaute. Geduldig wartete er ab, bis er mit ihr allein war, und sprach sie dann direkt darauf an.
Und endlich!!!
Der Kraftstrom der Bruderliebe erfaßte Ilkas Herz. Schluchzend redete sie sich den Kummer von der Seele und beichtete abschließend, von Stefan tröstend in die Arme genommen: „Was soll ich bloß machen? Ich liebe ihn trotz allem.”
„Wart ’s ab!”, gab Stefan den Rat, trotz seiner Antipathie gegen Heiko. „Wenn du zu Hause bist, wird Heiko sich bestimmt mit Nicole abfinden und sie in sein Herz schließen.” ....., dieses rechte Wort zur rechten Zeit wirkte Wunder!
Geistig gestärkt und zuversichtlich in die Zukunft sehend, schöpfte Ilka seither ihren Lebensmut aus der Quelle dieser Hoffnung: Heiko würde ihr gemeinsames Töchterchen liebgewinnen und gewisse Nächte nicht außerhalb verbringen.

Leider war Heiko wie die meisten Menschen, die nicht einsehen wollen, daß man nur aus Fehlern klug wird.
Alles andere!, nur nicht das war von Heiko, der von jetzt auf nachher lebte, zu erwarten. (GOTT SEI DANK, daß der Zauber des Älterwerden in dieser Wahrheit ruht: im Vorankommen und Wachsen zur wahren menschlichen Größe ist es unumgänglich und erforderlich, ab und an zurückzusehen; nämlich so wie ein Juwel in weit zurückgelegter Vergangenheit nichts weiter war als „wertloses” Gestein und Geröll, so auch nur !kann! nach diesem Prinzip ein jeder Mensch aus der eigenen Vergangenheit heraus zu einem Juwel werden. Die uneingeschränkte Voraussetzung ist diese: WEISHEIT BEGINNT DA, WO MAN DURCH DIE LEBENSERFAHRUNG ERKENNT, DASS EIN JEDEN EIN VON GOTT VORBESTIMMTES, TODSICHER EINTREFFENDES SCHICKSAL -PRÃœFUNGEN- WIDERFÄHRT).

3. Auszug: ROMANO UND STEFAN WERDEN HEIMLICH FREUNDE

Zwei Wochen bereits kündete die blühende Pflanzenwelt einen vielversprechenden Sommer an und den Menschen standen die Schweißperlen schon vormittags auf der Stirn.
Kaum, daß ein frisches Lüftchen wehte, zugezogene Stores und Jalousien konnten die unerbittliche Wärme in Wohnungen,Arbeitsräumen und Büros nicht außer Gefecht setzen, und sperrangelweites Aufreißen von Tür und Tor erzielte keinen Durchzug. Träge und wie erschlagen waren Mensch und Tier in Stadt und Land der schwülen Sphäre ausgeliefert, und Petrus kam dem allgemein fluchenden Gesuch, des Himmels Wasserhähne aufzudrehen, nicht nach.
Berufstätige, die mit dem Wagen unterwegs waren, fuhrenjedwede Abkürzung, um schleunigst wieder aus der rollenden Sauna zu kommen, barfüßig spielende Kinder vermieden das Laufen auf sandigen oder gepflasterten Gehsteigen, die heiß wie glühende Elektroplatten waren, Arbeitslose, Urlauber und Arbeiter, die schon oder noch Freizeit hatten, bevölkerten die im Umkreis liegenden Seen und Freibäder, und außer, daß Nachbarn oder Bekannte bei dringenden Besorgungen auf der Straße sich begegneten und nur als unbedingt nötig mit einemkurzen Plausch sich aufhielten, schien alles wie ausgestorben zu sein.
Romano, der Hermann (ihn nehme ich später sorgfältig unter die Lupe) einen Besuch abgestattet hatte, trat aus dem relativ kühlen Hausflur ins Freie, und gerade kalt geduscht, nahm er die Hitze erhaben hin.
Einen Zeitaufschub konnte er sich keinen mehr leisten, denn Andrea und die Kameraden warteten auf ihn im Dulsbergbad. Und im Dauerlauf dorthin, trocknete die Sonne seine kurzgekräuselten, schwarzen Haare, von denen die Wassertropfen über seine Stirn, seine buschigen Brauen, und um seine braunen, temperamentvollen Augen liefen, seine länglich-schmale Nase kitzelten, und in seinem pubertären Schnurrbart über seinem breiten Mund strandeten. Einige Wassertropfen, die von den Schläfen und Wangen herkamen, sog Romano mit den Lippen auf, und die restlichen über sein gebräuntes Gesicht laufenden Wassertropfen bis hin zu seinem edlen Hals und seinen appollinischen Schultern saugten sich in sein weites T-Shirt, das andeutend zu erkennen gab, was für ein herrliches, stattliches „V” es verbarg. Und ebenso tarnte eine weite und geflickte Jeans einen klein-rund-wohlgeformten Po und kräftige Beine.
Eine verkehrsreiche Straße veranlaßte Romano zu warten; und im Begriff, sie zu überqueren, sah er ihn... Auf dem gegenüberliegenden Trottoir ging Stefan und –Romano rief nach ihm. Aber! Was wollte er von ihm? Und überhaupt! Was hatte ihm den Kopf verdreht, ausgerechnet nach dem Schwulen zu rufen?
Und Stefan, der gerade die Absicht hatte, seine Schwester zu besuchen? Der war nicht minder erstaunt! Was wohl wollte der Junge von ihm, der vor kurzem im Park freundschaftlich Fairneß bewies?
Und sich gegenüberstehend, stellte Stefan über Romanos Frage, nach seinem Vorhaben, die Gegenfrage, warum er das wissen wolle.
„Weil ich ins Kino geh’,” antwortete Romano und wunderte sich selbst über diesen instinktiven Einfall. „Allein macht ’s mir keinen Spaß, deshalb dacht’ ich mir, dich zu fragen, ob du Bock drauf hast, mitzukommen,” schlug er vor und fühlte sich –Andrea und die Kameraden waren vergessen– recht wohl, Stefan so nahe bei sich zu haben.
„Ich habe kein Geld bei mir,” gab Stefan zu bedenken und gestand sich ein, daß es ungünstig war, immer mit leeren Taschen aus dem Haus zu gehen. „Wenn du...,” begann er, stoppte mitten im Satz, und fragte nach dem Namen seines Gegenüberstehenden.
„Romano,” antwortete dieser. „Aber Roman reicht. Das „O” am Schluß lassen alle unter ’n Tisch fallen.”
„Ich finde deinen Namen im Ganzen schöner,” äußerte Stefan geradeheraus und kam auf den abgebrochenen Satz zurück. „Wenn du auf mich warten willst, leihe ich mir auf die Schnelle etwas Geld von meiner Schwester.” „Einmal nicht allein sein,” dachte er nebenbei, „das wäre echt toll.”
„Laß’ mal!” Romano wies Stefans Vorschlag ab. „Ich lad’ dich heut’ einfach ein. Wenn du mir nichts schuldig bleiben willst, hab’ ich halt einmal Kino gut bei dir. Weißt Bescheid!?”
„Okay!” Stefan ließ darauf sich ein und fällte Punktum das Urteil, daß Romano ein außergewöhnlich netter Junge ist. „Wer weiß,” dachte er, „vielleicht werden wir Freunde.”
„Paß bitte mit auf, daß ich mich pünktlich zu Haus’ blicken laß,” bat Romano Stefan, bevor er sich mit ihm wie ewig und drei Tage bekannt ins erste Abenteuer stürzte. „Wie jeden Tag muß ich auch heut’ ab sechs Uhr meine Geschwister Babysitten, weil meine Alte zur Maloche geht. ’n anderes Mal  ziehen wir halt erst gegen Abend los, dann kann ich länger wegbleiben. Das merkt mein Alter nämlich nicht, weil er bis Mitternacht immer abgefüllt is’. Deshalb gibt mir auch meine Alte, wenn sie ’s ganz besonders gut mit mir meint, schon mal Schlüssel mit. Das nutz’  ich dann jedesmal bis zum Frühtau zu Berge aus,”  ... und während Romano redete und redete hing Stefan auf seinen Lippen und hörte gebannt zu.

Den Treffpunkt für das zweite Abenteuer legte Romano im Bahnhofsgebäude  Altona fest. Sehnsüchtig darauf harrend, konnte Stefan auf Romanos eindringlichen Bitte hin, ihn unter keinen Umständen vor versammelter Mannschaft kennen zu dürfen, sich zwar keinen rechten Reim daraus machen, gab jedoch ihrer beginnenden Freundschaft einen geheimnisvollen Reiz.
Und beim Zusammensein wurde Stefan gepackt von der Unternehmungslust Romanos, der sich mitreißen ließ von dem lebhaften Menschenstrom der Fußgängerzone; und es nahmen sich die Freunde im Durchstreifen der Kaufhäuser und Boutiquen gegenseitig auf die Schippe; durch Ladenpassagen und Seitenstraßen jagten sie sich foppend und grölend; und blieben sie vor diesem und jenem Schaufenster stehen, geriet besonders Romano, angetan von der Mode oder Videorecordern oder Stereoanlagen oder Computerneuheiten, ins Schwärmen. Über unmöglich aussehende Leute amüsierten sie sich königlich; eine Weile schlossen sie sich einer Menschenmenge an , die einem Straßenmusiker zuhörte; und einmal konnten sie sich vor lauter Lachen über einen Witz gerade noch den Bauch halten. Durst löschten sie mit Cola und Eiscreme, als Zwischenmahlzeit aßen sie eine Brezel, und etwas später stillten sie in einem Imbiß mit dem Üblichen ihren großen Hunger. In einer Spielhalle stellten sie sich am Flipper einem Zweikampf, aus dem Romano als Meister hervorging; aber beim Erzählen über die eigene Person hatte er einen geduldigen Zuhörer in Stefan. Seine drei jüngeren Geschwister, die liebte Romano abgöttisch, und von seiner Mutter, die seiner Meinung nach viel zu viel arbeitete, hatte er nur Gutes zu berichten. Dagegen hielt er seinen Vater für eine absolute Niete. Der, seit einem dreiviertel Jahr arbeitslos, fand nicht sich damit ab, für den Lebensunterhalt der Familie nicht mehr allein aufkommen zu können, darum betrank er sich Abend für Abend ohne im Klaren sich darüber zu sein, daß seine Trinksucht den größten Teil des Arbeitslosengeldes schluckte, und von einer Flasche zur anderen wurde er unausstehlicher, sehr zum Leidwesen Romanos, da er angestaute Aggressionen (wie sollte es auch anders sein?) zumeist am Ältesten abbaute.
„Ich schwör’ s dir,” fluchte Romano, während er, um Stefan die blauen Flecken auf dem Rücken zu zeigen, das T-Shirt über seinen Kopf zog, „umsonst hat mich der Alte nicht verdroschen. Wenn ich groß und stärker bin als er, schlag’ ich ihn ’s nächste Mal krankenhausreif.”
Stefan schauderte es! Und Romano? Der lachte und rief: „Hej, wer wird den gleich in die Luft gehen? Greif’ lieber zum BH, dann geht alles wie von selbst.” Er klopfte seinem neuen Freund auf die Schulter und gab ihm zu verstehen, nicht alles so tierisch ernst zu nehmen, was er von sich gäbe. Fest stand allerdings dies: Heiraten würde er niemals!, das nämlich setze voraus, so zu werden und zu enden wie seine Eltern. O nein! Es war sein mahnendes Beispiel dies: daß Erwachsene sich Kinder nur deshalb anschaffen, um für ihre Launen einen Blitzableiter zu haben.
Weiter kam Romano mit dieser seiner Jugend-Philosophie nicht; wollte er keine Tracht Prügel wegen Unpünktlichkeit beziehen, mußte er unversehens die Stunden mit Stefan abbrechen.

Das nächste Mal –Romano war an der Reihe, auszugeben– bummelten die Freunde erst durch die Innenstadt, bevor sie ins Kino gingen. Nachher kehrten sie im Mc’ Donalds ein, wo jeder drei Hamburger verdrückte und ein Milchshake dazu trank. Schließlich spazierten sie zu den Landungsbrücken und Romano belehrte Stefan über die an ihnen vorbeisausenden Autos und zeigte ihm den Traumwagen, den er sich von seinem ersten eigenen Verdienst würde kaufen wollte.
Auf dem Kai liefen sie eine Zeitlang stumm nebeneinander her. Die Hafenluft stieg ihnen gehörig in die Nase, und dem Treiben in der Fahrwasserrinne und dem drumherum zusehend, leuchtete Fernweh in ihren Augen: von einem Frachtschiff, das angelegt hatte, gingen vier Matrosen an Land, die einer Mädchengruppe nachriefen oder nachpfiffen, aus der eine ihnen den Vogel zeigte, aber andere den Seemännern wohlgesinnt waren und lachten und flirteten; Touristen, die auf einer Barkasse eine Hafenrundfahrt machten, winkten den Menschen, die den direkten Kontakt mit der unruhigen See scheuten, fröhlich zu; eine Fähre drehte bei, Arbeiter legten eine Brotzeit ein..., und plötzlich holte Romano tief Luft. Sein Sprechen offenbarte mit jedem Wort seine tiefliegende Sehnsucht, frei vom Elternhaus zu sein. „Weißt du, Stefan, ich beneide dich. In ’n paar Wochen läßt du den ganzen Rotz von Dulsberg hinter dir und keiner kann dir mehr an die Füße fassen. Nachts kannst du wegbleiben, so lange du Bock hast. Niemand mehr schreibt dir vor, wann du zum Essen da sein mußt. Mann!! Das muß echt geil sein, nie mehr sich rechtfertigen müssen. Und kein Arsch fragt dich, wo du dich ’rumgetrieben hast. Echt du, in Berlin kannst du machen, worauf du Bock hast.”
„Mensch,” entgegnete Stefan ohne mit der Wimper zu zucken. „In einem Jahr gibst du der Penne ’n Tritt in den Hintern. Mal Hand aufs Herz, Romano? Was liegt dann näher, als daß du zu mir ziehst? Das ist doch logisch. Oder was? Und daß es dir bis dahin nicht zu lange wird, kommst du ganz einfach in den Ferien zu mir. Ich sag ’s dir, Romano: oberaffengeil wird es, wenn wir die Straßen Berlins unsicher machen. Weißt Bescheid!? So wie richtige Freunde, die nichts aufeinander kommen lassen.”
„Wou!”, rief Romano hellauf begeistert. Und es kam das aus der Tiefe seiner Seele, als er wie selbstverständlich sich bei ihm unterhakte. „Du bist Spitze, Stefan. Weißt Bescheid!? Und das, was ich jetzt sag’, das is’ mein voller Ernst: von all’ meinen Freunden, die ich bisher hatte, bist du der Richtige. Echt du! Mir kommt das vor mit uns wie gesucht und gefunden.”
Diese letzten Worte waren aus der Reinheit seines Herzens entsprungen und dazu bewegt worden, ausgesprochen zu werden, denn hätte es die Gelegenheit zugelassen, vorher darüber nachzudenken, so hätte Romano wohl niemals sich derart intim geäußert.

DER  WERT  IHRER  FREUNDSCHAFT  WUCHS!!! Wenn es um die Ausgaben ihrer Unternehmungen ging, griff derjenige in die Tasche, der gerade flüssig war.
Eines nachmittags setzten die Freunde bequem sich ans Ufer der Alster und sahen dem Leben ringsumher zu: Jugendliche veranstalteten ein Turnier, indem sie flache Steinchen über die Wasseroberfläche warfen, und der, dessen Steinchen am häufigsten hüpfte, bekam die beste Note; etliche Kinder, mit oder ohne Beaufsichtigung Erwachsener, spielten Fangen oder Verstecken; auf der Alster waren Hobbysegler zugange; unfern der Hauptstraße ruhten am Wegesrand auf Bänken ältere Menschen aus; da und dort schmuste ein Liebespärchen. Und allgemein beglückt von dem strahlenden Wetter, ließ man den lieben Gott „einen guten Mann” sein.
Eine Zeitlang saßen die Freunde schweigend und im Gleichklang der Seelen nebeneinander, bis Romano es nicht mehr aushielt und –wohl kaum bewußt– mit einem geistigen Vorschlaghammer Stefan aus seinen Gedanken riß, mit dieser ihn quälenden Frage: „Is’ dir eigentlich bekannt, daß in der Penne behauptet wird: du bist schwul?”
„Was?” Stefan glaubte verhört sich zu haben. „Wer hat denn diesen Schwachsinn verbreitet?”, wollte er wissen.
„Was weiß ich,” entgegnete Romano etwas gereizt, da er sich angegriffen fühlte. „Wenn ich das wüßt’, hätt’  ich dich bestimmt nicht danach gefragt.”
„Das ist mir völlig schleierhaft,” äußerte Stefan, bemüht, unbedingt sachlich zu bleiben, und nur ja auch seine Verwirrtheit in Ordnung zu bringen; und trotzdem er es paradox fand, auf eine Lüge hin sich verteidigen zu müssen, tat er dies einzig und allein der Freundschaft Romanos zuliebe. „Das liegt doch auf der Hand,” meinte er und suchte nach den richtigen Worte. „Bestimmt wurde diese Räuberpistole in Umlauf gesetzt nur um mir eins auszuwischen. Ich schließe mich nämlich keinem Treffen der Schulkameraden außerhalb der Penne an. Laß’ mal, ich ziehe ja bald weg. Es kann mir also egal sein, was über mich zusammengelogen wird. Mir ist das keinen Pfifferling wert, die in der Penne vom Gegenteil zu überzeugen. Weißt Bescheid, Romano? Dulsberg kann man so und so abschreiben. Du hast es ja höchstpersönlich erlebt, als mich vor einigen Wochen eine Bande überfiel. Wenn du mich nicht in Schutz genommen hättest, wäre ich nicht so glimpflich davon gekommen. Wer weiß, was die mit mir gemacht hätten! Erst vor kurzem, da überredete mich meine Mutter, ins H.d.J. zu gehen, und was sag’ ich dir: derselbe Streithammel aus dem Park hat Zoff mit mir angefangen, und das wegen einem Mädchen, von dem ich rein gar nichts wollte.
Ne du! Die aus Dulsberg können mir alle gestohlen bleiben, ausgenommen du, Romano, das weißt du ja! –Oder?” Bang sah Stefan Romano in die Augen.
„Is’ doch klar, Alter!”, antwortete dieser wirklich aufrichtig, dabei jedoch den Blick zu Boden gesenkt. Um Haaresbreite hätte er sich auf die Zunge gebissen; und er schämte sich. Den Vorfall zwischen Torsten und Stefan auf dem Kerbholz zu haben setzte ihm so mächtig zu, daß er sich vornahm, das wieder gut zu machen. Wie und wann? Nun, das mußte abzuwarten sein... Erleichtert versetzte er Stefan einen Freundschaftsstoß in die Rippen und versicherte ihm: „Von mir aus können die andern über dich behaupten, was sie wollen! Hauptsache is’, daß du mein Freund bist! Und ich deiner! Oder was?”
„Na ja,” entgegnete dieser keineswegs überzeugt und sprach aus, was manchmal ihm schon auf der Zunge gelegen hatte. „Ich frage mich, warum du nicht willst, daß uns jemand zusammen in Dulsberg sieht.”
„Dann würden alle erst recht glauben, du bist schwul!”, stellte Romano treffend und ehrlich fest. „Du hängst doch immer bloß mit mir zusammen.”
Dem konnte Stefan getrost zustimmen. Somit war dieses heikle Thema vom Tisch. Vorerst jedenfalls!
In der folgenden Nacht konnte Stefan lange nicht einschlafen; seine angebliche Homosexualität gab ihm zu denken. Nie vorher waren ihm diesbezüglich Bedenken aufgetreten. Zwar sah er ein, mit seiner Stubenhockerei den Schulkameraden Fragen aufgeworfen zu haben, dennoch wußte er: auch weiterhin würde er mit ihnen die Zeit nicht todschlagen können. Wo die sich wohlfühlten fühlte er sich noch lange nicht wohl. Aber! Warum in aller Welt war es gerade die Freundschaft mit Romano, die seinen Gefühlen zusagte? Warum in aller Welt hatte seither das Leben seinen Sinn bekommen? Und warum in aller Welt macht  g e r a d e  d i e s e r  S i n n sein Dasein wertvoll?

Fragen über Fragen!
Forderten sie, sich den Kopf darüber zu zerbrechen? Er kam doch bestens zurecht mit dem weiblichen Geschlecht. Siehe: Mutter und Schwester. 1 A war das Auskommen mit ihnen! Also: es war alles im Lot. Vom Grübeln genug, drehte Stefan sich zur Seite und lächelte. Obwohl schläfrig geworden, führte er mit Romano noch ein Selbstgespräch und fand keine logische Erklärung, als sein Glied stand. Das –so redete er es sich zumindest ein– konnte unmöglich etwas mit seinem Freund zu tun haben; und auf einmal tat es ihm leid, daß er bald wegziehen würde.

4. Auszug: ROMANO, WAS SO ALLES GESCHIEHT

Jeweils nach Schulschluß und Mittagessen kam Romano mit Stefan zusammen, und ab 18 Uhr war er für seinen kleinen Bruder Josef und die in diesem Jahr schulpflichtig gewordenen Zwillingen Magda und Irene da. Die Freundschaft Stefans hatte ihm die Befürchtung genommen, etwas versäumen zu können, so die Kameraden ohne ihn die Straßen Dulsbergs unsicher machen, und wenn er in blühender Phantasie abwechslungsreiche Spiele mit seinen Geschwistern erfand, übertraf er sich oft selbst. War dann sogar der Vater, den Radau störte, nicht anwesend, kam es vor, daß die gesamte Wohnung zu einer stattlichen Burg wurde, in der Prinzessin Magda-reizend lebte, die von Glanz und Gloria umgeben Tag und Nacht mit Güte und Gerechtigkeit ihre Untergebenen regierte, und hätte sie keine so große Furcht vor dem –wie es hieß– schrecklichsten Ungeheuer aller Zeiten gehabt, es wäre Prinzessin Magda-reizends Leben stets eitel Sonnenschein gewesen.
Klar wie Kloßbrühe ist, daß Prinzessin Magda-reizend von ihrer Furcht frei werden wollte, alsodann sandte sie über die Grenzen ihres Reiches hinaus Leibeigene, die ihr den guten Zauberer Romano-Alleswisser finden und bringen sollten.
Tatsächlich hätte rein das Wissen der Wahrheit Prinzessin Magda-reizend die Furcht genommen, denn in Wirklichkeit war das Ungeheuer kein anderer als der verzauberte, einst zu allem entschlossene Prinz Josef der Mutige. (Für die Rolle des Ungeheuer verpackte Romano den Cockerspaniel, der mit treuem Hundblick fragte, was das solle, in eine Unterhose).
Also: es war einmal vor abertausenden von Jahren, daß Prinz Josef der Mutige Irene-wunderschön liebte, die die Tochter einer bitterbösen, gemeingefährlichen Hexe war, die dem Liebes-Geheimnis der zwei auf die Schliche kam.
Im Gegensatz der eifersüchtigen, ungeliebten Mutter war Irene-wunderschön logischerweise gerecht; und selbstverständlich stand Ehrlichkeit bei ihr an erster Stelle.
Um –von ihrer Gesinnung ausgehend– die daneben geratene Tochter zu demütigen und an ihre abgrundschlechte Herkunft zu appellieren, verwandelte die Mutter den Prinzen in das Ungeheuer und verbannte ihn in die Grotte der Einsamkeit mit dem ausgeklügelten Fluch, daß ausschließlich der Kuß einer waschechten Prinzessin, die so gut sein müsse wie ihre Tochter, ihn erlösen könne.
In der Hoffnung, eine maßgeschneiderte Prinzessin gäbe es niemals, verwandelte sie sich für alle Fälle in eine Katze und hielt –Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste– seit jener Urzeit vor dem Grotteneingang Wache.
Fauchend und von Möbelstück zu Möbelstück springend –im Reiche der Prinzessin Magda-reizend natürlich von Felsbrocken zu Felsbrocken– machte der verwandelten Hexe die Sorge zu schaffen, daß der Zauberer Romano-Alleswisser gefunden werden könnte, trotz ihrer schwarzen Magiekunst, mit der sie den Suchern raffiniert Fallen stellte. Aber der Zauberer Romano-Alleswisser konnte mit seiner weißen Magiekunst die gemeingefährliche, bitterböse Hexe überlisten und Prinzessin Magda-reizend die Wahrheit offenbaren; prompt erkannte die Prinzessin, daß sie die wiedergeborene Irene-wunderschön war.
Grenzenlos glücklich küßte sie das Ungeheuer, das nicht so recht gewillt war, sich küssen zu lassen, und abra kadabra: Prinz Josef der Mutige stand in seidener Tischdeckenpracht für immer und ewig erlöst vor ihr, und mit Chips oder Keksen, mit Coke oder Milch wurde prächtig ausgestattet Hochzeit gefeiert.
Mehr Spaß brachte dem Cockerspaniel und der Katze jenes Spiel, zu dem die Geschwister Bettücher überzogen und so als Gespenster das Ungeheuer und die Hexe aus dem Burggemäuer vertrieben; ein anderes Mal schickte Romano jeden in ein Zimmer, aus dem ein eigenes Reich entstand, das geschah mit Bindfaden, der kreuz und quer an Schrank, Bett, Tisch, Stuhl u.s.w. festgebunden wurde, um sogenannte Länder herzustellen, und wer die meisten vorweisen konnte hatte gewonnen.

Kam schließlich von der zweistündigen Raumpflegearbeit die Mutter heim, hatte Romano offiziell noch Ausgang bis 22 Uhr, woran er sich kaum hielt, denn mit den Kameraden, die er seit der Freundschaft mit Stefan  „sträflich” vernachlässigte, und Ulrike zusammen, wurden Streiche ausgeheckt oder auf dem Platz, beim Haus der Jugend, Fußball gespielt; und war gelegentlich Andrea dabei, legte Romano auffällig sich ins Geschirr, ihr zu imponieren, besonders wenn ihre Eltern außer Haus waren oder Markos Mutter, die beim HVV (Hamburger Verkehrsverbund) arbeitete, Nachtschicht hatte, weil alle Mann unter einen Dach schön tun und lassen konnten, was beliebte; dann und wann schlossen sie sich jugendlichen Herumtreibern an und gingen mit zu Opa, bei dem sie in jedem Fall ernst genommen wurden und mit den dort Ansässigen das losmachten, was nicht angebunden...
Opa war ein rüstiger, aufgeschlossener Mensch, der vier Jahre zuvor seine Lebensgefährtin verlor. Von den Normalsterblichen nicht sich abgekapselt, setzte er sein väterliches Herz, soweit es noch in seinen Kräften lag, für verfolgte Kriminelle ein, so daß  bei ihm in der Norm bis zu 50 Jahren Zuchthaus Unterschlupf fanden. Demnach sah seine Wohnung aus wie Kraut und Rüben, und ihre Eingangstür war so oft schon aufgebrochen und provisorisch repariert worden, daß am Abend ein Dielenschränkchen oder ein ähnliches Möbelstück dagegengestellt wurde, was selten genug vorkam, nämlich während Saufgelagen und losen Feiern mit Bräuten gingen die ganze Nacht durch Hans und Franz ein und aus; und wollten Polizisten Verdächtige und Gesuchte oder Häftlinge, die Urlaub auf Ehrenwort nicht eingehalten hatten, verhaften, ging das nie ohne Gewalt zu.

Weil der Vater wieder einmal Frust und Selbstmitleid vor der laufenden Mattscheibe ersäufte, waren für Romano, in dem Bemühen, die Geschwister leise zu unterhalten, die Stunden quälend langweilig vergangen. Nun, die Kleinen verpflegt und zu Bett gebracht, strahlte er, daß die Mutter heimkam; und sie ging, von den Kleinen wie im Chor gerufen, gleich rechts vom Korridor ab ins eheliche Schlafzimmer. In diesem, wo überall winzige Türme von Wäsche nimmer die gebrauchte von der gewaschenen auseinanderhalten konnten, lagen die Mädchen, denen die Mutter mit einem Kuß eine Gute Nacht wünschte.
Daraufhin ging sie links ab des Korridors, dessen Abbiegung in den verschlossenen Wohnraum führte, wo dem Gatten alles den Buckel runterrutschte, zu Josef rechts rein ins Kinderzimmer, des Jüngsten und Ältesten Reich, demgegenüber das Bad mit dem WC lag; der Korridor selbst endete einen Schritt weiter zur Küche hinein, in der es wirklich schlimm aussah: das Spülbecken war voll mit benutztem Geschirr, Besteck, Töpfe, Gläser u.m., über dem Steinboden verteilt lag der Inhalt einer zerfetzten Abfalltüte, was ein gemeinsames Werk der Haustiere war, die, nicht stubenrein, an dem unangenehmen Geruch in den Räumen Mitschuld trugen...
Alle Tage in diesem Familienleben war das Bild fehlenden Ordnungssinnes nicht gegeben, allein schon zwingenden Gründen wegen, aber auch, wenn die Mutter den Dreck nicht mehr sehen konnte, dann wurde sie zu einem wahrhaftigen Putzteufel; alle Tage in diesem Familienleben war –traurig aber wahr– der Mangel an Verständnis, Aufmerksamkeit, Feingefühl, ins Herz fließende Liebe, die den „darin ruhenden” GÖTTLICHEN KEIM aufgehen und sich entfalten läßt,... Alltäglichkeit. Das bekam die Mutter wiederholt zu spüren wie eben, daß Josef sie nicht gleich freigab, sondern sich zärtlichkeitsfordernd an sie drückte. Gewohnheitsgemäß ließ die Mutter dies kurz zu, bis sie sich, von dem Kleinen gewohnheitsgemäß freigelassen, aufrichten konnte; und noch ein kurzes, freundliches Wort an den Ältesten gerichtet, ging sie ihrem Mann, der sie kaum beachtete, Gesellschaft leisten.
„Ich geh’ jetzt!”, rief Romano vom Flur aus.
„Kannst du mir eigentlich mal flüstern, was dich so spät noch auf die Straße treibt?”, rief der Vater, aus dem Zentrum seiner miesen Laune heraus, zurück.
„Ganz bestimmt baller ich mir keinen an, wie du versoffenes Loch,” murmelte Romano.
„Was nuschelst du dir zurecht, du falscher Hund?”, schrie der Vater aufgebracht, als habe er jedes Wort verstanden, und im Begriff, seinen Sohn ins Gebet zu nehmen, mischte die Mutter sich ein. „Laß’ den Jungen in Herrgottsnamen in Frieden,” bat sie. Nur weil dir ’ne Laus über die Leber gelaufen is’, mußt du das nicht an ihm auslassen.”
Romano kümmerte sich nicht weiter darum, daß gewohnheitsgemäß ein Grund gefunden war, für einen ordentlichen Ehekrach; und beim Knall der zugeschlagenen Wohnungstür ging ’s gleich zur Sache, indem der Mann die Frau niederbrüllte. „Ich hab ’s dir oft genug gepredigt, deinen Senf gefälligst für dich zu behalten, wenn ich dabei bin, meinen mißratenen Sohn zu erzieh’n! Na, laß’ den bloß nach Haus’ kommen, der wird sein blaues Wunder erleben! Und das sag’ ich dir: dieses Mal hältst du deinen da ’raus. Verstanden?...”...

Die kühle Temperatur war eine Wohltat, weshalb in der Parkallee Dulsbergs Mitternacht noch nicht den Ton angab: auf Baumstümpfen saßen Alkoholiker, die sich mit Korn- und Bierbuddeln zuprosteten und dumme Sprüche an den Kopf warfen; auf dem großen Spielplatz störten die Nachtruhe Heranwachsende, die über das Klettergerüst tobten, und weil sie sich beim Fangen derb zwischen die Beine schlugen, jaulte ständig irgend einer grell vor Schmerz auf, so daß dies aus einiger Entfernung sich anhörte, als werde jemand bestialisch abgestochen; gegen den Zaun gelehnt küßte weltvergessend sich ein Liebespärchen; ein Ehepaar führte seinen Hund Gassi; am Rande von Büschen auf dem Rasen gab sich ein Mädchen, das aus dem Heim geschlichen war, dem bildhübschen Ismail (er kommt später zur Sprache) hin; beim Steinhäuschen unter der „Terrasse” warteten Torsten und Marko, deren auf volle Pulle eingestellter Cassettenrecorder die Umgebung mit Spitzenreiter der gegenwärtig internationalen Hitparade unterhielt; und endlich kam Romano, der bis vor wenigen Minuten mit Andrea zusammen war. Er war so gut drauf, daß der geplante Einbruch ihm keineswegs in den Kram paßte. Nur: er wollte kein Spielverderber sein, und für einen Rückzieher war es eh zu spät, denn Torsten, mit Marko hinterdrein, kam fröhlich auf ihn zu.
„Wie geht ’s, wie steht ’s, Alter?”, fragte er Romano und gab ’nen Joint an ihn weiter.
„Wie er steht?”, wiederholte dieser und antwortete selbstbewußt: „Immer auf Abruf bereit!” Und von der Rolle einen satten Zug genossen, gab er diese Marko, der neugierig wissen wollte, wie sein Rendezvous verlaufen war.
„’s war oberaffengeil, Alter,” gab Romano an. „Ich schwör ’s dir: die is’ bald reif. ’s nächste Mal fleht sie mich hundertpro an, über meinen Hobel springen zu dürfen.”
„Mann, trägst du dick auf,” entgegnete Torsten, der ihn durchschaute. „Deine Alte will längst schon ’ran, bloß du schnallst  das nicht. Oder sie spielt Katz und Maus mit dir und du wirst ewig davon träumen, ’s ihr einmal wenigstens zu besorgen. Mit mir könnt’ keine Alte so ’rumspringen, das glaub’ mal, Alter. Hätt ’s Uli versucht, wär’ sie gar nicht erst bei mir gelandet.”
„Wenn du meinst,” äußerte Romano, die ihn getroffene Beleidigung nicht sich anmerkenlassend. „Hauptsache du hast deinen Durchblick. Die Wahrheit is’ doch, daß du neidisch bist, weil so ’ne geile Alte nicht auf dich abfährt, sondern auf mich.”
„Daß ich nicht lach’,” grölte Torsten lauthals und schlug sich aufs Knie.
„Jetzt macht mal halblang!”, unterbrach Marko die Streithähne; und das war gut so! Die Auseinandersetzung der beiden wäre in Auswuchs geraten, denn in letzter Zeit knisterte es zwischen ihnen und unentwegt mußte Romano eine neue Ausrede finden, weil: sein ungewohnt tägliches Fernbleiben machte die Kameraden mißtrauisch, und besonders Torsten malte den Teufel an die Wand.
„Ihr könnt ja ’n anderes Mal weiter Streiten, jetzt jedenfalls müssen wir zusammenhalten!”, meinte Marko und kam auf den geplanten Bruch zu sprechen.
„Is ’ Gido auf seinem Posten?”, fragte Romano, Torsten weiter nicht beachtend.
„Logo, Alter,” antwortete Marko und strahlte. „Er hat sich rechtzeitig eingenistet. Worauf warten wir also? Los, nehmt eure Beine unter die Arme.” ...

Im letzten Haus des Gravensteinerweges war Gido, der sich mit Werkzeug auf dem Dachboden versteckt gehalten hatte, bis Stille im Treppenhaus einkehrte und gerade dabei, den Riegel aus der Flügeltür zu ziehen, kamen die Kameraden. Und von dem Lichtstrahl ihrer Taschenlampe vorangeführt, machten sie sich an der Wohnungstür der Pragers, die in Urlaub waren, zu schaffen, dabei verursachten ihr mahnendes „Pst!” und Flüstern die Geräusche, die sie besser vermieden hätten, da der Nachbar, Herr Quade, bei Festbeleuchtung Rechnungen und Mahnungen, die seit Wochen in Haus geflattert kamen, von allen Seiten betrachtete. Trotzdem der Kuckuck auf den wertvollsten Einrichtungsgegenständen klebte, glaubte Herr Quade allen Ernstes daran, doch noch aus der Tretmühle seiner momentanen Lage heraus zu kommen. Es fing das alles an, als zum Augenarzt er mußte und nach gründlicher Untersuchung diese Diagnose gestellt bekam: das rechte Auge hatte den Grauen Star. Arbeitsunfähig geschrieben und im Abstand einiger Monate zweimal operiert, bekam Herr Quade kurz nach Wiederaufnahme seiner Arbeit fristlos gekündigt; seither kämpfte er vor dem Arbeitsgericht um seine Rechte.
Geräusche, die zu nachtschlafender Zeit ungewöhnlich waren, brachten Herrn Quade dazu, die Zettelwirtschaft beiseite zu legen!, aufzuhorchen!, und nach einer Weile die Etage durch den Spion zu inspizieren.
Weil der Finsternis wegen nichts auszumachen war, preßte er sein Ohr an die Tür und vernahm ein flüsterndes Stimmengewirr, das abrupt verebbte. Leise trat er ins Treppenhaus und sah durch den schmalen Spalt der aufgebrochenen Tür die Bescherung; und wieder in seiner Wohnung, rief er nach der Polizei.

So wie der Gatte, der nach dem Ehekrach kein Wort mit seiner Frau mehr wechselte, hatte Kristel Martens die Sorge unglückseliger Daseinszustände der Promille überlassen und lag auf der Couch, die einmal rosigere Zeiten gesehen, im Halbschlaf.
Vor der Mattscheibe, die, kein Programm mehr ausstrahlend, nichts als flimmerte, döste mit offenen Augen Erwin Martens vor sich hin; ihn kümmerte des Wohnraums Chaos, das jedesmal von ihm herstammte, überhaupt nicht. Ganz schlimm sah es auf dem demolierten Tisch aus, der voll lag mit einer leeren und zweiten angebrochenen Flasche Korn, unzählig leeren Dosen Bier, leeren bzw. halbvollen Flaschen Sinalco Cola und einem überfüllten Aschenbecher, weshalb Erwin Martens, soweit seine Zielsicherheit noch glückte, die Kippen in Dosen steckte; die „hübschhäßlichen” Brandlöcher der Tischplatte waren das Ergebnis von Blindgängern.
Von der Sucht getrieben, rappelte Erwin Martens sich von einer Seite zur anderen schwankend auf und schüttete in ein abgegriffenes Glas mehr Korn als Cola, dabei verschüttete er einiges und umso mehr, da nun die Hausglocke zwei-, dreimal schellte.
„Mensch, Alte!”, fauchte er, zornig über die Störung.
Kristel Martens schreckte hoch, schwebte in den Wolken und –es schellte.
„Hast du Watte in ’n Ohr’n?”, maulte beleidigend ihr Mann. „Sieh zu, daß du deinen fetten Arsch in Bewegung setzt, und schalt gleich die Kiste aus!”
Verstimmt brummte die vollschlanke Frau, richtete sich, schwerfällig an der Couchlehne abgestützt, auf die Beine, tappte, sich wie zerschlagen fühlend, entlang des Flurs, öffnete die Tür und –was sie sah, verschlug ihr schier die Sprache.
Aus der Mitte von zweier Beamten flehte, „klein mit Hut”, stumm, mit großen, bittenden Augen, Romano seine Mutter an, nicht böse zu sein.
„Ist das Ihr Tunichtgut?”, bat einer der Polizisten um Aufschluß.
Hellwach und den Gedanken inne: es wäre günstiger gewesen, Romano den Schlüssel zu geben, bestätigte Kristel Martens kopfnickend die Frage.
„Wir haben ihn im Gravensteinerweg, beim Einbruch in die Wohnung eines Bürger Namens Prager, festgenommen,” sagte der Polizist. „Und weil Sie telefonisch nicht zu erreichen sind, hielten wir es für angebracht, Ihnen den kriminellen Anhang frei Haus zu liefern.” Den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, tönte aus dem Hintergrund der aufbrausende Schrei: „Was?!”, und stehenden Fußes schloß der Vater –vor den Beamten sich beherrschend– sich der Szene an.
Von den Beamten informiert darüber, daß als Folge der strafbaren Handlung des Sohnes mit Bestimmtheit etwas Nachkommen werde, rang die Mutter sich ein eilig abfertigendes Dankeschön von den Lippen, und die Beamten, Pflicht erfüllt!, entfernten sich. Darauf hatte der Vater nur gespannt, denn nun konnte er sein wahres Gesicht zeigen. Er packte seinen Sohn am Kragen, hieß ihn alles zusammen, und langte derart hart zu, daß Romano in die nächste Ecke flog. Mit dem Kopf gegen die Wand geknallt, schrie Romano schmerzerfüllt auf, hielt die Arme schützend vors Gesicht und biß die Zähne zusammen.
„Um Himmelswillen, Erwin!”, kreischte die Mutter aus voller Kehle. „Du machst alles umso schlimmer, wenn du ihn erschlägst.”
Und instinktiv sich schützend vor ihren Sohn gestellt, flog sie, den nächsten Schlag abgekriegt, ihm hinterher.
„Bitte, Erwin! Hör auf,” flehte sie, gleich einer Löwin, die ihr Junges schützt, und raunte Romano entnervt zu, schleunigst zu Bett zu gehen.

Daß zum zweiten Male an einem Abend seine Frau die Nase in seine Erziehungsmethode gesteckt hatte, veranlaßte Erwin Martens ihr in die Seite zu treten, bevor er zu seiner heimischen Vertrautheit zurücktorkelte. Kristel Martens zitterte am ganzen Leib; und das Herz raste; ihre Nerven aber fanden zur Ruhe, denn: dem Wutanfall des Mannes war Romano entzogen.
Die Tränen aus dem Gesicht wischend und zitternd auf beiden Beinen, begab Kristel Martens sich auf ihren Platz, zündete eine Zigarette sich an, füllte ihr Glas auf und verharrte in Mucksmäuschenstille. Gleichartige Vorfälle hatten sie geprägt, ihren Mann im Abreagierungszustand nicht sich selbst überlassen zu dürfen, sonst ging  die Wände er hoch und setzte die gesamte Familie einem erniedrigenden Affentanz aus; ungeachtet der Tages- oder Nachtzeit. Wollte die Mutter ihren Kindern dies ersparen, mußte sie gezwungenermaßen im Blickfeld des Gatten bleiben und ankündigende Tränen unterdrücken, denn auf das heulende Elend, darauf war er schon gar nicht gut zu sprechen.

„Hat der alte Ochse dich wieder verhauen?”, fragte Josef, aufgewacht von dem Lärm, seinen großen Bruder, der ins Zimmer kam. Um den Kleinen zu beruhigen, log Romano. „Halb so wild, Prinz Josef,” sagte er, drückte eine Hand gegen die schmerzende Beule und blutende Wunde, und kleidete mit der anderen sich aus. „Darf ich dich trösten?”, fragte der Kleine mitleidsbewegt. „Na, komm,” ermunterte Romano den Kleinen. Und unter die Decke gekrochen, streichelte der Kleine behutsam die Wange des Großen, der unwillkürlich an Stefan denken mußte...

5. Auszug: KOPF! HERZ! TRIEB! SUCHEN EINEN NENNER

Für ein überlebendes Glück, das durch den Alltag nicht an Gewicht verliert, gibt es bis heute kein Patentrezept. Und das wird es niemals geben. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied! Fest steht allerdings dies: nur wer von wahrheitsgetreuer Liebe entbrannt, wer von umwälzender Leidenschaft besessen, wer von tiefgreifenden Gefühlen, Sehnsucht und verzehrendem Verlangen nach einem Menschen getrieben wurde, der kann ein Lied davon singen, daß man so jung –oder so alt– ist, wie man sich fühlt! Wer hingegen treuloser Liebe in die Schlinge gegangen ist, wer einem geliebten Menschen bedingungslos vertraut und Schiffbruch erlitten hat, der zieht sich meistens entmutigt zurück, dem Komplex ausgesetzt, ungeeignet zu sein, eine Partnerschaft führen zu können.
Voraussetzungen hierfür bringen Außenseiter und verleumdete Personen mit, und jeder zwischen achtzehn und achtzig, der intensiv mit dem Herz, nicht nämlich mit dem Kopf, nach Bestätigung sucht, liebenswert zu sein. Davor bleibt auch keine Ehe verschont, die nur auf Dauer „gesund” bleibt, so die Partner beständig den Wert der Persönlichkeit gegenseitig zu schätzen wissen. Bleiben sie „nur” der gemeinsamen Kinder zusammen, kann es dazu kommen, daß sie mit den Jahren aneinander vorbeileben.
Ähnlich verhält es sich mit Minderheiten wie homosexuellen Männern, lesbischen Frauen, Bisexuellen, Transexuellen und dergleichen, die zu den üblichtypischen grausamen Spielregeln des Lebens hinzu tagtäglich dem Klischeedenken der allgemeinen Gesellschaft ausgesetzt sind. Um trotzdem bestehen zu können, m ü s s e n  sie –von der Umwelt schließlich aufs Abstellgleis geschoben– einen Sonderkurs „fahren”. (Gerade IHNEN würde Heil bringen ihrer Seele und ihrem Geist die Ahnung –und sei ’s davon ein Minimum– der KARMISCHEN ZUSAMMENHÄNGE, ob im Einzelfall oder im Allgemeinen, weil: keine Veranlagung kommt von ungefähr!)

Es ist das in der Regel so: der, der in Punkto Liebe fortgesetzt der Benachteiligte ist, geht ab irgendwann einzigartige Wege. Bringt dann einmal ein Mensch ihm Offenherzlichkeit entgegen, nimmt er, um den Mensch bloß nicht gleich wieder zu verlieren, Undenkbares in Kauf, denn aus Erfahrung „klug” geworden, glaubt er, daß eine Beziehung, zumindest in seinem Fall, mit Liebe allein nicht zu halten sei. Allerdings: bis es soweit kommt, muß schon eine Menge Wasser den Bach hinuntergelaufen sein.

Einer Minderheit, die der Homosexuellen, gehörte Hermann an. Seine an den Tag gelegte ausgeprägte Sensibilität und Gutmütigkeit war so oft ausgenutzt worden, daß nach und nach er in sein „Schneckenhaus” sich zurückzog; zudem er keinem mit seinem Schicksal vor den Kopf stoßen wollte.
Indem die Firma, in der er sich eine gute Position erarbeitet hatte, zum Inhalt seines Lebens wurde, konnte er die Freizeit mit lesen, Klassik hören und Fernsehen in seiner chicen, gepflegten Wohnung in aller Einsamkeit ertragen.
Viola („sie” ist im 8. Auszug ausführlich charakterisiert), „die”, vom Schicksal hart geprüft, sogar aus dem üblichen Rahmen der Außenseiter fiel, war Hermanns „einzige Freundin”, „die” er gelegentlich besuchte, oder „sie” ihn. Und ab und zu kam auf einen Sprung Romano bei ihm vorbei. Beim Einkauf in einem Lebensmittelgeschäft bekam Hermann mit, wie die Kassiererin, zwar gewissenhaft, doch ziemlich unfreundlich, sich weigerte, Romano Zigaretten zu verkaufen, also kaufte Hermann sie und schenkte sie demonstrativ in Gegenwart der Kassiererin Romano. Der hatte nicht schlecht gestaunt. Das war ungewohnt, daß ein Erwachsener ihm zur Seite stand; und der Einladung, Hermann zu besuchen, tags darauf gefolgt, fand er schnell Gefallen daran, Hahn im Korb zu sein. Unverbindlich gab Hermann ihm manchmal ein kleines Taschengeld; und aufgeblüht durch Romanos jugendliche, unkomplizierte Lebhaftigkeit verliebte er sich in ihn.
In der Silvesternacht wurde seine Sehnsucht erfüllt: Romano gab, wenngleich in Grenzen, sich ihm hin.
Seither verfehlte das, was zu einer tieferen Freundschaft hätte führen können, den Weg; Romano sah in Hermann nichts anderes mehr, als seine Geldquelle. Nur deshalb pflegte er weiterhin den Umgang mit dem Homosexuellen.
Lichterloh entbrannt, nach immerhin einer längeren Durststrecke, fiel Hermanns Vorsatz: das Herz nie mehr an einen „Unwürdigen” zu verlieren! ins Wasser; und den Kopf in Sand gesteckt, sollte er demnächst in die Sackgasse heimtückischer Mißgunst geraten. Das ist eine der Quittungen die man erteilt bekommt, wenn man meinte, die Gefühle ein- für allemal abstellen zu können. Die machen da nicht mit. Und bevor man sich versieht, wird die Furcht vor wiederholten Enttäuschungen einem deshalb zum Fallstrick, weil das Herz sich das, was es braucht, ohne lange zu fackeln, holt; und sei ’s nur das ihm vertraute, einengende Korsett, das fälschlicherweise Liebe man nennt und in Wirklichkeit–„Motor” unerfüllter Sehnsucht- Egoismus ist.

Eines nachmittags hätte Romano Hermann wohl kaum besucht, wäre sein Verfolger ihm aufgefallen, der, kein anderer als Torsten, es endlich genau wissen wollte. Deshalb, hinter einem VW-Bus versteckt, hatte er Romano abgepaßt, war ihm auf Schritt und Tritt gefolgt und konnte –mitgekriegt, in welcher Wohnung verschwunden– es nicht fassen: dieser Schwule, in Dulsberg kein unbeschriebenes Blatt, war Romanos Geheimnis.
Um einiges schlauer, wartete Torsten, auf der Steintreppe im Hausflur sich niedergelassen, ab...
Und dann kam Romano fröhlich die Treppe herunter. Als nächstes verabredet mit Stefan, der das letzte Mal nicht kleinlich ge-wesen war, hatte er sich gerade, so er nicht sich lumpen lassen wollte, bei Hermann über sexuelle Gefühlsschauspielerei fünfzig DM erschwindelt.
Und nun das!
Torsten, eins sich ins Fäustchen lachend, hatte sich ihm in den Weg gestellt. Zum Stehenbleiben gezwungen, wurde Romano, der begriff, daß sein Kamerad hinter seinen Dunkelpunkt gekommen war, weiß wie die Wand.
Schon rauchte sein Kopf! Wie? Wie sich aus dieser prekären  Lage herausreden?
„Na, Alter! Seit wann gehörst du denn dem Bund der Schwulen an?”, fragte Torsten überheblich.
„Den Schwulen angehören?”, plapperte Romano nach wie ein Papagei. „Wie kommst du bloß auf so ’nen Schmarren?”
„Ach komm, Alter!”, drückte Torsten sich triumphierend aus, „du kannst mich nicht vollspinnen. Ich sitz’ hier seit mindestens ’ner Stunde ’rum; so lang’ du bei dem schwulen Knochen warst.”
„Du hast mir also aufgelauert!”, stellte Romano vorwurfsvoll fest, während sie ins Freie traten.
„Und?” Torsten spielte sich auf. „Anders konnt’ ich dir ja schlecht auf die Schliche kommen. Erzähl’ mal! Wie is’ das mit ’nem Schwuli? Hast du ihm oder er dir die Kimme versilbert?”
„Na schön,” gestand Romano, „ich sag ’s dir! Aber halts Maul. Hast du verstanden? Wenn du nämlich Bock hast, Kohle abzuzocken, kannst du demnächst mitkommen. Weißt du, Hermann steht auf Typen wie dich und mich. Und weißt du, der is’ nicht mal so schlecht wie du denkst. Wenn ’s zur Sache kommt, macht er auf Gefühle. Und blasen kann der, ich sag ’s dir. Is ’s dann gelaufen, wick’l ich ihn um ’n kleinen Finger und zock ihm so ’nen halben Blauen aus der Tasche.”
„Ich glaub’, mich tritt ’n Pferd!?”, äußerte Torsten, Bauklötze staunend. „Das is’ ja wie ’n Goldesel streck dich.” Er schien nachzudenken und fand ein Haar in der Suppe. „Das kann ich mir abschminken!”, sagte er enttäuscht. „Wenn Uli dahinter kommt, macht sie hundertpro Schluß mit mir.”
„Ach was!”, meinte Romano beschwichtigend. „Für die Kohle halten wir allemal dicht. Nun gib ’s schon zu, daß ’s ’ne einmalige Gelegenheit is’, an Kohle ’ranzukommen ohne sich die Finger zu verbrennen. Mal ehrlich: weißt du ’was besseres, so leicht an Kohle ’ranzukommen?”
„Na ja!?”, äußerte Torsten, so gesehen zustimmend. „Trotzdem!” Er blieb skeptisch und Romano leuchtete es ein, daß eine harte Nuß zu knacken war.
Ausgerechnet heute! Aber was soll ’s? Es nützte nichts! Wohl oder Ãœbel mußte Torstens Schweigen erkauft, somit Stefan versetzt werden. Er fischte aus der Hosentasche den Geldschein, hielt ihn Torsten unter die Nase und sagte ködernd: „Du kannst es dir in Ruhe durch die Birne gehen lassen, Alter. Wenn du willst, mach’ ich Hermann klar für dich. Und du machst ’n bißchen auf Gefühle und sackst Kohle ein. Jetzt jedenfalls lad’ ich dich ins Kino ein. So als Einstand.”
„Das laß’ ich mir gefallen!”, drückte Torsten sich zufrieden aus, denn was er wollte, das war: ohne sich die Finger zu verbrennen das heiße Eisen aus dem Feuer holen. Von dieser seiner Fähigkeit hatte die Großmutter, bei der er lebte, keine Ahnung, sie nämlich lag von morgens bis abends ihm in den Ohren damit, daß er ein ausgemachter Naivling sei; dabei wußte er, noch nicht mal den Kinderschuhen entwachsen, daß von Nichts nichts kommt.

Den darauffolgenden Vormittag strahlte die Sonne im Wettstreit mit den Schülern aus der Schule „Alter Teichweg”, die keine Schulbank drücken mußten, so sie in Leichtathletik ihr sportliches Können im freien Sportcenter der Königshutterstraße unter Beweis stellten. Demnach wimmelte es da von jungen Menschen, und ihr Rufen und Schreien untereinander übertönte den Lautsprecher, der Mitteilung darüber machte, wo wer sich einzufinden hatte bei den Lehrkräften, von denen jeder die Leitung einer bestimmten Sportart übernommen hatte.
Daß Torsten im Staffellauf lief, war Romano, der ein- und dieselbe Schulbank mit ihm teilte, so recht nach dem Herzen; hinzu kam die Erhörung seines stillen Stoßgebetes gen Himmel – aufgrund einer Änderung stieß Romano zum Weitsprung zu jener Gruppe, der Stefan zugeteilt war; günstiger konnte es wirklich nicht mehr gefügt werden. Und bei gegebener Gelegenheit nahm Romano Stefan zur Seite, entschuldigte sich seiner Versetzung wegen, und verabredete sich, zwecks einer Wiedergutmachung, mit ihm um zwei Uhr.
Eine zentnerschwere Last fiel von Stefans Schultern, da, leichter gedacht als in die Tat umgesetzt, er erhebliche Schwierigkeiten hatte, Romano vor versammelter Mannschaft wie Luft behandeln zu müssen; und auch noch Gespenster gesehen, Romano sei seiner überdrüssig, hatte er es nicht gewagt, um eine Erklärung zu bitten.
Und nun?! Vor lauter Freude, daß dem nicht so ist, hätte er seinen Freund am liebsten umarmt.
„Verdammte Hühnerkacke!”, zischte dieser urplötzlich durch die Zähne.
Stefan folgte seinem Blick und sah gleichfalls Torsten, der angelaufen kam.
„Da müssen wir durch,” stellte Romano fest und kam auf den rettenden Einfall. „Paß auf,” warnte er Stefan vor, „ich remp’l dich an. Verstehst du? So als ob! Sonst merkt die Nervensäge ’was von uns.” Und ausgesprochen, versetzte Romano grob, aber vorsichtig einen Schlag in Stefans Seite, der in den Rasen sich fallen ließ und laut und deutlich den verbündeten Rohling anmachte.
„Mach’ hier nicht ’nen Lauten,” befahl Romano und spielte seine Rolle bestens. „Soll ich dirs Gehirn auspusten? Dann sag’ Bescheid.”
„Da komm’ ich ja grad’ richtig,” meinte Torsten, mit geballten Fäusten angerannt. „Jetzt geht die Post ab.”
„Was geht hier vor sich?”, fragte wie bestellt ein Lehrer, der in das abgekartete Spiel der Freunde sich einmischte und Romano befahl: „Entschuldige dich, du Rüpel! Es ist mir nicht entgangen, daß das absichtlich war.”
„Wie Sie befehlen!?” Romano fügte sich, reichte Stefan die Hand, und bat mit einer außerordentlich hervorragenden Höflichkeit um Verzeihung; allerdings: das Augenzwinkern der Freunde entging sowohl dem Lehrer, als auch Torsten, der Romano zum Drahtzaun lotste und eilig redete: ’„s is’ alles ready, Alter. Ich bin dabei! Ich müßt’ ja vom Affen gebissen sein, wenn ich dem schwulen Knochen nicht wie du die Moneten absahn’.”
„Okay!”, äußerte Romano zufrieden, diese Schlacht zusätzlich gewonnen zu haben. „Ich ruf’ Hermann an. Mal seh’n, wann ’s ihm in ’n Kram paßt, daß du mitkommst.”
„Besser gestern als morgen,” erklärte Torsten und drängte. „Freitagabend muß ich flüssig sein. Ich will für Uli im H.d.J. Kohle springen lassen. Wie war ’s am Nachmittag?”
„Mann, Alter,” stöhnte Romano. „Wart ’s ab.” Es ging ihm zu schnell, und ja schon etwas Besseres vor, versprach er Torsten, eine Notlüge benutzend: „Ich tu, was ich kann, nur heut’ geht ’s beim besten Willen nicht. Meine Alte geht vor der Maloche zum Arzt, also muß ich früher Babysitter spielen. Aber,” –er brachte Torsten vom Thema ab–, „hör zu, Alter: heut’ abend lassen wir Dampf ab! Ich hab’ Pattexverdünner; du weißt ja, Gido und Marko steh’n drauf wie ’ne eins.”
„Ey, Alter, spitzenmäßig,” lobte Torsten Romano und war Feuer und Flamme. „Da lohnt sich ’s echt, ’ne Nummer zu schieben. Ich weiß, daß Markos Alte Nachtschicht hat. Ey, endlich können wir wieder ’mal richtig auf ’n Putz hauen!”
„Das wird ’n Jahrhundertereignis, wenn Andrea mitmacht,” rief Romano hingerissen, „wir feiern ’ne originale Orgie.” Er geriet in Hochstimmung, packte Torsten bei den Schultern, und jauchzte: „Mann, Alter, wir machen den Bär los, darauf kannst du Gift nehmen.”
Nach der Aufwartung bei Hermann und aus Schaden klug geworden, hätte Romano –Stefan auf die Minute genau getroffen– den Kopf darauf wetten können, nicht verfolgt worden zu sein; und auf der Elbe mit der Fähre in den Hamburger Vorort Blankenese geschiffert, „erwartete” die Freunde ein im höchsten Maße Geist und Seele beglückender Nachmittag.
Im traumhaft romantisch gelegenen Blankenese tobten die Freunde durch Parkanlagen, über kreuz und quer und längs verlaufende Pfade, deren wildwachsenden Natur einen von jeden weltlichgeprägten Gedanken und unnützen Alltagssorgen abbringen; und dieses Vergnügen, eingekehrt zuerst in einem nobel eingerichteten Café, daraufhin in eine gemütliche Eisdiele, ließen sie –wie Gott in Frankreich– sich einiges kosten; später kugelten sie einen steilen Abhang, zum Ufer hin, hinab, um daselbst in philosophischtiefgreifender Unterhaltung entlang zu spazieren; und schließlich den Wettergott auf ihrer Seite, sollte dieser Ausflug ihnen ein unvergeßlich, ewig im Herzen aufbewahrter Schatz sein.
Immer im Herzen aufbewahrt sollte den Freunden auch diese Gegebenheit sein: zum Ausruhen niedergelassen, inmitten der Lichtung eines Wäldchen, fragte Stefan Romano, warum er ihm, obwohl sie sich fremd waren, im Dulsbergpark geholfen habe.
„Ganz ehrlich, Stefan,” antwortete Romano, „X-Mal hab’ ich darüber nachgedacht! Von mir aus kannst du mir die Zunge ’rausschneiden oder mich gleich in die Wüste schicken, wenn ich lüg’. Ganz ehrlich, Stefan: ich komm’ nicht drauf! Ob ’s so ’was wie Bestimmung gibt? Ich mein’, daß wir Freunde werden sollten, und daß ’s nur so, wie ’s im Dulsbergpark abging, klappen konnte?”

Jetzt unterwegs, die Kameraden zu treffen, dachte Romano über seine Worte nach, von diesen er mit absoluter Gewißheit hätte schwören können, sie niemals in seiner bisherigen Gedankenwelt so gebraucht zu haben; und wenngleich ihm diese Zusammenstellung nicht unsympathisch war, so wäre er doch gern darauf gekommen, wie es möglich war, etwas auszusprechen in einer Form, die so nie dagewesen war. Hinter dieses Geheimnis (daß solches geschieht) konnte Romano mit seinen jungen Jahren nicht kommen. Es ist das nämlich so, daß die tatsächliche Realität im Leben EINES  JEDEN  MENSCHEN diese ist: jeder hat göttlich-geistige Führungskräfte! Die im Volksmund so genannten Schutzengel und Schutzgeister, die besonders jenen jungen Schützlingen beistehen können, die nicht aufgeben und von keinen und niemanden davon sich abbringen lassen, sich finden zu wollen. Demzufolge kommt es vor, daß in brenzligen Situationen Schutzgeister eingreifen; oder sie helfen, da es ihre wesentliche Aufgabe ist, den Schützling ins eigentliche, persönliche Schicksal zu führen, indem sie so einwirken in die menschlich-sprachliche Gedankenbildung, daß diese mit in Zukünftiges hineinwirkt. Und manchmal kommt es sogar vor, daß Schutzengel ihren Schützling, falls es dringend ist, zum Hineinleben ins eigene Karma, unbedachte Handlungen vollziehen lassen, so daß ein Mensch –im nachhinein– sich selbst nicht mehr versteht; jedoch ist er IN  JEDEM  FALL gut aufgehoben unter der Obhut seiner göttlich-geistigen Führungskräfte.

Romano, dem vor einiger Zeit es nicht einmal lag, über Empfindungen, die auftreten und dahinschwinden, nachzudenken, geschweige über die eigene Persönlichkeit, war zum Üben im Denken gefordert durch Stefan, den er beneidete, weil er sein Taschengeld von den Eltern bekam, wie es unter Gleichaltrigen die Regel ist.
Stefan also brauchte zur Erfüllung finanzieller Träume keinem Homosexuellen Gefühle vorgaukeln. Allerdings, so dachte Romano, sollte er das tun, würde er nichts weiter mit ihm gemein haben wollen. Eine –womöglich ehrliche– Antwort zu finden in Bezug der Frage, wieso Stefan ihm so wichtig geworden war, wurde Romano erspart, da der Ruf nach seinem Namen ihn vom Denken abbrachte.
Freudestrahlend lief Andrea auf ihn zu; und während das Pärchen sich umarmte und küßte, kam, mit Ulrike im Arm, auch Torsten, der bereits einen im Tee hatte. Er gab Romano eine Flasche Bier und drängte, zu Marko aufzubrechen, der mit Gido längst alle Mann erwarte...
Mit fortgeschrittenem Abend waren leere Flaschen achtlos auf dem Boden gelandet und Marko, völlig fertig mit der Welt, hatte in einem Sessel sich eingegraben.
Gido war das totale Gegenteil. Er sprühte Lebensfreude aus, tänzelte mit der über Zimmerlautstärke eingestellten Discomusik, schnitt komische Grimassen, und erzählte einen Witz nach dem anderen, über die nur er lachen konnte; und von Torsten die Plastiktüte mit Pattexverdünner nun bekommen, stülpte er diese pressend über Mund und Nase und sog gierig eine Portion des Giftes in sich.
Gleich so hatte Ulrike vorweg sich vergiftet. Es wurde ihr speiübel, und aufspringend legte sie einen Zahn zu, hin zur Toilette...
Leichenblaß kam sie zurück. Es ging ihr schlecht. Und sie bat Torsten, nach Hause gebracht zu werden.
„Scheiße!”, fluchte der. „Wollten wir nicht Matratzensport  treiben?” „Du denkst immer bloß an das Eine!”, warf Ulrike ihm vor. „Mir is’ hundsmiserabel.”.
„Okay!” Torsten reagierte herzlos. „Geht ’s halt nach dein-em Dickschädel. Nur merk ’s dir: ’s nächste Mal, wenn du Bock hast, schalt’ ich auf stur. Wie du mir, so ich dir! Ich kann ja die Hand zur Faust nehmen. Begriffen? ’s geht auch so: fünf gegen einen.”
„Mit zusammengekniffenen Lippen und Tränen in den Augen drehte Ulrike sich und lief davon.
„Du bist ganz schön vernagelt!”, schrie Torsten ihr hinterher.
„Kannst du nicht warten, bis ich ’nen Glimmstengel zwischen ’n Zähnen hab’? Nur weil du ’nen Tiefpunkt hast, muß meine Pfeife allein flöten. Damit du ’s weißt: ich laß’ mich von dir nicht zum Trottel machen!” Geladen öffnete er per Feuerzeug eine Flasche Bier, angelte aus einer Schachtel, die auf dem Bo-den lag, eine Zigarette, und wünschte neidvoll noch Romano und Andrea, die auf Markus’ Bett miteinander beschäftigt waren, viel Spaß.
„Spielt deine Alte Katz und Maus mit dir?”, lästerte Romano, der es nicht sich verkneifen konnte, diese kürzlich von Torsten ihm zugedachte bissige Bemerkung nun zurückzugeben.
„Ach, leck mich!”, schnauzte Torsten im Gehen...

Gido, dem es langweilig wurde, versuchte Markos Aufmerksamkeit zu wecken, mit der Frage: „Weißt du, wer die drei berühmtesten Frauen Deutschlands sind?” Marko wollte seine Ruhe haben, und das gab er unmißverständlich zum Ausdruck durch tieferes Einrollen in seiner Liegestellung. Also blieb Gido nichts anderes übrig, als die Antwort sich selbst zu geben. „Das weiß doch jedes kleine Kind: Maria Chron, Klara Korn und Beate Uhse.” Daraufhin belästigte er Andrea. „Was is’ flüssiger als flüssig?”
„Du natürlich!”, stieß sie ihm Bescheid. „Du bist nämlich überflüssig, falls dein gestörter Geist rafft, was ich mein’.”
„Is’ mir egal,” meinte Gido. „Genau so wie dem Auto auf der Schnellstraße, das von einem anderen Auto gefragt wird, wer schneller is’ von ihnen.”
„Du merkst echt nichts mehr,” entgegnete Andrea und gab ihren Unmut über die Störung kund. „Hat ’s bei dir noch immer nicht geklingelt, daß du ’ne Biege machen sollst?”
„Dir geht alles am Arsch vorbei!”, schimpfte Gido, und weil Romano ihm mit keiner Silbe zur Seite stand, schnappte er sich die Plastiktüte, machte sich Luft mit: „Ihr könnt mich alle zwei, damit ihr ’s wißt!”, und ging.
„Na endlich,” sagte Andrea und zwängte ihre Hand in Romanos Hose.
„Wollen wir?”, fragte dieser vorsichtshalber.
„Du hängst manchmal auf ’m Schlauch,” behauptete Andrea und nahm ihre Hand aus seiner Hose. „Was glaubst du eigentlich, warum ich hier mit dir liege? Etwa, um auf die Decke zu starren?” Sie wartete nicht weiter ab, sondern zog energisch ihr T-Shirt über den Kopf.
„Wou!”, rief Romano begeistert und bekam Stilaugen. „Du hast ja Titten wie ’n Original.”
„Nicht nur das,” verkündete Andrea aufgeblasen. „Die hängen auch nicht.” Und zum Beweis ihrer Behauptung schüttelte sie sich hin und her.
„Wenn ’s weiter nichts is’,” entgegnete Romano und beeilte sich, die Jeans und die Unterhose auszuziehen. „Siehst du?”, verkündete er nicht minder aufgeblasen. „Mein Hobel steht auch wie ’ne eins.” Und unter der Decke ineinander gekuschelt, bemühte Romano sich, „ein-ganzer-Mann-zu-sein”; jedoch, wie das beim ersten Mal bei den meisten der Fall ist: Romano war zu erregt! Aus seinem sich vorgestellten, sich vorgenommenen Vorspiel wurde ein unkontrolliertes abtasten und kneten und drücken entlang des Körpers Andreas, die, mehr oder weniger bewegungslos, abwartete.
Ãœberzeugt davon, alles im Griff zu haben, fragte Romano frank und frei: „Wie is ’s: Willst du ihn gleich oder sofort in ’n Mund nehmen?”
„Jetzt schlägt ’s dreizehn!”, schimpfte Andrea. „Ich bin doch kein Buschwildröschen vom Kiez.” Ihre Empörung wirkte auf Romanos Selbstsicherheit nachteilig sich aus, so daß er unter der Decke seinen Lümmel bearbeiten mußte.
„Na los, steck’ ihn rein, bevor er restlos abschlafft,” drängte Andrea.
„Okay, Baby,” verkündete Romano und brachte sich spruch-reif in Schwung. „Wie du willst! Dann machen wir ’s halt nach Großvaters Art: einmal ’rein, einmal ’raus, fertig ist der kleine Klaus.”
„Ich merk’ nichts davon,” beschwerte Andrea sich und zündete aus lauter Langeweile eine Zigarette an. Romano holte zur Seite des Bettes eine Flasche Bier, trank einen großen Schluck daraus und erkundigte sich, ob sie es denn lieber zuerst mit dem Finger gemacht haben möchte.
„Ich glaub ’s nicht! Ich glaub ’s einfach nicht,” redete Andrea mit sich selbst. Sie blies den Rauch der Zigarette von sich und bat: „Nun komm’ endlich zur Sache, Schlaffi. Oder kannst du nur mit ’m Maul den Larry losmachen?”
„Na, wart ’s ab, du geiles Stück!” Romano nahm den Mund voll, und zum selbständigen Beweis, mit allen Vorzügen männlich cool zu sein, schwellte er die Brust und versprach: „Gleich hack’ ich dich durch, bis er dir oben ’rauskommt.”
„Du meine Güte,” tadelte Andrea, „Ich wart’ sehnsüchtig darauf!”
Stimmungslos lag sie neben Romano, der schon wieder mithand seinen Lümmel bearbeiten mußte..., Andrea drückte die Zigarette aus..., sie zündete sich eine weitere an..., Romano trank die Flasche Bier leer, steigerte in warme Gedanken sich, indem er in der Phantasie sich Andrea bewies..., auf Sticheleien ihrerseits brachte er große Töne seinerseits..., und so verging eine halbe Ewigkeit!
„Sag’ ’mal, Roman,” meldete Andrea sich beleidigend zu Wort, „bist du nun ’n ganzer Kerl oder nichts anderes, als ein jämmerlicher Waschlappen? Ich hätt’ wohl besser Torsten ’rangelassen. Der hätt ’s mir ganz bestimmt gegeben!”
„Wart ’s doch ab!”, fluchte Romano und wurde zornig, weil: aus gar nicht weit zurückliegenden Tagen hörte er Torsten sagen..., „...Mit mir könnt’ keine Alte so ’rumspringen, das glaub’ mal, Alter. Hätt ’s Uli versucht, wär’ sie gar nicht erst bei mir gelandet.” Der und besser als er?! Ganz durcheinander gekommen und total verlegen, drehte sich Romano der Kopf, und zu allem Ãœbel bekam er auch noch Seitenstechen. Um Himmelswillen, nein! Noch wollte er die Flinte nicht ins Korn werfen. Irgendwie wollte er, irgendwie mußte er es ihr zeigen, daß er ein vollwertiger Mann war. Nur! Andrea gab ihm dazu keine Gelegenheit mehr, denn nun setzte sie sich aufrecht, zündete eine Zigarette sich an und wurde regelrecht gemein. „Ich frag’ mich echt, auf was ich hier eigentlich warte. Mit dir vergeudet man ja nur seine Zeit. Echt du, so ’ne Flasche, wie du eine bist, is’ mir nie zuvor unter die Fittiche gekommen. Du kannst ja nicht ’mal heißen Dampf ablassen. Aber woher sollt’  ich wissen, daß du impotent bist? Oder bist du schwul?”
Aufgebracht schoß Romano aus dem Bett. „Wenn für dich nur alle gleich schwul sind, du blöde Kuh!”, schnauzte er Andrea an, zog gehetzt sich an, und zahlte es ihr mit gleicher Münze zurück. „Für dich wär ’s echt gut, wenn du erst ’mal auf ’m Kiez ’ne Lehre machst, bevor du ’nem Typ mit Klasse wie mir erzählen willst, wie man geil wird.”
„Frag’ doch Marko,” fauchte Andrea, „vielleicht wirst du geil, wenn er dir deinen Schlappschwanz ansaugt, falls der überhaupt jemals das Licht im Stehen erblickt hat. Oder soll ich dir diesen Schwulen holen? Wie hieß der gleich? Ach ja! Stefan.”
Das war zuviel!! Seinen Freund hätte sie besser aus dem Spiel gelassen. Grenzenlose Wut!, abgrundtiefer Haß! stieg in Romano auf, und rücksichtslos –wie von allein geführt– rutschte ihm die Hand aus.
Andreas gellender Aufschrei brachte ihn wieder zur Besinnung. Zitternd vor Aufregung wollte er sich entschuldigen, als sie aufsprang und sich die Hand auf die glühende Wange hielt. Ihre schönen Haare waren zerzaust und ihre Augen blitzten fürchterlich auf. Ihre Lippen wurden ganz schmal. Und die Zähne zeigend, immer lauter werdend, war sie nur noch gräßlich anzusehen. „Ich hab’ also ins Schwarze getroffen! Der schöne Roman is’ vom anderen Ufer! Und jetzt? Jetzt muß ich mich wohl erst entseuchen lassen. Anders werd’ ich ja nie den Gestank deiner schwulen Bettelbretter los.”
Instinktiv hob Romano seinen Arm, der ihm aber nicht gehorchte und zurücksank. Andrea, die dem Schlag ausweichen wollte, knallte mit dem Kopf gegen die Wand. „Das wirst du mir büßen!”, schrie sie auf. „Du primitiver, impotenter Heckenpenner! Ich schwör ’s dir: umsonst hast du mich nicht geschlagen. Das zahl’ ich dir auf Heller und Pfennig heim. Du mieses, hinterhältiges, gemeines, schwules Schwein.” Und schluchzend die Wand entlangrutschend, fiel sie in die Hocke und jammerte...

Romano durchstreifte die Umgebung und hatte kein Zeitempfinden mehr. Er schimpfte vor sich hin, grübelte und verstand  die Welt nicht mehr. Wieso hatte er bei diesem hübschen Mädchen versagt?
Hinzu kam, daß er seiner Verspätung wegen ausgesperrt blieb. Hinter verschlossener Tür zankten sich seine Eltern. „Mach’ dir meinetwegen mal keine Sorgen, Mutter,” hatte er durch die Tür gerufen. „Ich penn’ heut’ nacht bei ’nem Kumpel!”
Jedoch: Alkohol und Drogen lähmen das Gehirn und setzen den Körper schachmatt. Und Romano fror, gähnte in einem fort und sehnte sich nach einem Nachtlager, um die Augen zu schließen und zu vergessen.
Nur, wo???
Sollte er letzten Endes Stefans Angebot in die Tat umsetzen? Jederzeit, so hatte dieser ihm unlängst versichert, sei er bei ihm willkommen. Besonders wenn er Stunk zu Hause habe.
Daß es nicht noch später werde, wollte Romano es wenigstens auf einen Versuch ankommen lassen.

6. Auszug: HIMMELHOCHJAUCHZEND, ZU TODE BETRÃœBT

Im Hinblick auf Nicoles Geburtstag, die sechs Monate jung geworden, war Ilka schon den ganzen Tag dabei gewesen, Vorbereitungen zu treffen, um Heiko zu überraschen. Sie hoffte, daß er, wie versprochen, wenigstens heute Wort hielt. Also nach Feierabend nicht in die Stammkneipe gehen, sondern gleich nach Hause kommen werde. Zum Essen waren Stangenspargel und Neue Kartoffeln gekocht, Sauce Hollandaise fertig gerührt und Steaks gewürzt. Der Tisch war festlich gedeckt. Und das es zwanglos zugehen werde, hatte Ilka zwei Flaschen Wein gekauft. Bei all dem hatte sie natürlich den Hintergedanken, Heiko an die Tochter zu gewöhnen und ihn väterlich zu stimmen, denn bisher hatte er die Kleine mit keiner Herzlichkeit bedacht, geschweige sie einmal auf den Arm genommen.
Sich selbst hübsch zurecht gemacht, betrachtete Ilka nun zärtlich Nicole, die mit dem Däumchen im Mund schlummerte, dabei erinnerte sie sich ihrer Mädchenträume: mühelos schwebte ihr einst die Gründung einer Familie vor. Ein immerwährendes Glück mit dem Mann fürs Leben sah sie durch die rosarote Brille. Und obwohl ihre eigenen Eltern sich trennten war sie felsenfest davon überzeugt, daß ihr das nicht widerfahren werde. Dafür legte sie die Hand ins Feuer.

Ein aufschreckender Knall, der von der Wohnungstür herkam, ließ Ilka Aufatmen. Heiko hatte Wort gehalten!
Hinter sich die Tür schließend, die vom Schlafzimmer in die Küche führte, setzte Ilka die Bratpfanne auf die Herdplatte. Und Heiko kam herein. Sogleich roch er das feine Essen.
„Is’ bei uns der Luxus ausgebrochen?”, fragte er mürrisch, schaute finster drein, schleuderte die Arbeitstasche in eine Ecke und äußerte vulgär: „Ich glaub’, mir rutscht ’n Ei aus der Hose.”
Das klang unheilverkündend!!, aber Ilka ignorierte bewußt seine schlechte Laune und umarmte ihn. Trotz seiner Alkoholfahne, die preisgab, daß er betrunken war, drückte sie Heiko einen Kuß auf den Mund und bat: „Verdirb mir nicht die Ãœberraschung, Schatz. Nicole hat Geburtstag und da dachte ich: man soll die Feste feiern wie sie fallen. Schließlich ist das unsere Tochter wert.”
„Deine Tochter!”, berichtigte Heiko kaltschnäuzig und befreite sich grob aus der liebenden Umarmung seiner Frau. „Is ’s deshalb nötig gewesen, ’n halbes Spezialitätengeschäft aufzukaufen?”, fragte er grimmig, schnupperte und durchbohrte Ilka mit bösem Blick.
Bemüht, ruhig zu bleiben, und unter allen Umständen gewillt, wenigstens diesen Abend zu retten, sagte Ilka: „Schatz! Bitte! Setz’ dich erst einmal hin und entspanne dich. Oder noch besser ist es, wenn du der Flasche Wein den Hals brichst. Ich mache derweil das Essen fertig.”
„Wein!?” Heiko staunte nicht schlecht und seine Augen leuchteten kurz auf. „Moment ’mal!” Er stutzte. „Woher hast du eigentlich das nötige Kleingeld, um uns ’n solch nobles Getränk aufzutischen?”
Ilka, die so tat, als habe sie nichts gehört, hantierte mit den Töpfen, drehte die Steaks, füllte die Teller auf, und gerade dabei, die Bratpfanne von der Herdplatte zu nehmen, sagte Heiko: „Ich hab’ dich ’was gefragt, Ilka. Oder sprichst du nicht mehr mit mir?” „Ich hab ’s gehört, ”antwortete sie, schlug die Augen nieder und ahnte nichts Gutes.
„Und?” Er übte Druck aus. „Ich höre!”
„Von meiner Mutter wollte ich nichts mehr leihen.”, wisperte sie verlegen.
„Ich hab’ dich nicht gefragt, was du nicht gemacht hast.”, erklärte er grantig.
„Na, ich war da, wo du immer hingehst, wenn du Geld brauchst, um es in der Kneipe auf den Kopf zu hauen!”, hielt sie ihm vor.
„Im Pfandhaus!”, stellte Heiko fest. „Und? Was hast du versetzt?”
„Die Armbanduhr,” gestand Ilka gefaßt. „Es ist doch bloß für ein paar Tage, Schatz. Bis mein Geld vom Arbeitsamt kommt. Dann hole ich die Uhr zurück. Bestimmt! Nun sei nicht verärgert, Schatz. Bitte!”
Mit dem Hinweis auf die zu erwartende Geldüberweisung, meinte sie, Heiko zufriedengestellt zu haben; aber der hüllte sich in bedrohliches Schweigen. Er holte den Korkenzieher aus der Schublade, öffnete die Flasche Wein, feuchtete sich, ungeachtet des Glases auf seinem Platz, trinkfreudig die Kehle an..., und als Ilka ihm das Essen vorsetzte, hatte er die Traubenernte bis zu einem knappen Rest geleert. Er schob den Teller von sich und erklärte, daß mit der Armbanduhr ihm der Hunger vergangen sei.
„Heiko, bitte!”, flehte Ilka kraftlos. „Ich nahm es immerhin stillschweigend hin, als du das Silberbesteck, Mutters Hochzeitsgeschenk, versetztest. Bis heute hast du es nicht zurückgeholt.”
„Aha!”, stieß er angriffslustig von sich. „Du hältst mir wieder meine angeblichen Schandtaten vor. Aber merk’ dir eins: das mit dem Es/37 ist ein ganz anderes Delikt. Da geht man seelenruhig in die Scheißfirma, ackert sich für ’n Butterbrot und ’nem Ei zu Tode und ahnt nichts Böses, während einem die Alte, die fürsorglich Mutterinstinkten nachgeht und eh den ganzen Tag nichts zu tun hat, als auf ihren vier Buchstaben zu sitzen, den halben Hausstand aus der Bude schleppt.”
„Jetzt übertreibst du kolossal, Schatz!”, widersprach Ilka wohlgesinnt. „Den halben Hausstand? Du mußt zugeben, daß dies das erste Mal war. Unsere Tochter hat nun einmal heute Geburtstag und nicht, wenn mein Geld...” „Dein Gör!”, schnitt Heiko ihr unerbittlich das Wort ab, schoß von seinem Stuhl hoch und lehrmeisterte: „Grundsätzlich is’ das erste Mal immer das erste Mal!”
Erschrocken war Ilka ihm ausgewichen, was Heiko erst recht in Rage brachte. „Und jetzt kannst du mir eigentlich ’mal beipolen, warum du mir aus ’m Gehege gehst?”, verlangte er.
„Ich bin nicht wild darauf, eine von dir gelangt zu kriegen!”, antwortete sie, für seinen Zustand allerdings ziemlich kühn.
„Danach is’ mir nicht.”, bemerkte er trocken. „Ich hab’ Wein!” Er trank die Flasche bis zum letzten Tropfen aus und begann von neuem: „Merk’ dir eins: wenn ich der Meinung bin, du hast ’s nötig, werd’ ich dich ganz bestimmt nicht fragen. Dann fängst du eine. Ob du darauf nämlich wild bist oder in Japan ’n Sack Reis umkippt, interessiert hier keinen.”
„Denkst du, ich mache nicht ernst?”, entgegnete Ilka schroff. „Von dir lasse ich mich nie mehr schlagen!”
„Ach, sieh an.” Heiko schien sichtlich belustigt. „Die Jungfräulichkeit entfaltet sich zur Emanze. Nie mehr! Welch fabelhafte Töne.” Auf einmal schnappte er Ilka bei den Haaren, näherte sich mit seinem Gesicht dem ihren, und machte ihr eindringlich klar, daß er der Herr im Hause sei, und daß, so lange er Sorge dafür trage, daß sie und –wie er sich ausdrückte– ihr Gör satt zu fressen haben, er sich auch das Recht nehme, mit ihnen nach Belieben umspringen zu können. Er ließ sie los, ging zu Tisch, und meinte feierlich: „So will ich dich sehen, so gefällst du mir. Das Weib hat sich dem Mann zu fügen, dann hängt der Haussegen nie schief.” Er entkorkte die zweite Flasche Wein und setzte sie an den Hals..., und vollständig zufrieden, verfolgte er mit den Augen Ilka, die mit zitternden Händen Tränen aus dem Gesicht wischte und versuchte, ihr Haar zu richten.
„Ich sorg’ schon für Zucht und Ordnung.”, verkündete er stolz. „Du wächst mir nicht über ’n Kopf. Und jetzt komm’ her und spiel’ nicht die beleidigte Leberwurst. Das Essen wird kalt, also mach’ dich drüber her. Oder willst du die Armbanduhr verkommen lassen, mein mimosenhaftes Täubchen?” Er setzte die Flasche abermals an den Hals und Ilka ging stumm zu Tisch..., doch das Essen bekam sie nicht herunter, statt dessen zuckte sie zusammen, als Heiko ihr über das Haar streichelte; mit eben derselben Hand, mit der er zuvor Ilka Schmerz zugefügt hatte. „Laß’ uns das Kriegsbeil begraben, Liebling!”, bat er, völlig umgewandelt. „Ich hab’ keine Lust mehr auf Streit. Vielmehr hab’ ich jetzt Lust gekriegt, auf Liebe.” Er stand auf, schwankte, hielt am Tischrand sich fest und sagte in zärtlichem Tonfall: „Paß auf, Liebling: ich geh’ auf ’nen Sprung in die Kneipe und hol’ mir ’n paar Bierchen. Bis dahin kannst du ja das Bett vorwärmen.”
Ohne Ilkas Zustimmung abzuwarten, nahm er –seiner selbst sich doch nicht ganz sicher– ihre Schlüssel an sich, ging aus der Wohnung und –verschloß diese; was nicht zum ersten Mal er tat.
Daraus gelernt, hatte Ilka, diese Stunde wohl kommen sehen, sich vor Tagen unterderhand einen Zweitschlüssel anfertigen lassen; in Windeseile suchte Ilka das notwendigste zusammen.... und zog Nicole, die im Halbschlaf keinen Pieps von sich gab, an...; und auf die Straße kommend war das Glück ihr hold, indem ein Taxi vorüberfuhr, das sie heranwinkte und sich fahren ließ zu ihrer Familie, die sie mit offenen Armen aufnahm.
Die Mutter brühte Kaffee auf, Stefan brachte Tassen, Löffel, Milch und Zucker zu Tisch, und Ilka legte Nicole ins Schlafzimmer und sprach dann, hauptsächlich der Mutter gegenüber, sich endlich offen aus...
„Denkst du an Scheidung?”, forschte die Mutter nach.
„Ehrlich gesagt: nein!”, erklärte Ilka. „Ich bin mir einfach nicht sicher, ob Scheidung die einzige Alternative ist. Wer kann schon sagen, ob ich bei einem anderen Mann rosiger gebettet wäre.” „Dafür gibt es nie eine Garantie!”, bestätigte die Mutter. „Nur: weißt du schon, was du tun willst? Ich meine, willst du etwa morgen zurück zu ihm?” „Nein! Erst einmal will ich ihm eine Lektion erteilen. Ich hoffe, wenn wir zeitweilig getrennt sind, daß er sich eines besseren besinnt.” „Glaubst du etwa, Heiko findet sich mit deinem Verschwinden mir nichts dir nichts ab?”, fragte die Mutter. „Der wird mit Sicherheit morgen, wenn nicht noch heute nacht hier auftauchen.” „Du hast recht,” stimmte Ilka zu. „Daran habe ich keine Sekunde gedacht.”
„Das macht nichts,” sagte die Mutter und teilte ihre Eingebung mit. „Du hast immerhin Vati in Berlin, und der wird sich riesig freuen, dich und seine Enkeltochter einmal bei sich zu haben.” „Oh, nicht nur er!”, begeisterte sich Ilka, beugte sich vor und küßte ihrer Mutters Wange. „Das ist eine ausgezeichnete Idee.” „Schön,” drückte die Mutter beruhigt sich aus, „das freut mich. Schließlich wird nichts so heiß gegessen wie ’s gekocht wird; und in Berlin hast du gleichzeitig den nötigen Abstand, alles reiflich zu überdenken. Ãœberhaupt wird dir dieser Klimawechsel ganz gut tun.”
Erleichtert über den humanen Standpunkt der Mutter, fragte Ilka nach Stefans Meinung.
„Ich habe es immer gewußt,” behauptete dieser und rückte mit seinen Gedanken heraus. „Der ist vom Wahnsinn umzingelt. Du darfst nicht mehr zu ihm zurückgehen, Ilka. Dem traue ich zu, daß er dich eines schönen Tages um die Ecke bringt.” „Stefan!”, rief die Mutter, der beim Kaffeenachschenken beinahe die Kanne aus der Hand gerutscht wäre. „So etwas darfst du nicht einmal im Scherz sagen!”
„Ach, es stimmt doch!” Stefan ließ nicht sich beirren. „Der hat ganz einfach eine Meise unterm Pony. Der gehört echt in die Klapsmühle. Der...” „Das reicht!”, rief Ilka. „Du läßt ja kein gutes Haar an Heiko. Wenn dich einer hört, der ihn nicht kennt, würde er denken, daß Heiko keinen roten Heller wert ist. In Wahrheit muß man Heiko nur zu nehmen wissen, dann kann man erkennen, daß er nicht der Schlechteste ist. Und wenn er mal nicht mehr trinkt, dann, Stefan, wirst auch du einsehen, daß er in Ordnung ist.”
Wieso Ilka Heiko, trotz dem letzten Vorfall, verteidigte, konnte Stefan keineswegs verstehen, und nur, um seine Schwester vor weiterem Schmerz zu verschonen, schwieg er sich aus; in dem Moment schellte zwischen zwei kurzen Abständen dreimal die Hausglocke.
„Soll ich ihn ’reinlassen?”, fragte die Mutter Ilka, der ein ordentlicher Schreck durch die Glieder fuhr und bat: „Bitte nicht, Mama! Ich brauche Zeit, um mir über einiges klar zu werden.”
„Bleib’ ruhig,” empfahl Stefan ihr, und Freude stieg in ihm auf. „Das ist Romano!”, und er wandte sich an seine Mutter. „Wir haben ein Klingelzeichen abgemacht, falls es bei ihm drunter und drüber geht. Weißt du noch, Mama? Du hast es erlaubt, daß er kommen kann.”
„Wenn das dein Freund ist,” meinte diese, „solltest du ihm aufmachen, bevor er kehrt macht.”
Das brauchte sie kein zweites Mal zu sagen!...; und dann, von Stefan vorbereitet, trat Romano befangen in die Küche. Ilka und die Mutter hießen ihn herzlich willkommen und forderten ihn auf, sich zu ihnen zu setzen. Stefan holte eine Tasse, schenkte Kaffee ein, setzte sich neben ihn, hielt seine Tasse hoch, und sagte scherzhaft zu allen: „Prost!”, und ernsthaft, Romano zugewandt: „Das muß gefeiert werden! Endlich lernst du meine Familie kennen. Und sie dich.”
„In der Tat.”, bestätigte die Mutter. „Stefan spricht ständig von Ihnen. Endlich also lerne ich Sie persönlich kennen.”
Romano bekam Schwellenangst!
Er war gewohnt, im Hausflur stehengelassen oder in das Zimmer jenes Kameraden verwiesen zu werden, den er abholen, bzw. besuchen kam. Nicht gewohnt war er, aufgefordert zu werden, sich einer versammelten Familie anzuschließen. So viel Liebenswürdigkeit auf einmal! Das war zu viel! Und Romano befürchtete, sich daneben zu verhalten, ungünstig aufzufallen, etwas Falsches zu sagen, und weiß Gott was was ihm für Bedenken kamen, die, es ist kaum zu glauben, so geschwind wie sie auftraten wieder verflogen.
Tief beeindruckt von dieser familiären Umgangsform, fühlte Romano sich –mehr oder weniger unbewußt– als vollwertig akzeptierte Persönlichkeit. Er spürte SICH  SELBST! ganz und gar angenommen...; und schon war er aufgetaut und erzählte, völlig ungeniert, von seinem Vater, der ihn nicht in die Wohnung gelassen..., von dem Thema sich angesprochen fühlend, kam Ilka auf ihre eigenen Ereignisse zu sprechen..., Meinungen wurden vertreten, es wurde gelacht, philosophiert, Kaffee getrunken, aufgebrüht, getrunken..., währenddessen wanderten der Mutters Augen gelegentlich von Romano zu ihrem Sohn und bemerkte, daß ihm die Anwesenheit des Freundes gut tat. Tatsächlich ging gerade sanft und zart im Herzen Stefans jener Keim auf, der über Jahre hinaus einen stark werden lassen kann in unegoistischem Selbstbewußtsein, das hinführen kann zur göttlich-gefälligen Nächstenliebe.

Unerwartet und abrupt wurde die Gemütlichkeit der kleinen Runde von dem schrill erklingenden Telefon gestört.
„Das aber ist Heiko!”, legte Ilka sich fest.
„Laß mich ’mal machen,” riet die Mutter und ließ es einige Male läuten, bevor sie den Hörer abnahm und schlaftrunken sich meldete: „Josch... Heiko?... Sie ist nicht bei dir?... Nein, bei uns ist sie nicht... Hattet ihr denn einen großen Streit?... Also, nur das Ãœbliche... Nein! Ich könnte mir allenfalls vorstellen, daß sie zu einer Freundin gegangen ist... Heiko, es ist mitten in der Nacht... Polizei? Das würde ich an deiner Stelle sein lassen. Wir sollten bis morgen warten... Vielleicht will sie dir nur einen Denkzettel verpassen... Bestimmt! Schlaf’ dich erst einmal aus, Heiko, dann sieht die Welt gleich wieder freundlicher aus... Nein, Heiko, ich mache mir kein Kopfzerbrechen, schließlich kenne ich meine Tochter einige Jährchen länger... Heiko, bitte! Ich brauche meinen Schlaf. Ich muß sehr früh aus den Federn... Ilka ist auch impulsiv... Natürlich gehören zu einer Auseinandersetzung immer zwei... Du wirst das schon machen, Heiko. Und nach einer Versöhnung ist es wieder umso schöner... Natürlich kannst du morgen vorbei kommen. Aber bis dahin wird sich Ilka ganz bestimmt melden... Wart ’s ab. Du wirst sehen, ich habe recht... Ja, Heiko... Nein, Heiko, ich bin dir nicht böse, schließlich geht es um meine Tochter... Ich bin mir ganz sicher, daß es keinen Grund zur Befürchtung gibt... Schlaf’ du auch gut... Danke... Du auch!”
„Den hast du echt locker abserviert!”, lobte Stefan seine Mutter, und Ilka bedankte sich mit einer innigen Umarmung.
„Jetzt brechen wir aber die Zelte ab!”, bestimmte die Mutter. „Es ist sehr spät geworden. Leider weiß ich nicht, wo Sie sich aufs Ohr legen können,” erklärte sie Romano. „Diese Nacht ist jedes Bett belegt. Und die Wohnzimmerelemente sind zum Schlafen ungeeignet. Die möchte ich Ihnen nun wirklich nicht zumuten, Romano.”
„Mensch, Mama!” Stefan zerstreute ihre Gedanken. „Unsretwegen mußt du dir keine grauen Haare wachsen lassen. Ich sehe echt kein Problem darin, warum Romano nicht bei mir schlafen soll. Wir sind Jungs. Da ist doch nichts dabei. Echt du!”
„Sieh ’mal an!”, bemerkte die Mutter und schlug die Hand sich auf die Stirn. „Es ist mir im Sturmwind der Aufregungen tatsächlich entgangen, daß ihr beide männlichen Geschlechts seid.”
„Verarschen kann ich mich schon selbst!”, entgegnete Stefan, nahm seinen Freund beim Arm und sagte spitzbübig: „Komm! Wir wollen uns dem Gespött des weiblichen Geschlechts nicht länger aussetzen.”
„Augenblick!” Die Mutter hielt die Freunde auf. „Romano, würden Sie mir bitte die Telefonnummer Ihrer Eltern geben? Ich möchte morgen früh bei ihnen anrufen. Die machen sich schließlich Sorgen, wo Sie diese Nacht abgeblieben sind.”
Daß jemand um seine Person sich sorgte, beeindruckte Romano außerordentlich. „Unser Telefon is’ abgestellt,” erklärte er. „Das is’ aber nicht weiter schlimm,” behauptete er. „Nach mir kräht eh kein Hahn.” „Papperlapapp,” widersprach Stefans Mutter. „Jede Mutter macht sich um ihre Kinder Sorgen!” Und Romano gab ihr ohne einen weiteren Widerspruch die geforderte Nummer einer Nachbarin.
„Ich lasse euch ausschlafen!”, teilte die Mutter Stefan mit. „Wegen einem Fehltag wird euch wohl kaum Lehrstoff entgehen. Immerhin habt ihr bald Sommerferien. Also wird ein Entschuldigungsschreiben genügen. Ihrer Mutter, Romano, werde ich dasselbe empfehlen. Und noch etwas: stellt mir nicht die ganze Wohnung auf den Kopf.”

Nicht lange und die Wohnung wurde von einer Stille heimgesucht, durch die eine fallende Stecknadel zu hören gewesen wäre.
Im Gegensatz zu Stefan, dem sofort die Augen zugefallen waren, hatte Romano Schwierigkeiten, einzuschlafen. Oh, nein! Keineswegs war das Lager für zwei zu eng. Keineswegs hatte seine Müdigkeit nachgelassen. Und es war ihm auch nicht zu warm unter der Decke. Es war das sein Herz, das stürmisch pochte, so er sich seitwärts drehte, Stefans Körperwärme spürte und der Wunsch aufkam, seinen Arm um ihn zu legen. Einfach so, ohne dabei an etwas Schwules zu denken. Nur, wie hätte Stefan das aufgenommen, wäre er davon aufgewacht? Überhaupt kamen Romano diese Empfindungen und Überlegungen nicht ganz geheuer vor. Wieso tat Stefans Nähe ihm so gut? Mit Andrea war das (so) nicht gewesen.
Daß in dieser Stunde neue Gefühle für Stefan sich freilegten, das allerdings wollte Romano nicht wahrhaben!

Von den ersten Sonnenstrahlen, die Stefan ins Gesicht schienen, geweckt, schlug dieser die Augen auf und war, Romano neben sich erblickt, hellwach.
Behutsam stieg er über ihn und schon beanspruchte Romano, der noch im Reich der Träume sich wiegte, die freigewordene Schlafstätte.
Auf Zehenspitzen durch den Korridor schleichend, schloß Stefan leise die Küchentür und bereitete das Frühstück zu..., und erst, als aus dem Hängeschrank er das Geschirr nahm, sah er diesen Brief:

Guten Morgen, Jungs!
Seid bitte so nett und räumt mir das Chaos der Küche auf.
Dich, Stefan, soll ich ganz herzlich von Vati grüßen. Wir
haben vor wenigen Minuten miteinander telefoniert.
Jetzt werde ich Ilka zum Bahnhof fahren.
Romano, Ihre Mutter habe ich bei den Nachbarn erreicht.
Noch etwas, Stefan! Sollte sich Heiko melden, dann richte
ihm aus, er kann Ilka in Berlin erreichen. Gib ihm also die
Telefonnummer von Vati.
Ich muß mich sputen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen.
P.S.: richte Deinem Freund aus, er kann jederzeit wieder-
kommen.
Gruß und Kuß von Ilka und der Kleinen
In Liebe Mama
„Wou!”, jubelte Stefan und hetzte, als sei jede Sekunde verlorene Zeit, in sein Zimmer. „Hej, Romano!”, rief er außer Rand und Band. „Wach auf!”
Aus den Träumen gerissen, richtete Romano wie eine Kerze sich auf, rieb den Schlaf aus den Augen, und fragte benommen: „Wo gibt ’s Ärger?” „Keinen Ärger,” klärte Stefan auf und setzte sich auf den Bettrand. „Wir haben sturmfreie Bude. Also, komm hoch! Ich gehe duschen und danach du. Okay? Beim Frühstück unterbreite ich dir dann einen tierischen Vorschlag. Bin echt gespannt, was du davon hältst. Ein oberaffengeiler Geistesblitz ist mir durch die Rübe geschossen.”
Von der Sonne geblendet, beschattete Romano seine Augen mit der Hand und sagte: „Morgens nehm’ ich nie ’was Eßbares zu mir. Gleich beim Kaffeetrinken entwickl’ ich mich zu ’nem Kettenraucher. Aber dein Geistesblitz macht mich neugierig.” Und er reckte und streckte sich.
„Wou!”, rief Stefan begeistert. „Du hast mir nie erzählt, daß du einmal geboxt hast.” „Wie: geboxt?” Romano konnte ihm nicht folgen.
„Na ja!” Stefan wurde verlegen. „Ich meine wegen deiner starken Brust und deinem tollen Bizeps, und so.” „Ach was!”, korrigierte Romano. „Du kannst es mit deinem Aussehen allemal gegen mich aufnehmen; du Sohn Rockys!”
„Alter Spinner!”, gab Rockys Sohn ihm Bescheid und ließ nicht locker. „Nein, mal ehrlich, Romano, du bist bärenstark. Hab’ ich recht?”
„Stärker als du?”, wollte Romano herausfordernd wissen.
„Ja! Glaube ich.”, entgegnete Stefan überzeugt.
„Du bist stärker! Wetten daß!?”, behauptete Romano. „Na los, Alter. Laß uns gleich ’mal testen, wer von uns den nötigen Mumm in den Knochen hat, um Rockys Sohn zu sein!”, und er packte Stefan, der nicht umhin konnte, sich zu verteidigen; und die Freunde rauften..., fielen vom durchwühlten Bett auf den Boden..., ließen nicht voneinander ab, sondern maßen ihre Kräfte bis zum Äußersten... Aber haushoch war Romano Stefan überlegen, was ihn nicht daran hinderte, seine Gegenwehr, wenn er auf ihm saß und seine Arme und Beine bändigte, nachzugeben, indem er sich zur Seite fallen ließ und im Rollenaustausch Stefan lachend und keuchend, wenngleich nur kurz, auf sich sitzen ließ.
Schweiß floß an ihren Körpern entlang, ihr Atem wurde schwer, die witzigen Bemerkungen ließen nach, und gerade als wieder Stefan angeblich  Romano bezwungen zu haben schien, streckte dieser unerwartet flink die Arme aus und Stefan landete der Länge nach auf ihm.
„Na, Stefan?!”, keuchte Romano, ihn umklammernd. „Wer is’ stärker?” Er lockerte den Griff, Stefan richtete ein wenig sich auf, und Gesicht über Gesicht schnauften die Freunde gegenseitig sich in die Nase...
Romano strahlte und wartete auf eine Antwort. Vorher wollte er seinen Freund nicht freigeben, der unwillkürlich an seinem Körper entlang sah: männlich behaarte Beine, nackte, braungebrannte Haut, nur von der Unterhose bedeckt, hervorragende Taille, schwitzender Haarbusch unter den Achseln, weiße, gerade gewachsene Zähne, schwarze, feuchte Haarpracht und der Geruch von Kampfschweiß brachten Stefan in Erregung, die ihn beunruhigte.
Den Sieg bestätigt und von Romano freigelassen, erhob er sich so, daß der Freund die ächzende Vorderfront nicht sichten konnte, und ging zusehends eilig unter die Dusche.
Später, beim Frühstück, während Romano, vom Ringkampf und Duschen hungrig geworden, nun doch kräftig zulangte, unterbreitete Stefan ihm seinen Geistesblitz: daß Romano die Sommerferien in Berlin verbringen könne; Platz in seines Vaters Haus sei genug.
Hellauf begeistert, rechnete Romano gleich insgeheim aus, wie oft er Hermann aufsuchen mußte, um das für die Reise notwendige Kapital zusammenzukratzen, denn das: einmal aus Dulsberg herauskommen!, wollte er nicht sich entgehen lassen.

Die Küche aufgeräumt, machten die Freunde in Stefans Zimmer es sich bequem und kamen bei Saft und Gebäck vom Hundertstel ins Tausendstel. Sie behandelten Wünsche und Sehnsüchte, die im erwachsenen Alter sie zu realisieren beabsichtigten und malten die Zukunft in den schillerndsten Farben aus... Schließlich planten sie, am Nachmittag schwimmen zu gehen, wofür, wie Stefan meinte, der Nähe wegen das Dulsbergbad sich anbiete.
Davon aber brachte Romano ihn mit der Begründung, dort sei zu viel Betrieb, augenblicklich ab; und den wahren Grund verschweigend, schlug er statt dessen die Alsterschwimmhalle vor. In ihr könnten sie wenigstens sich ordentlich austoben, denn welch ein normaler Mensch gehe schon bei diesem herrlichen Wetter in die Schwimmhalle? Gerade gab Stefan Romano per Handschlag recht, da klingelte es.
„Ob das der Mann deiner Schwester ist?”, fragte Romano. „Ganz bestimmt!”, legte Stefan sich fest und ging die Tür öffnen.
Heiko sah verboten aus. Er hielt am Türrahmen sich fest und verpestete wie ein abgefülltes Faß Whisky die Luft.
„Ilka ist nicht hier,” erklärte Stefan, dem es fast übel wurde. „Sie ist nach Berlin gefahren.”
„Ach,” äußerte Heiko, „das habt ihr euch ja fein ausgeklügelt.”
Scheinbar gelassen reichte Stefan ihm den Zettel mit der Telefonnummer seines Vaters, sagte: „Hier, du kannst sie anrufen.”, und wollte die Tür schließen, als Heiko mit der flachen Hand wuchtig dagegen schlug.
„Sie ist echt in Berlin!”, versicherte Stefan in Panik geratend.
„Halt’ deine verlogene Knabberleiste!”, befahl Heiko, durchsuchte jede Räumlichkeit –und fragte, von Stefan mit Abstand verfolgt: „Wer is’ ’n das?”
„Mein Freund!”, antwortete Stefan.
„Also doch!”, behauptete Heiko verächtlich. „Ich hab ’s immer gewußt, daß du auf Hintenherum stehst! Wie soll man auch ’n brauchbarer Kerl werden, wenn man bloß von Weiberröcken erzogen wird? Da muß man ja schwul werden!”
Stefan wurde kreidebleich, dagegen Romano, nicht willens, das auf sich sitzen zu lassen, aus dem Schneidersitz heraus aufschnellte und Luft sich machen wollte.
„Bleib’, wo du bist!”, warnte Heiko. Und rot sehend, in Boxerpositur aufgestellt, versicherte er: „Einen Schritt weiter und du wirst meine Fäuste aufgehen sehen, daß du untergehst. Von euch Schwulis laß’ ich mich noch lang’ nicht anstecken.”
Widerwillig gehorchte Romano. Und Heiko, in Umkehr begriffen, zischte böse durch die Zähne: „Ich schwör ’s dir, Stefan: entweder kommt meine Frau zu mir zurück, oder ihr erlebt euer blaues Wunder.”

Stefan, noch kreidebleich, entschuldigte sich für Heiko. Aber seinem Freund dabei in die Augen sehen konnte er nicht.
„Mensch, Alter,” meinte Romano und legte seinen Arm um Stefans Schulter. „Das geht doch nicht auf deine Kappe. Auf das, was so ’n Spriti dröhnt, darfst du nichts geben. Die saufen nur und benutzen die Frauen wie ’n Stück Dreck. Mein Alter geht mit meiner Mutter auch so um.”
Aber Romano redete gegen taube Ohren.
Kopfschüttelnd trat Stefan zum Fenster und äußerte: „Ich kann  nicht kapieren, wieso meine Schwester sich in so einen verlieben konnte.”
Romanos Gewissen meldete sich. Er fühlte sich elend. Immerhin hatte er letzte Nacht Andrea geschlagen. War er gar auf dem „besten Weg” so zu werden wie der eigene Vater oder Heiko?

7. Auszug: ES BRAUT SICH %u2019WAS ZUSAMMEN

Der letzte Schultag vor den großen Ferien, der ist für Kinder und Jugendliche, ja sogar für die Lehrkräfte der eigentliche Sommeranfang, den in der Schule „Alter Teichweg” nun der Gong, der jeweils zum Unterrichtsbeginn und zu den großen Pausen ertönt, ankündete.
Wochenlang diesem Moment entgegengefiebert, stürzten demzufolge die Schüler aus den Klassenzimmern in die Gänge und schoben und drängten sich hin zur Treppe, dem Ausgang zu, darunter auch Romano war; und die Absicht, Torsten, der an seiner Fährte geheftet nach ihm rief, abzuschütteln, gelang ihm. Von der Meute mitgerissen, entzog er sich seinem Blickfeld.
Es ging um Minuten, wollte er Stefan, von den Kameraden unbeobachtet, abfangen; und obgleich es ihm selbst gegen den Strich ging, mußte er ihre Verabredung verschieben, weil: Torsten hatte ihm ein letztes Ultimatum gestellt, andernfalls wollte er seinen Umgang an die große Glocke hängen.
Hatte Romano es bisher so lange als möglich vor sich hergeschoben, mit Hermann über Torsten zu sprechen, um ihm diesen Kummer zu ersparen, war es nun allerhöchste Eisenbahn. Vor Torstens Hinterlist mußte er auf der Hut sein. Der war zu allem fähig!

Gut vorangekommen, erkannte Romano, gerade den Ausgang der Bildungsstätte erreicht, daß er sich zu früh gefreut hatte. Jetzt galt es Andrea unter ihrer Clique nicht in die Arme zu laufen; und in gebeugter Haltung, geschickt zwischen den Schülern hindurchgeschlängelt, landete er schließlich unbehelligt auf dem Schulhof, wo er gleich Stefan zu Gesicht bekam.
„Paß auf!”, bereitete Romano ihn vor. „Gleich kreuzt die Nervensäge auf, drum mach ich ’s kurz. Wir können uns heut’ nicht sehen.”
Stefan sah enttäuscht drein.
„Mensch, Alter!” Romano heiterte ihn auf. „Dafür werden wir morgen fast den ganzen Tag für uns haben. Is’ das ’n Wort?” „Ich freue mich jetzt schon darauf,” entgegnete Stefan und strahlte.
Nervös sah Romano an ihm vorbei und flehte: „Mach ’nen Abflug! Torsten is’ im Anmarsch. Der is’ echt überall da, wo man ihn nicht brauchen kann.”
Den Freund rechtzeitig weggeschickt, kam Torsten angestiefelt und fragte neugierig: „Wollte der schwule Knochen ’was von dir?”
„Was wollte wer von wem?”, fragte Romano, sich dumm stellend, zurück.
„Na, dieser Stefan von dir,” antwortete Torsten.
„Du bist echt nicht ganz gescheit!”, stieß Romano ihm Bescheid und nahm ihn hoch. „Ich weiß aus hundertpro-sicherer Quelle, daß der ’ne Alte hat. Soll ’ne echte Wuchtbrumme sein. Im Ãœbrigen weißt du haargenau, daß ich mit dem nichts zu schaffen hab’.”
Torsten, der darauf hätte schwören können, daß Romano mit Stefan sich vertraulich beschäftigt hatte, ließ dieses Thema fallen zugunsten des anderen, auf das er zu sprechen kam. „Wie sieht ’s aus? Kann ich zu dem schwulen Knochen mitkommen?”
„Ich geh’ jetzt zu ihm,” informierte Romano. „Geil,” meinte Torsten, „dann kann ich heut’ Kohle machen.”
„Mensch, Alter!” Romano erhob Einspruch. „Ich check ’s erst bei ihm, wie lang ’s dauert, ihn zu bearbeiten.”
„Spätestens morgen,” erinnerte Torsten. „Du weißt, was sonst abgeht.” „Ich meld’ mich bei dir, wenn alles klar is’,” versprach Romano und machte sich auf und davon; allerdings: hätte er einen blassen Schimmer davon gehabt, was zu Hause gerade sich abspielte, er wäre auf direktem Wege dorthin geeilt.

Die halbe Nacht mit Großputz verbracht, empfing, zwar unausgeschlafen aber katzenfreundlich, Kristel Martens die Jugendfürsorgerin und bot ihr eine Tasse Kaffee an.
Sodann, zu dem auflösbaren Kaffeepulver heißes Wasser gegossen bekommen, ergriff die Amtsperson, eine adrett gekleidete Person Mitte Dreißig, das Wort –leider etwas anzüglich. „Ich will ehrlich sein, Frau Martens! Ich bin ressentimentgeladen! Das vierte Mal bei Ihnen, wollen Sie mir wieder ein trautes Heim vermitteln. Von wegen Einklang und Harmonie! Ãœberhaupt wirft sich mir die Frage auf, ob Sie mich jemals hinter die Kulissen blicken lassen. Wollen oder können Sie es nicht verstehen, daß ich mit Rat und Tat helfen will. Jedenfalls, soweit es meine Befugnisse zulassen. Vielleicht sollte ich einmal unan-gekündigt hereinschneien. So, wie das einige meiner Kollegen fanatisch tätigen. Seien Sie froh, daß es meinem Naturell widerspricht, Sie bloßstellen zu wollen. In erster Linie möchte ich Ihr Vertrauen gewinnen.”
„Bei uns is’ auch ohne Sie alles beim Rechten,” protestierte Kristel Martens ohne rot zu werden.
„Frau Martens,” drückte die Jugendfürsorgerin sich nachgiebig aus, „halten Sie mich für so einfältig? Ich kann zwei und zwei zusammenzählen! Das sieht und riecht hier ein Blinder, daß eigens für mein Kommen eine Generalreinigung stattgefunden hat. Sehen Sie: in einer Woche suche ich mehrere Familien auf, und durch die Bank weg will man mir mit der Vortäuschung falscher Tatsachen Haken schlagen.”
„Sind Sie eigentlich wegen meiner Kinder da oder wollen Sie schnüffeln?”, fragte Kristel Martens die Jugendfürsorgerin, die beleidigt die vor ihr liegende Akte aufschlug und, von persönlichem Einsatz absehend, dienstlich äußerte: „Die Beschwerden Ihrer Nachbarn können wir keineswegs als groteske Lappalien von uns weisen. Einiges wird gewiß wahr sein, obwohl ich mir bewußt bin, daß Ãœbertreibungen an der Tagesordnung sind.”
„Was gehen mich die Nachbarn an?”, korrigierte Kristel Martens. „Damit kommen Sie mir jetzt zum dutzendsten Mal, Frau Inkosch. Wissen Sie überhaupt wie wir den Alltag bestreiten, seit mein Mann arbeitslos ist?”
„Ihr Mann!?” Frau Inkosch, darauf gespannt gewesen, griff diesen Ansatzpunkt auf. „Es wäre hochinteressant für mich, zu erfahren, warum er nie anwesend ist. Sind ihm interne, familiäre Angelegenheiten egal?”
„Er is’ leicht erregbar,” gestand Kristel Martens und schwindelte: „Er will genau so wenig wie ich, daß man uns unsere Kinder wegholt.”
„Er will es genau so wenig?”, wiederholte Frau Inkosch ungläubig und –kam zu keiner weiteren Äußerung.
Josef, der von seiner Mutter ans Herz gelegt bekommen hatte,  im Kinderzimmer zu bleiben und leise zu spielen, bis Frau Inkosch weg sei, tauchte auf. Er quengelte: „Ich hab’ ’nen Höllendurst, Mama!” Ablehnend betrachtete er die Fürsorgerin und nahm, seine Sprache benutzend, ihr das gutgemeinte Lächeln. „Du,” warf er ihr vor, „bist die böse Frau, die meine Mama immer weinen läßt.”
„Jossi!!” Die Mutter brauste auf. „Wie oft soll ich dir sagen, daß man zu Erwachsenen nicht ungezogen sein darf?” Sie verabreichte ihm einen leichten Klaps aufs Hinterteil, verwies ihn ins Bad –am Wasserhahn solle er seinen Durst löschen–, und bat Frau Inkosch um Entschuldigung.
Diese schluckte einmal!, zweimal!, sammelte Gedanken! und führte ihre Arbeit weiter aus, indem sie auf den Punkt zu sprechen kam.
„Konzentrieren wir uns auf Romano. Ihr Ältester, Frau Martens, der ausschlaggebende Grund, warum die Jugendbehörde sich in Ihr Leben einmischt, spuckt Ihnen, laut Aussagen Ihrer Nachbarn, entschuldigen Sie bitte, auf den Kopf. Und da Sie offensichtlich Ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen können, verwildert Romano und entwickelt sich zu einer Gefahr für die Gesellschaft.”
„Sie hat ja recht,” dachte die Mutter. „Nur: ich weiß auch ohne die Kinder nicht mehr, wo mir der Kopf steht.”
„Glauben Sie mir, Frau Martens, ich kann verstehen, daß Ihnen alles zu viel wird,” versicherte Frau Inkosch und redete ihr ins Gewissen, daß für Romano es bestimmt das Beste sei, in ein Heim eingewiesen zu werden.
Aufgrund des spöttischen Blickes der Mutter, der als stummer Kommentar hieß: nur über meine Leiche!, klärte Frau Inkosch sie darüber auf, daß eine Einweisung auch ohne ihre Einwilligung geschehe.
„Menschenskind!” Die Mutter nahm ihren Ältesten in Schutz. „Wollen Sie etwa alle Jugendliche ins Heim stecken, die sich ’mal ’n Veilchen schlagen oder Nachbarn ärgern?”
„Sie sind köstlich!”, äußerte Frau Inkosch, der es zu bunt wurde. „Was Sie unter ärgern verstehen, sind Einbrüche in Wohnungen und Keller anständig lebender Bürger. Was Sie mit Veilchen meinen, sind Körperverletzungen schwerster Art. Wie nennen Sie denn die Diebstähle Ihres Sohnes? Tag der offenen Tür?!” Erbost packte sie die Akte in den Diplomatenkoffer, erhob sich, und sagte: „Frau Martens, es tut mir leid für Sie. Und ich meine das, was ich sage!”
„Gehen Sie nicht so. Bitte,” bettelte die Mutter.
„Ich muß gehen!”, behauptete Frau Inkosch. „Ich weiß, wann Hopfen und Malz verloren sind. Während Romano zunehmend kriminell wird, haben Sie für seine schwerwiegenden Vergehen nichts weiter als belanglose Floskeln übrig. Eines Tages kennt der Junge keinen Unterschied mehr zwischen Gut und Böse! Zwischen mein und dein! Dem, daß ein Heim nicht die idealste Lösung ist, pflichte ich Ihnen bei; für Romano aber ist es die einzige Hoffnung, wenn er nicht als verbrecherisches Subjekt enden soll. Unter diesen Lebensumständen hier kann er sich jedenfalls nicht fangen. Das ist kein Vorwurf, Frau Martens, mußte aber einmal gesagt werden. Und geben Sie sich mit den Kleinen keine Mühe, versichere ich Ihnen, daß sie eins nach dem anderen weggeholt werden.”
Es waren das die letzten Worte, die der Mutter den Rest gaben. Aufbegehrend fluchte sie: „Ach, Sie können so viel reden wie sie wollen; damit Sie ’s wissen: meine Kinder laß’ ich mir von keinem wegnehmen.”, und ohne Frau Inkosch aus der Wohnung zu begleiten, legte sie die Hände vors Gesicht und weinte um den schier vergeblichen Kampf ums nackte Ãœberleben! Hier, auf der Schattenseite des Lebens, waren Tränen beheimatet. Und dort, im Dulsbergbad, auf der Sonnenseite des Lebens, war hauptsächlich beheimatet das Lachen von jungen und alten Menschen, und von Pärchen, die, von allgemein beliebten Zerstreuungen zurückgezogen, ihren Liebesgefühlen den Vorrang gaben. Hier und da cremte ein Single sich ein oder sonnte sich. Am Kinderbecken beschützten Mütter oder Väter oder große Geschwister die Kleinen vor radikalen Belästigungen; und im großen Becken tobten originale Wasserratten sich aus wie Steffi, die –im Unklaren sich darüber, ob Ulrike zu Ohren kam, daß sie mit Torsten im Haus der Jugend und so– einen großen Bogen um die Mädchenclique machte.
Die Mädchenclique (Andrea, Astrid, Sonja und Ulrike) hatte an einer schattigen Stelle sich niedergelassen, und einige Schritte weiter lagen Torsten, Gido und Marko. Vergeblich bemühten sie sich, interessant zu sein für die Mädchen, die weit Wichtigeres zu tun hatten. Und zwar tüftelte Andrea, die an Romano sich rächen wollte, mit den Freundinnen dies oder jenes aus, woran Ulrike lebhaft sich beteiligte, um es Torsten zu zeigen. Seit jenem Abend bei Marko hatte er noch immer keine guten Karten bei ihr.

„Hallo! Wie geht ’s?”, fragten Ismail und Ali, die wie aus dem Nichts vor den Mädchen auftauchten, worauf Sonja gleich inging. „Gestern ging ’s noch! Und bei euch?” „Logo!”, gab Ismail  an und setzte sich mit Ali neben sie.
Ulrike, die diese forsche Anmache störte, schielte verstohlen zu Torsten rüber, der hinterhältig grinste und seinerseits nun stur blieb.
Andrea, eingeschnappt, daß Sonja und Ismail, Astrid und Ali miteinander anbändelten und somit das Thema „Romano” aufgehoben war, unterhielt sich mit Ulrike...; bis Gaby-Kosmetika aufkreuzte und fragte: „Hast du ’mal ’ne Sekunde Zeit, Uli? Ich find’, daß ich dir ’was verklickern muß.”
„Mensch, verpuff’ dich, Pferdearsch,” empfahl Andrea kurz und knapp.
„Hab’ ich gesagt: Arsch melde dich?”, beleidigte Gaby Andrea, die vom Fleck sich rührte, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen, wovon Ulrike sie hinderte, indem sie zwischen die beiden, die nicht sich riechen konnten, ging, Andrea gut zuredete, und von Gaby forderte: „Was is’ nun? Schieß los.” „Nur unter vier Augen!”, verlangte Gaby. „Mann!” Ulrike regte sich auf. „Hast du immer so ’nen Sinn für Umständlichkeit?”; von Neugier jedoch gepackt, folgte sie Gaby, deren Geheimniskrämerei in Andrea Sensationslust heraufbeschwörte, ganz im Gegensatz zu Torsten, dem bei Gabys Auftritt das Lachen vergangen war und, den beiden nachsehend, unruhig wurde. Zu Recht, denn nun wurde Ulrike aufgeklärt über ihren Spezi, der im H.d.J. Steffi den Hof gemacht hatte.

Ulrikes lauthalser Schrei nach Steffi vom Beckenrand aus brachte Schwung in die Badeanstalt. Und noch während die Kleine angeschwommen kam, bildeten Schaulustige, darunter logischerweise Andrea mit Anhang, und Torsten mit seinen Kameraden, einen Halbkreis um Ulrike, die von Steffi, nun ihr gegenüberstehend, schnodderig gefragt wurde, ob sie mit ihrem Organ die Schallmauer durchbrechen wolle.
„Ich hab’ mit dir ’n Hühnchen zu rupfen?”, teilte diese geladen mit und durchbohrte die Kleine mit messerscharfem Blick. „Stimmt ’s, daß du dich an Torsten ’rangemacht hast?”
Steffi, die unter den Schaulustigen Gaby entdeckte, antwortete keck: „Das hat dir doch hundertpro die Fettwalze dort drüben beigepolt.”
Das reichte! Ulrike holte aus und schepperte der Kleinen eine Schelle, die saß.
„Die kriegst du wieder!”, kreischte Steffi und fiel über Ulrike her, so daß beide der Länge nach zur Erde knallten, an den Haaren sich rissen, sich kniffen und bissen, die Kehle sich abschnürten, sich beschimpften, wie zwei Raubkatzen sich wälzten, und einander nicht sich hochkommen ließen...; und doch: Ulrike, von dem umherstehenden Publikum auch noch angefeuert, war stärker, weshalb Andrea ausflippte.
„Laß meine Schwester los, du Schlampe!”, brüllte sie, warf sich wie ein wildgewordener Handfeger auf die Streithähne, schnappte Ulrike, die einen jaulenden Heulton von sich gab, beim Schopf, und zerrte sie von Steffi..., und erbarmungslos machten die Schwestern sich über Ulrike her, was Torsten auf den Plan rief und er dazwischenfuhr...
Aber schon standen Sonja und Astrid den Freundinnen, Gido und Marko dem Freund und wiederum Ismail und Ali den Mädchen bei...
„Klasse!!”, rief es aus dem Publikum. „Endlich wird ’was fürs Eintrittsgeld geboten.” Andere unterstützten die Reiberei mit fröhlichen Sprüchen, munterten den einen oder anderen Kampfbeteiligten auf, oder schlossen Wetten auf den eventuell hervorgehenden Sieger ab...
Der Pfiff einer Trillerpfeife setzte dem ein Ende!
Das Publikum trat zur Seite, und der Bademeister, rauh in das Handgemenge eingreifend, trennte die Raufbolde und wies sie darauf hin, daß bei einem Wiederholungsfall sie das Bad nicht mehr betreten dürfen.
Der Menschenauflauf löste sich auf, die ansonst befreundeten Mädchen und Jungen versöhnten sich, und Gaby, die zur Rechenschaft sie ziehen wollten, war wie vom Erdboden verschluckt.
Später lag Ulrike endlich und wieder in den Armen Torstens, der zu Kreuze kroch, „...echt du,” schloß er seine Beichte ab, „du kannst Roman fragen. Es war seine Idee.” „Ich glaub ’s dir auch so,” versicherte Ulrike, umarmte ihren Liebsten, und es war ihm verziehen. Und dann gestand sie, daß ihr fast das Herz gebrochen sei, ihm tagelang die kalte Schulter gezeigt zu haben, und gelobte, daß das von ihr aus nie wieder vorkommen werde.

In der folgenden Nacht flirteten Ismail und Ali, die ihren Landsmann Achmed dabei hatten, an der Hinterfront des Mäd-chenheims mit Sonja und Astrid, die zum Fenster hinausgelehnt, die Hand auf den Mund gepreßt, ihr Gekichere und Gegluckse abdämmten.
„Ich komm’ hoch!”, kündete Ismail an und landete mit einem Sprung auf dem Wellblechdach des Schuppens, der beim Korri-dorfenster des Heims anschloß.
Diesmal hatte Ismail achtgegeben, nicht wie das letzte Mal, bei dem ihm die Jeanshose zerriß. Deshalb trug er auch jetzt einen weißen, taillierten Jogginganzug, in dem er fabelhaft aussah. Überhaupt war Ismail ein Bild von einem Jungen, mit schulterlangen, pechschwarzen, gepflegten Locken, mit einem markanten, braungebrannten Gesicht, mit dunkeln, nahezu geheimnisumwitterten Augen, die buschige Brauen schmückten, mit einem großen Mund, der, wenn Ismail lachte, stattliche Zähne hervorblitzen ließ, und mit einem forschem Charakter, durch den so manches Mädchen schon weich wie Wachs geworden war.
Selbstverständlich floß auch in Ismails Adern das wilde, leidenschaftliche Blut von ostwärts stammenden Völkern, zu deren Ausstrahlung hinzukommt, daß sie immer in Bereitschaft sind, wie die Ruhe vor dem Sturm. Ganz so auch war Ali, zwar kleiner als Ismail, aber genau so kräftig und schön, und seine Haare trug er, so lange man denken kann, im Meckischnitt.
Dem Freund mit der Bemerkung, nicht leer ausgehen zu wollen, gefolgt, landete auch Achmed mit eben demselben Sprung auf dem Wellblechdach, was solch einen Lärm verursachte, daß, total erschrocken, Sonja Astrid beim Ärmel packte, mit sich zurückzog, schimpfte, daß im Oberstübchen der Jungs eine Schraube locker sei, und, bevor diese den Mädchen ihre Gunst erweisen konnten, das Fenster schloß; und wegen einem weiteren Geräusch hielten die Mädchen den Finger vor den Mund und winkten per Hand die Jungen weg. Diese sich schnell geduckt, drehten sich in die entgegengesetzte Richtung weil: im selben Augenblick war noch jemand auf den Schuppen gesprungen.
Es war das Torsten, den Ismail zuerst erkannte, lachte, und scherzhaft nachforschte, ob er in dieser Nacht sich auch von dem Angebot eine Scheibe abschneiden wolle.

Derweil atmete Sonja, deren roten Haare bei der spärlichen Beleuchtung wie ein entfachtes Feuer flammte und die Sommersprossen der Nase einen wilden Tanz aufzuführen schienen, auf: und das Herz Astrids, deren schwarzblond gefärbten Haare punkig frisiert waren und so ihrem Gesichtchen einen anmutigen Liebreiz verliehen, schlug wieder im üblichen Takt.
Es war das Ulrike, die ihren Freundinnen einen Schreck versetzt hatte. Sie öffnete das Fenster und Torsten stieg ein. Und umschlungen verschwand das Pärchen im Finstern.
„Hej, ihr Liebeskranken!” Ismail wagte den Versuch, die beiden zu stören. „Was is’ mit uns?” „Na, was schon?”, meinten die Mädchen, ohne Förmlichkeit sich anbietend; und über den Sims gestiegen, nahmen Ismail Sonja und Ali Astrid in die Arme.
Achmed, der auf dem Schuppendach zurück blieb, zündete eine Zigarette sich an und wartete auf das Wunder, daß seinetwegen gleich ein Mädchen aus einer Stube komme. Dieses Wunder blieb aus, statt dessen kam eine Katastrophe.
Blitzartig die Zigarette ins Weite geschleudert, zischte er durch die Zähne: „Ismail! Ali! Verduftet! Die Brillenschlange is’ im Anmarsch.” Und eben so wie die Freunde machte er sich rechtzeitig dünne.

Beschämt wagten Sonja und Astrid keinen Mucks von sich zu geben. Und vor dem Pärchen, in flagranti ertappt, mit verschränkten Armen sich aufgebaut, bot die Heimleiterin das typische Bild einer zurückgebliebenen Pädagogin, ganz der Mottenkiste entsprungen: lang, wie eine Bohnenstange! Brille! Un-erbittlich strenger Blick! Spitze Nase! Und die meterlangen, trockenen, aschfahlen Haare waren wie ein Turban hochge-schraubt.
„Ja, ja,” brach sie das Schweigen; ihre Macht über Heranwachsende ausspielend. „Den letzten beißen die Hunde.” „Einer muß ja der letzte sein,” behauptete Torsten, der glaubte, doch noch entwischen zu können.
„Auch noch frech,” stellte die Heimleiterin fest. „Na schön! Wir werden sehen.” Und an die Mädchen gewandt, befahl sie das Fenster zu schließen. „Und jetzt geht in eure Koje,” befahl sie weiter. „Du auch, Julia. Deinen waghalsigen Romeo werde ich höchstpersönlich aus der gestürmten Burg begleiten; falls du gestattest. Dabei kann er gleich feststellen, daß der Maurer dort das Loch gelassen hat, wo es üblich ist.”
Und schließlich verlangte die Heimleiterin, hartnäckigbleibend, von Torsten Angaben über seine Person.
Diesen verließ der Mut. Seine Beine wurden Gummi. Und trotzdem allerlei Gedanken ihm durch den Kopf schossen, bekam er den Mund nicht auf.
„Wenn Sie mir keinen Aufschluß über sich geben wollen,” drohte die Heimleiterin, „rufe ich die Polizei. Einen wie Sie wird es wohl kaum neu sein, wegen Hausfriedensbruch und nächtlicher Ruhestörung angezeigt zu werden! Kommen Sie mit in mein Büro.”
„Schimmel, Arsch und Zwirn,” dachte Torsten und stotterte: „Ich..., ich...” Jetzt war ihm klar geworden, daß er in der Sch...ande steckte. „Wenn bloß das Fenster offen wär’,” dachte er. Und mächtig setzte die Sorge ihm zu, daß die Großmutter wieder einmal ihre Idee bestätigt bekommen sollte, was für ein abgrundschlechter Kerl er sei.
Nun aber! Ganz seinem Charakter zugemeistert kam ihm d i e Erleuchtung; und so gab er ganz einfach sich als Romano Martens aus.
Auf dem Weg nach Hause brütete Torsten darüber, was zu tun war, damit Romano nie erfahre, wer seinen Namen mißbrauchte. Und Torsten kam darauf, daß weiter nichts dafür nötig sei, als Ulrikes Verbundenheit, denn sie wiederum verstand es, mit ihren Freundinnen umzugehen.
Wieder einmal stand alles zum Besten.
„Nach mir die Sintflut,” dachte Torsten, pfiff ein fröhliches Liedchen, stromerte die von Straßenlaternen erhellte Umgebung ab, und kam unglaublich schlau sich vor, mit dem Wissen, auch in Zukunft seine Schandtaten anderen zur Last zu legen.

8. Auszug. VIOLA, DIE %u201EMORALPOLIZEI%u201D

Vor 10 Jahren (heute haben wir 1990, den 30. April) wurde mir im Verlauf eines Gespräches die Frage gestellt, welchen ganz persönlichen Herzenswunsch ich habe. Ich brauchte nicht zu überlegen, um zu erklären, zwei, drei Menschen zu brauchen, die mich verstehen; mittlerweile hat das sich mir erfüllt.
O je, was bekam ich zu hören! Zum Beispiel ganz schön unverschämt zu sein, mir zwei –ja sogar drei!–Menschen zu wünschen, die mich verstehen, schließlich würden die meisten Menschen ein Leben lang nicht einen einzigen wirklichen Vertrauten finden.
Nach nun 10 Jahren kann ich sagen: um eine große Erkenntnis durfte ich reicher werden! Und zwar, daß Ehrlichkeit, Verständnis und Menschlichkeit mir nur entgegengebracht werden, wenn ich selbst im Umgang miteinander das gebe, was ich erwarte.
Demnach ist mir klar geworden, daß meine damalige Gesprächspartnerin eine falsche Meinung über ihre Bekannten hatte –oder keine Ahnung im Umgang mit ihnen. Denkbar wäre noch, daß sie selbst sich aufgegeben hatte, obwohl sie in der Blüte ihres Lebens stand.
Die erste Hälfte ihrer Lebenseinweihung –dieser Ausdruck begegnete mir zum ersten Male bei Rudolf Steiner– also hinter sich gelassen ohne den Zauber, den eigentlichen Grund des Älterwerden begriffen zu haben, ohne also die Erfahrung gemacht zu haben, daß zum Verstanden werden in einen selbst gelegt sein muß dieser Grundstein: man selbst muß seine Mitmenschen verstehen wollen! Man selbst muß in Geduld sich üben! Man selbst muß uneingeschränkt Mensch sein wollen.
Für Menschlichkeit könnten eigentlich gerade die ein Vorbild sein, die mit einem schweren Schicksal oder mit körperlich sichtbaren Schwächen auf Geistes-Werte angewiesen sind. Zumeist jedoch ist es bedauerlicherweise gerade dieser Menschenschlag, der nach der grundfalschen Einstellung verfährt: so, wie es in den Wald ruft, so, schallt es heraus.
Jammerschade ist das, weil in der Folge wir es sind, die aus Erdenplanung etwas kompliziertes machen. Wir sind es, die nicht einsehen lernen, daß kein Mensch wahllos, gar x-beliebig in die Welt sich inkarniert. Unfehlbar durchdacht und ausgewählt auf Erden ist jede Generation, so daß Leben und Mensch  in- und miteinander harmoniert.
Wenige nur sehen ein, daß Erdenwelt und Seelenwelt und Geistwelt das Ganze sind. Ob das dem einzelnen paßt oder nicht. Ob das der einzelne einsehen will oder auch nicht. Es ist das so!
Und jeder, der für diese unumstößliche Wahrheit Herz, Verstand, Empfindung und Bewußtsein erweitert, wird bestätigt finden den Ewigkeitsgedanken, die Unsterblichkeitstatsache, und die mit dem Denken zu erfassende göttlich-geistige Logik.
Statt dessen? Wie geht es in unserem Leben zu? Wir kommen nicht zurecht mit der Liebe. Wir kommen nicht zurecht mit Freundschaften. Wir kommen nicht zurecht mit Herzenskraft. Nicht mit dem Glauben. Und widerfährt uns im Alltag ein ungewöhnliches, überraschendes Ereignis, wird dieses von uns als ein so genannter Zufall abgetan. Deshalb kommen wir nicht da-rauf, daß ein Zufall nichts Willkürliches ist, sondern ein im Geistesland von langer „Hand” Vorbereitetes, das auf Erden dann ausgereift zu-Fall kommt. Schuld an dieser unserer Denkunfähigkeit ist unsere Uneinsichtigkeit über unsere Erdenwelt, die nur ein Ganzes ist mit Seelenwelt und Geistwelt; das heißt, uns fehlt die Sprache, der Wortschatz über diese Welten.
Und deshalb können wir gar nicht anders, durch mangelhaften Wortschatz, wie zum Beispiel bei zu-Fall-kommenden Vorsehungen, oder Glücksfällen und vieles mehr, als Willkürliches zusammenzudenken, alles schön sich zusammenzuphan-tasieren, wie es einem in den Kram paßt. Und daraus ergibt sich eine gleichgültige Lebensweise. Spricht man darüber, gehen Mitmenschen auf die Barrikaden und merken nicht einmal, wie sie von morgens bis abends die Gefühle anderer mit Füßen treten.
Darum sind es nur einzelne, denen es gelingt, der um sich greifenden Gleichgültigkeit Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Jedoch jene, denen es gelingt, werden Einzelgänger, die das Feingefühl ausprägen und die Sensibilität entwickeln, außergewöhnliche Menschen zu erkennen, für die lebenswichtig sind Wert-volle Gespräche, die solche Einzelgänger Nötighaben; so wie der Brotteig die Hefe, ohne die er nicht aufgehen kann.

Hermann, der solch ein Einzelgänger war, ging auf durch Viola, „die” der einzige Mensch war, dem er kompromißlos sich anvertrauen konnte; und war das Faß wieder einmal am Ãœberlaufen, sprach er den Kummer sich von der Seele, oder es geschah umgekehrt, wenn Viola, „die” nicht wie der Freund vom Gesellschaftsleben sich ausschloß, das heulende Elend überkam.
Von Geburt männlichen Geschlechts und auf den Namen Hans getauft, mußte Viola in der Pubertät einsehen, daß bei „ihr” von Natur aus etwas anders gelaufen war, als es der Norm entspricht. Größtenteils hatte das an der Hose gelegen, die „sie” nur ungern trug; und waren alle aus dem Haus, zog „sie” die Gewänder der Mutter an, stopfte die Pumps mit Watte aus, und stolperte durch die Wohnung. Und geschminkt wie eine große Dame von Welt, erkannte „sie” vor dem Spiegel dann, daß „ihr” die Rolle weiblicher Grazie und Eleganz auf den Leib und in die Seele geschrieben war.
Dem Willen des Vaters gebeugt, ergriff „Hans” als Fünfzehn-jährige„r” einen typisch männlichen Beruf und litt in der Lehrzeit eine einzige höllische Tortur aus, weil: „er” konnte nicht mannhaft genug sein! Die Gesellenprüfung bestanden, war „er” fortan nicht länger bereit, das feminine Wesen zu unterdrücken; und der lästigen Hose sich entledigt, kaufte „Hans” ausschließlich Frauenartikel und gab den Namen Viola sich. Das war „sein” Seelenheil: als Frau im öffentlichen Licht anerkannt zu sein. Natürlich setzte Viola damit sich dem Gespött der allgemeinen Gesellschaft aus; zum Schandfleck der Familie erklärt, wurde ihr die Tür des Elternhaus vor der Nase zugeschlagen und in der Firma die Arbeit gekündigt.
Bald darauf erübrigte sich von selbst ihre Stellensuche, stellte sie nämlich nach einer schriftlichen Bewerbung sich vor, verhinderte ihr bloßes Auftreten die weitere Arbeit neugieriger Werktätiger.
Jahrelang lebte Viola von der Hand in den Mund, bis sie es satt hatte. Es satt hatte, von den deutschen Männern nachts geliebt und tags verpönt zu sein. Sie ging Anschaffen, richtete eine Wohnung sich ein und machte sich selbständig mit Inseraten in Tageszeitungen, in denen sie ihre Liebesdienste anbot. Und in ihr Schicksal sich einlebend, innerlich ganz Frau zu sein, vervollkommnete sie ihreWeiblichkeit, aber das täuschend echt! Nach einer Gesichtsmaske verwandelte sie sich durch Make-up, Rouge, Lippenstift, Tusche, künstliche Wimpern, falsche Fingernägel, Zweithaar, Fummel, Klunker, hochhackige Pumps und... vom häßlichen Entlein in einen stolzen Schwan, der, wo immer er sich sehen ließ, im Mittelpunkt geiernder Männerblicke stand.

Eines nachmittags suchte Hermann mit einem 3-Tage-Regen-wettergesicht Viola auf, die, da er lange nicht mehr bei ihr war, einen Sektkorken knallen ließ, Gläser füllte, und zuhörte, so Hermann gleich auf Romanos letzten Besuch zu sprechen kam....., vom Schlafzimmer in die Stube gegangen, holte Romano aus der Küche sich eine Flasche Bier, trank Mut sich an, fing von Torsten an, und geriet beim Thema Geld angekommen in Stocken.
„Tu’ dir keinen Zwang an,” forderte Hermann, die Befürchtung verdrängend, den intimen Freund verlieren zu können.
„Wenn du ’s nicht erwarten kannst,” meinte Romano, holte ei-ne zweite Flasche Bier, und gestand: „Ich hab’ Torsten versprochen, daß du mit ihm einen losmachst und Kohle ’rausrückst.”
Das war das zuviel! Hermanns Selbstsicherheit kam ins Wanken. Er nahm die Hand von Romanos Knie und erhob sich, –wahrscheinlich zu schnell. Es wurde ihm vor Augen, und flink in die Hocke gehend, tat er so, als suche er eine bestimmte LP..., legte, wieder zu Kräften gekommen, irgend eine auf und fragte mit rauher Stimme: „Was passiert, wenn Torsten mir mißfällt?” „Dann,” erklärte Romano, „is’ Schluß mit uns! So oder so haut Torsten mich in die Pfanne.” Er trank die Flasche Bier leer, und weil trotzdem seine Stimmung zu wünschen übrig ließ, legte er los. „Weißt du, Hermann, eigentlich hatt’ ich zuerst vor, Torsten von meinem Geld ’was abzugeben. Aber, ich brauch’ die Kohle. Demnächst will ich mit ’nem Kumpel in Berlin Urlaub machen; und den laß’ ich mir von ’nem Arsch wie Torsten nicht versauen, denn ich war noch nie aus Dulsberg raus. Verflucht noch ’mal, Torsten hat mich Original in der Hand!”

„Also doch!”, dachte Hermann. „Er ist kein schlechter Kerl.” Aber! Wollte er den Freund, den er liebte, nicht verlieren, mußte er Kompromisse eingehen. „Vielleicht,” so dachte Hermann, „liebt mich Romano danach endlich richtig.” Er streichelte Romanos Bein und sagte: „Bring’ ’mal Torsten demnächst mit, dann werden wir weitersehen.”
Spontan umarmte Romano Hermann, drückte ausnahmsweise ihm einen Kuß auf die Wange und meinte: „Hoffentlich nimmst du mir das nicht bis in alle Steinzeit krumm, daß ich dich verkuppel. Aber ich will ehrlich sein: ich hab ’s gewußt, daß du ja sagst. Du bist halt tierisch gut drauf.”
Der Kuß und die schmeichelnde Bemerkung taten Hermann wohl; und dennoch: irgendwie fühlte er sich, gelinde gesagt, hundsmiserabel! Da mußte erst einer wie Torsten kommen, daß Romano ihn küßte....., während Hermann sich ausgesprochen hatte, war Viola, zum Ausgehen sich vorbereitend, hin- und hergelaufen; und nun, sich dem Freund gegenübergesetzt, das Tuschkästchen auf den Tisch gelegt, den Schminkspiegel aufgestellt, fragte sie, was Hermann von ihr erwarte.
„Na ja,” begann dieser, räusperte sich und rückte, die Kehle befreit, mit seinem Anliegen heraus. „Könntest du mir Beistand leisten, wenn Romano Torsten zu mir bringt? Ich weiß einfach nicht, was ich mit dem anfangen soll! Und in eine Rolle drängen lassen liegt mir nicht. Andererseits muß ich für Romano, der meinetwegen erpreßt wird, etwas tun.” „Auf gut deutsch:”, meinte Viola, „du möchtest, daß ich dir die Steine aus dem Weg räume.” „Nein!”, widersprach Hermann. „Ich weiß nur nicht, wie ich sonst aus der Patsche kommen soll.” „Darf ich ehrlich sein?”, forschte Viola. „Bitte,” äußerte Hermann.
„Schön,” begann Viola und legte ihr Make-up auf. „Ich frage mich, ob du jemals ausgelernt haben wirst. An negativen Erfahrungen mit Grünschnäbel hat es wirklich nicht gefehlt, um dir so richtig die Hörner abzustoßen! Und wahrlich: einige Wochen sah es ganz danach aus, daß du genug Lehrgeld bezahlt hast, um dich nicht mehr einwickeln zu lassen. Aber nein! Da läuft dir dieses Früchtchen Romano in die Quere und alles fängt von vorne an. Was nun? Du steckst in einem Charivari, aus dem du dir nicht mehr zu helfen weißt. Begreifst du wirklich nicht, daß du alle Sorgen los bist, wenn du diesen Romano sausen läßt?” „Das kann ich nicht,” beteuerte Hermann. „Ich liebe ihn zu sehr.” „Du gehst vor die Hunde!”, mahnte Viola, vernachlässigte ihre künstlerische Kosmetikbeschäftigung, und sah traurig zu Hermann, der betreten forschte: „Findest du, ich verlange zu viel vom Leben, nur weil ich meine Gefühle ausleben möchte?” „Hermann!”, rief Viola und hatte ihre Müh und Not sich zu beherrschen. „Willst du mir einreden, dein Romano gibt sich dir in Liebe hin? Der spannt doch bloß darauf, daß du deine Geldbörse zückst; und je tiefer du hineingreifst, umso mehr liebt er dich, unter Anführungszeichen.” „Das stimmt nicht,” schwörte Hermann. Er trank von dem Prickelwasser, atmete kräftig durch, und vertrat seinen Standpunkt. „Das Geld ist Nebensache! Nenne mir einen Grund, warum ich Romano kein Taschengeld geben sollte. Von seinen Eltern kriegt er nichts, selbst verdienen kann er noch nichts, und Klauen liegt ihm nicht.” „Ob dein Romano lange Finger macht oder nicht, kannst du ihm, so verrückt wie du nach ihm bist, bestimmt nicht von den Augen ablesen,” widerlegte Viola. „Du saugst dir ein solch verzerrtes Phantasiegebilde aus den Fingern, daß mir Angst und Bange um dich wird.”

Über Hermanns Gesicht huschte ein gequälter Ausdruck...; und als er äußerte so in etwa: keiner versteht mich!, keiner hat mich lieb!, gab Viola es auf, über Romano herzuziehen.
Und ihn aufrichtend, teilte sie mit, daß sie natürlich kommen werde, ihm beizustehen, und wechselte das Thema...

9. Auszug: ENTSCHEIDENDE LEBENSWENDE

Geburtstag ist für einen heranwachsenden Menschen eine bedeutungsvolle Wichtigkeit, nähert er sich doch immer mehr der Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches: endlich erwachsen werden!, was heißt: unabhängig und frei vom Elternhaus sein!
Und daß ja auch jeder sieht und mitkriegt, worum es eigentlich geht und was in seinem Innenleben, namentlich: die Geschlechtsreife!, los ist, hilft er seiner äußeren Reifwerdung nach. Manche Mädchen greifen zur Kosmetik, um fraulicher auszusehen, manche Jungs lassen einen Schnurrbart sich stehen, um männlicher auszusehen. Und fast ausnahmslos fechten sie das junge, abhängige Lebensalter mit ihrem Auftreten an; und leid, bzw. zu bunt wird ihnen die Selbstbefriedigung. Sie wollen dies: das Geheimnis der Sexualität erforschen. Und das zu Recht! Schließlich braucht man Jahre, bis die Gefühle und der Trieb in Einklang gebracht sind. –Oder auch nicht! Das Gebiet der Pornographie nämlich kann! nichts weiter befriedigen als den Trieb, nicht aber die Gefühle.

Am Morgen des sechzehnten Geburtstag wurde Romano mit einem Ständchen, das seine Geschwister und seine Mutter ihm brachten, unfreiwillig geweckt; die letzte Nacht nämlich mit den Kameraden bis zum Stillstand der Augen gefeiert, wollte er wei-terschlafen. Und um das der Familie wortlos begreiflich zu machen, drehte er demonstrativ sich zur Wand. Da verkannte er Josef. Der stürzte mit einem Hechtsprung in sein Bett, klammerte am Hals sich fest, und gratulierte küssend.
Schwerfällig und gequält umarmte Romano seinen kleinen Bruder und versuchte, die Augen zu öffnen. Da aber bereits die Sonne hereinstrahlte, konnte er nur blinzeln...; und Josefs Küsse auf Stirn, Nase und Mund erwidert, bat er den Kleinen aus dem Würgegriff genommen zu werden.
Josef ließ Romano los, der sich umdrehte und glaubte, nun seinen Kater ausschlafen zu können, als die Zwillinge ankamen..., und der innigen Liebe unter den Geschwistern ergriffen zusehend, in Mutters Augen, „Ob er die Kleinen deshalb so lieb hat, weil ich kaum für ihn da sein kann?”, dachte sie. „Ach, ich muß halt für alle da sein, obwohl mich jeder für sich allein bräucht’. Wenn ’s doch bloß leichter wär’, jedem mit Zuneigung gerecht zu werden.”

„Okay, okay!”, rief Romano, von der Anhänglichkeit der Geschwister wach geworden, und zog –obgleich der Schädel ihm brummte– die vor dem Bett liegende Jeans an.
Schon liefen die Kleinen in die Küche und fragten wie im Chor, ob sie endlich von dem Kuchen essen dürfen. „Pssst, Kinder,” ermahnte die Mutter. „Weckt mir Vati nicht auf. Mit der Torte müßt ihr warten, bis Roman sie angeschnitten hat.” Und mit ihrem Ältesten allein, nahm sie ihn an ihr Mutterherz und sagte: „Ich wünsch’ dir alles, alles Gute für dein neues Lebensjahr, mein Junge. Paß auf dich auf, hörst du?! Und mach’ keine Dummheiten. Du bist jetzt bald erwachsen, also sei ein Vorbild für die Kleinen. Ich will doch stolz auf dich sein können.” „Mutter!” drückte Romano sich zärtlich aus und umarmte sie. „Ich hab’ dich ja so lieb.” ..., und sie loslassend, wischte er „eine Träne” vom Gesicht.
„’s tut mir schrecklich leid, daß ich kein Geschenk für dich hab’,” entschuldigte die Mutter sich verlegen. „Alles is’ so entsetzlich teuer.” Sie holte aus ihrer Schürze drei Zehnmarkscheine und sagte: „Hier! Mit total leeren Händen wollt’ ich nicht dastehen. Das Geld konnt’ ich deinem Vater vorenthalten. Er darf ’s also nicht wissen. Hörst du?”; und die Hände um seine Wangen legend, küßte sie Romanos Stirn und versicherte: „Ich liebe dich, mein Junge! Mit der ganzen Kraft meines Herzens!” „Mutter!”, sprach Romano zärtlich, warf sich ihr an den Hals, vergrub das Gesicht in ihrer Brust und gab der Liebe zu ihr in diesem Moment den Vorzug.
„Du bist zu gut zu mir!”, meinte er und schämte seiner Schwäche sich nicht. „Wenn Vater nicht wär’, wär’ alles viel, viel besser.” „Roman!”, entgegnete die Mutter und streichelte ihm übers Haar. „So einfach sind unsere Probleme nicht zu lösen. Und: ohne deinen Vater würd ’s dich nicht geben! Ohne deinen Vater könnt’ ich dich jetzt nicht in meinen Armen halten und miterleben, wie du zu einem Mann heranwächst.”

Zu Tisch gegangen, setzte die Schlacht um den Kuchen ein, so daß die Mutter ständig die Kleinen ermahnen mußte, die Lautstärke zu mäßigen, und die Freude über die herumalbernden Geschwister wurde durch das schlechte Gewissen, das ihr zu schaffen machte, getrübt. Bisher hatte sie es nicht über das Herz gebracht, Romano beizubringen, daß er in absehbaren Wochen ins Heim kommen werde; und sich der Vergangenheit stellend, führte diese der Mutter prompt vor Augen, wegen Romano keine Jugend gehabt zu haben; die große Liebe der blutjungen Eheleute jedoch überwand die erste schwere Zeit dürftigen Daseins; nur: als endlich sie ihren ersten Urlaub planen konnten, kündete Nachwuchs sich an. Seither war ihr Dasein eine einzige schwere Zeit. Sich der Berufung fügend, Mutter zu sein, hatte diese sich zur Aufgabe gemacht, ihre Kinder zu ordentliche Mitglieder der Gesellschaft heranzuziehen. Und dann kam Josef zur Welt. Und Romano widerfuhr das Schicksal Erstgeborener, die in einer wachsenden Familie nie einen leichten Stand haben, so sie zu lernen haben, zurückzustecken.
Trotzdem! Bis dahin hatte Romano sich zur vollsten Zufriedenheit der Mutter, die für ihre Kinder stets ein offenes Ohr hatte, entwickelt, bis sie, da das Gehalt des Familienoberhauptes weder hinten noch vorne reichte, mitverdienen mußte. Die junge Brut, zu oft auf sich allein gestellt, wurde das Resultat einer sozialgeschwächten Familie.

„Hast du ’was?”, wollte Romano, der seine Mutter beobachtete, wissen. „Nur das Ãœbliche,” erklärte diese und fragte: „Hab’ ich eigentlich schon erwähnt, daß ich mir heut’  frei genommen hab’? Wenigstens an deinem Geburtstag sollst du dich ’mal rechtzeitig mit deinen Freunden treffen können.” „Das is’ doch besser als gar nichts,” lobte Romano, „weil du meintest, du hättest nichts für mich. Die Kohle hast du dir ja auch nicht aus ’n Rippen geschnitten. Ich weiß...” „Bist du still!”, fiel die Mutter ihm ins Wort und fixierte nervös die Kleinen, die nichts sahen und hörten, so sie gerade sich um das letzte Stückchen Torte stritten.
„Nun hab’ dich nicht so!”, äußerte Romano. „Vater schläft wie ’n Murmeltier. Und ’ne Wanze hat er uns wohl kaum untergeschoben. Oder was?” Er beugte sich vor und gab der Mutter einen geräuschvollen Kuß.
„Ich glaub’, mich tritt ’n Pferd!”, äußerte diese und war erstaunt, da sonst ihr Ältester für zu erwachsen sich hielt, Gefühlen nachzugeben. „Da braucht ’s doch echt erst deinen Geburtstag, damit du deine alte Mutter ’mal küßt!” „Papperlapapp,” widersprach Romano und war vergnügt. „Noch fährst du ja nicht im Rollstuhl zur Maloche.” „Gott behüte,” bemerkte die Mutter, lachte, streichelte Romano mit den Augen, und dachte, „Wie gern würd’ ich dir die tägliche Aufsicht über die Kleinen abnehmen. Aber, wenn ’s auch nicht der Rede wert is’, was ich durchs Putzen verdien’, wir brauchen ’s, damit wenigstens die Kinder mit ’m Notwendigsten versorgt sind.”; und sie träumte, wie schön es wäre, so ihr Mann nicht Abend für Abend trinke..., nichts kümmerte ihn mehr, obwohl die Schulden ihnen über den Kopf wuchsen...

Pünktlich wie verabredet traf Romano Torsten, der ihm gratulierte und naseweis wissen wollte, was der Kamerad von den Eltern geschenkt bekommen habe.
„’nen Blauen hab’ ich von meiner Alten gekriegt,” gab dieser an und nahm es mit der Wahrheit nicht genau. „Mein Alter darf natürlich nicht dahinter kommen. Aber der pennt eh noch seinen Suff aus.”; und aus der Hosentasche einen Hundertmarkschein geangelt, der aus dem Ersparten für die Reise nach Berlin stammte, zeigte er diesen Torsten, der Mund und Nase aufsperrte.
„Ich glaub’, ich bin im Kino,” bemerkte dieser und wurde gelb vor Neid. „Bei euch nagen die Ratten am Hungertuch, aber dir schiebt deine Alte ’nen Blauen rein.” „Tja,” äußerte Romano und steckte den Geldschein wieder ein, „für mich und meine Geschwister is’ meiner Alten nichts gut genug.” Stillvergnügt über Torstens Mißgunst, war er quitt mit ihm; zumal der Zeitpunkt gekommen war, daß Torsten ihn bei Hermann ablöste. Die letzten Tage suchte er Hermann eh nur noch auf mit dem Hintergedanken: Urlaub in Berlin. Und da war da noch dies: Stefan gegenüber störte ihn das Doppelleben. Irgend etwas ging da vor in seiner Seele. Ein unbestimmbares Gefühl für Stefan hegte die Pflege in seinem Herzen. Insofern redete Romano sich ein: das kann nichts Schwules sein. Ansonsten hätte es ihn ja bereits zu Hermann gezogen; ihn schließlich hatte er längst vor Stefan kennengelernt.
So deutete Romano seine Gefühlswelt und legte alles sich zurecht, wie ’s am Bequemsten ist!

„Ich hab’ auch ’was für dich,” verkündete Torsten und forderte: „Mach’ ’mal die Linsen dicht!”
Perplex tat Romano, wie ihm befohlen..., und die Augen wieder öffnen sollend, schlenkerte vor ihm ein zierliches Ohrringgehänge.
„Der is’ handgemacht,” meinte Torsten. „Ich hab’ ihn aus der Klunkerkiste meiner Oma mitgehen lassen. Sie wird ihn bestimmt nicht vermissen, du darfst dich nur nicht damit bei uns blicken lassen.”
Romano bedankte sich und bat Torsten, den Ohrring anzustecken. Da tauchte eine ältere, kleine, untersetze Frau auf, blieb stehen und fragte empört: „Wer von euch Rotzjungen hat meine Abschlußtür verschmiert? Hat ’s euch nicht gereicht, bei meiner Schwester einzubrechen?”
Frei von Schuld verteidigten die Kameraden sich mit dem Hinweis, daß noch andere es gäbe, die solches und ähnliches täten.
„Es ist immer einer von euch,” behauptete die Frau. „Ich werde eueren Eltern sagen, daß ihr Ferkel seid, daß ihr euren Schweinkram immer an uns alten, schwachen Menschen aulaßt.”
„Wir waren ’s nicht, Frau Dürr,” wiederholte Romano, „und damit hat sich ’s. Fragen Sie ’mal Gido oder Marko, mit denen waren wir seit Tagen nicht zusammen.” „Das ist schon einige Zeit her,” erwiderte Frau Dürr und lehrmeisterte: „Lügen haben kurze Beine! Ãœberhaupt habt ihr euere Griffel in jedem Schweinkram.” „Mensch, Alte,” fluchte Torsten, „leck uns.”, und davonlaufend folgte ihm Romano.
„Ihr seid ein ganz verdorbenes Pack,” schrie Frau Dürr und fuchtelte mit den Armen. „Ich werde euere Eltern aufsuchen. Die sollen euch Rotzjungen ’mal den Hosenboden stramm ziehen, damit ihr drei Tage nicht aufstehen könnt, und dann müßte man euch Tag und Nacht in Ketten legen. So etwas wie euch dürfte gar nicht frei herumlaufen.”
Vor der Straßenecke sich herumdrehend, schrie Torsten: „Paß auf, Alte. Wenn du deine Klappe zu weit aufreißt, verlierst du deine Freßmaschine. Du Friedhofsgemüse bist doch schon zwischen achtzig und Scheintod und nur zu faul umzufallen.”; und in die nächste Straße einbiegend, wollte er von Romano bestätigt haben, daß Hermann wirklich Bescheid wisse, daß er heute mitkomme. Dies bejaht bekommen, warf er Romano vor, das habe lange gedauert habe.
„Mensch, Alter,” verteidigte dieser sich. „Das geht doch nicht auf meine Kappe, daß der Schwule...” „Halt die Klappe!”, zischte Torsten. „Asti und Sonni sind mit ihren Stechern im Anmarsch.”
Während Ali und Astrid nach dem Motto: ich grüß’ doch nicht jeden! weitergingen, schüttelte Ismail den Kameraden die Hand, und Sonja teilte Torsten mit, daß Ulrike schon den ganzen Vormittag glaube, er käme.
„Ich hab’ keine Zeit,” erklärte Torsten. „Kannst du Uli ausrichten, daß sie heut’ abend in der Kneipe auf mich warten soll? Ich lad’ sie ein.” „Wieso warten?”, fragte Sonja. „Sagt der Hund zum Knochen: komm?” „Mann,” maulte Torsten, „richtest du ’s ihr aus oder nicht?” „Das muß ich mir noch schwer überlegen,” antwortete diese, nahm Ismail, der den Kameraden zuzwinkerte, bei der Hand und ging weiter.
„Ich seh’ Leute kommen und gehn,” klärte Torsten Romano auf. „Die seh’ ich am liebsten gehn.” Von seiner Weisheit keineswegs eingenommen, meinte Romano: „Wenn du noch länger ’rumstehst und Wurzeln schlägst, kommen wir nie bei Hermann an.” „Ey, du hast recht,” entgegnete Torsten und war bester Laune. Er verabreichte Romano einen Freundschafts-Rippenstoß und forderte: „Dann mal los, Alter! Kohle machen is’ angesagt.”

Augenblicklich, so als habe Hermann nur darauf gelauert, wurde den Kameraden auf ihr Läuten hin geöffnet. Und Romano herzlich begrüßend, verhielt Hermann gegenüber Torsten sich zurückhaltend. Und die Kameraden in den Wohnraum führend, überließ er diese sich erst einmal ihrem Schicksal, indem er zur Küche ging.
Weil der sommerlichen Temperatur wegen die Jalousie herabgelassen war, war es in dem Wohnraum schummrig und kühl. Eine Jethro-Tull-LP lief und ein betörender Duft, den Kameraden allzu bekannt, lag in der Luft.
Torsten, verwirrt darüber, wie gut er sich hier gleich fühlte, atmete tief ein, drehte den Kopf, und –sah sie. Seine Ãœberraschung! Die nämlich, von der er noch nichts wußte!
Ganz hinten, auf dem Sofa, saß Viola, ein Glas Champagner in der einen Hand und einen Joint in der anderen, in gelungener Verwandlung, die das darbot, wonach so mancher unerfahrener Mann in seinen kühnsten Träumen sich sehnt.
„Du hast doch gesagt, Hermann is’ schwul!?”, flüsterte Torsten und starrte auf Viola länger als die Höflichkeit erlaubt.
„Die is’ nicht echt!”, murmelte Romano, der durch Hermanns gelegentlichen Bemerkungen über Viola ahnte, daß das da auf dem Sofa eine Kopie war.
„Ich glaub’, ich lüg’,” widersprach Torsten flüsternd. „Die da, Alter, is’ ’n allererster Sahnetrip.”
Von so viel Verzückung angewidert, schüttelte Romano nur mit dem Kopf und war heilfroh, daß Hermann mit einigen Flaschen Bier unterm Arm hereinkam.
„Was ist?”, wandte Viola sich an Torsten. „Willst du weiter Bauklötze staunen oder dich zu mir setzen?”
Diese Aufforderung bedurfte keiner Wiederholung. Romano bat Hermann in die Küche, wo er sich beschwerte. „Was soll die Scheiße? Das is’ mein Geburtstag! Mit der Quecksilbersäule da drin kommt doch keine Power auf. Und Torsten denkt echt, das geht auf meine Kappe.” „Bitte,” bat Hermann, „mach’ dir seinetwegen keine unnötigen Gedanken.”
Und in Liebe zerfließend, umfaßte er Romanos Taille, zog ihn an sich, und wollte ihm einen Kuß auf den Mund geben.
„Wie mir das zum Hals raushängt,” dachte Romano und drehte den Kopf so, daß Hermanns Lippen nur seine Wange berühren konnten.
Darüber traurig, gab Hermann Romano frei und versicherte: „Ich wünsche dir auf deinem weiteren Lebensweg nur gutes Gelingen. Alles, was du dir wünschst, soll dir erfüllt werden.” Er hielt ihm einen Hundertmarkschein hin und meinte: „Ich habe hin und her überlegt, womit ich dir eine Freude machen kann, und weil du Geld brauchst für deinen Urlaub in Berlin, ist dir das bestimmt am Wichtigsten.”
„Wou!”, rief Romano, und seine Augen leuchteten auf. „Das is’ echt irre! Jetzt hab’ ich die Kohle beisammen.”
Seinem Jubelruf jedoch folgte ein komisches Gefühl, das ahnen ließ, dafür sich erkenntlich zeigen zu müssen. Das war ein Ärger! Ausgerechnet heute, wo er Hermann nichts mehr vormachen wollte. Und noch gerade fertig gedacht, bekam Romano die Bestätigung.
„Ich habe eine große Bitte an dich,” gestand Hermann. „So lange wünsche ich mir einen Kuß von dir.” „’nen Kuß?”, fragte Romano und fiel aus allen Wolken. „Du meinst ’nen echten Zungenschlag?” „Ja!”, antwortete Hermann und kam, den Blick zu Boden gerichtet, wie ein kleines Kind sich vor, dem man gleich eine lang ersehnte Illusion raubt.

Einen Mann küssen! Von der bloßen Vorstellung wurde es Romano fast schlecht. Sofort wollte er Einspruch erheben, da knisterte in seiner Hand der Geldschein und –er sah es ein! Er war es dem Schwulen einfach schuldig. „Na gut,” willigte er ein. „Weil ich Geburtstag hab’.”
Es sollte das sein Abschiedsgeschenk sein. Schließlich und endlich hatte Hermann auch nie sich lumpen lassen. Überhaupt würde er mit diesem Kuß ihm nichts schuldig bleiben, und die befürchtete Aussprache erübrigte sich.
Den Atem anhaltend und die Lippen zusammenkneifend schloß Romano die Augen.
Mit Berühren seiner Lippen und die der Romanos, kam Hermann in Erregung. Oft erträumt, nun erfüllt, stieg sein Puls an. Alles drehte sich ihm. Und Romano an sich pressend, fuhr er entlang seines Körpers –bis unter die Gürtellinie.
„Kriegt der Schwule denn nie genug?”, dachte Romano, den Atem nicht mehr anhalten könnend. „Ich hab’ dafür ’nen Blauen gekriegt.” Und nach Luft schnappend, konnte Hermann sich alles, was er wollte. Die Hitze der Leidenschaft stieg ihm zu Kopfe...; „Na, habt ihr euch die Zeit sinnvoll um die Ohren geschlagen?”, wurden sie hernach von Viola gefragt, die Hermann ansah, daß er zufriedengestellt war.
„Wie eine Rühr-mich-nicht-an-Lady siehst du auch nicht aus,” entgegnete dieser.
„Das stimmt! Vermißt habe ich euch nicht,” bestätigte Viola und gab die „Rolle” Torsten, der wie ’n Himbeereis dahinschmolz.
Hermann legte eine LP auf und war mit den Dingen, wie sie liefen, restlos einverstanden. Aber Romano! Ihn schockte Torstens Verhalten.
Mit hochgezogenen Brauen in einen Sessel sich setzend, öffnete er mit seinem Feuerzeug eine Flasche Bier, zündete eine Zigarette an, und strafte das seltsame Paar mit Blicken der Verachtung.
„Willst du ’mal ziehen?”, fragte Viola freundlich.
„Laß’ mich bloß mit so ’ner Dröhnung in Ruh’!”, warnte Romano und trank, sich abreagierend, die Flasche Bier in einem Zug leer.
„Wer nicht will, der hat schon,” meinte Viola und küßte Torsten, den Romanos Haltung nicht berührte.
Hermann, der im siebten Himmel schwebte, sorgte für neue Musik und gab Mühe sich, Romano in Stimmung zu bringen, der nach der zweiten Flasche Bier genug hatte und ankündete: „Ich geh’, sonst platzt mir von der Dröhnung der zwei der Schädel.”
Ihn zur Tür bringend, sagte Hermann: „Es tut mir leid, wenn du dich nicht wohlgefühlt hast. Aber versprochen: beim nächsten Mal sind wir wieder unter uns.”
„’n nächstes Mal gibt ’s nicht!” dachte Romano und sagte: „Laß’ mal stecken. Jeder macht Fehler.”
Das Kapitel –Hermann– war abgeschlossen, –und erst recht, so dieser ihn wieder küssen wollte. Da hielt Romano nichts mehr! Mit großen Sprüngen nahm er die Haustreppe –auf nimmer wiedersehen...

Stefan, mutterseelenallein, hatte diesen Tag schwer hinter sich gebracht. Und nach Abwechslung gesucht, hatte er in der guten Stube den Fernseher ein- und wieder ausgeschaltet; die Stereoanlage eingestellt, doch unbeteiligt eine LP abgespielt; lustlos ein Buch aufgeschlagen und wieder weggelegt;...
Was war geschehen? Warum bekam er den Gedanken nicht los, Romano lasse ihn die zweite Geige spielen? Wie sonst sollte Stefan es sich erklären, daß sein Freund nicht mit ihm, sondern mit Torsten Geburtstag feierte? Und was sollte das: Romano müsse mit ihm eine unaufschiebbare Dringlichkeit erledigen, über die er nicht sprechen könne? Warum konnte –oder wollte– Romano nicht mit ihm darüber sprechen? Hatte er kein Vertrauen zu ihm? Oder war er ihm –gerade an seinem Geburtstag– einfach zu langweilig?
Solche und ähnliche Grübeleien jedoch, noch dazu stundenlang, rufen immer Eifer-Sucht hervor, die einen einredet, man sei der auf dieser großen, weiten Welt einsamste, ungeliebteste Mensch. Und genau so erging es Stefan an diesem Tag!
Als dann, irgendwann, zu seinem Selbstmitleid auch noch die Decke auf seinen Kopf zu fallen schien, hielt in der Wohnung er es nicht länger aus...
In der Parkallee, dort, wo die Freunde zum ersten Mal sich begegneten, hatte Romano unter einer Gruppe Bäume sich niedergelassen. Und er dachte über den bisherigen Teil seines Lebens nach, in dem er mit den Kameraden tags Keller auskundschaftete und nachts einbrach; auf dunkel verlassenen Straßen mit oder ohne Gewalt Fremde beraubte; Geldautomaten knackte; berühmt berüchtigte Komafeste feierte; alles wagte und von nichts sich abschrecken ließ.
Wo war er abgeblieben, dieser Teil seines bisherigen Lebens, der ihm nicht fehlte? Wieso gefiel es ihm, nicht mehr der zu sein, der er mal war, bevor? Ja! Bevor was? Und wie bestellt bekam Romano seine Antwort. Das nämlich! Das ist zu-Fall-kommende Vorsehung, daß in dem Moment, als Romano aufsah, Stefan des Weges entlang kam.
Und ein Stein fiel vom Herzen, sowohl bei dem einen wie bei dem anderen. Und die Freunde liefen sich entgegen, nahmen sich in die Arme und freuten sich, als wären Jahre vergangen seit ihrem letzten Wiedersehen.
„Das feiern wir!”, bestimmte Romano. „Noch hab’ ich Geburtstag.”; und den Freund eingeladen, ging ’s auf zur Reeperbahn. Dort, das wußte Romano, war immer was los.

10. Auszug: IN DER GERÃœCHTEKÃœCHE BRODELT ES

Wenn in Dulsberg zur vorgerückten Abendstunde brave Familienväter vom Fernseher sich lossagen und langlegen, so sie am nächsten Morgen für ihr Tagewerk neue Kräfte haben möchten, machen andere sich auf die Socken und landen unter anderem auf einen Umtrunk in der Dulsbergkneipe, in der an diesem Abend es hoch herging und kaum ein Stuhl, geschweige ein Barhocker unbesetzt blieb.
Die marktschreierische Lautstärke der Kundschaft drang bis auf die Straße, so der Wirt der bullen Hitze wegen Tür und Fenster geöffnet hielt. Trotzdem triefte der Kellnerin der Schweiß von der Stirn und sie kam kaum mehr den Bier- und Kornrunden nach, die von Verlierern am Stammtisch in Auftrag gegeben wurden. Dem Wirt hingegen wurde nichts zu viel. Der, unterstützt von einer Angestellten, führte beim Ausschank die pausenlosen Bestellungen aus, stellte die Zettel der Kundschaft richtig, spülte die Gläser und gewann obendrein am häufigsten beim Würfelspielen „Maxen” mit Gästen, die den schmalen, kurzen Tresen besetzten.
Andere Gäste, zu Tisch, vertrieben die Zeit sich mit Tratsch und Klatsch oder der Trunkenheit hingegeben; und im Nebenraum, aus dem die Musikbox eine Schnulze nach der anderen spielte, war in einer nischenartigen Ecke Heiko ganz in seinem Element: das erste Bier geschluckt, akzeptierte er noch, daß Ilka, die er oft anrief, erst dann zu ihm zurückkehren wolle,  wenn mit dem Vergangenen sie ins Reine gekommen sei, das zweite Bier geschluckt, ärgerte ihn die Firma, die ihm keinen Urlaub gab, denn dann wäre er nach Berlin gefahren, das dritte Bier geschluckt, kam die Wut ihm hoch, auf seinen Werkleiter, dessen Mißfallen er erregt hatte, seit nämlich Ilka ihn nicht mehr rechtzeitig aus den Federn scheuchte, trat er ständig zu spät die Arbeit an...; und nun, das vierte Bier geschluckt, rief er nach der Kellnerin, bestellte das fünfte Bier und torkelte, halbwegs gerade, halbwegs schwankend, zur Musikbox.
Na endlich! Auf eine solche Gelegenheit war Andrea gespannt gewesen, denn die Liebes- und Trennungsgeschichten, worüber die Freundinnen zu berichten hatten, langweilten sie, zumal Sonja und Astrid mit jedem neu einkehrenden Gast hofften, Ismail und Ali seien darunter, und Ulrike, die auf Torsten wartete und sich vorkam wie bestellt und nicht abgeholt, grauste es, beim Einstieg durchs Korridorfenster von der Heimleiterin erwischt zu werden.
Andrea, die die ganze Zeit Heiko studiert hatte und von seinen muskulösen, tätowierten Arme und behaarten Brust hin- und hergerissen, ging bei der Musikbox auf Tuchfühlung mit ihm. „Hast du Bock darauf, dich mit deinem Bier zu mir zu setzen?” fragte sie.
Vom Wählen aufsehend, fragte Heiko zurück:„ Kenn’ ich dich?”, und stellte, Andrea von Kopf bis Fuß gemustert und als ausgesprochener Glückspilz sich vorkommend, das Interesse einer derart atemberaubenden Weiblichkeit erregt zu haben, schnell fest: „ Na ja, was nicht is’  kann ja noch werden.” „Genau,” bestätigte Andrea und war ihrer Sache sich sicher. Der Funke ihrer Leidenschaft war im Nu übergesprungen. Somit würde dieses männliche Prachtexemplar, das sie haben wollte, ohne Einsatz taktischer Waffen einer Frau zu kriegen sein.

„ Wo sitzt du?”, erkundigte Heiko sich. „ Dort,” informierte Andrea und wies mit dem Finger Richtung ihrer Clique. „ Stör’ ich euch nicht?”, fragte Heiko. „ Ach was,” antwortete Andrea. „ Die warten alle auf einen Freund. Nur ich bin solo –heut’.” „Jetzt nicht mehr,” berichtigte Heiko, legte den Arm um Andrea, und meinte:„ Wär ’s nicht besser, du kämst gleich mit deinem Bier zu mir?” „ Logo,” versicherte Andrea, und gerade ihren Platz freimachend, trudelten Ismail und Ali ein.
„Wollt ihr uns verarschen?”, forschte Sonja nach. „Seit über ’ner Stunde treten wir uns auf die Füße, bloß weil ihr noch nicht begriffen habt, wie ’ne deutsche Uhr läuft.” „Reg dich ab,” riet Ismail. „’s is’ uns ’was dazwischen gekommen.”
Statt einer Entgegnung, schob Sonja seinen Arm von sich und verweigerte ihm einen Begrüßungskuß. Astrid dagegen fiel Ali um den Hals. Von der Freundin links liegen gelassen, wandte Ismail sich an Ulrike, die ihn abblitzen ließ.
Links unerwünscht! Rechts unerwünscht! Ismail kam auf 180! Und sich dementsprechend revanchierend sagte er: „Wir ha-ben Torsten gesehen.” „Echt?”, rief Ulrike wie umgewandelt. „Wann kommt er?” „ Ich glaub’ garnicht!”, entgegnete Ismail. „Torsten is’ inzwischen ’n warmer Bruder.” „Du hast ja wohl ’ne Scheibe ab,” klärte Ulrike ihn auf. „Schließt du eigentlich immer von dir auf andere?”  „Hej, Ali! ” Ismail richtet das Wort an den Freund. „Sag’ du ’s ihr. Mir glaubt sie nicht.” „ Das stimmt aber, Uli,” bestätigte dieser. „Wir haben vorhin Torsten mit der Tucke, Viola, gesehen.” „Wenn das stimmt,” fluchte Ulrike und schoß vom Stuhl hoch, „dann, dann, dann is’ der für mich gestorben!” Ismail, der erkannte, zu weit gegangen zu sein, wollte den Schaden wiedergutmachen. „Glaub ’s bloß nicht, Uli. Wir wollten dich nur ’n bißchen aufziehen.” „Erzähl’ doch nichts,” widersprach diese und machte kurzen Prozeß. „Torsten, und das kannst du ihm brühwarm bestellen, kann sich meinetwegen mit Schwulen ’rumtreiben, so lang ’s ihm Spaß macht. Von meiner Liste jedenfalls is’ er ab sofort gestrichen.”; und –sie räumte das Feld.
„Du Idiot!”, schimpfte Sonja. „Hättest du nicht so dick aufgetragen, wär ’s nicht dazu gekommen. Du weißt haargenau, wie sehr Uli an Torsten hängt.” Und bevor Ismail sich verteidigen konnte, forderte sie: „Kommst du, Astrid? Hier haben wir nichts mehr verloren.” „Wieso?”, meinte diese. „Das is’ Ulis p.P.!” „Ach,” stieß Sonja von sich, „vergiß ’s!”, und sie kehrte der Freundin den Rücken zu. „Verflucht aber auch,” warf Astrid Ismail vor und befreite rücksichtslos sich aus der Umarmung ihres Freundes. „Wenn Dummheit weh tät, würdet ihr Tag und Nacht schreien.”; und die Freunde hatten das Nachsehen.

Von diesem Vorfall bekam Andrea nichts mit. Ins Kino eingeladen worden, hatte sie zuvor die Dulsbergkneipe verlassen; und auf dem Hintersitz eines Taxi entflammte sie mit Heikos ungestüme Küsse in heißblutige Liebesglut.
Der Chauffeur, an solche Bilder gewöhnt, achtete nur auf den Straßenverkehr...; und dann bummelte das Liebespaar engumschlungen über die Reeperbahn. Jedoch miteinander beschäftigt, ging alles spurlos an ihnen vorbei, wie die Dichte des Passantenstroms, wie das Lichtspiel über Disco, Sexshop, Kino etc., wie Lokalplakate, die mit preiswerten Getränken lockten, wie..., und Andrea, die als vollwertig begehrte Frau sich fühlte, legte sich fest, daß alle Jungs, mit denen sie bisher ein Techtelmechtel eingegangen war, im Vergleich zu Heiko Waisenknaben waren.
Nach einem Zwischenstopp in der Discothek „Sheila”, für ein hartes Getränk, schloß das Liebespaar sich der Menschenschlange vor dem Kino „Oase” an; und völlig eingenommen von Heikos Charme, kam Andrea darauf, daß mit ihrem flatterhaften Lebenswandel sie einzig und allein ihn gesucht hatte; ein ganzer Kerl, der mit einer Frau etwas anzufangen weiß.
Jetzt aber! Andrea konnte ihren Augen nicht trauen. Jedoch, es war wahr, wie sie meinte, was sie sah. Romano ging mit Stefan!
Vorne, an der Kinokasse, kamen die Freunde gerade an die Reihe, ihre Karten zu lösen...; und in die Vergangenheit, ins H.d.J. versetzt, sah Andrea Romano auf sich zusteuern und fragen, „ Hast du eigentlich gecheckt, daß deine kleine Schwester sich von ’nem Schwuli begrabbeln läßt?”...; „Aber Hallo!”, dachte Andrea es genießend, aufgrund der Tücke des Geschicks, gleich zwei Schwulis auf einmal erwischt zu haben. „Endlich hab’ ich dich! Du selbst, höchstpersönlich, treibst es mit dem Schwuli. Jetzt kriegst du dein Fett weg.”

„Is’ was nicht in Ordnung?”, fragte Heiko. Es war ihm nicht entgangen, daß Andreas Interesse nicht mehr ihm galt; sondern?
Schon befürchtete er, sie sei nur noch verlorene Liebesmüh.
„Tut nichts zur Sache,” erklärte Andrea, „’s is’ nur..., eigentlich hätt’ ich Bock drauf, mit dir ganz allein zu sein.” „Du sprichst mir aus der Seele,” entgegnete Heiko und war erleichtert. „An und für sich könnten wir zu mir gehen. Ich bin zur Zeit Strohwitwer. Meine Alte hat mich verlassen.” „Mir könnt’ das nicht passieren,” gestand Andrea offenherzig.
„Und deine Alten?”, forschte Heiko nach. Er war keineswegs scharf darauf, im nachhinein Ärger sich einzuhandeln. „Machen die keinen Aufstand, wenn du über Nacht wegbleibst?” „Das wär’ ja ’n dicker Hund,” protestierte Andrea. „Die haben nichts zu melden.” „Worauf warten wir dann noch?”, fragte Heiko. „Laß’ jucken, die Nacht is’ kurz.” „Du hast recht,” bestätigte Andrea und zwängte die Hand in seine Gesäßtasche. „Man gönnt sich ja sonst nichts.”
Und noch einmal nach Romano und Stefan spähend, die nun ins Kino gingen, durchflutete ein Wonneschauer reinster Schadenfreude Leib und Seele Andreas, die dachte, „Ja, mein lieber Schwuli. Da hast du dir saftig ’was eingebrockt. Mir schwant nichts Gutes!”

Am nächsten Morgen hatte Andrea nichts Besseres zu tun, als gemeinsam mit ihrer Schwester die Freundinnen zusammenzutrommeln. Und dann! Zu Boden in einer Art Verschwörungskreis verpflanzt, wollte Andrea zu allererst erfahren, wie der Abend in der Dulsbergkneipe ausgegangen war, als mitten hinein die Mutter platzte, die erinnerte: „Andrea, ich habe dich mehrfach gebeten, das Rauchen in der Wohnung zu unterlassen. Und übrigens: es ist mir schleierhaft, wie man sich bei strahlendem Sonnenschein im Düstern aufhalten kann.” Sie wollte die Gardine aufziehen und Lüften. Blitzartig, aus dem Schneidersitz heraus, stand Andrea auf den Beinen und wurde patzig. „ Mir is ’s schleierhaft, wieso du nie die Klappe halten kannst, Mam. Das sieht sogar ’ne Nachteule, daß wir ’n heißes Eisen schmieden. Oder was?” „Trotzdem,” entgegnete die Mutter. „Trotzdem,” fuhr Andrea ihr über den Mund, „hab’ ich dich mehrfach gebeten, mich vor andern nicht zu blamieren.”; und die Mutter in den Flur führend, befahl sie: „Setz’ dich hübsch in die Küche, trink’ ’ne Tasse Kaffee und versuch’, deine Nerven in ’n Griff zu kriegen.”

Ãœber diese Szene betroffen, meinte Sonja: „’s is’ wohl angesagt, sich wegzuschleichen. Deine Olle is’ bestimmt sauer auf uns.” „Mensch, ey,” schimpfte Andrea, „meine Alte hat an allem und jedem zu meckern. Frag’ meine Schwester.” „Das stimmt,” bestätigte diese, „Mutti is’ gegen alles, was oberaffenturbotittengeil is’.”
„Dann spuck ’s endlich aus,” verlangte Sonja von Andrea. „Was für ’n Riesenfaß hast du aufgemacht?” „So schnell schießen die Preußen nicht,” erklärte Andrea, verstimmt über die Belästigung der Mutter. „Erst seid ihr mit ’ner Durchsage dran. Also: was genau war gestern abend noch los?”
„Hej,” wandte Astrid sich an Ulrike, „verklicker du ihr das.” „Wenn ’s halt unbedingt sein muß,” ging diese ungern darauf ein. Sie schämte sich für ihren Ex-Freund. „Ismail und Ali haben behauptet, daß Torsten schwul is’.” „Was?!?!”, grölte Andrea. „Ich glaub’, ich brech’ mir ’n Ast.” Und in die Hände klatschend, rückte sie mit ihrer Gespenstergeschichte heraus. „Jetzt holt euch den Wachs aus ’n Lauschern und spitzt die Ohrn: ihr wißt doch, daß Torsten und Roman immer gemeinsame Sache machen.” „Wieso?”, fragten die Mädchen wie aus einem Munde, und Sonja wollte wissen, was das eine mit dem anderen zu tun habe.
„Mensch, seid ihr begriffsstutzig,” warf Andrea den Freundinnen vor. „Selbstverständlich is’ Roman auch schwul. Ich hab’ ihn letzte Nacht verliebt mit Stefan Arm in Arm über den Kiez bummeln sehn.” „Moment,” bat Sonja. „Du sprichst in Rätsel. Wer is’ Stefan?” „Der,” platzt es aus Steffi, „is’ auch schwul.” „Hundertpro?”, fragte Astrid, die nicht einfach mit den Wölfen heulen wollte.
„Das is’ so sicher, wie das Amen in der Kirche,” behauptete Andrea. „Kein Wunder, daß Roman im Bett ’n absoluter „Sieger” is’. Ich weiß, was Sache is’. Der schläft sich viel lieber durch die Betten Schwuler; und weil der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, is’ Torsten auch einer von d e n e n.” „Na und?”, meinte Steffi abgebrüht. Das tat ihr gut, nicht mehr allein auf Torsten verzichten zu müssen. „Was geht ’s uns an?” „Was uns das angeht?”, fauchte Ulrike die Kleine an. „Ich fall’ ja wohl voll von der Rolle. Wen hat er denn vollgesponnen? Dich oder mich?” „Genau,” bestätigte Andrea, „und verlaß’ dich darauf, Uli, so wie Roman werden wir auch Torsten fertig machen. Diese Chance lassen wir uns nicht entgehen. Endlich können diese Schwulen uns kennenlernen. Und ich weiß auch schon wie.” „Spitzenmäßig,” japste Steffi. „Was du ausheckst, is’ immer oberaffenturbotittengeil.”
Dieses Lob fand Andrea durchaus gerechtfertigt; und in Positur sich werfend, versicherte sie: „Wir machen Nägel mit Köpfen. Denen zahlen wir ’s heim. Ich schwör ’s euch, das, was ich auf Lager hab’, das haut sogar die stärkste Tante um.”...

Unweit von dem Verschwörungsort entfernt erwachte Torsten. Gequält und stöhnend setzte er sich, legte auf den dröhnenden Schädel die Hände, versuchte, seine sieben Sinne zu sammeln, und –erblickte Viola, die, noch schlafend so ohne Zweithaar, ohne Schminke, ohne Schönheitsmaske, ihn in das Märchen von Aschenputtel versetzte; dabei kam Torsten sich so dreckig vor, daß er mobil wurde. Geschwind aber leise, um bloß Viola nicht zu wecken, zog er sich an und stahl sich aus der Wohnung. Im Dulsbergbad dann, unter der Dusche glaubte er, die schwarzen Flecken von der Seele sich waschen zu können, dabei fragte er sich, wie er –VON ALLEN GUTEN GEISTERN VERLASSEN– Violas wegen den Verstand verlieren konnte, der wiederkehrte und eine aufsteigende Wut mitbrachte, die ihn daran erinnerte, daß wieder einmal er keinen Pfennig Geld in der Tasche hatte.
Kalt nachgeduscht fühlte Torsten sich wohler, und suchte im Bad nach Ulrike. Diese nirgends auffindbar, traf er dafür Gido und Marko.
Eine Verabredung für den Abend festgesetzt, ging Torsten aus dem Bad. Zu dumm aber auch! Seit jener Nacht im Mädchenheim konnte er dort nicht mehr sich blicken lassen; also stromerte er gelangweilt durch die Straßen und landete beim U-Bahn Gelände „Alter Teichweg”, wo Ulrike, gerade mit der Bahn gekommen, auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig aus dem Untergrund auftauchte.
„Uli!”, schrie Torsten überglücklich und sprang, weder nach rechts, noch nach links sehend, über die verkehrsreiche Straße. Die PKW-Fahrer, die seinetwegen in die Pedale treten mußten und –zu den aufjaulenden Bremsen– ihn verfluchten und beschimpften, kümmerten Torsten nicht. Er wollte jetzt nur seine Freundin festhalten, küssen, und nie mehr hergeben..., was gründlich ihm verdorben wurde.
Noch bevor er sie umarmen konnte, hielt die alles in allem ablehnende Haltung Ulrikes: hartherziger Blick –strenge Stirnfalten– verhärmte Mundwinkel..., ihn vor Vertraulichkeiten zurück.
„Ich hab’ dich wie ’ne Stecknadel im Heuhaufen gesucht,” ge-stand er und überlegte, was vorgefallen sein könnte. Ob gar seine nächtliche Logis ihr zu Ohren gekommen war? Aber nein! Das war ein Unding. Von daher konnte kein Grund zur Sorge vorliegen und er fragte: „Hast du ’was, Schatz?”
Schatz! Nie zuvor hatte er seine Freundin so zärtlich betitelt, so daß Ulrike sein schlechtes Gewissen heraushörte und endgültig wußte: Ismail und Ali hatten die Wahrheit gesagt.
Ihr Vorsatz jedoch Torsten auf Granit beißen zu lassen, fiel schwer. Beim Süßholz raspeln nämlich und dem Anstrengen, Ulrike zu imponieren, konnte diese sein Äußeres nur noch wie ein stilles Abschiednehmen sich einprägen: die kurzgeschorenen, braunen Haare harmonierten wunderbar mit den braunen, warmen Augen, die hünenhafte Nase paßte hervorragend zu dem großen, breiten Mund, mit dem Torsten für seine jungen Jahre recht beachtlich küssen konnte, den schlanken Hals mit kugelförmigen Kehlkopf, worüber Ulrike oft gestreichelt hatte, liebte sie ganz besonders. Ãœber dem stählernen Brustkorb trug Torsten ein hautenges, beigefarbenes T-Shirt, das aus einiger Entfernung vermuten ließ, er wäre oben ohne. Die viel zu enge Jeans setzte wieder einmal jedem Hans und Franz ins Blickfeld seinen strammen Hintern und sein pralles Reißverschlußpäckchen, was Ulrike nie gepaßt hatte...; alles in allem jedoch, ob sie wollte oder nicht, mußte sie der Wahrheit die Ehre geben und dem lieben Herrgott zugestehen, daß mit Torsten eine prachtvolle, zwar noch ungeschliffene, aber adonische Erlesenheit von 1aQuali-tät –äußerlich betrachtet– gelungen war.

Gramgebeugt darüber, Torsten dermaßen zu lieben und zu begehren, wäre Ulrike verzeihend ihrem Liebsten beinahe an den Hals gefallen, als nun Steffi in ihrer Erinnerung auftauchte; mit der hatte Torsten ja auch..., das setzte ihren sensibeln Gefühlen ein Ende und gab kaltblutiger Herzlosigkeit die Oberhand!
„Geh’ zu deiner Schwuchtel,” stieß Ulrike hervor, „oder von mir aus zu deinem geliebten Roman. Der wartet bestimmt schon auf dich. Wir jedenfalls sind geschiedene Leute.” „Bist du nicht ganz frisch in der Birne?”, fragte Torsten. „Und wenn schon, du Schwuler?”, antwortete Ulrike, die Mühe hatte, aufkommende Tränen zurückzuhalten. „Also gut,” gestand Torsten. Er hatte begriffen! Ulrike, woher auch immer, wußte Bescheid. Jetzt hieß es retten, was zu retten war. Vielleicht brachte sie eine Beichte zur Vernunft. „’s is’ wahr. Ich war heut’ Nacht bei Viola. Aber Mann, Uli, dich hab’ ich am liebsten. Das, mit Viola, war doch bloß ’ne Erfahrung, damit ich weiß, wo ’s lang geht. Jetzt weiß ich, daß mir das nicht liegt. Was ’n richtiger Mann werden will, der muß da halt durch. Deshalb bin ich nicht schwul. Gerade du kannst nicht das Gegenteil behaupten!”; und instinktiv umfaßte er Ulrike.
Leider macht der Ton die Musik!
„Das,” äußerte Ulrike, von Torsten sich losreißend, „hör’ ich zum ersten Mal, daß ’n richtiger Mann durch so ’was muß.” Der Boden schien ihr unter den Füßen wegzuschwemmen, aber sie wiederholte: „Ich bin fertig mit dir!”
Torstens Gedanken spielten verrückt. Zu seiner Bestürzung bemerkte er erst jetzt, daß einige Passanten neugierig stehen geblieben waren. O je, wie unangenehm! Und das, wo er kurz davor war, Ulrike seine Liebe zu gestehen.
Verzweifelt, nicht sich gehen lassen zu können, richtete er in kämpferischer Haltung, mit geballten Fäusten, sich aufrecht und brüllte: „Mensch, verpißt euch! Ich führ’ hier keine Sondervorstellung vor. Oder habt ihr ’ne Eintrittskarte?”

„Wie hast du das eigentlich gemeint: ich soll zu meinem geliebten Roman gehen?”, fragte er dann, das Thema wechselnd, und faßte sich ein Herz, Ulrike zärtlich zu berühren.
„Faß’ mich nicht an,” fauchte diese und schlug seine Hände von sich weg. „Du kotzt mich an.” Diese Behauptung forderte reichlich Kraft. Sich aber zusammennehmend, äußerte sie: „Willst du mir etwa den Bären aufbinden, du weißt nicht, daß Roman schwul is’? Da mach’ dir mal keine falschen Hoffnungen. Ich weiß aus erster Hand, daß Roman es mit Stefan treibt.” „Das is’ ja hirnrissig,” schimpfte Torsten. „Stefan? Ja, daß is’ so ’n Arschficker. Aber Mann, Uli, Roman hat mit dem nix zu tun. Nicht ’mal mit ’ner Kneifzange käm’ der dem zu nahe.” „Entweder bist du dumm wie Stroh oder du willst mir das Blaue vom Himmel ’runterlügen,” behauptete Ulrike sich, ihren letzten Trumpf ausspielend. „Du willst dich bloß über mich lustig machen. Du denkst, weil ich ’n Mädchen bin, sei ich auf ’n Kopf gefallen. Da täuschst du dich aber! Andrea hat heut’ Nacht Schwarz auf Weiß gesehen, wie Roman sich mit Stefan auf der Reeperbahn eng umschlungen abknutschte.” „Spinnt die bloß noch?”, schrie Torsten außer sich. „Wenn die mir in die Quere kommt, richt’ ich sie so übel zu, daß sie ’ne Schönheitsoperation nötig hat.” „Ja, klar,” meinte Ulrike. „Wenn ’s bei ’nem richtigen Mann, wie du einer bist, in der Birne fehlt, müssen die Muskeln oder der Schwanz herhalten.” Damit, so entschied Ulrike, hatte sie alles gesagt; und –neue Kraft stieg in ihr auf.
„Verflucht,” wagte Torsten einen letzten Versuch. „Ich bin echt nicht schwul. Hast du verstanden?”
Jawohl, sie hatte verstanden! Nur, wollte sie nicht schwach werden, durfte sie nicht verstehen, also ging sie.

11. Auszug: BÖSES ERWACHEN

Ohne Ausnahme ist jeder Mensch im Alltag ständig vor Entscheidungen gestellt, die seine Entwicklung kaum beeinflussen, deshalb darf –sollte– ein Mensch eine Entscheidung nicht sich abnehmen lassen, die zwar schwer zu behandeln ist, aber den Alltagstrott einschneidend verändert.
Bedauerlicherweise geht man meistens –es sich leichtmachend– vom allgemeinen Gesellschaftsdenken aus und verdrängt so die eigenen, wahren, echten, inneren Empfindungen. Man möchte es sich ja nicht verderben, mit den einem liebsten Menschen. Gerade sie sind es, die nach veralterten, überlieferten Lebensregeln sich richten.
Veralterte, überlieferte Lebensregeln, die ineinandergreifend Generation auf Generation abfertigen. Würden junge Menschen selbst einmal zurückverfolgen, wann vor zig vor hunderten von Jahren diese und jene Lebensregel entstand und für jene Zeit von Bedeutung war, so könnten sie einleuchtend begreifen, wie altmodisch und zurückgeblieben ausgerechnet die sind, die modern sich nennen, obwohl ihr angeblich modernes Denken längst schon verstaubt ist und –von Spinnweben übersät.
Ein junger Mensch, der Durchblicken will, der für sein Da-Sein Klarheit braucht, MUSS heutzutage durch das ständig anwachsende Angebot den Mut aufbringen, mehr auf seine inneren Empfindungen zu achten und weniger auf das zu hören, was man von ihm erwartet. So oder so: fällt einer ungelegen auf, einer, der gegen den Strom schwimmt, der wird von dem Allge-meinwesen mitleidig belächelt und für beschränkt erklärt.
Darauf versteht sich die Gesellschaft, die das Leben so sich zusammenphantasiert, wie sie es für ihre eigenen Bedürfnisse HABEN WILL. Und süchtig nach Vorurteilen, nach breitzutretenden Gerüchten, ist man habgierig darauf, aus einer Fliege einen Elefanten zu machen. So werden andersdenkende, anderslebende Menschen fertig gemacht und an den Pranger gestellt. Was ihnen bleibt ist der Strick, bzw. Drogen, Alkohol, etc., oder wachsendes Gottvertrauen. Dafür, das erlaube ich mir  heute, den 27. Mai 1990, an dieser Stelle, diesem Werk rein Persönliches einfließen zu lassen.
Wen den nun folgenden Einblick meiner Tagebuch Eintragungen aus dem Jahre 1988 nicht interessiert, den verweise ich auf Seite 116, wo es mit der eigentlichen Handlung weitergeht.
Ich werde, um meine damalige Stimmung und Verfassung lebendig zu erhalten, in dem damals entstandenen Schreibstil wortgetreu wiedergeben das, was mein Herz öffnete.
... 1988, 120 Seiten Tagebuch „Mein größtes Abenteuer”; auf der Suche nach GOTT habe ich als Schwuler nicht „nur” JESUS gefunden, sondern mich selbst.
08. 04.; Des Menschen Kontakt zu Gott ist wie ein Kaktus! Der braucht zwar wochenlang kein Wasser. Wenn er jedoch gar kein Wasser mehr bekommt, muß er trotzdem verenden. So –gewissermaßen– kommt man unbewußt von Gott ab. Aber wie eine Blumen-Pflanze, die kurz vorm Verenden ist, kann sie wieder langsam aufgepäppelt werden. So –gewissermaßen– kann man wieder mehr von Gott haben.
10. 04.; Gott liegt viel mehr daran, daß die Erde erhalten bleibt, als den Menschen.
13. 04.; Zweifel verursacht Skepsis. Skepsis Vorurteile. Besser man stellt etwas als neutrale Frage hin. Nur so ist es einem möglich, objektiv zu denken und eventuell –oder auch nicht– etwas anderzunehmen.
28. 04.; Ich kann mir absolut nicht selbst das verdorbene Herz aus dem Leib reißen, um es gegen ein reines auszutauschen; es sei denn, ich legte selber Hand an mein Leben, was in Deinen Augen schlimmer als jedes Straucheln auf Erden ist. So kann ich nur hoffen und Vertrauen haben, daß Du mein verdorbenes Herz in ein reines umwandelst. Wieviel Zeit Du dafür brauchst kann doch nicht ich, sondern Du nur wissen. Ich bin bereit alsodann, mich auf Dich zu verlassen.
08. 05.; Ich wollte bloß Hilfe. Eine Bestätigung, daß Du mich erhörst! Dort draußen ist das Leben. Das Leben!, das ich nicht führen will! Hilfe! Hilfe wollte ich von Dir! Du aber schweigst! Du läßt mich allein. Allein in meinem Kummer! Allein mit meinem großen Problem! Warum erbarmst Du Dich meiner nicht? Bin ich so schlecht? So schlecht, daß Du es nicht für nötig hältst, mir zu helfen?
Manchmal glaube ich, daß Gott nicht mehr den richtigen Augenblick erkennt, wann es nötig wäre, sich dem Menschen gnädig zu erweisen. Wenigstens denen gegenüber, die an ihn glauben, auf ihn bauen und ihm vertrauen, weil sie ihr Leben ausschließlich ihm geben wollen! Bereits gegeben haben!
11. 05.; DER REST DIESES JAHRES SOLL GANZ BESONDERS GOTT GEWEIHT SEIN! ALLES, WAS ICH TUE, MÖGE GANZ BESONDERS AUF IHN UND SEINE GESETZE GERICHTET SEIN!!!
25. 05.; Und wenn ich mich noch so bemühe, gottgefällig zu leben und zu denken und zu handeln, ich werde elendig zugrunde gehen. Irgendwann fängt es schließlich an, bergab zu gehen. Und mir geht ’s schon seit Jahren nur dreckig, und ich kann das Leben, mein Leben nicht mehr lieben!
Ich glaube, ich will nicht mehr. Er will auch nicht! Der Dreck unter den Fingernägel von Gottlosen scheint ihm lieber zu sein als ich in meiner Suche nach ihm. Die Bibel zeigt ’s mir ja: für Gott bin ich nichts als ein elender Sünder.
01. 06.; Zwei wichtige Dinge für die Zukunft habe ich begriffen, seit ich die Bibel lese: Gott hat seine ganz bestimmten Lieblinge, die er bevorzugt; was sie auch treiben. Gott drückt immer wieder ein Auge zu. Und das zweite: ich bin alles andere als ein Liebling Gottes.
30. 07.; Eine lebensentscheidende Entscheidung muß gut überlegt sein. Auch die „Sache” mit Gott und Jesus Christus! Deswegen halte ich nichts davon, wenn sich Menschen von jetzt auf nachher entschließen, Jesus als ihren Herrn anzunehmen, wodurch sie nämlich Gefahr laufen, ihr Gehirn brach zu legen; sich alles einreden lassen. Im nachhinein kann es geschehen, daß man seine Entscheidung –die nicht wohlüberlegte– bereut...
04. 09.; (Ergriffen, erschüttert, zum Nachdenken und zum Weinen gebracht, hat mich der soeben gesehene Film „Wir sind alle Gottes Kinder”). Meine Schlußfolgerung: man muß ja soviel neu lernen, wenn man einmal durch Erziehung, Umwelt, Vorurteilen und feststehenden Meinungen, Ansichten und überlieferten, also angenommenen Gesellschaftsordnungen verdorben ist. Neu lernen ist die Voraussetzung, um zu erfassen, einsichtig werdend zu begreifen, was Menschlichkeit heißt, der keine Grenzen gesetzt sein dürfte, weil sie wahrhaftig über alles erhaben ist. Jesus nur, der vorbildlich gelebt hat und sogar dafür gestorben ist, hat uns die einzig richtige Lehre (kein Wunder als Sohn Gottes) hinterlassen, die uns den Weg weist, vom kaputten Ich zur Menschlichkeit untereinander zu gelangen!!!
07. 09.; Solange ich auf Kirchen und Gesellschaftsdenken und religiöse Gemeinden hörte, stand ich mit Gott und seinem Sohn auf Kriegsfuß meiner schwulen Veranlagung wegen. Nicht mehr, seit ich meine Lebensführung ausschließlich nach der Lehre Jesu richte; und darauf höre!
08. 09.; Heute weiß ich, daß es ein lebenslanger Segen ist, Spätzünder zu sein. Deswegen war und bin ich gezwungen, immer erst über Umwege „Dinge” zu begreifen, auf die andere im Schlaf kommen. Aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus bemüht, peinlich genau „mein nicht gleich verstehen” vor anderen verborgen zu halten, stieß ich unverhoffterweise so den wahren Werten des Lebens auf den Grund!
Daß mich der Entschluß vom 11. 05.: den Rest dieses Jahres ausschließlich dem heiligen Thema zu widmen dahin führte, wo ich heute, am 01. 10. angelangt bin, ahnte ich wirklich nicht! Ich nahm an, die „Sache” mit Gott und Jesus Christus zu beginnen und eben zum Ende dieses Jahres zum Abschluß gebracht zu haben. Nur um meinen zu vielen ÃœberlegunDFEB43F27B47B2527396429728ACEB3B9B4047gen, Zweifel, bohrenden Fragen, kritischen Abwägungen und schlaflosen Nächten entgegen zu wirken, hielt ich den Großteil meiner Gedanken schriftlich fest; und so entstand, während sich mir eine geheimnisvolle Welt offenbarte –geheimnisvoll, so lange ich mich damit nicht beschäftigt hatte– unbeabsichtigt dieses Tagebuch. Nur der bis hierher rückwirkende Aufbau ist beabsichtigt, für alle, die so oder ähnlich wie ich zu leiden und zu durchstehen haben werden, sobald sie sich auf das größte Abenteuer einlassen, das man im Leben eingehen kann: die Suche nach Gott! Mein künftiges Leben hat sich die letzten Monate entschieden; schriftlich niedergelegt am: 10. 09. 1988 Jesus-Nachfolger werden zu wollen ist eine Entscheidung, die man weder von heute auf morgen treffen kann, noch treffen sollte oder darf! Da bei Gott –und was von Gott kommt– alles seine Ordnung hat, muß man sich vor der Entscheidung, Jesus-Nachfolger werden zu wollen, mit Jesus’ Leben und Tod –warum? wieso? weshalb?– beschäftigen. Wie wenn man sich über Monate darauf vorbereitet und plant, alle Brücken hinter sich abzubrechen, um noch einmal von vorne anzufangen, was für die neuanbrechende Zeit ein wichtiger Schritt wäre.
15. 09.; Weil eben jeder Mensch den göttlichen Funke in sich hat, ist ’s nur entscheidend, wie dieser bei jedem entzündet wird. Bei mir zündete der göttliche Funke im Urlaub, vom 04. 03. bis 17. 03. dieses Jahres in Ludwigshafen, als meine Mutter mir erzählte, daß sie durch eine spiritistische Sitzung erschrocken feststellte, daß es mehr gibt als nur das, was das Auge zu sehen vermag. Von da an wollte ich nicht eher mit Forschen aufhören, bevor ich wüßte, ob an einem Jenseits etwas Wahres dran ist.
Höhen und Tiefen liegen hinter mir, doch es hat sich gelohnt. Ich weiß nun Bescheid. Von Gott her hat alles seinen Ursprung!
16. 09.; Jesus sorgt schon dafür, daß jede Generation ihre von Gott gesandten „Propheten” hat! Damit meine ich: Mitmenschen, die zu geistigen Tiefblicken verhelfen den Mitmenschen, die durch Hektik, Streß und Alltag zu kurz kommen, an das Wesentliche zu denken. Es gab, gibt und wird nämlich immer Menschen geben, die für Das Höhere eintreten. Dafür sorgte Gott selbst, indem er Jesus die Vollmacht gab, und dafür wird immer gesorgt sein, bis Jesus Christus alle! heimgeführt haben wird!!!
18. 09.; Ohne Planung geht nichts. Gar nichts! Ohne Planung kann nichts entstehen, nichts gelingen, nichts Frucht bringen! Auch nicht bei Gott! Auch jeder Mensch muß, sollte in seinem Leben Planen! Jedoch: wer „alles” weiß, wer hinter die Weisheit Gottes gekommen ist, plant zwar, stets aber mit dem Vorbehalt: „Morgen kann ich Sterben! Von Gott abberufen werden!” Dann nutzt keine Hektik mehr, keine Panik! Wenn ’s soweit sein soll, geschieht ’s einfach! Jeden trifft ’s laut Planung seit der Geburt. Besser, ich weiß: morgen kann ’s passieren!, als daran irre zu werden, nicht zu wissen: schaffe ich morgen dies oder das? So allein ist der von Jesus ans Herz gelegte Ratschlag aufzunehmen: Jeder Tag hat seine eigne Müh und Plag!
19. 09.; Ob man fähig ist, geistig zu arbeiten, weiß man dann, wenn man irgendwann –im nachhinein– die Bestätigung bekommt über die Dinge, auf die man –zuerst selbst nachgedacht– allein gekommen ist; das also nicht Vorgekaute nicht einfach übernommen, sondern geistig selbst verarbeitet und so zu einem es könnte! oder: es könnte nicht sein! gelangt ist!
27. 09.; Von Geburt an muß –und will!– der Mensch lernen und muß –und will!– sich entwickeln! Das Leben alsodann beginnt mit selbständigem Denken! Es ist zu begreifen, zu erfassen, zu verarbeiten... Kindheit, Schule, Jugend, Heranwachsen, Lehre, Arbeit, Fahrschule, Tanzschule u.s.w. Der Mensch entwickelt sich emsig und eifrig nach vorwärts. Bis er des selbständigen Denkens träge wird. Er richtet sich fast unbewußt nach Vorgegebenem, und seine Entwicklung geht –ohne selbständiges Denken– schneckenhaft voran, oft ist es mit der Persönlich-keitsentwicklung ganz aus; denn nur selbständiges Denken läßt der eigenen Entwicklung keinen Abbruch erleiden; allerdings: erst wenn alsodann die Wirren der Liebe, Menschlichkeit, Alltag, Beruf und Finanzen –mehr oder weniger– aufregend oder nicht so aufregend „überstanden” sind, können Denkprozesse in geistige Tiefen beginnen. Dieses wird nur der erfahren, der des selbständigen Denkens nie müde wurde; niemals müde wird!
28. 09.; Wenn ich mich längere Zeit auf Menschen hätte verlassen müssen, wäre ich oftmals verlassen gewesen und verloren gegangen. Da ich mich allerdings jederzeit, ob in glücklichen oder unglücklichen Lebenslagen, auf Gott verließ, bin ich nie ganz unten gelandet. Sobald meine eigenen Kräfte am Versagen waren, wurde mir, wenn ich Gott bat (selbst hadernd), Hilfe zuteil, und auf solch wundersame Weise traten Begebenheiten in mein Leben, daß ich oft im nachhinein nur noch Gott dankbar sein konnte!
06. 10.; Wenn man etwas (egal was!) von Grund auf erneuern will, muß man das „Alte” systematisch abbauen. Nur so kann das „Neue” künftig bestehen! Ansonsten läuft man Gefahr, irgendwann dem „Alten” nachzutrauern, sobald an dem „Neuen” Zweifel aufkommen. Dies kann nicht geschehen, wenn man immer und in allem Hoppla-die-hopp vermeidet.
12. 10.; Mit 180 Grad Umdenken fing dieses Jahr an, die letzten Tage jedoch ist mir klar geworden: sterben! oder 360 Grad Umdenken, nach dem, was ich alles erfahren habe. Nichts ist mir mehr möglich, es einfach hinzunehmen. Die ganzen Monate dachte ich noch, es sei anmaßend, aufgrund meiner Homosexualität Antworten zu finden, zu erwarten. Hier und da gab ich mich –mir selbst zum Schein– zufrieden. Doch nein! Alles spricht dagegen, denn wenn ich alles über die allgemeine, somit auch über meine Herkunft erfuhr, und was es mit Gott und Jesus in sich hat, dann muß ich! wissen vom Jenseits, warum ich schwul bin! Oder ich bin auf Erden nicht mehr brauchbar –und kann abberufen werden!!!
Weil ich meiner Homosexualität wegen einfach keine Antworten finde, nicht einmal von Seiten Gottes, möchte ich sterben; also abberufen werden. Mit all dem Wissen um das Jenseits kann ich nun nie wieder „Zufriedenheit” finden, oder einen ausgleichenden Alltag, ohne zu wissen, warum und wieso und weshalb ich schwul bin! Im Jenseits nur kann ich befriedigende, aufschlußreiche Antworten finden!
16. 10.; (19 Uhr) Was geht da Wunderbares in mir vor? Welcher Befreiungsakt geschieht in mir? Welche Last wirft sich spürbar von mir? Die Last, die ich fast 35 Jahre mit mir schleppte, da ich schon als 7/8jähriger Knabe entdeckte, daß ich schwul bin; fortan meistens nur gelitten und gesucht. Gesucht nach dem, was ich nun fand? Endet dieses Jahr wahrhaftig so gewaltig, so befreiend? Kann es wahr sein, daß dies die Antwort ist meiner Homosexualität?
Ach, ich muß warten! Warten, ob ich der Wahrheit über die Homosexualität auf die Spur gekommen bin! Somit kommen gedurft habe; ist es nämlich so, dann wäre ja für mein weiteres Leben diese bis heute bedrückende Last abgeworfen. Aber das ist ja kaum zu fassen, dann hätte ich ja wahrhaftig und tatsächlich auf der Suche nach Gott nicht „nur” Jesus und meine Herkunft gefunden, sondern sage und schreibe mich selbst dazu! (Und bei der lesbischen Liebe wäre es demnach dasselbe „System”)
17. 10.; (8 Uhr 45) Ich bin kurz vor der Arbeit, aber ich muß erwähnen, daß diese „unglaubliche” Entdeckung mich noch immer und erst recht auf Wolken schweben läßt. Mein ganzes Innenleben ist erfüllt von einer Befreiung, von einer Freude und einem Glück, wofür ich weiter keine Worte finde, als daß ich „nur” Gott danken kann, mich finden gedurft zu haben.
(11 Uhr 30) Dann ist ja das Schwule, die Homosexualität nur auf Erden; nach dem Sterben, im Jenseits, gibt ’s Schwule nicht! Das erklärt auch meine Feststellung vor ca. 2 Monaten, durch das göttliche Wort, daß von Gott nichts Schwules ausging und nie ausgehen wird! Ja, das ist doch... O Mann, es ist einfach fantastisch. Dann hätten sich mir ja mal wieder eine Menge Fragen, eigentlich die letzten, zu 100% beantwortet...
(16 Uhr) Mein Traum ist erfüllt worden! Wie oft mußte ich die Jahre über von jungen Typen erfahren, die Selbstmord begangen hatten, weil sie schwul waren und Gott suchten, und dabei nur auf Ablehnung stießen. Nie wieder muß ein junger Mensch Selbstmord begehen, wenn er die klare, eindeutig einleuchtende Wahrheit Gottes und somit über sich selbst erkennt, und daß Schwulsein nur auf der Erde von Menschen als Sünde abgestempelt wird. Ich selbst kann ein Lied davon singen, und nicht nur einmal dachte ich an Selbstmord, nur daß es in diesem Jahr, während der Suche nach Gott, schlimmer war, als ich es je gekannt hatte. So schlimm und gewaltig, daß ich nun echt vermute, Luzifer wollte mich davon abbringen, das zu finden, was nun das Leben vieler erleichtern wird. Deshalb gebe ich diesem Buch nun doch jene Notizen bei, die nun in dieses Buch gehören, nachdem ich die Wahrheit über die Homosexualität finden durfte.....
...19. 10.; Vielleicht haben Schwule, weil sie von der Verantwortung einer eigenen Familie enthoben sind, erst recht die nötige Zeit, sich dem „Thema” Gott zu widmen!? Oft dachte ich so, die letzten Jahre. Nun aber, nach meinen letzten Tagen, bin ich ziemlich sicher, daß es ein Grund mit ist, leichter zu Gott zu finden! Weil Schwule genug Zeit haben, kritisch nach Gott zu suchen!
21. 10.; Ja! Die Wahrheit über die Homosexualität hat mich nach wenigen Tagen restlos frei gemacht! Alles ist neu und doch bin ich noch der Alte, in Bezug dem Willen Gottes ergeben! Ob ich gleich, kurz darauf, oder erst nach 60 oder 80 Jahren abberufen werde, alles ist Okay, weil ich nur noch das annehmen werde, was von Gott kommt!

Heute, den 29. Mai 1990, stelle  ich wie so oft die letzten 1½ Jahren fest: ER hat mich voll und ganz beim Wort genommen...; im Dezember, 1988, zum ersten Mal krank, im Februar, 1989, zum zweiten Mal krank, und im März/April, 1989, zum dritten Mal (Gürtelrose) krank, konnte meine geistige Führung mich, der ich bis dahin innerlich und bewußtseinsmäßig etwas herangereift war, endlich zu Rudolf Steiner führen!
R U D O L F  S T E I N E R!? Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich nicht besser war als alle, die tatsächlich meinen, über IHN urteilen zu können. Um SEINE Geistes-Größe in erleuchteter Erkenntnis erkennen zu lernen ist dringend erforderlich: ein empfängliches Herz! Ein klarer Verstand! Ein waches Bewußtsein! Und kein Fanatismus!
Wollte ich hier meinen persönlichen Weg zu IHM! auseinanderbreiten, müßten jetzt herhalten die 1989 entstandenen ca.  150 Seiten „Tagebuch”: Meine Reif-Werdung zum Verständnis von JESUS zu CHRISTUS finden zu können.
Aber das würde zu weit führen, zumal jeder selbst mit ernstgemeinten Fragen an die wahren Ursprungs-Antworten gerät.
So allerdings will ich nun doch nicht mich aus der Affäre ziehen; die, die heißgelaufen sind, sollen zu ihrem Recht kommen.
Einzige Voraussetzung dazu ist: man schaffe einen gewissen Freiraum sich in seinem Gefühls- und Denkleben!
Alsodann lege ich los: der treue, standhaft gebliebene, konsequente CHRISTUS, nicht JESUS Diener dieses unseres Jahrhundert, Dr. Rudolf Steiner, hat auf Erden sich inkarniert, am 27. (bzw. 25.) 02.1861, nur, um bis zu seiner Abberufung, am 30.03.1925, der Menschheit nicht nur die anthroposophische Geisteswissenschaft zu bringen, sondern vor allem die Wege zu zeigen ausführlich in seiner Schrift: WIE ERLANGT MAN ERKENNTNISSE DER HÖHEREN WELTEN, die jeden, der es wissen will!, hinführt zu den Ewig-gültigen göttlich-geitigen Wahrheiten, deren Quelle Christus ist.

Des Weiteren hat aufgeklärt Dr. Rudolf Steiner die Menschheit: über die Wiedergeburt! Ãœber unsere vorherigen Erdenleben! Darüber, wie jeder selbst sich diesbezüglich bestätigt finden kann! Ãœber das Leben nach dem Gang durch das Tor des Todes! Ãœber die karmischen Zusammenhänge des einzelnen Menschen und: der Völker überhaupt! Ãœber Zahlengeheim-nisse! Ãœber Sternengeheimnisse! Ãœber das Dasein –Sinn und Zweck– der Menschheit an sich und ihrer vorgeburtlichen Herkunft, die Seelenwelt und die Geistwelt. (Siehe seine Schrift „Die Geheimwissenschaft im Umriß”).
Des Weiteren hat Dr. Rudolf Steiner im besonderen Aufklärung gebracht von JESUS! und CHRISTUS!; nämlich: DAS MYSTERIUM VON GOLGATHA!

Und...und...und aufgeklärt hat Dr. Rudolf Steiner, zu dessen unzähligen Schülern Emil Bock (1895-1959) zählt, der von unschätzbarem Wert eine 7bändige Reihe „Beiträge zur Geistesgeschichte der Menschheit” geliefert hat, was im möglich wurde, so Dr. Rudolf Steiner aus jahrzehntenlanger, gewissenhafter und verantwortungsbewußter Forschung in der anthroposophischen Geisteswissenschaft seine Ergebnisse der Allgemeinheit übergab! Seither „warten” die Geheimnisse in der Welt und! jene in den übersinnlichen Welten nur noch darauf von uns Menschen endlich entdeckt zu werden.
Nur: wie sollen Menschen dahin gelangen, deren... –„Tagebuch” 1989–
21. 07.;  ...größtes Hindernis zur geistigen Entwicklung ihr „so von Herzen geliebtes ”!?WENN?! und !?ABER?! ist!
Statt zu begreifen, daß man klar und deutlich davon ausgehen muß: wie ’s kommt, daran kann man das eigene Leben erkennen!, und daß in dem Leben mit die Wahrheit von Gott verwoben ist!, versperren die Menschen durch WENN und ABER sich die objektive Klarheit ihres eigenen Da-Sein, ihrer ganz persönlichen Vergangenheit (die ja auch schon bereits der nächste Augenblick ist)! Und so können die Menschen ihrer eigenen Tatsache nicht ins Auge sehen, daß gerade, weil es so und so gekommen ist und kommt, man DAS GROSSE DER WAHRHEIT GOTTES einfach bestätigt findet; allerdings, wer bereit ist, zu suchen.
Durch dieses !?WENN?! und !?ABER?! verleugnet man ganz genau genommen sein eigenes Leben, so wie es ist, bis zu dem augenblicklichen Zeitpunkt war und kommt...
24. 07.; Um mit der Wahrheitsverkündigung Dr. Rudolf Stei-ners klar zu kommen, denke ich, daß die wichtigste, entschei-denste Voraussetzung diese ist: die Grundgedanken sollte –müßte– man bereits in sich tragen, in sich hegen!; man sollte sich mit ihnen auseinandergesetzt haben, daß sie alle –diese Grundgedanken– zu einer einzigen, brennenden, nicht mehr einen loslassenden Frage werden; so brennend, daß diese den ganzen Leib und die ganze Seele und den ganzen Geist ausmachen, um dann, so man bei Dr. Rudolf Steiner landet –wie es z.B. bei mir der Fall war– Antworten zu finden, die von Kopf bis Fuß Geist und Seele, Fleisch und Blut vollständig ausfüllen; dann kann die göttliche Wahrheit, die empfindsam nicht sich einfach anbiedert, sondern sorgsam ist, wie es kaum einem in den Alltag hineinlebenden Menschen vorstellbar ist, Besitz von einem Wahrheitssucher ergreifen..., und damit sind wir über Umweg inmitten unserer eigentlichen Handlung versetzt. Das Gegenteil nämlich von dem, was von einem Wahrheitssucher kommt, kam am Vormittag mit der Post. Ein Schreiben, das Kristel Martens bereits den Tagesbeginn vermieste. Doch einen kühlen Kopf bewahrend, bereitete sie sich Kaffee zu, durchblätterte einige Illustrierte, überschlug die Klatschspalten und schaltete wenig später, genervt von den Sprüchen des Moderators, das Radio aus. Jetzt ging ihr die Schleuder der Waschmaschine auf den Geist. Oder war das der Berufsverkehr durchs offene Fenster? Sie schloß es.
Das sie aber auch ausgerechnet heute, so ihr Abwechslung gut getan hätte, allein war. Die Kinder trieben mit dem Hund auf der Straße sich umher, die Katze streunerte über die Dächer, Romano...?, ja, das mußte nun sich herausstellen, na, und der holde Gatte? Der, von seinem Zechgelage erst am frühen Morgen ins Bett gefallen, schlief seinen Rausch aus.

Blickte Kristel Martens um sich, kriegte sie Zustände; Hausarbeit lag mehr als genug an. Doch konnte sie nicht sich verwinden, damit anzufangen. Statt dessen zog sie vom Sonnenlicht gestört die Vorhänge zu.
Die Zeit, in der das Schreiben nicht aus dem Kopf zu verbannen war, kam wie eine Ewigkeit ihr vor, bis –Romano nach Hause kam.
Der, gerade mit Stefan zusammengewesen, freute schon sich auf den nächsten Tag, für den er mit seinem Freund in der Alsterschwimmhalle verabredet war. Und nun, mutig genug sich fühlend, wollte er der Mutter von seinen Urlaubsabsichten erzählen, und das so schmackhaft, daß gar nicht anders sie hätte gekonnt, als ihm die Erlaubnis dafür zu erteilen.
Jedoch: fröhlich die Mutter begrüßt, las er von ihrem Gesicht ab: es liegt was in der Luft!, weshalb er es für angebracht hielt, ins Zimmer sich zu verziehen und seine Zivilcourage aufzusparen für nachher, so die Mutter besser gelaunt war.
Daraus wurde nichts!
Von der Mutter aufgefordert, zu bleiben, was keinen Widerspruch zuließ, fühlte Romano augenblicklich sich innerlich in Abwehrstellung versetzt.
„Das ist mit der Post gekommen,” sagte die Mutter barsch und gab Romano das Schreiben...:
    Frau Martens!
    Weil Sie blind und taub sind,
    ist ’s unsere Pflicht, Sie aufzuklären.
    Romano ist total schwul!
    Ihr abnormaler Sohn treibt ’s
    längst mit dem total schwulen
    Stefan!
        Mit freundlichen Grüßen,
        wir, die Enthüllungs-GmbH

Kreidebleich geworden, konnte Romano keinen Mucks über die Lippen bringen; sein sonst großgeführtes Wort war ihm im Halse stecken geblieben.
„Nun?” Schneidig drang die Stimme der Mutter ihm ins Gehör. „Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?” „Asche!”, stieß Romano aus. „Total Asche. Bei dem Gekritzel krieg’ ich ja  ’ne Gehirnpanne. Das is’ erstunken und erlogen!” „Wo Rauch is’, is’ auch Feuer,” widerlegte die Mutter, rief ins Gedächtnis ihm, daß er mal bei diesem Stefan geschlafen habe, und sagte: „Ich erinnere mich genau, daß du mit diesem Stefan die Schule geschwänzt hast. Seine Mutter rief mich über die Piepenbrings an. Am nächsten Tag gab ich dir ’ne Entschuldigung für die Schule mit.”
„Au Backe!”, dachte Romano, in die Enge getrieben, und kapierte, daß zum einen die Zügel dieser Aussprache die Mutter fest in Händen hielt, und zum anderen, daß es nicht darum ging, verdrehte Tatsachen richtig zu stellen. Hier ging ’s um alles oder nichts! Seine Ehre stand auf dem Spiel. Insofern hatte er sogar Glück im Unglück. Nicht auszudenken, hätte er der Mutter bereits von seinen Urlaubsabsichten mit Stefan erzählt. Brauchte er doch „bloß” glaubhaft genug zu schwindeln, dieser sei nichts weiter, als ein ganz gewöhnlicher Schulkamerad. Und das tat Romano. „Das, bei diesem Stefan zu schlafen, war ’ne Ausnahme. Weißt du noch, Mutter? Vater hat mich in die Wohnung gelassen. Was sollte ich machen? Etwa auf ’ner Parkbank pofen? Mir fiel halt nichts Besseres ein, als dieser Stefan, der in der Nähe wohnt. Mann, Mutter, ich war hundsmüde. Was hätt’ ich machen sollen?”
Das Lügen kostete Ãœberwindung, aber wollte er im Endeffekt als Unschuld vom Lande hervorgehen, mußte Stefan –nach Schema F: was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß– dran glauben...; also log Romano weiter. „Weißt du, Mutter, außer, daß dieser Stefan in unsere Penne geht, is’ da nie ’was gewesen. Ich mit dem? Na hör’ mal, ich sag ’s dir: keiner würd’ mit dem Erdbeern pflücken gehn. Alle wissen ’s, daß d e r schwul is’! Deshalb hab’ ich mit dem nie mehr als höchstens zehn Worte gewechselt. Was denkst du eigentlich von mir, Mutter?”
Der Druck ließ nach! Der Preis der Feigheit forderte von Romano, über ihn triumphierend, sein Recht. Die Lüge machte –wie immer– ihre eigene Wahrheit, aus der heraus Romano nicht mehr in dem anonymen Schreiber den bösen Buben sah, sondern –in Stefan!
Das Phantasiegebilde –AUS DER LÃœGE GEBOREN!– behauptete sich und wurde zur Schein-heiligkeit-Realität, die Romano glauben machte: Stefan, der schwul sei, wolle in Berlin nichts anderes von ihm, als endlich ihn ’rumkriegen.
Das war vielleicht eine Einsicht! Scheinheiliges Erzeugnis der Lüge, die Romano in ihren Bannkreis zog, indem sie ihn überzeugte davon: er sei zur Vernunft gebracht..., und ihm einredete diesen ordentlich verdrehten Durchblick: eine Weiterführung der Freundschaft mit Stefan könne ihn anstecken. Damit aber genau traf sie Romanos Achillesferse. Das war das Letzte, was er wollte: schwul werden wie –angeblich– dieser Stefan.

Von einer schweren Last befreit, brachte die Mutter eine Entschuldigung vor. „’s tut mit wirklich leid, mein Junge, daß ich so schlimm von dir dachte. Ich weiß gar nicht, wie das wieder gutmachen. Kannst du mir trotzdem noch mal verzeihen?” „Ach.” Romano winkte lässig ab. „Schon vergessen.” Und die Mutter umarmend, durchfuhr es ihn wie ein Blitz: zu früh gefreut!
Stefans Mutter! Der war zuzutrauen, so er sich nicht mehr blicken ließ, daß sie des festgesetzten Urlaubs wegen mit diesem Stefan bei den Piepenbrings anrief und nach ihm fragte und –er wäre geliefert. Dem mußte vorgebeugt werden...; und es erlangte die Lüge mit ihrer listigen Heimtücke die Vollendung... „Stell’ dir bloß mal vor, Mutter,” sagte Romano. „Der Schwule wollt’ mich unbedingt nach Berlin lotsen. Damit ging er mir so auf ’n Keks, daß ich zum Schein ja sagte. Ich dachte, ich hab’ dann meine Ruh’ vor ihm. Das klappte auch, bis vor kurzem. Da meinte er, seine Mutter is’ einverstanden, daß ich mitkomm’. Was soll ich jetzt machen? Ich weiß mir keinen Ausweg.”
„Also wirklich, Roman,” hielt die Mutter ihm vor. „Wie kannst du zu so einem nett sein? Is’ ’s nicht genug, daß er dir hinterhersteigt und seine Mutter das unterstützt? Das soll dir eine Lehre sein! Du siehst ja, wohin das führt. Falls da ’was nachkommt, laß’ mich ’mal machen. Mit so ’nem Pack wollen wir nichts gemein haben.”; und das Schreiben dem Müllschlucker übergebend, sagte sie konsequent: „Richt’ diesem aufdringlichen Kerl aus: wenn er nicht seine dreckigen Pfoten von dir läßt, lernt er mich mal kennen.”
Auf die Küchenuhr sehend, stellte sie erschrocken fest, beinahe zu spät zur Arbeit sich aufgemacht zu haben, und ins Bad eilend, sagte sie: „Wegen dieser schrecklichen Sache is’ der ganze Tag flöten gegangen, deshalb fiel auch Essenkochen flach. Mach’ für die Kleinen „kalte Küch’ mit Fenster offen” und sorg’ dafür, daß Vater nicht wach wird. Du kennst das ja, er is’ sonst den ganzen Abend ungenießbar.” ...; zurechtgemacht zum Außerhausgehen, umarmte die Mutter ihren Ältesten und versicherte: „Mein Junge, mir is’ ein Stein vom Herzen gefallen, daß sich alles in Schall und Rauch aufgelöst hat. Ich frag’ mich, was ich gemacht hätt’, wenn... Und erst dein Vater? Der wär’ ausgerastet! Der hätt’ dich todgeschlagen. Der...” ...

Manchmal denkt man, es spottet aller Beschreibung, wie das Schicksal an einzelnen Menschen vorzugehen scheint; demnach meint man, es gäbe die geborenen Pechvögel, die lebenslang Verlierer seien, ob die Zähne sie sich ausbeißen –oder nicht; und man meint, es gäbe die geborenen Glückspilze, die lebenslang Sieger seien, ob die Hände sie in den Schoß legen –oder nicht...
Ein solcher Glückspilz schien Torsten zu sein, der, weil in den großen Ferien er die Großmutter mit Lebensmitteleinkauf und Briefkastenentleerung entlastete, an diesem Morgen unter der Vermutung, eine Anzeige (hatte Ulrike ihr Versprechen gebrochen, war sein Namensbetrug aufgedeckt) abgefangen zu haben, d e n Brief unterschlug. Sodann auf die Straße gehend, sah Torsten die Hausfront hoch. Wie erwartet führte die Großmutter, eine leidenschaftliche Fensterguckerin, ihre Liebhaberei aus, und weithin hörbar log Torsten: „’s is’ nichts gekommen, also verdrück’ ich mich. Zum Spachteln steh’ ich rechtzeitig auf der Matte!” „Bleib’ sauber,” legte die Großmutter ihm nahe.
„Du kennst mich doch,” meinte Torsten und sah zu, in der nächsten Straßenecke aus ihrem Kontrollbereich enteilt zu sein, um ungestört seine Neugier befriedigen zu können. Dem kam dazwischen Romano, der ihm geradewegs in die Arme lief.
„Mensch, Alter,” teilte dieser, der den Kamerad seit dem gemeinsamen Besuch bei Hermann nicht mehr gesehen hatte, mit, „ich wollt’ grade zu dir. Wo bist du denn die letzten Tage abgeblieben?” „Wieso?”,lenkte Torsten ab, dem es peinlich war, ihn zum Augenzeugen gehabt zu haben, wie durch Violas Sex-Appeal er schwach geworden... „Du hast dich ja auch tierisch unter Verschluß gehalten.”; und es stiegen aus seiner Erinner-ungswelt Ulrikes Worte auf, „... Andrea hat heut’ Nacht schwarz auf weiß gesehen, wie Roman sich mit Stefan auf der Reeperbahn eng umschlungen abknutschte.”
Wenn das stimmte, dann!? ...Moment einmal! War gar Romano der, der Ulrike gegenüber die Katze aus dem Sack (Viola ... und) gelassen hatte? Wollte er gar das kameradschaftliche Gleichgewicht wahren, so er beim Téte-á-téte mit Stefan erwischt wurde?
Um darüber Klarheit zu erlangen, fragte Torsten, wie die Katze um den heißen Brei: „Wo hast du eigentlich inzwischen die Luft verpestet?”
Unbewußt hatte er soeben Romano leichtes Spiel eingeräumt. Der nämlich schwarzsehend, daß das, weswegen er tags zuvor Stefan verraten und verkauft hatte, bereits die Spatzen von den Dächern pfeifen, hatte auf den Weg zu Torsten sich gemacht. Einerseits wollte er die alte Freundschaft wieder herstellen, an-dererseits beabsichtigte er, Torsten die eigene Version weißzumachen, wofür er keine Zeit mehr verlor... und „zum guten Schluß” stänkerte: „ Ich bin mir hundertpro sicher, daß mir das Andrea und ihr Damenkränzchen eingebrockt haben. Ich schwör ’s dir, Alter: die Suppe löffeln sie aus.”
Torsten –er hatte Romanos Geschichte geschluckt–, der glücklich darüber war, den verlorengeglaubten Freund wiedergefunden zu haben, versetzte ihm wie zu alten Zeiten einen Freundschafts-Rippenstoß, als... Es fiel ihm wie Schuppen aus den Haaren! Hastig kramte Torsten die unterschlagene Post hervor und sagte: „Ich hab’ ja schon Pferde vor ’ner Apotheke kotzen sehen, aber wenn ich recht hab’ , dann kipp’ ich gleich aus ’n Latschen.” Das Kuvert aufgerissen und die Zeilen überflogen, bekam er seinen Verdacht bestätigt. „Hier!”, sagte er und übergab Romano den Wisch. „Denen zeigen wir ’s, Alter! Wer andern eine Grube gräbt, fällt selber ’rein. Gegen uns sind die Schwachstromelektriker! Los, komm.”...

Abhängig vom Wetter und natürlich saisonbedingt, wurden zu dieser Jahreszeit die Freischwimmbäder bevorzugt, also war für Romano und Stefan es zur Gewohnheit geworden, zwei-, dreimal die Woche in der Alsterschwimmhalle zu sein, wo Romano  gut sich aufgehoben fühlte; war er doch dort die Sorge los, auf Bekannte Dulsbergs zu stoßen. Demnach erlebte er –völlig zwanglos– reichlich Spaß mit Stefan, wie etwa im Wasser, wo die Freunde stundenlang sich jagten...; oder unter der Dusche, wo sie manches Schnippchen sich schlugen und gegenseitig den Rücken abschrubbten...; oder es lobte der eine den anderen, so Romano seine Akrobat-Künste demonstrierte vom Sprungbrett aus, das ein rotes Tuch war für Stefan, der wiederum länger Tauchen konnte...; und ruhten die Freunde am Beckenrand sich aus, führten sie mitunter intensive Gespräche, so daß alles um sie her zu verschwinden schien, was genau an diesem Nachmittag Stefan fehlte.  Umsonst hielt er alle naselang im Duschraum und in der Umkleidekabine Ausschau nach dem Freund. Umsonst ließ er aus dem Auge nicht das Sprungbrett, von da aus, wie er hoffte, Romano ihn überraschen würde. Und nach einer Erklärung für Romanos Unzuverlässigkeit suchend, raubte langsam aber sicher der Nachklang des lärmenden, lebenslustigen Publikums in der gigantischen Schwimmhalle Stefan den letzten Nerv.
Mußte Romano seine Geschwister hüten? Oder: hatte sein ständig betrunkener Vater ihn nicht weggelassen? Vielleicht aber hatte Torsten wieder einmal einen Strich ihm durch die Rechnung gemacht.
„Wo ist denn dein Freund heute?”, wurde Stefan, aus den Gedanken gerissen, gefragt. Und das von einem wildfremden Menschen, der erklärte: „Ohne ihn bist du mir hier niemals aufgefallen.” „Das stimmt,” bestätigte Stefan, stand von der Bank auf und sagte, so als wäre er dem Fremden Rechenschaft schuldig: „Ich gehe ihn jetzt abholen.”; und zu den Kabinen laufend, wußte Stefan nicht, wie ihm geschah...; allerdings: beim Umkleiden, freute er riesig sich darauf, gleich Romanos Mutter kennenzulernen...

Dann, vor der Wohnungstür, als Stefan die Schelle ins Ohr schrillte, bekam er Herzklopfen...; es wurde die Tür geöffnet und –das erste Lebewesen, das Stefan empfing, war der Cockerspaniel, den Romano hin und wieder, so er mit Stefan–noch– zusammen war, dabei hatte. Von dem Vierbeiner keß beschnuppert, streichelte Stefan ihn...; diesem vertraulichen Willkommen-heißen zwischen Mensch und Tier setzte ein jähes Ende Erwin Martens, der den Hund zurückbeorderte und unfreundlich fragte: „Liegt ’was an?” „Ich wollte Romano abholen,” antwortete Stefan.
„Der is’ nicht hier,” erklärte Erwin Martens. „Da mußt du meine Alte ausquetschen, wo der sich wieder ’rumtreibt.” Er grölte nach seiner Frau, schlurfte –der Cockerspaniel hinterdrein– in den Wohnraum, machte die Schotten dicht und –es erschien Kristel Martens, die ein ihr bekanntes Gesicht erwartet hatte.
„D i c h  kenn’ ich nicht!”, bemerkte sie ablehnend.
„Ich bin Stefan,” stellte dieser höflich sich vor.
„Dacht’ ich mir,” bemerkte Kristel Martens, zog die Tür bis zu einem Spalt vor und sprach Stefan ihr Mitleid aus. „Ich will dir nicht zu nahe treten, Junge. Wirklich nicht! Du tust mir in der Seele leid. Mal ehrlich, fällt ’s dir so schwer, ein manierliches, achtbares Mädchen zu finden? Du bist doch ’n schmuckes Kerlchen.”
Stefan konnte –verständlicherweise– dem Sinn ihrer Worte nicht folgen, was noch gar nichts war!, so Kristel Martens meinte, die Flötentöne ihm beibringen zu müssen und, Kraft ihres Irrtums, eine Schimpfkanonade über ihn ballerte. „Unseren Jungen kannst du dir aus ’m Kopf schlagen. D e r  is’ nicht schwul! D e r  hält von dererlei Sauereien nichts! Ãœbrigens soll ich dir ausrichten, daß er dich nicht mehr sehen will. Und das mit Berlin hat er nicht ernst gemeint. Das war ’ne Floskel, damit er nicht länger von dir belästigt wird. Ich kenn’ meinen Sohn! D e r  will nicht einer werden wie du einer bist. Laß’ also gefälligst deine dreckigen Pfoten von ihm, wenn du nicht willst, daß ich dich und deine Mutter in der ganzen Nachbarschaft schlecht mach’.”;    und alles gesagt machte sie –die Tür zu!  

12. Auszug: ES KOMMT GANZ DICK

Kein Mensch wird in seinem Da-Sein auf Erden verschont vor kritischen Lebenslagen, die einen deshalb widerfahren, damit man vor Hochmut, Eitelkeit, Habgier, Unmenschlichkeit,... bewahrt bleibt. Aus eigener Kraft heraus soll man Schicksal und Karma bewältigen lernen, und stets, nach einem weiteren Lebensabschnitt, werden einem die dafür notwendigen und geeignetsten Menschen –im „Guten” oder „Schlechten” Sinne– zugeführt. Tritt der Zeitpunkt schließlich ein, ob oder nicht man auf sich allein gestellt werden soll, wird man geprüft, wie stark oder noch schwach man ist, so da heraus sich entscheidet, wie individuell betrachtet es weiter gehen kann. In einem solchen Lebensabschnitt eigentlich war Heiko, der sich verstand darauf, auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Jetzt noch bettelte er in Telefongesprächen Ilka an, sie möge zu ihm zurückkehren, weil er ohne sie nicht leben könne..., und nachher gaukelte er Andrea Liebe vor.
Andrea, die sogar, obwohl die Eltern großes Aufhebens machten, die Nächte bei ihm verbrachte, war über beide Ohren verknallt, und mit ihm angebenwollend, überredete sie ihn, am Freitagabend, mit ins Haus der Jugend zu kommen...

Inmitten der Teenagerschar, die untereinander sich aufführten, wie es bei ihren Aufenthaltsorten mit Jubel, Trubel, Heiterkeit, üblich ist, kam Heiko, noch dazu ohne Sprit, sich fehl am Platze vor. Nur der Gedanke, ab 22 Uhr in der Dulsbergkneipe die Kehle sich anzufeuchten, stimmte ihn friedlich, und er erwiderte die Umarmungen und das Schmusen von Andrea, die wie eine Klette an ihm hing.
Sonja und Astrid vergnügten in einer Gruppe türkischer Jungen sich, Ulrike war danach zumute, alle zu vergraulen, die bei ihr zu landen beabsichtigten, und Steffi, die Ausschau hielt nach einem passablen Burschen, fiel ein neuer auf, der Jörg war.
Dieser, ein heimlicher Verehrer Steffis, hatte nach ihren Vorlieben sich erkundigt, in Schale sich geworfen, die braunen, nackenlangen Haare modegerecht frisieren und fönen lassen, und so, eine gute Figur machend, sich heute abend eigens Steffi wegen im H.d.J. eingefunden. Und wirklich kam er bei ihr an...; leider viel zu kurz!
Gerade im Begriff, Jörg ans Leder zu gehen, sah Steffi davon ab, ließ ohne eine Erklärung ihn stehen, suchte und fand Andrea, und fragte aufgeregt: „Hast du ’s schon gebont? Sie sind da!”; und weil gleich darauf die Freundinnen herzu kamen, wußte Andrea Bescheid und legte sich fest. „Roman! Torsten!” „Wenn ’s bloß die wären,” bestätigte Steffi, „wär ’s ja auszuhalten.” Sie zeigte mit dem Finger auf Sonja und Astrid. „Ihre Ex-Macker haben sie mit ’nem ganzen Sack voll Knoblauchfresser an der Leine.” „Das is’ ja großartig,” schimpfte Andrea und warf den Mädchen vor: „Is’ doch logo, daß die geladen sind. Mit Türken kann man alles machen, so lang’ sie ’s nicht schnallen, verarscht zu werden. Dann nämlich werden sie ganz schön eklig.”
Nun aber! Andrea wurde still wie eine Auster, denn: Romano rückte mit seinem Trupp an.

Heiko, der zum Streit der Mädchen nur den Kopf geschüttelt hatte, stutzte. „Den kenn’ ich,” informierte er Andrea, die wissen wollte, woher. „Na, ich hab’ dir doch einiges von meiner Alten zum Besten gegeben. Und der ihr Bruder, Stefan, is’ wie der Wichser da vorn vom andern Ufer.” „Habt ihr ’s gehört?”, wandte Andrea den Freundinnen sich zu. „Selbst Heiko blickt ’s!”; und mit gestärktem Selbstbewußtsein rutschte sie vom Barhocker, da Romano, aus seiner Gefolgschaft vortretend, sie aufforderte: „Kommst du freiwillig mit vor die Tür oder geht dir der Arsch auf Grundeis?”
„Moment ’mal!”, mischte Heiko sich ein. Er rutschte ebenfalls vom Barhocker und erklärte: „Ich spring’ für sie in die Bresche. Wenn du also ’was auf ’m Herzen hast, kannst du das mit mir ausbügeln.” „Was ich mit der hab’,” entgegnete Romano, den Schutzpatron Andreas erkannt, „geht dich ’n feuchten Kehricht an. Also halt’ deinen da ’raus.”
„Ey, Mensch,” versuchte Andrea Heiko aufzuhalten, der, mit geballten Fäusten, rachgierigem Blick, und zusammengepreßten Mund, Romano und seine Gefolgschaft, die näher trat, fixierte und –die türkischen Jungen sah!
Gift und Galle kamen ihm hoch! Und an Andrea gewandt, meinte er: „Wenn ich diesen Knoblauchgestank vorher gerochen hätt’, wär’ ich gar nicht erst mitgekommen.” „Mach’ sie doch alle,” empfahl Andrea. „Nazischwein,” beschimpfte Ismail Heiko, der ihm treffsicher die Faust ins Gesicht donnerte. Sofort schlug Ismail zurück. Bevor jedoch alle von Seiten Romanos über Heiko sich hermachen konnten, standen Freunde der Mädchen ihm bei. Und in weniger als Sekunden wäre nicht auszumachen gewesen, wer wem den nächsten Schlag verpaßte..., unversehens gestaltete die Discoszene sich um in eine holly-woodreife Schlägerei..., es kamen die Veranstalter nicht drumherum, die nächste Polizeiwache zu alarmieren..., das Krachen und Bersten des zu Bruch gehenden Inventar übertönte die Sirene des Martinshorn..., das Einschreiten des Auge des Gesetzes zähmte nicht, sondern stachelte die Kampfeslust der Hitzköpfe an, die gegen die Schlagstöcke der Beamten mit Stuhl- und Tischbeinen zur Wehr sich setzten..., Romano, der, nahe beim Ausgang, dabei war, aus dem Schwitzkasten eines ihm fremden Typen sich zu befreien, sah die Bescherung und schrie aus Leibeskräften: „Torsten! Gido! Marko! Verpißt euch! Die Bullen sind uns überlegen.”; und vor nichts mehr zurückschreckend, trat er dem Türvorsteher, der versuchte ihn aufzuhalten, knallhart zwischen die Beine und machte, eiskalt bleibend bei dessen qualvollen Aufschrei, sich auf und davon...

Für Kristel Martens begann der Montag übermüdet und ausgebrannt vom Wochenende her, an dem sie alles stehen und liegen ließ, unfähig war, zur Arbeit zu gehen, und mit Ach und Krach die Kleinen versorgt hatte. Seit der Nacht vom Freitag auf Samstag, als Romano, ordentlich ramponiert in fliegender Hast durch die Wohnung gerast war, ins Zimmer stürzte, wieder davon eilte, und nicht mehr auftauchte, zerrte der Kummer an den Kräften der Mutter. Hatte Romano sich eine nächste Rechtswidrigkeit erlaubt?
Verbitterung nistete sich in Kristel Martens Gefühlen auch darüber ein, daß der Gatte im Schlafgemach bald Schimmel ansetzte. In dieses unglückselige Allgemeinbefinden platzte Josef, der auf das Läuten der Wohnungstür hin geöffnet hatte, durch seinen Kindermund, „Mama! Die böse Frau is’ da. Und zwei Bullen hat sie mitgebracht.” Gewillt, sich zusammenzureißen, schickte die Mutter den Kleinen ins Kinderzimmer, entschuldigte den peinlichen Empfang, führte das Trio in den Wohnraum, räumte hier und da etwas weg, scheuchte von der Couch den Hund, und... Frau Inkosch war befriedigt! Ihre einst angenommene Vermutung, daß die Wohnung ohne Vorankündigung aussähe wie bei den Hempels unterm Sofa, bewahrheitete ihr sich.

Dann –die Gesetzesvertreter blieben kerzengerade stehen– Platz genommen, bemühte Kristel Martens –obgleich tausend Fragen ihr auf der Zunge lagen– sich dem Anschein hinzugeben: alles ist im rechten Gleis. Und sie fragte, wie nebenbei: „Gibt ’s einen besonderen Grund, mit der Polizei zu kommen?” „Machen wir uns doch nichts vor!”, entgegnete Frau Inkosch kühl und sachlich. „Da Sie der Vorladung, vor dem Vormundschaftsgericht zu erscheinen, keine Folge geleistet haben, ist über Ihren Kopf hinweg entschieden worden! Das Sorgerecht für Romano ist Ihnen aberkannt.” „Ich hab ’s geahnt!”, jammerte die Mutter, aber schwieg desweiteren, um nicht sich zu verraten, wie kaputt sie war. „Hören Sie, Frau Martens,” eröffnete die Jugendfürsorgerin, „ich werde Romano heute mitnehmen! In Anbetracht dieser Tatsache halte ich es für unumgänglich, daß Sie Ihren Mann aus dem Schlaf holen!” „Ach,” stieß Kristel Martens von sich, „dem rutscht alles den Buckel ’runter!”
Ãœber diese verbitterte Aussage den Faden verloren, horchte Frau Inkosch auf.
„Ich bin wie zerschlagen,” redete Kristel Martens offen. „Romano is’ übers Wochenende nicht nach Haus’ gekommen. Nicht das geringste Lebenszeichen hab’ ich von ihm.” „Haben Sie eine Vermißtenmeldung aufgegeben?”, fragte mitfühlend Frau Inkosch, die erkannte, daß die Mutter den Alltag mit nur einem spärlichen Rest Lebensmut meisterte.
„Ach,” stöhnte die Mutter, „ich will meinem Jungen keine zusätzlichen Schwierigkeiten machen.” „Die,” erklärte Frau Inkosch, die Worte vorsichtig wählend, „hat er sich unglückseligerweise selbst eingehandelt. Sehen Sie, Frau Martens, Romano hat sich bedauerlicherweise ein weiteres Verfahren eingehandelt.” „’s is’ richtig, daß er ins Heim kommt,” resignierte die Mutter. „Ich hab’ keinen Einfluß mehr auf ihn. Sie hatten recht! Er verwildert mir unter den Händen.” „Leider,” bestätigte Frau Inkosch, erleichtert über diese Selbsterkenntnis, und fragte: „Ist Ihnen von der Randalierung im Haus der Jugend, am Freitagabend, schon etwas zu Ohren gekommen?” „Ich hab’ von den Kleinen ’was läuten hören,” antwortete die Mutter. „Sehen Sie,” meinte die Jugendfürsorgerin, „dafür ist Ihr Ältester zur Rechenschaft zu ziehen. Der Sachschaden im Haus der Jugend geht in die Tausende. Und nicht nur das! Es liegt mir eine Anzeige der Anstaltsleiterin des Mädchenheim „Dulsberg” vor. Hausfriedensbruch und nächtliche Ruhestörung wird ihm vorgeworfen. Frau Martens, es ist wahr, Romano muß unverzüglich unter die Obhut qualifizierter Pädagogen. Läßt er es gar soweit kommen, in Jugendhaft zu müssen, kann ich für nichts garantieren. Deswegen meine Bitte an Sie: sollten Sie einen Verdacht haben, und sei er noch so vage, wo sich Romano versteckt hält, so teilen Sie ihn mir mit.” „Ich weiß ’s beim besten Willen nicht,” gestand die Mutter.
„Die Situation ist doch so, daß wir hier keine Festnahme vornehmen,” stellte nun einer der Beamten fest.
„Sie sagen es,” bestätigte Frau Inkosch, stand auf und beruhigte die Mutter, die das Paragraphentrio zur Wohnungstür brachte, „Machen Sie sich keine allzu große Sorgen, Frau Martens. Ich glaube nicht, daß Ihr Sohn lange untertauchen kann. Schlimm wäre es natürlich für alle Beteiligten, ließe er sich zu einer nicht wieder gutzumachenden Tat hinreißen. Also, bitte, unterrichten Sie mich umgehenst, falls er auftaucht oder Sie in Erfahrung bringen, wo er sich aufhält. Hoffen wir das Beste!”...

In allernächster Nähe, nämlich bei Opa, waren für Romano die letzten Tage und Nächte nur so dahingeschlichen.
Bei Opa war jeder, der in Bedrängnis geriet, gern gesehen. Vor allem mit Bargeld! Deshalb hatte Romano nach dem Vorfall im H.d.J. sein Erspartes geholt, um für Alkohol-, Tabak- und Dro-geneinkauf seinen Teil beizusteuern; ansonsten machte er, wie alle andern, keinen Finger krumm. Sogar das Lüften des Wohnraums wäre zuviel verlangt gewesen, zumal das Tageshell durch die restlich vorhandenen, von Dreck klebenden Fensterscheiben –den zerschlagenen war Pappe angebracht– kaum dringen konnte und darum von früh bis spät das Licht brannte, woran auch nicht die sich störten, die auf den in den Ecken liegenden Matratzen zur Ausnüchterung brachlagen. Der übrige Boden, der als großer Aschenbecher diente, war übersät mit leeren Korn-, Wein-, Spirituosenflaschen und Bierdosen..., und sollte es mal vorkommen, daß alle Mann für die Nacht sich einrichteten, blieb selbstverständlich Fernseher und Radio eingeschaltet...
Direkt vom Wohnzimmer aus ging es links rein, in die Kochnische, aus der, so man die Tür öffnete, einen ein faulender, übelwerdender Geruch in die Nase stieg, weil: Essensreste setzten Pilze und Schmeißfliegen an in drunter und drüber auf der Spüle, auf dem Tisch, auf der Küchenschrankablage,... lagernden Töpfen, Pfannen, Geschirr,..., was beim Wiedergebrauch ohne großen Aufwand unter fließend kaltem Wasser abgeschmiert wurde..., und keinen ekelte es, so verkrustete, vergammelte Spei-senübrigbleibsel mit frischen Lebensmittel zusammenkamen. (Je nachdem nimmt man Lebensmittel zu sich, um den Körper entweder zu ernähren oder –UM IHN ZU VERGIFTEN).

Direkt vom Wohnzimmer aus, links raus, ging es in eine winzige Diele, die ins WC führte. Über das, wie es darin aussah und grundsätzlich stank, möge mir gütigst gestattet sein, kein weiteres Wort verlieren zu müssen.
Dem WC gegenüber lag das Schlafzimmer, in dem immer ein oder mehrere Pärchen beschäftigt waren, mit- oder untereinander.
Alle bei Opa Untergetauchten, die mit allen Wassern gewaschen waren, kamen aus einer wurmstichigen Elternschule; und auf der schiefen Bahn gelandet, vertraut mit schwedischen Gardinen, und geschritten durch Pforten unzähliger Erziehungsanstalten, hatten sie alle dieselbe Luft eingeatmet. So etwas wie eine Respektperson war ihnen gänzlich fremd. Achtung erwies man dem, der Stärke bewies, wollte selbst man kein Opfer kaltblutiger Aggression werden, wovor einzig Opa verschont blieb, da die um einiges Nüchternen dafür sorgten, daß in der Bruchbude es zu keiner Auseinandersetzung kam und jeden Streithammel vom Fleck weg ins Freie beförderten. So unkompliziert, wie bei Opa man Obdach bekam, so unkompliziert wurde wieder man, dann jedoch grün und blau geschlagen, obdachlos.
Verirrte bei Opa gelegentlich sich ein der Gesundheit verschriebenes Mädchen, das den Versuch anstellte, wenigstens ein Quentchen Ordnung in den Saustall zu bringen, nahm es bald wieder reisaus oder teil an dem Alkohol- und Drogenkonsum. Für gewöhnlich jedoch boten die Mädchen ohne Förmlichkeit sich feil, so daß Romano endlich seine Männlichkeit unter Beweis stellen konnte...; der ausgebliebenen Sinnesfreuden wegen, von denen er weitaus mehr sich versprochen hatte, schloß er da-raufhin sich lieber dem allgemeinen Gelage an, nahm für das eigene Leben die Richtlinie von Opas Leuten an: sich selbst der Nächste sein!, und freundete sich an mit Thomas, der alles schluckte, was zwischen die Finger ihm kam. Die Hauptsache, es berauschte! Dementsprechend wirkte Thomas wie eine wandelnde Schlaftablette; und dürr und lang und geistlos wie ein Skelett mit leichenblasser Haut überzogen, paßte wie gelungen zu seinen tiefliegenden Augenhöhlen der gelblich-milchige Teint.
Von morgens bis abends über seine Flegeljahre in Romanos Ohren liegend, informierte Thomas mit ironischem Mundwerk ihn, daß bei Opa man keineswegs sicher sei und er deshalb den Schlupfwinkel die nächsten Tage wechseln wolle.
Ausgerechnet zum Vergleich für Stefan diesen Ersatzkumpel nehmend, ahnte Romano, einen schlechten Tausch gemacht zu haben, nur: Gefühle! und geistreiche Momente! haben auf einem von Trink- und Drogensucht beherrschenden Tummelplatz keine Chance!

13. Auszug: DIE WÃœRFEL FALLEN

Berlin ist eine Reise wert heißt es von jeher. Bekräftigt hat das im Jahr 1989 der 9. November! DIE MAUER, die vom 13. August 1961 an Westberlin trennte von Ostberlin, wurde durchlässig! Und noch in diesem Jahr soll sie restlos fallen!
28 Jahre Trennung beginnen überwunden zu werden auf dem Kurfürstendamm (Kuh’damm), der die Citystraße ist und der touristische Hauptpfad..., oder in der Einkaufsmeile, die die Tauentzienstraße ist und zwischen der Gedächtniskirche und dem Wittenbergplatz liegt, wo das größte Warenhaus Deutschlands steht, das KaDeWe, in dem 3000 Menschen beschäftigt sein sollen, und von dem behauptet wird: es gibt nichts dort, das es nicht gibt, zumindest mehr als anderswo.
28 Jahre werden beiderseitig zur Vergangenheit während Entdeckungsreisen im Ku’dorf, das eine unterirdischgelegene, kleine, vielversprechende Ladenstadt ist..., durch Trödel- und alternative Geschäfte, durch Tante-Emma-Läden, durch ausgeflippte Boutiquen, durch auserlesene Gemischtwarenhäuser..., beim Einkehren in gemütliche Gartenrestau-rants, Cafés, Kaschemmen, Schankstuben und..., die bis auf die Bürgersteige raus sich hinziehen, wo mit Gaudi oder in Ruhe und Gelassenheit man dem hektischen, aber –hoffentlich– friedliebenden Treiben des Menschenstrom zusehen kann und eine Berliner-Weiße mit Schuß dabei trinkt oder etwas anderes...; und viele, die gern diskutieren, philosophieren und Kontakte suchen, tun das wohl vorerst niederlassend bei angelegten Brunnen, oder Gewässern, oder Springbrunnen, und so weiter und so fort..... In diesem Sommer 1990 beginnen 28 Jahre Trennung überwunden zu werden!

Ganz anders war das einst, 1983! als DIE MAUER noch trennte Ostberlin von Westberlin, das, von der DDR umgeben, nur zu erreichen war durch die Luft, oder im Kraftfahrzeug über den Transitweg, oder mit der Bahn, mit der Stefan gekommen war und seitdem in dieser seiner künftigen Heimat nichts anderes tat als den ersten Tag seiner Lehre im KaDeWe herbeizusehnen.
Beunruhigt über seine Lethargie, rief Ilka die Mutter in Hamburg an, und weil dieses Telefonat ihr keinen Aufschluß brachte, lockte sie Stefan, der bei jeder Fragerei, seitens der Schwester, seitens des Vater, kurz angebunden war, in die Stadt, unter dem Vorwand, er möge auf Nicole im Kinderwagen achthaben, so sie nach einem bestimmten Kleidungsstück suchen müsse...; und irgend etwas gekauft, lud sie Stefan zu einer Tasse Kaffee und einem Stückchen Kuchen im Café Kranzler ein.

Oben, auf der Terrasse, von wo aus man auf den Ku’damm sieht, machten es die Geschwister sich bequem..., und nachdem ihre Bestellung gebracht wurde, hielt Ilka nichts mehr, um auf Stefan einzureden. „Willst du eigentlich zum Symbol ungelöster Probleme werden, oder habe ich dir etwas getan, weshalb du dich mir nicht anvertraust? Weißt du, Stefan, dein Stillschweigen ist mir gegenüber nicht fair. Und wenn du dich noch länger so aufführst, kann ich mich dir auch nie mehr anvertrauen. Ehrlich, Stefan, das ist ein entsetzliches Gefühl, nicht zu wissen, was du hast. Nach alldem, wie du mir immer beigestanden hast, glaubte ich, daß auch du dich mir anvertraust, wenn du jemand brauchst. Und versuche gar nicht erst, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Daß du mit einem echten Problem zu kämpfen hast, sieht jeder. Sogar Vati ist das aufgefallen. Wärst du nämlich in Ordnung, würdest du dich nicht verkriechen in deinen vier Wänden. Du würdest dir bei diesem Kaiserwetter Berlin ansehen, von dem du in Hamburg immer so geschwärmt hast. Ich vermute, Stefan, daß mit deinem Frust Romano etwas zu tun hat. Immerhin bist du mir die Antwort schuldig geblieben, warum er nicht mitgekommen ist. Höchstpersönlich von dir weiß ich, daß Romano sich sehr gefreut hat, einige Tage mit dir in Berlin zu verleben. Und was ich mit Sicherheit weiß ist, so gut kenne ich dich, daß dir Halbheiten nicht liegen, daß du Menschen von heute auf morgen nicht abschieben kannst. Dafür hast du dich mit Romano zu gut verstanden. So gute Freunde wie ihr ward.”
Das über Romano Ausgesprochene, das öffnete Stefans Ge-fühlswelt nach außen hin. Die tagelang mit sich selbst abgemachte Sensibilität kam zu Tage. Und die Augen niederschlagend, überkam es Stefan, so daß er –endlich!– heulte wie ein Schloßhund...
Rücksichtsvoll kümmerte Ilka sich um Nicole, die mit dem Däumchen im Mund schlummerte..., und gab dann Stefan, der bereits die eigene Serviette gebraucht hatte, die ihre und gestand, sichtlich erleichtert: „Endlich! Endlich hast du dir den Kummer von der Seele geweint. Das wurde Zeit! Nun dürfte es dir nicht mehr schwerfallen, zu reden. Was genau, Stefan, ist vorgefallen? Was hat dich so wuchtig aus der Bahn geworfen? Du bist ja überhaupt nicht wiederzuerkennen!”
Dankbar darüber, mit seinem Leid nicht mehr allein gelassen zu sein, lächelte er Ilka an, die Mut ihm zusprach. „Du bist mein kleiner Bruder, Stefan. Ich liebe dich! Wäre das nicht so, hätte dein Schweigen mich nicht so mitgenommen. Jetzt gib deinem Herzen –bitte!– einen sanften Stoß und sage mir, was geschehen ist. Wir hatten doch stets Vertrauen zueinander. Gilt das denn nicht mehr?” „Denke doch nicht so etwas,” entgegnete Stefan, dem einleuchtete, daß geteiltes Leid wirklich halbes Leid ist. Und er erzählte alles!, von der ersten Begegnung mit Romano... bis zu dem, was ihm mit dessen Mutter...

„Sag mal, Stefan, hast du jemals daran gedacht, ob du...?”; unsicher werdend, versagte Ilka die Stimme, die sofort wiederkehrte, so in Stefans Augen der vertraute Ausdruck lag, die Aufnahmebereitschaft. „Hast du jemals daran gedacht, ob du homosexuellen Neigungen unterliegst?” „Meinst du das im Ernst!?”, fragte Stefan, ungeheuer gespannt und aufhorchend und hellhörig...
Ilka... unbewußt dabei, dem Bruder zu helfen, spurenhaft sich zu finden, wozu der Weg versperrt wurde einst, als Romano fragte, „Is’ dir eigentlich bekannt, daß in der Penne behauptet wird: du bist schwul?” ...antwortete entschuldigend: „Um himmelswillen! Das war keine unterstrichene Frage. Es liegt mir fern, dir etwas einzureden.” „Wieso einreden?”, entgegnete Stefan wie selbstverständlich. „Wenn ich echt schwul bin, dann bin ich halt schwul!”
Von dieser Offenheit zwar große Stücke haltend, ging das Ilka denn doch zu weit. „Sieh mal, Stefan,” versuchte sie im –einzureden!–, „du warst eigentlich nur allein, bevor Romano in dein Leben trat. Ich denke mir: wärst du zuerst einem Mädchen begegnet, hätte ein Junge dir nie so viel bedeutet, wie dir das nun mit Romano widerfährt.” „Nie und nimmer!”, behauptete Stefan entschieden. „Mädchen haben mich vor Romano nicht mehr interessiert wie jetzt.” „Das,” erklärte Ilka –die öffentliche Meinung vertretend– „ergeht ja wohl allen so vor der Pubertät. Für einen Jungen löst das heranreifende, weibliche Geschlecht Furcht aus. Weil..., na ja, die aufwachenden, intimen Sehnsüchte sind oft erschreckend. Manche kommen wohl sehr bald zurecht damit, aber ein Junge, der so sensibel ist wie du, Stefan, braucht dazu wohl länger.” „Das vielleicht trifft auf die meisten zu,” meinte Stefan, „nicht aber auf mich. Ich weiß zwar nicht, ob ich schwul bin, aber ich weiß, daß ich am liebsten mit Romano zusammen war...”....

Wie umgewandelt und wieder auf die Beine gestellt, sich nämlich näher gekommen, mischte Stefan, die ihm noch verbleibende Freizeit sinnvoll verbringend, fortan sich unter das Volk; und so landete er mal in dem in Deutschland 1844 ersten eröffneten Tiergarten, den „Zoologischen Garten”, der im folgenden Jahrhundert zum reichhaltigsten Europas wurde...; mal landete er in dem 1965 entstandenen Europa-Center, daß das Wahrzeichen des modernen Berlin ist, in dem eine Menge Läden, zwischen blühenden Pflanzen, aufregenden Wasseranlagen, zeitunter-worfenen Architektur zum Einkaufen reizen...; mal bummelte er durch Straßen, die mit Bäumen und vielfarbigen Blumenbeeten angelegt waren...; mal hielt er sich auf an einem Springbrunnen, dessen Wasser kräftig in die Höhe schoß, zurückklatschte und naß spritzte, was gut tat in der Sommer-Hitze...; und mal kehrte Stefan in einer Gaststube ein, wie an jenem Nachmittag, wo er sich niederlassend hingab der Vorstellung, die er überall hatte: Romano sei, laut Planung in Hamburg, dabei. Und die Augen schließend, lebte in seiner Seelenwelt die Erinnerung auf, in der Romano die große Hauptrolle spielte...

Es war das der freundliche Ton, der aus der Stimme klang, bei der Bemerkung, „Ach ja, Berlin! Die Stadt, in der man wartet.”, der Stefan in die Gegenwart versetzte! Und die Augen geöffnet, erblickte er einen vor sich stehenden jungen Mann –gewinnend lächelnd– mit blau-grauen, tiefschauenden Augen, gleichmäßigen Brauen, makellosen Nase, gepflegtem Schnauzer über schmalen Lippen, dunkelblonden, kurzen Haaren, die eine Denk-Stirn freigaben, und einer schlanken Gestalt, die bekleidet war mit einem bunten Polohemd und einer dunkelgrauen Flanell-Bundfaltenhose. Die Details sekundenschnell eingeprägt, Stefan gleichzeitig mit breitem Mund grinsen über die Äußerung des Fremden, „Wenn dir das Leben nur sauere Zitronen beschert, mußt du einfach süße Limonade daraus machen.”
„Na bitte,” erklärte der Fremde, „das habe ich mir die ganze Zeit gedacht, daß du noch hübscher bist, wenn du lachst.” „Wie, die ganze Zeit?”, fragte Stefan verwundert.
„Du,” antwortete der Fremde, „machst es einem nicht schwer, dich zu bewundern. Schon als du reinspaziert kamst, bist du mir aufgefallen, und ich konnte mich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?” „Nein!”, kam Stefan entgegen, angenehm von der direkten, ehrlichen Umgangsform des Fremden berührt, der sich setzte, vorstellte mit Otto Brunner, mitteilte, gebürtiger Lübecker zu sein, der drei- bis viermal im Jahr beruflich in Berlin zu tun habe, und feststellte, daß auch Stefan kein echter Berliner sei. „Das stimmt,” bestätigte dieser. „Ich bin aus Hamburg. Von nun an aber bleibe ich hier!” „Das klingt, als hättest du in deiner Heimat keine guten Erfahrungen gemacht,” bemerkte Otto Brunner.
„Nicht ganz,” berichtigte Stefan, „so lange ich mit meinem Freund...”; beinahe sich auf die Zunge gebissen, befürchtete Stefan, aufgrund des Gespräch mit Ilka und der Vorfälle mit Kristel Martens, mit Heiko, mit Torsten, gar auch Otto Brunner auf ähnlich gelagerte Gedanken zu bringen. „Ja und?”, fragte dieser prompt. „Ist dein Freund nicht mitgekommen? Der müßte doch auch noch Ferien haben.” „Er will mit mir nichts mehr...”; den Satz abbrechend und verzweifelt darüber, nicht sich aussprechen zu können, hielt Stefan den Mund.
Otto Brunner, dem nicht entging, daß Stefan es schwierig hatte, unkompliziert über den Freund zu sprechen, fragte taktvoll: „Hast du dich rein zufällig hier verloren?” „Genau!”, antwortete Stefan. „Warum?” „Du bist hier in einem Männerlokal gelandet,” klärte Otto Brunner ihn auf.
Stefan, der nicht recht verstand, sah etwas genauer sich um, ...es diskutierten miteinander Jung und Alt... es war da und dort jemand allein... man prostete sich zu... man lachte... es wurde bestellt oder bezahlt... es umarmten kameradschaftlich manche sich... und, Stefan konnte seinen Augen kaum trauen, es küßten Männer sich!
„Ich glaub’, ich steh’ im Wald!?” äußerte Stefan perplex.
„Ganz bestimmt nicht!”, behauptete Otto Brunner, der ihn genau beobachtet hatte. „Ganz bestimmt aber bist du mitten in der Gayszene gelandet!” „Gayszene?”, fragte Stefan.
„Die hier,” versicherte  Otto Brunner, „sind alle homosexuell veranlagt!” „Alle?”, wiederholte Stefan und –legte sich fest, „Also du auch!” „Hoffentlich stürzt jetzt keine Welt für dich ein,” bestätigte Otto Brunner.
„Warum das?”, meinte Stefan. „Du bist OK!”; und damit nicht genug, erkannte er, hier!, in dieser Stätte! gut aufgehoben zu sein.

In Hamburg, bei Opa, wo am Hungertuch genagt wurde, hielt derzeit Romano sich an die Freunde Martin und Jens. Die, durch dick und dünn gehend und kürzlich aus dem Erziehungsheim ausgerissen, brauchten für ihren geplanten Coup einen dritten Mann, den sie sahen in Romano, der, so die drei abseits der andern flüsternd berieten wie der Einbruch in den Dulsberg-Imbiß zu bewerkstelligen sei, fragte: „Und springt genug Kohle für jeden ’raus? Die lassen bestimmt über Nacht nicht die Kasse stehen” „Hältst du uns für beschädelt?” forschte Martin. „Aus den Daddelkästen, den zwei Flipper und dem Sargnägelhalfter holen wir mindestens zwei Riesen. Und jetzt, Alter, paß auf: wir haben die Lage gepeilt. Um dreiundzwanzig Uhr macht die Frikadellenjette den Laden dicht und verdrückt sich durch ’n Keller aus ’m Hinterausgang. Und da steigen wir ein. Du beziehst Posten hinterm Gemüse und hältst Wache.” „Vor allem,” riet Jens, „mußt du auf die Mieter achten! Wir machen uns zwar erst auf, wenn alle in der Falle liegen, aber man weiß ja nie. Und noch ’was: dreh’ nicht gleich ab, falls irgendwo ’n Licht angeht oder ’ne Schreckschraube in ’nem Fenster auftaucht. Die alarmieren die Bullen erst, wenn ’s ihnen selbst an ’n Kragen geht...”.....; und schließlich nach Mitternacht, so die Wohnhäuser mit Ausnahmen lichtlos waren, hinter Gebüsch Stellung genommen, zuckte Romano zusammen, als die Bremsen eines Autos quietschten..., als eine Eule ihren Ruf der Frühe vorausschickte..., als eine Katze, die rollig war, ein fürchterliches Konzert gab..., und als auch noch aus einem offenen Fenster der Streit zweier Menschen drang, die kein gutes Haar an-einanderließen, da fiel Romano von der Gruppe „Böse Onkels” diese Textstelle ein: von Durchfall geplagt! Von Fliegen gejagt! Eben genau so fühlend und Angstschweiß auf der Stirn, die feuchten Hände ineinanderreibend und murmelnd: „Lieber Gott, ich schwör ’s dir: wenn du mich dieses eine Mal noch davon kommen läßt, bau’ ich nie mehr Scheiße.”, da begriff Romano, daß für solche Wagnisse er nicht mehr die Nerven hatte. Um 180 Grad verändert hatte ihn die Freundschaft mit Stefan!

Romanos Stoßgebet gen Himmel wohl erhört, kamen die Freunde angelaufen, und Martin drängte: „Los, Alter, das Ding is’ gelaufen. Wir haben ratzekahl abgeräumt.”; und in Flucht ergreifend bis zum Planschbecken, in der Dulsbergallee, teilten die drei ihre Beute. „Zu Opa,” erklärte Martin, „gehen wir nicht mehr. Bei dem wird uns jetzt der Boden unter den Füßen zu heiß. Sobald die Frikadellenjette unsern Bruch anzeigt, kreuzen die Bullen dort auf.” „Mensch,” bestätigte Romano, daran nicht gedacht, „da liegst du richtig.” „Hau rein, Alter,” verabschiedeten die Freunde sich. „Verwett’ nicht mehr als du hast.”; und allein, ganz allein, spürte Romano: es machte nichts ihm aus, nicht mehr zu Opa zurück zu können.
Seelenruhig stromerte er zum großen Spielplatz, setzte auf eine Schaukel sich und –Stefan kam ihm in den Sinn. Wäre er mit nach Berlin gereist, müßte er jetzt zurückzfahren. Er hätte das letzte Schuljahr vor sich und –einen Freund in Berlin...
Vertieft in diese Erkenntnis, tauchten aus seiner Erinnerungswelt diese Worte auf, „Beim Frühstück unterbreite ich dir dann einen tierischen Vorschlag. Bin echt gespannt, was du davon hältst. Ein oberaffengeiler Geistesblitz ist mir durch die Rübe geschossen.”...
„Ein oberaffengeiler Geistesblitz!”, rief Romano und sprang von der Schaukel. „Logo,” redete er mit sich selbst, „die Kohle für Berlin hab’ ich wieder.”
Ein Entschluß war gefaßt! Und schleunigst zur nächsten Tele-fonzellelaufend, entging ihm ein Pärchen, das gerade von der Dulsbergkneipe durch den Park auf dem Weg nach Hause war.

Es waren das Andrea und Heiko, der gewohnheitsgemäß sturzbetrunken war.
„Ey, Mensch!” Andrea stutzte. „Is’ das da drüben nicht Roman?” Und abrupt stehenbleibend, fragte Heiko, der an ihr sich festhielt und ihrer Ausschau folgte: „Welcher Roman?” „Na, der, dem du im H.d.J. die Rechte zu spüren gabst. Seitdem haben ihn, soviel ich gehört hab’, die Bullen auf ihrer Liste.”
Aber Heiko, der mit diesen Angaben nichts anzufangen wußte und an Andrea gelehnt wie ein Schiff auf hoher See schwankte, der, umgeben von den riesigen Bäumen und meterhohen Sträuchern, durch den der Mond nicht schien, sich vorkam wie in einer Dunkelkammer, verlangte: „Laß’ uns bloß zusehen, hier wegzukommen.” „Schade,” bedauerte Andrea, „’s hätt’ echt Spaß gebracht, wie du Roman ungespitzt in ’n Erdboden stampfst hättest. Na ja, aufgeschoben is’ nicht aufgehoben.”
Weitergehend gab sie Heiko Halt... und nahm ihm dann, vor der Wohnungstür, wo das Läuten des Telefons zu hören war, den Schlüssel aus der Hand, so Heiko trotz einiger Versuche das Schloß verfehlte...

„Pst!”, zischte Heiko in der Diele. „Halt für ’n Weilchen deinen Schnabel. Das könnt’ meine Alte aus Berlin sein.” „’nen Schnabel hab’ ich nicht,” protestierte Andrea. „Ich bin doch kein Vogel.”
Schon aber hatte Heiko sich ins Schlafzimmer zurückgezogen!
Andrea ging in die Küche, schaltete das Licht ein, nahm ein Glas aus dem Spülbecken, das voll war mit Geschirr, ging in den Wohnraum, goß den Rest der Flasche „Pampas” ein, setzte im Schneidersitz sich in den Sessel, lehnte gemütlich sich zurück und dachte, „Mann, o Mann! Wenn mir das vor kurzem einer gesagt hätt’, daß ich mich so in ’n Mannsbild verknall’, hätt ich den echt für bescheuert erklärt.”; und in vergangene Tage versetzt, blühte Andrea auf... Ja! Sie fühlte sich geborgen, hier, bei Heiko, der nun freudestrahlend, fast nüchtern aus dem Schlafzimmer kam und vergnügt sagte: „Wohlan, wir müssen sofort sauber machen, Andrea. Ãœbrigens kannst du nur noch heut’ Nacht hier bleiben. Meine Alte kommt mittags zurück!” „Wie bitte?” Andrea hoffte verhört sich zu haben. „Du hast mich schon verstanden!”, bekräftigte Heiko. „Ab morgen bin ich kein Strohwitwer mehr. Bis dahin haben wir ja ’ne Menge Zeit, ordentlich Abschied zu nehmen.” „Das is’ nicht dein Ernst!”, behauptete Andrea mit austrocknendem Munde, mit sich zusammenschnürender Kehle. „Du kannst mich nicht einfach abschieben.” „Nichts hält ewig,” klärte Heiko auf. „In jeder Beziehung kracht ’s mal.” „Und was is’ mit mir?”, forschte Andrea, der die Kräfte schwanden. „Wegen dir hab’ ich mit meinen Alten genug Probleme am Hals. Wenn ich bei denen wieder aufkreuz’, blamier’ ich mich bis auf die Knochen.” „Gib nicht so an!”, äußerte Heiko –ohne Herz und Gefühl. „Deine höhere Töchternummer kannst du dir für ’nen anderen aufsparen. Du bist nun mal nicht Julia, die Rosenblüte. Schließlich weiß ich ’s höchstpersönlich von dir, daß ich nicht der Erste in deinem Leben bin. Also werd’ ich auch nicht der Letzte sein! Eigentlich kannst du dankbar sein, daß du so ’nen Kerl wie mich mal abgekriegt hast. Ich hab’ dir wenigstens ’was beigebracht. Doch wie geschehen so vorbei!” „Du bist ja ’n windiger Liebhaber!”, schimpfte Andrea, einsehend, nichts weiter als ein Lückenbüßer gewesen zu sein. Heiko ging ans Aufräumen
Verletzt über seine Gelassenheit, sprang Andrea aus dem Sessel und beteuerte: „Du glaubst wohl, du kannst den Topf vom Feuer holen, bevor er überkocht. Aber so leicht, wie ’s dir dein Heimchen vom Herd macht, wirst du ’s mit mir hundertpro nicht haben. Laß deine Alte nur kommen! Wenn du beim Ackern bist, kreuz’ ich hier auf und puhl’ deiner Alten bei, daß du ’n Stinkstiefel bist.” „Stell’ die Fernsehoper ab und sei hübsch friedlich! Ja?”, befahl Heiko und log: „Mit deiner leeren Drohung kannst du nichts ausrichten, ich hab’ nämlich Ilka von dir erzählt. Ilka weiß schließlich, daß ich kein Kind von Traurigkeit bin, deshalb hat sie mir verziehen.” „Wart ’s nur ab,” fluchte Andrea wuterfüllt. „Du wirst mich kennenlernen, du Schmalspurrambo.” „Nun werd’ mal nicht komisch! Ja?”, warnte Heiko, aus der Ruhe gebracht. „Noch ’n falsches Wort und ich bret-ter dir eine, daß du langliegst. Jetzt is’ Schluß mit lustig. Jetzt geig’ ich dir mal meine Meinung über dich. Damit du ’s weißt: du bist nichts. Und soll ich dir sagen, warum? Weil du dir bei ’nem Kerl, der weiß, wo ’s lang geht im Bett, nie ’ne goldene Nase verdienen wirst. Bevor einer bei dir zum Schuß kommt, bist du unter ferner liefen gebont.”; und Luft sich gemacht, drehte er Andrea den Rücken zu, verschwand in der Toilette, und rief, die Tür schließend: „Ich geh’ mir jetzt ’n Ei abgießen und wenn ich damit fertig bin, will ich dich nicht mehr sehen.”
„Wir werden uns eines Tages noch sprechen,” versicherte Andrea, haßerregt einsehend, daß sie zu gehen hat. „Spätestens, wenn deine Alte dir zum Hals ’raushängt, dann schlägt meine Stunde! Du wirst dir noch mal jeden Finger einzeln nach mir ablecken.”...
Aus der Dulsbergallee heraus, zur nächsten Telefonzelle geeilt, hatte Romano Stefans Mutter angerufen, die, wenngleich aus dem Schlaf geholt, freundlich sich bereit erklärte, in Berlin anzurufen. Und weil Romano nicht angeben konnte, wann Stefan vom Bahnhof Zoo ihn abholen könne, versicherte er, in den ersten Zug zu steigen, der ihn bringen sollte von Hamburg nach Berlin...; und aufgeregt in lauter Vorfreude, konnte Romano sogar ein ganzes Abteil für sich in Beschlag nehmen, wo er träumte von unbeschwerten Tagen mit dem Freund..., wo er dachte an Vergangenes..., wo er einschlief... und erst erwachte, als der Zug, die bundesdeutsche Kontrollstelle „Grenzübergang Büchen” erreicht, stehen blieb vor der Einfahrt ins DDR-Gebiet.
Die Tür zu Romanos Abteil geöffnet, kamen herein zwei Beamte, von denen der eine vom Zoll war und der andere vom Bundesgrenzschutz.
Gleich bei ihrem Anblick ahnte Romano, der die bereits vom Schaffner gelochte Fahrkarte vorhielt, nichts Gutes, womit er recht behalten sollte, da der Beamte vom Bundesgrenzschutz erklärte: „Ihre Fahrkarte interessiert uns nicht. Wir wollen Ihre Papiere überprüfen! Sollten Sie nicht im Besitz eines Reisepasses sein, finden wir uns auch mit einem Personalausweis ab. Dann allerdings müssen wir Sie mit Zehnmark belangen.” „’nen Perso hab’ ich nicht dabei,” entgegnete Romano und schluckte, so er völlig verschwitzt hatte Stefans Erwähnung, ohne Papiere sei in Berlin nicht reinzukommen! Und sich schlecht fühlend zudem, daß nach dem Vorfall im Haus der Jugend er nur an Bares, nicht aber an seinen Personalausweis gedacht hatte, erklärte Romano: „Ich hab’ immer geglaubt, daß ich so ’nen Lebensberechtigungsschein erst ab achtzehn bei mir haben muß. Ich bin noch nicht volljährig müssen Sie wissen.” „Sie kön-nen sich also nicht legitimieren!”, stellte der Beamte vom Bundesgrenzschutz sachlich fest.
„Ich kann mich zwar nicht legi... oder wie das heißt,” bestätigte Romano, ins Schwitzen kommend, „aber Sie können mir echt glauben, daß ich Romano Martens heiß’, daß ich aus Hamburg komm’, daß...” „So geht das nicht!”, unterbrach der Beamte. „Bis wir Ihre Angaben über Ihre Person bestätigt bekommen haben, muß ich Sie auffordern, mit uns den Zug zu verlassen!” „Wieso denn?”, fragte Romano, mit verzweifeltem Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. „Liegt Berlin nicht in Deutschland?” „Hören Sie einmal, junger Mann,” lehrmei-sterte der Beamte, ungeduldig werdend. „Sie haben den deutschen Geschichtsstoff verschlafen! Nach Berlin kann man nur durch den Ostsektor reisen! Sie aber kommen mit uns! Mir schwant, daß die DDR-Behörde Sie vorläufig im Jugenddurchgangsheim Potsdam einquartieren wird!”.....

14. Auszug: HERZEN, DEREN KEIM REIF WIRD ?

Zwei Jahre und drei Monate später

 

Mehr Regen als Sonne führte der Sommer 1985 mit sich, weshalb der darauffolgende Herbst es offenbar für erforderlich hielt, wieder das Gleichgewicht der vier Jahreszeiten herzustellen, indem er dem Land einen unvergleichlich schönen Alt-Weiber-Sommer brachte, der das sich farbenprächtig-verwandelnde Kleid der Natur mit einem hinreißenden Goldton umhüllte. Und wie nebenbei setzte der Herbst die Zeichen seines eigentlichen Auftrages. Während Schwärme von Zugvögel anflogen ihre Reise zum Überwintern in wärmere Zonen, lagerte die Menschheit das Brennmaterial ein für die frostige Zeit. Allmählich wurden die Tage kürzer und kühler, manche steife Brise wehte über Städte, Dörfer, Wälder, Felder,..., Polarmontur löste ab die Sommerkleidung..., letzte an Baum und Strauch sich tapfer gehaltenen bunten Blätter tanzten zur Erde nieder..., Nebelschwaden bedeckten dann und wann das Land..., und es empfing die Narrenzeit ihre Taufe. Noch einmal also, bevor im Übergang, von der schönsten zur trostlosesten Jahreszeit, die Menschheit Herz und Gefühl auf Eis legt, war allüberall Fröhlichkeit. Bevor aber dem Fest der Liebe folgend der Jahreswechsel AUS ALT NEU hervorbringen kann, führt zuvor der Winter, Ahrimans Element, seine Macht aus.
Bis dahin allerdings dauerte es noch einige Wochen, in die auf Tag und Stunde genau für Romano der Tag-X fiel; seine Entlassung. Die wäre von Rechts wegen an seinem mündigen Geburtstag  gewesen, und nur weil Romano in einer Baumschule, wenige Kilometer entfernt von der Heimstätte, das Gärtnerhand-werk erlernte, hielt er weitere vier Monate durch. Die Gesellenprüfung musterhaft bestanden, hatte Romano vor wenigen Augenblicken nun in dem vorsintflutlich nußbraun eingerichteten, immer düsteren Büro des Heimleiters, bzw. des Direktors, Platz genommen, vor dem klobigen Schreibtisch, auf dem Stuhl, der auch die Anklagebank war, so der Direktor, der von jedermann hinter vorgehaltener Hand das Schreckgespenst hieß, meinte, einem Zögling den Kopf zurechtsetzen zu müssen.

Wie ein Wächter auf Posten die Tür beobachtend, überlegte Romano, ob das Schreckgespenst absichtlich seinen Abschied hinausschob oder dabei war, die Nase zu stecken in eine Auseinandersetzung zweier oder mehrerer Jungen, die ganz gut allein und besser Streit geschlichtet hätten, statt mit Einmischung des Schreckgespenstes, das dicke Luft zehn Meter gegen den Wind roch und demnach überall da, wo es am allerwenigsten gebraucht werden konnte, auftauchte, um heutzutage ungültige „Steinzeit”-gültige Mondenweisheit vorzubringen und zu tadeln und aufzuerlegen Verbote ganz persönlicher Liebhabereien, was manchem Zögling das Rückgrat brechen konnte –schon gebrochen hatte und zu beweisen seine Schlagkraft an einem am Rande einer Ohrfeige spazieren Gegangenem und zu beordern aus der Reihe Getanzte ins Büro, wo das Schreckgespenst seine Erziehungsregel: Glaube ist gut, Kontrolle ist besser! aufs Tapet brachte; zumal es erwartete von den Erziehern, daß diese den angeblich abgrund-schlechten Charakter, weswegen angeblich die Zöglinge hier gelandet seien, in einen so genannten allgemein menschlichen umerzogen.

Romano, der ein einziges Mal auf der Anklagebank saß, hatte gleich bei Einlieferung ins Erziehungsheim begriffen, wo es lang geht, und um nicht sich einwickeln zu lassen in Schandtaten der Jungen, mied er jeden näheren Kontakt, und –tagsüber eh auf seinem Arbeitsplatz gewesen– zu einem Einzelgänger geworden, nahm er infolgedessen nicht teil an der herkömmlichen Sitte der Zöglinge, die ihren zweistündigen Ausgang am Wochenende zubrachten vor Ort in Versammlungen Jugendlicher, die kamen aus naheliegenden Dörfer, um Mädchen kennenzulernen, wovon Romano nichts wissen wollte. Sein bei Opa erstes sexuelles Erlebnis hatte ihm gereicht.
Auf Dauer wirbelte seine Zurückgezogenheit Staub auf, so daß aus dem Eff-Eff heraus ein Zögling sich einfallen ließ, zu behaupten, Romano sei vom anderen Ufer. Gesagt! Getan! Und unverzüglich aufräumend, hatte Romano das Lästermaul aus den Angeln gehoben, mit dem Erfolg, daß weder eine solche noch ähnliche Behauptung jemals wieder fiel!
Endlich! Der Direktor trat ins Büro. Die Dreistrahlenlicht-quelle, von der ein Punktstrahler gerichtet war direkt auf die Anklagebank, eingeschaltet, verschob Romano –er wollte nicht im Rampenlicht sitzen– seinen Platz, worüber erstaunlicherweise der Direktor sich ausschwieg. Und die klotzigen Ellenbogen auf den Schreibtisch stützend, die grobschlächtigen Flei-scherpranken zusammenfaltend, die Gutmütigkeit in Person mimend, hielt er von seinem Podium aus geschwollen eine Abschiedsrede. „Mein lieber Romano, über zwei Jahre sind vergangen, seitdem du dich in unserer großen Familie Milieugeschädigter eingliedern mußtest. Heute kann ich deine Führung bei uns, trotz deines Ausrutschers damals, nur belobigen. Den Angaben, die man mir über dich machte, daß du ein hoffnungsloser Fall seiest, hast du entgegengehalten.” Kurz Luft holend, zündete der Direktor bedächtig eine Zigarre sich an... Oh, wie Romano das haßte, obgleich wiederum er es dem Rauchverbot im Haus verdankte, dieses Laster aufgegeben zu haben, so ihn einerseits das heimliche Rauchen zum Nervenbündel gemacht hatte und andererseits eine kostspielige Angelegenheit es geworden war, nach wenigen Zügen die Zigarette loswerden zu müssen, da jeder Schlupfwinkel von dem Schreckgespenst, das selbst die Freiheit sich nahm, paffend durchs Haus zu paradieren, aufgespürt wurde...
Weiterredend, wurde der Kahlkopf, die breite Stirn, die fast endlosen Wangenknochen, und der kantige Kiefer des Direktor vom Qualm der Zigarre eingenebelt. „Als ein beachtlich still-gewordener junger Mann verläsest du unsere Stätte des Friedens und der Ruhe, und wirst einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Du mußt lernen, dich da draußen, im hartherzigen, unmenschlichen Dschungel, zu behaupten. Der Ernst des Lebens dürfte dir nicht schwerfallen, nachdem wir dir hier die Zeit ermöglicht haben, in Bezug deiner vorherigen, mißlungenen, kriminellen Laufbahn zur Besinnung zu kommen.” Das im Qualm eingenebelte Gesicht –grünblaue, vorstechend kalte Augen, wulstige Nase, fettfleischiger Mund, der reichte bis zu den riesenhaften Eselohren, große, gelbliche, wie Kraut und Rüben durcheinander gewachsene Zähne– des Direktor kam derart nachteilig zur Geltung, daß Romano es eiskalt über den Rücken lief und wieder einmal daran dachte, daß der Spitzname Schreckgespenst alle Erwartungen erfülle. „Es ist töricht von dir, und ich mißbillige entschieden, daß du partout nicht zu deiner Mutter gehen willst; und daß du ihre Einladungen, die Weihnachtszeit bei ihr zu verbringen, nie angenommen hast, war auch nicht recht von dir! Doch ich glaube, die Spitze bricht ab, wenn du wieder in deiner Heimat bist und in dieser Wohngemeinschaft lebst. Eine gute Wahl, will ich meinen, die für dich getroffen wurde. Solltest du da wohnen bleiben, bin ich überzeugt davon, daß diese lieben Leutchen zusehen werden, was man tun kann, um dir zu helfen. Damit meine ich nicht nur die Behördengänge, denen du ausgesetzt sein wirst, sondern auch eine Versöhnung mit deiner Mutter!” „Nie und nimmer!”, dachte Romano trotzig, der die Jahre über nicht vergessen konnte, die an seinem 16. Geburtstag gefallene Bemerkung der Mutter, „Du bist jetzt bald erwachsen, also sei ein Vorbild für die Kleinen. Ich will doch stolz auf dich sein können...” Stolz wollte sie auf ihn sein? Mit ansehen, wie er zu einem Mann heranwächst? In dem Erziehungsheim gelandet und die Wahrheit erfahren, daß die Mutter wochenlang es wußte, was mit ihm geschehen solle, hatte Romano keinen ihrer gelegentlichen Briefe, aus denen er erfuhr, das Josef, Magda und Irene dasselbe Schicksal widerfahren war, beantwortet.
Der abgedroschene Rat, „Halte dich wacker, mein Junge. So wie sich das geziemt für einen richtigen Mann.”, brachte Romano von seinen Gedanken ab, und die stämmige Schreck-Gestalt vor sich wahrnehmend, erhob er sich.
„Jetzt,” bestimmte der Direktor, „sagst du deinem Erzieher noch richtig: auf Wiedersehen!” „Mit Sicherheit nicht,” entschied Romano in aller Stille.
„Herr Kalinke wird dir dein erspartes Kapital aushändigen,” verkündete der Direktor. „Das wird dir übers Gröbste hinweghelfen.” „Schockschwerenot,” dachte Romano. „Bis daß dem Krug der Henkel bricht! Oder was?” „Nun bist du frei,” behauptete der Direktor. „Und ich der Aufsichtspflicht über dich entbunden.”; und Romano geführt in die Empfangshalle, aus der die Burschen, die dort sich aufgehalten hatten, verschwanden, ging der Direktor nach dem offiziellen Shake-hand zurück ins Büro; und Romano ins obere Stockwerk, auf dem die Stuben lagen der Erzieher.
Das Sehen mit Kalinke nicht umgehen zu können, wurmte Romano so sehr –auf seine Ersparnisse konnte er schlecht verzichten–, daß ihm ein alter Groll hochkam! Kalinkes wegen hatte Romano den einzigen Kontakt zur Außenwelt abgebrochen; nach nämlich dem ihm mehr als peinlichen Zwischenfall, der knapp ein Jahr zurücklag, war es ihm unmöglich geworden, Stefan weiterhin zu schreiben!

Eine Nasenlänge vor Kalinkes bescheidener Behausung haltmachend, atmete Romano tief durch..., und versetzt in den Jahreswechsel 1984/85, trauerte er den Zukunftsplänen nach, die mit Stefan brieflich beschlossen die Silvesternacht über den Haufen geworfen hatten; obwohl gerade Kalinke es war, dem Romano grenzenlos vertraute..... Beim Rutsch ins Neue Jahr, der überwiegend bei Jugendlichen eine Sonderstellung einnimmt, werden genau die Prinzipien abgehakt, die aus NEUJAHR das ganze Jahr hindurch ALTJAHR machen!
Ja! Die Silvesternacht! Da läßt aus Spaß an der Freud’ mancher Antialkoholiker den Kanal sich vollaufen, Nichtraucher entjungfern ihre Kehle, andere geben, was weiß ich?, alles darum, um im sexuellen Bereich Neuland aufzuspüren, und es gibt solche, die nicht einmal mehr zurückschrecken vor einer Gesetzesübertretung.
Ja! Die Silvesternacht! Da drückt sogar der Direktor beide Augen zu..., und es erstrahlt in einem verschwenderisch glanzvollen Lichtermeer das Heim, das an allen Ecken und Enden aus Konfetti einem bunten Teppich gleicht und geschmückt ist mit bunten Luftschlangen, scheckigen Girlanden, riesigen Lampions..., es haben Narrenfreiheit die Jungen, die unbeaufsichtigt durchs Haus toben..., es dringen aus den Zimmern zu den Rufen und dem Poltern der munteren Horde aufgedrehte Cassettenrecorder, Radios, Schallplattenspieler..., es laufen die Jungen von einem Zimmer ins nächste, wo Blei gegossen wird oder in die Luft geschossene Tischfeuerwerke herniederrieseln lassen Gold- und Silberregen..., es knallen Piepmanscher..., es brennen Wunderkerzen ab..., und es muß mal eine Gruppe vom Fleck weg laufen, weil ein Scherzkeks eine Stinkbombe hochgehen ließ.
Ohrenbetäubende Böller, Kanonenschläge, Bienenkörbe und... wurden im Freien knallen gelassen oder Raketen in den nachtschwarzen Himmel geballert, wodurch die Dunkelheit erstrahlte in faszinierendem Farbenschauspiel...
Angesteckt von dem Silvesterspektakel 1984/85, gesellte Romano sich mal dahin, mal dorthin, trank wie ein Schluckspecht von der Fruchtbowle, die der Direktor ausgegeben hatte, und schwelgte mit zunehmendem Rausch in dem Glückstaumel, daß er zum letzten Mal hier feierte. Der nächste Jahreswechsel war bereits geplant mit Stefan in Berlin.

Von Kalinke auf ein Viertelstündchen eingeladen worden, unter vier Augen auf das Neue Jahr anzustoßen, entfernte Romano kurz vor Mitternacht sich von dem allgemeinen Trubel und suchte Kalinke in dessen winzigen Stube auf. Und vor einem tragbaren Farbfernseher auf dem Bett sitzend, wurde aus dem Viertelstündchen dann, so der ersten Flasche Sekt die zweite folgte, eine geschlagene Stunde. Zuerst vermutete Romano nichts dahinter, als Kalinke die Hand auf sein Bein legte. Die aber weiterführend..., den Reißverschluß aufziehend und –hätte, wäre Romano nicht davongestürzt..... „Ich habe dich unten gesucht!”, hörte Romano, wieder in die Gegenwart versetzt, Kalinke sprechen, der, mit einem Briefumschlag in der einen Hand und mit der anderen die Stube aufschließend, meinte: „Da du schon mal hier bist, könntest du mit hereinkommen.”
Romano rührte nicht sich von der Stelle.
„Bitte!”, bat der Erzieher. „Du kannst dir bestimmt denken, daß mir kein zweites Mal dieselbe Dummheit widerfährt.”
Der Bitte nachgegeben, bekam Romano den Briefumschlag ausgehändigt, wobei Kalinke erklärte: „Es ist dein gesamtes Vermögen. Zweitausend und fünfhundert DM, einschließlich der ca. sechshundert, die du bei dir hattest, als du zu uns kamst. Ich rate dir, es nicht jeden wissen zu lassen, über wieviel Bargeld du verfügst. Am allerwenigsten das Arbeits- und das Sozialamt, die, so lange du erwerbslos bist, aufzukommen haben für deinen Lebensunterhalt und deiner Untermiete bei der WG.”
Den Umschlag wortlos wegsteckend, wollte Romano gehen, als Kalinke bemerkte: „Jetzt kannst du gehen! Würdest du mir aber die Chance einräumen, mich zu erklären, wäre ich dir sehr dankbar.” „Wozu?”, fragte Romano. „Unsere Wege trennen sich hier. Sie gehen den Ihren und ich den meinen.” „Wie wahr,” bestätigte Kalinke, betroffen über Romanos unbeugsame Haltung.
„Was ist nun?”, drängte Romano, mitleidig einsehend, daß der Erzieher nicht der Schlechteste war.
„Zwei Dinge liegen mir am Herzen,” gestand dieser, und sprach sich aus. „Zum einen will ich mich entschuldigen. Kannst du das in dieser vereinfachten Form akzeptieren? Zum anderen will ich mich bedanken, daß du mich nie verraten hast. Ich gebe zu, daß ich meine Existenz in unverantwortlicher Weise leicht aufs Spiel setzte. Aber ich versichere dir, Romano, daß in dieser Richtung ich mir nie etwas zu Schulden habe kommen lassen. Ich weiß sehr wohl, daß es meine Aufgabe ist, euch zu rechtschaffenden, charakterstarken Menschen zu erziehen, womit ich gegenüber dir meine Pflicht verletzt habe.” „Es ist ja weiter nichts passiert,” log Romano und gestand: „Ich mußte den Mund halten. Alle hätten doch darauf geschworen: ich habe es darauf angelegt.” „Dennoch bin ich dir zu Dank verpflichtet,” bekräftigte Kalinke und hatte –aufgrund Romanos Gesprächsbereitschaft– ein Erfolgserlebnis..., „Gerade du hast es am allerwenigsten nötig, dein Licht unter den Scheffel zu stellen,” hatte er Romano des öfteren aufgeklärt. „Sobald du aber den Mund aufmachst und mit deiner abgehackten, verhunzten Sprache loslegst, weiß jeder gleich, woher du kommst! Würdest du ab und an ein gutes Buch in Händen nehmen, meinetwegen „Timm Thaler” von James Krüss oder „Die rote Zora und ihre Bande” von Kurt Held, das Bücher sind, die nicht nur gut, sondern wirklich spannend zu lesen sind und sehr geeignet für einen Jungen deines Alters, und würdest du beim Fernsehen nicht nur hinstarren, sondern von guten Dialogen –die manchmal vorkommen– lernen, dann könnte deine Zungenfertigkeit nach und nach und wie von selbst sich entwickeln!”...

„Sind Sie ein „Jesus-Fan”?”, wollte Romano, auf das Kreuz über dem Bett anspielend, wissen, womit er eine längst gehegte Frage anbrachte.
„Fragst du mich mit „Jesus-Fan”: ob ich glaube?” „Ja, klar!” bestätigte Romano. „So viel ich weiß, glaubt die Kirche, daß Schwulsein Sünde ist.” „Nicht nur die Kirche glaubt das,” berichtigte Kalinke. „Mit kaum nennenswerten Ausnahmen stecken Sekten und alle möglichen religiösen Gemeinden in ihren Glaubenssüchten fest. Glauben aber soll zur Wahreit führen.
Die Wahrheit aber ist nur zu finden, wenn man lernt, Unbe-quemlichkeiten des Lebens zu respektieren. Läßt man die außer acht, landet man in der Lüge. Ja, Romano, und so eine Lüge ist die, daß Schwulsein eine Sünde ist!”...D761D9FDD66C24C5346FCD2298ABCF89071C9EB5B

Zur rechten Hand eine Reisetasche mit Kleidungsstücken und einigen Bücher, und zur linken Hand einen Radio-Recorder geriet Romano, als er für immer das Heim hinter sich ließ, in einen Nebel, der dicht war wie eine in betriebgesetzte Waschküche. Und weil es Romano, der einen grün/weißen Jogging-Anzug trug, frierte, bückte er sich mit der Absicht, aus der Reisetasche seine Jeans-Jacke zu nehmen, wovon ihn knirschende,  näherkommende Schritte über die Kieselerde abbrachten. Und sich aufrichtend stand –aus dem Nebel heraustretend– Stefan vor ihm.
„Also weißt du,” brachte Romano sein Erstaunen zum Ausdruck. „Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit, daß du mich abholst.” „Für eine Ãœberraschung bin ich immer zu haben,” meinte Stefan, erleichtert über die sichtbare Freude des Freundes, dem er die Hand reichte.
„Die Ãœberraschung ist dir gelungen,” bestätigte Romano. „Aber!? Woher wußtest du, daß ich heute entlassen werde?” „In einem deiner letzten Briefe bist du darauf eingegangen,” erinnerte Stefan. „Jetzt komm. Ich habe meinen Wagen etwas abseits geparkt.” „Was?”, wunderte Romano sich. „Du hast ein eigenes Auto?” „Mit viel Glück,” erklärte Stefan, Seite an Seite gehend. „In der Zeit, während ich den Führerschein machte, kaufte ein Bekannter meines Vaters sich einen neuen Wagen. Und den alten für einen Freundschaftspreis an meinen Vater abgetreten, schenkte der ihn mir. Zwischenzeitlich hat er ihn so auf Vordermann gebracht, daß er wieder top-fit ist.”

„Das ist mir vielleicht eine edle Kutsche!”, rief Romano, Stefans schneeweißen Ford Taunus 12 M bewundernd. „Mann o Mann! Du bist ja im Besitz eines echten Oldtimer.” „Ãœbertreibe nicht,” bat Stefan, die Beifahrertür aufschließend. „Er ist nicht von 18-100-Leipzig-81, aber –na ja–, wenn ich ehrlich bin: stolz bin ich schon auf ihn.” „Das wäre ich auch,” gestand Romano, sein Handgepäck auf den Hintersitz legend, neben Stefan sich setzend, beobachtend, wie dieser den Wagen zündete und in Bewegung setzte, und sich erklärend entschloß, „Als nächstes mache ich den Führerschein. Die Prüfung dürfte mir nicht schwerfallen.” „Apropos Prüfung,” ging Stefan darauf ein. „Wie fiel eigentlich deine Gesellenprüfung aus?” „Mit Bravour bestanden,” lobte Romano sich selbst. „In fünf Prüfungen, Theorie und Praxis, gingen die Meister meinem Fachwissen ans Leder. Angefangen mit unterschiedlichen Bodenbeschaffungen und ihren jeweiligen Düngeverfahren, über Schädlingsbekämpfung, Baumschnittverfahren und Behandlung der Topf- und Zierpflanzen, bis hin zu Gattung, Art und Familie von Laub- und Nadelgehölz. Kurz gesagt: die haben nichts ausgelassen. Zwar mußte ich bis dahin ordentlich büffeln, Stefan, aber ich wußte ja, was auf dem Spiel steht. Und ich wollte unbedingt gleich beim ersten Mal bestehen, sonst hätte ich ein weiteres halbes Jahr im Heim zubringen müssen. Um ganz ehrlich zu sein, Stefan, ich hätte kaum so viel gelernt, wenn ich nicht bis Anfang dieses Jahres vorgehabt hätte, die Stelle anzunehmen, die dein Vater mir vermitteln wollte.” „Also doch,” rückte Stefan betroffen heraus. „Deine plötzliche Funkstille war meine Schuld. Ich habe es mir gedacht! Ich hatte dich zu sehr bedrängt.” „Das ist nicht der Grund!”, widersprach Romano, dem seit dem Vorfall mit Kalinke Zweifel aufgekommen waren, was Stefan anging. Und deshalb fragte Romano: „Hast du den Platz in deiner Hütte, den du für mich vorgesehen hattest, schon an jemand anderes abgetreten?” „Warum sollte ich?”, hielt Stefan dagegen.
„Du hast mir nie von einer Braut geschrieben,” entgegnete Romano. „Ich würde es also akzeptieren, wenn eine bei dir wohnt.” „Ich habe keine Freundin!”, redete Stefan im Klartext, selbst auf die Gefahr hin, seinen Zukunftstraum mit Romano für immer aufzulösen. „Schreiben wollte ich darüber nicht, nachdem du mir schriebst, was geschah, als einer dich aus dem Heim schwul nannte. Und dich besuchen kommen, das wolltest du ja nicht.” „Das mußt du verstehen,” bestimmte Romano. „Das wäre ein gefundenes Fressen für die Typen gewesen.” „Umso verständlicher,” bestätigte Stefan im selben Augenblick, so er in einem Stau steckenbleibend mit dem Tempo heruntergehen mußte, „da ich tatsächlich schwul bin!”

Bisher war die Fahrt trotz unmöglichen Ãœberblicks auf der Autobahn zügig vorangegangen. Daß nun allerdings schleichend es weiterging, tat Stefan gut, zumal er bemerkte, daß Romano seine Mühe und Not hatte, mit der folgenden Frage herauszurücken. „Dann hast du ja..., also... hast du einen...” „Einen Freund?”, half Stefan ihm über die Sprünge und bestätigte: „Ja! Das heißt: eigentlich nein! Jedenfalls keinen intimen. Aber einen wirklich guten platonischen. Otto heißt er, und er lebt in Lübeck. Und wenn er beruflich nach Berlin kommt, sehen wir uns. Mit ihm kann ich über alles sprechen, deshalb lasse ich es mir auch nie nehmen, auf der Fahrt nach Hamburg einen Zwischenstop in Lübeck einzulegen.” ...Es folgte betretenes Schweigen! ...
Stefan konzentrierte auf den auflösenden Stau sich! Und Romano? Ihn hatte wider Erwarten weniger Stefans Beichte gestört, als viel mehr die Lobeshymne über Otto. Um jedoch nicht sich das eingestehen zu müssen, schaffte er ganz einfach diesen Gesprächsstoff zur Seite, indem er nach Stefans Familie sich erkundigte.
„Ilka,” berichtete Stefan, „hat eine schlimme Zeit hinter sich. Du mußt wissen, daß sie vor einem halben Jahr eine Fehlgeburt hatte. Und das ausgerechnet mit einem Jungen. Heikos Gemeinheiten ihr gegenüber, kannst du dir selbst ausrechnen. Erspare mir bitte die Einzelheiten. Jetzt jedenfalls lebt sie endgültig getrennt von ihm mit Nicole in unserer alten Wohnung, die meine Mutter ihr überließ, und deshalb ganz zu Ralf zog. Aber,” kam Stefan auf Romano zu sprechen, „jetzt bist du dran! Wie sehen deine Pläne aus?” „Die sind in wenigen Sätzen erzählt,” meinte dieser. „Eine Stelle in meinem Beruf wird man mir, wenn ich Glück habe, frühestens im Frühjahr anbieten können. Vorerst ziehe ich in eine WG und werde vom Sozialamt unterstützt. Und wenn alles klappt, wie ich mir das denke, will ich mir bald eine eigene Hütte zulegen. Tja, und das wär ’s auch schon.” „Alle Achtung!”, erkannte Stefan, seine Enttäuschung nicht sich anmerkenlassend. „Du weißt, was du willst.” „Nicht ganz,” widersprach Romano. „Aber man muß zumindest auf etwas zusteuern. Auch wenn morgen schon alles anders aussehen kann.” „Du kannst dir denken,” entgegnete Stefan, still hoffend, „daß jederzeit ein Platz für dich bei mir ist.” „Ich merke es mir!”, versprach Romano...

In Dulsberg einfahrend, bis dahin der Nebel sich verzogen hatte, bat Romano: „Grüß bitte Ilka und deine Mutter von mir. Und natürlich die kleine Nicole.” „Mache ich,” versicherte Stefan, „aber telefonisch. Ich kann nämlich nicht zu Hause vorbeisehen.” „Ach so,” konnte Romano es nicht sich verkneifen, „Otto wartet auf dich.” „Nein,” berichtigte Stefan, den Romanos Eifersucht erleichterte. „Ich muß von hier direkt nach Berlin zurückfahren. Mein Chef konnte mir nur heute freigeben.” „Willst du damit sagen, daß du nur meinetwegen die Tour auf dich genommen hast?”, stellte Romano verdutzt fest.
„Was hast du denn gedacht?”, bestätigte Stefan. „Seit ich deinen ersten Brief bekam, freute ich mich auf unser Wiedersehen! Und das hätte ich mir von niemand nehmen lassen. Nicht einmal von dir! Deshalb bin ich ja so glücklich darüber, rechtzeitig den Führerschein in die Tasche gekriegt zu haben. Jetzt wünsche ich mir nur, daß, wenn ich in drei Wochen meinen Weihnachtsurlaub hier verbringe, wir uns wenigstens einmal sehen.” „Was hast du denn gedacht?”, bestätigte Romano. „Mehr als einmal! Das ist selbstverständlich!”...

Schließlich, Händeschlag auf ein Wiedersehen gegeben, überreichte Stefan in letzter Sekunde Romano ein Geschenk und–fuhr davon. Und wehmütig werdend beim Hinterhersehen, entnahm Romano aus einem emaillierten Döschen denselben Ohrring, der in Stefans linkem Ohrknopf steckte!

 

15. Auszug: Denn das Leben, KARMA HAT DAS SAGEN

Abgegangen von der Schule, war Andrea nicht wie die Freundinnen, für eine Lehr- oder Arbeitsstelle, von Pontius zu Pilatus gelaufen. „Ich werd’ mir nicht wegen ’nem lausigen Job und ’n paar Kröten im Monat die Fingernägel brechen. Maloche is’ ’was fürs Gehwarzengesinde. Wenn ich nicht mindestens die Welt verdien’, steh’ ich mir nicht die Beine in ’n Leib.”, hatte sie den Eltern verkündet, lag seither als Ergebnis ihres „klugen Kopfes” auf dem Lotterbett, und beschäftigte hauptsächlich sich mit Körperpflege.
„Sobald du achtzehn bist, kannst du sonstwo deine Beine unterm Tisch ausstrecken, nur nicht mehr bei uns,” offenbarte die Mutter oftmals ihr. „Dann kannst du andern auf ’m Kopf ’rumtanzen. Es sei höchstens, du änderst dich von Grund auf.”
Solche lapidare Drohungen –daran gewöhnt– hielten Andrea keineswegs davon ab, den eigenen Weg zu gehen, auf dem sie „fette Happen” mit „rasantem Schlitten” und voller Brieftasche angelte und „ins Meer zurückwarf”, so sie sich eingedeckt hatte mit extravaganter Garderobe, oder ausgefallenen Parfüms, oder Schmuck –darunter manches kostbare Kleinod–, oder...
„Dieser ganze Firlefanz kostet doch ’ne Stange Geld,”, gab die Mutter gelegentlich von sich. „Ich frag’ mich wirklich, wo du dich ’rumtreibst. Und mit wem!” „Jedenfalls zieh’ ich mit keinen Waisenknaben um ’n Block,” entgegnete Andrea dann. „Generell weiß ich eben, worauf ’s ankommt. Den Männern kann man ’s ja so leicht aus den Fingern saugen.”; woraufhin der Mutter nichts weiter übrig blieb, als zu befürchten, daß Steffi abfärbe.
Tatsächlich die Lebens-Weiche schon eingefahren wie Andrea die ihre, stellte Steffi manchmal Jörg aufs Abstellgleis, um –von einem anderen die ganze Hand genommen– auf ihn zurückzugreifen, bis auf ein Neues...
Zum Betäuben der sieben Sinne reichten Steffi einige Kühle vom Faß oder das harte Getränk „Küstennebel”, wogegen Andrea Rauschgift bevorzugte und damit ihren Liebes-Schmerz, Heiko weder vergessen noch verzeihen zu können, linderte...
Und allmorgendlich „durfte” die Mutter das Aufstehen der im breiten Zustand ins Bett gefallenen Töchter in die Hand nehmen, zumal der Radiowecker, rücksichtslos aufgedreht, erfolglos erschallte, wie an jenem Morgen, an dem sie ins Zimmer stürzte, die Ãœbergardine zurückzog, die Heizung abdrehte, für frische Luft sorgte, da die Stickigkeit unzumutbar war, und rief: „Steffi, wach auf! Und stell’ das Ding ab. Oder zumindest leiser.”
Im Halbschlaf pariert, sank die Kleine wieder ins Kissen, weshalb die Mutter mahnte: „Du kommst wieder zu spät zur Schule, Steffi, also komm hoch. Und du, Andrea,” wandte sie der Äl-teren sich zu und –wäre beinahe vom Schlag getroffen worden!
Ein junger Mann, der neben Andrea lag, war wie sie –gleich Adam und Eva vor dem Sündenfall– ohne Lendenschurz anzusehen.
„Andrea!”, schrie die Mutter, in entgegengesetzte Richtung sehend, „ich hab’ dir mehrfach gepredigt, daß ich gegen das, was du außerhalb unseren vier Wänden treibst, nichts machen kann, aber hier haben noch immer dein Vater und ich das Sagen! Treib ’s nicht auf die Spitze.” „Brich mal nicht in Panik aus,” knurrte Andrea, die Decke hochziehend. „Jan wird gleich verduften. Geh’ du inzwischen in die Küche und beruhig’ deine Nerven bei ’ner Tasse Kaffee. Ich hab’ nämlich kein’ Bock drauf, in Allerherrgottsfrühe die Gehörgänge vollgedröhnt zu kriegen. Du...” Weiter kam Andrea nicht! Von Unbehagen befallen, sprang sie aus dem Bett und eilte zur Toilette...

„In fünf Minuten will ich Sie in meiner Wohnung nicht mehr sehen,” entschied die Mutter, an Jan gewandt, und an Steffi, die schwerfällig beim Ankleiden war, „Bevor du gehst, ißt du ’was. Ansonsten geht ’s dir womöglich wie deiner Schwester.”; und in die Diele gehend, fragte sie Andrea, die aus der Toilette kam: „Hast du dich wieder übergeben müssen?” „Klaro, Mann,” schimpfte Andrea. „Dein Gequake schlägt mir ständig auf ’n Magen. Das is’ ja zum Kinderkriegen.” „Wundern würd ’s mich nicht,” meinte die Mutter und befahl: „Wenn dein... aus ’m Haus is’, hab’ ich ’n ernstes Wörtchen mit dir zu reden.”

Ins Zimmer tretend, streifte Andrea ihren Bademantel über und –so Jan, der sich anzog, um Entschuldigung bat– protestierte: „Kehr’ mal nicht den guten Hirten ’raus. Was hier passiert, is’ immer noch mein Bier. Immerhin war ich diejenige, die noch ’ne „Tüte” barzen wollte.” „Nur dein Bier?”, nahm Steffi die Schwester unter Beschuß. „In dem Zimmer hab’ ich genau so viel zu melden wie du! Das nächste Mal, wenn ihr wie letzte Nacht nicht zu Pott kommt, hol’ ich Mam aus ’m Schlafzimmer. Ihr habt ’n Rad ab, damit ihr ’s wißt. Wegen euch konnt’ ich die halbe Nacht kein Auge zumachen.”
Andrea, die keinen Streit wollte, schwieg sich aus, brachte Jan zur Tür, und machte –das Fenster schließend..., das Radio ausschaltend..., die Heizung aufdrehend...– Gedanken sich, über ihre Ãœbelkeit, die seit einiger Zeit, direkt nach dem Aufstehen und besonders auf nüchternen Magen, auftraten. „Das muß am Rauschgift liegen,” entschied Andrea und beschloß, künftig ein wenig Abstand davon zu nehmen.

Schließlich –Steffi war außer Haus– setzte Andrea sich gegenüber der Mutter, die bei einer Tasse Kaffee Inserate in der Tageszeitung studierte.
„Du wolltest mir ’was vorgeigen,” erinnerte Andrea. „Wenn ’s um ’nen hirnrissigen Knalljob geht, dann laß’ mich besser in Ruh’.”
Erbost über das aufgeblasene Wortgeklapper, sagte die Mutter streng: „Unter anderem geht ’s auch um Arbeit. Lang’ seh’ ich mir das nicht mehr mit an, wie du deinem Vater auf der Tasche liegst und dem lieben Herrgott die Zeit stiehlst. Jetzt will ich aber erst einmal von dir hören, was du dir dabei gedacht hast, in unserer Wohnung ’nen wildfremden Menschen übernachten zu lassen. Und das sogar in deinem Bett.” „Das is’ nicht wirklich,”, stöhnte Andrea. „Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt. Aus allem machst du ’n XY-Problem. Was is’ schon dabei, wenn Jan mal bei mir poft? Meistens bin ich bei ihm.”
„Wie: meistens?”, forschte die Mutter.
„Was glaubst du wohl, wo ich mir die Nächte um die Ohren schlag’?”, meinte Andrea patzig.
„Bei deinen Freundinnen, dachte ich,” erklärte die Mutter. „Ich halt’ dich für ’n anständiges Mädchen.” „Du lebst hinterm Mond!”, bemerkte Andrea. „Deine Rückständigkeit is’ zum Kinderkriegen. Mir waren schon mit zwölf die berühmten Doktorspielchen zu langweilig. Da ging ’s deftig an die Wäsche. Im Gegensatz zu dir, haben ’s uns die Pauker rechtzeitig im Text verfaßt, daß ’s bei Jungs und Mädels den kleinen, aber feinen Unterschied gibt.” „Hoffentlich hat man euch auch darüber belehrt, daß die Kinder nicht vom Klapperstorch kommen,” drückte die Mutter trocken sich aus und erwähnte: „Du hast lang’ nicht mehr die Pille genommen!” „Wozu auch? ’s gibt doch Lümmeltüten,” äußerte Andrea, stand auf, und goß eine Tasse Kaffee sich ein.
„Ich werd’ unseren Hausarzt anrufen!”, kündete die Mutter an. „Zwar kann ich nichts gegen deinen schlechten Lebenswandel tun, aber ein uneheliches Kind ist das letzte, was du mir anbringst.” „Ich glaub’, ich spinne,” entrüstete Andrea sich, die Tasse abstellend.
„Das brauchst du nicht zu glauben!”, behauptete die Mutter.
„Seit wann sagst du an, was ich zu machen hab’?”, erkundete Andrea. „Das wär’ mir ja ’n dickes Ei.”; und aus der Küche gehen wollend, hielt der harte, ungewohnte Tonfall der Mutter sie auf. „Du bleibst! Wenn du ’mal deinen eigenen Herd hast, kann ich dir bestimmt nichts mehr vorschreiben; nebenbei bemerkt: diesen Tag werd’ ich seligpreisen. Bisher hast du dir bei uns nichts vergeben. Dieses eine Mal aber beugst du dich meiner Anordnung, ansonsten: pack’ dein Ränzel und geh’! Und jetzt stöberst du die Annoncen durch. In8142658FC49DF77BF4A07F8DC2Czwischen laß’ ich mir von Doktor Treibel ’nen Termin für dich geben, damit er dir wieder die Pille verschreibt.”
Bitter einsehend, keinen Bekannten zu haben, der eventuell ohne Berechnung Quartier gegeben hätte, sah Andrea die Inserate durch..., dabei stach ihr ins Auge diese Annonce:
MITARBEITERINNEN für unsere telefonische Kundenbetreuung per sofort gesucht! Beruf und Alter unwichtig. Sie werden von uns eingearbeitet...

Sonderbar fand Andrea es schon, auf ihre telefonische Anfrage hin bestellt zu werden für ein Vorstellungsgespräch in ein Café, wohin kein Schulabschlußzeugnis oder sonstige Arbeitspapiere sie mitzubringen habe. Ziemlich neugierig also, wie vereinbart, traf sie in dem Café ein, und gleich kam ein an Jahren nicht hochbetagter, sehr elegant gekleideter –modisch kittfarbener Musterstrickpullover, Hemd aus wertvoller Schweizer Baumwolle, Krawatte-royal aus 100%iger Seide, in eleganter Honan-Struktur, Bundfaltenhose mit blau-grau-braunem Karoornament, geschneidert im veredeltem Golfstil in gerader Beinform mit Umschlag, braune Herren-Slipper, verschönert durch Franzenlaschen und Bommeln– Brillenträger auf sie zu, der Andrea die Hand, deren Gelenk eine Rolex zierte, reichte, und sich festlegte: „Du bist bestimmt Andrea!” „Leider!”, bestätigte Andrea, beleidigt über die prompte Anrede „Du”.
„Wieso: leider?”, wunderte der feine Pinkel sich.
„Na, wär’ ich die Tochter von Alexis Colby, müßt’ ich mich nicht abchecken lassen, ob ich für die freie Stelle gut genug bin.” „Ganz schön bissig,” bemerkte der feine Pinkel, „was ich mir lobe. Deine direkte Art übt einen positiven Eindruck auf mich aus.”; und Andrea zu Tisch führend, der von der allgemeinen Betriebsamkeit der Stätte abseits stand, rief der feine Pinkel nach der Bedienung, ließ Andrea bestellen, und stellte –Andrea gegenüber gesetzt– sich vor: „Ich bin der Toni. Du kannst mich duzen. Das ist in dem Gewerbe, wo ich mich rühre, üblich.”; unterbrochen von der Bedienung, die Andreas Bestellung brachte, führte Toni seine Tasse an die Lippen, wartete ab... und sprach weiter. „Eigentlich habe ich einen guten Riecher, was Mädchen, die sich mir vorstellen, angehen. Du, Andrea, scheinst mir für die Beschäftigung, die ich anzubieten habe, wie geschaffen. Gewiß hat es sich schon ergeben, daß ich mit meinem positiven Vorgefühl baden ging, was ich dir nicht vorenthalten will, Andrea. Deshalb dieser neutrale Boden hier, zum Kennenlernen.” –Der auf dem linken Ringfinger sitzende schwere Goldring, der mit einem Lapislazuli und Diamanten besetzt war, blitzte auf.– „Ich habe im norddeutschen Raum eine Marktlücke gefüllt. Meine Mädchen, vier habe ich breits, verdienen durch mich einen ordentlichen Batzen Geld! Vorausgesetzt, sie bringen den gewissen Hauch Verruchtheit mit, der zum Reichwerden erforderlich ist; dabei kann ich ruhigen Gewissens sagen, daß sich meine Mädchen keinen Zacken aus der Krone brechen.” „Nun setz’ mich schon ins Bild,” forderte Andrea, der ein ungeheuerlicher Verdacht aufstieg. „Worum geht es genau? Ich steh’ auf keine lange Kanzelrede.” „Hast du schon einmal etwas von der Telefonseelsorge gehört?”, fragte Toni vorsichtshalber.
„Du meine Güte!”, empörte Andrea sich. „Zum Herzenflicken kannst du ’ne Pastorentochter einstellen. Zu so ’was taug’ ich nicht.” „Aber nein,” widersprach Toni. „Für mein Angebot würden die Eigenschaften, die aus dem Geblüt eines Pfaffenpaares hervorgehen, nur hinderlich sein. Nein, Andrea! Es handelt sich, ohne den Körper zu verkaufen, um anonymen Sex. Vom Straßenstrich weit entfernt.” „Ich ahnte es,” regte Andrea sich auf –und erklärte klipp und klar: „Ich bin kein Flittchen!” „Verflucht und zugenäht,” schimpfte Toni mit sich selbst. „Jedesmal gelingt es mir nicht, in wenigen Worten klarzumachen, worum es geht.”; und schwitzend den Schlips aufziehend und den oberen Knopf des Hemdes öffnend, redete er, so er befürchtete, Andrea könne seiner verpatzten Erklärung wegen aufstehen und gehen, gehetzt, in-zusammenhängenden-Worten: „DasisteinJob, beidemdunichtdieHüllenfallenlassenmußt! AufgutDeutschkannstdueinSchweinegeld für’nenFingerhutStöhnendurchsTelefonmachen.”
Andrea, die trotz der flotten Sprache durchblickte, zündete eine Zigarette sich an, trank Kaffee, und war gespannt, was Toni, der ruhigerwerdend mit der Serviette den Schweiß aus dem Gesicht wischte, weiter zu sagen hatte. „Ich habe einen festen Kundenkreis, den meine Mädchen nie zu Gesicht bekommen, an der Hand, von dem Schlag Typ, der schüchtern ist, oder verklemmt, oder sonst welche Komplexe hat und deshalb direkten Kontakt mit Frauen meidet. Also zückt so einer schon Mal einen Blauen für einen Anruf, der ihn anturnt.” „Hab’ ich das richtig gebont?”, wollte Andrea wissen. „So ’n Typ macht sich über Anruf warme Gedanken?” „Richtig,”, bestätigte Toni. „Und was springt da für mich selbst ’raus?”, forschte Andrea, vollständig bei der Sache.
„Von jedem Anruf die Hälfte,” klärte Toni auf. „Nach Adam Riese sind das fünfzig Piepen.” „Augenblick,” bat Andrea. „Wird im nachhinein nicht gelöhnt, sind die Mädchen die Gelackmeierten. Oder wie seh’ ich das?” „Mädchen,” zerstreute Toni ihre Bedenken, „sehe ich so aus wie einer, den man aufs Kreuz legen kann? Die Piepen werden selbstverständlich im Voraus auf ein von mir dafür eingerichtetes Konto überwiesen. Anders läuft da nichts!” „Schön und gut,” fand Andrea. „Nur ich kann mir das abschminken. Mich vom Apparat meiner Alten von Typen anmachen lassen geht nicht. Die rasten eh aus, wenn sie ’rauskriegen, wie ich Kohle mach’.” „Dafür habe ich eigens gemietete Räume,” beruhigte Toni. „Und irgendwann leistest du dir eine eigene Wohnung, wo du im gemütlichen Stil Piepen verdienst.”...

Um es nicht sich mit der Mutter zu verderben, suchte Andrea Doktor Treibel auf, der sie gründlich untersuchte, eine Urinprobe sich geben ließ, und sie für den nächsten Tag in die Praxis bestellte.
„Na, Herr Doktor,” meinte Andrea, es sich im Patientenstuhl bequem gemacht, „wollen Sie mich heut’ nochmal abhorchen und abtasten, oder krieg’ ich die Pille gleich verschrieben?” „Die würden dir, wie es um dich steht, nichts mehr nützen,” entgegnete der Arzt. „Du hättest zwei Monate eher kommen sollen.” „Wenn meine Mutter nicht darauf bestanden hätt’, wär’ ich gar nicht gekommen,” gab Andrea zu, vom Ton der Musik unberührt geblieben.
„Schon bald wärst du auch ohne deine Mutter gekommen!”, behauptete der Arzt, der Andrea behandelte, seit sie in den Windeln lag. „Meine Vermutung gestern,” griff er den Faden vom Vortag auf, „hat sich bestätigt, Andrea. Du wolltest es zwar nicht wahrhaben, aber das Labor hat in deinem Urin das Hormon HCG nachgewiesen. Du bist im zweiten Monat schwanger. Ganz genau in der sechsten Woche.” „Blödsinn,” widersprach Andrea. „Das is’ absoluter Blödsinn. Grad’ letzte Woche hab’ ich meine Tage gehabt.” „Das ist nicht ungewöhnlich,” erklärte der Arzt. „In den ersten Monaten der Gravidität können immer noch menstruationsartige Blutungen auftreten. Die sind aber wesentlich schwächer, als die normale Menstruation, und an ihrem andersartigen Ablauf zu erkennen.” „Was soll ’s,” –bloß nicht nachdenken–, „dann muß ich abtreiben lassen.” „Das habe ich kommen sehen,” gestand der Arzt. „Nach dem Strafgesetzbuch, laut Paragraph 218a, Absatz 2, kannst du in bezug sozialer Indikation bis zur 12. Woche einen Abbruch durchführen lassen, wozu du von deinen Eltern eine Einverständniserklärung brauchst.” „Das is’ kein Problem,” äußerte Andrea, die Mutter hörend, ...„...ein uneheliches Kind ist das letzte, was du mir anbringst.”
„Ich gebe dir die Adresse einer zugelassenen 218-Beratungsstelle,” sagte der Arzt. „Dort wirst du über die medizinischen und sozialen Probleme des Eingriffes gewissenhaft aufgeklärt! Bist du dann noch dazu entschlossen, bekommst du von mir die Indikationsberechtigung ausgestellt.”...

Bei einem Schwangerschaftsabbruch eine Besprechung auf ei-ner 218-Beratungsstelle vor sich zu haben, hatte Andrea aus ihrer üblichen Ruhe gebracht. Und die Praxis verlassen –nun mußte sie doch nachdenken!–, war sie eine Zeitlang, in Gedanken versunken, unterwegs, und –landete GEISTIG GEFÃœHRT– in der Dulsbergkneipe, womit sie ihrem Schwur untreu wurde, Heikos wegen dort nie wieder hinzugehen.
Außer einigen Diskutierern am Tresen, hatte zu dieser frühen Abendstunde die Stammkundschaft noch nicht sich eingefunden.
Ehedem kein Verlangen nach Geselligkeit, bestellte Andrea ein Bier, ging in den leeren Nebenraum, zündete eine Zigarette an und überlegte –für dieses Mahlheur Jan die Schuld gebend–, was sie eigentlich an ihm fand, davon abgesehen, daß er ein breites Kreuz und ein hübsches Gesicht hatte, den tollen Wagen seiner wohlsituierten Eltern fahren durfte und immer gut bei Kasse war?
Dem ersten Bier folgte ein zweites..., ein drittes...., der Aschenbecher wurde voll..., die Musikbox leierte..., und –zwischenzeitlich war in der Gaststätte der vertraute Umtrieb eingezogen–, beim vierten Bier sich ausmalend, was alles sie von ihrem gut bezahlten Job sich kaufen würde, hörte Andrea –sich selbst?–, „Hast du Bock darauf, dich mit deinem Bier zu mir zu setzen?”
Leibhaftig stand Heiko vor ihr! Und nicht nur das! Jetzt erst bemerkte Andrea, daß genau bei demselben Tisch sie zu tief ins Glas blickte wie einst Heiko, den sie nun von Kopf bis Fuß musterte und sich eingestand, diese Begegnung aus der tiefsten Tiefe ihres Herzens herbeigesehnt zu haben.
„Kenn’ ich dich?”, fragte Andrea, im Rollenaustausch ihrer ersten Begegnung mit Heiko, und stellte schnell fest: „Na ja, was nicht is’, kann ja noch werden.” „Genau,” bestätigte Heiko und setzte sich zu ihr...

16. Auszug: AUF VERLORENEM POSTEN

Nachdem Stefan weggefahren war.....und Romano den Ohrring angesteckt hatte, begab er sich zur WG, wo erstmals in seinem jungen Leben er ein eigenes Zimmer haben sollte. Es beschwörte allerdings nicht nur bei der Führung durch die fünf Zimmer Wohnung Romano Opas Haushalt herauf, sondern besonders Horst –einer der vier Mitbewohner–, dessen Statur klapperdürr war, dessen rotblondes, schütteres Haar speckig glänzte, dessen Gesicht übersät war von wildwachsenden Bartstoppeln, dessen nackten Füße fast schwarz waren, dessen Hemd, der abgerissenen Knöpfe wegen offenstehend, heraushing aus der schlampigen Hose, durch die bereits „das grau kam”, dessen..., und aus demselben Holz geschnitzt schienen die Mitbewohner zu sein, die –wie eine Schnapskompanie– in dem trist eingerichteten unordentlichen Wohnraum die Glotze zum Mittelpunkt hatten, weshalb auf Romanos Gruß hin keiner reagierte...

... „...und das is’ dein Bunker,” erklärte Horst, Romano sein Zimmer zeigend, in dem es aussah wie in einer etwas zu groß geratenen Rumpelkammer.
„Dein Vorgänger,” gab Horst an, „war nicht der sauberste. Aber weil von uns keiner fürs Putzen anderer zuständig is’, liegt ’s an dir, ob du klar Schiff machst, bevor du richtig Einzug hältst. Ansonsten hast du dich vernünftig aufzuführen und dich unserer Hausordnung zu fügen. Falls nicht, kriegst du von uns ’n gleichen Schlag in ’n Nacken versetzt, wie ’s deinem Vorgänger erging.” „Mein Vorgänger?”, fragte Romano, todunglücklich über die Umstände und der Bruchbude.
„Der war ein echtes Exemplar von Schall und Rauch,” meinte Horst. „Der ging uns fürchterlich auf ’n Keks. Also mußten wir ihn an die frische Luft setzten.” „Das könnt ihr?”, verwunderte Romano es. „Mir hat man gesagt, daß für hier das Sozialamt zuständig ist.” „Paßt uns einer nicht in ’n Kram, fechten wir mit dem ’nen Strauß aus, bis er die Kurve kratzt,” äußerte Horst überlegen, feuchtete seine Kehle an mit dem Bier der Flasche, die, wo er ging und stand, bei sich hatte..., und mit dem Hemdsärmel den Mund abgewischt, schwätzte er weiter klug. „Wir haben bisher jeden Schleimscheißer, der uns in die Quere kam, kleingekriegt. Mit uns kann nur der gut Kirschen essen, der sich an unsere Hausordnung hält.”
„Das kann ja heiter werden,” dachte Romano und fragte: „Wie ist eure Hausordnung?” „In erster Linie,” antwortete Horst, „wird hier nur in Maßen gesoffen. Und einen von uns anpumpen is’ nicht, weil grüne Kerle wie du Schulden leicht vergessen.” „Ich habe meinen eigenen Notgroschen,” protestierte Romano, der Mühe hatte, friedlich zu bleiben. „Und vom Sozialamt  bekomme ich Unterstützung, bis ich in meinem Beruf Arbeit finde.” „Vergiß ’s,” riet Horst. „Von der Patte der Sozi is’ der Mund nicht vollzukriegen. Besser is ’s, wenn du dir ’nen Job suchst. Machst du lange Finger, schicken wir dich in Rente.” „Ich vergreife mich nicht am Besitz anderer,” konterte Romano.
„Wir warten ’s ab,” entgegnete Horst kaltlächelnd. „Manchmal geschehen zwar Zeichen und Wunder, aber ich glaub’ nicht daran. Schließlich kommst du auf direktem Weg aus  ’ner Aufzuchtsanstalt!”
Der Befürchtung zugrundeliegend, ausfallend werden zu können, schwieg Romano und schluckte die Wut, die in ihm zu kochen anfing, herunter. „Noch eins mußt du dir gesagt sein lassen,” entschied Horst, der die Flasche Bier gierig an den Hals setzte, als entnähme er daraus sein Lebenselixier. „Wir sind hier ’ne reine Männerwirtschaft. Falls du also mal ’ne Alte anschleppst, is’ ab Mitternacht finito. Verstehst du? Zappenduster! Für Bordsteinschwalben sind wir keine Absteige. Und Kumpels schleppst du am Besten gar nicht erst an, sonst nehmen wir an, du bist ’n Schwuler, die wir auf ’n Tod nicht abkönnen. Wir wissen Bescheid. In so ’ner Aufzuchtsanstalt, wo du her kommst, geht ’s rund.” „Ich bin nicht vom anderen Ufer!”, stieß, schneeweiß geworden, Romano von sich und hätte beinahe kehrt gemacht, so er jedoch realistisch den Dingen ins Gesicht sehen konnte, angewiesen zu sein auf ein Dach über dem Kopf.
„Wir warten ’s ab,” versprach Horst,spezial- kaltlächelnd, und bestimmte: „’nen Schlüssel brauchst du nicht! Einer von uns is’ immer da. Und nach Mitternacht, falls du wie dein Vorgänger ’n Herumtreiber bist, kannst du da pennen, wo du ’rumgam-melst.” Und schielend auf Romanos Cassettenrecorder, meinte er noch: „Falls du auf Schmachtfetzen aus Discos stehst, halt’ dich an die Zimmerlautstärke. Wir stehen nicht darauf! Und pfleg’ das Inventar. Zum einen gehört ’s nicht dir, und zum anderen wirst du kaum der Letzte sein. der hier haust.”...

Obwohl absolut kein Grund zum Lachen vorlag, entlockte Horsts letzter Rat Romano ein Grinsen, so er von einem windschiefen Hocker aus, von dem zuerst ein Stapel Zeitschriften zu nehmen war, den verrosteten Spint beäugte, der vollgestopft war mit Leergut und schmutziger Wäsche. Vom Rahmen des Fenster blätterte der Lack ab, und die Matratze des nicht vertrauenerweckenden Bettes war voller widerlicher Flecken.
Nein!! Hier würde er nicht alt werden, zumal ihn die Tatsache, keinen eigenen Schlüssel zu haben, viel härter traf, als die gefallenen scheußlichen Beleidigungen!

Mit der Morgenröte aufzustehen, war für Romano in seiner Lehre zur Gewohnheit geworden; und um sein Vorhaben, die Rumpelkammer in ein bewohnbares Zimmer umzugestalten, auszuführen –Horst hatte ihm den Hinweis gegeben, eh nur an festgesetzten Tagen aufs Sozialamt gehen zu können–, fuhr Romano mit der U-Bahn in die Stadt, kaufte zum Auswechseln zwei Spann-Bettlaken, Kissen- und Deckenbezüge, einige Handtücher, ein Springrollo, einige Toilettenartikel, eine Teppich-Brücke aus Velours, zwei Tischdecken, drei Poster, eine Topfpflanze, Lebensmittel..., fuhr per Taxi zurück..., verbrachte den Tag damit, seinen kleinen Lebensraum behaglich sich einzurichten..., und mußte, vorm Zubereiten einer Mahlzeit dran glauben, in der Küche die Karre aus dem Dreck zu ziehen...
Anderntags ging Romano aufs Arbeitsamt, wo ihm, wie vermutet, keine Stelle in seinem Berufszweig angeboten werden konnte. Eine Akte wurde über ihn angelegt..., und infolge seines zeitigen Erscheinens unter den Arbeitssuchenden, landete er am späten Vormittag, in Barmbek, auf dem Sozialamt, das eine der staatlichen Einrichtungen ist, wo auch der, der finanzielle Hilfe nötig hat, das Gesicht verliert.

In einem langgestreckten Flur warteten Stühlen und Bänken, oder gegen die Wand gelehnt, oder auf Fenstersims beider Enden des Flur sitzend, oder schwatzend, lachend, stumm hin- und hergehend, rauchende und nichtrauchende Junioren und Senioren, mit oder ohne Begleitung, Pärchen und Mütter mit Kind und Kegel.
Dem ABC der gekennzeichneten Türen nachgegangen, meldete Romano sich in der für ihn zutreffenden Amtsstube an, wo er den Personalausweis zu hinterlegen hatte und Bescheid bekam, draußen zu warten, bis er, an die Reihe kommend, bei seinem Namen aufgerufen werde.
Wieder im Flur, kamen in grünen Bomberjacken zwei Burschen auf ihn zu, die er sofort erkannte.
„Man höre und staune!”, rief Torsten, Romano einen Freundschafts-Rippenstoß in die Seite versetzend. „Dich ausgerechnet wieder hier vorzufinden hält ja der stärkste Bulle im Schädel nicht aus. Das is’ doch..., Mensch, Alter, ’ne halbe Ewigkeit her. Sag’ an! Wie war ’s in der Erziehungsanstalt? Haben sie dir da Lesen und Schreiben beigebracht?” „Mußt du das so laut ausposaunen?”, beschwerte Romano sich und murmelte, um sich blickend: „Das müssen doch nicht Gott und die Welt wissen, wo ich war.” „Hab dich nicht so, Alter,” rief Torsten und fragte, sich seinem Begleiter zugewandt: „Kannst du dich noch an meinen besten Kumpel aus alten Zeiten erinnern, Ismail?” „Klar,” antwortete dieser, reichte Romano die Hand und erklärte verständnisvoll: „Mach’ dir nichts daraus. Torsten stößt jedem vor ’n Kopf. Weißt du: er kann nichts dafür. Wem ’s in der Birne fehlt, dem fehlt ’s eben.” „Hej, hej,” begehrte Torsten auf. „Nimm dich nicht so wichtig.”

Ismails Äußerung über Torsten vermittelte Romano keine gute Freundschaft der beiden..., und ihnen ins Treppenhaus folgend, erkundigte er sich nach Torstens Werdegang.
„Bei meiner Großmutter wohn’ ich seit ’nem Jahr nicht mehr,” teilte dieser mit. „Die alte Schachtel hat aufgemuckt. Sie meinte, daß sie nichts damit zu schaffen haben will, wenn ich auf die schiefe Bahn gerate. Seitdem zahlt die Sozi meine Miete für ’n Pennerasyl, in dem ich nicht mehr bin, weil in einer Bude vier, fünf Mann zusammengepfercht waren und mit den Kakerlaken auf du und du standen. Ne, du, das war nichts für mich. Ich hab ’s vorgezogen, bei Opa zu leben. Das hat die Rudi-ratlos-Gang hier bis heut’ nicht gerafft.” „Opa?”, forschte Romano. „Der aus Dulsberg?” „Logo, Alter,” bestätigte Torsten. „Bei dem alten Schabrackenhengst is ’s echt ’n locker-drauf-sein.”
„Daß es den noch gibt?”, wunderte Romano sich.
„Das is’ nicht alles, Alter!”, sprudelte es aus Torsten heraus, der vor Dünkel aus allen Nähten platzte. „Ich und Ismail sind jetzt bei den Champs!” „Champs?”, wollte Romano wissen.
„Da sieht man, wo du herkommst! Von nichts ’ne Ahnung,” behauptete Torsten und –redete den Mund sich fuselig. „Die Champs, Alter, sind ’ne Bande, die in allen Ecken in und um Hamburg Halli-Galli machen. Immer sind wir auf Achse, und kommt ’s hart auf hart, sind wir, die Harten, im Kommen. Wir, die Champs! Und alle, die du mit der grünen Bomberjacke siehst, gehören zu uns. Zu Tausenden sind wir in Hamburg verstreut. Und alle, die unsere Jacke tragen, aber nicht zu uns gehören, gehen ex und hopp. Du verstehst? Weg mit dem Scheiß! Wie die Disco-Klitsche „Ciro” in Neugraben. Da haben wir kürzlich so aufgeräumt, daß die Fetzen flogen. Ich sag ’s dir, Alter: wir wissen, wie der Wind weht! Wenn man das weiß, Alter, segelt man gut. Und alles, was zu kriegen is’, nehmen wir mit, auch die Bräute, die auf uns stehen wie ’ne eins. Da läßt sich ’s locker nach dem Geierprinzip leben: dreimal kreisen, einmal hacken.”; und Luft holend, kam Torsten auf die fixe Idee, „Mensch, Alter, hast du nicht Bock drauf, zu uns zu gehören? Mit den paar Kröten der Sozi kommst du nicht weit. Wir aber, wir ziehen ständig ’nen großen Fisch an Land. Das wär’ doch ’was für dich. Echt du.”
Romano, der nicht gewillt war, auf diesen Vorschlag überhaupt einzugehen, fragte ganz einfach: „Warum gehst du dann zum Sozialamt? Du könntest doch ganz gut ohne auskommen!” „Alter,” drückte Torsten großmäulig sich aus. „Das is’ reine Taktik. Nichts als Tarnung, sag’ ich dir.” „Du willst gar nicht arbeiten,” stellte Romano fest. „Seh’ ich so aus?”, machte Torsten sich lustig über ihn. „In unseren Kreisen is’ das ’n Prestigeverlust. Ranklotzen is’ ’was für Streber, sag’ ich dir. Von Ärmel hochkrempeln und in die Hände spucken halt’ ich nichts. Ich krieg ’s doch bei Gido mit. Der lernt Koch und macht für jeden das A.v.D.!” „A.v.D.?” „Na, Arschloch vom Dienst,” sprach Torsten die Abkürzung aus. „Gido reißt sich von früh bis spät die Beine aus ’m Leib, bloß aus Angst, seine Lehrstelle zu verlieren. Weil ’s zu wenig Stellen gibt, machen die Großen mit den Kleinen, was sie wollen.” „Und wie steht es um Marko?”, erkundete Romano weiter. „Der is’ total abgestürzt,” teilte Torsten mit. „Bis vor kurzem war er noch einer von uns. Für die nächsten zwanzig Jährchen hat er allerdings ’n Abonnement hinter schwedischen Gardinen, soviel Dreck wie der am Stecken hat.” „Drück’ nicht so auf die Tube,” funkte Ismail dazwischen, der Torstens Angeberei nicht mehr hören konnte. „Daß Marko brummt, is’ allein dein Verdienst! Du hast ihn nach Strich und Faden angeschissen. Und glaub’ bloß nicht, daß das gegessen is’.” „Wer is’ ’n dir auf ’n Schlips getreten?”, regte Torsten sich auf. „War ich etwa seine Leibgarde? Der hat doch Beine zum Laufen!” „Und du,” fuhr Ismail grantig ihn an, „hast ’ne Maschine, auf der Marko mit dir flüchten sollte. So jedenfalls war ’s abgemacht. Aber wart ’s ab! Irgendwann geht ’s auch bei dir nach hinten los. Krallen die Bullen dich, bist du wie Marko weg vom Fenster. Offene Lampen hast du genug.”
Das war angekommen! Sich aber das nicht anmerkenlassend, brachte Torsten einen Witz und schlug Romano ein baldiges Treffen vor.
„Ich wollte demnächst mal im H.d.J ’reinsehen,” ging dieser mit Bedacht darauf ein, denn: wollte er nicht in kriminelle Geschäfte verwickelt werden, war Torsten zu meiden.
„Wo denkst du hin?”, schwätzte Torsten, die Brust schwellend, daher. „Heutzutage kommt die Elite im Fürstenhof in Ramba-Zamba-Stimmung. Jeder, der ’was von sich hält, hat dort seine zweite Heimat, wo alles verkehrt, was Rang und Namen hat. Der Rest der Welt hat in der H.d.J.-Klitsche Haus und Hof, wie Kanaker.” „Paß auf, was du von dir gibst!”, zischte Ismail durch die Zähne, schaute finster drein, ballte die Hände und warnte, sich beherrschend: „Bleib’ auf ’m Teppich, Macker! Sonst lebst du nicht mehr lang’!” „’tschuldigung,” bat Torsten, erschrocken ganz klein geworden, dankte still Gott, gerade beim Namen aufgerufen zu werden, und leistete, von Romano sich verabschiedet, „Freitagabend sind wir im Fürstenhof. Oben, auf der Prominentenloge, wo der harte Kern is’.”, dem Ruf Folge...

Kurz darauf bekam auch Romano von einer netten und gefälligen Amtsperson (Ausnahmen bestätigen die Regel) seine Belange bearbeitet... Danach ging er ins Einkaufscenter Hamburger Straße..., kaufte vom Einkleidungsgeld des Sozialamtes eine der kühlen Jahreszeit angepaßte Garderobe..., unternahm, angetan von der weihnachtlichen Auslage u.v.a. mehr, einen Schaufensterbummel..., legte den Weg nach Hause zu Fuß zurück..., und –bekam die gute Laune vergällt.
Horst war in seinem Zimmer, der, mit einem Buch in Händen, spottete: „Ich hätt’ nicht gedacht, daß du ’ne Leseratte bist.” „Und ich,” fuhr Romano aus der Haut, „hätte nicht gedacht, daß du schnüffelst.”; und die Einkaufstüten abgestellt, nahm er sein Buch an sich.
„Was nimmst du dir ’raus?”, beschwerte Horst sich. „Was du schnüffeln nennst, nenn’ ich, die Stellung halten. Obwohl du entgegen deinem Vorgänger nicht alles vergammeln läßt, heißt das nicht, daß du sauber bist. Und ich komm’ dir dahinter, woher du dir soviel zulegst. Jetzt aber gehen wir zum Ernstteil unserer Unterhaltung über. Hast du Patte?” „Patte?” „Na, die Miete –und so.”
Kommentarlos das Portemonnaie aus der Gesäßtasche gezogen, zählte Romano die Summe ab und gab sie Horst, der forderte: „Und den Rest auch!” „Den Rest auch?”, wiederholte Romano, der nicht verstand. „Na, alles,” bestimmte Horst. „Wir teilen ’s dir ein.”; damit jedoch zu weit gegangen, hatte Romano das Maß voll!
„Ich brauche keinen Ersatzerzieher,” belehrte er. „Schon gar nicht dich! Ich bin alt genug, meine Patte mir selbst einzuteilen.” Und demonstrativ steckte er das Portemonnaie wieder in die Tasche.
Augenblicklich fiel Horst die Klappe herunter..., aber dann, sich umdrehend, schwor er: „Wenn du am Monatsende nichts mehr zum Fressen hast und auf ’n Trichter kommst, deine verwichsten Griffel an unserer Mampfe zu vergreifen, ergeht ’s dir wie deinem Vorgänger! Der hat sich nicht nur einmal ’n Satz warme Ohren geholt.”...

17. Auszug: INNERER WIDERSTREIT

Hektischer Passanten- und zähfließender Feierabendverkehr herrschte auf den Straßen Lübecks, wo Stefan, bei Einbruch der Dunkelheit einfahrend, mit Otto verabredet war in der „Schiffergesellschaft”.
Ein sich zusammenbrauendes Unwetter machte mit meterhohen beleuchteten Christbäumen und über Straßen hängenden Lichterketten was es wollte..., Hutträger mußten des stark aufkommenden Windes wegen ihre Kopfbedeckung festhalten..., eine Frau, mit riesen Schritten dahinhastend, zog ein kleines Kind hinter sich her..., vor einer Haltestelle schoben und drängten ohne Rücksicht auf Verluste Fahrgäste sich in einen parkenden Bus..., und so viel Stefan auch –wartend vor roten Ampeln- zu sehen bekam von vorweihnachtlichem Wirrwar, so wenig, nämlich gar nichts!, bekam er zu sehen, was Sinn gegeben hätte dem vier Tage bevorstehenden Fest der Liebe.

Endlich am Holstentor entlangfahrend, in die Hauptstraße „An der Untertrave” einbiegend, und entgegengesetzt der Drehbrücke abbiegend, parkte Stefan schließlich gegenüber der St. Jakobi Kirche und ging in die „Schiffergesellschaft”, auf deren Hausfront in Altdeutsch geschrieben steht:
    Du bist der Mann Herr Jesu Christ,
    Dem Wind und Meer gehorsam ist.
    Drum halt in Gnaden deine Hand,
    Auch über unserm Schifferstand.
    Für Sturm, für Räubern, für Gefahr,
    Herr, unser Seefahrt stets bewahr.

    Laß die Gesellschaft und Gemein
    Der Schiffer dir empfohlen sein.
    gib Frieden, Freud und Einigkeit,
    Bewahr dies Haus für allem Leid.
    Dein Segen sich bei uns vermehr,
    Dir sei, O Gott, allein die Ehr.

Eine gedämpfte Atmosphäre führte Stefan aus dem Straßenlärm heraus in eine Oase der Ruhe, beim Eintreten der Diele, wo nicht nur auf den Simsen auffallend schöne Schiffsmodelle stehen, sondern auch herabhängen von der Decke, die einen faszinierend prachtvollen, zwanzigkerzigen Kronleuchter trägt von der Art, wie sie in Kirchen oder Audienzsälen in Schlösser und Rathäuser vorzufinden sind.
In der 1535 von Kaufleuten und Seefahrern gegründeten –erst voriges Jahrhundert dem allgemeinen Publikum zugänglich gemachten– „Schiffergesellschaft” reizt Fremde wie Einheimische die Innenarchitektur, Bilder biblischer Szenen, originale Öllampen, die vierhundert Jahre lang die Stürme der Zeit überdauert haben,..., und die erhaltene Intimität, die in der vergangenen Epoche maßgeblich war.
Im Hansezimmer, dem zweiten Raum nach der Diele, saß bei einem Glas Glühwein Otto, der, obwohl Silvester in Hamburg zu feiern beabsichtigt war, seine Freude über Stefans Abstecher of-fen zu Tage legte. Und nach französischer Sitte den Freund offenherzig begrüßt, fühlte Otto sofort: Stefan hatte großen Liebeskummer...

Das über Lübeck gezogene Unwetter tobte längst, als Stefan weiterfuhr, in Hamburg sich aus, wo Romano während unbestimmter Zeit vor verschlossener Haustür, die keine Menschenseele öffnete, „zum Tier” wurde.
„Es ist noch keine 23 Uhr,” brüllte Romano zu dem erleuchteten Fenster hoch, hinter dem die WG, ihre beste Leistung ausführend, sich abfüllte.
Von dem eisigen Wind durchzittert und bis auf die Knochen durchweicht, setzten in Romanos Seele sich frei Wut, Haß und Aggressionen; und zähneklappernd sein Schicksal beklagend, trat er gegen die Tür..., trommelte mit den von Kälte schmerzenden Fäusten dagegen..., klingelte Sturm..., stampfte mit erstarrten Füßen auf..., heulte und jammerte..., fluchte und betete..., hoffte und schimpfte..., es nützte nichts..., es konnte!, es durfte!, es sollte nichts nützen!, so Romano diese Nacht dahin geführt werden sollte, wovon DIE STURHEIT DES VERGAN-GENHEITSDENKEN ihn abgehalten hatte.
Die Lage also mußte! bis zur äußersten Verzweiflung sich zuspitzen, bis Romano, nach einem heißen Bad und einem warmen Bett sich sehnend, nur einen Ausweg sah, nämlich den!, den er sehen sollte. Und wie ein begossener Pudel, der den Regen nicht scheut, machte er sich auf...; die Herzenssprache hatte die Welt der Gedanken durchdrungen.

„Romano!?”, kam es zärtlich-staunend über die Lippen der Mutter, deren Ältester, triefend vom Kopf bis zum Fuß, auf sie wirkte wie ein verlorengegangenes Schäfchen, das treffend bemerkte: „Ich stehe total unter Wasser, Mutter.” „Komm’ rein!”, lud diese ihn sanft ein. „Du mußt gleich unter die Dusche. Nicht, daß du dir ’was wegholst!”

Sonst unter der Dusche kein Ende findend, hatte Romano diesmal es eilig..., schlüpfte sodann in den von der Mutter bekommenen Pyjama, dessen Bein- und Armlänge er hochkrempeln mußte..., und trat in die gute Stube.
Es war mollig warm und das Licht gedämpft.
Die Mutter gab Romano, der neben ihr sich niederließ, einen zubereiteten Rum-Grog und erklärte: „Neulich hat mir Frau Piepenbring berichtet, dich gesehen zu haben! Seitdem wünschte ich mir, daß du mal vorbeikommst. Wie geht es dir?” „Gut,” log Romano und sprang erschrocken auf. „Vater!?”, rief er. „Ist Vater da? Oder kommt er gleich?” „Der,” beruhigte die Mutter, „is’ heut’ Nacht bei seinem Flittchen.”
Erleichtert trank Romano vom seinen Körper durchwärmenden Rum-Grog und blickte um sich. Nichts hier erinnerte mehr an sein Elternhaus. Die Wohnung war zu neuem Leben erweckt und –sauber.
Sein kritischer Blick entging der Mutter nicht. Und die Wahrscheinlichkeit, den Sohn wieder verlieren zu können, unterbindend, gestand sie: „Ich weiß, was du jetzt denkst, Roman. Und das stimmt! Seit du und deine Geschwister aus ’m Haus sind, sind wir aus ’m Schlamassel. Aber wär ’s nach mir gegangen, wärt ihr längst wieder zu Haus’, Roman. Glaubst du mir das? Auf dem Ohr is’ dein Vater taub. Du kennst ihn doch.” „Leider,” bestätigte Romano. „Ich kenne ihn zur Genüge. Für mich ist er gestorben, als du mir geschrieben hast, daß er unseren Hund und unsere Katze ausgesetzt hat.” „’s is’ schlimm, wenn eine Mutter gegenüber dem Sohn vom Vater nichts Gutes sagen kann,” enthüllte die Mutter, beschämt zu Boden sehend. „Aber, und das soll keine Entschuldigung sein, Roman, ich hab’ genau so versagt! Euretwegen werd’ ich mich mal vor unserm Herrgott zu verantworten haben. Das weiß ich ganz genau.” Ihre letzten, nur noch gestammelten Worte trafen Romano mitten ins Herz!
Und von grenzenlosem Mitleid ergriffen, drückte er seine Mutter, der Tränen übers Gesicht liefen, an sich, und entschied: „DU! mußt dich vor niemand verantworten. Ich hab’ dich nämlich ganz lieb, Mutter. So lieb, Mutter. Weißt du, ich hab’ dich so lieb, Mutter!” „Romano!”, schluchzte die Mutter. „Ach, Romano!” Und sich in die Arme fallend, weinten Mutter und Sohn die Herzen sich ausschüttend aus...

„Hinter deinem plötzlichen Sinneswandel steckt doch etwas ganz Bestimmtes,” vermutete Doktor Treibel, dem Andrea gerade unterbreitet hatte, das werdende Kind unter ihrem Herzen austragen zu wollen.
„Warst du schon auf einer 218-Beratungsstelle?”, fragte der Arzt, Andreas Krankenblatt durchsehend. „Immerhin sind seit deinem letzten Besuch vier Wochen vergangen.” „Ich mußte zuerst mit mir ins Reine kommen,” antwortete Andrea.
„Was auch immer deinen Sinneswandel beeinflußt haben mag,” drückte der Arzt offen sich aus, „auf jeden Fall! ist deine Entscheidung zu begrüßen. Nur, Andrea, du mußt das Kind wirklich haben wollen. Nicht, daß du in einigen Tagen doch auf eine Abtreibung bestehst. In der Persönlichkeit einer schwangeren Frau, besonders in der ersten Hälfte, treten oft wunderliche Wesenszüge auf, die wieder abklingen, und häufig wird beobachtet, daß Schwangere stark ihren Launen unterworfen sind, wobei nicht unwichtig ist, in welcher Situation, sozialen Verhältnissen oder in welchem Milieu eine werdende Mutter sich befindet. Also, Andrea, du mußt dir im Klaren sein, ob das Kind von dir erwünscht oder unerwünscht ist.” „Ich will es!”, äußerte Andrea entschlossen. „Aber! ’s muß ’n Junge sein! Deshalb will ich von Ihnen erfahren, ob ich extra ins Krankenhaus muß, um das untersuchen zu lassen?” „Demnach lag ich richtig,” erkannte der Arzt betroffen. „Es steckt etwas anderes hinter deinem Sinneswandel, als die bloße Freude, einem Kind das Leben zu schenken.” Andrea allerdings fixiert, wurde der Arzt nachsichtig. „Das ist deine Art, mit der Schwangerschaft klar zu kommen! Nur wirst du von dem, was ich dazu zu sagen habe, keineswegs begeistert sein! Eine Geschlechtsbestimmung ist erst in der 15. Schwangerschaftswoche mittels einer vorzunehmenden Fruchtwasserentnahme möglich, die wiederum nach strenger Indikation erfolgt, wie, wenn die Schwangere Ãœberträgerin einer vererblich schweren Krankheit ist. Strikt abgelehnt werden so genannte Neugierindikationen, weil für Mutter und Kind die Gefahren zu groß sind, die im Einzelfall tödlich ausgehen können und sogar eine Fehlgeburt herbeiführen.” „Da kann man nichts machen,” reagierte Andrea zwar enttäuscht, jedoch gewillt, ihren Kopf durchzusetzen. „Wären Sie dann wenigstens so nett mir diese ganzen Fachausdrücke zu notieren?” „Warum nicht!?”, meinte der Arzt und griff nach Papier und Stift...

Die Auskunft Doktor Treibels nahm Andrea den Wind nicht aus den Segeln. Im Gegenteil! Angespornter, laut Plan –von A über B nach C– vorgehend, kam ihr sehr gelegen, als tags darauf auf der Straße Jan, sie abpassenwollend, im Wagen, bei laufendem Motor, wartete.
Bisher vor einer Aussprache mit ihm sich gedrückt, trat Andrea nun, so als habe sie Jan nicht gesehen, aus dem Haus, und ging in entgegengesetzter Richtung ihren Weg.
„Kann ich dich irgendwo hinfahren?”, rief aus dem Autofenster Jan, dem anzusehen war, daß er seit Wochen Andreas wegen litt.
„Hast du ’nen Knall, dich wie ’ne Litfaßsäule hier zu verewigen?”, schimpfte Andrea, die Entrüstete markierend. „Was fällt dir überhaupt ein, mir aufzulauern?” „Auflauern?”, stellte Jan sich dumm und schwindelte: „Ich kam angefahren, als du ’rausgekommen bist.” „Wenn ’s so is’,” entgegnete Andrea, „kannst du mich ’n Stück mitnehmen.”; und neben Jan sich gesetzt, der losfuhr, blieb sie absichtlich mundfaul, so daß der arme Kerl das Wort ergreifen mußte. „Is’ deine Alte dran schuld, daß du mir nur noch ausweichst, oder was is’ los? Seit sie uns in deinem Bett erwischt hat, läßt du mich abblitzen.” „Du hast nicht mehr alle auf der Waffel,” gab Andrea ihm den Rüffel. „Ich mach’ schon immer, was ich will. Für dich hab’ ich halt keine Zeit mehr. Zum einen hab’ ich ’nen Job, und zum andern gibt ’s Wichtigeres als dich.” „Ich versteh’ gar nichts mehr,” sprach Jan seinen Kummer aus. „Jetzt sagst du, du hast nie Zeit für mich, und am Telefon verabredest du dich jedesmal mit mir und läßt mich dann sitzen.” „Mir kam eben ständig ’was dazwischen,” entgegnete Andrea cool. „Vier Wochen lang?”, verdatterte es Jan, der bei einer Kreuzung halten mußte, Andrea traurig anblickte und beichtete: „Ich weiß nicht, woran ich mit dir bin! Manchmal denk’ ich echt, du hast ’nen neuen Freund.” „Ach, darum geht ’s!”, demütigte Andrea ihn. „Da hab’ ich ’nen heißen Tip für dich. Wenn dich der Hafer sticht, mach ’s, wie die Gruppe „Straßenjungs” singt: Jeder Mann is’ mal allein, dann nimmt die rechte Hand er daheim.” „Du bist richtig gemein,” klagte Jan. „Falls ich dir ’was getan hab’, dann sag ’s doch. Ich mach ’s bestimmt wieder gut.” „Halt an!”, befahl Andrea..., und geparkt wurde sie regelrecht eklig. „Auf deinen Mist is’ genug gewachsen. Und Typen, die um mich ’rumkrebsen, als wären sie am Verdursten, kann ich auf ’n Tod nicht ab.” „Aber!?” „Nicht: aber,” fuhr Andrea verächtlich ihn an. „Unsere Beziehungskiste war längst am Bersten. Daß du mir nun auch noch von der Seite kommst, is’ das Ende. Ich laß’ mir von ’nem Waisenknaben wie dir keine Daumenschrauben anlegen.”...; und alleingelassen schluchzte und weinte Jan, und kam nicht dahinter, was er eigentlich falsch gemacht haben soll. Das aber genau, daß Jan die Schuld der Trennung vergeblich bei sich suche, empfand Andrea als ausgleichende Gerechtigkeit, so sie an statt Heikos, sein Kind auszutragen hatte...

18. Auszug: ...DIE GRÖSSTE ABER UNTER IHNEN IST DIE LIEBE

CHRISTUS ERST HAT DIE
GEBURT DES JESUS AUS
DEM LUKASEVANGELIUM
–NICHT DIE DES JESUS
AUS DEM MATTHÄUSEVAN-
GELIUM– ERKOREN ZUM
FEST DER LIEBE

05. 07. 1990 (Bei der Fließbandarbeit in der Fima EGWA)

 9 Uhr 50    Das ist nicht mein Tag heute. Die Liebe hat mich gestreift. Mein ganzes Innenleben ist erfüllt von ihm, dem im Bus. Und auf einmal begreife ich,  meine Liebes-Metamorphose; vor 20 Jahren die Reinheit der Liebe zu Gerhard. Und dann „wahrhaftig” ein systematischer„Umbau” über reinstes, körperliches Liebes-Begehren...
    Wie geht es weiter? Ich muß mich –kann mich– will mich–halten an: DAS HOHELIED DER LIEBE!

10 Uhr 05    Aber wegen Gerhard wäre ich durch die Liebe zugrunde gegangen. Jetzt! Nach 20 Jahren! Bin ich stark genug, nicht mehr wegen der Liebe, die das Größte ist, zugrunde zu gehen!??, sondern wie’s sein soll, wie’s steht
    im 13 . Kapitel des 1. Briefes von Paulus an die Korinther!

11 Uhr 25    Fängt es nun an, begreifen zu lernen, was Liebe wirklich ist vom Ursprung her? Schließlich gibt es wegen Liebe genug Interpretationen! Die alles zuschütten, was Liebe wohl einst bedeutete? Einst war!? Und ist?!

11 Uhr 28    Meine Güte! Ich habe mir ja nie zuvor in meinem Leben, bis heute!, solche Gedanken gemacht, was wahre Liebe! überhaupt und eigentlich ist!!!

11 Uhr 37    Nachdem gar CHRISTUS auf Erden erst war? Dann konnte die Menschheit lieben lernen?

11 Uhr 40    O GOTT, ich komme da einem Geheimnis! auf die Spur: Geburt JESU - CHRISTUS – und so die Liebe auf Erden! Erst ab dann?

11 Uhr 42    CHRISTUS „erst” hat des Lukas, nicht des Matthä-us JESUS’ Geburt zum Fest der Liebe erkoren! Das Fest der Liebe, wem sagt das noch etwas?

11 Uhr 47    So wie die meisten Menschen jetzt erst – in diesem Zeitalter – keimmäßig lernen zu denken!, ist es auch so bei ihnen mit der Liebe?

11 Uhr 50    Ist das gar auch eine Antwort, der Homosexualität wegen? Zu viel Liebe? Nicht in den Griff zu bekommen? „Artet aus” ins Körperliche? Ins Begehen? In den Gier-Sex???

12 Uhr 02     Also kann wirklich durch geistige Entwicklung  (Anthroposophie) die Liebe zum Ganzen werden?

    (Am 13. 07. ’90) durfte ich erfahren: der Typ im Bus heißt Michael

12 Uhr 13    Das heißt? Wer nicht wirklich CHRISTUS erfassen lernt, begreifen lernt, die Wahrheit lernt, der kann wohl niemals begreifen lernen, erfassen lernen die Wahrheit über die wahre Größe der Liebe?  Der wirklichen, wahren Größe der Liebe. Ihre ur-eigenste, tiefste Bedeutung! Ihr wirklicher und wahrer Sinn und Zweck auf Erden –und ihr tatsächliches Ziel! In den GESETZES-GEHEIMNISSEN verwoben des Menschen Wiedergeburt – vorherige Leben – und Weiter-folgende!

12 Uhr 18    Vorherige Erdenleben also, Weiterfolgende, und deshalb also? Weil in der Erde nur die Liebe ist???

12 Uhr 20    „Tragen” wir also die Liebe auf Erden ins Geistige? Genauer gefragt: verwandelt der Mensch die „physische Liebe” in die Zukunft hinein in „geistige Liebe”?

12 Uhr 22    Also die Liebe, –die wahre!–, die CHRISTUS geistig brachte ins Irdische!, bringen wir die IHM zurück? Seine Liebe nämlich! Die an uns geborgte Liebe, um uns damit zu erfüllen, zu verwandeln, und wir geben sie IHM, die geborgte Liebe, zurück???

12 Uhr 28    Oder fing alles ganz genau an, als ich gestern Auflärung fand, wie die Freundschaft unter Menschen begann?
Wie ein Urbild aller Freundschaft steht das Bündnis zwischen David und Jonathan in der Geschichte. In der Tat ging damals... der Stern der Freundschaft am Himmel der Menschheit auf. Es erfüllte sich als historische Tatsache,... Erst mit dem Erwachen der Ichheit wurde das Wunder der Freundschaft, des freien wahlverwandten Zusammen-klingens zweier Seelen, möglich... Das Freundschaftserlebnis ist eine der Entschädigungen, die der Menschheit zuteil wurden, als sich die alten tragenden, blutsmäßigen Bindungen lockerten und der ichhaft werdende Einzelmensch einsam und heimatlos wurde...
(Emil Bock, von der 7bändigen Reihe „Urchristentum”, aus: Könige und Propheten!, auf Seite 50)

12 Uhr 50    Denn es ist der Mensch selbst, der Unterschiede macht bei Liebe. Obgleich bei Liebe im Kern wohl stets dasselbe ist??? (Beispiel) Vertrauen ist Vertrauen! Da weiß man stets, worum es geht! Also müßte doch auch so es sein, daß Liebe auch Liebe  ist in jedem Fall!?

13 Uhr 22    Und was wird daraus? Was ist daraus geworden? Wie geht es weiter?

(24. 07. 1990) Wie sollen Menschen diese Ursprungs-Wahrheit fühlen, erfassen, begreifen und denken lernen, so es gedankenlose, gefühlsabtötende Werbespots gibt, die verbreiten diese Lüge: in Leibnitz steckt viel Liebe drin?
Von CHRISTUS, der eine geistige Realität ist, die ins Physische herein wirkt, geht allein die Liebe aus! Diese vom Menschen geistig erfühlbare Liebe ist im Umgang miteinander einzusetzen, dabei darf außer acht gelassen werden nicht, daß dem „Keim” Liebe, so er recht aufgehen, gesund wachsen, und vervielfältigend wirken soll, hinzugegeben werden muß: Geduld und Vertrauen und Menschlichkeit!
„Ruht” gleichzeitig schließlich im „Keim” Liebe die Entfaltungsmöglichkeit hin zu Mißgunst, Neid, und..., wenn nichts als kalten Egoismus, Sturheit, Engstirnigkeit, Verblendung, Blind- und Taubheit, ...man hinzugibt; bis zur absoluten Unkenntlichkeit der „Keim” Liebe umgewandelt ist in diese Mißgunst: Haß!
Haß ist der Schatten vom Licht der Liebe, die von CHRISTUS ausgeht, und darum eigentlich muß der Mensch lernen: den wirklichen Sinn des uns zur Erde gebrachten Fest der Liebe!, das

im Jahre 1985 Andrea zum Anlaß nahm, Heiko beizubringen die vor über vier Wochen aufgetauchten Gedanken, die zum Aussprechen ausgereift waren.
„Ich hab’ mir echt Sorgen um dich gemacht,” gestand Heiko, weil Andrea einige Tage rar sich gemacht hatte. Und gleich ein Weihnachtsgeschenk ihr gegeben, brach Heiko zur Begrüßung einer Flasche eisgekühlten Sekt den Hals.
„Wär’ ich du, würd’ ich damit noch warten,” meinte Andrea. „Ich hab’ zwar auch ’n Geschenk für dich, aber das läßt noch auf sich warten.” „Das macht fast gar nichts,” entgegnete Heiko, setzte auf die Couch sich neben Andrea, die nun ein ihr zuglänzendes Goldkettchen mit einem silberner Kreuz-Anhänger in Händen hielt.
„Wou!”, jubelte Andrea, fiel ihrem Liebsten um den Hals, küßte ihn stürmisch und murmelte –bewußt ankündigend– ihm ins Ohr: „Mein Geschenk für dich dauert noch ’n paar Monate.”
Heikos Ablehnung –sie loslassend, Haltung versteifend, Lippen schmal-werdend– erwartet, legte Andrea mit ihrer Lüge los. „Die letzten Tage war ich im Krankenhaus, und das mußte ich dir verschweigen, damit du mir vorher keine tausend Fragen stellst.” „Du bist krank?”, fragte Heiko besorgt.
„Ich bin kerngesund,” berichtigte Andrea, „was auch sein muß, wenn ich dir ’nen kräftigen Stammhalter zur Welt bringen soll.” „Was?”, rief Heiko und sperrte Mund und Nase auf. „Du bist mit ’nem Stammhalter schwanger von mir?” „Richtig!” „Das kann gar nicht sein!”, behauptete Heiko. „Zweimal war Ilka schwanger und wußte nie vor der Geburt, was sie austrägt.” „War sie vielleicht zu feig’?”, spielte Andrea sich auf. „Die Medizin kann nämlich schon vor der Geburt die Geschlechtsbestimmung voraussagen.”; und ihre Hausaufgaben gemacht, erklärte sie: „Ei-ne Geschlechtsbestimmung kann für die werdende Mutter oder für das ungeborene Kind tödlich ausgehen!” „So gefährlich is’ das?”, forschte Heiko betroffen nach und nahm Andrea zärtlich und schutzgebend in die Arme.
„Ja!”, bestätigte diese, sich geborgen– und behütetfühlend und kam auf die Einzelheiten einer Neugierindikation zu sprechen. Die Möglichkeit, daß ihr Schwindel auffliegen könne, verdrängte sie. Sollte ein Mädchen zur Welt kommen, wäre Heiko so oder so für immer verloren...
Vor dem Schmücken des Tannenbaums hatte Stefan vorsorglich ein Tuch gehängt über das Schlüsselloch, falls Nicole, die gern das Christkind gesehen hätte, hindurchluckte.
Und während eine Weihnachtsschallplatte spielte, verwandelte Stefan die gute Stube in zauberhafte Pracht und verbreitete dazu Wohlgeruch mit in kurzen Abständen abbrennenden Tannennadeln und Kerzen, die er anzündete und wieder auspustete. Lebkuchen, Ilkas Selbstgebackenes, Mandarinen, Apfel, Nuß und Mandelkern taten ihr Übriges.
Zu den Lieder „Stille Nacht, heilige Nacht”, „O Tannenbaum”, „Süßer die Glocken nie klingen”, ...singend und pfeifend, wurde unter Stefans Händen die Tanne mit goldenen und silbernen Kugeln, Strohsternen, knallroten Äpfeln, Lametta, holzgeschnit-zten Figuren, Engeln mit lockigem Haar und seidenem Gewande, ...zum Christbaum.
Aus den kreuz und quer herumstehenden Kisten und Kartons herausnehmend Maria und Josef, das Jesus-Kindlein, die Hirten vom Felde, den Engel der Verkündigung großer Freude, die drei Weisen aus dem Morgenland, Kühe und Schafe baute Stefan die Krippe auf..., legte sodann die Geschenke unter den Christbaum..., räumte auf..., und –es läutete das Telefon!
War das endlich Romano, der noch nichts von sich hatte hören lassen?

Hoffend und flehenden Herzens nahm Stefan den Hörer ab, meldete sich und bekam ein frohes Weihnachtsfest gewünscht von Romano, der –von der geistig-atmosphärischen Unentrinnbarkeit DER GEHEILIGTEN NACHT ergriffen– seinen Gefühlen länger nicht widerstehen konnte.
Vorgeschobenen Gründen wegen gelang es ihm bislang, Stefan nicht anzurufen.
Da war die Familie, die bestimmt Bescheid wußte über Stefans Homosexualität, die sie wohl auch ihm, Romano, angelastet hätte, würde er mit Stefan freundschaftlichen Kontakt pflegen.
Und da war da noch dieser Otto! Was nur störte Romano an ihm? Die Wahrheit sich eingestanden, hätte mit Sicherheit seine tiefsten Empfindungen freigelegt!

Das Versprechen gegeben, wieder sich zu melden, beendete Romano das Telefongespräch und streifte ziellos schwerbeladen durch die menschenleeren Straßen, aus deren Häusern Weihnachtsmelodien und das Feiern sich liebender Menschen erklang: schließlich landete er vor dem Gelände des Freischwimmbad Dulsbergs, am Ende der Parkallee, wo eine Tanne leuchtete, bei deren Anblick ihm ganz komisch zumute wurde und Tränen ihm über das Gesicht liefen... Was bloß war nur los mit ihm?
Sollte er gar folgen der Einladung der Mutter, die versichert hatte, daß der Vater nicht da ist? Oh, nein, diesem Frieden konnte Romano nicht trauen!
Und in die WG jetzt gehen? Das konnte er auch nicht! In der Tat war dort allen Ernstes Weihnachten eingezogen. Die Nacht zuvor hatte Heinz aus einem Schrebergarten eine kleine Edeltanne mit samt der Wurzel geklaut, diese am Morgen aufgestellt und gechmückt; und seit dem Mittag einen im Tee, bemitleideten alle sich gegenseitig, und waren zu dieser Zeit, breit in die Glotze starrend, hingegeben den einfühlsamen Film „Der kleine Lord”.
Das war nichts für Romano. Ein Gefühlsausbruch hätte ihm gerade noch gefehlt!–? Also suchte er eine Kneipe auf, die mit keiner Kerze, keinem Tannenzweig, keiner Musik aufmerksam machte auf das Fest der Liebe..., und schluckte –an einem einsamen Tisch sich hingepflanzt– seine Sensibilität herunter...

Den Weihnachtsfeiertagen schließen sich an die Vorbereitungen für feucht-fröhliche Partys, die steigen in der Jahreswechsel-Nacht..., es wird versessen sich auf sein Horoskop gestürzt – man will wissen, was auf einen zukommt– ..., Rückschau wird gehalten ins Alte Jahr und Vorsätze gefaßt fürs Neue..., Silve-sterartikel finden reißenden Absatz..., gegen die gesetzliche Bestimmung wird Tage vorher DAS ALTE mit Knallkörpern zaghaft unter Beschuß genommen, das ab dem Silvestermorgen dann zum nächsten Tag hinüber restlos untergeht..., Narrenfreiheit erlaubt Funk und Fernsehen die Politik und den blaublu-tigen Adelstand auf die Schippe zu nehmen und die den Moderatoren, Sportlern und Persönlichkeiten unterlaufenen Plump-heiten, Reinfälle oder Formfehler zu senden, was die Lachmus-keln einfacher Leute ordentlich strapaziert..., Kinder haben Spaß an der Freud’ mit Klingelkonzerten und mit Karacho hochgehenden Böllern in Briefkästen und fremden Treppenhäuser..., und viele Heranwachsende schlagen über die Strenge wie Romano, der seit der Heiligen Nacht wie umgewandelt war, der WG zur angenehmsten Ãœberraschung, so Romano zu dem Schluß kam, einer von ihnen sein zu müssen, schließlich verschlug das Schicksal ihn hier her. Und deshalb gab er seinen Einstand, indem er tief in die Tasche griff für Tabak, Weinbrand, Cola, Bier, Chips, ..., und aufgenommen in der Runde rauchte und saufte Romano, was das Zeug hielt, bis wenigstens in jenen Nachmittag hinein, an dem Heinz in sein Zimmer trat, ihn aus seinem Ausnüchterungsschlaf holte, und um Geld bettelnd meinte: „Wir haben Silvester, Alter! Da muß ’was zum Knallen her, und Saufen is’ heut’ noch schöner, als sonst.”
Den Brummschädel sich haltend..., gequält aus dem Bett steigend..., durchzuckte Romano –Heinz einen Hundertmarkschein aushändigend– ein Schock!
Ein riesiges Loch hatten die letzten Tage in seine Kasse gesprengt. Das reichte!
Unter die Dusche verschwindend und das Zimmer in Ordnung bringend, ging er daraufhin frische Luft schnappen...

Vergeblich auf Romano gewartet, hatte Stefan nichts Rechtes mit sich anzufangen gewußt und zu Ilka, die versuchte, auf andere Gedanken ihn zu bringen, gesagt: „Laß’ mal gut sein. Ich werde darüber hinwegkommen, auch wenn es dauert. Lange ge-nug habe ich mich in das hineingesteigert: Romano empfindet etwas für mich. Berlin ist weit genug, um ihn endgültig zu vergessen.”...
Auch Otto, der pünktlich kam, konnte diesmal nichts Vertröstendes ausrichten...
Ganz von selbst, als man dabei war, zur Mutter und Ralf sich aufzumachen, nahm Stefan sich zusammen, so er den ihm liebsten Menschen die Feier nicht verderben wollte. Und gemeinsam aus dem Haus getreten, wollte Ilka schon Nicole in Ottos Auto folgen, als sie, überrascht aufblickend, forderte: „Sieh doch mal, Stefan, wer da kommt.” Es war das Romano, der, die Straße längsgehend, geradewegs auf Stefan zusteuerte... DAS NÄMLICH! DAS IST ZU FALL KOMMENDE VORSEHUNG!

Bevor Ilka ins Auto stieg, gab sie Stefan den Wohnungsschlüs-sel und äußerte: „Solltest du nicht nachkommen, wünsche ich dir jetzt schon einen guten Rutsch ins Neue Jahr.” „Das ist lieb,” bedankte Stefan sich und wollte von Otto wissen, ob er sauer auf ihn sei.
„Ich freue mich vielmehr für dich,” gestand dieser. „Ein paar Sekunden zu spät, und ihr hättet das Nachsehen gehabt!”; und dem Freund zum Abschied die Wange geküßt..., ins Auto gestiegen..., fuhr er ab.

Verlegen –es war ja schließlich ZU FALL, in Stefans Arme zu laufen– brachte Romano eine Entschuldigung vor, jetzt erst gekommen zu sein, und in der Hoffnung, sein sturmpochendes Herz sei nicht zu hören, folgte er Stefan die Treppe hoch...In der guten Stube setzte Romano sich in einen Sessel und Stefan zündete die Kerzen des Christbaum an. Er legte irgend eine Schallplatte auf, stellte zwei Gläser und eine Flasche Wein auf den Tisch, setzte sich Romano gegenüber auf die Couch, versuchte mit ausgetrockneter Kehle ein wie-geht’s-wie-steht’s Gespräch in Gang zu bringen und fragte sich still, ob er lachen oder weinen solle. Zu heftig hatte ihm die Sehnsucht nach Romano die letzten Tage zu schaffen gemacht...

Draußen wurde es dunkel. Stefan zog die Vorhänge vor. Er reichte Romano eine Schüssel Gebäck, steckte ein Räucherstäbchen an, legte eine Stimmungsplatte von Fips Asmussen auf, entkorkte eine zweite Flasche Wein und prostete Romano zu. Seine Beklemmtheit löste zwar langsam, aber sicher sich...

Bei Romano half der Wein nach, lockerer zu werden. Und lachend über Fips Asmussen, verlebendigten die Freunde aus der Vergangenheit spaßige Gegebenheiten, die sie gemeinsam erlebt hatten. Romano übernahm die Wahl der Schallplatten, wobei er ausschließlich Maxi-Versionen aussuchte wie „Coman-chero”, „Maria Magdalena”, „Liefe is live”, „Helpless”, ..., setzte zu Stefan sich und war glücklich...

Stefan holte neue Kerzen vor und steckte sie auf dem Christbaum an. Er zündete sie an und –endlich konnte er sich ein Herz nehmen und Romano sein Weihnachtsgeschenk geben.
„Echt für mich?” Romano konnte es außer sich vor Freude nicht glauben. Und ausgepackt kam zum Vorschein eine Pola-roid-Sofortbild-Kamera.
Tief bewegt und beinahe den Tränen nahe, hörte er plötzlich wie aus weit zurückliegender Zeit... „...unsere Stätte des Friedens und der Ruhe...” Auf einmal wußte Romano nicht wie ihm geschah, so er seinen Dank zum Ausdruck brachte, indem er Stefan die Wange küßte!

Fassungslos starrte Stefan auf Romano, der druckste: „Na ja..., anders wußt’ ich mich nicht zu bedanken... Ich habe doch gesehen wie Otto sich von dir verabschiedet hat! Ist das bei mir nicht Okay?” „Das ist mehr als Okay,” beteuerte Stefan. „Das ist über-Okay. Ich bin nur perplex, weil ich das von dir nach allem nicht erwartet hätte.” „Tja,” äußerte Romano, „ich stecke eben voller Ãœberraschungen.”; und über den Tisch beugend..., nach seinem Glas greifend..., stieß er mit Stefan an und sagte feierlich: „Auf unseren Rutsch ins Neue Jahr!”
Zur dritten Flasche Wein legte Stefan – Romano lichtete ihn dabei ab– wahllos eine Cassette in den Recorder, so daß zu herzengehende Liebeslieder: „The Power of Love”, „Holed lo-ve”, „Love me Tender”, ... den Freunden tief unter die Haut gingen.
Und dann passierte es!
„Give me your Love” versetzte Romano um Jahre zurück..... Haus der Jugend... Andrea... Torsten... Steffi.... Stefan, der Hals über Kopf flüchtete...
Das also war es. Ein schlechtes Gewissen Stefan gegenüber. Es forderte seinen Preis. Und Romano war zur Wiedergutmachung bereit.
Den Morgen danach! erwachte zuerst Romano, auf dessen Brust mit seinem Gesicht Stefan ruhte. Und er hielt den Geliebten eng umschlungen, als befürchte er, der Geliebte könne ihm wieder davonlaufen nach dieser Nacht, in der die Liebenden ihrem verzehrenden sich-Habenwollen stürmisch und leidenschaftlich nachgegeben hatten..., in der die Liebenden zärtlich streichelnd, küssend sich begehrt hatten..., in der die Liebenden beglückende, befreiende, erlösende Höhepunkte erreicht hatten..., in der die Liebenden versetzt waren in das grenzenlose Reich Liebender, in dem jeder dem Geliebten alles gibt und alles nimmt.

Stefan regte sich! Und aufgewacht lächelte er Romano an, gab ihm einen Kuß, und wünschte: „Prost Neujahr!” „Prost Neujahr,” wünschte auch Romano, der seine Probleme hatte, freund-lich zu sein.
„Hast du was?”, forschte Stefan irritiert nach. Romano wich seinem Blick und seiner Frage aus, indem er wissen wollte, wo seine Unterhose ist.
„Mensch, Schatz,” rief Stefan ihm ins Gedächtnis zurück. „Die Kleider haben wir uns doch schon im Wohnzimmer ausgezogen.” „Stimmt!”, bestätigte Romano, kurz angebunden, und ging aus dem Liebesnest.
„Ich koche Kaffee!”, rief Stefan ihm hinterher, streifte den Morgenmantel sich über, begab in die Küche sich und verdrängte, daß etwas in der Luft lag.

Angekleidet kam Romano und blieb auf der Schwelle stehen. Und ihm in die Augen sehend, ahnte Stefan, was die Stunde ihm geschlagen hat.
„Du,” stotterte Romano sich einen ab, „wegen letzter Nacht..., na ja, du weißt..., was ich da alles so von mir gab..., daß ich dich liebe... und so... Das hast du ja nicht für voll genommen, nicht wahr... Du weißt ja, daß ich nicht schwul bin... Aber mal so, am Silvester..., na ja, da is’ ja alles erlaubt.” „Das glaube ich dir nicht!”, bestimmte Stefan mit zitternder Stimme und flehendem Blick.
„Ich muß gehen!”, behauptete Romano und log: „Meine Freundin wartet. Die wird mir eh aufs Dach steigen, daß ich heut’ Nacht nicht bei ihr war.”; und die Polaroid-Sofortbild-Kamera vergessend, ließ er Stefan zurück, für den eine Welt zusammenbrach.

AUSGANGSPUNKTE

Es ist an der Zeit, so es mir ermöglicht wurde „Wenn Schwule lieben” in Romanform niederzuschreiben, damit herauszurücken, welche Rolle mir, dem Schrift-Steller, zufällt. Ich habe mir erlaubt anzunehmen –so ich unehelich auf die Welt gekommen bin– den Namen meines Vaters: Otto Brunner.

Neujahr 1986! Die Nacht bei Stefans Mutter und Ralf verbracht und am Morgen Ilka mit Nicole nach Hause gefahren, war mir erst einmal danach, spazieren zu gehen. Und eine Zeitlang unterwegs gewesen durch Straßen, die übersät waren mit Abfall von Knallkörper, wurde es mir kalt. Und so landete ich in der Dulsbergkneipe, wo „echte Kampftrinker”, versammelt am Tresen, dabei waren, die Reste aus der Silvesternacht zu ver-nichten.
Eine Tasse Kaffee bestellt, durch die mir Blicke der Verachtung zuteil wurden, erschien es mir angebracht, in den Nebenraum mich zu verziehen, wo einsam und verlassen ein junger Mann verweilte.
Diesen von hinten nicht erkannt, wollte ich vorbeigehen, als mir auffiel, daß der junge Mann tiefsinnig betrachtete ein Bild, auf dem Stefan abgelichtet war.

„Prost Neujahr, Romano!”, wünschte ich. „Darf ich mich zu dir setzen?”
Verblüfft aufgesehen, bot er mir –das Bild schnell wegsteckend– Platz an, und ich bemerkte: er hatte geweint!
„Liebeskummer?”, fragte ich behutsam nach.
„Bestimmt nicht!”, antwortete Romano trotzig. „Hat Stefan dich geschickt?” „Wie kommst du denn darauf?” „Ich kann mir ganz gut vorstellen, daß er dich geschickt hat, um mich umzupolen.” „Wie: umpolen?”, wollte ich –nicht verstanden– wissen.
„Na, Schwulmachen!”, meinte Romano.
„Das ist gar nicht möglich!!”, erklärte ich. „Du weißt wohl nicht, daß man schwul geboren wird!?” „Aha,” äußerte Romano verächtlich, „jetzt haben wieder die Eltern Schuld am Schwulsein.” „Mit Sicherheit nicht,” konterte ich und bemühte mich,ihm so einfach als möglich mit der Wahrheit zu kommen. „Der Lebenslauf des Menschen auf Erden beginnt nicht erst mit seiner Geburt oder der Empfängnis, sondern dann, wenn in den übersinnlichen Welten sein Karma feststeht, das auf der Erde er auslebt. Jede Veranlagung kommt von den karmischen Bedingungen her!”. „Und?”, Romano hatte aufgehorcht. „Wie weiß man das, ob man schwul ist oder nicht?” „Das,” offenbarte ich ihm, „weiß das Herz. Die meisten Menschen aber wissen nicht einmal, daß das Herz ein geistiges Denkorgan ist, das vollständig nur dann seiner Aufgabe nachkommen kann, wenn man die eigene Geistes- und Seelenentwicklung nicht versäumt...”

Es ist jetzt 15 Uhr 40, der 9. Juli 1994. Der Tag ist grau in grau. Aber in Berlin wird die Sonne strahlen. Dort, wo Stefan und Romano versuchen, ihre Gefühle sich nicht kaputtmachen zu lassen. Bisher gelang es ihnen.

Ach, übrigens! Nicht, daß ich es vergesse: Andrea hat ihren Heiko zum Lebenspartner gekriegt, so sie ihm tatsächlich einen Sohn zur Welt bringen durfte.

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Über den Autor

1CDW
Gelernter Koch, seit 1985 mich dem Schreiben hingegeben, ab 1989 anthroposophisches intensives Studium bis 1997. Neu mein Inneres soweit aufgebaut (Denken, Fühlen, Wollen -also meine eigene Gehirnwäsche mir erlaubt, also die Gehirnwäsche der Gesellschaft durch Erziehung, Schule, Gesellschaft und Umwelt endlich überwunden). Mich neu also zurechtgefunden mit der Weltanschauung der anthroposophischen Geisteswissenschaft, die von der Karma- und Reinkarnation jedes Menschen ausgeht.Rein Persönlich:Schon als Kind gab es für mich 3 Grundthemen. 1. Gibt es Gott? 2. Wieso bin ich schwul? 3. Ich will Schriftsteller werden!Diese 3 Themen bestimmten mein gesamtes weiteres Leben. Ich landete bei den verschiedensten religiösen Strömungen. Und ich verließe sie nach wenigen Monaten. Entäuscht! Schwul wollten sie mir austreiben. Ging bedauerlicherweise nicht. Bis 1988 auch für mich bedauerlicherweise. Näheres habe ich in meinem Buch ausgeführt "Die späte Antwort Gottes" und einiges erklärendes floß auch in meinen Roman "Wenn Schwule lieben".1985 hatte ich eine Schreibblokade. Damals sagte ich mir: Ich möchte nicht im Alter wie so viele bedauern "Hätte ich doch..." Also machte ich mit meinen Roman weiter, der mich seit Jahren beschäftigte. Ich erfuhr immer wieder, auch im näheren Freundesumfeld von jungen Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzten wegen ihrer schwulen Veranlagung. 1985 jedenfalls war ich soweit, zu glauben, ich könne Gott aus meiner Idee löschen. So entstand auch mein erstes Expose, der 1. Teil von damals noch "Unkraut vergeht nicht", später "Die Spreu vom Weizen". Doch wie gesagt, ich hatte eine Schreibblokade. In jener Zeitz gab es Filme von Uwe Frießner, die mich derart ansprachen, dass ich ihm einfach meine 1. Vorlage des 1. Teils von dem späteren "Wenn Schwule lieben" schickte. Ohne, dass er von mir wußte. Viele Wochen vergingen. Ich dachte: das war's. Und dann, eines nachts, so gegen 22 Uhr, klingelte mein Telefon. Und was sage ich: am Ende der Leitung war Uwe Frießner. So etwas von begeistert; und wir redeten lange, und er wollte sich für später die Filmrechte sichern. Von da an konnte ich wieder schreiben. Jedoch war mit mir eine Veränderung bis dahin geschehen. Während der Wochen meiner Verzweiflung las ich ein Buch, an das ich durch seltsame Umstände -ich glaube 9 Jahre zuvor- gekommen war. Damals konnte ich es nicht lesen. Doch ich spürte, dass es einmal sehr wichtig sei, zumal ich erfuhr, dass der Besitzer, der mir das Buch nur kurz leien wollte, nicht mehr dazu kam, es mir wieder wegzunehmen, denn er war kurz darauf durch einen Autounfall ums Leben gekommen. Ein Grund erst recht, weshalb ich das Buch nie aus den Augen verlor. Ohne dieses Buch wäre ich nie an die Esoterik gekommen. Ohne dieses Buch wäre ich nie bei Rudolf Steriner gelandet. Ohne dieses Buch wäre nicht 1988 ein Stein von meinem Herzen gefallen, was die schwule Veranlagung betraf. Und ohne dieses Buch hätte ich nicht meinen Roman "Wenn Schwule lieben" so vollendet wie er jetzt eben besteht. Manches der Einleitungen würde ich ändern, aber die Story als solches liegt mir sehr am Herzen. Sie beantwortet die Wahrheit über das Schwulsein. In 14 Jahren -1980 begann ich mit dieser Idee, sie niederzuschreiben und 1993 nach 5 maligem Umschreiben hatte ich auch mit Zufriedenheit meinen Schreibstil gefunden- entstand also dieser Roman. Uwe Frießner meldete sich dann nicht mehr, nachdem ich ihm ein Exemplar geschickt hatte Vielleicht passte ihm dann nicht, dass ich Gott mit einbringen konnte. Denn ich hatte ihn endlich gefunden; als sein Anruf 1985 kam. Und als ich im September 2000 auch meine eigene Gegenwart begriff, war der Kreis geschlossen meiner 3 Grundthemen, die mich bis heute erfüllten. Soviel zu meiner Person.

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