Das Geheimnis vom Tonisberg
Es war ein kalter Wintertag im Dezember. Wie jedes Jahr im Winter gingen zwei Bauern vom Tonisberg mit Ross und Wagen in den Wald, um Brennholz zu fällen. Doch in diesem Jahr verlief alles anders.
Die beiden Männer besprachen kurz, wie sie vorgehen wollen, denn eine grosse Fichte zu fällen, ist nicht ungefährlich. Da muss jeder Handgriff sitzen.
„Fangen wir an!“, meinte Arthur.
Jeder nahm sein Beil zur Hand und sie schlugen abwechselnd in den Stamm.
„Achtung, der Baum fällt!“, rief Othmar dem anderen Bauern zu.
Beide gingen abseits in Sicherheit.
Die Fichte stürzte mit lautem Krachen in eine Tanne. Durch die Wucht des Aufpralls wurde die Tanne mitsamt den Wurzeln aus dem Boden gerissen.
Aufmerksam schaute Arthur dem Geschehen zu. Plötzlich sah er, dass zwischen den fallenden Bäumen etwas Kleines herausrannte.
„War das ein kleiner Mensch?“, schoss es ihm durch den Kopf.
Er schrie so laut er konnte seinem Partner zu: „Othmar! Schau, bei der Tanne!“
Doch es war schon zu spät, die Bäume stürzten ungehindert zu Boden.
Nichts bewegte sich mehr.
Der Bauer rannte so schnell er nur konnte zu der Tanne und sah, dass der ganze Wurzelstock aus dem Boden gerissen wurde.
Überall lagen kleine Möbelchen und Geschirr herum. Ihm lief es kalt den Rücken herunter: „War das etwa doch ein kleiner Mensch, den ich gesehen habe? Wo ist er? Ist er verletzt?“
Besorgt suchte er den Boden ab.
Unterdessen bemerkte auch Othmar, dass hier etwas nicht stimmte. Mit schnellen Schritten eilte er herbei.
„Was ist passiert?“, wollte er wissen.
Kopfschüttelnd meinte Arthur: „Keine Ahnung! Ich dachte, ich habe einen kleinen Menschen gesehen, kurz bevor die Bäume zu Boden gingen. Und jetzt liegen hier überall Möbel und Geschirr herum.“
Othmar schaute sich genauer um, hob einen der kleinen Stühle auf und sprach laut vor sich hin: „Das kann nicht sein! Das glaub ich nicht!“
„Sei still!“, zischte er und gleichzeitig packte er ihn am Ellenbogen.
„Horch mal!“
Ganz leise hörten sie ein Stöhnen.
„Es kommt von dort drüben.“
Die beiden marschierten mit schnellen Schritten in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Hier muss es sein, bei den vielen Ästen. Vorsichtig hoben sie einen Ast nach dem anderen auf, bis sie schliesslich ganz unten einen Wicht erblickten.
„Mein Gott! Gibt’s das wirklich!“, meinte Othmar.
„Keine Angst, wir helfen dir!“, sagte Arthur besorgt zu dem Kleinen.
Vorsichtig befreiten sie den Wicht. Dieser stöhnte auf, als man ihn behutsam aus den Ästen hob.
„Ich glaube, er hat sich was gebrochen. Wir bringen ihn am besten zu uns nach Hause und schauen dann weiter“, fuhr Arthur fort.
Die beiden machten sich auf den Weg zum Bauernhof.
Erschrocken rannte ihnen Heiri's Frau Sofia entgegen.
„Was ist passiert? Weshalb seid ihr schon zurück?“
„Wir haben einen Verletzten, er wurde vom Baum erfasst.“
Ungläubig schaute Sofia auf Arthur’s Arm und betrachtete den Wicht, der nicht grösser als seine beiden Hände war.
„Kommt rein, bringt ihn in die warme Stube.“
Sie legten ihn ins Wohnzimmer auf die Couch und Sofia brachte eine kleine Decke und Puppenkleider.
Die Kinder hatten unterdessen die Aufregung bemerkt und eilten herbei.
„Wer ist das?“, wollte der kleine Leo wissen.
„Kinder! Später! Wir wissen es auch noch nicht“, erklärte ihnen der Vater.
Arthur kniete vor das Sofa und redete mit dem Wicht.
„Du musst keine Angst haben, wie helfen dir. Bald wirst du wieder auf den Beinen sein und wir bringen dich nach Hause. Sag uns bitte, wo du Schmerzen hast?“
Der Wicht antwortete mit schwacher Stimme. „Am Bein und an der Schulter.“
„Kannst du die Beine noch bewegen?“
Er bewegte zögerlich seine Beine.
„Am besten geben wir ihm etwas gegen die Schmerzen. Hast du was da?“, fragte Arthur seine Frau.
„Ja! Ich hole es.“ Kurz darauf kam sie mit einem Fläschchen und einem Löffel zurück.
„Bitte nimm dass, es hilft dir.“
Der Wicht nahm das Medikament vom Kaffeelöffel.
Nach einer Weile wollte Sofia wissen: „Lassen die Schmerzen nach?“
„Ja, es geht besser.“
„Ich bin Sofia. Wie heisst du?“
„Memfis.“
„Wenn du möchtest, kann ich dir ein paar frische Kleider geben und deine Wunden säubern.“
„Ja, gerne!“
Sie half ihm, sich auszuziehen und versorgte seine Wunden.
Mit den Puppenkleidern ihrer Tochter kleidete sie Memfis neu ein.
Unterdessen platzten die Kinder vor Neugier.
„Memfis, was bist du?“ – „Woher kommst du?“, fragten die Kinder im Durcheinander.
„Kinder! Er ist erschöpft, gebt ihm Zeit“, meinte die Mutter.
„Lass nur Sofia, unsere Kinder sind genau gleich“, sagte der Wicht.
„Gibt es denn noch mehr von euch?“, wollte Leo wissen.
„Ja! Wir wohnen im Wald unter den Bäumen.“
„Und du hast auch Kinder?“, fragte Marie
Die Mutter unterbrach die Tochter und sagte: „Lasst Memfis jetzt in Ruhe, er sollte sich zuerst ausruhen.“
Auf die Ermahnung der Mutter hin verliessen alle das Wohnzimmer.
„Kann ich euch alleine lassen?“, fragte Othmar. „Ich möchte nochmals in den Wald zurück, um alle Sachen von Memfis einzusammeln.“
„Das ist eine gute Idee, ich helfe dir“, anerbot sich Arthur.
„Nein, Arthur, ich glaube du wirst hier gebraucht!“
Othmar machte sich mit den Pferden auf den Weg.
An der Unfallstelle angekommen, sah er jedoch keine Möbel mehr, nur noch ein paar Geschirrstücke lagen herum.
Othmar schaute sich verwundert um. Er sah, wie sich etwas unter den Ästen bewegte.
Er kniete sich nieder, streckte den Kopf zwischen das Geäst und erblickte einen kleinen Mann mit Pfeil und Bogen.
„Hallo, Kleiner“, begrüsste er ihn.
Da steckte auch schon ein Pfeil in seiner Nase.
„Autsch!“
Der Bauer zog den Kopf zurück, nahm den Pfeil aus seiner Nase und griff nach dem kleinen Wicht!
Dieser zischte ihn an: „Geh zurück, sonst spiess ich dich auf.“
Othmar schüttelte den Kopf und nahm den Winzling vorsichtig in die Hand.
Dieser schrie und zappelte: „Lass mich herunter!“
„Hör zu, kleiner Mann! Wo sind Memfis Sachen?“, sagte der Bauer ernst.
Der Kleine wurde ruhig und fragte: „Memfis? Wo ist er? Wie geht es ihm?“
„Er ist bei uns auf dem Bauernhof und es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“
Von allen Seiten im Gebüsch raschelte es, Dutzende kleine Männer kamen hervor, bewaffnet mit Pfeil und Bogen.
„Wartet!“, rief der Wicht den anderen zu.
Othmar setzte den Kleinen auf den Boden.
„Wenn du möchtest, bringe ich dich zu ihm.“
Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, kam eine zierliche Frau aus dem Gebüsch und ging direkt auf den Bauern zu.
„Ich bin Genovefa, die Frau von Memfis, und das ist unser Sohn Norvin.
Kannst du mich zu meinem Mann bringen?“
„Ja sicher, wenn ihr das möchtet.“
Er nahm einen nach dem anderen behutsam auf und setzte sie auf seinen Wagen. Dann fuhren sie los.
Auf dem Bauernhof angekommen, fragte er höflich: „Soll ich euch hineintragen?“
„Gerne“, erwiderte die Frau und setzte sich mit Norvin auf die Hand des Bauern.
Sie betraten das Wohnzimmer.
„Hallo Memfis, ich hab dir jemanden mitgebracht!“
Memfis hob den Kopf und ein leichtes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Seine Ehefrau küsste ihn zärtlich auf die Stirn.
„Wie geht es dir?“, wollte sie wissen.
„Schon besser! Ich bin in guten Händen. Sie sind sehr nett und hilfsbereit."
Sie sprachen noch eine Weile miteinander und beschlossen gemeinsam, dass Memfis besser noch ein paar Tage hier bleiben sollte.
Genovefa bedankte sich herzlich bei Sofia und verabschiedete sich.
„Lasst mich euch nach Hause bringen“, meinte Othmar.
„Nein, danke, wir kommen schon zurecht.“
Die beiden machten sich auf den Heimweg.
Heiri beobachtete sie noch eine Weile vom Küchenfenster aus und sah, wie sie Schritt für Schritt Richtung Wald spazierten.
„Ich bringe die beiden zurück in den Wald, zu Fuss haben sie ja eine Ewigkeit“, erklärte Othmar den anderen.
Als er nach draussen ging, waren sie spurlos verschwunden.
Er folgte den Fussstapfen, doch diese endeten mitten im Schnee.
Der Bauer fand das sehr seltsam, aber er schenkte dem Geschehen keine weitere Aufmerksamkeit.
Memfis ging es allmählich besser und jeden Tag kamen seine Frau und sein Sohn, um ihn zu besuchen. Nach ein paar Tagen ging Genovefa zu Sofia und sagte:
„Wenn es dir recht ist, werden wir Memfis heute mit nach Hause nehmen“.
„Aber heute Abend feiern wir Weihnachten, die Geburt Christus, wir wollten mit euch feiern. Die Kinder haben eine Überraschung vorbereitet“, erklärte Sofia den dreien.
Memfis hatte schon die ganze Zeit beobachtet, dass die beiden etwas vorbereiten, und er wollte die Kinder nicht enttäuschen.
„Sehr gerne nehmen wir eure Einladung an“, sagte Memfis zu Sofia.
„Wisst ihr, wir feiern auch Weihnachten, aber mit einer grossen geschmückten Tanne. Die wird mit Tannzapfen, Buchennüssen und farbigen Blättern geschmückt. Einfach mit allem, was die Natur hergibt. Zum Naschen gibt es geröstete Buchennüsse mit Honig, dazu Grossmutters Baumnusskuchen und eingelegte Kirschen.“
Memfis konnte nicht mehr aufhören zu schwärmen. Alle hörten ihm aufmerksam zu, bis zwei Männerstimmen ihn unterbrachen.
„Das sind Vater und Othmar!“, riefen die Kinder aufgeregt und rannten den beiden entgegen.
„Papa, Othmar, es ist alles bereit! Feiern wir jetzt Weihnachten?“
Die Männer nahmen die Kinder zärtlich in die Arme: „Natürlich, jetzt feiern wir.“
Sie gingen alle ins Esszimmer und fanden einen zauberhaft gedeckten Tisch vor, den die Kinder liebevoll dekoriert hatten: mit selbst gebastelten Strohsternen, gefalteten Servietten und Glitzersteinen, die überall auf dem Tisch verteilt waren. Der Tisch sah verspielt und märchenhaft aus. Memfis und seine Frau waren begeistert. Die beiden sagten mit gerührter Stimme:
„Ihr habt euch solche Mühe gegeben!“
„Es sieht wunderschön aus! Herzlichen Dank.“
Auch Norvin war sehr gerührt und sagte zu den beiden Kindern: „Als ich so klein war, wie ihr…“, worauf alle herzhaft lachten. Er korrigierte sich: „Als ich in eurem Alter war, konnte ich das noch nicht. Eine tolle Leistung von euch.“
„Wir sind auch schon lange am Basteln für diesen Abend“, erklärte Marie.
„Memfis, du und deine Familie, ihr sitzt da auf dem Tisch. Papa und Mama hier und Othmar dort“, erklärte Leo stolz.
Als alle Platz genommen hatten, brachte die Mutter das Essen.
„Die Kinder haben sich ein ganz spezielles Festmenü ausgedacht“, sagte die Mutter.
„Es gibt Ghacktes mit Hörnli und Apfelmus. Da die Hörnli zu gross sind, haben die Kinder kleine Teigwarensterne für euch besorgt.“
Dem Wicht kamen die Tränen. Alles war bis ins kleinste Detail für ihn und seine Familie organisiert. Er fühlte sich wie zu Hause.
Sie assen und tranken und redeten darüber, wie sie, die Wichte, im Wald lebten.
Auf einmal ertönte ein zartes Glöcklein. Die Kinder sprangen auf: „Dürfen wir jetzt ins Wohnzimmer?“
„Ja, ganz ruhig, wir gehen alle miteinander, Memfis und seine Familie zuerst“, sagte der Vater.
Memfis hatte keine Ahnung, was ihm jetzt bevorstand. Trotzdem ging er vor.
Unter dem Türrahmen blieb er stehen. Da stand mitten im Raum eine wunderschöne Tanne, geschmückt mit farbigen Kugeln. Unter dem Baum hatte es kleine Geschenke und ein grosses, knallrotes Paket mit einer goldenen Schlaufe. Er und seine Familie hatten so etwas noch nie gesehen.
Zögernd betraten alle den Raum und setzten sich um den Weihnachtsbaum. Die Kinder nahmen die Flöten und spielten „O du fröhliche“ und die Erwachsenen sangen dazu.
Kaum war der letzte Flötenton gespielt, fragten die Kinder: „Dürfen wir die Geschenke verteilen?“
„Na klar!“, meinte die Mutter.
Jedes der beiden fasste ein Geschenk und brachte es Memfis und seiner Frau.
„Dieses Geschenk ist für dich. Ich habe es selbst gemacht“, sagte Leo stolz.
Marie reichte ihr Weihnachtsgeschenk Genovefa: „Das haben Mama und ich für euch gemacht.“
Memfis packte das Geschenk aus, es war ein zauberhaftes Bild.
Genovefa bekam neue Bettdecken und Kissen, die sie selbst genäht hatten.
„Danke, das ist lieb von euch“, sagte Genovefa mit Tränen in den Augen.
Othmar stand auf und sagte zu Memfis. „Schaut, diese Kiste ist von uns allen, eine kleine Entschädigung dafür, dass ihr wegen uns euer Haus verloren habt. Falls ihr sie öffnen wollt, könnt ihr einfach an dieser Schnur ziehen und das Papier fällt herunter.“
Memfis nahm die Schnur in die Hand und gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn zog er fest daran. Als das Papier herunterfiel, erblickten sie eine komplett neue Wohnungseinrichtung: Betten, Stühle, Tisch, Kommode, Kasten, ja sogar eine Garderobe.
Memfis stand vor der Kiste, er traute sich nicht, die Möbel anzufassen. Er stand da und weinte. Aber nicht aus Trauer, nein: vor lauter Freude.
Genovefa lief zu den Möbeln und starrte die Kommode an. Zögernd, ja fast ein bisschen ängstlich, streckte sie die Hand aus und wollte sie anfassen.
Der kleine Junge konnte es sich nicht verkneifen und machte ein zähneknirschendes Geräusch, als würde die Kommode sie beissen wollen.
Blitzschnell zog Genovefa die Hand zurück.
Erschrocken sah sie in die Runde. Danach fingen alle herzhaft an zu lachen.
„Danke, vielen Dank!“, kam es nach einer Weile von den Lippen der Wichte.
Memfis lief zur Polstergruppe, kniete sich nieder und zog ein paar Haselnussruten hervor, die er an die Anwesenden verteilte.
Verblüfft schauten sie ihn an.
„Wenn ihr einen Wunsch habt, der nicht materieller Art ist, sagt ihn vor euch hin und zerbrecht dabei die Rute. Ihr werdet sehen, der Wunsch wird in Erfüllung gehen.“
Der kleine Junge sagte sofort: „Ich wünsche mir ein eigenes Pferd!“
Genovefa ging zu ihm und sagte: „Für solche Wünsche sind wir nicht zuständig.“
„Darf ich mir was wünschen?“, fragte die kleine Marie.
„Ja, versuch es.“
Das Mädchen schloss die Augen und sagte still vor sich hin: „Ich möchte wissen, wie Memfis und seine Familie Weihnachten feiern“, und zerbrach dabei die Rute.
Memfis nickte ihr zu: „Für diesen Wunsch müsst ihr euch alle an der Hand nehmen.“
Sie bildeten einen Kreis und fanden sich im Wald wieder vor Memfis zerstörter Behausung.
Die Menschen schauten einander verwirrt an. Die Bäume kamen ihnen viel grösser vor als sonst. Verblüfft bemerkten sie, dass sie genauso klein wie Memfis und seine Freunde waren.
Ein Stück weiter hinten sahen sie viele Wichte vor einer mit Kerzenlicht beleuchteten Tanne singen und tanzen.
„Kommt, wir gehen zu den anderen.“
Ein sehr alter Mann kam ihnen entgegen: „Herzlich willkommen, es wäre uns eine Ehre, wenn ihr mit uns Weihnachten feiert.“
Arthur und Othmar nickten mit dem Kopf und setzten sich unter die Tanne, die genau so geschmückt war, wie es Memfis vor dem Essen beschrieben hatte.
Der Unterschied zu dem Christbaum zuhause war nur, dass sich keine Geschenke unter der Tanne befanden, sondern ein Haufen Haselnusszweige.
Ein kleiner Wicht stand auf und brachte Leo Buchennüsse mit Honig.
„Hier, probier mal.“ Zögernd nahm Leo ein kleines Stück.
„Mensch, Papa! Probier mal, das ist lecker!“
Auch die anderen probierten, sie waren von diesen Leckereien sehr angetan.
Alle fühlten sich wohl in der Runde.
Plötzlich stand ein kleiner Junge auf und sagte: „Darf ich eine Haselrute nehmen?“
Der alte Mann nickte dem Kleinen zu. Dieser nahm eine Rute, schloss die Augen und zerbrach sie.
Arthur stand auf und sagte zu dem Wicht:
„Ganz kann ich dir diesen Wunsch nicht erfüllen. Aber wir können miteinander eine Lösung finden.“
„Was hat er sich gewünscht, Vater?“, wollte der Sohn wissen.
„Er wünscht sich, dass wir im Wald nicht mehr holzen, aber leider geht das nicht. Die alten Bäume müssen wir fällen, damit die Jungen wieder nachkommen. Was wir machen könnten, wäre, dass ihr uns die Bäume anzeichnet, die wir fällen dürfen. Und in dieser Zeit kommt ihr zu uns auf den Bauernhof. So kommt niemand mehr zu Schaden. Wäre das eine Lösung?“
„Ja, das wäre eine sehr gute Lösung“, meinte der alte Wicht. „Denn in Wirklichkeit sind wir auf euch angewiesen. Wir könnten die hohen, alten Tannen nie fällen und sie würden uns eines Tages auf den Kopf fallen.“
Die beiden besiegelten das Besprochene mit einem Händedruck und alle applaudierten.
Memfis erhob den Becher und rief: „Freunde fürs Leben!“
„Ja, Freunde fürs Leben!“, ertönte es laut und alle stiessen mit den Bechern an.
Sie feierten noch lange, bis kurz vor Tagesanbruch.
„Ihr möchtet jetzt sicher nach Hause“, sagte Memfis zu den Menschen.
„Ja, es ist Zeit“, meinte der Vater der Kinder.
„Haltet euch an den Händen.“
Sie hielten einander an den Händen und fanden sich im Wohnzimmer wieder, genau so, wie sie gegangen waren. Die Wichte bedankten und verabschiedeten sich bei ihnen. Dann standen sie zu den Möbeln hin und hielten sich fest.
Sie waren mitsamt den Möbeln verschwunden.
Von diesem Tag an waren die Bewohner vom Tonisberg mit den kleinen Wichten befreundet, und jedes Jahr feierten sie gemeinsam Weihnachten.