Beschreibung
Die Geschichte eines Möbelstücks im Laufe der Zeit
….Das Martyrium des Sekretärs
Seit geraumer Zeit gehört ein ehemals sehr geliebter und geschätzter Sekretär zu unserem Mobiliar.
Als er von meiner Frau (natürlich) angeschafft werden sollte, hat sie mir weisgemacht, dass ohne solch einem Möbelstück in unserer Wohnung einfach das i-Tüpfelchen fehlen würde. Ein Sekretär ist unverzichtbar für ihre Papiere und für ihre Hobbyutensilien.
So kam der große, über alles geliebter Schatz und König der Möbel in unsere Wohnung, wo er auch gleich nach dem Aufbauen den Ehrenplatz bekam.
Alle anderen Möbel wurden an ihm ausgerichtet. Wenn wir Scheinwerfer gehabt hätten, wäre er von allen Seiten angestrahlt worden, und meine Frau war glücklich.
Wie konnte dieses Schmuckstück in den Augen meiner Frau seine Vormachtstellung nur so gravierend verlieren?
Er hatte sich im Laufe der Jahre überhaupt nicht verändert. Er stand zwar mal ein einem anderen Platz (ziemlich häufig sogar), aber er ertrug auch dieses mit Geduld und ging auch nicht kaputt.
Vielleicht war es sein Fehler, dass er so robust war, aber ich glaube, es hatte etwas mit seiner Farbe, bzw. mit seiner immer gleichen Oberfläche zu tun. Wie konnte er auch wissen, dass sich die Mode der Möbel von ehemals natürlich in weiß ändern würde.
Als diese Mode aufkam, ich weiß eigentlich gar nicht, wann das war, verlor er immer mehr das Interesse meiner Frau und wurde immer öfter hin- und her geschoben.
Vom Mittepunkt zum Schattendasein war schon ein herber Rückschlag für den armen Sekretär, aber es sollte noch schlimmer kommen….
Ich muss zugeben, meine Frau ist immer auf dem laufenden, was Möbelmode, Farbgestaltung, Dekoration und Hin - und Her - drapieren angeht, da sie sich jede Sendung im Fernsehen, die auch nur im Entferntesten etwas mit Verschönerungen irgendwelcher Wohnungen zu tun hat, ansieht. Außerdem kauft sie sich zig verschiedene einschlägige Zeitschriften zum gleichen Thema, so dass ihr mittlerweile niemand mehr das Wasser reichen kann, was Wohnungen und deren Gestaltung angeht.
Der arme Sekretär passte auf einmal nicht mehr in dieses Konzept.
Als er in das Schlafzimmer abgeschoben wurde, war das wohl der Anfang vom Ende, denn da fiel er meiner Frau immer öfter ins Blickfeld. Verzweifelt bemühte sich das Möbelstück, sich wieder ins rechte Blickfeld zu rücken, ließ es zu, dass seine erstmals so geliebte Vorderfront plötzlich weiß wurde, und nahm es auch nicht übel, als er sich hinter der Tür des Schlafzimmers wieder fand, wo ihn kaum jemand wahrnahm.
Hauptsache, er befand sich noch in der Wohnung.
Auch diese sollte sich bald ändern.
Immer öfter hörte er meine Frau klagen, er wäre total überflüssig. Auch ich versuchte vergeblich, sie davon abzubringen, den Sekretär auszumustern.
So kam es zu dem Tag, als er auch mit der weißen Vorderfront bei meiner Frau den letzten Rest von Geduld verlor. “Ab jetzt musst Du in den Keller!” Hörte er den Beschluss der Hausherrin, und er wusste, dass er jetzt keine Chance mehr haben würde.
Plötzlich fand er sich im dunklen Keller wieder und beherbergte statt Papieren alte Töpfe und Pfannen, die wie er vor einiger Zeit ausgemustert wurden.
War das das Ende? Nein, denn er hatte den Vorteil, dass er in seinem Bauch einiges an Stauraum hatte und dass die Lücke nicht zu schließen war.
Einige Tage später kam auch die Hausherrin zu dem Entschluss, dass er wohl noch nicht ausgemustert werden müsse und holte ihn mit meiner Hilfe wieder ans Licht.
Der Sekretär freute sich, denn er sollte wieder ins Wohnzimmer kommen, wo es immer schön schnuckelig warm war, aber nachdem er den Platz eingenommen hatte, erfüllte er überhaupt nicht die Erwartungen meiner Frau und wurde kurzerhand wieder in den Keller verbannt.
Hier stand er nun wieder mit dem Hausrat in seinem Bauch, der auch die Gunst meiner Frau verloren hatten und wartete auf das “Henkersbeil” (Bringhof).
Insgeheim hoffte er noch, dass er doch noch einmal in die Wohnung kommen würde, vielleicht auch mit der verhassten weißen Farbe, aber so ganz konnte er nicht darauf hoffen.
Das war wohl endgültig das Ende. Aber einige Zeit später sah er wieder Licht am Horizont, denn er wurde wieder aus der Versenkung hervorgeholt. Meine Frau kam zu dem Entschluss, einen Versuch mit der von ihr so geliebten weißen Farbe (altweiß und Seidenmatt)zu starten. Gesagt getan, sie gab sich wirklich sehr viel Mühe damit und sie war glücklich, dass der Sekretär in dieser neuen Farbe wieder erstrahlte.
Auch der Sekretär war glücklich, wieder in der Wohnung zu stehen und die Papiere wieder beherbergen zu können.
Jetzt steht er wieder in unserem Schlafzimmer, ganz still und unauffällig, hält seine Bretter krampfhaft zusammen, versucht meiner Frau noch lange zu gefallen und hat Angst, dass sich die Möbelfarbe ändert. Denn er weiss, dann wartet der Bringhof unwiderruflich.