Neue Freiheiten wurden geschaffen, doch nicht jeder wird darin glücklich. Die Vertrauten Zwänge werden Vermisst. War es damals wirklich so schlimm wie alle sagen? Eins ist sicher man ist von seinem Ziel noch weit entfernt.
„So kann das nicht weiter gehen. Wir leben am Minimum.“
„Was heißt hier Minimum. Uns geht es so gut wie schon seit Wochen nicht mehr.“
„Wir haben hier zwei Säuglinge in der Firma. Verdammt. Wenn etwas sein sollte. Wir haben weder Ärzte noch die Medikamente. Ich will nicht zu den Eltern gehen und ihnen erklären warum ihre Kinder gestorben sind.“
„Was sollen wir deiner Meinung nach tun?“
„Es gibt Berichte, das der Norden sicherer geworden ist. Die Regierung scheint wie der Phönix aus der Asche zu erstehen.“
Das war der Moment, in dem ich mich an dem Gespräch beteiligen musste: „Hörst du dir eigentlich überhaupt zu? Egal was kommen mag, aber das steht nicht zur Debatte. Ich habe nicht all die Entbehrung auf mich genommen, nur das wir wieder Sklaven eines Diktators werden.“
Andy riss die Hände in die Luft, es war ihr deutlich anzusehen, das sie kurz vorm Platzen stand. Der ganze Zustand der Anarchie belastete sie zusehends. Sie wünschte sich nichts lieber als wieder ein geregeltes System zu haben, doch wusste sie genau, dass sich die Firma auf sie verlässt. All das was sie im Labor arbeitete war essentiell für den Fortbestand aller, die hier Zuflucht gefunden hatten und das waren nicht wenige. „Verdammt wir hatten eine Demokratie. Nur weil ihr euch angeschissen gefühlt hattet und deswegen eine kleine Revolution hervorrufen musstet, heißt das nicht, das ihr deshalb alle zum Tod verdammen müsst. Ihr könnt ja hier draußen bleiben. Euren täglichen Kampf ums Ãœberleben führen, aber helft uns, uns, die diesen Mist nicht wollen, ein Vernünftiges Leben zu führen.“
Ich hatte Glück, das Ed rechtzeitig einschritt. Er war immer gemäßigter als ich: „Andy bitte. Gib uns noch etwas Zeit, mit Moe könnten wir schon eine funktionierende Kommune errichten. Essen und Trinken wäre gesichert. Wir finden noch jemanden, der uns helfen kann, die Generatoren zu betreiben. Wir werden ein Leuchtfeuer werden. Wir werden die Regierung sein die sich aus der Asche erhebt.“
„Ihr seid doch verrückt. Es ist nur die Macht die euch reizt. Ihr seid nicht besser als die Jäger“, wutentbrannt stürmte sie aus dem Raum.
Ihr wollte ihr hinterherlaufen, doch Ed packte mich am Arm: „Lass sie sich beruhigen. Sie wird schon einsehen, das wir Recht haben.“
Ich sah ihm in die Augen. Sie strahlten Weisheit aus. Nicht verwunderlich, denn er wandelte schon seit über einem halben Jahrhundert auf der Welt. Es war ihm zu verdanken, das die Flüchtlinge in der Firma einen Unterschlupf gefunden hatten. Als das Chaos begann, lies er von den Sicherheitskräften des Werkes die Tore schließen, und nur wer unbewaffnet kam hatten die Chance hier aufgenommen zu werden. Jeder der auf Streit aus war wurde wieder herausgeworfen. Das außergewöhnliche war, das er selbst den Staatskräften den Zugang verwehrte. Es verhinderte eine Massaker oder zu mindestens Massenfestnahmen, die aber meist auch nur ein Ende kannten. Nur durch seinen kühlen Kopf hatten wir jetzt eine Basis auf die wir aufbauen konnten. Das alles ließ auch Edward zum Chef der Firma werden. Die letzte Zeit hatte schwer an ihm gezehrt. Er ist deutlich gealtert. Die Falten wurden tiefer, die Haare dünner und grauer.
„Was ist wenn sie recht hat?“, fragte ich halblaut. „Was ist, wenn es wirklich nur die Macht ist, die wir verlangen? Wenn wir nicht besser sind, als das was wir vertrieben haben.“
„Du! Ich habe bei diesen Aufständen nicht viel beigetragen, außer das ich Flüchtlinge aufgenommen habe. Ich habe mir sagen lassen wir du dich zu Moe aufgemacht hast. Alleine ein paar Jäger erschlagen. Für mich klingt das nicht sehr Egoistisch. Du bist mit Sicherheit kein Heiliger, eben sowenig wie ich, doch besitzen wir definitiv mehr Verständnis für die Gesellschaft, als die Männer die gestürzt wurden. Bedenke wie es war. Die Ãœberwachung, die Kontrolle, dann noch die Ãœbergriffe der Polizei. Ich bin Jahrzehnte lang immer brav wählen gegangen, hab stets meine Steuern bezahlt, doch irgendwann war es auch mir zu viel.“
Meine Mundwinkel hoben sich kurz zu einem Grinsen. Hier in der Firma gab es viele Einstellungen, manche wollten eine Demokratie, manche Kommunismus, anderen war es scheiß egal, doch eins hatten der größte Teil gemeinsam, so wie es war, soll es nie wieder werden. Leute wie Andy waren eindeutig die Minderheit. Personen die wieder zu der alten Regierung rannten weil ihnen der Weg eines freien Lebens zu hart war.
Ich konnte es ihnen nicht einmal verübeln. So schwer wie wir es hier hatten, wollten sogar manche die sich geschworen hatten frei zu Leben wieder zurück, nur das sie Leben konnten. Wir waren eine Generation die die Not hatte. Es wird noch lange dauern bis sich wieder alles Normalisiert hatte. Was auch immer das Normal dann sein wird. Erst dann werden ihre Ahnen sich an dem Brot ihres Verdienstes laben können.
Matt ließ ich mich auf einen Stuhl fallen. „Hast du das ernst gemeint, das wir mit Moe uns zusammen schließen sollen?“
„Wieso nicht? Er ist der Hauptabnehmer unserer Ware und wir brauchen immer Essen. In einer groß angelegten Aktion würden wir gemeinsam versuchen die Jäger aus der Gegend zu vertreiben. Gleichzeit versuchen wir Vagabunden in das Dorf zu ziehen um es wieder neu zu bevölkern. Beziehungsweise könnten viele aus der Firma dorthin ziehen. Sie können dann auf Moes Feldern arbeiten. Er hätten sicher nichts dagegen etwas zu expandieren.“
„Schonmal mit ihm darüber gesprochen?“
„Nein und ich muss gestehen, solange es nicht spruchreif ist, sollten wir das nicht. Ich will mehr Informationen über das Dorf und die dort lebenden Jäger. Ich habe nicht so viele gerettet, nur das wir sie ihnen jetzt einer Jagd-Gesellschaft verfüttern.“
„Vielleicht sollten wir aber Moe schon in die Planung einweihen.“
Er fuhr sich durch die Haare. „Bis eben habe ich nicht einmal dich eingeweiht. In der Anarchie muss man langsam handeln. Schnelle, überhastete Taten führen gerne zu Fehler und Fehler sind hier zu meist Tödlich. Ich muss gestehen, ich vertraue Moe nicht allzu weit, er ist für mich ein zu großer Opportunist.“
„Lass mich mit ihm reden. Ich fühl' vor ob es eine Grundlage gibt oder ob jegliche weitere Planung verschwendete Zeit ist“, schlug ich ihm vor.
„Irgendwie hatte ich erwartet, das so etwas von dir kommt. Andy hat mir bereit gesagt, das du dich schonen sollst, so eine Kugel ist kein Kinderspiel, außerdem muss sie deinen Wams ausbessern. Lass ein paar Tage ins Land gehen, dann reden wir noch einmal darüber.“
Damit war das letzte Wort gesagt.
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Immer wieder tippte ich mit der Rückseite des Bleistifts auf das Papier. Die Seite war leer. Blank. Weiß. Früher einmal verbrachte ich oft Tagelang damit zu schreiben. Es war das einzige Hobby das ich hatte. Manche sagten ich sei gut, andere meinten ich hätte Potential. Vielleicht hatten sie Recht, vielleicht wäre wirklich eine Zukunft damit möglich gewesen. Doch soweit sollte es nie kommen.
Der Ausbruch der Anarchie hatte alles kaputt gemacht. Das Haus in dem ich einst gewohnt hatte, in dem all meine Texte waren, die Polizei hat es durchsucht. Zum Glück war ich in diesem Moment auf der Straße um gegen ihre Kollegen zu kämpfen. Da sie nichts gefunden hatten, haben sie es einfach niedergebrannt. Irgendwann in einer Kampfpause fragte mich ein Mitstreiter, nach meinem Haus. Ich konnte mich dunkel erinnern, das er in meiner Nachbarschaft gewohnt hatte. Als ich es beschrieb erzählte er es mir die Geschichte, deshalb habe er sich auch den Revolutionären angeschlossen. So etwas konnte man nicht tolerieren. Er wurde nicht viel später von einem Gummigeschoss, oder einem Scharfschützen getroffen. Ich habe nur noch seinen regungslosen Körper mit dem blutenden Kopf gesehen.
Ich bin nie wieder zu dem Haus zurück gekehrt. Nicht zum Überprüfen seiner Geschichte, nicht um zu sehen ob sich etwas retten ließ. Ich trauerte auch, nicht darum. Das Einzige was es zur Auswirkung hatte war das Schüren meiner unbändigen Wut.
Etwas das Andy an mir hasste. Sie war immer gemäßigt, nie gewillt eine Regierung zu stürzen. Gewalt wurde von ihr verabscheut. Als all das los ging, wollte sie lieber fliehen. Mit größter Not gelang es mir, das sie in der Firma unterkam. Sie hatte, nicht wie ich der bis zum Schluss noch dort seine Brötchen verdiente, früher einmal dort gearbeitete. Als ich von Ed's Aktion gehört hatte, setzte ich alles daran, das sie hinter den Werkszaun kam. Dort würde ich sie wieder finden können, nicht das sie irgendwo sich in fremden Ländern absetzte.
Ein langer Kampf mit Worten folgte, bei dem es darum ging, das ich da draußen Kameraden hatte, die auf mich zählten. Mein Kampf war noch nicht beendet. Ich kann mich noch erinnern als sei es gestern gewesen, wie sie sich mit Tränen in den Augen abwandte, in dem Moment wie sie realisierte, das dies meine Bestimmung war und nichts in aller Welt mich davon abbringen lies.
Es dauerte mehr als zwei Monate bis ich sie wieder gesehen hatte. Alles was ich hatte was das Vertrauen in sie, das sie nicht weglief. So kam ich dann zurück, angeschossen, verschlagen, beworfen, mit meinen Kräften völlig am Ende, aber glücklicher als jemals zuvor. Der Kampf war gewonnen die Regierung war gestürzt. Nur kam es anders, es wurde keine neue gegründet sondern es kam zur Anarchie.
Nie wieder hatte ich ein Wort niedergeschrieben, sodass irgendwann eine Geschichte daraus werden sollte. Die Kunst war in mir gestorben. Vielleicht war aber auch einfach momentan nicht die Zeit dafür, vielleicht wird es wieder kommen.
„Theus?“, ich zuckte vor Schreck zusammen. „Oh tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“
Es dauerte einen Augenblick bis sich mein Herzschlag wieder normalisiert hatte und ich mich Andy zuwenden konnte. „Nicht so schlimm, mit mir kann man es ja machen“, bemerkte ich trocken. „Aber gut das du da bist ich brauche Nachschub.“ Auf ihren fragend Blick hin erklärte ich: „Deine kleinen Mittelchen. Ich habe keine Reserven mehr und wenn ich bald wieder zu Moe aufbrechen werde.“
„Nein.“
„Was soll das heißen nein? Willst du das ich auf dem Weg sterbe oder was. Schon das letzte Mal bin ich auf Jäger getroffen, vielleicht werden es mehr. Immerhin habe ich ihre Kollegen erledigt. Ich brauch das Zeug.“
„Nein, heißt das du nichts mehr bekommst. Selbst wenn du nur hier 'rum sitzen würdest, konsumierst du den Scheiß. Verdammt Theus du bist süchtig nach den Drogen und sie machen dich kaputt!“, sie kämpfte darum das ihre Stimme nicht brüchig wurde.
„Pah kaputt“, winkte ich ab. „Deine Mittel geben mir endlich die Kraft etwas zu bewirken. Sie verbessern mich. Wenn ich sie schon damals während der Revolution gehabt hätte, wären wir Wochen früher fertig geworden.“
„Gestern Nacht. Ich weiß das du es gespürt hast, du warst noch wach, wie ich mit meiner Hand dir unter die Hose gefahren bin. Du hast alles versucht, um dich schlafen zu stellen, bist aber jämmerlich gescheitert. Trotz vielen Minuten hat sich nichts geregt. Du bist impotent.“
Ich konnte mich genau daran erinnern was sie meinte. Nie war so etwas geschehen. Die eine wie die andere Tatsache. „Das ist es doch was du immer wolltest. Du warst nie ein Freund von körperlicher Liebe. Sei doch froh.“
„Wer weiß was es noch alles in deinem Körper anrichtet. Vielleicht wachst du eines Tages mit einem Herzinfarkt auf.“
„Und wenn ich es nicht nehm', schlafe ich mit einer Kugel in der Stirn ein. Verdammt das ist der Preis den wir zahlen müssen. Wenn man etwas aufbaut kostet es immer ein wenig Schweiß.“
„Nimmst du es mal nicht, so wie jetzt werden deine Hände zittrig, der Schweiß steht dir auf dir Stirn, eine Nervosität befällt dich, verdammt du bist süchtig wie ein elendiger Junkie. Setzt einfach ein paar Wochen aus. Lass das Zeug aus deinem Körper heraus gehen. Es gibt sicher Alternativen.“
„Ich kann nicht“, fuhr ich sie an. „Ich muss zu Moe. Zum ersten Mal seit Ausbruch der Anarchie stehen wir am Anfang von etwas ganz großem.“
Auch sie hob ihre Stimme: „Wenn du so weiter machst, stehen wir nur am Anfang von deinem Ende. 'Der große Revoluzzer, der auszog die Welt zu verbessern, stirbt an einer banalen Ãœberdosis'“
„Du willst das ganze doch nur verhindern, das uns das Vorhaben gelingt. Du willst wieder in diese verfluchte Diktatur.“ Als sie schwieg – damit eine Zustimmung leistete – fuhr ich fort: „Zudem kann ich mir die Mittel auch selbst herstellen. Mehr als eine Verzögerung hat es nicht zur Folge.“
In meiner Wut ließ ich sie alleine in dem Zimmer stehen.
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Es war mir egal was die anderen sagten. Jemand musste mit Moe reden, ihm diesen Vorschlag unterbreiten. Wenn es uns gelingt unsere eigene kleine funktionierende Kommune zu errichten war uns der Sieg sicher. Keiner würde Gesetze erlassen, nur das Gemeinschaftsgefühl würde jeden an seine Dienst binden. Man bestellte die Felder weil man somit allen half, nicht weil man sonst pleite geht. Jedem würde alles gehören.
Es erinnerte mich an den Kommunismus, doch erstmals in der Geschichte würde er nicht an der Diktatur des Proletariats scheitern. Aus der Asche der zerstörten Regierung würde eine klassenlose Gesellschaft entstehen. Andere würden sich ein Beispiel an uns nehmen und endlich wäre es der Menschheit ermöglicht zu leben wie es die Natur für uns vorgesehen hätte, mit ihr nicht gegen sie.
Ich hatte ein Lächeln auf den Lippen als ich meine Stiefel schnürte. Wohlgemutes zog ich mir den Wams über. Er hatte immer noch seine Macke vom Einschuss, doch wie wahrscheinlich wäre es noch einmal dort getroffen zu werden? Nachdem ich auch den Rest meiner Ausrüstung angelegt hatte eilte ich zurück zu Andys und meinem Zimmer.
Als ich die Tür öffnete erkannte ich das sie noch darin stand. Sie betrachtete mich in meiner vollen Montur. Ehe sie den Mund öffnen konnte, warf ich ihr etwas zu. Den Augenblick als sie es fing und nur darauf achtete nutzte ich um zu gehen. Eilig lief ich davon. Weder ein Wort, noch ihre Reaktion wenn sie erkannte was sie in den Händen hielt, wollt ich mitbekommen. Es war mein Ring und der silberne Wolfskopf an seiner Kette. Beides Geschenke von ihr.
Sie wollte mit allen Mitteln verhindern das die Anarchie funktionieren wird. Eine solche Unterstützung konnte ich nicht gebrauchen. Ich benötigte jemanden der zu mir und meinen Idealen stand. Der wenn ein Kampf ausbricht meinen Rücken stärkt, nicht das Messer hinein rammt. Sollte sie doch in den Norden ziehen. Wenn sie sich versklaven lassen will, doch sollte sie hoffen das wir uns dann nie wieder treffen, sonst geschieht es mit dem Schwert zuerst.
Ich hatte gehofft wenn sie lange genug hier in der Firma zubringt, das sie erkennt, welche Vorteile die Anarchie bietet, doch Menschen kann man nicht ändern. Sie wollt immer ihre geregelten Bahnen. Maximal sich beschweren ohne zu handeln. Dann war sie mir heute zweimal in den Rücken gefallen.
Mit Mühe zwang ich mich, nicht mehr an sie zu denken. Wenn ich aus dem Werk heraus ging, an den Straßensperren vorbei, dann brauchte ich volle Konzentration. Zumal all meine physischen Attribute normal waren.
„Auf dem weg zu Moe?“, es war Sergej, der wie immer Wache schob, und bis oben hin bewaffnet war.
Ich lächelte. „Es wird Zeit das wir endlich unseren Stand verbessern. Eine funktionierende Kommune. Wenn dich Ed geschickt hat mich aufzuhalten, lass es. Ich tu es für uns, für uns alle.“
„Ich bin nicht hier um dich aufzuhalten, ich will dich begleitet. Wenn man nach einer Diktatur die Freiheit kennen gelernt hat, will man nicht zurück. Ist mit einem Knast zu vergleichen.“
Ãœberrascht meinte ich: „Ich war noch nie in einem Gefängnis.“
„Ist wie die ehemalige Demokratie.“