Weihnachtsgedichte
Die Kreuzfahrt

Die Kreuzfahrt

Hannerl und Gustav waren seit 40 Jahren verheiratet.

Ihre Hochzeitsreise hatten sie an den Wörthersee gemacht und waren jeden Tag mit dem Boot über den See gerudert.  ...  Seit damals träumten sie von einer Kreuzfahrt.

„ Einmal“, versprachen sie einander, „einmal werden wir auf einem großen Schiff über die Meere gleiten, sanft dahin schaukeln, die unendliche Weite der Wasserfläche und des Himmels genießen, in fernen Ländern vor Anker gehen und uns verwöhnen lassen.“

Jedes Jahr sprachen sie davon.

Jedes Jahr träumten sie ihren Traum.

Doch immer gab es anderes, Wichtigeres. Die Wohnung. Die Einrichtung. Das Auto.

Dann kam das Kind.

„Wenn Bärbel groß ist“, sagten sie, „dann machen wir die Kreuzfahrt!“

 Bärbel wurde groß. Sie heiratete und schenkte ihren Eltern einen Enkelsohn.

An Tommy hatten sie viel Freude, besonders Gustav.

„Er kommt ganz nach dem Großvater!“, waren alle überzeugt. Denn bald schon zeigte sich bei dem Buben dasselbe Interesse.

Erst zeichneten die beiden stundenlang Boote und Schiffe. Später bastelten sie welche und ließen ihre Schinakel in kleinen Bächen schwimmen.

 Dann geschah das Unglück.

Tommys Vater kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

Für Bärbel brach eine schwere Zeit an. Neben dem Schmerz des Verlustes lag nun die ganze Verantwortung auf ihren Schultern. Beruf, Haushalt und die Sorge um das Kind – das war nicht immer leicht zu bewältigen.

Zum Glück waren die Eltern da, die immer einsprangen, wenn Not am Mann herrschte. Auch finanziell griffen sie ihrer Tochter kräftig unter die Arme.

So steuerten sie ihr Schifflein gemeinsam durch die Auf und Ab des Lebens.

Manchmal gönnten sich Hannerl und Gustav einen recht bescheidenen Kurzurlaub und träumten weiterhin, eines Tages an Bord eines großen Schiffes zu gehen und über die Meere zu kreuzen.

Als der Bub 15 Jahre alt wurde und mit einer Lehre begann, waren sie aus dem Ärgsten  heraus. Bärbel ging es gut. Sie verdiente recht schön und konnte sogar ein wenig auf die Seite legen. Man musste nicht mehr von der Hand in den Mund leben.

Da begannen Hannerl und Gustav für ihre Traumreise zu sparen.

Und nun, nach 40 Ehejahren, war es endlich so weit!

Sie suchten ein Reisebüro auf, ließen sich beraten und buchten für den Winter eine Kreuzfahrt. Weihnachten wollten sie noch zu Hause feiern, Silvester hingegen schon auf dem Luxusdampfer.

Hannerl und Gustav spielten im Geist alle möglichen Situationen auf einem Schiff durch. Nun sollte ihr großer, lang gehegter und gepflegter Traum endlich in Erfüllung gehen.

 Doch eigenartig.

Je näher der Abreisetermin rückte, umso stiller wurden sie.

„Ach, wenn wir die Buchung bloß rückgängig machen könnten!“ sinnierte Hannerl. Aber sie sagte nicht ein Wort. Sie wollte ihrem Gustl doch nicht die Freude verderben.

„Ach, wenn bloß etwas dazwischen käme, damit wir nicht fahren könnten“, wünschte sich Gustav, „ ein Bankrott des Reisebüros oder vielleicht der Reederei ....“

Aber auch er verriet seine Gedanken nicht. Er konnte seiner Hannerl doch nicht die Freude nehmen, die Erfüllung ihres Lebenstraumes.

Weihnachten rückte immer näher.

Hannerl umkreiste ihren Mann wie einen heißen Brei. Einige Male setzte sie zu einem Gespräch an ... aber jedes Mal blieben ihr die Worte im Hals stecken.

...  Und plötzlich schrieb man den 24. Dezember.

Gemeinsam, jedoch sichtlich nervös, schmückten sie den Baum. Am Abend würden Bärbel und Tommy kommen, sie feierten den Hl. Abend immer gemeinsam.

„Ich weiß nicht“, begann Hannerl zaghaft das Gespräch, „meinst du nicht auch, dass diese Reise eher etwas für jüngere Menschen ist?“

„Wie man ´s nimmt“, brummte Gustav, „ unserer Bärbel und dem Tommy zum Beispiel würde so etwas schon gefallen. Tommy wäre wahrscheinlich im siebenten Himmel.“

„Gustl? Glaubst du, man könnte die Tickets weiterschenken?“

„Man kann, mein Herzblatt, man kann! Ich hab´ mich schon erkundigt.“

Da fiel die Hannerl ihrem Gustav um den Hals. „Oh, du!! Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das du mir machen konntest!“

 Sorgfältig verstauten sie die Tickets in einem kleinen Plastikboot. Dann holten sie eine große Schüssel, füllten sie mit Wasser und setzten das kostbare Schiffchen hinein. Behutsam stellten sie ihr Mini-Gewässer vor dem Christbaum auf.

Bei der Bescherung fanden sich ihre Hände im stummen Einverständnis, und sie warfen einander liebevolle Blicke zu.

„Das war wohl einer der schönsten Weihnachtsabende!“, murmelte Hannerl und schmiegte sich an ihren Gustl.

Er legte zärtlich seinen Arm um sie und meinte: „ Ja, das ist wohl wahr! Wir haben uns unseren Traum bewahrt!

Denn würden wir tatsächlich fahren ... wovon sollten wir dann in den nächsten Jahren träumen?“

( C ) I. H.