Science Fiction
Hyperion - 2102

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"Hyperion - 2102"
Veröffentlicht am 20. Mai 2012, 30 Seiten
Kategorie Science Fiction
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Über den Autor:

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Hyperion - 2102

Hyperion - 2102

Beschreibung

Marlin Petersen, ein ehemaliger Student, lebt im 22. Jahrhundert in der Grossstadt St.Ensei und ist auf Arbeitssuche. Da kommt ihm ein gut bezahlter Job bei dem grössten Raumfahrtunternehmen der Welt gerade richtig. Doch hinter der Fassade dieses verlockenden Angebots verbirgt sich ein düsteres Geheimnis.

Kapitel 1

St. Ensei, Caffè di Bellagio

11:45 Uhr


  Anne schaute den glatzköpfigen Gast an, welcher ihr gerade ein Kompliment über ihren Hintern gemacht hatte und fühlte sich angeekelt. So etwas kam öfters vor, doch es ist ein Unterschied, ob ein junges, gut aussehendes Single ihre schönen Augen lobt, oder ob ein schmuddeliger, dicker Greis auf ihren Allerwertesten gafft. Trotzdem blieb sie standhaft und gab ein Lächeln zurück.

   "Wenn ich nur Rattengift bei mir hätte", dachte sie sich scherzhaft, während sie den, vom bärtigen Ekelpaket bestellten, Tee auf dessen Tisch stellte. 

   "Ja, da kannst du natürlich wieder grinsen, was?", sagte sie sarkastisch zu ihrer Kollegin, welche das Geschehene beobachtet hatte und sich nun schadenfreudig darüber amüsierte. 

   Doch Anne nahm es mit Humor. Sie war sich sicher, dass der nächste Kandidat, welcher vor ca. zwei Minuten die Pforten des "Caffè di Bellagio" betreten hatte, wesentlich anständiger veranlagt war. Das sah man bereits von weitem.

   Anne kam auf den dunkelblonden, ca. 180 cm mittelgross gewachsenen Mann zu. Sie schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Er sass allein da, was die Chance erhöhte, dass er Single und auf der Suche war. Dieses Mal hoffte Anne auf ein Kompliment.  


   Marlin Petersen sass an dem frisch polierten, runden Metalltisch und wartete geduldig auf eine Bedienung. Er musste nicht lange warten, denn schon ein paar Sekunden später stand eine junge, attraktive Frau mit einer Umhängetasche vor ihm und sah ihm in die Augen.  

   "Was darf ich Ihnen bringen?", wurde er gefragt. Marlin wurde plötzlich bewusst, dass er sich noch gar nicht überlegt hatte, was er eigentlich trinken wollte. Warum er ausgerechnet einen Latte Macchiato bestellte, war ihm schleierhaft. Wahrscheinlich sprach er einfach das italienische Wort so gerne aus. 

   Die Zeit des Wartens nutzte Marlin aus, um sich umzusehen. Die Wände des Caffès waren gelb und rot bemalt und es hingen überall Fotos von dem italienischen Dorf Bellagio. Eine Aufnahme zeigte das Hotel Bellagio in Las Vegas, welches vor ungefähr zwanzig Jahren wegen Einsturzgefahr abgerissen wurde. 

   Die zarte Stimme der Kellnerin riss ihn aus seinen Gedanken. Er nahm die Tasse entgegen und bedankte sich. 

   "Darf ich Ihnen noch etwas bringen?", wurde Marlin von der Kellnerin gefragt. Leicht verwirrt über die unübliche Nachfrage verneinte er und sah der Kellnerin nach. Irgendwie kam es ihm so vor, als läge in deren Blick nun ein leichter Hauch von Enttäuschung. 

   Marlin griff in seine linke Hosentasche und suchte nach seinem AGENT. Er fand ihn nach kurzem Nesteln und zog ihn heraus. Er hielt das rechteckige, durchsichtige Gerät vor sein rechtes Auge, welches er weit aufsperrte. Einen Augenblick später surrte der kleine Apparat bestätigend und das "Sky"-Symbol, welches er pro Tag sicher zwanzig Mal anschaute, erschien. 

   "Guten Morgen, Marlin. Sie befinden sich an der Hanks-Square Nr. 189". Eine klare Männerstimme erklang scheinbar aus dem Nichts. "Die exakte Uhrzeit beträgt 11:47. Heute ist der 12. August 2102. Die Temperatur liegt bei angenehmen..."

   "Einleitung überspringen!", unterbrach Marlin die elektronische Computerstimme. "Wähle 'Heutige Vorhaben'", fuhr er fort, ohne dabei Pein zu empfinden, in der Öffentlichkeit mit einem leblosen Gerät zu kommunizieren.

   "Ich darf Sie an folgende Vorhaben erinnern:", Marlin wusste, jetzt würde gleich seine eigene Stimme, welche die heutigen Tagespläne diktierte, aus dem winzigen Lautsprecher erklingen. "Mama kommt um 14:00 Uhr", Marlin zuckte zusammen. Er hasste es, sich selber zu hören. 

   "Danke, Bob!" Es ist üblich, seinem AGENT einen Namen zu geben, um mit ihm "reden" zu können. Doch dieses Mal hätte Bob in der Tasche bleiben können, denn Marlin hatte nicht vergessen, dass seine Mutter ihn heute in seinem neuen Apartment besuchen kommt. 


   Anne nahm den feuchten Lappen und wischte damit die von ihr eben verschütteten Kaffeetropfen auf. Sie war gedanklich woanders gewesen, als ihr das kleine Missgeschick passierte. Sie bemerkte ihre leichte Enttäuschung über das fehlende Kompliment von dem Gast, welcher den Kaffee bestellt hatte. Vielleicht musste Sie einfach ihren femininen Gang verbessern. 

   Sie nahm den Kaffe und ging mit einem etwas übertriebenen Modeltritt auf den runden Metalltisch zu. In ihrem Gesicht setzte sie ihr schönstes Lächeln auf. Dieses Mal konnte eigentlich gar nichts schiefgehen. 

   "Vielen Dank. Bringen Sie mir bitte auch gleich die Rechnung." Marlin schaute der jungen und attraktiven Kellnerin nach. Irgendwie kam es ihm so vor, als würde sie nun anders gehen als vorher. Er trank einen Schluck des bestellten Getränks und nahm das Surren der elektrisch aufgehenden Tür des Caffès kaum wahr. Da Marlin sich selber als regelrechter Geniesser sah, nahm er wiederholt seinen AGENT aus der Hosentasche und schaltete ihn ein. Noch bevor Bob einen Laut von sich geben konnte, sprach Marlin die Worte "Drei Vampire sind zwei zuviel" aus. Sofort wurden alle Menüobjekte ausgeblendet und es erschienen Schriftzeilen. Seit 11/28 ist die Bücherproduktion strengstens verboten. Alle Geschichten werden nur noch elektronisch veröffentlicht. Buchhandlungen existieren nur noch online.

   Marlin las in den Zeilen seines "Buches" weiter, dessen Autorin er sehr verehrte. Auch wenn er schon zu lange verzweifelt auf Jobsuche war, liebte er doch diese alltägliche Freizeit. Er nippte genüsslich an seiner Tasse und vertiefte sich in die Welt der Hauptperson Kyra.

   "Buongiorno, du Leseratte!" Marlin zuckte erschrocken zusammen. Er hatte den Mann, der sich eben ihm gegenüber gesetzt hatte, gar nicht bemerkt. Dieser hatte ihn gerade geduzt. Das bedeutete, dass sie einander vertraut waren. Doch Marlins Gehirn brauchte einen Augenblick um das Gesicht des Mannes zu identifizieren. 

   "Renato, du italienischer Spaghettifresser, du hast mich vielleicht erschreckt!" Marlin musste lachen. Die Erinnerungen an die italienische Visage genügte, um seine Laune rasch aufzuheitern. 

   "Ach, komm schon, du Heulsuse! Sagst deinem alten Kumpel, den du seit zwei Monaten nicht gesehen hast, nicht mal ciao! Schäm dich!" Renato machte zwei Schritte in Richtung Marlins Stuhl und drückte diesen anschliessend an seine Brust.

   "Bitte, wir sind hier in der Öffentlichkeit!" Doch Renato schien Marlins Worte nicht einmal wahrzunehmen. Dieser sah ein, dass es keinen Zweck hatte weiterhin zu protestieren. "Na, schön", sagte Marlin und umschlang seine Arme um den stämmigen Körper seines Gegenüber. "Aber nur weil's du bist!"

   "So kenne ich meinen alten Schulkameraden!" 

   In der Tat kennen sich Renato und Marlin schon mehrere Jahre. Angefangen hat alles ein paar Kilometer südlich an der Universität St. Ensei. Marlin sass zusammen mit etwa 120 weiteren Studenten in dem grossen, reichlich mit Bildern und Malereien verzierten Saal, den man nur mit sehr viel Mühe und Geduld im riesigen Gebäude finden konnte. Alle 240 Augen starrten gespannt auf das höher gelegene Podium aus Falschholz. 

   "Universumsgeologie ist ein Studium mit Zukunft, liebe Neuankömmlinge." Die tiefe Stimme des dicken Mannes hinter dem Podium dröhnte durch den Raum. "In einem solch goldenen Zeitalter wie diesem, in welchem der Mensch anfängt, neue Territorien zu erkunden, welche sich weit ausserhalb seiner eigentlichen Heimat befinden, werden neue, revolutionäre Technologien eingesetzt, um den Fortschritt unserer Rasse voranzubringen. In den letzten zweihundert Jahren hat sich das Bild unserer Zivilisation so drastisch verändert wie noch nie. Hätte ein normaler Durchschnittsbürger im Jahre 2012 die Entwicklung der Lebensweise seiner künftigen Nachfahren vorhergesehen, hätte er daraus wahrscheinlich einen erstklassigen Science-Fiction Roman verfassen können." Der Erzähler ertappte einige der Zuhörer bei einem leichten Schmunzeln. "Und doch wären diese gigantischen Quantensprünge im Bereich der Raumforschung nie gewagt worden, hätten nicht solch kluge Köpfe wie Sie existiert. Selbst wenn die zukünftigen Transportmittel in den Orbit bald so weit entwickelt sind, dass sie während des Fluges selbstständig ein Buch schreiben können, wären diese völlig nutzlos ohne Sie. Mein Name ist Ted Walters und ich heisse Sie herzlich willkommen an der Universität von St. Ensei."

   Für Marlin waren die nachfolgenden Jahren die glücklichsten seines Lebens. Er hatte das seltene Glück, das machen zu können, was ihn interessierte. Sein gesamtes Wissen und all seine Fähigkeiten waren gefragt. Marlin kam sich vor, wie ein Laienschauspieler, der eines Tages das Angebot bekam, in einem Hollywood-Blockbuster die Hauptrolle zu übernehmen. Die Universität war sein Paradies, sein Ort zum Nachdenken über das enorme Ausmass der Geheimnisse und Schätze, die im gesamten Universum verborgen sind. 

   Als Marlin eines frühen Morgens seiner Lieblingsbeschäftigung nachging, des Langstreckenschwimmens, sah er etwas, was ihn fast das Blut in den Adern gefrieren liess. Ohne gross über die Situation nachzudenken, tauchte er auf, holte tief Luft um sogleich wieder unter der Wasseroberfläche zu verschwinden. Er schwamm zielbewusst immer tiefer in das Becken, dessen Grund sich sechs Meter unter dem Boden befand. Der Wasserdruck wurde mit jedem Zentimeter, den Marlin auf dem Weg in die Tiefe zurücklegte stärker und er hatte das Gefühl, als würde sich sein Trommelfell gleich eindellen. Doch das war Marlin im Moment genauso gleichgültig, wie seine Schwimmbrille, die er eben irgendwo im Becken verloren hatte. Mit aller Kraft schwamm er weiter nach unten zu dem leblosen Körper, der da unten trieb. Von Marlins Position aus, schien er erstaunlich klein und Marlin fragte sich, ob er es nach so weit unten schaffen würde. Nach sehr langen zwölf Sekunden packte seine rechte Hand den Oberarm des regungslosen Mannes und zog ihn mit letzter Kraft in Richtung Oberfläche. Doch es war nicht nötig gewesen, denn schon nach einem Meter fing die Gestalt an selbstständig nach oben zu schwimmen. Mit den Schwimmbewegungen eines Profitauchers schoss der Unbekannte ins schimmernde Licht. 

   "Sind Sie wahnsinnig!", rief Marlin einen Sekundenbruchteil nach seinem Auftauchen.

   "Ganz locker, Mann! Wer hat dir gesagt, dass du hier den Helden spielen sollst?"

   "Ich dachte, sie wären..."

   "irgendein ein unerfahrener Klugscheisser, der glaubte er sei der König der Meere, weil er eben erst kürzlich seine Schwimmflügelchen abgelegt hatte und dessen Lungenbronchien nach dem Versuch von einem Fünfmeterbrett aus einen Bauchplatscher zu wagen, nicht mehr fähig waren, noch irgendwelche Sauerstoffatome in seine Blutbahnen zu schiessen, wodurch sein IQ-armes Gehirn ein Alarmsignal in jede noch reaktionsfähige Zelle seines fetten Körpers sendete, welches natürlich schon längst überfällig war, da seine Herzpumpe durch einen vegetativen Infakt versagte und somit jedes lebenswichtige Körperteil lahmlegte?"

   "Ich dachte, sie wären bewusstlos oder gar tot!"

   Der Mann fing an zu lachen. "Hab ich das nicht gerade gesagt?"

   "Jetzt hören Sie doch mal auf, Mensch!", rief Marlin, der sich über die Tatsache nervte, das dem Mann die ernste Lage anscheinend gar nicht bewusst war.

   "Nett, dich kennenzulernen, Kleiner! Ich heisse Renato Pierangelo. Aber die meisten Leute lassen das Zweite immer weg."

   "Was soll das denn jetzt?", fragte Marlin völlig entgeistert, und schaute auf die Hand, die ihm der schnurrbärtige Student nun ausstreckte.

   "Du hast mir das Leben gerettet, also sind wir jetzt wohl amicos."

   Trotz seiner Wut musste Marlin auf einmal grinsen. Die Art des jungen Italieners gefiel ihm. 

   "Also, was jetzt?", fragte Renato. "Hat mein Retter etwa Angst sich die Finger schmutzig zu machen oder ist er einfach nur ein Arschloch?"

   Marlin hatte sich beruhigt und beschloss mit Renato nach dessen Form zu reden. "Ich hab dich aus dem tiefen Wasser gefischt und hatte dabei auch noch meine dreissig Libras teure Schwimmbrille verloren. Und du glaubst, ich sei ein Arschloch?" Er schüttelte Renatos Hand. Dieser grinste. 

   "Freut mich dich kennenzulernen, Arschloch!"

Marlin hätte niemals gedacht, dass ihn dieselbe Person, die er damals auf die ungewöhnliche Weise kennengelernt hatte, noch sechs Jahre später fast erdrücken würde. "Das reicht, Al Capone! Du brichst mir noch alle Knochen."

   Renato hatte Marlin losgelassen und sass nun an dessen Tisch. "Signora!", rief er.


   Anne eilte an den Tisch, an den sie von dem vorlauten Gast gerufen wurde. "Na, toll", dachte sie, "so ein Wichtigtuer hat mir gerade noch gefehlt." Trotzdem fragte sie höflich: "Was darf ich Ihnen bringen?" 

   Der Gast sah ihr tief in die Augen, was sie ein wenig einschüchterte. Nach einer kurzen Pause antwortete er: "Wenn ich es mir recht überlege, am liebsten ihre Telefonnummer."

   Anne, die nicht mit dieser Antwort gerechnet hatte, blickte verlegen auf ihre Füsse und ihr Grinsen reichte fast bis zu ihren Ohren. 

   "Oh, mi dispiace! Entschuldigen Sie, wenn meine Art Sie ein wenig nervös macht. Manchmal löse ich diesen Effekt aus" Der Gast grinste nun ebenfalls.

   Jetzt fing Anne an zu kichern und regte sich gleichzeitig über ihr scheues Verhalten auf. "Sie sind mir noch einer! Wie oft haben Sie diesen Satz schon geübt?"

   "Ich verrate es Ihnen gern, aber nicht hier, wo alle zuhören", antwortete der Gast mit einem starken italienischen Akzent. "Bringen Sie mir bitte einen Cappuccino. Einen mit einem leichten Duft von unwiderstehlichem Zimt und einer perfekten Bräune."

   Anne nahm die Bestellung wortlos entgegen. Sie hatte das Gefühl langsam zu davon zu schmelzen. "Er hat mein Zimtparfüm gerochen", dachte sie, "wer sagt's denn?"


   Marlin starrte der abgehenden, jungen Kellnerin nach. "Du bist so ein Angeber, weisst du das?", sagte er schliesslich zu Renato. "Auch nach dem Studium hat sich scheinbar nichts geändert."

   "Wieso sollte es denn auch?", fragte Renato und machte dabei eine typische Macho-Geste. "Würde dir auch mal gut tun, findest du nicht?"

   "Ach, hör doch auf! Du klingst wie meine Mutter."

   "Und deine Mutter hat recht, ragazzo. Allmählich fange ich an zu glauben, dass du schwu..."

   "Renato, ich will nicht mehr darüber reden!", fiel ihm Marlin ins Wort. In der Tat nervte es ihn, wenn die Leute ihn ständig zur Partnersuche anstiften. Natürlich konnte sich Marlin gut vorstellen, in einer Beziehung zu sein. Aber es war für ihn nicht zwingend. Er sagte zu sich selber immer wieder, dass sich irgendwann etwas ergeben sollte. "Und wie läuft's mit dir, eigentlich?"

   Renato grinste. "Das hast du doch eben mitbekommen. Ich bin Single."

   "Nein, ich meine wie geht's dir? Wir haben uns nun schon seit Monaten nicht mehr gesehen, da interessiert's mich, was inzwischen mit dir alles lief."

   "Tja, ich wohne immer noch in meiner Zweizimmerwohnung, wo ich gelegentlich Gesellschaft habe, und ich arbeite immer noch bei...". Renato brach den Satz abrupt ab. "Ach so, das weisst du ja noch gar nicht."

   "Du hast einen Job?" Marlin kam sich vor wie ein kleiner Junge, der gerade von seinem besten Freund erfahren hat, dass dieser zu Weihnachten seinen ersten AGENT gekriegt hat. "Das finde ich ja super! Wo arbeitest du denn?" 

   "Das glaubst du nie, aber sieh selbst"

   Renato griff in seine Anzugstasche und holte seinen AGENT hervor. Er gab ihm die Anweisung irgendein Bild von einer gewissen "Valentina" aufzurufen. Als dieses kurz danach erschien, murmelte Renato etwas, was klang wie: "Hallo, Schätzchen." Er streckte Marlin den AGENT erwartungsvoll vor die Nase. Dieser blickte etwas überrascht auf das Bild, welches einen silbernen Fox 4085 zeigte. Es war der Traum eines jeden Mannes und wurde von Autofreaks gerne als "Geilste Maschine der Welt" bezeichnet. 

   "Da staunst du, was?", prahlte Renato. "Die Schweizer machen weit Besseres als nur Banken und Käse."

   Marlin blickte von dem AGENT auf. In seinem Blick lag eine Mischung aus Verblüffung und Enttäuschung. "Du hast ein Universumgsgeologiestudium absolviert und bist danach auf die Autoindustrie umgestiegen?"

   "Mah, Marlin! Natürlich nicht! Das silberne Objekt hier auf dem Bildschirm ist der beste Traum, den man sich erfüllen kann!"

   "Du willst dir den hier also zulegen?", fragte Marlin erleichtert. "Und ich dachte schon, du hättest einen Job in einer gammligen Autofabrik."


   "Für wen hälst du mich eigentlich?"

   "Willst du das wirklich wissen?", fragte Marlin grinsend. Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: "Tja, mein Freund. Ob du's glaubst oder nicht, du bist nicht das einzige männliche Wesen, welches verzweifelt diesem Traum hinterher jagt."

   "Tja, ob du's glaubst oder nicht", äffte Renato ihn nach, "er steht draussen auf dem Parkplatz."

   Marlin verzog seinen Mund. "Du verarschst mich, gib's zu!"

   "Heute nicht, mio amigo, heute nicht." Renato blendete das Foto auf dem AGENT aus und wählte auf dem Hauptmenü das Symbol mit dem Steuerrad. Sein Grinsen konnte er nun nicht mehr verbergen und in seinem gesamten Körper herrschte ein Kribbeln.

   Ein lautes und aggressiv dröhnendes Grollen jagte durch den Raum und liess die Plastikmöbel erzittern. Die mit schwarzem Leder gepolsterten Sitze leiteten ein leichtes Vibrieren durch die Beine der Gäste, welche nun allesamt den Hals verdrehten und durch die riesigen Fenster nach draussen starrten. Dort parkierte gerade ein silbrig lackiertes Auto von der Grösse eines mittelgrossen Wohnzimmers. In der Fahrerkabine sass niemand, das Auto manövrierte selbstständig. Eine Technik, welche erst seit ungefähr einem Jahr existierte. 

   Marlin starrte ebenfalls auf den scheinbar brandneuen, blank polierten Fox. Die Verwunderung über das Gesehene, zeichnete sich in seinem Blick wieder. "Wo hast du den geklaut?", fragte er.  

   "Mah, Marlin! So etwas würde ich selbstverständlich niemals tun", sagte Renato und betonte das Wort 'niemals' übertrieben. "No, die Loyalität des Autohändlers habe ich mir durch ehrlich verdientes Geld erkauft. Damit bin ich umso mehr Stolz auf meine Valentina."

   "Valentina? Welche deiner Bettgenossinnen trug diesen Namen?", spottete Marlin.

   "Keine. Das ist der Grund, weshalb ich mein Auto so nenne. Es ist einzigartig."


   Anne ging nervös mit dem, vom attraktiven Italiener, bestellten Espresso zum Tisch, wo die beiden Männer sassen und atmete innerlich tief durch. "Jetzt nur nichts falsch machen", sagte sie sich. 

   "Grazie mille, signora!" Renato schenkte Anne sein charmantestes Lächeln und nahm den Kaffe entgegen. Schon ein paar Augenblicke später entdeckte er den Zettel, der zwischen dem Untersatz und der Tasse versteckt war. Auf dem Zettel waren die Ziffern einer Telefonnummer zu sehen. 

   Marlin riss allmählich der Geduldsfaden. "Nun raus mit der Sprache! Wo arbeitest du, dass du dir dieses vierhundert tausend Libras teure Möbelstück leisten kannst?"

   "Genau genommen sind es vierhundert fünfzigtausend Libras", verbesserte Renato Marlin. Er liebte es seinen Kumpel zu nerven. 

   "Na gut, wenn du es mir nicht erzählen willst, dann interessiert es mich auch nicht." Marlin setzte einen übertrieben gestellten Gesichtsausdruck auf. Nach einer kurzen Pause, sagte er: "Ach, komm schon, du musst es mir einfach erzählen!"

   "Ich arbeite bei COBRAinternational", sagte Renato mit einem Ton der Selbstverständlichkeit. 

   "Echt jetzt? Das finde ich ja toll!"

   "Ich wusste, du würdest dich freuen", sagte Renato. "Ich hatte ein Sauschwein. Die hatten dort nämlich exakt genau, nach Studienabschluss eine Stelle als Geologe parat."

   "Ja, der war gut", gab Marlin in gelangweiltem Ton zurück. "Und jetzt sag mir bitte, wem deine Valentina wirklich gehört." 

   Renato liess seinen AGENT wieder in seiner Jacke verschwinden und holte aus seiner Hosentasche etwas heraus, was für Marlin aussah, wie eine Kreditkarte. Hätte er dreissig Jahre früher gelebt, hätte er gewusst, dass dieses Objekt keineswegs eine Kreditkarte ist. Es war zu gross und besass weder Magnetstreifen noch irgendeine Nummer. 

   "Das hier ist mein persönlicher Dienstausweis", erklärte Renato während er Marlin die Karte direkt vor die Nase hielt. "Damit ist offiziell erklärt, dass ich ein Mitarbeiter bei einem, der grössten Konzerne der Welt bin."

   Marlin brauchte ein wenig, um den Inhalt der Karte zu verstehen. Dieser sah aus wie ein kleiner Steckbrief inklusive Ausweisfoto. Im Text kamen einige, für Marlin nicht dechiffrierbare, Begriffe vor. Doch nach und nach setzten sich die Einzelheiten zu einem Bild zusammen. Also, hat es Renato tatsächlich geschafft. Er war ein gesetzlich zugelassener Angestellter bei COBRAinternational, dem grössten privaten Luft- und Raumfahrunternehmen in der Geschichte der Menschheit.

   Wie viele Unternehmen seiner Art entstand COBRAinternational durch die Privatisierung der NASA im Jahre 2042 durch US-Präsident John Taylor. Ohne auch nur den Ansatz irgendeines Erfolgs aufzuweisen, verschlang die NASA jährlich viele Milliarden US-Dollar. Die erste grosse Schlappe zog  die NASA mit dem Absturz des Weltraumteleskops 'Hubble' am 13. April 2029 durch den Asteroiden (99942) Apophis. Für die Weltraumforschung war dieses Ereignis ein enormer Verlust. Doch schon sieben Jahre später bewies die russische Roskosmos endgültig die Vortäuschung der angeblichen Mondlandung durch die NASA im Jahre 1969. Um keine finanzielle Krise auszulösen, sah sich die amerikanische Regierung gezwungen, ihre Bundesbehörde für Luft- und Raumfahrt zu privatisieren. Dies führte zu zahlreichen Abspaltungen der NASA. Massenhaft entstanden Kleinunternehmen, die sich im Laufe der Jahre bewährten wie die heutige japanische NDPS oder konkurs gingen, wie die deutsche PHL. Einige wenige entwickelten sich zu grossen Konzernen, wie die weltweit operierende Astronautique Nationale mit ihrem Sitz in Genf oder die COBRAinternational in St. Ensei. Und bei denen hatte Renato nun einen Job. 

   "Wieso hast du so viel Glück, während ich seit Monaten arbeitslos bin?", fragte Marlin leicht entrüstet.

   "Tja, amigo. Das Leben ist hart", antwortete Renato und blickte in Marlins Gesicht. "Lass den Kopf nicht hängen, ragazzo. Deine Chancen stehen gut, dass du demnächst auch mal Gold findest."

   "Du kannst reden, Mensch! Schliesslich brauchst du dir ja keine Sorgen mehr zu machen."

   "Marlin, weisst du was dein Problem ist?", fragte Renato. "Du hast keine Fantasie."

   "Was soll jetzt das bitte heissen?" Marlin war etwas genervt. 

   "Nein, das mein ich ernst. Jetzt überleg doch mal, du hast dein Studium beendet und bist nun verzweifelt auf Jobsuche. Du kennst deine Fähigkeiten und du weisst, wer du bist. Aber du findest nichts. Und eines Tages sitzt du in irgendeiner italienischen Kneipe und triffst auf einmal deinen alten Kumpel wieder. Dieser erzählt dir, dass er einen Job und somit auch einige Beziehungen bei einem riesigen Konzern hat. Na, klingelt's?" 

   Marlin schien zu ahnen, worauf Renato hinauswollte. Doch er war noch nicht überzeugt. "Ich weiss nicht, Renato."

   "Was weisst du nicht? Ich kann's dir sagen. Du weisst nicht, wie man einen Job kriegt. Was ist mit dir los, amigo?", fragte Renato.

   "Ich weiss es zu schätzen, dass du mir helfen möchtest, aber ich will's irgendwie alleine schaffen. So kann ich am Ende stolz auf mich sein." Marlin hielt sich normalerweise an seine Prinzipien. 

   "Was?" Renato wollte nicht glauben, was er da hörte. "Wer bist du? Batman? Ascolta! Ich kann dir helfen, amigo! Geh nach Hause, ruh dich aus und ich kümmere mich derweil um alles."

   Marlin musste zugeben, dass Renatos Angebot recht verlockend klang, doch sein innerer Funken wollte immer noch nicht ganz zünden. "Du musst dir wirklich keine grossen Umstände machen nur wegen mir."

   "Willst du einen Job?", fragte ihn Renato

   "Ja, natürlich! Nur..."

   "Willst du vor deiner Mutter dastehen, wie ein Versager?", unterbrach ihn Renato.

   "Nein, natürlich nicht! Aber..."

   "Soll ich dir helfen, oder nicht?" Renato fauchte Marlin an, wie ein Militäroffizier seine neuen Rekruten. 

   "Wenn es für dich geht, dann..."

   "Perfetto! Die Sache ist geklärt. Ich muss um 13:00 Uhr wieder in der Firma sein. Dort werde ich alles arrangieren." Renato stand auf und legte dreissig Libras auf den Tisch. "Ich bezahle für dich, amigo!

   "Und du glaubst, der Job ist was für mich?", fragte Marlin. 

   "Es ist in ganz Europa der grösste Spielplatz für schlaue Köpfe wie dich und mich. Ich meine, was kann da schon schiefgehen?"

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