Krimis & Thriller
Wirren

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"Wirren"
Veröffentlicht am 09. Dezember 2011, 70 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Wirren

Wirren

Beschreibung

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Ein Beutel Bündner Gerstensuppe, etwas Milch, ein Laibe Schwarzbrot, und ein schwerer Rotwein. Abendessen, in ein paar Minuten jedenfalls. Aber zuerst: Wodka. Ich koche immer mit einem Glas in der Hand. Pfanne aus der Schublade holen. Wasser rein, nach Gefühl wie immer. Den Beutel aufreissen und rein kippen. Blick über die Schulter. Nein, ich bin nicht paranoid. Trotzdem hole ich ein längliches, griffloses Messer aus der Schublade unter dem Herd. Herd auf zwölf-Maximum. Klinge in den Ärmel des Pullovers gleiten lassen, weiterkochen. Mixer auf der kleinsten Stufe laufend in die Pfanne stellen. Der oberste Teil Brot abreissen und ein Loch rein graben. Wie in der guten alten Jugendzeit. Ich hätte mich jetzt sicher an meine Mutter erinnert, aber jemand hat geklingelt. Meine Wohnung ist zwar ein halber Bienenstock, trotzdem beruhigt mich das Metall an meinem Arm. Es hat die Körpertemperatur noch nicht ganz angenommen. "Wer da?!" "Pizza!" "Moment." Im Vorbeigang klaube ich eine Fünfzigernote aus der Schüssel im Eingang.

"Manuel. Sie waren schnell hier." Manuel irritiert die Kombination aus Vornamen und Höflichkeitsform. Ich geniesse den Sekundenbruchteil bis er sich wieder gefasst hat. "Guten Abend Herr Steiner. Ich habe für Sie eine Prosciutto. Family size. Hat's Nachwuchs gegeben?" Hochroter Kopf. War ja auch ein jämmerlicher Versuch charmant zu sein. "Ja Manuel." Köstlicher Gesichtsausdruck. Ich bin nicht der Mann, der eine Familie gründet. "Die Schimmelpilze auf den Erdbeeren haben sich vermehrt." Und indem ich ihm den Fünfziger in die Hand drücke: "Wird das ausreichen?" Er übergibt unter unverständlichem Genuschel die Schachtel und hastet dann die Treppe hinunter. Lift? Fremdwort. Naja, ich brauche das Ding ja selber kaum. "Fahr vorsichtig und schönen Abend!"

Zurück an den Herd. Pizza auf die Ablage. Ein Bisschen Milch aus dem Kühlschrank in die kochende Suppe. Abkühlen lassen. Tortenplatte. Halbe Pizza drauf. Schnell der alten Nachbarin im EG etwas "Richtiges" vorbeibringen. Nein ich bin nicht sozial. Nur rational. Also Treppe runter, klingeln, warten. Ich hasse das. Endlich öffnet sie. Mit einem Grinsen übergebe ich ihr die Platte. Sie würde mich ohnehin nicht verstehen. Halb taub. Vielleicht ganz. Aufmunternd auf die Schulter klopfen und wieder rauf in meine Wohnung. Tür schliessen. Mixer ausschalten und in das Spülbecken. Das Messer aus dem Ärmel gleiten lassen und es wieder an seinen Platz legen. Hände waschen. Suppe mit dem Finger testen. Perfekt. Vorsichtig in das Loch im Brot giessen. Pfanne zum Mixer. Morgen früh würde die Seele des Hauses alles wieder in Ordnung bringen. Sie würde sich auch um die armseligen Erdbeeren kümmern. Wodkaglas, Weinglas, Weinflasche, Korkenzieher, Löffel und mit Suppe gefülltes Brot auf den Esstisch balancieren. Schachbrett und Telefon holen. Absitzen. Während dem Essen eine Schachpartie. Das stärkt Körper und Geist. Geraldine die Mathematikerin ist meist dabei. Also auswendig ihre Nummer eintippen. Ich mag keine Speicher. Die sind unsicher und ich bin immer noch nicht paranoid. "E2E4" Geraldine's Begrüssung. Ich bewege ihren Bauer auf das gewünschte Feld.
Zwei Stunden später haben wir ein Remis. Unentschieden. Wie immer. Die ganze Zeit über wurden nur jeweils 2 Buchstaben und 2 Zahlen gesagt, trotzdem wissen wir beide wie der Tag des jeweils anderen war. Ich mag die Frau. So subtil. Dieses eine Wort, subtil, bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Die Pizzaschachtel. Ich gehe in mein Arbeitszimmer. Xenonlampe und Solariumbrille aus dem Regal nehmen. Der Scheinwerfer ist normalerweise in Flugzeugen eingebaut. Storen zentral herunterlassen. Zurück in die Küche. Pizzahälfte in den Eimer. Scheinwerfer an, Brille auf, Pizzaschachtel auf Unregelmässigkeiten prüfen. Keine Löcher. Keine ungewöhnlichen Schnitte. Die Schachtel sieht sicher aus. Scheinwerfer aus, Brille weg. Mit dem Japanmesser aus England den Deckel abtrennen. Die gefalteten Seiten des Deckels werden auch abgeschnitten. Eine Rose längs vierteln. die schmalen Hölzchen passen perfekt in die Rillen des Kartons. Von rechts nach links alle Rillen probieren. Nach den ersten paar Minuten stösst es auf Widerstand. Stärker drücken. Ein Stück Papier fällt auf den Küchentisch. Die restlichen Rillen testen. Ganze 20'000 Franken liegen nach einer Viertelstunde da. Jeder Schein feinsäuberlich aufgerollt. Etwa einen Millimeter im Durchmesser. Ein scheusslicher Anblick. Ich lege das Geld neben das Spülbecken. Die Haushälterin wird es zusammen mit meinen Hemden bügeln.

Mit dem Papier gehe ich ins Schlafzimmer. Erst 23 Uhr. Ich kann noch nicht müde sein. Also weiter ins Ankleidezimmer. Trainingsanzug anziehen. Schwarz natürlich. Das Papier kommt in die Hosentasche. Raus. Ins Arbeitszimmer. Den Safe in der Ecke öffnen. Die Pflanze ist wieder einmal im Weg. Glasscheibe entnehmen. Das Mikroskop auf den Tisch stellen und die Glasscheibe in den zusätzlichen Objekttisch legen. Eine Eigenkonstruktion. Das Papier auseinanderrollen. Mit zwei Klammern auf dem Objektträger fixieren. Objektträger auf den unteren Objekttisch spannen. Licht einschalten. Die Glasscheibe aus dem Safe lässt nur bestimmte Wellenlängen durch. Zudem muss das Licht mehrmals reflektiert werden, bis es die richtige Intensität hat und zum Okular durchgelassen wird. So wird die Schrift auf dem Papier erst lesbar. Allerdings nur für den gleichzeitigen Besitzer des Mikroskops und der Glasscheibe. Und des Papiers natürlich.

Darauf steht: "heer halte latz. er hard in da herrin. er caen mehr. hera erz zelt. manche mac ehren. dinar her." Nicht ganz einfach. Mal überlegen. "heer halte latz." Das ist einfach. Die Armee hält sich zurück. Aber wo? Und welche Armee? Und wann? "er hard in da herrin." Macht keinen Sinn. Der Verfasser ist nicht irre. Er ist auch kein Lustmolch. Das kann ich ausschliessen. "er caen mehr." Rechtschreibfehler. Könnte ein Muster in der Botschaft versteckt sein? Es kommen immer wieder dieselben Buchstaben vor. Also möglich. "hera erz zelt." Die Göttin Hera. Dann wäre mit "er hard in da herrin" wohl Zeus gemeint. "er caen mehr." Ist Zeus eine Metapher für die Armee? Mit der Stadt Caen hat es nichts zu tun. "hera erz zelt." Ein steinernes Gebäude das der Hera geweiht ist. Na gut, die alten Dinger sind alle aus Stein. Ein erzreicher Stein. "manche mac ehren." Sinnlos. Mac könnte die schottische Bezeichnung für einen Mann sein, oder für die Computer, oder vielleicht ist der Apfel gemeint. "dinar her." Eine Forderung. Dinar ist schliesslich eine Währung. Aber nicht an mich, Ich habe schliesslich mit dem Papier auch Geld erhalten. Wollen die Kurden den Schweizer Dinar zurück? Das wäre ungesund für den Staat. Alle die Gedanken bringen mich nicht weiter. 23:15 Uhr, nicht die beste Zeit zum Joggen. Egal. Ich brauche frische Luft und neue Ideen. Noch kurz auf die Print Taste am Mikroskop drücken. Die Glasscheibe in den Safe zurück, das Mikroskop abgedeckt ins Regal. Ausdruck prüfen. OK. Papier aus der Pizzaschachtel verbrennen.

Im Eingang schwarze Laufschuhe anziehen. Aus der Kommode unter der Schüssel mit den Banknoten ein fingerdickes, 90 Zentimeter langes, gummiertes Stahlseil nehmen. Das Seil verschwindet im Hosenbein, der Griff steckt kaum sichtbar im Hosenbund. Sicher ist sicher. Auch in Zürich. Jacke anziehen und los gehts. Regen. Und es ist erstaunlich kalt für die Jahreszeit. Runter an den See. Auf der Promenade weiter. Bis Küsnacht schätzungsweise 6, vielleicht 7 Kilometer. Und zurück. 50 Minuten. Alles ereignislos aber sehr erholsam. Ich fühle wie meine Gedanken klarer werden. Das Muster ist in der Botschaft, ich bin ganz sicher. Aber über dem Muster steht noch etwas anderes, das es zu verstehen gilt. Das Muster ist ein kombinatorisches Problem. Die Botschaft, in der es versteckt ist muss aber auch eine Bedeutung haben. Diese Bedeutung ist hinter dem Schleier der Vergangenheit verborgen. Geschichte. Hera. Ich habe die Mythen mal gelesen. Zeus vereinigt sich jedes Jahr einmal mit Hera. Sie glaubt an die Ehe und rächt sich an den Kindern von Zeus. So irgendwie war das. Da war noch ein Fluss oder ein Meeresarm. Sie badete darin und wurde immer wieder zur Jungfrau. Es war ein Fluss. Auf Samos! Passiert irgendetwas auf Samos, wovor die Griechische Armee die Augen verschliesst? Nein. zu offensichtlich. In meiner Welt wäre niemand so unvorsichtig. Die Wahrheit muss noch tiefer liegen. Eine etwas grössere Welle bricht sich an den Steinen. Der Zürichsee. Wasser. Vielleicht muss sich das Heer zurückhalten, weil das Geschäft auf dem Wasser abgewickelt wird. "heer halte latz" ist Befehlsform. Mit Zeus habe ich sicher recht. "er caen mehr" richtet sich direkt an mich. Ich soll weitersuchen. Also ist die Insel Samos eine Sackgasse. Wenn ich bei Zeus weitersuchen sollte, würde ich nie fertig. Viel zu viele Mythen. Also Hera. Astarte und Juno wurden ihr gleichgesetzt. Juno. Unter Geschäftsleuten wird immer Juno gesagt um Missverständnisse zu vermeiden. Juni wird Juno und Juli bleibt Juli. Küsnacht. Ich mache mich auf den Heimweg.

Etwas, was mich interessieren, muss passiert im Juno an einem Ort im Ozean. Hera. "erz zelt" ich erinnere mich vage an einen Wikipediaartikel. Die Liste mit Tempeln war kurz. Wenn "mac" auch Zeus ist. Der Zankapfel. Hera kommt in diesem Mythos doch auch vor. Irgendeine Göttin wirft einen goldenen Apfel mit der Aufschrift "Für die Schönste" in die Mitte einiger anderer Göttinnen, darunter war auch Hera. Zeus richtet nicht und daraufhin entsteht ein Krieg. Der Trojanische Krieg. Ich glaube der Verfasser der Botschaft hat genau an das hier gedacht. So elegant und gleichzeitig grössenwahnsinnig, unsere kleine Gemeinschaft mit dem alten Zeus zu vergleichen... Egal, was heisst das jetzt? "manche mac ehren" wird jetzt also zu "manche ZEUS ehren"! Wer ehrt heute noch Zeus? Bestenfalls noch ein paar Griechen. Sonst fällt mir wirklich niemand ein. Dann ist also ein Ort in Griechenland betroffen. Im Juni. Nein das darf nicht sein. Hera wurde in der Nachricht direkt erwähnt. Ein direkter Verweis auf eine griechische Göttin wäre zu riskant. Manche ehren Zeus. Also ehren manche ihn nicht. Die Mehrheit der Weltbevölkerung. Hilft nichts. Mac ist eine eher alte Bezeichnung für Sohn, also Mann. Könnte ein Verweis darauf sein, dass es die Ehrung heute nicht mehr gibt. Ein Fest, das mit der Zeit verloren ging. Hera, Zeus, Griechen, Samos, verloren. Wenn sich Zeus und Hera nur einmal im Jahr vereinigten, gab es sicher ein Fest. Da konnten dann manche Zeus ehren, und andere eben nicht. Wie hiess das doch gleich?
Zu Hause. Schade. 10 Minuten nach Mitternacht. Keine Lösung. Mein Lieblingssessel. Nein, erst duschen. Beim Laufen muss ich mir den Fuss verdreht haben. Ich hänge meine Waffe wieder in den kleinen Schrank unter der Schüssel. Duschen. Warm. Die Kälte hat mir doch zugesetzt, obwohl ich es nie zugeben würde. Was soll ich jetzt tun? Das Problem lösen oder schlafen. Beim Abtrocknen erwäge ich den Nutzen einer Schlaftablette. Entscheide mich dagegen. "Schmerz ist Schwäche die den Körper verlässt." Spruch meines Ausbildners. Meines ehemaligen Ausbildners. Fremdenlegionär. Adieu vieille Europe. Que le diable t'emporte. Adieu vieux pays... Das langsame Lied schiesst mir durch den Kopf. Genauso wie der Schmerz in meinem Fuss. Egal. Ignorieren. Schliesslich habe ich mich gegen die Tablette entschieden. Rüber in das Ankleidezimmer. Frisches Hemd, Hose mit Bügelfalte, dunkelblaue Krawatte, Gürtel aus Krokodilleder. Passt. Aus der Küche einen Whisky holen. Bevor ich die Küche verlasse noch einen halben Liter Wasser trinken. Hallo Lieblingssessel und Hallo Gedanken. Ein Fest für Hera. Und vielleicht für Zeus. Tonaia! War doch gar nicht schwer. Bringt das etwas? Nein. Ich kenne keinen Ort der so heisst. Ich nehme den Laptop vom Couchtisch und - Google kennt auch keinen Ort. Google kennt aber "to NAIA", also nach "Ninoy Aquino International Airport"! Manila. Philippinen. Elegant. Sehr elegant. Etwas passiert im Juni auf den Philippinen, eventuell am Flughafen selbst.

"dinar her" ist jetzt sicher keine Forderung mehr. Die Philippinen haben den Peso als Währung. Die werden sicher nicht den Dinar einführen. Vielleicht sollte ich noch einmal dasselbe tun wie bei Hera. Verwandte Begriffe überprüfen. Also: was ist dem Dinar gleichgesetzt? Der Dinar hat viele Brüder. Hauptsächlich im arabischen Raum. Balkan auch. Allerdings wurden viele balkanische Währungen geändert. Da habe ich eine Bildungslücke. Wieder den Laptop brauchen und die Lücken füllen. Bringt mich nicht weiter. Will schon fast einem anderen Gedanken nachjagen. Aber da war doch was. Stand nicht vorhin, dass der Dinar sich vom Denaro ableitet?! Eine römische Münze. Juno, die Göttin die mit Hera gleichgestellt wurde, war auch römisch. Das ist es. Ein Mann aus Rom geht im Juni nach Manila. Dort wird er den Interessen meiner Gesinnungsgenossen Schaden zufügen. Wie geht er dorthin? Er fliegt! Astarte, die andere gleichgestellte Göttin, die Königin des Himmels.

Bleibt noch eine Frage: Wer ist er? Er kann uns schaden, also hat er Geld und Macht. Er ist kein Mann des Glaubens, sonst wären die Hinweise in der Botschaft eher christlich gefärbt gewesen. Sehr wahrscheinlich ein Mann aus den Rängen eines Geheimdienstes. Ich werde gleich morgen früh die Datenbanken durchsuchen lassen. So viele Männer mit Geld aus Geheimdienstkreisen, die uns schlecht gesinnt sind, im Juni nach Manila fliegen und aus Rom stammen, kann es ja nicht geben. Ich bin zufrieden. 4 Uhr morgens. Das Schlafzimmer ist zu weit. Der Sessel ist zu gemütlich. Anna wird mich dafür umbringen. Wie immer.

"Wieso haben Sie sich überhaupt ein Bett gekauft wenn Sie nie darin übernachten? Der Sessel ist doch nicht angenehm." Anna. Die Seele des Hauses. "Es ist Morgen. Ich will hier aufräumen. Gestern Abend habe ich meinem Mann noch von Ihnen erzählt. Er sagt Sie sollen doch mal zum Essen kommen. Er würde sich freuen. Ich natürlich auch. Wissen Sie, er ist auch in der Metallverarbeitenden Industrie. Maschinenschlosser." "STOP" Ich kann die Anzahl ignorierter Einladungen nicht mal zählen. Zum Glück kann Anna die Anzahl angenommener auch nicht zählen. So bleibt der gute Wille erhalten. Mühsam stehe ich auf. Blick auf meine Omega. Anna ist zu früh. Halb Fünf. "Anna Sie sind eine Perle, aber lassen sie mich nur noch 10 Minuten. Bitte" "Nein. Arbeit hält die Menschen frisch und munter. Das gilt besonders für so junge wie Sie. Was soll ich übrigens mit dem Geld anstellen. Wollen sie es wie üblich?" Sie hat wieder einmal gute Laune. Erinnert mich an meine Zeit bei der Armee. "Schön knusprig. Ein Ei darüber. Und Brot. Bitte." "Ich fragte nach dem Geld neben der Anrichte. Ihr Frühstück steht schon auf dem Tisch und wird kalt wenn sie noch länger sehnsüchtig Ihren Sessel anstarren. Vor allem der schön knusprige Speck." "Danke. Ja, wie immer."

Kein Hunger. Stapel von Briefen neben dem Orangensaft. Keine Sekretärin in Sicht. "Anna! Wo ist Jo?" Keine Antwort. Gefahr? Nein. Ich habe immer noch ein gutes Gefühl. Egal. Das Muster. Ich muss das Muster in der Botschaft finden. Mir fällt ein dicker oranger Umschlag ziemlich weit oben im Briefstapel auf. Akten. Gut, ich habe schon darauf gewartet. Umschlag aufschneiden, Deckblatt lesen. Das Treffen vor zwei Tagen. Darin werde ich nichts finden, was ich nicht schon weiss. Trotzdem alle Schriftstücke überfliegen. Ok. Ins Arbeitszimmer. Frühstück ist sowieso schon kalt. Mag keinen kalten Bratspeck. Ich nehme den Ausdruck von gestern Abend vom Schreibtisch. "heer halte latz. er hard in da herrin. er caen mehr. hera erz zelt. manche mac ehren. dinar her." Der Verfasser ist intelligent. Das Muster ist sicher zwei- oder drei- oder sogar viermal enthalten. So werden Missverständnisse ausgeräumt. Ich gehe weiter ins Archiv. Ganz nach hinten. Öffne einen der aufgestapelten Safes an der Wand. Die Akten in ein Hängeregister, mit dem Datum beschriften, einordnen, Safe zu. Zurück ins Arbeitszimmer. Anna hat mir inzwischen meinen Orangensaft hinterher getragen. Ex. Glas in den Papierkorb. Ich brauche Platz. Hole ein Laptop aus dem Schubladenstock unter dem Schreibtisch. Jeder Buchstabe auf ein A5 Blatt drucken. Laptop weg. Auf den Boden sitzen. Puzzeln.

72 Buchstaben. 9 A, 3 C, 3D, 15 E...Alles Mehrfache von drei. Also kommt das Muster dreimal vor. Mache drei Stapel aus meinen A5 Blättern. Jeder Stapel enthält alle Buchstaben in der richtigen Anzahl. Fange an auszulegen. Ist wie das Knacken eines Zahlenschlosses mit circa 24 Stellen. Dauert ewig. Aber ich habe ja ein Hilfsmittel. Die Datenbanken. Nur brauche ich dazu meine Sekretärin und die kommt erst um 6 Uhr. Schade. Soll ich sie anrufen. Vielleicht besser nicht. Sonst schmollt sie den ganzen Tag. Idee: ich könnte ein Programm schreiben das mir alle möglichen Permutationen durchführt. Wäre eine gute Idee wenn ich wüsste wie viele Worte in dem Muster enthalten sind. Vermutlich so 2 bis 4. Zwei wenn es sich um einen Namen handelt. Das müsste dann jemand sein, den ich kenne. Andernfalls könnte ich den Namen ja nicht zweifelsfrei als solchen identifizieren. Bis zu 4 wenn viele kurze Worte verwendet werden. Noch eine Stunde bis Jo endlich kommt.

Den Sicherheitschef anrufen. "Allo." Professionell. Nicht verschlafen. Schlecht gelaunt. "Morgen Artjom. Alle Eier im Nest?" "Ja." "Halten Sie ein Auge auf Rom. Jemand hat dort einen Osterhasen." Osterhasen verstecken Eier/Mitarbeiter, manchmal auch ganze Nester/Abteilungen. "Ja. Details?" Seine Stimme ist fest wie immer. Kein Hauch von Zweifel. Der Auftrag würde erledigt, auch wie immer. "Ich arbeite daran. Bereiten Sie alles vor. Bravo" "Bravo. Verstanden." Anflug von Unsicherheit. Nicht wegen dem Auftrag, er ringt mit sich selber. Ob er wohl die Frage, die ihm auf der Zunge liegt aussprechen soll? Ich warte. Nach einer Weile fragt er: "Kocht es schon?" "Kann sein. Ich rufe Sie an." Click. Artjom ist Russe. Ein ehemaliges Strassenkind. Etwas älter als ich. Noch skrupelloser. Trotzdem musste er nach dem Code Bravo eine Frage stellen. Die einzig wichtige Frage. Bravo heisst, dass meine Gruppe existenziell bedroht ist.
Das Programm. Ich gehe in die Küche. Wodka holen. Ins Arbeitszimmer. Laptop wieder auf den Schreibtisch. C++ Entwicklungsumgebung starten. Eine kurze halbe Stunde und mein brandneues Programm rechnet. Alle Ergebnisse werden in eine extra erstellte Datenbank auf meinem Server gespeichert. Jo wird die neue Datenbank dann mit dem Verzeichnis meiner Mitarbeiter abgleichen. Falls das nichts bringt, werden halt alle Datenbanken verglichen in denen Namen abgespeichert sind. Irgendetwas wird dabei herauskommen. Wenn sie dann schon dabei ist, kann sie auch noch alle Datenbanken nach dem Römer durchsuchen. Schreibe diese Gedanken auf ihren Memoblock. Ich muss nach Sankt Moritz.

Den Lichtschalter neben der Tür zum Arbeitszimmer drücken. Kein Licht. Dafür flackert es in der Wohnung unter mir für ein paar Sekunden. Ich sehe es nicht, ich weiss es nur. Schliesslich habe ich die Drähte selber verlegt. Blazer mit silbernen Knöpfen anziehen. Geht gar nicht. Zu auffällig und zu zerknittert. Werde auf dem Weg einen Anderen kaufen. Schwarze Lederschuhe. Keine Waffe. Keine Aktentasche. Keine Brieftasche. Wohnungstür auf, ein Stockwerk tiefer. Die Männer stehen bereit. Gut. Schweigen. Lew und Sergej. Beide unscheinbar. Korrekt gekleidet. Könnten Bankbeamte sein. Lew nickt. Er wird also heute die Verantwortung für meine Sicherheit übernehmen. Ein Mann ist schon draussen. Einer wird in etwa vier Minuten folgen. Ich gehe voran. Die Treppe hinunter. Zur Tür raus. Zürich. Tram Richtung Bahnhof. Ganz vorne an der Haltestelle eine Frau. Klein und, sagen wir, wohlgenährt. Gut sitzende Kleider. Mein dritter Mann. Raffiniert. Ich warte im vorderen Drittel der Haltestelle. Lew und Sergej in respektvollem Abstand. Niemand schenkt uns Aufmerksamkeit. Jedenfalls nicht mehr als die Menschen einander normalerweise schenken. Die Frau ganz vorne hat einige Mühe beim Einsteigen. Niemand hilft ihr. Gut. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Schwarzen Dacia aus der Tiefgarage fahren. Zu schnell für meinen Geschmack.

Während der Fahrt entspanne ich mich nicht wirklich. Bei jeder Haltestelle könnte jemand unerwünschtes einsteigen. Jeder hier könnte unerkannt Fotos schiessen. Eventuell sogar filmen. Die Kameras sind so klein. Wieso stört mich das? Weil ich selber schon oft Leute beobachten liess. Ich habe schon oft gewartet bis der Chef eines Unternehmens müde wirkte. Dann ist ein guter Zeitpunkt zum Angreifen. Und mir steht die Müdigkeit allzu deutlich ins Gesicht geschrieben. Dass ich heute Morgen noch nicht rasiert habe, verbessert wohl nichts. Ich hätte daran denken müssen. Unverzeihbar. Paradeplatz. Ich steige aus. Der neue Blazer. Ich wähle ein Laden der leicht zu überblicken ist. Lew und Sergej kommen mit rein. Die Frau bleibt draussen. Der Verkäufer ist überfordert. Wen soll er jetzt bedienen. "Einen Blazer. Blau mit silbernen Knöpfen." Der knappe Ton ist hier nicht angemessen. Ein "Bitte" anfügen. Er schätzt meine Grösse. "In die Taille geschnitten?" Der Mann geht mir auf den Nerv. Wenn ich ein Kleidungsstück wollte das perfekt sitzt, hätte ich sicher einen Schneider beauftragt. "Egal." Ich muss mich zusammenreissen. "Tailliert wäre nicht schlecht. Aber zeigen Sie doch mal was sie sich vorstellen könnten." Da fällt es mir auf. Kein Ehering. Der Verkäufer ist doppelt so alt wie ich. Rasierte Brust. Dreitagebart. Vielleicht auch fünfzig jährig. Piercing im linken Ohr. Homosexuell. Die Erkenntnis ist wichtig. Ich kann keinen extrem körperbetonten Anzug gebrauchen. Das sieht zwar gut aus aber es lässt ältere Gesprächspartner immer wieder an ihre eigene Jugend denken. Eine Ablenkung.
Der Mann, den ich in Sankt Moritz treffen werde, ist paranoid, schizophren und intelligent. Vielleicht würden einige ihn als brutal beschreiben. Er war früher einmal in meiner Position. Er würde sofort denken, dass ich ihm etwas verheimlichen möchte. Vielleicht auch nur vorenthalten. Jedenfalls würde es die Gesprächsatmosphäre gefrieren lassen. Mein Magen macht einen Salto. Ich muss das verhindern. Lew steht nur da. Er hat noch nichts mitbekommen. Ich strecke den kleinen Finger. Zeichen dass er stehen bleiben soll. Zum schwulen Verkäufer rüber gehen. Paar Mal probieren. "Das hier gefällt mir." "Gute Wahl, Monsieur" "Sie sind gut sortiert" "Danke. Sie haben Geschmack." Zur Kasse. "Soll ich die Taschen aufschneiden?" "Nur die Pochette. Merci." "800 Franken" Dummer Blick als Sergej die vier Scheine abzählt. Er dachte also wirklich, dass jeder von uns Kunde wäre. Dumm. Dumm von uns allen. Noch auffälliger könnte niemand einkaufen. Ich habe ernsthafte Bedenken ob ich das Gespräch überstehen werde. Vielleicht ist das hier mein letzter Morgen. Meine Gruppe toleriert keine Fehler. Puls bleibt ruhig. Schliesslich lebe ich schon seit sechs Jahren mit dem Damoklesschwert über mir. Auf die Strasse.

Zum Bahnhof. Zu Fuss. Mindestens regnet es nicht mehr wie gestern Abend. Drei Stunden und zehn Minuten nichts tun. Warten bis der Zug in Sankt Moritz einfährt. Schlimm. Und ich sitze noch nicht mal drin. Pendlerstrom. Unangenehm. Irgendetwas stimmt heute nicht. Vermutlich bin ich einfach nur nervös. Andererseits habe ich gelernt auf unterbewusste Reize des Gehirns zu reagieren. Was stört mich? Ich weiss es nicht. Eine Waffe wäre praktisch. Wo viele Menschen sind gibt es normalerweise auch etwas zur Verteidigung. Ich sehe mich um. Frauen. Pfefferspray. Uninteressant. Jungs, noch schulpflichtig. Schlagringe. Brauche ich nicht. Glasige Augen. Drogendealer der seine eigene Ware konsumiert. Stellmesser. Oder ähnliches. Vermutlich minderwertige Qualität. Trotzdem merke ich mir das Gesicht. Gelb. Griff. Mit intaktem Siegel. In einem Aussenfach eines Rucksacks?! Survivalfreak. Der Mann geht an mir vorbei. In seiner Arroganz weicht er nicht mal aus. Pech. Der Taser verschwindet sofort in meiner Hosentasche. Ich fühle mich nicht besser. Muss in Zug überlegen woran es liegt. Abfahrt 7 Uhr. Zeit für einen Hotdog. Ich gehe zu Sergej "Hotdog." Er folgt mir zum Stand. Ich bestelle zehn. Nur weil mir die Zahl gefällt. Verpackt in einer Papiertüte. Lecker. Ich habe wirklich Hunger. Weiter zu einem Kiosk. Sudokuhefte. Zwei. Zeitungen. Russisch, Türkisch, Englisch, Französisch, Indonesisch. Das sollte reichen für drei Stunden Müssiggang.

Der Zug steht schon bereit. Einsteigen. Zweite Klasse. Die kleine Frau voraus. Ich frage mich was der Mann wohl für Waffen unter seiner Verkleidung trägt. Lew und Sergej hinter mir. Alles in Ordnung. Oder? Ich gehe ins Oberdeck. Dort würde eine Bombe am meisten Menschen töten. Somit ist das Risiko für einen Anschlag geringer. Zudem sitzt die Frau ja im unteren Deck. Lew wird nach Möglichkeit neben mir sitzen. Schwein gehabt. Zwei Plätze nebeneinander. Ich lege meine Zeitungen, Sudokuhefte und Hotdogs auf den Tisch. Der Zug fährt los. Lew setzt sich neben mich. Sergej setzt sich direkt hinter mich. Ein Messer im Rücken wäre etwas unangenehm. Ich bin nicht paranoid. Ich habe keine Angst. Wieso werde ich diese Unruhe also nicht los? Paar Hotdogs essen. Zeitungen überfliegen. Nichts Neues. Geldverschwendung. Ich gebe Lew die Zeitungen. Werde sie einscannen lassen.
Zehn nach acht. Landquart. Aussteigen. Wir sind auf Gleis 4. Die Rhätische Bahn benutzt Gleis 8. Unterführung oder über die Gleise? Ich entscheide mich für den unterirdischen Weg. Lew ist aufmerksam. Meinen Blick bemerkt. Er blickt die Frau an, dann auf die Unterführung. Frau verschwindet die Treppe hinunter. Wir drei schlendern gemächlich auf den Rollstuhlgängigen Zugang zur Unterführung zu. Zeit gewinnen. Die Frau wird gut eine Minute brauchen um die Unterführung zu erkunden. Vielleicht knapp zwei. Zehn Meter vor der Rollstuhlrampe bleibe ich stehen. Blicke zum Gleis acht. Nach kurzer Zeit taucht die Frau auf. Kein Lächeln, kein Zwinkern. Nichts. Dann ist in der Unterführung auch nichts. Gut. Runter. Sergej bleibt noch oben stehen. Ich tauche ins Neonlicht der Unterführung. Höre hinter mir wie zwei Füsse hart auf dem Beton auftreffen. Lew zuckt zusammen. Hand an der Brust. An der Waffe. Sergej ist über die Brüstung gesprungen statt den Umweg wie jeder Andere zu machen. Weiter. Rauf auf das Perron. Bahnsteig, für Deutsche. Jetzt bloss nicht die Gedanken schweifen lassen. In den Zug. Schlecht besetzt. Angenehm. Sudokus lösen. Überlegen was mich beunruhigte. Immer noch beunruhigt.

Herrn Zimmermann kenne ich. Er kennt mich. Er steht im Rang über mir. Autoritätsproblem? Ja, habe ich. Er hat es auch. Das kann nicht der Grund für die Unruhe sein. Sankt Moritz kenne ich auch. Ich mag es nicht besonders. Was kann ich sagen? Ist halt einfach so. Aber man wird oft eingeladen, also sollte es einen auch nicht beunruhigen. Wann hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass etwas nicht stimmt? Scharf nachdenken. Es war ja nicht direkt ein schlechtes Gefühl. Ich habe mich einfach nicht entspannt. Im Tram. Als ich aus meiner Wohnung ging war ich relaxed. Ganz sicher. Irgendetwas muss mich auf dem Weg zum Tram aufgeregt haben. Wurde ich verfolgt? Könnte einer meiner Männer übergelaufen sein? War jemand unbekanntes am Steuer des schwarzen Dacia? Habe ich die Wohnung nicht geschlossen? Alles absurd. Ein Verfolger wäre längst im Krankenhaus. Und das auch nur wenn er geschickt gewesen wäre. Lew fackelt nicht lange. Also was ist so falsch heute?

Nach einer halben Stunde habe ich neunzehn Sudokus gelöst. Wesentlich wichtiger ist aber, dass ich jetzt weiss was los ist. "Lew, Nummer drei hat einen Reissnagel in der Schuhsohle. Extrahieren. Herbringen." Unverständnis. "Rufen Sie an. Jetzt." Er versteht immer noch nicht. Gibt den Befehl trotzdem durch. Wenige Minuten später geht die Frau zur Toilette. Als sie einige Abteile weiter ist, übergibt Lew mir den Reissnagel. Ich hätte den Gesichtsausdruck gerne genossen. Der Ernst der Lage vermiest mir den Spass leider. Erstaunlich dick. Die Frau verliess vor mir das Haus. Wenn jemand einige Reissnägel vor den Eingang legt, ist es wahrscheinlich, dass jemand aus meinem Umfeld rein tritt. Lew und Sergej können es nicht gewesen sein. Ich ging ja voraus und mir wäre das aufgefallen. Ganz sicher. Dieser Jemand muss also die überflüssigen Nägel nach dem Markieren der Frau wieder entfernt haben. Das ist der Einzige Ort, an dem sowas passieren konnte. Der Dacia aus der Tiefgarage ist vermutlich auch markiert. Ich werde ihn heute nicht brauchen. "Woher wissen Sie..." Ich gehe nicht auf seine Frage ein. Wie werde ich das Ding los? Es summt ganz leise. Eigentlich fühle ich es eher am Ansatz des Fingernagels am Zeigefinger als dass ich es hören könnte. Ein Sender. Jemand weiss wo wir alle sind. Sergej, Lew und ich sind sauber. Solche Dinger wären mir aufgefallen. Zudem fühle ich mich jetzt gut. Keine Ungereimtheiten mehr im Unterbewusstsein. Loswerden ist keine gute Idee. Jemand hat das Ding hergestellt. Ich werde es herausfinden. Mikrofon ist keines sichtbar. Heisst das etwas? Nein. Es gibt zwar physikalische Grenzen für die Miniaturisierung von Mikrofonen, aber ich habe selber einige Konzepte erarbeitet um diese lästigen Einschränkungen zu umgehen. Wenn jemand Geld darin investiert hat, wäre die Entwicklung möglich.
Alter Mann mit Sandwich. Ich danke Gott für die Schweizer Tradition. Kaum sitzt der Schweizer aus altem Schrot und Korn im Zug wird gegessen. Alufolie. Sandwichverpackung. Ich stehe auf. Drücke Lew wieder in seinen Sitz. Rüber zum Wanderer."Guten Morgen." "MHM" "Ich möchte gerne eine Taube aus Ihrer Alufoloie formen. Kindheitserinnerung. Darf ich?" "HMHM" "O Merci viel mal!" Alufolie zurück an meinen Platz nehmen. "Lew, Papiertaschentuch." Den Reissnagel/Sender einpacken. Alufoloie darum. Gut. Das sollte zukünftig gesendete Signale zurückhalten. Jemand wird sich jetzt ärgern. Taube formen. Macht spass. Obwohl ich als Künstler wohl verhungern würde. Ich entscheide mich den Vorfall einfach zu ignorieren. Bisher war ich sehr vorsichtig. Die Leute die mich mit dem Sender überwachen wollten haben gesehen, dass ich sogar die Unterführung gewählt habe. Daraus müssen sie schliessen, dass ich heute keinen Spass am Risiko habe. Ich müsste gemäss dieser Logik sofort aussteigen und ein anderes Verkehrsmittel wählen. Taxi vielleicht. Wenn die das aber vermuten, ist es für mich höchste Zeit meine Gewohnheit zu ändern und unvorsichtig zu werden. Ich bleibe im Zug. Stecke die Taube in die Hosentasche.

Zwanzig nach zehn. Sankt Moritz. Aussteigen. Über die Gleise zum altehrwürdigen Stationsgebäude. "Mein Freund, eine Jacke wäre keine schlechte Idee gewesen." Ich fasse mich schnell. Er hat nichts bemerkt. "Herr Zimmermann." "Herr Steiner." Wir geben uns die Hand. Kräftiger Händedruck. Sportlich, trotz seines Alters. Energiegeladen. Entschlossen. Kalte Hand. Tiefer Blutdruck. Falten um die Augen. "Es ist kalt und wir stehen auf den Gleisen. Vertrauen Sie mir soweit, dass sie in meinen Wagen steigen?" "Ja." "Haben Sie schon gegessen?" "Ja." "Wollen wir arbeiten?" "Ja." "Hatten Sie schon einmal einen Schlaganfall?" "Nein." Er versucht mich aus dem Konzept zu bringen. "Können Sie eigentlich auch sprechen?" "Ja." "Emily ist gestorben." "Ja." "Ich mag Torte." "Nein." "Losung?" "Gelbe Kuchen und schwarze Enten?" Schallendes Lachen. Herr Zimmermann hat hauptsächlich interesse an Uran, in Form von Uranhexafluorid Yellow Cake genannt. Manchmal hat er auch interesse an Öl. Daher die schwarzen Enten. Er nimmt mich bei der Schulter. Er ist jetzt sicher, dass ich wirklich ich bin. Sicherheit. Gewohnheit älterer Herren. Wir gehen weiter zum Stationsgebäude. Darüber thront majestätisch das Hotel Carlton. Die Perspektive ist nicht schlecht. "Wer sind Sie?" Kein Lachen mehr. Todernst. Er beantwortet meine Frage so wie ich seine indirekte Frage nach meiner Identität beantwortet habe. Mit einer Beschreibung von mir. "Sie bauen die Backöfen und Badewannen." Freches Grinsen. Ich ziehe den Taser aus der Hosentasche. Bewegung in einigen Passanten.

Sechs Passanten um genau zu sein. Mein Gehirn meldet sich. Ist ja nett. Sechs Hekler Koch. MP 7 A1. Alle sechs zielen auf mich. Meine drei Leute haben ihre B&T MP 9 gezogen. Ich sehe ein Massaker auf dem Sankt Moritzer Bahnhof.

Herr Zimmermann hebt den Arm. Ich hätte mich fast selber umgebarcht. Adrenalinschub. Seine Sicherheitsleute sind genauso aufmerksam wie meine. Eigentlich nicht erstaunlich. Er steht ja über mir. "Mein junger Freund, wir sind nicht alleine." "Ich weiss... Danke für mein Leben." Als ich den Taser aus der Hosentasche nahm hätte er genausogut annehmen können, dass ich ihn ausser Gefecht setzen will. Vielleicht habe ich ja eine halbe Armee jenseits des Inn. Vielleicht will ich ihn entführen. Er kann es nicht wissen. Trotzdem hat er den Arm gehoben. Seinen Leuten Einhalt geboten. "Hier. Das Spielzeug ist für Sie." Ich übergebe das gelbe Teil. "Ich werde es in Ihrer Gegenwart nicht brauchen." Er gibt den Taser an einen seiner Sicherheitsbeauftragten weiter.
 
Wir schlendern Gemächlich auf den Plazza de la Staziun. Das Intermezzo spielte sich zu schnell ab. Niemand wollte die Gewalt sehen. Niemand konnte viel sehen. Wer gesehen hat, realisiert nicht. Jedenfalls nicht schnell genug. Wer erwartet schon ein Beinahemassaker in einem Dorf wie Sankt Moritz? Porsche Panamera. Vier. Grau. Herr Zimmermann hat Stil. Als Zeichen meines Vertrauens steige ich auf den Beifahrersitz. Ohne Lew. Er wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich nicke. Herr Zimmermann setzt sich hinters Steuer. Offensichtlich eine Seltenheit. Ein Mann macht ein langes Gesicht. Offensichtlich sein Fahrer. Ich muss lachen. Herzhaft lachen. Verfluchtes Adrenalin. Der Konvoi fährt los. Extrem dicht. Zweimeterabstand. Rasant. "Broken arrow." Mir wird schlecht. Ich habe das innere Gleichgewicht ganz klar verloren. Vermutlich hätte ich mich auf den Geleisen erschiessen lassen sollen. Das wäre wesentlich angenehmer als das, was folgen wird wenn ich mich nicht jetzt gleich in den Griff bekomme. "Ja." Das ist alles was ich raus bringe.

Timeline des Vormittages ansehen. Fuss vom Joggen am Vorabend noch immer kaputt. Der Sender. Ein fast-Selbstmord. Und jetzt noch eine verlorene Atombombe, ein broken arrow. Und es bleiben noch anderthalb Stunden bis Mittag. Es könnte schlimmer sein. Könnte schlimmer sein. Wirklich. Wieso erzählt er mir von einer Atombombe? Das ist doch streng geheim. Ich habe gerüchteweise von den Verbindungen unserer Gruppe zu einigen Geheimdiensten gehört. Trotzdem sollte man eine solche Information nicht verbreiten. "Entschuldigen Sie Herr Steiner. Schlechter Scherz." Mein Verstand arbeitet immernoch fieberhaft an der Zurückgewinnung der Selbstkontrolle. Es dauert eine Sekunde bis ich lachen kann. Er hat mich verarscht. Es macht mir nichts aus. Bin ehrlich erleichtert. Für den Rest der Fahrt schweigen wir beide. Er will offensichtlich, dass wir gut miteinander auskommen. Ungewöhnlich. Normalerweise wird das Misstrauen gefördert. Ich verstehe meine eigene Welt im Moment nicht mehr. Wir biegen in die Einfahrt eines Chalets. Chalet. Keine treffende Bezeichnung für die Einrichtung. Festung trifft es eher. Ich beschliesse vorerst mit zu spielen obwohl ich nicht weiss wieso Herr Zimmermann so leutselig ist. In die Tiefgarage fahren. Vielleicht leidet er ja auch unter dem Adrenalinschub.

Wir verlassen die Fahrzeuge. Das Tor ist bereits zu. Gehen zum Lift. Wir beiden zuerst. Immer noch kein Wort. Erdgeschoss. Wir gehen direkt in sein Arbeitszimmer. Tür zu. Sonderbarer Raum. Keine Fenster. Kein Ton. Schalldicht. Licht von einem Kronleuchter. Fünf Lampen am Innenring. Zwölf am Aussenring. Kronstadt. Der Bund der Seeleute bei der russischen Revolution. Die schwarzweissen Quadrate der Freimaurer am Boden. Unser roter Teppich. Symbol für vergossenes Blut. Ähnlich wie die roten Kleidungsstücke die Kardinäle in Rom an ihre Kreuzzüge erinnern sollen. Rom... Rom... Der runde Tisch. Eine weitere Organisation in der Herr Zimmermann mitarbeitet. Löwenkopf an der Türinnenseite. Wappen des Grossherzogtums Luxemburg. Oder eine Anspielung auf König Richard Löwenherz. Habe mal etwas über Infantizide bei rivalisierenden Löwenrudeln gelesen. Jedenfalls ein düsteres Symbol. Obwohl ich es nicht verstehe. In dem Raum gibt es zahlreiche Symbole, die ich nicht verstehe. Vielleicht nicht einmal sehe. Kirschholz für die Bücherregale. Der Kirschbaum ist mit den Rosen verwandt. Beides sind Rosengewächse. Immer doppelte Bücherregale. Die mittlere Wand bildet zusammen mit den Etageren Kreuze. Rosenkreuzer. Sie sind nicht ausgestorben. Den echten Orden gibt es noch. Getarnt unter einer Unmenge von Fälschungen. Zimmermann ist dabei. Wen wundert es? Ein einziges Bild. Bilderberg. Drei Sessel... Lilienförmiges silbernes Ornament auf einem Büchergestell...
Kravatte weg. Ok ungewöhnlich. Ich behalte meine an. Absitzen. Zigarette. Bietet mir auch eine an. Perfekt zur Beruhigung. Nehme mit einem Kopfnicken an. Feuer. "Ich heisse Karl." "Ich weiss." Darauf will ich mich nicht einlassen. Er ist nicht beleidigt. "Sie sind ein kaltschnäuziger, steifärschiger, berechnender, gefühlskalter Mann." Spricht jedes Wort mit Bedacht. Ohne Verachtung. "Ich hätte mir fast in die Hose geschissen und Sie haben einfach über den Zwischenfall gelacht. Haben Sie die ganze Sache absichtlich getan um mich zu testen?" Ich begreife. Dass ich seit sechs Jahren überlebt habe heisst für ihn offenbar, dass ich alles im Griff habe. Lassen wir ihm doch den Glauben. Er musste sich nicht von unten hoch arbeiten. Er weiss nicht wie viel Glück es braucht. Nur mit Disziplin schafft man es nicht. Zumindest kenne ich niemanden der es geschafft hat. Die Art von Glück, die ich vorhin gerade hatte als er schnell genug den Arm hob. Zufall eigentlich. Etwas später und ich wäre ein Sieb geworden. Purer Zufall.

Ich schweige. Er fährt fort. "Habe ich bestanden?" "Wäre ich sonst mit Ihnen in denselben Wagen gestiegen?" Ich lasse ihm keine Zeit zum Antworten. "Was wollen Sie Herr Zimmermann?" "Wie laufen die Geschäfte?" "Die Gegner kommen und gehen. Wie meine Wodkas." Ich habe nicht zu lange gezögert. "Wollen wir darauf anstossen?" "Ja." Jetzt würde der gefährliche Teil des Treffens beginnen. Verhandeln kann der Mann. Das weiss ich. Hier würde er keinen Fehler meinerseits übersehen. Zudem sinkt der Adrenalinspiegel. Bei mir zum Glück schneller als bei ihm. Er klingelt nach seinem Diener. Verlangt zwei Wodka. Ich will die Flasche. Wir warten beide in Totenstille bis der Diener sichtlich unbehaglich die Gläser, das Eis und die Flasche abstellt. Verlässt hastig den Raum. Fluchtartig. Tür zu.

Ich schütte zwei Eiswürfel in das Glas meines Gesprächspartners. Keinen in mein Glas. Er scheint zufrieden. Die kleine Geste zeigt ihm, dass ich nichts von ihm erwarte und er alles von mir verlangen darf. Ich würde ihn auf keinen Fall verraten. Ein Versprechen. Fülle beide Gläser. Warten. Bis er sein Glas aufnimmt. Ein weiteres Zeichen, dass ich ihm die Führung überlasse. Er wartet lange. Tiefblaue Augen. Fast schwarz. Keiner weicht dem Blick des Anderen aus. Undurchsichtig. Ich unterdrücke das natürliche Scanningmuster des Auges. Fixiere einen Punkt etwas unterhalb von seinem Auge. So bewegen sich meine Pupillen nicht. Ich verrate nichts. Er tut dasselbe. Eine Konzentrationsübung. Wie wird er unsere Blicke voneinander lösen. Dieser kurze Augenblick wird mir viele Informationen über ihn preisgeben. Falls ich nicht vorher die Konzentration verliere. Nach zwei Minuten nehmen seine Augen das Scannen meines Gesichtes wieder auf. Die üblichen drei Punkte. Blick direkt in die Augen. Gefühlslos. Tote Augen. Scharfer, analytischer und methodischer Verstand. Er ist neugierig. Und er ist ungeduldig. Das Geschäft, das er mit mir diskutieren will, ist dringend. Er blinzelt häufig. Stress. Misstrauen. Das ist meine Welt. Die Maske der Leutseligkeit sollte also nur seine Unsicherheit verbergen. Er war mit der Situation am Bahnhof genauso überfordert wie ich. Wir haben uns effektiv für einen Moment im wilden Wald der Spiegel verirrt. Jetzt sehe ich den Weg wieder. Ich kenne das Spiel. Ich werde den Tag überleben. Ich werde sogar ein Geschäft übernehmen!

Das Geschäft ist nicht nur dringend. Es soll einen vorher gemachten Fehler beheben. Woher weiss ich das? Seine Schultern. Sie sind nicht stolz straff gezogen. Hängen sogar etwas herab. Leicht abgedreht. Ohne Kravatte fällt das alles nicht so auf. Er muss seine Körpersprache vorhergesehen haben. Daher hat er die Kravatte abgelegt. Dann bietet er mir das Du an damit ich denke er wolle salopp erscheinen. Damit ich den Fehler nicht erkenne. Raffiniert. Wenn er seine Körpersprache vorhergesehen hat, warum hat er dann nichts dagegen unternommen? Gibt nur einen Grund: Die Scham über den Fehler ist so gross, dass er sich nicht ganz im Griff haben kann. Bei vielen Menschen tritt so ein Zustand nach einem Schock, einer Vergewaltigung, einem Konkurs, einer Scheidung, Totgeburt oder Ähnlichem auf. Was war wohl sein Fehler?
"Broken arrow." Er lässt die beiden Worte auf mich wirken. Jetzt erschrecken sie mich nicht mehr. Es muss der Name des Geschäftes sein. "Ich muss einen Konflikt austragen." Dafür hat er mich nicht geholt. Ich erwidere: "Dann wären Söldner eine gute Idee." "Söldner kosten Geld." "Ja." "Ich will Kokain aus Nordkorea ausführen. So kann ich die Operation finanzieren." Das ist nicht gut. Eine verlorene Atombombe wäre mir lieber gewesen. "Eine Tonne pro Woche. Ein Trip. Ich habe bereits mit Kim gesprochen" Kim der Diktator? Kim ist zwar ein verbreiteter Name, aber wenn Herr Zimmermann Geld organisieren will, wird er sicher mit grosse Kelle anrichten. Politik und Drogen. Gefällt mir noch weniger. Aber ich habe ja das stille Versprechen gegeben. Ich muss mindestens zuhören. "Sagen Sie etwas!" Das Embargo. Die Uno hat ein Auge auf die koreanische Diktatur. Macht alles einfacher. Nein nicht wirklich. "Gut. Ich werde ein System entwickeln." Es reizt mich. Eine technische Herausforderung. Sowas kann man nicht ablehnen. Nicht ich. "Wohin?" "USA" "Also nur über den Ozean. Gut." Wir geben uns die Hand. Abgemacht. Geld wird zur Verfügung stehen. Wie immer.

Wüsste zu gerne wo der Krieg stattfinden wird. Eine Tonne pro Woche gibt schon einen ganz beachtlichen Berg Geld. Ein Geldberg. Was gehört wohl sonst noch zu broken arrow? Wieso will meine Gruppe einen Krieg führen. Und was muss dabei auf dem Spiel stehen? Soll ich ihm von Rom erzählen? Nein. Ich will raus hier. Die stockende Diskussion hat etwa eine Viertelstunde beansprucht. Und eine viertelmillion Nerven. "Meine Ressourcen stehen zu Ihrer Verfügung." Das ist eine Überraschung. "Danke." "Bugged?" "Nein" "Wissen Sie, was ich mit Ihnen anstelle, wenn sie mich gerade eben angelogen haben?" "Nein." "Ich werde Ihnen eine Nadel aus gefrohrenem Kohlendioxid in den Hals schiessen lassen. Die Nadel löst sich beim Aufprall auf. Der Inhalt der Nadel gelangt in Ihre Blutbahn. Wissen sie was für eine Substanz darin ist?" "Nein" "Gift des Stechapfels. Konzentriert. 20 Milligramm werden Sie töten. Ersticken." "Spassig. Ich bin mächtiger als Sie." "Auch sie können nicht immer auf der Hut sein. Sie werden die Nadel nicht mal spüren. Wieso? Machen Sie sich sorgen?" "Meine Ressourcen werden nicht überwacht. Nicht von mir jedenfalls." Ernsthafte Besorgnis. Er ist ehrlich. "Schlüsselkarte?" "Hier."

Jets, Boote, Autos, Lastwagen, Häuser, Menschen, Tiere... Keine Ahnung was sonst noch dazu gehört. Die Karte ist eigentlich eher ein ultra flaches Smartphone. Sie zeigt den Standort der Ressourcen. Sie sendet auch ein Signal, das zum Beispiel die Zentralverriegelung des Autos öffnet. Nachteil dieses zentralisierten Passepartout: Ich muss auf Herr Zimmermann's Wort vertrauen. Hoffen, dass er nicht genau verfolgt welche Ressourcen ich verwende. Ich fühle mich wie Gott.

"Wiedersehen." Ich stehe auf. Unanständig. Er hätte vorher aufstehen müssen. Er geht zur Tür des Arbeitszimmer. Öffnet sie. "Wiedersehen Herr Steiner. Melden Sie sich sobald Sie fertig sind." Erneutes Händeschütteln. Der Diener bringt mich zum Eingang. Meine Leute warten bereits im Eingang. Raus. Wir gehen die Einfahrt hinunter zum Tor. Die Wachen lassen uns sofort passieren. Von aussen habe ich sie gar nicht bemerkt. Raus. Ich will etwas laufen. Strasse Richtung Sankt Moritz entlang. Ich werde jetzt zum Drogenkurrier. Beihelfer jedenfalls. Und ich muss das Problem in Rom lösen. Zurück nach Zürich, aber schnell. "Lew. Rufen Sie ein Taxi. Ein grosses." Ich laufe noch etwas weiter.
Die Strasse führt durch einen Lärchenwald. Der Duft ist einzigartig. Die Bäume sind schon gefärbt. Herbst. Das Taxi kommt. Alle rein. "Segantini Museum" "Geschlossen" "Trotzdem" Ich überlasse Lew den Smalltalk. Wir kommen gut voran. Nach zehn Minuten steht das Taxi vor dem Museum. Aussteigen. Mietwagen. Sergej, die Frau und ich warten. Lew Bezahlt das Taxi. Holt einen Mietwagen. Mercedes E Klassse. Limousine. Der Dacia wird auf eine Rundfahrt nach Österreich geschickt. Wenn ich recht habe, wird der Inhaber des Peilsenders viel spass an meinem Humor haben. Er wird denken, ich sei auf dem Weg, dabei bin ich bereits längst wieder am Arbeiten.

Sergej fährt. Die Frau auf den Beifahrersitz. Lew zu mir in den Fond. Die Diskussion hat mich erschöpft. Seelisch. Schlaf nachholen. Ich bin in Volgograd. Früher Stalingrad. Vor meiner Zeit. Auf der Flucht. Kleiner Aussendienstmann auf der Flucht. Ich hatte gerade eben irgendwelche unwichtigen Dokumente gestohlen. Zementherstellung glaube ich. Ja Zementherstellung bei sibirischen Wintertemperaturen. Der Entwickler war ziemlich sauer. Hetzt mir paar von seinen Bauarbeitern nach. Arme Schweine. Vor fünf Jahren. In etwa. In der Eletskaya Strasse renne ich in eine Hütte. Noch im Bau. Schon bewohnt. Zu spät. Strassenkinder. "????????!" Verschwindet! Keine Reaktion. Die Kinder haben Lösungsmittel geschnüffelt. Sehr verbreitet. Der Erste Bauarbeiter. Nacken wie ein Stier. Pulsierende Adern am Hals. Den Kopf angreiffen macht keinen Sinn. Schlag an den Kehlkopf. Würgen. Moment abwarten wo die Nackenmuskulatur voll gespannt ist. Ausholen. Zuschlagen. Auf die Schläfe. Muskulatur entspannt sich wieder. Der Schlag trifft genau jetzt. Kopf macht eine heftige Seitwärtsbewegung. Gehirn muss an den Schädel geprallt sein. KO. Bevor er zu Boden geht noch einen Tritt in die Seite. Er fällt jetzt seitwärts. Von der Tür aus nicht zu sehen. Gut. Ich sehe wie die anderen beiden die Strasse weiter rennen. Sie haben nicht gesehen wo ich mich verstecke. Sie haben auch den Sichtkontakt zum Bewusstlosen verloren. Sicherheit. Von einem Nachbar kaufe ich ein Auto. Russisches Meisterwerk. Packe auch die Gruppe Strassenjungen ein. Alle plus minus in meinem Alter. Sechzehn bis Zwanzig. Die werden in einer israelischen Kampfsportschule ausgebildet. Artjom, Lew, Sergej. Zu viert in der Klepperkiste ans Azowsche Meer. Nach Taganrog. Stadt in der Nähe der ukrainischen Grenze. Dort steht ein Boot das mich zurück nach Europa bringen kann. Ich wache auf. Mein Telefon.

Jo. Die Sekretärin. "Reinhard erzaehlt Maerchen." Das Muster. Die abgeglichenen Datenbanken. Erfolg. "Doktor Reinhard arbeitet zur Zeit in Rom. Berater der Regierung in Sicherheitsfragen. Lobbyist für einige Rohstoffkonzerne. Banken sind auch im Protfolio. Bericht liegt auf dem Esstisch." "Gut. Danke." Artjom anrufen. "Hallo" Wieder die beruhigend professionelle Stimme. Lange her seit den Stalingrader Tagen. "Artjom. Schwerpunkt in Rom: Herr Dr. Josef Reinhard. Wiederhole: Dr. Josef Reinhard" "Reinhard." Click. Sollte der Mann jetzt ein falsches Wort sagen, wird er den Satz nicht beenden. Mittag. Noch zwei Stunden bis Zürich. "Lasst uns am Walensee was essen." Sergej nickt.

In Murg parkieren. "Lassen Sie die Zeitungen im Wagen Lew." Zum Landesteg. Mein Lieblingsrestaurant am See ist in Quinten. Autofreies Dorf. Am besten per Schiff zu erreichen. Fahrplan vom Kursschiff anschauen. Müsste ewig warten. Ich mag heute nicht warten. Zudem rennt mir die Zeit davon. Ich müsste arbeiten. In dem Dorf vorher habe ich doch Segelschiffe gesehen. "Lew. Holen Sie im nächsten Dorf Richtung meiner Hand ein Segelboot. Ich habe dort eine Segelschule gesehen." "Kommen Sie mit?" Habe ich mich gerade verhört? Er hat sich noch nie meiner Anordnung widersetzt. "Ich kann nämlich nicht segeln." Ich muss lachen. "Ich auch nicht. Aber Schwimmen können Sie?" "Ja." "Dann kann uns ja nichts passieren. Ausser es gibt Haifische im Walensee. Zehntausend für den Ersten am Hafen." Ich weiss, dass ich nicht gewinnen werde. Ich bin eher der Ausdauersportler.
Lew voraus. Sergej und ich gleichauf. Mein dritter Mann, also die Frau, wird durch ihren Rock behindert. Fällt zurück. Der Weg verläuft zwischen dem See und einer Eisenbahnstrecke. Gleich dahinter die Autobahn. Ab und zu eine Unterführung von rechts. Nach etwa zwei Kilometer kann ich Lew nicht mehr sehen. Der Weg macht zu viele Biegungen.

Tot. Tiefe Grube unter dem Ohrläppchen. Da wo der Schädel aufhört und der Kiefer beginnt. Meisterhafte Arbeit. Der Hirnstamm wird am Rückgrat zerquetscht. Augenblicklicher Tod. Ich bücke mich über die Leiche. Nehme seine MP9 an mich. Geld, meine Brieftasche, seine Brieftasche. Suche schnell nach Ladestreifen. 16. "Sergej. Drei Munition." Zur Sicherheit, falls Lew's manipuliert wurde. Neunzehn Ladestreifen. "Werfen Sie ihn ins Wasser." Ich ziehe den Blazer aus. Krawatte ebenso. Beides Sergej geben. Schuhe enger binden. "Geben Sie mir ein Messer." Doppelter Knoten in die Schnürsenkel. Messer in die Socke stecken. Ladestreifen durch die Halsöffnung in mein Hemd stopfen. MP9 um den Hals. Ins Wasser. "Sergej. Geben Sie mir 10 Minuten Deckung. Dann verschwinden Sie."

Das Wasser ist kalt. Schlechte Jahreszeit zum Schwimmen. Ich drücke Lew unter Wasser. Was soll ich tun? Mit einer Leiche neben sich schwimmen sieht einfach verdächtig aus. 200 Meter vom Ufer entfernt greife ich nach dem Messer. Zweimal in die Lungenflügel stechen. Lew fest an mich drücken. Die Luft entweicht aus seiner Lunge. Er wird schwer. Wird untergehen. Nicht mehr auffindbar. Niemand wird ihn vermissen. Trotzdem schade. Ich lasse los. Stecke mein Messer wieder in die Socke. Schwimme quer über den See. Brauche erstaunlich lange. Am Ufer. Vermutlich etwas östlich von Quinten. Dann wäre das der Florxenwald. 800 Meter östlich von Quinten ist ein V-Tal. Ich sah es vom anderen Ufer aus. Es hat heute nicht geregnet, also sollte es passierbar sein. Ich muss bis an die Waldgrenze hoch. Dann immer nach Westen. Vielleicht zwei Kilometer. Dann kommt eine steile Felswand. Ich könnte unter ihr zwar noch weiter gehen. Richtung Ostende des Walensees. Bin aber der Meinung, dass der Weg über die Berge sicherer ist. Niemand kann mich dort verfolgen. Und niemand wird mich hinter dem Massiv finden können. Am Ende des Sees wäre das viel einfacher.

Gedacht, getan. Ich nehme das Messer aus der Socke. Verletzungsgefahr beim Laufen und Klettern. Stecke es stattdessen zwischen Gürtel und Hose. Schuhe wieder etwas weniger eng binden. Blut fliesst wieder. Überquere den Wanderweg. Rein in den Wald. Nach Osten. V-Tal suchen. Nach einigen Minuten habe ich es gefunden. Es muss das sein. Viel steiler als ich gedacht habe. Egal. Hoch. Am Anfang geht es noch. Schon nach zehn Minuten muss ich mich an allem Möglichen festhalten. Meine Lunge brennt. Der verdrehte Fuss hilft mir auch nicht. Nach zwei Stunden erreiche ich die Waldgrenze. Stehe direkt vor einem gigantischen Geröllhaufen/Berg. Drehe mich um. Das Panorama ist umwerfend. Horchen. Nichts. Kein Mensch in der Nähe. Drehe mich nach Westen. Der Leistkamm. Glaube ich. Dort werde ich die Bergflanke erklimmen. Wieder hinunter. 20 Meter in den lichten Wald. Nur zur Sicherheit.
Ich sehe die Felswand. Eine spitze Nase die aus dem Berg ragt. Am Ansatz: mein Fluchtweg. Finde jetzt keine Baumgruppen mehr. Trage blaue Hose und weisses Hemd. Perfekte Tarnfarben. Egal. Ich muss über den Berg und ausser Sichtweite meiner Gegner. Wenn sie noch nicht bemerkt haben, dass ich über die Berge will, dann könnte mein Plan noch aufgehen. Als ich die Aussicht genossen habe war jedenfalls keine Bewegung an meinem Ufer verdächtig. Überall Geröll. Meine Hände sind schon nach einigen Metern blutig. Knie zerschlagen. Bergtour in Strassenanzug und Lederschuhen. Vor dem Grat lege ich mich auf den Bauch. Nichts ist auffälliger als ein Mann am Horizont. Hängt mit unseren ältesten Instinkten zusammen. Krieche über den höchsten Punkt. Auf der anderen Seite ist ein schmaler Streifen Gras. Naja Grünzeug jedenfalls. Weiter. Nach fünf Meter stehe ich wieder auf. Falle gleich wieder hin. Dummer Fuss. Aufstehen. Diesmal vorsichtiger.

Eineinhalb Kilometer talwärts sehe ich die erste Hütte. Zu dieser Jahreszeit wird niemand dort sein. Ich sehe sogar einen Weg von der Hütte weg. Gut. Auf geht’s. Besser Ab geht’s. Richtung Nordosten. Kurz darauf bin ich bei der Hütte. Verschlossen. Die Bauern werden modern. Kurze Salve in das Schloss. Mit der Schulter eindrücken. Zuerst in die Küche. Konserven. Ich nehme eine Dose mit. Man kann ja nicht wissen was noch passiert. Auch ins Hemd. Es scheppert. Nicht gut. Rucksack suchen. Keiner da. Ein Jutesack aus der Scheune wird’s tun. Neue Hose und neues Hemd aus dem Schrank im Schlafzimmer holen. Jeans und Holzfällerhemd. Nicht sehr Stilvoll. Beim Anziehen schabt der Stoff über meine frischen Wunden. Wohnteil verlassen. Stall ansehen. Nichts Brauchbares. Ums Gebäude gehen. Auf einem Tisch sehe ich meinen Jutesack. Um die nächste Ecke etwas Brennholz. Nehme einige Scheite und staple sie vor der zerschossenen Eingangstür auf. So geht die Dür nicht mehr auf. Ich brauche noch einen fahrbaren Untersatz. Unter dem Dach sehe ich ein Fahrrad. Die Reste davon. Keine Kette. Keine Reifen, nur Felgen. Kein Sattel. Egal. Das Ding ist mit einem Seil unters Dach gehievt worden. Das andere Ende ist an einem Ring in der Wand verknotet. Lasse es herunter. Steinzeitlich. Ein Gummiklotz der auf den nicht existierenden Reifen drückt, war einmal die Bremse. Wird bestimmt lustig. Suche etwas Klebeband. Umwickle die Felgen damit. Nur um etwas weniger aufzufallen. Macht weniger Krach. Packe meine Ladestreifen, die MP9 und die Konservendose in den Jutesack. Aufs altersschwache Fahrrad. Fort hier. Weg hinunter brettern. Viel zu schnell. Macht Spass.

Die Fahrt dauert nur einige Minuten. Herrlich. Im Alter von viereinhalb Monaten hat der menschliche Fötus einen Reptilienschwanz. Überbleibsel der Evolution. Vermutlich habe ich deshalb Spass. Obwohl ich vor einigen Stunden erst eine Leiche eigenhändig versenkt habe. Obwohl meine beiden anderen Sicherheitsleute sehr wahrscheinlich tot sind. Wer weiss, vielleicht ist sogar der Vierte, der Fahrer des Dacia umgebracht worden. An der ersten Bushaltestelle bremse ich. Nicht ganz einfach. Bremsweg wie ein Öltanker. Will nach Buchs. Ist am nächsten. In zehn Minuten fährt der nächste Bus. Nummer 790. Mindestens gemäss aufgehängtem Fahrplan.

Im Bus beobachte ich die Menschen. Mit meinem unrasierten Gesicht, dem groben Hemd und Jeans sehe ich sicher etwas speziell aus. Verwegen. Der Jutesack mit Maschinenpistole, 19 Magazinen und Konservendose ist dagegen geradezu unscheinbar. Die Mitfahrenden sind grösstenteils mit sich selber beschäftigt. Kein Problem. Ich bin nur ein weiterer Tourist mit übertrieben artisanalem Flair.
 
Buchs. 40 Minuten später. Ich nehme ein Taxi. Nach Sargans. Vorerst. Muss nachdenken. Kann in das alte Bunkersystem einbrechen. Dort wäre ich erst mal sicher. Guter Plan. "Gibt es hier ein Coop?" "Ja. Brauchen Sie etwas?" "Ja. Fahren Sie mich bitte dorthin." In einigen Minuten stehe ich auf dem Parkplatz. Habe dem Fahrer 200 Franken gegeben. Viel zu viel. Dafür hat er versprochen jetzt gleich Feierabend zu machen. In den Laden. Wodka. Orangensaft. Brot. Taschenlampe. Gilette Rasierer. Cooptasche. Zahlen. Raus. Ich orientiere mich. Die Sankt Gallerstrasse führt nach Norden. Wieder laufen. Die Strasse macht einen Knick nach Osten. Gehe weiter auf einem Seitenweg. Richtung Norden. Serpentinen hinauf. Prodweg. Die Strecke zieht sich. Eine Blase platzt. Super! Erzweg. Enge Kurve. Ich gehe in den Wald. Immer Richtung Norden. Streifen ohne Bäume. Die alten Schweizer haben damals den Bunker zu nahe an die Erdoberfläche gebaut. Daher wachsen hier keine Bäume. Jetzt muss ich nach Ost Nordost. Achtzig Meter. Kleines Haus. Darin ist eine Kanone versteckt. Sollte jemand durch das Rheintal angreifen, würde diese Kanone mit unzähligen anderen den Zugang sperren. Das ganze Haus ist drehbar. Ich schlüpfe zwischen Boden und Wand hinein. Da ist sie. Öffne die gepanzerte Luke. Kein Licht. Gut. Stehe auf die Zehenspitzen. Verfluchter Fuss. Zähne zusammenbeissen. Einatmen. Taste den Balken ab. Da ist es. Enos. Modifiziert natürlich. Ein Satelliten-Suchsystem. Ein Sender jedenfalls. Ich stopfe den Zylinder in die Cooptasche. Lasse das ganze durch die offene Luke. Klettere hinterher. Unten suche ich in der Tasche die Lampe. Anschalten. Hochklettern. Luke Dicht.

Nehme die Tasche auf. Die Schiessstellung ist durch eine lange, steile und schmale Treppe mit dem Hauptbunker verbunden. Runter. Ein grösserer Stollen. Weiter gehen. Irgendwann muss ich Mannschaftsräume finden. Die Leuchtziffern meiner Uhr zeigen, dass eine Viertelstunde vergangen ist. Waschraum. Probeweise Wasser raus lassen. Klar. Also vermutlich sauber. Lege die Lampe ins Waschbecken. Hände waschen. Schuhe ausziehen. Messer in den Coopsack. Hose auch. Socken weg. Wüste Blasen. Manche blutend. Nicht erstaunlich. Nur ein paar tiefere Schnitte an den Knien. Alles auswaschen. Steinsplitter mit den Fingern entfernen. Schuhe ausschütteln. Socken waschen. Über den Beckenrand zum trocknen. Rasieren. Trocken halt. Auf den Boden sitzen. Orangensaft trinken, Brot essen. So jetzt kann ich nachdenken. Wer bringt meine Leibwächter um? Wer kann Lew so präzise töten? Er hatte vielleicht zehn Sekunden Vorsprung. In den zehn Sekunden muss der Mörder den Hirnstamm zerdrückt und sich wieder versteckt haben. Ist meine Wohnung in Zürich noch ein sicherer Ort? Reinhard erzaehlt Maerchen. Das hatte Jo am Telefon gesagt. Das ist also die Lösung des Musters in der Pizzabotschaft. Hat Reinhard es auf mich abgesehen? Werde ich sehen. Wenn sein Schatten noch lebt, dann weiss Reinhard nicht, dass er beschattet wird. Leute wie ich sind im Versteck nichts Wert. Ich muss nach Zürich. Dann vielleicht weiter. Wie will ich nach Zürich? Und wann? Soll ich über Enos einen Hilferuf absetzen. Steckt Herr Zimmermann hinter dem Scheiss? Falls er dahinter steckt, würde mein Hilferuf zum ultimativen Fehler. Der Bunker zur tödlichen Falle.

Entscheide: Werde selber nach Hause gehen. Herr Zimmermann vertrauen. Das Drogenschmuggel Dings entwickeln. Warten bis die Mörder einen Fehler machen. Die Sache in Rom sich auch entwickeln lassen. Jetzt will ich etwas schlafen. Der Boden ist ja nicht gerade Luxus. Ich bin sicher nicht der einzige Millionär, der heute auf kalten Fliesen übernachtet. MP9 aus dem Jutesack holen. Sack wird mein Kopfkissen.
Ich bin ausgeruht. Nehme die Konservendose aus dem Jutesack. Messer aus dem Coopbeutel. Dose öffnen. Erbsen mit Karotten. Naja. Trinke den Saft. Esse aus. Keine Gaumenfreude. Wodkaflasche. Grosser Schluck. Socken mit Wodka tränken. Anziehen. Brennt. Desinfiziert. Hose anziehen. Hemd reinstopfen. Messer in den Gürtel. Rest Wodka über die zerschnittenen Hände. Taschenlampe nehmen. Abfall in die Gooptasche. Waffe in Jutesack. Oben drauf. Schuhe anziehen. Raus hier. Denselben Weg wie ich gekommen bin.

Luke auf. Enoszylinder wieder an seinen Platz legen. Luke zu. Südwärts und hinunter ins Tal. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Der Erzweg. In einer Viertelstunde bin ich beim Coop. Bahnhofstrasse. Tönt gut. Schwenke nach links und folge ihr. Finde einen dösenden Taxifahrer. Wecken. "Dreitausend wenn Sie mich nach Zürich bringen." Dummer Blick. Scheint nicht so der Morgenmensch zu sein. Ich wiederhole mein Angebot. Zögern. Zähle 15 Scheine ab. Werfe das Bündel aufs Armaturenbrett. "Gerne!" Ich bin eingestiegen bevor er aussteigen kann. "Hatten Sie eine Party?" "Sowas ähnliches." "Man riecht es." Der Wodka aus meinen Socken. "Entschuldigen Sie. Fahren Sie einfach anständig damit uns die Polizei nicht anhält." Lachen.

Fahrt verläuft ruhig. Wir unterhalten uns über unwichtiges. Er ist gut informiert. Hat keine Familie. Merke mir seinen Namen und die Autonummer. Vielleicht wird er einmal ein neuer Mitarbeiter. Steige am Bahnhof Zürich aus. "Danke mein Freund." "Gern geschehen!" Er ist zufrieden. Fünf Uhr morgens. Tag wartet auf mich. Steige ins Tram und fahre nach Hause. In die Tiefgarage. Kein schwarzer Dacia. Keine Mercedes E Klasse. Also sind die Frau und Sergej auch Vergangenheit. Der Daciafahrer wohl auch. Er könnte sich aber auch verfahren haben. Unwahrscheinlich. Rauf in die Wohnung. Wenn Artjom sich gegen mich gewandt hat, werde ich in wenigen Sekunden eine Bombe auslösen. Sobald ich die Tür öffne. Ich glaube nicht daran. Er verdankt mir zu viel. Verdränge den Gedanken. Schlüssel rein. Drehen. Tür auf. Zuhause. OK. Artjom anrufen. "Hallo." "Morgen Artjom. Kommen Sie bitte. Ich will reden." "Ja Herr Steiner."

Ein Russe wie er im Buch steht. Er klopft nicht an. Er weiss, dass er willkommen ist. Muskelbepackt. Hartes Gesicht. Gross. Trotz Mangelernährung in der Jugend. "Herr Steiner." "Artjom. Setzen wir uns." Er wartet bis ich anfange zu sprechen. Ich hole eine Flasche Armagnac. Schlage den Zapfen mit dem Messer ab. Lege das Messer auf den Tisch. Kork herausziehen. Sauberer Schnitt. Ich habe Übung. Artjom schluckt. Armagnac ist die älteste Spirituose Frankreichs. Gab auch einen Krieg zwischen Armagnaken und Burgundern. Ein Bürgerkrieg. Extrem blutig. Die Armagnaken trugen weisse Armbinden. Das heutige Wort "Banden" leitet sich von den "bandes blanches des Armagnacs" ab. Blutiges Kapitel in der Geschichte Frankreichs. Ein Ritual in unserer Gruppe. Armagnac gibt es für die Toten. "Auf Alle." "Wirklich?" "Leider." Ich nehme den ersten Schluck. Gebe ihm die Flasche. "Auf die Alten." Nimmt seinen ersten Schluck und fügt an: "Auf die Neuen." "Ich habe mich gefragt ob ich Ihnen noch vertrauen darf." "Und?" "Wir trinken gemeinsam." "Die Neuen?" "Werden von Ihnen ausgebildet." "Werde das nicht alleine schaffen." "Nehmen Sie sich wen Sie wollen." "Zeit?" "Gestern." "Wo?" "Walensee." "Müssen wir aufräumen?" Was ich mit Lew getan habe, braucht er nicht zu wissen. "Zu spät. Es hatte doch niemand ausser Lew Dokumente auf sich?" "Nein." "Gut. Wie immer." "Wer waren die Schweine?" Keine Ahnung. Das werde ich ihm aber nicht sagen. Ich schweige. Er versteht. Wir trinken. "Wollen Sie die Neuen in der Schweiz ausbilden?" "Ja" "Gut. Ich möchte Sie in meiner Nähe haben." "Klar."

 
Stehe auf. Gehe zum Klavier. Liszt Totentanz (http://www.youtube.com/watch?v=zGBXA1tBiLw). Das Lied für die Toten. Teil des Rituals. Artjom zündet sich eine Zigarette an. Ich fange an. Kenne die Noten auswendig. Zu oft gespielt. Seltsame Welt. Meine Welt. Ein Ort, wo die Toten nicht begraben werden können. Wo Freundschaft mehr zählt als Geld. Trotzdem wertlos ist weil niemand dem Anderen voll vertraut. Vertrauen kann. Vertrauen darf. Ein Ort wo nur Rituale wie dieses den Menschen vom Tier unterscheiden. Nach fünfzehn Minuten sind die Tasten voller Blut. Die dünnen Krusten über den Schnitten an meinen Händen haben es nicht überstanden. Egal. Anna wird Morgen das Klavier putzen. Artjom gibt mir den Armagnac. Gehöriger Schluck. "Was ist in Rom los?" "Ein Schwein könnte seine Ferkel zerdrücken." "Verstehe ich nicht." "Reinhard macht uns platt." "Aha" Er überlässt mir das Problem. Wir trinken die Flasche schweigend aus. Ich stehe auf. Er auch. "Artjom." "Herr Steiner."

Der Sender. Meine Alufolientaube. Begleite Artjom hinaus. Schliesse die Tür. Schuhe ausziehen. Vertrocknetes Blut. Versuche gar nicht erst die Hausschuhe an zu ziehen. Ins Arbeitszimmer. Taube auf den Tisch. Ins Bad. Ausziehen. Duschen. Schnitte reinigen. Gründlich. Die letzten Steinspitter mit Pincette entfernen. Werde in ein paar Tagen wieder in Ordnung sein. In die Küche. Auf dem Weg hinterlasse ich blutige Abdrücke. Man geht einfach nicht mit solchen Schuhen auf eine Bergtour. Zwei Küchentücher aus der Kombination nehmen. Zurück ins Bad. Anna wird mich wegen den Blutflecken auf dem Teppich umbringen
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GerLINDE Es liest sich schön. Ein wenig habe ich mich jetzt eingelesen, bis zur Haltestelle ..."Fotos schießen". Interessant fand ich auch das mit dem Messer im Ärmel...
Später komme ich zum Weiterlesen wieder.
5 Sterne sind Dir sicher!

Lieben Gruß
GerLinde
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