Ina fährt Straßenbahn
Feierabendverkehr. Gedränge am Bahnsteig. Menschen steigen aus, Menschen steigen ein. Es bleibt nicht aus, dass sie sich anrempeln. Die Straßenbahn setzt sich in Bewegung. „Nächster Halt, Breiter Weg“, spricht eine freundliche Frauenstimme aus den Lautsprechern.
Vielen sieht man an, der Tag war stressig. Der ältere Herr gähnt, der Student reibt sich die Augen während er eine SMS schreibt, andere dösen oder schauen stumm in die Gegend.
Doch Ina, schätzungsweise vier Jahre alt, interessiert das nicht. Sie ist gut
gelaunt, hockt auf dem Sitz, schaut aus dem Fenster und staunt über die Welt die an ihr vorüberzieht. Sie trägt eine rosa Bommelmütze, eine blaue Jeanshose und einen schwarzen Anorak auf dessen Rückseite die „Hello Kitty“ Katze gestickt ist.
Die Bahn hält an. Die Türen öffnen sich. Menschen steigen aus, Menschen steigen ein. „Nächster Halt, Alter Markt“.
„Setzt dich richtig hin!“, wird Ina von ihrer Mutter ermahnt. Sie sitzt ihr gegenüber. Ihre Haare sind streng nach hinten zu einem Zopf gebunden. Zwischen ihren Füßen steht der Einkauf, verpackt in einer rot-weißen Plastiktüte von REWE. Die Hände hat sie tief in
die Taschen ihrer braunen Jacke vergraben, ein grauer Schal wärmt ihren Hals. Ihre blauen Augen schauen grimmig auf das kleine Mädchen. Doch Ina bemerkt das gar nicht.
Die Bremsen quietschen. Ein paar Leute steigen aus, einige dazu. „Nächster Halt, CITY Carreé, Hauptbahnhof“.
Ina brabbelt alles was sie sieht vor sich hin: „Ein Haus, Auto, Bäume, Hund“. Doch ihre Mutter interessiert das gar nicht. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich richtig hinsetzen“, weist sie ihre Tochter noch einmal sichtlich genervt zurecht. Dabei wirkt sie selbst wie ein kleines trotziges Kind. Doch Ina klebt weiterhin völlig versunken am
Fenster. Ihre Mutter gibt auf. Sie lenkt ihren Blick auf die Einkauftüte und rückt sie zurecht.
Die Bahn bleibt stehen. Ich drängle mich zur Tür, denn ich muss aussteigen. Ina schaut mich von drinnen an. Die Türen schließen sich und Ina fährt fort.