Hirnlos
Regen und Wind zerrten an seinem roten Cape und peitschten ihm ins Gesicht. Die Kälte und die Nässe waren schon tief in seine abgewrackte Jack-Wolfskin-Jacke gedrungen, von seinen Jeans und seinen Boots ganz zu schweigen. Hier im Unwetter, im zwielichtigem Schein einer Sonne, die ihm im letzten Sommer verbrennen wollte – Hätte sie es nur getan! - , musste er wie ein schmieriger Held aus einem besonderem DC- Comic wirken, der vor der dunklen Silhouette einer geisterhaften Stadt stand.
Seine Uhr zeigte ihm kurz nach 15 Uhr an, aber an diesem Nachmittag, hätte es
auch weit nach Mitternacht sein können. Das richtige Wetter für einen Candice-Night-Song, oder einen freiwilligen Selbstmord. Nach seiner Berechnung, auf seinem zerfledderten Playboy-Kalender musste es Ende November, oder Anfang Dezember sein, aber so genau wollte er sich nicht festlegen, schließlich irrte er einen tödlichen Sommer lang durch seine Stadt, getrieben von nur einem hirnlosen Gedanken: Überleben!
Und irgendwie hatte er es geschafft. Michael Betten war einer der wenigen noch lebenden Menschen von dieser beschissenen Stadt am Niederrhein. Er war weder zu einem Zombie, noch zu einem Ghoul mutiert und er war auch
nicht (Noch nicht!) das Opfer eines seiner in Anführungsstrichen stehenden normalen Mitmenschen geworden. Er war ein Survivor!
Er hatte Zombieland überlebt und er beabsichtigte dies auch weiter zu tun, wenn ihn dieses Wetter nicht vor dem nächsten Frühling umbrachte. Im Frühling würden die meisten der monströsen Wesen wohl gestorben sein, ihr Körper war genau wie seiner, auf Nahrungsverbrennung ausgelegt. Und ohne Nahrung versagten ihre Körper genau wie seiner. Aber sie waren hirnlos und nicht so auf Überleben programmiert, wie die menschliche Rasse. Sie konnten nur töten, zerreißen
und Fressen. Doch ein halbes Jahr, oder mehr, waren die Menschen die, die zwar kräftemäßig unterlegen waren, aber diesen Mangel machten sie mit Zivilisation wieder wett, immer noch am Leben. Und der Beweis, den Micha hier unter seinem Cape hielt, war das, worauf es im menschlichen Leben ankam. Handel. Die Grundlage des Kapitalismus, der trotz der Katastrophe weiterhin funktionierte. Dank diesem seltsamen Franz!
Franz war der erste Kaufmann auf der Welt, der nach der Apokalypse seinen Laden wieder aufmachte. Brot, frisch gebacken, Käse, selbst gemacht, Konserven von seinen Streifzügen
untergegangener Lebensmittelketten und vor allem Fleisch. Leckeres, saftiges Schweinefleisch, aus eigener Schlachtung. Franz war wie Micha gewesen. War nach dem Ausbruch der Zombieseuche erst einmal damit beschäftigt gewesen zu überleben, doch dann hatte er sich in einem Bunker eingenistet, indem diese hirnlosen Bestien nicht eindringen konnten. Hatte sich hier und da verteidigt und bei seinem Streifzügen durch die Stadt, Lebensmittel, Agrartiere wie Hühner, Ziegen und Schweine zu seinem Eigen gemacht, denn die Zombies und Ghouls fraßen keine Tiere, nur Menschen. Und sogar die Bezahlung war von diesem
Drecksack genial.
Genial für Micha, ob sie für andere auch so genial war wusste er nicht, aber jeder hatte ja etwas zu erzählen.
Franz, der erste Kaufmann der neuen Welt ließ sich mit Geschichten bezahlen. Er tauschte sie quasi gegen Brot, Käse, Wurst und Ananas in Scheiben ein. Und Michael war in der alten Welt, die noch vor einem halben Jahr existierte, der neue Hoffnungsstern am Literaturhimmel gewesen. Er unterschrieb seinen Vertrag bei Königs Bücher, als der erste Zombie in Düsseldorf für Aufsehen sorgte. Drei Millionen und eine Erstauflage von 500 Tausend im ersten Jahr, waren für einen Debütanten ein fantastischer Anfang.
Den vor ihm auch nur wenige geschafft hatten.
Margarete, Michas Frau war natürlich begeistert, doch gleichzeitig auch sehr skeptisch. Welcher Verrückte zahlte einem Unbekannten Schmierfink für dessen Wahnvorstellungen eine solche Summe. Wo war der Harken?
Der Harken war der, dass die Menschheit zum Teufel ging und die Welt unter.
Ein Zombie stürzte sich an einem schwülen Abend im Juni auf Marge, biss ihr die Kehle durch, Blut besudelte Josch, seinen Sohn. Der Junge brüllte wie am Spieß, Micha stellte sich schützend vor seine beiden Kinder, vor allem vor seine Tochter Alice. Er fragte
sich in den kommenden Wochen und Monaten, ob er sie wohl am meisten geliebt hatte und sich deswegen für sie entschieden hatte. Doch als der zweite Zombie seinen Sohn attackierte, rannte Michael mit dem dreijährigem Mädchen los und hielt erst wieder an, als seine Lunge sich genau so gefräßig anfühlte, wie diese Monster. Das Chaos brach über sie herein. Michael hatte zum ersten Mal in seinem Leben wirklich Geld und Glück, doch es wurde ihm so schnell genommen, dass er erst nach dem Tod des kleinen Mädchens wirklich begriff, was in der Welt los war.
Dabei sah es nach zwei Monaten Hölle gar nicht mehr so schlecht aus. Er hatte
gemordet, bestimmt hunderte dieser Kreaturen. Ihre Schädel gespalten, mit allem was ihm vor die Finger kam, denn diese Zombies waren langsam und hirnlos. Er brachte sie mit Spaten, Heugabeln, Äxten, dann mit Messern und Schwertern um, die er aus einer Burg entwendet hatte. Morgensterne, Keulen, Heckenscheren, Baseballschlägern. An manchen Tagen kam es ihm vor, als bade er im Blut. Nur um seine kleine, Tochter zu beschützen.
Als es immer weniger Menschen zugeben schien, was bei der Population der Zombies nur natürlich war, setzte das Zombiesterben ein. Die miesen Ratten starben einfach vor Hunger. Es gab nicht
mehr genug potentielle Opfer, weil Michael nicht der Einzige war, der sich zur Wehr setzte und wenn eine Population eine andere Zwecks Nahrung so dezimiert, ist der Tod nur die logische Konsequenz.
Micha hatte sich mit seiner Tochter in einem Hinterhof verschanzt. Dort hatten sie ein Zelt aufgeschlagen und Micha hatte mit Backsteinen und Mörtel eine windschiefe Feuerstelle errichtet. Sie lebten von dem was sie fanden, oder erlegten, meist Ratten, Mäuse, hier und da mal ein Kaninchen, oder halt Konserven aus einem verwüsteten Supermarkt. Nachts versteckten sich die Zombies in dunklen Häusern und schrien
vor Hunger. Es war ein grauenhaftes Geräusch und Michael glaubte verrückt zu werden. Dann fand er das Handy.
Es war ein altes Siemens und lief auf Babyzellen, noch keins dieser modernen Touchscreen-Dingern, sondern einfach eins zum Telefonieren. Er wählte die gespeicherten Nummern, doch nirgends meldete sich jemand, der den ehemaligen Besitzer wichtig gewesen war, alle schienen tot, so auch ihre Mobiltelefone. Nur beim Allgemeinem Deutschen Automobil Club ging der Anrufbeantworter ran und erklärte ihm, das zur Zeit niemand im Hause sei. Bei der Polizei ging nicht einmal ein Anrufbeantworter an, die Leitung war
genauso tot, wie der Rest der Stadt, wenn man von einer Handvoll Überlebender absah und natürlich den Zombies.
Die Sommerabende waren heiß, stickig und es roch nach verfaulenden Fleisch. Tote, halb aufgefressene Leichen und verstorbene, oder besser eingegangenen Zombies. Zu dieser Zeit mutierten einige der sterbenden Zombies zu Ghouls, sie waren noch langsamer und hirnloser, als die aus denen sie sich entwickelt hatten, aber sie fraßen die Leichen, so wie ihre verwesenden Artgenossen. Ja sie griffen sie sogar an, wenn sie denn einen zufassen bekamen. Auch Menschen, aber wie gesagt, die letzten Überlebenden waren bis an die Zähne bewaffnet und
auch ein Ghoulkopf explodiert, wenn man lange genug drauf herum schlägt.
Zu dieser Zeit hatte ich weder was von Michael Betten gehört, obwohl sein Name vor der Zombiekatastrophe durch 3Sat und ARTE geistere, noch von dem Kaufmann Franz. Ich hatte selber große Mühe nicht zu verhungern, aber ich schweife ab, das sollte ein guter Erzähler nie tun. Wo war ich?
Ach ja!
Michael hatte also dieses Handy gefunden. Nachts, wenn er versuchte sein Kind durch Hunger und den Schreien der wehklagenden Zombies zum Schlafen zubringen, rief er hin und wieder Nummern an, die er wahllos in die
Tastatur hämmerte. Nichts nur hin und wieder Ansagen von Anrufbeantwortern, dann endlich ein Lebenszeichen.
„Ja?“
Michael stockte der Atem. Dann: „Hallo?“
„Wer ist da?“ Es war eine sehr raue Stimme.
„Micha. Michael vom Niederrhein.“
„Michael vom Niederrhein? Ich bin Bernd, Bernd aus Berlin. Warum rufst du Wichser mich an? Willst du kleiner Wichser mir von deinem scheiß Zombieproblem erzählen? Weißt du was Michael vom Niederrhein? Ich scheiße auf deine Zombies. Ich hab nämlich selbe welche hier und weißt du was? Ich komm
nicht in deine beschissene Stadt um dir deinen schwulen Arsch zu retten! Und weißt du auch warum, weil' s keiner für meinen macht. Also ruf hier nie wieder an!“ Dann schrie der Mann wie ein Wahnsinniger.
„Ich habe eine kleine Tochter...“ War alles was Michael raus brachte.
„Ach ja? Ich ficke deine scheiß Tochter in den Arsch du Hurensohn!“ Dann hörte Micha einen Schuss und der Mann am anderem Ende der Leitung hauchte sein Leben aus.
Zwecklos. Für Micha war alles Zwecklos. Warum hatten ihn die Zombies nicht erwischt? Warum kämpfte er so um sein eigenes Überleben? Warum um das seiner
kleinen Alice?
Draußen, außerhalb seines geschützten Zeltplatzes ging der Kampf ums überleben erst richtig los. Die Zombies flohen vor den Ghouls, die Menschen vor den Zombies und vor sich selbst. Denn die Überlebenden fingen an sich um die letzten Lebensmittel zu bekämpfen. Natürlich, wenn niemand mehr da ist, der etwas produziert, geht es irgendwann zur Neige. Wasserflaschen wurden knapp, haltbare Milch fand man gar nicht mehr, Milchpulver ebenso wenig. Micha hatte irgendwo Cornflakes aufgetan, die brachte er seinem sterbenden Kind, doch die kleine Alice wollte nichts mehr zu sich nehmen, schon gar keine trockenen
Flakes und starb Ende des Sommers in seinen Armen. Der Mann hatte geweint, er hatte gebrüllt und er hat das tote Kind in seiner Feuerstelle verbrannt, damit kein Ghoul seine Tochter fressen sollte. So trottete er dahin, verließ seinen sicheren Hinterhof und ging hinaus in die Stadt um zu sterben.
Doch er starb nicht, er überlebte wieder. Tötete Zombies, die zu schwach waren ihm gefährlich zu werden.
Als der Sommer in den Herbst überging streifte er umher. War schon ein paar mal auf Plünderer gestoßen, zwei hatte er mit einem Messer umgebracht und hatte so eine Magnum 45 in seinen Besitz gebracht, die ihm vor anderen schützte.
Ich traf so Ende Oktober auf ihm. Fast hätte er mich umgebracht, aber ich hatte Glück, er war noch zu sehr zivilisiert, als dass er mich einfach über den Haufen schoss. Ich wollte mich ihm anschließen, aber er sagte, er wolle niemanden mehr verlieren. Wir aßen gemeinsam und er stand auf und verschwand. Ich hörte noch wie er einem Zombie den Gar aus machte, ich traf auf den Leichnam und sah ihn noch von einem hirnlosen Ghoul in die Tiefe des Erdreichs ziehen, dann sah ich Michael Betten erst wieder, als er Anfang Dezember im Regen stand und sein roter Cape ihm um den Kopf wehte.
Er hielt eine Tasche in seinen Händen, er winkte mir zu. Ich lief über die Straße,
die mit Autowracks übersät war, in denen Knochen von ehemaligen Lebenden verwesten, oder als Nachtsnacks für Ghouls herhalten mussten.
„Du lebst!“ sagte er und grinste. Ich dachte erst, er sei verrückt geworden, aber er war wirklich glücklich. Dann griff er in die Tasche und förderte einen Leib frisches Brot hervor. Er brach es ab und gab mir ein Stück und es schmeckte wie der Himmel. Nach der ganzen Hölle, gab es wieder frisches Brot. Ich fragte natürlich, sofort, wo er es her hatte, oder ob er es selbst gebacken hatte, da erzählte er mir von dem Kaufmann.
Das sein Handy eines Tages geläutet hätte und eine stöhnende Stimme fragte,
mit wem er da sprach und dass ihr Besitzer in der gleichen Stadt wohnte. Michael war natürlich begeistert und sagte, dass auch er aus der Stadt sei. Franz, so nannte sich der Anrufer erzählte ihm, dass er sich in einem Bunker verschanzt habe und jede Menge Lebensmittel habe, die nur darauf warteten, verspeist zu werden. So kam Micha also zu Franz, dem Kaufmann. Und er erzählte es mir und ich erzählte es wieder und so war in der Stadt die Legende vom Kaufmann Franz geboren, der frisches Brot und frischen Käse für eine Geschichte verkaufte. Für eine Geschichte! Nicht für Edelsteine Gold, oder einen guten Fick! Nein nur eine Geschichte.
Ich erzählte ihm natürlich eine meiner Lieblingsgeschichten, da ich wie Micha selbst nie schrieb musste die Geschichte eines Anderen her halten und meine erste war die Geschichte von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer von Michael Ende, die dieser Kaufmann, der nur sehr wenig sprach, zumindest am Anfang als ich ihn kennen lernte, fast so verschlang, wie ich seine Wurst, den Käse und das frische Brot.
Von seinem Geschäft wurden immer mehr hungrige Menschen angezogen. Wir kamen wieder zu Kräften und konnten so immer mehr Zombies und Ghouls in der Stadt töten. Wir haben wirklich mit der Brut aufgeräumt. Und dank des
Wundersamen Kaufmannes, können wir vielleicht die Welt retten.
Der Kaufmann blickte den jungen Mann skeptisch an. „Du hast schon bessere erzählt, Jason. Die von der wilden 13 war eine deiner besten. Die vom Sams, und die vom Kater Mikesch fand ich auch hervorragend. Auch die von dem Mädchen und den grauen Männern der Zeit, sowie die von dem Jungen, der in dieses Buch gelang. Aber deine, die du mir jetzt erzählt hast war nicht wirklich gut. Irgendwie... ? Wie nanntest du die Zombies? Hirnlos? Ich glaube der Ausdruck passt sehr gut.“
Jason lächelte. „Ich kann halt sehr gut
nacherzählen. Geschichten erzählen konnte Michael wo besser. ...“
„Konnte?“ Franz blickte dem Jungen fragend an. „Ist ihm was passiert? Er war sehr gut im erzählen!“
„Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende, Kaufmann!“ Jason blickte nach dem frischen Brot, sein Bauch, der schon wieder etwas voller war, knurrte leise vor sich hin. Wie schnell man sich doch wieder an Essen gewöhnen konnte.
Nun wie gesagt, Micha, ich und noch einige mehr hier aus der Stadt kamen dank dir , dem Kaufmann wieder zu Kräften. Wir kamen häufig her,
erzählten, bekamen unsere Rationen, die üppiger wurden und wären die Zombies und Ghouls nicht mehr in der Stadt, so wäre es echt ein schöner Ort. Nun, vor zwei Wochen traf ich Micha zufällig auf dem Weg zum Kaufmann, er wollte sich ein Mahl zusammen stellen, das etwas besonderes werden sollte, da seine Tochter nun fast ein halbes Jahr tot war und er sie mit seinem Leben ehren wollte. Du musst wissen Religionen entstehen aus einem Zweck heraus. Für sein neues Leben war Essen die neue Religion. Und er hatte ja dank des Kaufmannes kräftig zugelegt.
Ich ließ ihm den Vorrang. Er war schon zwanzig Minuten verschwunden, da
dachte ich mir, ich könnte etwas zuhören, vielleicht hörte ich etwas, was Hänsel und Gretel etwas spannender machen würde, außerdem war mir kalt.
Ich ging also hinein und bekam noch mit, wie der Kaufmann und einige seiner versteckten Gäste, Michael ausnahmen wie einen Weihnachtsputer und Gedärme, Hirn und Fleisch in sich hinein stopften ...“
Franz schaute Jason erstaunt an. „Wie?“
„Ihr wart mal Menschen. So wie der Mensch gelernt hat die Erde zu nutzen, so habt ihr gelernt uns zu nutzen!“
Die Haifischzähne des Kaufmannes strahlten Jason in seinem Grinsen gierig an. Der Zombie warf die Schürze, die er
immer trug zu Boden und stürzte sich auf den jungen Mann. Jason zog die Magnum, legte an und der Unhold blieb einen Augenblick stehen. Der Schuss pfefferte Franz' Hirn an die Bunkerwand und es lief in roten Schlieren herunter. Der Körper des Untoten sackte zu Boden.
Hinter Jason trat eine Schar Männer, bewaffnet mit Gewehren.
„Holt euch diese Gottverdammte Brut!“