Neustart gefällig?
Neustart Gefällig!?
Falls neulich bei euch an der Schule ein heulendes Mädchen in einem XXL Müllsack samt absichtlich verdreckter Baseballcap durch das Schulhaus gelaufen ist, dann geht ihr entweder auf die King-William-Hill High School in Philadelphia oder ihr habt Probleme und solltet mit dem Schulpsychologen reden. Obwohl ich das nicht empfehlen kann, wenn ihr auf die KWH High School geht. Nicht jeder Psychologe sollte Psychologe sein. Und da war unserer das perfekte Beispiel.
Wenn ihr euch jetzt fragt, warum heulende Mädchen in Müllsäcken in einer der teuersten Privatschulen der Stadt (wenn nicht sogar der teuersten) herumlaufen, lässt sich das ziemlich leicht erklären.
Die Mädchen sind keine überheblichen, melodramatischen Zicken aus der Theatergruppe, die mit ihrer Rolle nicht zufrieden sind. Sie sind weder Zicken noch … Okay, mag sein, dass die ein oder andere etwas überheblich oder melodramatisch ist, aber sie sind keine Zicken, so viel steht zumindest aus meiner Sicht fest. Weil sie alle meine Freundinnen sind. Na ja beschränken wir es auf; fast alle.
Aber sie sind alle aus der Theatergruppe und unzufrieden mit ihrer Rolle. Was nicht am Drehbuch oder am Lehrer liegt, sondern vielmehr an der männlichen Besetzung.
Dieses Jahr spielen wir nämlich Romeo und Julia.
Wie jeder wohl weiß (wissen sollte) geht es in dem Stück um zwei Verliebte, die sich allerdings nicht lieben dürfen, weil die Familien voll Stress wegen Ehre und so Kram machen …
Ich denke mal, mein Englischlehrer wäre vollkommen entsetz, wenn er das lesen würde. Zitat: „ … Immerhin handelt es sich bei Romeo und Julia um Kultur und Sie können nicht zulassen, dass es die Schüler mit ihrer Facebooksprache ins lächerliche ziehen …“ (Blah, Blah, Blah). Das hat mein Englischlehrer wörtlich zu meinem Theaterlehrer gesagt, nachdem er das von mir verfasste Drehbuch unter die Lupe genommen hatte. Tja.
Und in jeder (wirklich jeder) Version des Stückes gab es eine (oder mehrere) Kussszenen. Auch in diesem. Was wieder rum zu Zickenkriegen, Prügeleien, Verweisen, Nachsitzen, und jede Menge Streit geführt hatte.
Denn bei unserer Version von Romeo und Julia spielt der schärfste (dieses Wort finde ich absolut unpassend) Typ der ganzen Schule Romeo. Der schärfste Typ der ganzen Schule ist in meinen Augen allerdings ein totaler Macho, der erstens alles anbaggert, was ihm in die Quere kommt und zweitens sich ein Gehirn mit seinem Ego teilen muss, was für beide nicht sehr schön endete.
Aber all das hat mit mir gar nichts zu tun. Meine Wenigkeit war zwar der Auslöser dieses … äh … nennen wir es „Problems“, aber mittlerweile ist es nicht mehr meine Angelegenheit. Ich bin nur noch Beobachter.
Trotzdem gibt es einige Gründe, wegen denen ich heulend in einem Müllsack samt absichtlich verdreckter Baseballcap durch das Schulhaus gelaufen bin, schließlich in die tiefen unserer Schultoilette verschwand und letzten beiden Stunden schwänzte.
Genau hier sitze ich nämlich jetzt und denke mir seit Ewigkeiten, was es für ein Fehler gewesen war, wieder an die KHW zu kommen. Nein, es war ein Fehler gewesen dieses verdammte Drehbuch zu schreiben. Nein, es war ein Fehler gewesen mit Eliza befreundet zu sein …
All das hatte nämlich nur durch meine ABF begonnen. Na ja, eigentlich durch mich, also. Ach am besten ich erzähle euch die ganze Geschichte…
Ungeduldig tippte ich mit der Fußspitze auf den Boden, seufzte und schaute demonstrativ auf die Uhr an meinem Handgelenk.
Doch die Frau hinter dem Schreibtisch schien es nicht zu bemerken, sie starrte nur auf den Bildschirm des Computers, wie eine dreizehnjährige, die gerade mit ihrem Schwarm chattete.
„Entschuldigen Sie, Miss. Aber ich-“, ich hatte es gerade tatsächlich geschafft Augenkontakt mit der Schulsekretärin aufzunehmen. Wenn auch nur für einen Sekunden Bruchteil, denn das Telefon klingelte und benötigte wieder die komplette Aufmerksamkeit der Frau.
„GutenTagKing-William-HillHigh SchoolSekretariat. Sie sprechen mit Mrs. Venus. Ja … Hm … Also … Gut, das mache ich …“
Mrs. Venus redete noch ewig weiter mit dem Anrufer und ich wünschte mir Miss Hellers wieder zurück. Das war nämlich die Sekretärin gewesen, als ich die Schule wegen meinem Umzug vor drei Jahren verlassen hatte.
„Danke. Ihnen auch. Ja, wieder hören.“
Ich räusperte mich übertrieben laut, denn Mrs. Venus war gerade dabei wieder auf den Computer zu starren.
„Guten Tag. Beim nächsten Mal einfach anklopfen, ja? Dann bemerke ich dich auch früher“, sie schenkte mir ein zuckersüßes Sekretärinnenlächeln.
„Ja. Also so weit ich mich erinnern kann hab ich schon vor einer Viertelstunde angeklopft, aber auch egal. Mein Name ist Coreen Seater. Ich denke meine Mutter hat mit ihnen telefoniert.“
„Coreen Seater ….“, murmelte sie vor sich hin und tippte etwas in den Computer ein.
„Ah, du hast die Schule vor drei Jahren verlassen und kommst jetzt wieder. Uih, also an deiner Stelle würde ich was gegen deine miesen Lateinnoten unternehmen.“
Wow und dafür brauchte sie meine Schülerakte. Die geborene Sekretärin also.
„Das steht in meiner Schülerakte?“, fragte ich skeptisch und hob eine Augenbraue.
Latein war nie so meins gewesen. Aber, dass die das gleich in meiner Akte vermerken …
„Hier steht sogar wann du was gegessen hast, Liebes. Also, hier ist dein Stundenplan. Jetzt müsstest du allerdings noch kurz mit unserem Rektor reden und dann zu Schulpsychologen. Ach und zur Vertrauenslehrerin. Ich denke mal vor der Lunchpause wirst du noch nicht in den Unterricht kommen.“
Sie gab mir einen Stundenplan in die Hand und deutete auf einen der Sessel in der Ecke des Raumes. „Nimm einfach Platz. Ich sag dir dann, wann du zum Rektor kannst.“
Seufzend setzte ich mich auf einen der Sessel und schaute aus dem Fenster, während Mrs. Venus wieder auf den Bildschirm des Computers gaffte.
In den letzten Jahren war ich oft an neue Schulen gekommen, aber keine einzige von ihnen hatte so ein großes Drama um neue Schüler gemacht wie die KWH.
Ich seufzte noch einmal und fragte mich wen ich von meinen alten Freunden wohl alles wieder treffen würde. In Gedanken an sie kramte ich aus meiner Tasche das letzte Foto meiner alten Jahrgangsstufe heraus und musste innerlich lachen. Das Foto war in unserem Pausenhof bei unserem kleinen „Pseudo-Amphitheater“ (wie Insider es nannten) aufgenommen worden.
Zahnspangen, Pickel und Brillen soweit das Auge reichte, sechste Klasse eben. Außerdem gab es zwei Seiten; auf der einen waren die Jungs auf der anderen die Mädchen.
Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie man noch Tage lang nach dem Foto geärgert worden war, wenn man an der Grenze zwischen Jungen und Mädchen stehen musste …
Sechste Klasse eben.
Nach ziemlich vielen Gesprächen mit ziemlich komischen Lehrern und dem Schulpsycho (dem Namen macht der Kerl alle Ehre) durfte ich dann endlich zu meinem Spind.
Leider war es nicht derselbe wie vor drei Jahren, denn der war genau neben dem von meiner ABF gewesen. Apropos ABF, wo die gerade war, würde mich brennend interessieren, da sie mir eigentlich versprochen hatte, mich gleich bei meiner Ankunft in Empfang zu nehmen …
Vor dem Spind neben meinem stand ein Mädchen in meinem Alter, sie war bestimmt größer als ich und hatte blonden Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden trug.
„Hey, bist du die Neue?“, wollte sie wissen und schaute mich an, als ich neben sie trat um meinen Spind aufzusperren.
Passend zu ihren hellblonden Haaren, waren sowohl ihre grünen Augen als auch ihre Haut sehr hell. Sie kam mir irgendwie bekannt vor, aber mein Namensgedächtnis war noch nie das Beste gewesen. Ich überlegte noch kurz, ging ein paar Namen durch, dachte an das Klassenfoto, das ich vorhin angeschaut hatte und fragte schließlich:
„Äh … Gemma?“
Auf dem Foto war Gemma auch einer der Zahnspange-Pickel-Kandidaten gewesen (ich übrigens auch).
Gemma – also das blonde Mädchen von dem ich dachte sie wäre Gemma Hale – schaute mich schräg an. Woraus ich folgerte, dass sie wahrscheinlich jemand komplett anderes war.
„Sorry … Kennen wir uns?“, antwortete sie.
Als Antwort zog ich mein altes Klassenfoto heraus und deutete auf mich. Gemma … oder auch nicht Gemma … starrte auf das Foto, dann wieder auf mich und wieder auf das Foto:
„Cory?!“
„Also bist du doch die hier?“, ich zeigte ihr Gemma auf dem Foto.
„So sah ich mal aus?“, sie zog die Augenbrauen hoch.
„So ’nen Ton hat nur Gemma drauf“, meinte ich lächelnd.
„Was hab ich dich vermisst, du Klugscheißerin. Überspringen wir den ‚Mein-Gott-wie-geht’s-dir-bist-du-groß-geworden-Teil’“, an dieser Stelle machte sie Gänsefüßchen mit den Fingern, „ Wieso bist du wieder hier? Ich dachte du würdest in Maine wohnen?“
Auch wenn es sich wie ein ‚Why the Fuck is die schon wieder hier?!’ hätte anhören können, tat es das nicht, weil Gemmas Stimme diesen vertrauten weichen Unterton hatte.
Trotzdem neckte ich sie damit: „Soll ich wieder gehen?“
„Oh gerne und zwar nach … Sibirien, okay?“, sie klang furchtbar ironisch.
„Haha“, machte ich und öffnete meinen Spind. Der Geruch, der mir in die Nase stieg, sagte mir gleich, dass dieser Spind sehr, sehr lange außer Gebrauch gewesen war.
„Wieso hat mir eigentlich keiner gesagt, dass du wieder an die Schule kommst. Oder warum hast du nicht angerufen?“
Über die Jahre hinweg hatte ich ehrlich gesagt den Kontakt zu meinen Freunden an der KWH ziemlich verloren. Nur mit meiner ABF Eliza hatte ich mich regelmäßig getroffen. So fern da Skype zählte.
Mein Dad war zwar selbstständig und hatte eine ziemlich große Firma hier in Philadelphia gehabt, doch als er die ersten Filialen in Maine aufmachte, musste er immer übers Wochenende öfters weg. Eigentlich hatte nämlich mein Cousin die Filialen dort verwaltet, doch der war ehrlich gesagt eine totale Flasche. Und da mein Dad seine Firma nicht zuschauen wollte, wie sie dank seinem Neffen den Bach runter ging. Ist er für immer längere Zeitspannen nach Maine geflogen. Was unserem Familienleben nicht wirklich zugute kam. Also beschlossen meine Eltern kurzerhand zu den Filialen der Firma zu ziehen. Die Hauptfirma, verwaltete dann ein weitere Mitarbeiter der Firma. Ursprünglich hieß es nämlich wir würden ort auch nur solange bleiben bis sich die Lage der Filialen gefestigt hätte … Meinem Dad hatte ich das nie abgekauft, damals hatte ich nämlich geglaubt er würde das nur sagen, um uns nach Maine zu bringen. Doch jetzt war es wirklich wahr geworden!
„Ich hab’s Eliza gesagt.“
Gemma sah mich an.
„Ach komm schon, du wirst doch nicht – wo du grad erst wieder hier bist – gleich deinen Ruf ruinieren, indem du mit diesem Freaks rumhängst.“
Demonstrativ verdrehte ich die Augen:
„Daran hat sich also nichts geändert. Ich meine ihr steht immer noch auf Kriegsfuß, oder? Ach weißt du was, reden wir über was anderes. Immerhin ham wir uns drei Jahre nicht mehr gesehen. Und nur fürs Protokoll. Eliza is’ meine ABF.“
Bevor Gemma etwas sagen konnte (ihrem Blick zufolge würde es nichts Nettes werden), stürmte ein braunhaariges Mädchen mit großer, runder Nerdbrille auf uns zu. In ihrer Hand hielt sie ein Iphone und wedelte damit hektisch vor Gemmas Gesicht herum, als sie sagte (fast schrie):
„Jetzt zieh dir mal das rein, Gem! Das können die doch nicht machen. Jetzt wo der Frühling vor der Haustür steht! Und ich hab eh schon so lang gewartet! Ein verdammtes, ganzes Jahr!“
Gemma schaute auf den Bildschirm des Iphones und ich fragte mich, ob jemand ihr Konto leer geräumt hatte, so einen Aufstand machte das Mädchen.
„Nein!“, kreischte Gemma, worauf die herumstehenden Schüler und Lehrer sie schräg ansahen.
„Oh Fuck, J!“, fügte sie hinzu. Gemma hielt das Iphone so in der Hand, dass ihre Finger schon ganz weiß wurden, während das andere Mädchen auf den Bildschirm glotzte.
„Äh, was genau geht grad mit euch ab?“, fragte ich und versuchte auch einen Blick auf den Bildschirm des Handys zu werfen. Allerdings versperrten Gemma und die Andere mir die Sicht komplett.
Genau wie Gemma war dieses Mädchen nämlich sehr groß und dünn. Was nicht heißen soll, dass ich besonders klein bin oder so. Im Gegenteil, eigentlich war ich immer eine der größten in unsere Klasse gewesen, aber die beiden waren eben sehr, sehr groß.
Sie trug ihre braunen Haare offen, sodass sie bis zu ihren Schultern fielen und in einer leichten Welle endeten. Ihr Gesicht sah im Moment zwar aus, als hätte sie was Saueres erwischt, wirkte jedoch ziemlich erwachsen. Die Nerdbrille wieder rum täuschte den Eindruck.
Unwillkürlich fixierte ich die große und runde Brille in ihrem Gesicht, sodass mir erst auf den zweiten Blick ihre braunen Augen auffielen.
„Die haben die Eröffnung von der neuen Frühlings Kollektion um drei Wochen nach hinten verlegt!“, war alles was mir die Brünette an Erklärung gab.
Ich starrte die beiden verwirrt an und bevor Gemma mir etwas erklären konnte, meinte das andere Mädchen:
„Bist du neu hier?“
„Ja“, antwortete ich immer noch verwirrt. Von was für einer Frühlings Kollektion war bitte die Rede? Schnell schüttelte ich den Kopf und fügte hinzu „Also nein, ich mein ja irgendwie schon, also …“
Dieses Mal unterbrach das Mädchen mich.
„Also nicht, dass du jetzt denkst, ich würde nur von Shoppen leben. So is’ das nich’. Ich mein bloß, es geht immerhin um die neue Frühlings Kollektion von Louis Vuitton.“
„Okay“, an so jemanden hätte ich mich zweifellos wieder erinnert, aber mein Namensgedächtnis hatte dieses Mal leider keinen parat.
Das Mädchen musterte mich einmal von oben bis unten und ich konnte mir vorstellen, dass ich gerade furchtbar in ihrer Ansicht sank. Solchen Leuten geht es meistens nur nach Markenklamotten. Und da war ich wirklich die falsche Adresse. Nicht, dass ich es mir nicht leisten konnte. Aber ich fand es einfach unnötig, immer in der neusten Gucci Garderobe in der Schule aufzukreuzen.
Gemma, die wohl merkte, dass ich ziemlich überrumpelt von dem Auftritt des Mädchens war, sagte:
„Das is übrigens Cory.“
Die Brünette sah mich noch einmal prüfend an.
„Ach man, is ja lustig. Hier war schon mal so ’ne Cory. Die is aber vor’n paar Jahren in so’n Kaff irgendwo nach Maine gezogen.“
Sie schien sich anscheinend kräftig über das Wort „Kaff“ zu amüsieren, denn sie musste furchtbar kichern.
„Highfeelchurch-Victonvalley is’ kein Kaff! Vielleicht nich’ so groß wie Philly. Aber kein Kaff“, machte ich ihr klar und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.
Einen Moment lang, sah ich ihr an, dass sie überrascht war, aber schon im nächsten hatte sie ihr Gesicht auf herzlich und einladen eingestellt, indem sie mich zuckersüß anlächelte.
„Gerade wollte ich hinzufügen, wie sehr ich dich vermisst hab“, meinte sie und versuchte ihre Stimme unschuldig klingen zu lassen. Was ihr zweifellos besser gelang, als ich es ihr noch vor ein paar Minuten zugetraut hätte. Schnell kam sie um Gemma herum und drückte mich.
„Aber echt, hey. Ich hätt’ dich ja nie wieder erkannt. Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“
Unwillkürlich strich ich mir eine widerspenstige, Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich schielte kurz zu meinem Pony hoch und stellte fest, dass diese Strähne pink war. Hier und da schaute nämlich aus meinen größtenteils schwarzen Haaren eine Pinke heraus.
Als ich damals nach Maine ging hat es für mich nach Neustart gerochen, also hatte ich mir kurzerhand meine damals noch braunen Haare gefärbt. Wenn schon Neustart, dann richtig …
„Ich fand braun irgendwie langweilig.“
Sie lächelte erneut, dieses Mal war es allerdings nicht künstlich aufgelegt, sondern echt. Irgendwie sah ich das ihren Mundwinkeln an.
„Wieso bist du denn wieder hier?“, wollte sie wissen
„Mein Gott“, entgegnete ich enthusiastisch, „Die Frage wurde mir heute schon öfters gestellt und sie hört sich jedes Mal an, als wollt ihr mich wieder loswerden.“
Ich hievte die Bücher, die ich bisher auf meinem Arm balanciert hatte in meinen Spind und es schepperte heftig, als das Gewicht auf dem Metallboden aufprallte.
Gemma, deren Blick zwischenzeitlich immer wieder unauffällig auf den Bildschirm des Iphones gewandert war, machte sich jetzt keine Mühe mehr immer wieder kurz und beiläufig auf das Handy zuschauen, sondern starrte so gebannt darauf, dass ihr Blick mich an den von Mrs. Venus erinnerte.
„Ah!“, machte sie verzweifelt und tippte der Brünette, deren Namen ich ehrlich gesagt immer noch nicht wusste, auf die Schulter.
„Die Tasche“, war alles was sie machte und die Brünette stimmte zu in dem sie theatralisch seufzte.
Hilfe, wo bin ich bitte hier gelandet?, fragte ich mich.
Die beiden tauschten noch ein paar theatralische Seufzer aus, bis ich schließlich fragte:
„Und was hab ich so verpasst? Die letzt drei Jahre meine ich.“
Die tragischeTatsache, dass Louis Vuitton seine Kollektion drei Wochen nach hinten verschoben hatte, schien wie vergessen, als die Brünette, deren nahmen mir ums Verrecken immer noch nicht einfallen wollte sagte:
„Schnell durchlauf, Gemma?“, die Brünette schaute verschwörerisch zu Gemma, worauf Gemma verschwörerisch zurückschaute und genau, wie ihre Freundin verschwörerisch lächelte. An diesen strangen Blick, den sich die beiden gelegentlich zu warfen, konnte ich mich im Gegensatz zu ihren Namen tatsächlich noch erinnern … Himmel.
Unwillkürlich fragte ich mich ob die beiden so etwas, wie eine telepathische Verbindungen hatten und so immer dasselbe denken konnten. Letztendlich kam ich aber nur zu dem Ergebnis, dass ich zu viele Fantasybücher las.
„Also ein Jahr, nach dem du weggezogen bist, gab es in unserer Klasse das erste Pärchen; Sophie und Tom, aber das hat nur … vier, fünf Monate angehalten, weil Sophie Tom angeblich mit Jack betrogen hatte, da Jen, die beiden angeblich auf ’ner Party hat rumknutschen seh’n.
Darauf hat Tom sich an Sophie gerächt, in dem er Lila, Sophies ABF, gedatet hat und am Schluss sogar mit ihr zusammen war. Das wiederum hat dazu geführt, dass Lilas und Sophies Freundschaft am Arsch war und Sophie Lila gesagt hat, dass Tom nur mit ihren Gefühlen spielt, um sie auf ihn eifersüchtig zumachen. Lila stellt deswegen Tom zur Rede, er bezeichnet sie vor der ganzen Schule beim Lunch als Lückenbüßerin. Das führt wiederum dazu, dass Lila sich wieder mit Sophie verträgt. Aber nach ’ner Woche Beziehungspausenstress hat Lila dann eines Nachmittags Jack kennengelernt, der Typ mit dem Sophia angeblich auf Jens Party rumgeknutscht hatte. Jack, der zu dem Zeitpunkt aber mit Sophie zusammen war, hat sich in Lila verknallt, was dazu führte, dass die beiden heimlich zusammen waren. Das Sophie aber nach ’ner Weile rausgekriegt und mega Stress gemacht. Hey, glaub mir, damals warst du entweder auf Sophies oder Lilas Seite, dazwischen war nich’. Eigentlich wollte ich mich immer aus diesem Beziehungsdrama raushalten, aber das hat nie hingehau’n…Also wie auch immer, Lila hat, dann-“
Ich konnte einfach nicht anders, als sie zu unterbrechen. Denn ich kam mir vor bei einer Erklärung von einem Mathelehrer, dass man 2x² nicht mit 2x multiplizieren durfte (oder darf man es doch?); zu viele Informationen auf einmal.
„Ähm … ich konnte dir nicht wirklich folgen. Wie wär’s mit den wichtigen Updates von heute, Gossip Girl?“
„Jane ist mit Sam zusammen, Natalia mit Phil, Mike mit Jill ... XoXo Gemma.“, beendete Gemma die äußerst ausführliche Erklärung.
Oh mein GOTT! Phil, mein alter Freund
Wenn man von Teufel spricht ...
„Phil?“, fragte ich perplex, „Zusammen mit Natalia?“
Hier alles, was ihr in Punkto Phil wissen müsst: Also erstens, er war (ist) ein totaler Idiot, zweitens seine Freunde waren totale Idioten und drittens eines seiner Hobbys bestand daraus, Leute zu mobben.
Was ich wiederum am eigenen Leib erfahren hatte dürfen. Und seitdem war bei mir jeder unten durch, der mit ihm rumhing.
„Äh, ja … Phil und Natalia … die Glückliche“, seufzte Gemma und starrte wieder auf ihr IPhone.
„Wie bitte?!“, rief ich aus.
„Wir reden hier schon vom gleichen Phil, oder? Ich meine Phil; braune Haare, samtbraune Augen, krass viele Muskeln, unverschämt heißes Gesicht, mega beliebt …?“, fügte die Brünette hinzu.
Ich starrte sie an, als ob sie vom Weltuntergang reden würde.
Samtbraune Augen?!
„Nein, tun wir nicht. Also ich meine den Phil, mit Gitterface, Akne und matschbraunen Augen.“
Ja genau, der Kerl hatte matschbraune Augen und nicht „samtbraune“.
„Joy, sei nicht so mittragend mit ihr, sie hat die letzten drei Jahre in Maine verbracht“, mischte sich eine Stimme hinter mir ein.
Ich kannte sie nur allzu gut.
„Twin!“, schrie ich und sprang meiner ABF in die Arme.
„Hey“, sagte sie lächelnd.
Eliza (alias Twin, das basierte auf einem für „Außenstehende“ schwer zu erklärendem Insider), war ungefähr so groß wie ich und hatte die schrägsten Haaren, die ich je gesehen hatte. Ihre Farbe lag irgendwo undefinierbar zwischen dunkelblond, braun und rot. Außerdem waren sie so unglaublich dick, dass man es sich kaum vorstellen konnte, wenn man es nicht vor Augen hatte.
Es gab Fotos von uns aus der fünften Klasse, da trug sie sie zu Zöpfen geflochten. Richtig dicke Zöpfe. Aber seit der siebten Klasse, glättete Eliza sie immer und das machte sie etwas gewöhnlicher. Allerdings reichten sie ihr dann fast bis zu ihrer Taille.
Ihre Augen waren dunkelgrün.
Wann immer ich sie genauer musterte, kam sie mir vor, wie eine von diesen Frauen aus England, die auf ihrem Wohnzimmer saßen, feine Kleider trugen und Tee tranken.
Irgendwie total cool.
Eliza sah die Brünette und Gemma streng an: „Habt ihr sie gerade mit der Phil-Wahrheit konfrontiert?“
Die beiden nickten.
„Tja, es ist leider Realität … Ich erzähl, dir alles beim Lunch, kommst du? Ellen und Livia warten bestimmt schon auf uns“,
„Moment Mal, Cory geht mit uns essen“, Gemma sah mich bittend an.
„Komm schon Rapunzel, Cory geht mit ihren wahren Freunden, die wenigsten zur ihr Kontakt hatten, auch wenn sie wo anders wohnte, essen“, fuhr Eliza sie an.
Bevor ich den gerade entstehenden Streit verhindern konnte, ergriff Gemma wieder das Wort:
„Hast du mich grad Rapunzel genannt?“
„Sieht so aus, oder?“, gab Eliza zurück.
„Cory kommt mit uns, Streberin“, meinte die Brünette und griff nach meinem Arm.
„Dich hat keiner nach deiner Meinung gefragt, Nerdbrillenträgerin!“
Hatte ich schon erwähnt, wie schön es war anständig in Keifereien zwischen Gemma, den andren und Eliza verwickelt zu sein?
„Wie wär's, wenn wir uns alle an einen Tisch setzen?“, unterbrach ich die Drei genervt.
„Mit den Losern isst doch keiner!“, meinte Gemma.
„Und es ist unter meiner Würde mit solchen Leuten zu essen“, typisch Eliza.
„Hey ... das ist mein erster Tag, seid drei Jahren an dieser Schule. Könntet ihr mir den Gefallen tun - wenn auch nur für ein Mittagessen - euch mal für zehn Minuten nicht in die Haare zukriegen?“
„Nur, weil es heute dein erster Tag ist.“
Joy bekräftigte Gemmas Versprechen mit einem nicken und Eliza fügte hinzu:
„Das ist wohl das erste und letzte Mal, dass wir uns einer Meinung sind.“