Biografien & Erinnerungen
Nachkriegsweihnacht

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"Nachkriegsweihnacht"
Veröffentlicht am 02. Dezember 2011, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
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Nachkriegsweihnacht

Nachkriegsweihnacht

 

Es war in der Zeit nach dem Krieg. Ein bitterkalter Winter war ins Land gezogen. War auch der eigentliche Krieg vorbei, die Not war geblieben. Es fehlte an allem, an Heizmaterial, an Nahrungsmitteln und warmer Kleidung. Mein Vater war, wie viele andere Väter auch, noch immer irgendwo in Kriegsgefangenschaft. Mehr schlecht als recht versuchte meine Mutter, uns mit tatkräftiger Unterstützung meiner Großeltern irgendwie über die Runden zu bringen. Wir waren wirklich arm, aber es gab immer Kinder, die noch ärmer waren -  zumindest empfand ich es damals so. Immerhin besaß ich einen, von meiner Mutter aus einer alten Decke, selbst genähten Wintermantel, ein

Paar halbwegs passende Winterschuhe und eine blau-weiß gestreifte Strickmütze, um die mich andere Kinder beneideten.

 In der Zeit vor Weihnachten erzählte mir meine Mutter schöne Geschichten vom Christkind und seinen Helfern, den Engerln, die allesamt im Himmel wohnen würden und nur einmal im Jahr, nämlich am Heiligen Abend, auf die Erde kämen, um brave Kinder zu beschenken.

Ja, wie gesagt, nur brave Kinder, und brave Kinder dürften sich auch etwas wünschen.

Aha, hier war also der Haken an dieser schönen Geschichte. Schön erzählte Geschichten glaubte ich nicht so ohne weiteres, zu oft schon war ich enttäuscht worden.

Brav, war ich brav? Ist man brav, wenn man jeden Abend beim Ausziehen seine Kleidung einfach achtlos auf einen Stuhl schmeißt, anstatt fein säuberlich Kleid, Unterwäsche und Strümpfe aufzuhängen? Mit dem Abendgebet war das auch so eine Sache. Wie oft durfte man darauf vergessen? Das Christkind sieht alles, hört alles und vor allem weiß alles, behauptete meine Mutter.

 Nein, ich würde lieber keine Wünsche äußern, zumindest nicht laut, beschloss ich innerlich.

Wenn das Christkind wirklich alles sieht, hört und weiß, vielleicht würde ich dann nichts bekommen und die Anspielungen der Erwachsenen dazu, wollte ich mir ersparen.

Andererseits, vielleicht würde das Christkind

auch Äpfel bringen? Rote, saftige Äpfel mit einer ganz glatten Schale. Eine solche Rarität hatte mir einmal unsere Nachbarin geschenkt, als ich neugierig durch den Gartenzaun spähte. Aber jetzt, mitten im Winter, würde auch das Christkind keine Äpfel haben. Einen Ball, ja einen richtigen Ball, würde ich mir auch wünschen. Keine meiner Freundinnen besaß einen richtigen Ball. Ein Mädchen, das etwas außerhalb unseres Ortes wohnte, prahlte mit einem silberglänzenden Ball. Als ich den schönen Ball sehen wollte, zeigte sie mir eine große Stanniolkugel. Stanniol sammelte man für arme Negerkinder. Zugegeben, wenn man vorsichtig war, konnte man auch mit einer Stanniolkugel spielen, aber Ball war es keiner.

Diese und ähnliche Gedanken gingen mir ständig durch den Kopf, als ich am Heiligen Abend sehnsüchtig auf den Einbruch der Dämmerung wartete. Den Weihnachtsabend wollten meine Mutter und ich bei meinen Großeltern, die in einem Nachbarort wohnten, verbringen. Das allein war für mich schon Grund genug zur Freude, denn ich liebte meine Großeltern sehr. Großmutter konnte wunderbare Geschichten erzählen, hatte immer ein offenes Ohr für meine kleinen Sorgen und kochte außerdem den besten Grießschmarren. Vorher galt es aber noch einen Fußmarsch von mehreren Kilometern zu bewältigen. Die Zeiten waren sehr unsicher, denn es trieben sich allerlei dunkle Gestalten auf den Straßen herum.

Jeden Tag hörte man von Einbrüchen und Überfällen. Diebe, Landstreicher und Besatzungssoldaten waren gleichermaßen gefürchtet.  Darum hatten die Erwachsenen, – ein mit meinen Eltern befreundetes Ehepaar hatte den gleichen Weg – beschlossen, erst im Schutz der Dämmerung loszumarschieren. Soweit es möglich war, würde man die Straße meiden und querfeldein den kürzesten Weg wählen. Das Warten auf den Aufbruch schien mir endlos. Die Zeiger der Uhr wollten und wollten sich nicht bewegen. Endlich begann es leicht zu dämmern und wir marschierten los.

 

Anfangs konnte es mir nicht schnell genug gehen. Ich lief voraus und wurde immer

wieder ermahnt, mich recht leise zu verhalten um das Christkind bei seinen letzten Vorbereitungen nicht zu stören. Doch bald verflog meine Begeisterung und ich wurde müde. Längst schon hatten wir das bebaute Gebiet verlassen, es ging über freies Feld stetig bergauf. Ein eisiger Wind blies mir um die Ohren, schnitt mir ins Gesicht und ließ meine Finger klamm und gefühllos werden. Meine Zehen spürte ich in den dünnen Strümpfen schon längst nicht mehr und für Socken reichte der Platz in den Schuhen nicht. Auf einmal drückte mich meine Mutter zu Boden und auch die beiden anderen kauerten sich nieder. Die Scheinwerfer eines Lastwagens waren auf der nahen Landstraße zu sehen. Als man das

Motorengeräusch nicht mehr hören konnte,  nahm mich meine Mutter an der Hand und tröstete mich leise: Wir hätten nur noch ein kleines Wäldchen zu durchqueren, dann wäre der schwierigste Teil des Weges überstanden und es würde nur noch bergab gehen. Aber instinktiv fühlte auch ich die Unruhe und Angst der Erwachsenen und begann leise zu weinen.

 Inzwischen war es fast finster geworden und wir stolperten mehr als wir gingen, den schmalen Pfad entlang. Endlich lichtete sich der Wald und es wurde heller und heller. Plötzlich war strahlendes Licht rings um mich - wir waren mitten im Ölfeld.  Bohrturm reihte sich an Bohrturm und große Pumpen holten mit lautem Getöse unermüdlich das schwarze

Gold aus der Erde. Jeder dieser stählernen Riesen war jetzt taghell beleuchtet – nur für das Christkind, davon war ich fest überzeugt. Unzählige Lichter strahlten von den Spitzen der Türme, die eisernen Rippen waren dick mit Raureif bedeckt und schimmerten im hellen Schein unzähliger Glühlampen  in allen Farben. Für mich, ein Kind das Enge und Finsternis des Luftschutzkellers noch in Erinnerung hatte, ein überwältigender Anblick. Dieses Glitzern und Funkeln - im Himmel konnte es nicht schöner sein. Alle Müdigkeit war verflogen, die grimmige Kälte spürte ich nicht mehr, ich hatte nur noch Augen für die strahlenden Lichter. Ab und zu stiegen aus Rohrleitungen weiße Dampfwolken auf und in einer dieser Wolken

glaubte ich, eine engelhafte Gestalt zu erkennen. Das Christkind, es konnte nur das Christkind selbst sein, ich war mir ganz sicher. Große Freude stieg in mir auf -  Äpfel und Ball waren vergessen, es zählten nur die strahlenden Lichter.

 Endlich hatten wir unser Ziel erreicht. die Großeltern empfingen uns liebevoll und es gab sogar ein kleines, mit Keksen geschmücktes Tannenbäumchen und darunter lag der heiß ersehnte Ball, doch die eigentliche Weihnacht blieb für mich immer dieses Lichtermeer inmitten der Bohrtürme.

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ulla

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baesta Re: Re: Re: Re: Schön geschrieben. -
Zitat: (Original von ulla am 18.12.2011 - 11:38 Uhr)
Zitat: (Original von baesta am 18.12.2011 - 11:14 Uhr)
Zitat: (Original von ulla am 10.12.2011 - 20:50 Uhr)
Zitat: (Original von baesta am 06.12.2011 - 22:53 Uhr) Nur ein Kind kann hell erleuchtete Bohrtürme in seiner naiven Fantasie als schön empfinden. Ich glaube jetzt eigentlich, sie sind eher ein Umweltproblem.
Eine schlimme Zeit war das damals. Ich habe sie zwar nicht direkt erlebt, aber die Nachwirkungen auch noch verspürt, denn es gab alles auf Marken.


Liebe Grüße
Bärbel


Im Nachhinein gesehen war es damals wohl das Erlebnis des grellen Lichtes (ich nehme an, es war tatsächlich alles so beleuchtet, um Diebe und Landstreicher abzuhalten), Bohrtürme kann ich nicht unbedingt als Umweltproblem erkennen, Probleme gäbe es wahrscheinlich ohne Erdöl mehr, doch vielleicht kann ich es nicht objektiv beurteilen, ich lebe im Erdölgebiet
Danke fürs Vorbeischauen und liebe Adventgrüße
ulla





Uuij, wo gibt es denn in Deutschland ein Erdölgebiet? Wußte davon gar nichts....

Liebe Adventsgrüße auch Dir

Bärbel


Entschuldige Bärbel,
habe wohl nicht gesagt, dass ich Österreicherin bin... lach
Erdöl gibt es in Deutschland auch, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (habe aber selbst erst gegoogelt)
in Celle gibt eine Bohrmeisterschule (unsere Bohrmeister werden dort ausgebildet) die Schule besitzt international einen sehr guten Ruf. Auch haben deutsche Firmen (Wintershall, DEA etc.) bei uns mit Erfolg nach Öl gesucht und es auch gefördert. ...

Danke fürs nochmal lesen
liebe Adventgrüße
ulla




Hallo, liebe Ulla,
das es in Östereich Erdöl gibt, war mir bis dato völlig unbekannt. §Erdöl ist Fuch und Segen zugleich. Es gibt Energie, die gebraucht wird, zerstört aber andererseits die Erde unterhalb und auch oberhalb und ich weiß nicht, welcher Option man den Vorrang geben sollte, leider......

Nöchmals ganz liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Re: Re: Schön geschrieben. -
Zitat: (Original von baesta am 18.12.2011 - 11:14 Uhr)
Zitat: (Original von ulla am 10.12.2011 - 20:50 Uhr)
Zitat: (Original von baesta am 06.12.2011 - 22:53 Uhr) Nur ein Kind kann hell erleuchtete Bohrtürme in seiner naiven Fantasie als schön empfinden. Ich glaube jetzt eigentlich, sie sind eher ein Umweltproblem.
Eine schlimme Zeit war das damals. Ich habe sie zwar nicht direkt erlebt, aber die Nachwirkungen auch noch verspürt, denn es gab alles auf Marken.


Liebe Grüße
Bärbel


Im Nachhinein gesehen war es damals wohl das Erlebnis des grellen Lichtes (ich nehme an, es war tatsächlich alles so beleuchtet, um Diebe und Landstreicher abzuhalten), Bohrtürme kann ich nicht unbedingt als Umweltproblem erkennen, Probleme gäbe es wahrscheinlich ohne Erdöl mehr, doch vielleicht kann ich es nicht objektiv beurteilen, ich lebe im Erdölgebiet
Danke fürs Vorbeischauen und liebe Adventgrüße
ulla





Uuij, wo gibt es denn in Deutschland ein Erdölgebiet? Wußte davon gar nichts....

Liebe Adventsgrüße auch Dir

Bärbel


Entschuldige Bärbel,
habe wohl nicht gesagt, dass ich Österreicherin bin... lach
Erdöl gibt es in Deutschland auch, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (habe aber selbst erst gegoogelt)
in Celle gibt eine Bohrmeisterschule (unsere Bohrmeister werden dort ausgebildet) die Schule besitzt international einen sehr guten Ruf. Auch haben deutsche Firmen (Wintershall, DEA etc.) bei uns mit Erfolg nach Öl gesucht und es auch gefördert. ...

Danke fürs nochmal lesen
liebe Adventgrüße
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Re: Re: Schön geschrieben. -
Zitat: (Original von ulla am 10.12.2011 - 20:50 Uhr)
Zitat: (Original von baesta am 06.12.2011 - 22:53 Uhr) Nur ein Kind kann hell erleuchtete Bohrtürme in seiner naiven Fantasie als schön empfinden. Ich glaube jetzt eigentlich, sie sind eher ein Umweltproblem.
Eine schlimme Zeit war das damals. Ich habe sie zwar nicht direkt erlebt, aber die Nachwirkungen auch noch verspürt, denn es gab alles auf Marken.


Liebe Grüße
Bärbel


Im Nachhinein gesehen war es damals wohl das Erlebnis des grellen Lichtes (ich nehme an, es war tatsächlich alles so beleuchtet, um Diebe und Landstreicher abzuhalten), Bohrtürme kann ich nicht unbedingt als Umweltproblem erkennen, Probleme gäbe es wahrscheinlich ohne Erdöl mehr, doch vielleicht kann ich es nicht objektiv beurteilen, ich lebe im Erdölgebiet
Danke fürs Vorbeischauen und liebe Adventgrüße
ulla





Uuij, wo gibt es denn in Deutschland ein Erdölgebiet? Wußte davon gar nichts....

Liebe Adventsgrüße auch Dir

Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von Harzhexe am 14.12.2011 - 14:19 Uhr) Sehr bewegende Geschichte, die ich gerne gelesen habe.

Liebe Grüße von
der Hex'


Danke Hexe,
freut mich sehr, dass du da warst
glg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Schön geschrieben. -
Zitat: (Original von baesta am 06.12.2011 - 22:53 Uhr) Nur ein Kind kann hell erleuchtete Bohrtürme in seiner naiven Fantasie als schön empfinden. Ich glaube jetzt eigentlich, sie sind eher ein Umweltproblem.
Eine schlimme Zeit war das damals. Ich habe sie zwar nicht direkt erlebt, aber die Nachwirkungen auch noch verspürt, denn es gab alles auf Marken.


Liebe Grüße
Bärbel


Im Nachhinein gesehen war es damals wohl das Erlebnis des grellen Lichtes (ich nehme an, es war tatsächlich alles so beleuchtet, um Diebe und Landstreicher abzuhalten), Bohrtürme kann ich nicht unbedingt als Umweltproblem erkennen, Probleme gäbe es wahrscheinlich ohne Erdöl mehr, doch vielleicht kann ich es nicht objektiv beurteilen, ich lebe im Erdölgebiet
Danke fürs Vorbeischauen und liebe Adventgrüße
ulla
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baesta Schön geschrieben. - Nur ein Kind kann hell erleuchtete Bohrtürme in seiner naiven Fantasie als schön empfinden. Ich glaube jetzt eigentlich, sie sind eher ein Umweltproblem.
Eine schlimme Zeit war das damals. Ich habe sie zwar nicht direkt erlebt, aber die Nachwirkungen auch noch verspürt, denn es gab alles auf Marken.


Liebe Grüße
Bärbel
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ulla Re: Ja, Ulla, -
Zitat: (Original von pekaberlin am 06.12.2011 - 17:50 Uhr) das Unerwartete ist oft das Eindrucksvollste.
Leider nicht nur im positiven Sinn.
Aber Deine Geschichte ist positiv und eindrucksvoll, weil eine solche Freude über etwas nicht greifbares (im Sinne von Besitz) unerwartet und doch großartig ist.
Liebe Grüße Peter


Die kindliche Fantasie trägt natürlich das Ihre dazu bei, Kinder sehen mit anderen Augen
Danke für deinen netten Kommentar
und noch einen gemütlichen Abend
ulla
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