Weiße Elefanten.
Wie groß mag sie wohl sein, die kleine Blüte, die in meinem Bauch heranwächst? Sind ihre  Arme und Beine schon ausgebildet oder sieht sie noch aus wie ein kleines Seepferdchen? Ja weiß sie wohl schon, dass ich ihre Mutter bin, mag sie mich, wird sie mich lieben, werde ich ihr eine gute Mutter sein?
Wärme zieht in meinen Körper, was stelle ich mir da für Fragen, habe ich nicht das Wichtigste vergessen: „Liebling, der Du gerade bei mir eingezogen bist, bitte sei gesund. Kleine Blüte, ganz egal ob Du als Prinz oder als Prinzessin das Licht der Welt erblickst, die Hauptsache ist Du bist gesund!“
Ich gestehe, ich habe ein bisschen geschummelt, tief in meinem Herzen wünsche ich mir eine Tochter. Ich habe Angst vor einem kleinen Jungen, warum weiß ich selbst nicht genau. Vielleicht ist es nur die Sorge nicht zu wissen, wie man einen Jungen behandelt, wie er reagiert, was er fühlt. Ein Mädchen bin ich selbst, da ist mir nichts fremd. Ich weiß einfach Bescheid. Bitte, kleine Blüte, auch wenn Du ein Junge bist, ich liebe Dich von ganzem Herzen, das verspreche ich Dir. Verzeih mir, wenn Du mich ängstigst, es ist nicht Deine Schuld, es liegt daran, dass es immer noch so wichtig ist, dass man als Erstgeborenen einen Sohn abliefern muss.
Seit ungefähr  sechs Stunden weiß ich, dass ich schwanger bin. Ich könnte tanzen, singen, irgendetwas Verrücktes machen, aber wäre es nicht viel besser, sich ruhig hinzusetzen und nur zu fühlen. Fühlen wie es ist, Mutter zu werden. Ganz allein in mich hineinhorchen?
Vor Glück schmerzt meine Speiseröhre, die Zunge klebt am Gaumen, ich muss etwas trinken, aber ich bin unfähig aufzustehen. Ich sollte Dich anrufen, das weiß ich und doch habe ich jetzt schon Angst, wieder alles falsch zu machen. Bin ich die Frau, die Dir oder besser EUCH, (schließlich legt die ganze Familie Wert auf einen Sohn), das richtige Kind liefert? Schrecklich hört sich das an, aber ich glaube liefern trifft den Punkt genau.
Was habe ich zu bieten, außer dass ich recht hübsch bin. *Zu hübsch* hat Deine Mutter gesagt. *Sie ist aus der Stadt, die kann nichts und passt nicht zu uns. Renate ist die richtige Frau für Dich, handfest, kann kochen, geht sonntags in die Kirche. Außerdem passt sie vom Alter besser zu Dir! Was willst Du mit dem Mädchen, schau ihre schwarzen Augen an, sogar Papa hat sie schon verhext!*
Nein ich habe Euch nicht belauscht, ich wollte in der Küche den Abwasch machen, damit Deine Mutter nicht wieder sagen kann: *schau Dir das kleine Hündchen an, wie es hinter Dir her rennt, keinen Handschlag macht dieses faule Ding!* Schlimm? Nein, oder doch, schlimm wird es erst, wenn wir alle unter einem Dach wohnen, glaub mir, ich bemühe mich eine gute Schwiegertochter zu werden, die Beste, ich verspreche es Dir.
Warum muss ich weinen, wenn ich doch so glücklich bin. Fast automatisch tragen mich meine Füße in die Diele, ich knipse die kleine Lampe, neben dem Spiegel mit dem Eichenholzrahmen an und suche meine Freude, mein Glück, doch ich sehe nur die Tränen, die sich einen Weg über meine Wangen bahnen. Langsam wähle ich die Nummer Deines Büros… lange muss ich warten, bis endlich jemand den Hörer abnimmt. Am anderen Ende ist Frau Berger. Selbstbewusst, gebildet und eine Frau von Welt, so hast Du mir jedenfalls gesagt, als Du mir von ihren hohen Stiefeln erzähltest. *Ruge* Sage ich leise in den Hörer, da peitscht mir ihre Stimme schon: „Ihr Gatte ist in einer Besprechung, darf ich etwas ausrichten!“ entgegen  „Nein danke, es ist nicht so wichtig“ flüstere ich in die Muschel. Ich spüre was sie denkt: *mach Dir einen schönen Nachmittag, aber nerv uns nicht bei der Arbeit.*
Den Nachmittag verbringe ich mit Warten auf Dich. Die Zeit steht still, selbst der Sekundenzeiger bewegt sich nicht. Ich rechne mir aus, wann meine Blüte das Licht der Welt erblicken wird. O je denke ich, mein armes kleines Kind du wirst im November geboren. Ein Kindergeburtstag im Winter. Ich möchte dir doch so gern ein Sommerfest mit Luftballons und einer großen Party im Garten ausrichten. Gedanklich, lasse ich Schneeflocken auf einen Marmorkuchen rieseln, muss ein wenig lachen, weil sich noch bunte Luftballons dazugesellen. Zu viel Fantasie, hat mir die Lehrerin einmal bescheinigt, es hörte sich nicht sehr lobend an. Es ist keine Fantasie klärte meine Mutter auf, sie lügt gern und erfindet Märchen, unsere Katrin.
Was hättet ihr denn gemacht, wenn ihr meinen Lügen Glauben geschenkt hättet? Wenn ihr all das, was ich erlebt habe, ernst genommen hättet? Nein, heute ist kein Tag um über vergangene Schmerzen nachzudenken, heute nicht.
Fast pünktlich höre ich die Autotür schlagen. Ich bin so neugierig wie Du reagierst, wenn ich Dir sage, dass wir ein Baby bekommen. Das Haus riecht nach Sonntag oder Festtag. Der silberne Leuchter steht in der Mitte des Teakholztisches. Drei weißen Kerzen werfen Schatten an die holzvertäfelte Wand. Auf den Stuhl neben Dir habe ich meine Puppe Eva gesetzt. Symbolisch, für unser Kind.
Doch wie immer ist alles ganz anders, als ich es mir ausgemalt habe. Du kommst die Treppe hoch, Deine ersten Worte sind: „Musst Du ständig im Büro anrufen, wir haben weiß Gott anderes zu tun, als Dich zu unterhalten!“ „Entschuldige, ich wollte Dir doch nur erzählen….!“ „Eben das meine ich, Du wolltest NUR…..gibt es etwas was so wichtig ist, dass es nicht bis zum Abend warten kann?“
Nein das gibt es nicht. Jetzt nicht mehr. All meine schönen Worte sind von einer zur anderen Sekunde erstickt. Ich presse meine Lippen aufeinander und beiße sie so fest zu, dass ich Blut schmecke. Ich kann es Dir nicht mehr erzählen, es geht nicht mehr. Ordentlich wie immer hängst Du Deine Jacke an den Haken, blickst in den Spiegel und wirfst einen Blick durch die Küche in das Esszimmer. „Kerzen mitten in der Woche, gibt es einen Grund dafür?“ „Eigentlich nicht!“ sage ich leise, gehe in die Küche platziere die gefüllten Paprika auf die weißen mit Goldrand verzierten Teller, fülle etwas Reis dazu, mische den Salat, dann stelle ich die Teller und die Salatschüssel auf den Tisch.
Immer wieder warte ich auf eine Gelegenheit, Dir von dem Baby zu erzählen, aber immer wieder nimmst Du mir die Möglichkeit. Mal nur, weil Du von der Arbeit und Frau Berger erzählst, dann weil Dir die Einladung bei Renate so wichtig ist. Kuchen soll ich backen, eindrucksvoll soll er sein. Nein nicht nur eindrucksvoll, er muss perfekt sein. Handgefertigte rosa Marzipanröschen möchtest Du auf dem Baumkuchen und eine glänzende Schokoladenglasur, die nicht wieder bricht, wie beim letzten Mal.
Tief unten in der Tasche meines geblümten Hemdblusenkleides liegt der Mutterpass. Wohl an die hundertmal habe ich ihn mir heute angeschaut. Ab und an taste ich danach. Meine kleine Blüte, ich verspreche Dir, morgen werden wir ihm sagen, dass es Dich gibt.
Morgen…….
(C) Ute AnneMarie Schuster 28.11.2011Â