Karl wollte unbedingt kochen. Um mich richtig zu verwöhnen meinte er, dass ich ein schönes heißes Bad nehmen könne und er mir das Ganze dann ans Bett bringen würde. Gerade als ich mich gemütlich in mein Bett gesetzt hatte, kam er mit einem Tablett auf dem dampfender Kakao stand und eine Suppenschüssel herein. Er setzte sich neben mich auf mein Sofa und hielt mir die Suppe entgegen. Vorsichtig schlürfte ich einen Löffel. Sie war echt gut. „Ich habe vorhin übrigens noch kurz mit Max geredet bevor ich mich auf die Suche nach dir gemacht habe. Wieso humpelst du eigentlich? Egal! Also nicht egal, aber ich will nicht vom Thema ablenken. Max wollte sich bei dir entschuldigen, aber du willst jetzt nicht mehr. Es geht ihm ziemlich mies, weil er nicht weiß was jetzt ist. Du solltest möglichst bald mit ihm reden. Er sieht aus, als ob er sich vor den ersten Zug werfen oder sich aus dem erstbesten Fenster stürzen würde.“ Musste er schon wieder mit dem Thema anfangen? Doch erschrocken war ich schon. Litt Max wirklich so sehr unter unserem Streit? Ich konnte es mir gar nicht vorstellen. Ich wollte natürlich auf keinen Fall, dass er meinetwegen unglücklich war oder gar Selbstmord begann. „Mein Knie tut weh, da ich mehrmals hingefallen bin, als ich so schnell wie möglich von euch wegwollte. Ich weiß auch nicht was ich will! Irgendwie liebe ich Max schon, aber dann ist da noch die Sache mit Felix und…“, antwortete ich. Ich wollte schon sagen „Und Bernd!“, aber ich konnte mich im letzten Moment zurück halten. Mein Bruder horchte auf: „Welcher Felix? Der Bruder von Anna? Dieser…dieser Macho? Was willst du denn mit dem? Der ist doch das letzte.“ Ich erzählte ihm alles. Nachdem ich fertig war, schwiegen wir Beide. Keiner von uns wollte etwas sagen, weil keiner wusste. Was er sagen sollte. Ein Punkt mehr, den ich an meinem Bruder so sehr mochte. Er versuchte nicht verzweifelt ein Schweigen zu brechen. Es störte ihn nicht, wenn keiner etwas sagte und man konnte ungestört über das gesagte nachdenken. „Also ich würde sagen, wir schauen uns jetzt gemeinsam einen Film an, denn wir sind heute alleine zu Hause. Julia hat einen Zettel geschrieben, dass sie bei einer Lisa Fritz schliefe. Wenn du Lust hast, dann kannst du bei mir schlafen oder ich schlafe hier. Morgen redest du dann nochmal mit Max, denn er scheint dich wirklich sehr zu lieben, wenn er dir so tolle Blumen schickt und so mitgenommen wie er aussieht, leidet er wirklich unter Liebeskummer.“ Das war mal wieder typisch Karl. In seiner Gegenwart konnte man nicht lange traurig sein. Er hatte eine angenehme und beruhigende Aura. Dies war auch der Grund seiner Beliebtheit. Ergeben stand ich auf und wir fuhren noch schnell in irgendeinen Laden, um eine DVD zu holen, denn im Fernsehen kam nichts Anständiges. Mit selbstgemachtem Popcorn, allerhand Decken und Kissen und Cola machten wir es uns auf dem Wohnzimmerboden bequem. Zwischendurch klingelte es an der Wohnungstür. Es war Mareike. Ich hasste dieses Mädchen abgrundtief. Sie war sozusagen meine Erzfeindin. Das Problem war nur, dass sie auf Karl stand und er ihr Nachhilfe gab. „Hey! Was machst du denn hier?“, empfing ich sie freundlich. Doch sie dachte gar nicht daran mit mir zu reden. Sie schubste mich zur Seite und ging zielstrebig auf die Treppe zu. „Karl ist nicht da. Tut mir leid, aber so ist das Leben.“ Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen und entgegnete schließlich schnippisch: „Ach! Und warum stehen dann da seine Schuhe?“ Darauf wusste ich nichts, aber ich musste auch nichts sagen, denn in dem Moment kam mein Bruder aus dem Wohnzimmer. Sofort hellte sich ihre Miene auf. „Deine Schwester meinte du seist nicht da, aber ich traute ihr nicht und wollte mich selbst überzeugen!“, säuselte sie mit ihrer Pieps-Stimme. „Na dann kannst du ja jetzt wieder gehen! Du weißt ja wo die Tür ist! Tschüss!“ Mein Bruder war echt schlagfertig und direkt. Ich musste mich sehr anstrengen, um nicht los zu lachen. Mareike verlor für kurze Zeit ihre Fassung, aber hatte sie bald wieder. „Aber Karl, ich dachte, wir könnten gemeinsam etwas unternehmen, oder hast du heute schon was vor?“ Erschrocken schaute ich zu meinem Bruder. Was sollte er nur darauf sagen? Aber mein taffer Bruder war eben der Beste und sagte nur: „Falls ich dich darauf aufmerksam machen dürfte, es ist bereits um neun, du bist erst vierzehn und warum sollte ich etwas mit dir unternehmen, wenn ich hier bleiben kann und mit meiner Schwester machen kann?“ Sie war empört, versuchte aber dennoch ihn zum mitkommen zu überreden. „Ich bin keineswegs erst vierzehn, sondern sechszehn und mit sechzehn muss man nicht zu einer Uhrzeit zu Hause sein, die Kinder in der fünften Klasse gesagt bekommen. Ich dachte wir könnten zu Mark oder in die „Höhe“? Wir können natürlich auch woanders hin, wenn du möchtest?“ Nun konnte ich mich nicht mehr halten und auch mein Bruder musste lachen. „Bei Mark war ich schon mit Friedi und die Höhe kannst du wieder ganz schnell vergessen, aber wenn du unbedingt etwas mit UNS unternehmen willst, dann kannst du beim Saubermachen helfen! Also was ist?“ Er hatte das „uns“ extra betont, dass wusste ich. Mareike sah von ihm zu mir und wieder von mir zu ihm, wie im Film. Dann sagte sie mit fester Stimme: „Ja, wieso nicht? Ich meine, wie sollt ihr die ganze Hausarbeit sonst schaffen?“ Sie bemühte sich um ein schiefes Lächeln. Ich war baff. Doch mein Bruder hatte mit dieser Antwort gerechnet und ging mit ihr in die Küche. „Also das ist das liegengebliebene Geschirr, Töpfe und Pfannen. Der Reiniger ist hier! Friedi und ich fangen ganz oben an mit putzen.“ Es war tatsächlich ein großer Berg Abwasch. Mama und Papa waren nicht da und Julia und ich verschoben den Abwasch immer weiter nach hinten. Lustlos trottete ich hinter Karl her. Als wir außer Hörweite waren, fuhr ich ihn an: „Sag mal tickst du noch richtig? Wieso hast du sie nicht vor die Tür gesetzt? Du weißt genau, dass MEIN Abend jetzt gelaufen ist!“ „Friedi, jetzt beruhige dich und komm wieder runter! Erstens: Wie stellst du dir das vor? Hätte ich sie am Kragen nehmen soll, vor die Tür schmeißen und die Tür hinter ihr zuknallen sollen? Zweitens: Jetzt ist es eh zu spät. Und drittens: Sei froh, dass du den Berg Abwasch, den Julchen und du fabriziert haben, nicht selber abwaschen musst! So und jetzt, wie machen wir es mit dem schlafen?“ Ich konnte es kaum glauben, wie schaffte es mein Bruder nur alles wieder so schnell in Ordnung zu bringen und ins Gute zu wenden? Ergeben antwortete ich: „Mein Zimmer ist gemütlicher.“ Wir holten die alte Matratze vom Dachboden, wobei wir darauf achteten keine Geräusche zu machen. Aus dem Schlafzimmer unserer Eltern holten wir ein Lacken, eine Bettdecke und Kopfkissen. Nachdem wir alles hin geräumt hatten, machten wir uns auf den Weg zu Mareike, aber diese hatte bereits angefangen die Treppe zu wischen. Schlau wie dieses Mädchen war, ließ sie den Eimer auf der Treppe stehen. Ich stolperte, suchte Halt, mein Bruder versuchte noch mich zu halten, aber ich fiel. Mir wurde schwarz vor Augen und das letzte was ich wahrnahm waren Schmerzen im Brustbereich und in Arm und Bein.