Erneut ging ich ziellos durch die Gegend ohne zu wissen wohin. Auf einmal stand ich wieder vor dem Haus von Anna und Felix. Max‘ Fahrrad stand nicht mehr davor, dass hatte ich ja mitgenommen und es stand jetzt am Skater, aber auch Annas Fahrrad war weg, was hieß, dass die beiden höchstwahrscheinlich zusammen irgendwo unterwegs waren. Ich verspürte einen Hauch von Eifersucht, den ich aber schnell wieder unterdrückte. Doch so ganz gelang mir das nicht. Aus der Eifersucht wurde Rachelust. In diesem Moment wollte ich nur noch Rache. Rache für das was Max mir angetan hatte. Rache dafür, dass er mir das Herz gebrochen hatte. Rache für alles, was er getan hatte. Und natürlich wollte ich mich an Anna rächen, da sie mir den Freund ausgespannt hatte. Zumindest dachte ich das in dem Moment. Ich konnte keinen anderen Gedanken mehr fassen und auch nicht mehr wirklich klar denken, denn sonst hätte ich das nie getan, was ich dann tat. Ich drückte auf den Klingelknopf. Gerade als ich es mir anders überlegt hatte, öffnete Felix die Tür. „Friedi? Was machst du denn hier? Anna ist schon wieder weg. Sie wollten zu dir.“ Ich schob ihn sanft beiseite und stellte mich sehr nahe an ihn heran. „Ach so? Wieso „sie“? Naja ist ja auch egal. Ich dachte, da die letzte Nachhilfestunde nicht so gut lief, hole ich sie jetzt nach. Sozusagen als Ausgleich. Oder stör ich gerade?“ Felix bekam einen ganz roten Kopf und wusste nicht was er machen sollte, geschweige denn was er sagen sollte. Ich nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm nach oben in sein Zimmer. Kurz bevor wir vor der Zimmertür standen, erlangte er seine Sprache zurück. „Warte! Ich habe meine Sachen unten vergessen. Kommst du nochmal schnell mit?“ Ich verstand nicht recht und noch bevor er etwas dagegen tun konnte, öffnete ich seine Zimmertür. Ich fiel fast aus allen Wolken, als ich Chantal-Yvonne sah. Mit einem sehr weit ausgeschnittenen und schlabbrigen, viel zu weiten T-Shirt und einem nicht allzu breiten Gürtel. Im Prinzip hatte sie nur ihre Unterwäsche an und ein bisschen Stoff darüber. Ich stellte mich eng an Felix. Er hatte sich mittlerweile neben mich gestellt. Ich griff nach seiner Hand. Chantal-Yvonne schaute erst überrascht und dann arrogant und überheblich. Allerdings sah ich, dass sich auch ein wenig Eifersucht in ihren Augen wiederspiegelte. Als sie sich wieder einigermaßen gefasst hatte, entgegnete sie dann schnippisch: „Wo hast du den das billige Flittchen ausgegraben?“ Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Felix schaute mich etwas verwirrt an und funkelte dann Chantal-Yvonne böse an: „Wenn hier jemand ein billiges Flittchen ist, dann ja wohl du. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du jetzt gehst.“ Er schmiss sie raus nur um mit mir allein zu sein. Ich konnte mir ein triumphierendes Grinsen nicht unterdrücken. Aber dieses kleine Luder machte keinerlei Anstalten zu gehen, stattdessen zog sie ihr T-Shirt noch ein Stückchen nach unten und zog den extrem kurzen Mini noch ein Stück nach oben. Aha! Jetzt versuchte sie es auf eine andere Art. Ich ließ mich auf das Spielchen ein und schmiegte mich noch enger an Felix. Der war jetzt vollkommen verwirrt und verstand überhaupt nichts mehr. „Ich…ich werde jetzt erst mal was zu trinken holen gehen. Bis gleich!“ Sanft löste er sich aus meiner Umarmung und machte sich auf den Weg in die Küche. „Was willst du hier?“, fragte Chantal-Yvonne sobald Felix außer Hörweite war.
„Dasselbe frage ich dich!“
„Vielleicht bin ich ja mit Felix zusammen? Habe ich als seine Freundin nicht das Recht bei ihm zu sein?“
„Hättest du, aber du bist nicht seine Freundin und du wirst es auch nie sein. Vergiss es also und kehr zurück in die Realität!“
Sie stand auf und machte sich auf den Weg zur Tür. Direkt vor mir blieb sie stehen und zischte mir ein „Na das werden wir ja sehen!“ entgegen, bevor sie ebenfalls in die Küche ging. Ich schrieb noch schnell eine Nachricht und folgte ihr. Doch erneut erlebte ich eine Ãœberraschung. Sie versuchte sich an ihn ranzumachen, doch er ging nicht auf sie ein, sondern wich ihr sogar aus. Ich konnte mir auch diesmal ein Grinsen nicht unterdrücken. Was war ich doch für ein Miststück, wenn auch nicht so eins wie Chantal-Yvonne. Schnell steckte ich ihr den Zettel zu und ging. Felix, der mit der Situation anscheinend überfordert war, schien froh einen Grund zu haben vor Chantal zu flüchten. Er rannte mir hinterher. Innerlich jubelte ich. Das Spiel hatte begonnen und ich lag bereits in Führung.
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Oft dachte ich an diesen Augenblick zurück. Ob es die richtige Entscheidung war? Es war einer solcher Augenblicke in denen man handelt ohne vorher nachzudenken, ohne an die Folgen zu denken. Ich musste jetzt immer in Felix‘ Gegenwart so tun, als sei ich wahnsinnig in ihn verliebt. Das konnte Max ruhig mitbekommen. Sollte er davon halten, was er wollte.
Er bemühte sich sehr. Schon nach einigen Tagen schickte er mir einen Blumenstrauß nach dem anderen. Anna hingegen verstand die Welt nicht mehr. Sie wusste nicht in wen ich jetzt verliebt war, wem ich etwas heimzahlen wollte und bei wem alles so bleiben sollte, wie es war. Immer und immer wieder versuchte ich es ihr zu erzählen. Am Ende, kurz bevor ich aufgeben wollte, hatte sie es begriffen, konnte aber meine Beweggründe nicht zweifelsfrei nachvollziehen. „Friedi, das geht schief! Wie stellst du dir das vor? Was wenn du dann doch mit Felix zusammenkommst? Weiß Max eigentlich Bescheid?“ Max. Der Gedanke an ihn tat weh. Warum hatte er mich so verletzt? Vielleicht war es ja gar nicht seine Absicht gewesen, oder vielleicht doch? Anna riss mich aus meinen Gedanken. „Hey Friedi, hörst du mir überhaupt zu?“ Entschuldigend schaute ich sie an: „Tut mir leid, aber ich war gerade ganz woanders. Kannst du das bitte nochmal wiederholen?“ „Man Friedi! Ich habe dich gefragt, ob ich dir irgendwie helfen kann?!“ Jetzt war ich komplett verwirrt. Erst war sie total dagegen und jetzt? Jetzt wollte sie mir helfen? Ich konnte es kaum glauben, deshalb fragte ich zur Sicherheit nach. „Du willst mir also tatsächlich helfen?“ Sie legte mir tröstend die Hand auf die Schultern und schaute mir direkt in die Augen. Oder vielmehr, sie versuchte mir in die Augen zu schauen, denn ich schaute lieber auf meine Schuhe. „Friedi, schau mich an! Wir kennen uns schon seit Ewigkeiten und du glaubst ernsthaft, dass ich dir tatenlos zusehe und dich in dein eigenes Unglück rennen lasse?! Kennst du mich wirklich so schlecht? Außerdem, willst du Chantal-Yvonne diesen Triumph gönnen?“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, das wollte ich auf keinen Fall, aber dennoch hatte ich auf einmal Zweifel. Woher kam der plötzliche Umschwung? „Wie kommt es, dass du mir jetzt doch helfen willst?“ Sie wusste es selber nicht genau. Wir verfielen augenblicklich in einen Lachkrampf und konnten nicht mehr aufhören, als es plötzlich klingelte. „Ich gehe schon!“, rief Julia in unsere Richtung, denn wir hatten uns immer noch nicht fangen können. Wir achteten nicht genau auf das Geschehen draußen, denn wir mussten versuchen unser Lachanfall wieder unter Kontrolle zu kriegen. Doch dann stand Max in der Tür und schlagartig hörte ich auf zu lachen. „Was willst du hier?“ Eisig schaute ich ihn an. Anna hat mir eine SMS geschrieben, dass du willst, dass ich vorbeikomme.“ Bitte? Ich hatte mich wohl verhört!? „Friedi, sei jetzt bitte nicht sauer, ja? Ich kann dir alles erklären, aber hör mir bitte erst mal zu!“ Ich dachte gar nicht daran. „Geh mir aus dem Weg, Max!“ Ich wollte nur noch weg, aber Max stand immer noch in der Tür. Oder vielmehr im Türrahmen. Er sah traurig und mitgenommen aus. Ich wollte nur noch weg. Ich hasste mich in diesem Augenblick und meine Kommentare wären sehr verletzend gewesen, wenn ich nicht augenblicklich das Weite suchen würde. „Können wir nicht reden?“, fragte er mich leise. „Es ist zu spät. Als es noch ging, hast du gekniffen. Bist zu Anna gerannt anstatt mit mir zu reden. Jetzt musst du auch die Konsequenzen tragen. Lass mich durch!“ Am Boden zerstört ging er beiseite. Ich riss meine Jacke vom Hacken, steckte Schlüssel und Handy ein und wollte gerade raus, als die Tür aufgeschlossen wurde. „Karl, was machst du denn hier?“ Vor der Tür stand mein großer Bruder Karl und sofort waren alle negativen Gedanken und Gefühle verflogen und ein wohliges Gefühl der Wärme und Geborgenheit durchströmte mich. „Ich dachte, du kommst erst in einem Monat zurück?!“ „Ich kann ja auch wieder gehen, wenn ich unerwünscht bin?!“ „Nein, nein! Komm rein!“ Eilig zog ich ihn nach drinnen und fiel ihm um den Hals. Ich hatte ihn so vermisst. Er wohnte zwar nicht weit weg in einer WG, aber seit dem Beginn seines Studiums, sah ich ihn so gut wie nie. „Hey Schwesterchen, nicht so stürmisch. Ich freue mich doch auch dich wieder zu sehen. Hallo Anna, wie geht’s? Alles klar bei dir und Steffan? Und du bist…?“, fragend schaute er Max an. Den hatte ich in der Freude total vergessen. Meine Stimmung geriet augenblicklich wieder ins Schwanken. „Maximilian. Aber alle nennen mich nur Max.“, stellte er sich vor. „Ich wusste gar nicht, dass du einen Freund hast Friedchen!“ Friedchen war der abscheulichste Name, den ich je bekommen hatte. „Tja, Karlchen, das kommt davon, wenn du nie zu Hause anrufst, aber ich muss weg. Wir sehen uns ja dann heut Abend. Mama ist immer noch auf Kur mit Jakob, Lena und Marius, Papa kommt heute Abend ganz spät und Julchen ist in ihrem Zimmer.“ Ich knallte dir Tür hinter mir zu und flog die Treppen runter. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Knie tat nach meinem dritten Sturz höllisch weh und ich beschloss die Treppen doch langsamer runter zu gehen. Auf dem Weg nach draußen überlegte ich zu wem ich gehen könnte. Anna und Max fielen aus. Vielleicht zu Steffan, aber der hatte ja keine Zeit. Zu Bernd, dem besten Freund meines Bruders? Gar kein so schlechter Gedanke. Berndl, wie wir ihn immer nannten, hatte ich schon so lange nicht mehr gesehen, denn schließlich ist es nicht nur der beste Freund meines Bruders, sondern auch meiner. Die zwei kennen sich seit…eigentlich schon immer. Wie in Büchern jetzt stehen würde: Er war für mich wie ein großer Bruder. Ich klingelte bei Bernd. Niemand öffnete. Ich klingelte erneut und diesmal öffnete Bernd. „Hey Berndl, wie geht’s dir? Man, du hast dich ja verändert!“ „Friedi, komm rein! Gut soweit und dir? Mensch, du aber auch. Haben uns ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wie geht’s dem Karlchen?“ Nachdem wir die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten und jetzt endlich mit einem richtigen Gespräch beginnen konnten, klingelte es erneut. Es war Karl. „Wusste ich doch, dass du hierher gehst. Fällt die beste Freundin aus, dann bleibt der beste Freund noch über!“ Er grinste mich herausfordernd an und wandte sich dann Berndl zu: „Grüß dich, Berndl!“ Karl kam ohne zu fragen rein, denn es war für ihn selbstverständlich. Er hatte sogar einen Schlüssel für die Wohnung. Genauso wie Bernd auch einen Schlüssel von unserem Haus hatte. „Ach Karlchen, du bist immer noch so wie früher.“ „Na hör mal, was soll das denn jetzt heißen?!“, schaute Karl Bernd herausfordernd an. Sie konnten den Blickkontakt aber nicht lange halt, da beide zu lachen anfingen. Ich war in dieser Zeit in die Küche gegangen. Allerdings saß am Küchentisch ein Mädchen, oder vielmehr eine Frau, oder doch eher eine junge Dame? Jedenfalls ein weibliches Wesen. „Guten Tag.“, grüßte ich artig und ging zum Kühlschrank. „Haben dir deine Eltern nicht beigebracht, dass man fragt bevor man sich etwas nimmt?“ Ich schaute sie fragend an. „Ich meine“, setzte sie zu einer Erklärung an, „du kommst hier einfach rein und nimmst dir einen Joghurt. Ich dachte immer man fragt um Erlaubnis, oder ist das heute anders?“ Ich verstand und musste schlagartig lachen. „Ich finde das überhaupt nicht zum Lachen, mein Fräulein.“, erwiderte sie empört. „Ach Magdalena, lass gut sein. Friedchen darf das, nicht wahr?“ Fragend schaute er mich an. Da ich bereits einen Löffel Joghurt im Mund hatte, nickte ich nur. Nachdem ich geschluckt hatte, stellte ich mich vor: „Ich heiße Friederike, aber meine Freunde nennen mich Friedi…“ An dieser Stelle unterbrach mich mein Bruder, der mit zwei Bierflaschen aus dem Keller hoch gekommen war: „Und für Familienmitglieder Friedchen. Ich bin Karl…“ „Oder auch Karlchen.“, fiel ich ihm ins Wort. Mein Bruder ließ sich davon nicht beirren und fragte ganz offen: „Woher kennen Sie jetzt unseren Berndl?“ Die weibliche Person räusperte sich und stellte sich jetzt ihrerseits vor: „Ich bin Katharina-Magdalena Schneider. Hört auf mich zu Siezen. Den Bernd kenn ich vom Studium. Wir müssen zusammen ein…wie sagt ihr Schüler dazu? Referat?“ Ich nickte und sie fuhr fort mit ihrem Gespräch: „Nun ja, wir müssen zusammen ein Referat halten. Wieso unter Familienmitgliedern? Seit ihr der Cousin und die Cousine vom Bernd?“ Ich konnte mich nicht mehr halten und prustete los. Auch Bernd und Karl hatten Mühe ihr Lachen zu unterdrücken. „In gewisser Maßen schon, aber biologisch gesehen nicht. Unsere Mütter kennen sich schon seit Kindertagen und der Karl und ich auch. Wir wuchsen zusammen auf und waren oder vielmehr sind wie Geschwister. Als dann die Friedi kam und die dann laufen konnte, da hat sie Karl immer mitgebracht und sie ist für mich bis heute wie eine kleine Schwester. He Karl, willst du sie mir nicht überlassen?“ Ich verschluckte mich an einem zu großen Schluck Leitungswasser. „Bernd, Bernd, Bernd! Du bist unbelehrbar! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich sie um nichts in der Welt hergeben würde, aber du könntest sie ja heiraten, dann würde sie uns beiden gleichermaßen gehören.“, entgegnete mein Bruder schlagfertig. Na jetzt ging es ja wohl los. Zum Glück mischte sich jetzt die unbekannte Person wieder mit ein. „Jungs, das ist doch jetzt vollkommen egal. Außerdem, meint ihr nicht, dass da Friederike nicht auch ein Wörtchen mitzureden hat?“ Das hätte sie nicht sagen dürfen. Die beiden grinsten sich hämisch zu und sprachen gleichzeitig; „Nein! Eine Sache gibt es, bei der sie nichts abschlagen kann!“ Ich kannte die Beiden gut genug, um zu wissen, was sie als nächstes versuchen würden. Deshalb rannte ich so schnell ich konnte zur Verandatür, um in den Garten zu kommen, aber die Tür klemmte. Es war zu spät. Bernd hatte mich bereits gefangen und riss mir die Beine weg. Er hielt mich so, wie man ein Baby oder die Braut hält. Ich strampelte und schrie unentwegt: „Lass mich runter! Lass mich sofort los!“ Doch Bernd war, genau wie mein Bruder, 21 Jahre alt und somit nicht nur größer, sondern auch stärker. Dazu kam noch, dass er ein Junge war, der einmal Judo trainiert hatte und ich nur ein wehrlosen, schwaches, schlaksiges Mädchen im Alter von 15 Jahren. Er warf mich auf das breite Sofa und kitzelte mich aus. Ich gehörte zu meinem Pech leider zu den Personen, die extrem kitzlig. Mein Bruder freute sich immer, wenn er die Gelegenheit hatte mich richtig schön durchzukitzeln, und auch diese ließ er sich nicht entgehen. „Nein!… Aufhören!... Schluss!...“, japste ich. „Ich… bekomme… keine… Luft… mehr!“, brachte ich müh-sam hervor. Das wirkte. Sofort hörten sie auf und ich konnte tief Luft holen. Mit einem Schlag waren alle wieder ernst. So war das schon immer bei uns gewesen. Katharina-Magdalena schien das allerdings zu verwirren, denn sie schaute etwas ratlos drein. „Na, Berndl!“, mein Bruder erhob sich und klopfte Bernd freundschaftlich auf die Schulter, „Das mit dem Heiraten kannst du dir ja mal noch überlegen. Wir wollen dich jetzt auch nicht weiter von deinem Referat abhalten. Komm doch mal vorbei! Friedi…“ „Also Berndl bis dann! War schön dich mal wieder zu sehen.“ Ich betrachtete ihn genauer während er sich nochmal kurz mit meinem Bruder unterhielt. So schlecht sah er gar nicht aus. Vielleicht…nein, da würde nichts Gutes bei rauskommen, wenn ich mit ihm zusammen käme, oder doch? Aber was war mit Max? Endlich verließen wir die Wohnung, so dass ich nicht weiter darüber nachdenken konnte. „Und Friedi, was machen wir zwei jetzt noch? Fahren wir zu Mark?“ Mark war ebenfalls ein guter Freund meines Bruders. „Zu Mark? Aber…“ „Kein ,aber‘! Wie fahren und auf dem Weg zu ihm erzählst du mir endlich mal alles!“
Der Weg kam mir länger vor als sonst. Wahrscheinlich fuhr mein Bruder extra Umwege, damit ich ihm alles erzählte. Als ich fertig war, meinte er nur: „Hm…also worauf du dich auch immer einlässt?! Naja, jetzt entspann dich erst mal!“ Mit diesen Worten stellte er den Motor ab. Wir waren da. Wie immer war bei Mark volles Haus. Marks Partys waren die angesagtesten überhaupt. Wer dort war, gehörte zu den Coolen und hatte was zu sagen. Ich war hier so gut wie nie, aber mein Bruder war der Jahrgangsbeste und auch Beliebteste gewesen. Und das nicht durch diese Partys. Hin und wieder ging er jetzt hin, um alte Freunde wieder zu sehen. Mich nahm er da oft mit. Leider traf ich viele Klassenkameraden und Klassenkameradinnen. Doch anstatt zu ihnen zu gehen, blieb ich die ganze Zeit bei meinem Bruder. Ich fragte ihn mehrmals, ob es ihn stören würde, aber er quittierte das nur mit einem grimmigen Blick und einem: „Nein! Ich bin froh, dass du bei mir bleibst! Ehrlich!“ Karl wurde freudig von seinen Kumpels begrüßt. Auch mich begrüßten sie, allerding nicht ohne ein „Muss die wirklich bei uns bleiben? Kann die nicht woandershin? Hier sind doch garantiert Klassenkameraden von der, oder?“, was meinen Bruder ziemlich auf die Palme brachte. „Zufällig hat DIE einen Namen und der lautet Friederike. Zufällig ist sie meine kleine Schwester und ich habe sie gebeten bei mir zu bleiben. Wenn es euch nicht passt, dann gehen WIR eben wieder. Bye.“ Hach, war mein Bruder toll. Ich war sehr froh, dass er mein Bruder war. Viele beneideten mich seinetwegen. Auch wenn seine Freunde ihm ein „Nein, bleibt!“ nachriefen, ging er weiter. Ich fühlte mich nicht wohl, da er meinetwegen nicht mit seinen Freunden feiern konnte. „He, warte mal! Du kannst ruhig zu deinen Kumpels gehen. Das ist vollkommen in Ordnung, ehrlich!“ Aber er war da anderer Meinung: „Friedi, ich wollte heute Abend gemeinsam mit dir etwas unternehmen und das lasse ich mir von diesen…diesen…angeblichen Freunden nicht nehmen. Ich meine, das sind ja echt tolle Freunde. Stell dir mal vor, du wärst meine Freundin.“ „Bin ich aber nicht. Ich bin deine kleine Schwester, die möchte, dass ihr großer Bruder den Abend nach seinen Wünschen gestaltet und nicht auf seine kleine, nervige Schwester achtet! Ich würde mich nur freuen, wenn du mich vorher schnell nach Hause bringst.“ Doch er nahm mich an die Hand und zog mich aus dem Haus ohne weiter darauf einzugehen.
Gemeinsam fuhren wir zur Dönerbude. Er holte einen kompletten für sich und einen ohne Zwiebeln und scharfe Soße für mich. Wir setzten uns ans Flussufer und beobachteten die Enten. Hin und wieder warfen wir ihnen Dönerbrotkrumen zu. Nachdem wir aufgegessen hatten, saßen wir einen Weile schweigend nebeneinander und hingen unseren Gedanken nach. „Bist du jetzt eigentlich noch mit Max zusammen oder nicht?“, fragte mein Bruder in das Schweigen hinein. Das war eine gute Frage. Die Antwort wusste ich selber nicht genau. Woher wusste man, dass Schluss ist. War es wie in den Filmen, dass man hinging und sagte „Ich mach Schluss!“? Oder war Schluss, auch wenn keiner das erwähnt hatte? Musste man überhaupt festlegen, dass durch die Frage „Willst du mit mir gehen?“ oder „Willst du mit mir zusammen sein?“ eine Beziehung anfängt (wenn die Antwort denn „Ja!“ lautet) und durch den einen Satz, bestehend aus drei Wörtern, „Ich mach Schluss!“ beendet sein kann? In Filmen wird oft noch gesagt „Wir können ja Freunde bleiben, oder nicht?“ Aber diesen Satz finde ich noch blöder, weil es noch mehr verletzt und die Freundschaft eh nie so werden kann wie vorher. Der Schmerz und die Frage „Warum?“ verhindern ungestörtes zusammen sein und reden. Allerdings stellt sich ja dann die Frage, wenn man das schon vorher weiß, warum lässt man sich dann darauf ein? Weil man denkt „Bei mir wird das anders sein!“? Nur um am Ende doch enttäuscht zu werden?! Ich wollte darüber nicht weiter nachdenken. Vielleicht würde ich sie mal an irgend so eine Klatschzeitschrift schicken, die immer so einen Kummerkastenteil haben. Interessieren würde es mich schon. Nach erneut langem Ãœberlegen antwortete ich endlich: „Das weiß ich selber nicht genau!“ Verblüfft über diese kurze Aussage für die ich so lange nachdenken musste, verfiel mein liebster Bruder in einen nicht so schnell endenden Lachanfall. „Was ist denn daran bitte lustig?“, fuhr ich ihn gereizt an. Er bemerkte meine Wut, konnte aber dennoch nicht aufhören zu lachen. Mir wurde es zu viel. Ich stand auf. Prompt rutschte ich aus und rollte den Hang runter ins Wasser. Jetzt war es vorbei. Mein Bruder hielt sich den Bauch vor Lachen. Er lachte und lachte. Es schien, als ob er gar nicht mehr aufhören könnte. Doch zum Glück wurde er dafür auch gleich bestraft. Auch er kullerte den Hang runter, konnte sich nicht halten durch seinen Lachkrampf und fiel ebenfalls ins Wasser. Jetzt musste auch ich lachen. Ich war fasziniert, wie schnell mein Bruder mich zum Lachen bringen konnte.