Ich lag immer noch heulend im Gras und ahnte nicht, wie sich alles zu dem entwickelt hatte, was es jetzt war: ein einziges Durcheinander. Außerdem wusste ich weder aus noch ein. Allmählich beruhigte ich mich wieder. Gerade als ich beschlossen hatte mich der Situation zu stellen und mich auf den Heimweg machte, stand auf einmal Felix vor mir. Sofort war meine gute Laune dahin. Ich wollte einfach so tun, als ob er nicht da wäre, als ob ich ihn nicht gesehen hätte, aber da zwang er mir schon ein Gespräch auf: „Hey, Friedi, was ist denn passiert? Kann ich dir irgendwie helfen?“ Er klang ehrlich besorgt und wollte mir tröstend den Arm um die Schultern legen, aber ich wich eben diesem geschickt aus. „Ja du kannst mir helfen. Nämlich in dem du einfach verschwindest. Du gehst mir tierisch auf die Nerven und im Ãœbrigen habe ich einen Freund! Wenn dir das entgangen sein sollte, dann weißt du es jetzt.“ Ich drehte mich um und stapfte davon. Bedauerlicherweise trat ich dabei in einen Hundehaufen. „Scheiße!“, rief ich und leider stand ein kleines Kind neben mir und schaute mich aus großen Augen an. „Meine Mama hat gesagt Scheiße darf man nicht sagen. Das ist nämlich ein böses Wort!“ Ich entschuldigte mich schleunigst bei dem Kleinen und machte mich dann auf den Rückweg, damit mich der Knirps nicht noch weiter zu texten konnte.
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Erschöpft und mit den Nerven völlig am Ende schloss ich die Haustür auf. „Hallo Julchen, ich bin wieder…“ Der Rest des Satzes blieb mir im Halse stecken, denn mit wem saß sie da in einer innigen Umarmung auf unserer Couch? Mit keinem anderen als Felix. Das war ja echt ein hinterhältiger, arroganter, eingebildeter und was weiß ich noch alles Idiot. Sobald eine nicht mehr war, wurde gleich die nächste genommen, aber nicht mit mir und schon gar nicht mit meiner Schwester. Wie war er überhaupt so schnell hierhergekommen? Doch das spielte jetzt keine Rolle. Das, was jetzt zählte, war meine Schwester. Entschlossen setzte ich mich zwischen die beiden. „Na, wie geht’s denn so? Was kommt denn gerade im Fernsehen? Wir können uns was Leckeres kochen! Was meint ihr? Ach übrigens, sei mir nicht böse Felix, aber ich war vorhin einfach nicht so gut drauf, weil Max Schluss gemacht hatte. Das hat mich schon ziemlich mitgenommen, aber jetzt ist alles wie vorher. Naja, aber ich wollte auch nicht weiter stören. Viel Spaß noch.“ Ich stand auf ohne auf eine Antwort auf eine meiner Fragen zu warten und ging hinauf in mein Zimmer. Ich schaute auf meine Uhr und exakt vier Sekunden später hörte ich, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel und wenige Augenblicke später, riss meine Schwester meine Zimmertür auf. Ich dachte, meine Tür kippt gleich aus den Angeln. „Wieso bist du immer so gemein zu mir. Er wollte mir gerade seine Liebe gestehen und dann kommst du und machst alles kaputt.“ Noch bevor ich etwas zu meiner Verteidigung sagen konnte, knallte sie die Tür wieder hinter sich zu. Mein ganzer Mut und meine Entschlossenheit den Plan durchzuführen, waren dahin. Ich sackte in mich zusammen und brach erneut in Tränen aus, aber da zu viel weinen auf den Kopf geht und man Kopfschmerzen bekommt, hörte ich bald wieder auf. Ich ging in die Küche, um mir eine Kopfschmerztablette zu holen. Am Küchentisch saß Julia. „Die Kopfschmerztabletten sind alle, aber du brauchst mich nicht gleich wieder anfahren, denn ich habe sie nicht alle gemacht.“ „Das hatte ich auch gar nicht vor und das mit vorhin tut mir echt leid, aber…“ Weiter kam ich nicht, denn meine Schwester sprang auf, baute sich vor mir auf und zischte mich an: „Ach ja, du lügst doch nur schon wieder. Max hat gar nicht Schluss gemacht, aber anscheinend macht es dir Spaß anderen Leuten wehzutun.“ Verwirrt und auch erstaunt fragte ich sie: „Was hat das ganze denn mit Max zu tun? Und außerdem, falls du es vergessen haben solltest, wen musste ich denn vorhin trösten und weswegen haben Max und ich uns überhaupt erst gestritten?“ Ich war echt sauer auf sie, das war ja nun wirklich nicht fair. „Jetzt machst du mich dafür verantwortlich, dass er deinetwegen so fertig ist, ja? Und ich habe dich auch nicht darum gebeten mich zu trösten. Und was das alles mit Max zu tun hat, müsste dir ja selber auffallen. Ich will aber mal nicht so sein und bin eine nette Schwester. Max war vorhin ganz aufgelöst, aber es waren ja nur Anna, Steffan und ich hier. Anna hat dann auf ihn eingeredet und, wieder einigermaßen bei sich, ist er dann gegangen.“ Das verwirrte mich, denn schließlich war er es doch gewesen, der den anderen so schändlich hintergangen hatte. „Ja, du bist Schuld. Woher willst du denn wissen, ob wir noch zusammen sind oder nicht?! Aber…was…was hat er denn gesagt?“ Doch meine Schwester tat so, als ob sie mich nicht gehört hatte und wählte bereits irgendeine Nummer. „Hallo, ja hier ist Julia…Genau die…Kann ich bitte ihren Sohn sprechen...ja…“ Ich hörte nicht mehr richtig zu, denn es ging mich ja schließlich nichts an. Plötzlich hörte ich, dass sie meinen Namen rief. Langsam registrierte ich, dass ich mit offenen Augen geschlafen hatte. Jule hielt mir das Telefon unter die Nase. Immer noch leicht verwirrt meldete ich mich: „Ja, hallo, Friederike!“ Eine Zeit lang war alles still. Ich wollte schon auflegen, als eine Stimme sagte: „Friedi, es tut mir so leid, aber es ist nicht so, wie du denkst. Wie du weißt ist Sein und Schein ein gewaltiger Unterschied. Kommst du immer noch mit zum Zelten?“ Allein seine Stimme ließ mich unsere Auseinandersetzung vergessen: „Klar, wieso auch nicht?! Es war ja nicht deine Schuld, oder?“ Wieder dauerte es lange bis er endlich antwortete: „Kannst du in 5 Minuten unten sein?“ Diesmal war ich es, die vorerst schwieg. Ich wusste nicht genau, ob ich hören wollte, was er mir sagen würde. Schließlich hatte er mir keine eindeutige Antwort gegeben. Ich entschloss mich dann doch mich mit ihm zu treffen, denn ich würde so oder so nicht umhin kommen mit ihm zu reden. Warum also erst in die Ferne schieben? Außerdem war es vielleicht die einzige Chance für mich, dass ich mich nicht Entschuldigen musste und dem anderen, um Vergebung bittend, hinterherrennen musste.
Doch unten wartete kein Max. Er war nicht gekommen. „Hat es sich wahrscheinlich anders überlegt“, dachte ich schnippisch. Aber da ich einmal draußen war, beschloss ich gleich einmal bei Anna vorbeizuschauen.
Als ich vor Annas Haus stand, fiel mir ein Fahrrad auf. Es war eigentlich nicht gerade auffällig. Der Rahmen war dunkelrot lackiert. So wie andere Fahrräder auch. Der Grund warum es mir ins Auge fiel: Es war das Fahrrad von Max. Klar, man könnte jetzt einwenden, dass es ja nicht nur einen Drahtesel mit dieser Farbe gab, aber keiner wird eine Kompassklingel und einen Aufkleber mit der Aufschrift „Evangelische Jugend Anhalt“ haben zumal wir in Hannover leben. Zumindest wäre das ein großer Zufall. Ich wollte schon kneifen und wieder nach Hause gehen, aber dann entschloss ich mich, tapfer zu sein und außerdem hatte ich mich ja entschieden mich der Situation zu stellen. Sofort nachdem ich geklingelt hatte, öffnete mir Max die Tür. Er wollte mich gleich umarmen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. „Darf ich?“ Verwirrt schaute ich ihn an, wieso sollte ich es ihm verbieten? „Klar. Es spricht doch nichts dagegen.“ Ich erwiderte seine Umarmung. Es war ein schönes Gefühl ihn wieder in die Arme nehmen zu können. Fast hätte ich ihn auch geküsst, wenn mir nicht unser Streit wieder eingefallen wäre. „Warum bist du eigentlich bei Anna? Ich dachte du wolltest dich mit mir treffen. Was hättest du gemacht, wenn ich mich nicht entschlossen hätte zu Anna zu gehen, sondern zu Lenchen?!“ Diesmal war er es, der den anderen fragend anschaute. „Weißt du, Menschen sind faszinierende Wesen. Sie stehen neuen Dingen immer misstrauisch gegenüber. Wenn ich mich nicht irre, dann ist Anna die Person, die du am längsten kennst. Die auch dich am besten kennt. Abgesehen von deinen Eltern. Warum solltest du also zu einer Person gehen, die für dich im Prinzip noch ein völliges Geheimnis ist?!“ Er unterbrach seine Erklärung und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Ich hatte nicht genug Mut dich zu treffen, deswegen ging ich zu Anna, da ich mir sicher war, dass du auch vorbeikommen würdest.“ „Jule wollte mir nicht glauben, dass es zwischen uns angeblich aus war, aber Felix fing gleich an zu strahlen!“ Er schaute mir tief in die Augen. „Nach dem, was ich dir sagen werde, willst du vielleicht gar nicht mehr mit mir zusammen sein.“ „Wieso denn? Wegen dieses Streits werden wir uns doch nicht trennen, oder?“ Erwartungsvoll schaute ich ihn an. Er versuchte meinem Blick auszuweichen. Doch er schaffte es nicht. „Heißt das…heißt das, dass du nicht mehr mein Freund sein willst?“ Am Boden zerstört, dass er diese Aussage weder bestätigte noch bestritt, rannte ich aus dem Haus, nahm sein Fahrrad und fuhr zum Skater. Für alle, die den Skater nicht kennen: Der Skater ist eigentlich ein Platz, wo man mit Inlineskatern, Skateboards, Fahrrädern und anderen fahrtüchtigen „Geräten“ über Hindernisse fahren kann, aber ab um zwei nachmittags wird dort nur gesoffen und gekifft. Zum Glück war das nicht immer so, aber es ändert sich eben alles. Normalerweise trank ich so gut wie nie, aber ich war so down und es ging mir so schlecht, dass mir das kühle Apfelbier gerade recht kam, das mir Ralf entgegenhielt, als ich mich neben Maria auf den kalten Boden fallen ließ. Ich leerte die Flasche fast auf Ex. Im Prinzip hätte ich sie komplett in einem Zug getrunken, aber es schauten mich alle so erstaunt an und Maria riss mir plötzlich die Flasche aus der Hand. „Hey, gib mir die sofort wieder!“ Doch Maria schüttete den restlichen Inhalt einfach weg. „Nein. Man Friedi, was ist denn mit dir los. Das machst du sonst nie!“ Pft. Und mit solchen gab ich mich ab. Eines war jedenfalls klar, weiterhelfen konnten die mir auch nicht. Ich verließ also schnellsten wieder den Skater.