Wir wachten genau zum Mittag auf. Noch im Schlafanzug kochten wir Nudeln mit Tomatensauce. Schweigend aßen wir. Doch nebenbei lief das Radio und irgendwann begannen wir mitzusingen. Prustend und lachend fingen wir sogar an zu tanzen. Plötzlich fiel mir ein, dass wir ja noch Max fragen mussten wegen des Zelturlaubs. Wir drehten das Radio wieder leiser und räumten die Küche auf. „Das wird genial. Einfach super, aber ich komme wirklich nur mit, wenn Max auch zusagt.“ Anna und ich waren jetzt schont total aus dem Häuschen, obwohl der Urlaub noch 7 Wochen entfernt war und es noch nicht mal feststand, ob ich überhaupt mitkommen würde. Gerade als ich Max anrufen wollte, klingelte das Telefon. Ungeduldig nahm ich ab. „Ja?“ „Friedi? Ich meine Friederike?“ Ich erkannte seine Stimme sofort. „Man, Felix, was ist denn los? Warum rufst du mich an?“, fragte ich genervt, denn ich hatte wichtigeres zu tun, als mit ihm hier ewig zu erzählen. „Hey, ich dachte du gibst mir heute Abend noch Nachhilfe?!“ „Aber die Nachhilfe hattest du doch schon gestern. Warte mal bitte kurz!“, ungeduldig, aber auch leicht verunsichert, ob ich mich nicht doch mit ihm verabredet hatte, zog ich Anna hinter mir her in mein Zimmer. Sie ließ sich auf mein Bett fallen und ich durchwühlte mein Chaos auf dem Schreibtisch nach meinem Terminkalender. Endlich hatte ich ihn gefunden, aber da stand nichts von Nachhilfeunterricht. „Hörzu Felix, ich habe jetzt echt keine Zeit für deine Spielchen. Deine nächste Nachhilfestunde ist erst in 4 Tagen. Am Mittwoch. Also  lass mich in Ruhe.“ Ohne auf eine Antwort seinerseits zu warten, legte ich auf. Anna konnte zwar nichts dafür, dass Felix ihr Bruder war und dass er mich liebte, dennoch machte ich sie jetzt dafür verantwortlich, dass er mich nervte. „Anna, warum kannst du deinem Bruder nicht einfach sagen, dass er keine Chance bei mir hat, mich in Ruhe lassen soll und dass er mich nicht weiter nerven braucht, da ich einen Freund habe. Also manchmal ist er genauso nervig wie du.“ Deutlich gekränkt wandte sich Anna zum Gehen. Schnell fasste ich mich wieder und hielt sie fest. Sie versuchte sich zu befreien, aber ich musste auf Wunsch meiner Mutter einen Selbstverteidigungskurs besuchen und ich hatte jetzt Kraft und den richtigen Griff drauf. „Mensch, sorry, Anna. Das war nicht so gemeint. Er hat mich nur gerade so aufgeregt und manchmal bist du echt nervig, aber ich garantiert auch. Ich weiß auch nicht warum ich das jetzt gesagt habe, aber irgendwie hat sich bei mir die Wut angestaut und dein Bruder hat dann das Fass zum Ãœberlaufen gebracht. Da du aber die Einzige warst, die in meiner Nähe saß und seine Schwester bist, traf es nun leider dich. Ich hoffe du verzeihst mir und willst immer noch, dass ich mitkomme, wenn nicht ist auch nicht schlimm.“ Immer noch nach Worten ringend unterbrach mich Anna: „Schschsch, Friedi! Ganz ruhig. Natürlich verzeihe ich dir und natürlich will ich dich noch mitnehmen. Ich weiß selber, dass alles wahr ist, was du gesagt hast. Es hat mich im ersten Moment nur sehr getroffen. Du weißt ja, dass keiner gerne die Wahrheit über sich hört. Im Ãœbrigen nervst du nur, wenn du versuchst dich zu entschuldigen. Dann kannst du einem schon mal den letzten Nerv rauben.“ Sie gab mir einen freundschaftlichen Schlag gegen die Schulter. Erleichtert, dass sie mir meinen plötzlichen Ausbruch nicht übelnahm, nahm ich sie fest in die Arme. „Du bist echt die beste Freundin die man sich nur wünschen kann und Steffan hat echt Glück mit dir, obwohl du einen viel, viel netteren Typen verdient hättest, der mehr Zeit für seine Freundin hat.“ Anna stieß mich von ihr weg und entgegnete empört: „Hey, du willst Steffan doch nur für dich haben und kannst nicht ertragen, dass er mich liebt. Gib es zu! Aber du kannst ihn mir nicht ausreden. Also hör sofort auf damit. Wenn ich ehrlich bin, bin ich froh überhaupt einen Freund zu haben und es ist doch eh viel schöner, wenn er nicht so viel Zeit hat, dann freut man sich doch erst richtig auf die gemeinsame Zeit.“ Da hatte sie natürlich Recht, aber ich fand es trotzdem schöner, dass Max bei uns um die Ecke wohnte und nicht 3½ Stunden entfernt, so wie Steffan. „So und jetzt rufe ich Max an! Willst du mithören?“, fragte ich Anna. Natürlich wollte sie. Schnell tippte ich seine Nummer ein, drückte auf die grüne Taste und stellte den Lautsprecher am Telefon an. „Maximilian Schuster, ja bitte?“, schnarrte es aus dem Telefon. „Hi Max. Ich bin’s.“ „Hi Friedi. Was gibt’s?“ „Ich wollte dich fragen, ob du Lust und Zeit hast mit Steffan, Anna und mir zelten zu fahren? Ich meine, das ist doch die Idee, oder? Zwei Wochen ohne peinliche Eltern, die noch peinlichere Fotos zeigen und die ganze Zeit Fragen stellen oder immer wieder einfach so ins Zimmer reinplatzen, ohne anzuklopfen natürlich, nur um zu gucken, dass der große Unbekannte dem kleinen Liebling ja nichts antut oder ihn gar küsst oder ähnliches.“ Eine lange Pause entstand und ich wollte schon auflegen, als es an der Tür klingelte. Fragend schauten wir uns an. Wer konnte das sein? Jule, Mama und Papa waren doch verreist und Max hatte ich am Handy. Anna schlich zur Tür und spähte durch das Schlüsselloch. Dann riss sie die Tür auf und ein freudestrahlender Max trat in unsere Wohnung ein. Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, stand plötzlich auch Steffan neben ihm. „Max? Steffan? Was macht ihr denn hier?“, riefen Anna und ich im Chor. „Steffan und ich sind in einer Fußballmannschaft und wir wollten uns schon lange mal treffen.“, erklärte Max. „Da Friedi und ich uns heute eigentlich treffen wollten, beschloss ich gleich bei Max vorbeizuschauen. Wir wollten gerade zu dir, als du mich auf meinem Handy anriefst. Natürlich habe ich genau wie ihr den Lautsprecher angemacht.“ Ich schaute auf mein Telefon, wo immer noch der Lautsprecherknopf leuchtete. Schnell legte ich auf, denn es war jetzt völlig unnötig das Gespräch aufrechtzuerhalten. „Als du dann den Zelturlaub erwähntest, meinte Steffan, dass wir gleich bei dir vorbeischauen könnten.“ Anna und Steffan hatten uns mittlerweile vergessen und saßen festumschlungen auf der Couch. „So viel zum Thema Ort, Zeit und Personen nicht vergessen!“, schnaubte ich wütend, aber dennoch leise genug, so dass es keiner hörte. Zumindest hoffte ich das. Allerdings hatte es Max verstanden und fragte jetzt verwirrt: „Wer hat was vergessen?“ „Niemand etwas. Ist egal.“ Da mit Anna und Steffan nichts anzufangen war, beschloss ich Max die Wohnung zu zeigen. Am Ende meiner Führung meinte Max: „Also ich muss schon sagen, das Zimmer deiner Schwester ist echt kitschig, da gefällt mir dein Zimmer besser. Obwohl…ich hätte vielleicht nicht solche Bettwäsche genommen.“ Ich lief knallrot an und schaute betreten zu Boden. Ich hatte die Eigenart, an Kindheitssachen festzuhalten und diese Bettwäsche war meine Erste. Sie hatte die dementsprechenden Motive und Farben. Doch in diesem Augenblick hasste ich mich dafür, die Bettwäsche behalten zu haben. „Hey, das war ein Scherz. Ich find’s niedlich.“ Noch ehe ich etwas erwidern konnte, nahm er mich in den Arm und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Meine Wut und mein Ärger verflogen mit einem Mal. „So, also wir blenden den Rest der Umgebung aus, ja?“ Erschrocken drehte ich mich um. In der Tür stand Anna, die mich skeptisch musterte. Ich lief erneut rot an und wusste nicht, was ich sagen sollte. „Anna, lass meine Cousine in Ruhe!“ Steffan trat hinter Anna.
„Und wenn ich sie nicht in Ruhe lasse?“
„Dann bekommst du es mit mir zu tun.“
„Na, da habe ich ja richtig Angst. Was willst du denn machen?“
Noch ehe Anna sich wehren konnte, hatte Steffan sie hochgehoben und auf mein Bett geworfen. Gerade als sie wieder aufstehen wollte, begann Steffan sie auszukitzeln. Vielleicht sollte ich dazusagen, dass Anna sehr, sehr kitzlig war. Sie bekam kaum noch Luft. Zwischen zwei Lachanfällen schrie sie heraus: „Friedi, es tut mir leid. Bitte hilf mir!“ Ich hatte ihr bereits vergeben und machte mich auf den Weg zu meinem Bett. Als Cousine von Steffan wusste ich, dass er genauso kitzlig war wie Anna. Ich wollte ihn gerade auskitzeln, als mich zwei starke Hände festhielten und mich vom Bett zurückzogen. Ich wand mich, aber ich schaffte es trotz Selbstverteidigungskurs nicht mich aus Max’ Griff zu entwinden. Ich gab auf und lehnte mich ergeben an ihn. „Irgendwann würde er mich schon loslassen.“, dachte ich mir. Aber ich hatte falsch gedacht. Er zerquetschte mir zwar nicht mehr meine Arme, aber dennoch umschlang er mich so, dass ich nicht wegrennen konnte. Leider musste ich mir eingestehen, dass ich froh war, dass er mich festhielt. „Willst du ihr wirklich helfen? Ich meine, wo sie doch vorhin so gemein zu dir war.“, flüsterte er mir fragend ins Ohr. Ich überlegte kurz. Da hatte er natürlich recht. Für ihre Bemerkung durfte Anna nicht ungestraft davon kommen, denn schließlich waren sie es gewesen, die zuerst alles vergessen hatten. Allerdings war sie meine Freundin und Steffan hatte sie jetzt schon lange genug durchgekitzelt. „Sie ist aber dennoch meine Freundin und Freundinnen helfen einander und unterstützen sich. Außerdem hat sie ihre Lektion gelernt. Zumindest hoffe ich das für sie.“ Ich grinste ihn frech an und er küsste mich sanft auf die Stirn. Einen Moment war Max allerdings doch von meiner Aussage verwirrt und lockerte seinen Griff. Noch bevor er wieder fester zugreifen konnte, schlüpfte ich unter seinen Armen durch und rannte zum Bett. Diesmal schaffte ich es Steffan zu kitzeln, bevor Max mich davon abhalten konnte. Vor Lachen ließ er von Anna ab und versuchte sich zu wehren, aber vergeblich. Er war einfach viel zu kitzlig um was anderes zu machen außer zu lachen. Anna, die ganz außer Atem war, setzte sich auf und rang nach Luft. Diesmal war Steffan es, der nach Hilfe rief. Max versuchte Steffan zu helfen, aber gegen Anna und mich als eingespieltes Dreamteam kam er nicht an. Doch er schaffte es mich von Steffan weg und zu sich ran zuziehen. Plötzlich hörten wir ein leises, aber dennoch erschreckendes Knacken. Im nächsten Moment saßen wir alle vier eine Etage tiefer. Mein Lattenrost war gebrochen. Nach einem kurzen Moment der Stille brach ich in schallendes Gelächter aus und mein Lachen war so ansteckend, dass die Anderen mit einfielen. Wir lachten so laut, dass wir nicht hörten, wie meine Schwester ihre Zimmertür hinter sich zu schlug. Erst als ich mit Max etwas zu essen machen wollte, hörten wir, wie jemand leise weinte. „Ich dachte deine Schwester kommt erst morgen wieder.“ Nachdenklich und etwas verängstigt schaute ich ihm in die Augen. „Na eigentlich schon, aber irgendetwas muss sich geändert haben.“ Leise klopfte ich an ihre Tür. Von drinnen erklang ein gehauchtes „Komm rein!“. Zusammen mit Max an der Hand betrat ich Julias Zimmer. Völlig zusammengesunken und mit roten, gequollen Augen saß sie auf ihrem Bett und rings um sie lagen zerknüllte und aufgeweichte Taschentücher. Ich ließ Max stehen und setzte mich zu Julia aufs Bett. „Hey, Julchen, was ist denn passiert?“ Tröstend legte ich ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie fest an mich. „Ich…ich habe Lisa er…erzählt, dass ich…in Felix verliebt bin und dann…dann hat sie einfach angefangen zu lachen. Sie…sie hat gesagt,…dass ich das ganz schnell wieder…wieder vergessen soll, aber…aber ich liebe ihn doch…“, versuchte sie mir schluchzend mitzuteilen. Hilfesuchend blickte ich zu Max auf. Aber der schüttelte nur mit dem Kopf. „Sie ist doch nur neidisch, weil sie weiß, dass du gute Chance hast seine Freundin zu werden. Viel bessere als irgendeine andere. Ich meine du bist meine Schwester.“ Ich versuchte die Worte so zu sagen, dass man es glauben konnte. Doch es ging schief. Zum Glück wusste sie nicht, dass er sie nicht nur ausnützen würde, um noch näher an mich heranzukommen. Mit meiner Schwester hatte er dann praktisch eine direkte Verbindung zu mir. Ich schauderte. Dennoch hörte Julia auf zu weinen und sah mich mit großen Augen an. „Echt? Meinst du?“ Es fiel mir schwer sie anzulügen, da sie so schöne klare Augen hat. Ich schloss kurz meine Augen und legte dann meine ganze Ãœberzeugungskraft in dieses Wort: „Echt!“ Julia kriegte ein schiefes Lächeln zu stande und Max, der die ganze Zeit schweigend neben uns stand, mischte sich jetzt in unser Gespräch ein: „Wenn du Lust hast kannst du ja Friedi und mir beim Kochen helfen oder Steffan und Anna Gesellschaft leisten.“ „Seid ihr etwa zusammen?“, erstaunt und leicht überrascht schaute sie von mir zu Max und wieder zurück. „Ja.“ Ich wollte nicht weiter auf das Thema eingehen, stand auf und zog Max hinter mir her. „Man musste das sein?“, fuhr ich ihn gereizt an. Er wusste nicht recht, wie er mit meinem plötzlichen Stimmungsumschwung umgehen sollte und erwiderte ebenfalls leicht gereizt: „Ich wollte dir ja nur helfen, aber du scheinst ja alles allein hinkriegen zu können. Da brauch ich dir ja auch nicht beim Kochen zu helfen.“ „Ja brauchst du auch nicht. Es hat auch alles bestens ohne dich funktioniert. Denn mit deiner Hilfe kann man nur die Probleme lösen, die man ohne dich erst gar nicht hätte.“ Stopp, das war zu viel, aber leider auch zu spät. Ich hatte ihn ernsthaft und richtig schmerzhaft verletzt. Zu allem Ãœberfluss war mein Wutausbruch gar nicht an ihn gerichtet gewesen, sondern an Lisa, da sie mich dazu gebracht hatte Julia so etwas zu sagen und die Enttäuschung würde dann nur umso schmerzvoller sein, und im entferntesten Sinne auch an Felix, da er die Ursache für diesen ganzen Mist hier war. Leider stand nur eben Max in meiner Nähe und nicht Lisa oder Felix, als meine Gefühle mit mir durchgingen. Doch noch bevor ich etwas zu ihm sagen konnte oder ihn irgendwie in den Arm nehmen konnte, machte er auf dem Absatz kehrt und knallte die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. Ich stand wie benommen in der Küche, unfähig mich zu bewegen. Anna und Steffan mussten den Streit mitbekommen haben, denn wie aus dem Nichts standen sie von einem zum nächsten Augenblick neben mir und legten mir tröstend die Arme um die Schultern. Doch ich wollte ihr Mitleid nicht, wenn jemand getröstet werden sollte, dann ja wohl Max und nicht ich. Doch stattdessen fingen sie an sich über ihn zu beschweren, was mir endgültig den Rest gab. Ich riss mich los, holte meine Jacke und schlug ebenfalls lautstark die Tür hinter mir zu. Allerdings bereute ich auch das im nächsten Augenblick, denn prompt rief der grantige Ãœbermieter zwei Stockwerke über uns: „Türen kann man auch leise schließen. Wenn man sie nämlich zu oft ins Schloss knallt, dann können sie auch irgendwann aus den Angeln fallen.“ Aber wie immer ignorierte ich Herrn Stiftus. Ich flog die Treppe regelrecht runter und lies auch noch die Eingangstür hinter mir ins Schloss fallen, woraufhin Herr Stiftus garantiert wieder zu meckern angefangen hatte. Mir war das in diesem Moment aber egal, mir war alles egal, ich wollte nur Max wieder zurück haben. Ich rannte so schnell wie es bei einer so unsportlichen Person wie mir eben möglich war zu ihm nach Hause ohne anzuhalten. Komplett außer Atem kam ich vor dem Haus von Familie Schuster zum Stehen. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Max die Haustür hinter sich ins Schloss zog ohne sich noch einmal umzudrehen, dennoch hörte ich, wie er seine Nase hochzog und leise „Blöder Felix!“ murmelte. Ich konnte es kaum glauben, aber er weinte tatsächlich. Sonst kannte ich nur Jungs, die immer einen auf Gelassen machten und nie in Gegenwart einer anderen Person weinten, wenn sie es überhaupt mal taten. Wahrscheinlich nur in Grenzsituationen in denen andere schon Suizidgedanken hegten. Doch ich fand das nicht abstoßend oder schlimm. Im Gegenteil, denn so wusste ich, dass er eben nicht zu diesen Ich-bin-ja-so-cool-und-sexy-sodass-sogar-die-Sonne-vor-Neid-erblasst-Machos gehörte. Das machte ihn für mich gleich noch anziehender.