Kurzgeschichte
Dein Blick

Augen auf

Wann immer Du mich ansiehst, rieseln mir heiße Schauer über den Rücken, Dein Blick ist faszinierend und intensiv, vor allem aber bohrt er sich direkt in meine Seele. Deine beinahe jungenhafte Unschuld lässt Dich verletzlich wirken, doch Dein Wille ist unbeugsam, ich weiß es. Schließlich kann ich Dir nicht länger widerstehen und senke meine Lider, um mir selber einen Augenblick der Stille zu gönnen. Insgeheim aber blinzle ich durch meine ineinander verwobenen Wimpern und ertrinke in Deiner Farbe, die nicht blau und nicht grün ist, die perfekte Komposition aus einem stürmischen Himmel und warmem, in der Sonne duftendem Gras.

Mit wieder offenen Augen mustere ich Dein ebenmäßiges Gesicht, die fein geschwungenen Lippen, die markante Stirn, betont durch die behutsam ins Gesicht gezogenen Haare. Über der beinahe arrogant platzierten Nase liegen die Herzstücke, eingefasst zwischen den Wimpernkränzen, auch sie von undefinierter Farbe, zwischen Weizen und Nacht verschwimmend. Was Deine schwarzen Pupillen andeuten, verspricht die sie umrandende Iris endgültig. Sehnsucht - Danach in diesem Moment zu verweilen.

Deine Lippen teilen sich, Du möchtest etwas sagen, doch ich fürchte um den Augenblick und presse meine Hand auf Deinen Mund, bevor Du einen Ton herausbringen kannst. Die Stille ist zu kostbar, sie darf nicht sinnlos verworfen werden. Du beginnst zu begreifen, ich erkenne es daran, wie sich der Blauanteil vertieft. Mit einem bestätigtenden Nicken entlasse ich Dich aus meinem Griff. Du blinzelst, ein Bruchteil einer Sekunde der ausreicht um mich in tiefe Verzweiflung stürzen zu lassen, denn Du nimmst mir das Kostbarste. Ein Klagelaut entringt sich meiner Kehle, nicht menschlich, kehlig und wütend. Du zuckst zusammen, siehst mich an. Meine Hände um die Knie geschlungen schaukele ich langsam vor und zurück, während ich die Ruhe in Dir suche. Ich schlafe ein, unter Deinen wachsamen Augen.

Als ich aus der Dunkelheit zurückkehre, liegst Du vor mir. Deine Hände auf Deiner Brust gefaltet, so als könnte Dein Herz in diesem Moment wieder zu schlagen beginnen, als würdest Du es erwarten. Alle Anspannung ist aus Deinen Muskeln gewichen, Du hast Frieden gefunden. Auf Deinen Lippen liegt ein weiches Lächeln, dass mich Glück empfinden lässt. Ich beuge mich zu Dir hinab, lege meine Hand ein letztes Mal auf Deinen Mund. Kein Atemhauch streift meine Hand, ich schlage die Augen auf -

Das junge Mädchen beugt sich über den Sarg. In ihrem Gesicht liegt eine tief empfundene Ruhe, sie hat offenbar Abschied genommen. Zärtlich berührt sie seine Wangen, sein Kinn, seine Lippen, als könne sie diese zerbrechen. Und dann verändert sich die Welt, ihr Gesicht verzerrt sich zu einer wütenden Fratze, sie kreischt und weint, ihre Hände scheinen ihm die Haut vom Gesicht kratzen zu wollen. "Gebt sie mir zurück." Schrill und schmerzhaft hallt ihr Schrei von den hohen Wänden der Kirche. "Ich muss sie haben. Gebt sie mir zurück." Sie ist vollkommen außer sich, Menschen versuchen sie zu umarmen, sie zur Ruhe zu bringen, zu trösten, aber sie ist nicht zu bändigen, zerreißt erst ihre Kleider und dann ihre Haut zu blutigen Fetzen -

Sie haben Deine Augen geschlossen.