Beschreibung
Wenn die alte Zeit sich mit den Träumen der Realität vermischt, entstehen Geschichten von besonderem Klang.
Des Barden Traum
Als ich erwachte, hatte ich das Gefühl, daß ich lange geschlafen habe, zu lange, um so frisch und munter durch die herrlich grünen Wipfel der Bäume zu schauen. In meinem Kopf war es, als wären Jahrhunderte vergangen, mein Körper jedoch scheint nicht älter als etwa 30 Lenze zu sein. Neben mir, an eine Birke gelehnt, steht eine Harfe; das Saitenspiel ist mir so vertraut wie meine Arme und Beine, und doch erinnere ich mich nicht, je ein solches Instrument gespielt zu haben.
Nun gut, es ist wie es ist und ich begebe mich auf den Weg; es ist eher ein Spaziergang, da ich nicht genau sagen kann, wohin ich eigentlich will; und wenn ich recht überlege, ist mir auch entfallen, woher ich eigentlich komme. So wandere ich los und freue mich über jeden Sonnenstrahl, der durch das hohe Blätterdach des Waldes mein Gesicht trifft.
Es ist wie das sanfte Kosen meiner Mutter, und wenn ein Blatt mein Gesicht berührt, so ist das wie ein Kuss von ihr. Ich wandere fröhlich, Stund' um Stund durch den wundervollen Wald ohne daß Hunger, Durst oder Müdigkeit mich plagen.
Es mögen wohl Stunden , vielleicht auch Tage während meiner Wanderung vergangen sein und ich gelange an einen See oder an das Meer ich kann es nicht sagen - da mein Blick nach wenigen hundert Metern nichts mehr wahrzunehmen scheint. Selbst auf einer Anhöhe stehend scheint Land und Wasser zu verschwimmen und keinen Kontrast oder Unterschied mehr zu bilden, es verschwimmt einfach in Substanzlosigkeit.
Im Schatten einer alten Eiche lege ich mich nieder, um ein wenig von meinem langen Weg auszuruhen.
Während meine Gedanken um die Uferlosigkeit dieses Sees kreisen, fällt ein traumvoller Schlaf auf mich herab. Nach einer geraumen Weile wache ich auf und stelle erstaunt fest, das ich nicht erwacht bin, sondern mich selbst dort liegen sehe, wie ich schlafe. Mein Schlaf wirkt unruhig, irgend etwas scheine ich zu suchen und endlich findet meine Hand die Harfe, welche etwas abseits von mir im Grase liegt, und sanft lege ich meine Hand auf die Saiten des Instruments. Allein der Puls meines Herzens scheint die Saiten zum Klingen zu bringen und eine nie gehörte Melodie erreicht mein Ohr. Eine sanftere und schönere Melodie hab ich noch nie gehört, wie ein Schleier legen sich die Töne auf das Gras und ein leichte Brise will sie von dannen tragen, doch die Töne der Melodie klammern sich an den Spitzen der Grashalme fest, als wollten sie noch am Ort verweilen. Der Schleier der Töne wird dichter, werden zu einem Nebel, der sich im Gras hält.
Die Brise wird sanfter, wird zu einem Hauch, und der Windhauch hebt die zierlichen Töne weich über das sich wiegende Gras, höher empor am Stamm der alten Eiche entlang, wo die Melodie sich erst verfängt. Dann schwebt sie weiter empor, gleitet durch die Äste und Zweige hinauf bis in die Krone dieses Baumes, wo sie zu warten scheint. Während dessen bewegten sich die Lippen des Schlafenden und zur Musik sang er ein sehr altes Lied, dessen Worte und Sprache ich nicht kannte und dessen Weise mir so fremd war.
Mit den letzten Tönen der Harfe und dem letzten Summen meiner Lippen werde ich wach und nehme gerade noch wahr, wie sich die Schleier der Töne zu den anderen in den Baum wehen lassen, und dort angekommen, weht sie der Wind in Richtung Horizont, der hinter der Substanzlosigkeit liegt.
Es ist, als würde der Nebel der Melodie die Schlieren der Substanz aufsaugen und daraus Konturen bilden. Endlich wird etwas sichtbar, im Licht der Sonne entschwindet der Nebel und gibt den Blick auf den See frei. Um eine Landzunge biegt ein Boot, darin steht aufrecht eine Frauengestalt, welche mir schon von fern zuwinkt. Voller Unruhe und Sehnsucht springe ich auf und winke zurück, kaum erwarten könnend, daß das Boot am Strand anlegt. Als die Frau das Boot verlässt, laufe ich auf sie zu und begrüße sie überschwenglich mit einem Kuß auf die Wange und hebe Sie aus dem Boot heraus; drehe mich mit ihr tanzend im Kreis. Ich setze sie ab und sie hebt ihre Hände an meine Wangen und heißt mich Willkommen,
Willkommen mit den Worten: "Wie schön, daß Du endlich wiederkehrst, wir haben schon so lange auf Dich gewartet." Als sie meine Hand nimmt und mich zum Boot führt, wird mir klar, wie lange ich fort war.
Melodie und Lied öffneten mir den letzten Abschnitt meiner Reise und es ist so lange her, daß ich beides völlig vergessen hatte. Aufrecht im Bug des Bootes stehend, biegen meine Schwester und ich um die Landzunge.......
Und ich weiß, ich bin heimgekehrt, endlich heimgekehrt, nach so langer Zeit.
Endlich daheim.
(C)Dirk Steinert