In der nächsten Zeit sprechen Vater und Sohn kaum mehr miteinander. Der Alte rackert weiter unermüdlich im Weinberg. Es scheint, als wolle er sich selbst etwas beweisen. Allerdings muss er bei der Arbeit jetzt immer öfter innehalten. Stehen bleiben und Luft schnappen, wie er es bezeichnet. Auf den Arzt ist er in letzter Zeit auch nicht gut zu sprechen. Der hat ihm doch glatt eine Kur vorgeschlagen, um den hohen Blutdruck wieder unter Kontrolle zu bringen. Ein Winzer auf Kur! Was würden denn die Leute dazu sagen, so krank fühlt er sich wirklich nicht.
Auch der Junge ist jetzt immer weniger zuhause anzutreffen. Scheint, er hat sich meine Worte zu Herzen genommen und ist unterwegs, um neue Kunden zu gewinnen, doch er freut sich zu früh. Eines Abends ist das Zimmer des Jungen leer. Er hat seine Koffer gepackt und ist gegangen. Einfach so, ohne ein Wort des Abschieds zu seinem Vater, ohne zu sagen, wohin und warum. Die Mutter kränkt sich sehr, doch sie hat es auch nicht verhindern können, obwohl sie immer wieder versucht hat, die beiden Starrköpfe zu versöhnen.
Er hat sich in der Stadt mit Marcella eine Wohnung gemietet – die Briefträgerin weiß es genau, denn er hat Freunden eine Karte geschrieben. Er hat Arbeit als Lastwagenfahrer gefunden und liefert für eine Brauerei Bier aus. Marcella hat einen Kosmetiksalon für Hunde eröffnet – traut sich was, das Mädel. Werden es schon schaffen, die beiden – meint die Briefträgerin.
Sein Sohn, der Erbe vom Weingut Vinzenz Wallner, ein einfacher Bierkutscher. Der Alte kann es nicht fassen. Oft sitzt er jetzt tagelang im Keller, trinkt und grübelt. Auch im Gasthaus, ein Ort, den er früher nur betreten hat, um Wein zu verkaufen, kann man ihn jetzt oft beim Kartenspiel sehen. Nur im Weingarten war er seit dem Tag, an dem der Junge ging, nicht mehr. Sein Weinberg verkommt, der Alte ist ein gebrochener Mann, tuscheln die Leute im Dorf. Ab und zu fährt er auch in die Stadt, um Besorgungen zu machen, wie er erklärt. Wahrscheinlich hofft er, den Jungen irgendwo zu sehen, vermutet seine Frau. Fragen traut sie sich nicht, sie sieht doch wie er leidet.
Als er nach Wochen doch einmal seinen Weinberg betritt, begleitet ihn seine Frau. Gemeinsam versuchen sie, wieder Ordnung in das Anwesen zu bringen, jäten das Unkraut und brechen überschüssige Triebe ab. Doch der Alte bleibt immer öfter stehen und wischt sich über die Augen. Der Staub, erklärt er, wenn ihm seine Frau einen fragenden Blick zuwirft.
Von einem seiner zahlreichen Stadtbesuche kommt er eines Tages mit einer großen Überraschung zurück.
„Wir fahren auf Urlaub!“ Seine Frau kann es nicht fassen.
„Nicht fahren, nein, wir fliegen, meine Liebe“, entgegnet er freudig. „Ich war im Reisebüro und habe einen dreiwöchigen Mallorcaurlaub für uns beide gebucht. Ich glaube, wir haben uns das wirklich verdient. Wofür noch sparen, so jung sind wir nicht mehr. Jetzt genießen wir das Leben einmal richtig“.
 Das erste Mal in einem Flugzeug. Bis jetzt hat sie Flugzeuge nur von weitem gesehen. „Was ziehe ich da an?“, war ihre nächste Frage.
„Wird alles neu angeschafft. Fahre in die Stadt und lass dich beraten, in einer Woche geht es los“, sagt er lächelnd.
Sie erkennt ihren Mann nicht wieder. So glücklich waren beide schon lange nicht mehr. Endlich nimmt er sich auch Zeit für sich selbst. Die nächsten Tage sind erfüllt mit Reisevorbereitungen. Gemeinsam machen sie in der Stadt einen langen Einkaufsbummel. Koffer, Badeutensilien, ein paar Sommerkleider, alles wird neu angeschafft. Jeden Abend studieren sie den Reiseführer, informieren sich über Sehenswürdigkeiten und probieren sogar ein paar spanische Grußworte.
Am Tag vor der Abreise will der Alte noch einmal kurz im Weinberg nach dem Rechten sehen.
„Ich bleibe nur bis zum Mittagessen, dann packen wir gemeinsam die Koffer“; verspricht er.
Als er am späten Nachmittag noch nicht zurück ist, wird sie unruhig. So unpünktlich war er sonst nie. Der Nachbar, ein guter Freund der Familie, hat versprochen, das Weingut während ihrer Abwesenheit zu betreuen. Er ist es auch, der sich schließlich auf die Suche nach dem Alten macht.
 „Ganz friedlich ist er da gelegen, den Bindfaden, mit dem er eine herabhängende Rebe befestigen wollte, noch in der Hand.“ Der Nachbar sagt es leise und blickt zu Boden .
 Der Junge ist mit Marcella gekommen, um seinem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Doch beide wirken bedrückt, sind sehr wortkarg und reisen nach dem Begräbnis schnell wieder ab.
Der Zeitpunkt der Weinlese rückt immer näher. Die Winzer des Dorfes haben der Witwe versprochen dieses Jahr bei der Lese zu helfen. Im nächsten Jahr wird sie wohl den Weinberg verkaufen müssen oder zumindest verpachten.
Pünktlich zur Lese steht der Junge vor der Tür. Überraschend, so wie er gegangen ist, ist er wieder gekommen. Er arbeitet wie ein Besessener. Am Tag ist er im Weinberg, hilft unermüdlich beim Abschneiden der Trauben und fährt die schweren Schiebetruhen mit den Trauben zum Lesewagen. Nachts bedient er die Weinpresse und füllt den frischen Most in Fässer. Er isst wenig und gönnt sich kaum Schlaf. Nach etwas mehr als einer Woche ist es geschafft. Die Weinlese ist beendet, alle Fässer sind randvoll.
Von Marcella hat er sich getrennt, berichtet er beiläufig und zieht zur Freude seiner Mutter wieder in sein altes Zimmer ein.
Eines Tages steht ein Fremder vor der Tür. Er hätte gehört, der Besitzer des Weingutes, Vinzenz Wallner, sei verstorben und daher stehe das Weingut zum Verkauf an.
„Vinzenz Wallner lebt!“, sagt der Junge und schließt die Tür..
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