Malerisch, fast majestätisch liegt er da, der Weinberg. In langen Reihen schlängeln sich die knorrigen Weinstöcke den Berg hinauf. Mauern aus sorgfältig aufgeschichteten Natursteinen unterbrechen die streng geometrische Ordnung und geben dem Hang Sicherheit und Halt. An den Reben hängt dichter Raureif. Das helle Sonnenlicht lässt die Schneekristalle in allen Regenbogenfarben glitzern. Stolz blickt der alte Winzer über seinen Besitz. Wintersonne, wenn deine Strahlen auch locken, es fehlt dir an Kraft – genau wie mir – denkt er, zieht seine Mütze tiefer in den Nacken und reibt seine klammen Finger. Jetzt, mitten im Winter, wenn die Weinstöcke in den Wurzeln ihre Kraft für das kommende Jahr sammeln, ist die beste Zeit für den Rebschnitt.
Vom nahen Dorf hört man Musik. Ein Zeichen, dass sich der Karnevalszug schon in Bewegung gesetzt hat. Heute ist Faschingdienstag, Höhepunkt und zugleich Ende der närrischen Zeit. Nicht, dass ihn das je sonderlich berührt hätte – was soll ein Bauer beim Karnevalszug. Nur, zu diesem Zeitpunkt war er sonst immer mit dem Rebschnitt fertig, heuer hat er kaum die Hälfte geschafft. Er ist langsamer geworden. Die Hände wollen nicht mehr so richtig gehorchen und auch die Füße erinnern schmerzhaft an die vielen Jahre, die er hier in diesem Weinberg gearbeitet hat. Nur seine Augen wandern flink wie früher über die Reben, erfassen blitzschnell den Punkt, an dem der richtige Schnitt gesetzt werden muss. Auf die richtige Anzahl der Knospen, der ‚Augen’ des Weinstocks, kommt es an – davon hängt der Ertrag des kommenden Jahres ab.
Die Gicht, meint der Arzt, und dass es an der Zeit wäre, die schwere Arbeit in jüngere Hände zu legen. Doch davon will der Alte nichts hören. So lange ich kann, stehe ich auf diesem Boden, so wie mein Vater und Großvater, beteuert er immer wieder jedem, der es hören will. Seit mehr als zweihundert Jahren ist das Gut im Familienbesitz. Jede Generation hat es mit Sorgfalt verwaltet, vergrößert und dann an die Erben weitergegeben. Oft schon hätte er den Weinberg verkaufen können – mit gutem Gewinn. Ein vorzüglicher Baugrund, wie geschaffen für ein Hotel mit großzügigen Parkanlagen, so hat man ihm immer wieder versichert. Ich bin Weinbauer, lautete stets seine Antwort.
Seine Frau hat ihn unterstützt, so gut sie konnte. Ihr hat er viel zu verdanken. Das Weingut würde heute nicht so gut dastehen, wenn sie nicht so sparsam und tüchtig gewirtschaftet hätte. Bei jeder Weinverkostung und vor allem bei der Weinlese hat sie die Gäste stets gut versorgt, und am Ende blieb meist noch ein beachtlicher Reingewinn übrig.
Auch sein Sohn war immer mit Freude dabei, nur in letzter Zeit übt er oft heftig Kritik an der Arbeitsweise des Alten, will alles modernisieren - neue Rebsorten pflanzen, teure Maschinen einsetzen. Seit er die Weinbaufachschule abgeschlossen hat, kommt er immer öfter mit völlig unsinnigen Ideen, glaubt alles besser zu wissen. Haben ihm halt Flausen in den Kopf gesetzt, die Herren Professoren. Rein biologische Spritzmittel will er einsetzen und die Düngemittel sparsamer verwenden. Das würde die Schädlinge freuen und bei der Lese würden die Fässer leer bleiben.
Kraftvoll und überschäumend, wie der junge Wein, der Bub, kommt ihm in den Sinn.
Wo er nur so lange bleibt - umständlich zieht der Alte seine Taschenuhr aus dem dicken Rock. Er hat doch versprochen, wenn auch widerwillig, heute im Weinberg zu helfen. Wird wohl wieder nichts, wir werden miteinander reden müssen. Gleichmäßig arbeitet er weiter, umklammert die Weinreben mit festem Griff, kürzt sie auf die richtige Länge und bindet sie am Spanndraht fest. So hat er es von seinem Vater gelernt und der wieder von seinem Vater. Jeder Handgriff seit Generationen überliefert, so wie der Vorname des Erstgeborenen – Vinzenz.
Ob das meiner zukünftigen Schwiegertochter gefällt, denkt er belustigt, wenn nicht, sie wird sich daran gewöhnen müssen. Ob sie überhaupt seine Schwiegertochter wird – Marcella, die Freundin seines Sohnes? Im allgemeinen heitert ihn der Gedanke an sie nicht gerade auf. Bringt außer großen Wünschen nichts mit, dieses junge Ding, stolziert mit Stöckelschuhen und lackierten Fingernägeln im Weinberg herum. Ihre Eltern sollen geschieden sein, wird gemunkelt. Sie hält den Jungen bloß von der Arbeit ab, ist der Alte überzeugt, wenn er an das letzte Wochenende zurückdenkt. Da haben sie im Weinkeller mit Freunden ausgiebig Fasching gefeiert. Der Junge als Seeräuber verkleidet und Marcella leicht geschürzt, so bewirteten sie ihre Gäste - mit Bier und Coca-Cola. Nach Tagen konnte man noch den Zigarettendunst im Keller riechen. Zugegeben, sie ist hübsch, der Junge hat Geschmack, aber ist sie eine Frau zum Heiraten? Eine zukünftige Winzerin?
In den kommenden Tagen sehen sich Vater und Sohn kaum. Der Alte arbeitet bei jedem Wetter von früh bis spät im Weinberg. Gilt es doch, die Spanndrähte zu überprüfen, fehlerhafte Stützen auszutauschen und abgestorbene Stöcke durch neue zu ersetzen. Der Junge ist mit der Arbeit im Keller beschäftigt, überprüft ständig den noch lagernden Wein und überwacht die Lieferungen an die Stammkunden. Doch es wird immer schwieriger den Wein zu vermarkten. Der Geschmack der Kunden hat sich gewandelt. Waren früher die spritzigen Weißweinsorten – und nur solche hat sein Vater gepflanzt – als Durstlöscher sehr begehrt, erobern jetzt neue edle Rotweinsorten immer mehr den Markt und erzielen Spitzenpreise. Wir werden umstellen müssen, wenn wir weiter im Geschäft bleiben wollen, wird dem Jungen immer klarer – nur, wie soll er das seinem Vater beibringen? Rotwein zu pflanzen, dagegen hat sich der Alte immer gewehrt. Für unsere Gegend eignen sich nur Weißweinsorten - er kennt die Meinung seines Vaters nur zu gut und auch seinen Dickkopf.
Als der Alte nach längerer Zeit wieder einmal die Lagerbestände kontrolliert, fordert er plötzlich das Kellerbuch, in dem alle Weinlieferungen aufgezeichnet werden müssen. .“Vinzenz, das Kellerbuch!“ Wie er das sagt. Mit eisiger Stimme, die Zornesader an seiner rechten Schläfe ist bereits gefährlich angeschwollen.
„Vater, wir müssen miteinander reden“, schlägt der Junge ruhig vor.
„Allerdings. Es gilt hier einiges zu klären. Wir haben erstklassige Weine, die bei den Weinpräsentationen Spitzenplätze erreichen. Unser Name ist im In- und Ausland bekannt, sogar nach Ãœbersee haben wir regelmäßig größere Mengen liefern können. Wie kommt es, dass der Absatz rasant zurück geht, seit du die Vermarktung übernommen hast? Kann es sein, dass deine Interessen auf einem ganz anderen Gebiet liegen? Im letzten Monat, also mitten im Fasching, konnten wir weniger Flaschen absetzen, als in den schwächsten Monaten des Vorjahres. Was machst du eigentlich die ganze Zeit?“ will der Alte wissen.
„Vater, die Zeiten haben sich geändert. Seit beim Weißwein billige Importware auf den Markt drängt, lassen sich selbst Spitzenprodukte immer schwerer verkaufen. Laut Marktanalysen wird in Zukunft immer mehr Rotwein gefragt sein. Wir werden umstellen müssen, uns der künftigen Entwicklung anpassen. Ich habe bereits Bodenproben untersuchen lassen. Unser Boden wäre auch für Rotwein hervorragend geeignet. Wenn wir die Hälfte des Weinbergs mit Rotwein bepflanzen, könnten wir unsere Kunden in drei Jahren auch mit Rotwein beliefern. Außerdem wäre es vielleicht gut wieder Pfirsichbäume zu pflanzen. Unsere Kunden würden sich bestimmt freuen, auch frische Pfirsiche mit nachhause nehmen zu können. Die übrig gebliebenen Früchte könnten wir zu Schnaps verbrennen.“
„Mein Sohn, ein Schnapsbrenner! Ich habe dich nicht in die Schule geschickt, damit ein Schnapsbrenner aus dir wird, sondern ein guter Winzer. Erzähle mir nichts von Marktanalysen und Bodenproben, sondern verkaufe Wein. Auf unserem Boden ist noch nie Rotwein gewachsen und es wird auch in Zukunft keiner wachsen, denn wir sind bekannt für unsere guten Weißweine. Bemühe dich lieber neue Kunden zu gewinnen und verbringe nicht so viel Zeit mit Marcella. Ich hoffe wir haben uns verstanden!“ Ohne seinen Sohn noch eines Blickes zu würdigen, geht der Alte aus dem Keller.
Fortsetzung folgt
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