Fantasy & Horror
Das verlorene Buch (1) - Kapitel 1 - 4

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"Das verlorene Buch (1) - Kapitel 1 - 4"
Veröffentlicht am 17. November 2011, 144 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Tjaaa.. eigentlich ich bin mehr eine Einzelgängerin und eine komlette Tagträumerin dazu xD Aber ab und an bin ich auch gerne unter Leuten, wobei es mir etwas an Gesprächsstoff fehlt, es sei denn es geht ums Schreiben und meine Geschichten. Da kann ich tagelang drüber reden :P Allerdings möchte ich hier auch mal zu meinen Geschichten anmerken, dass sie wirklich lange Stories sind, die sich über einen längeren Zeitraum erst richtig entwickeln und ...
Das verlorene Buch (1) - Kapitel 1 - 4

Das verlorene Buch (1) - Kapitel 1 - 4

Beschreibung

Glaubt ihr, dass es Wesen wie Vampire, Dämonen und Geister wirklich gibt? Nein? Alexandra tut es auch nicht. Nur muss sie leider feststellen, dass ausgerechnet sie die Aufmerksamkeit dieser eigentlich fiktiven Wesen magisch anzieht. Zudem gerät sie auch noch in das mörderische Spiel eines Dämonenfürsten hinein, dessen Ziel es ist das "verlorene Buch" in seine Hände zu bringen. Die Gute ist sehr begeistert, weil ihr Leben nun noch abenteuerlicher wird, als es ohnehin schon war. Doch anders als zuvor bekommt sie nun Unterstützung von Stella, Seth und Azraél - wobei auch diese ihre kleinen Geheimnisse haben. Es kommt zu einem Wettlauf, in dem Alexandra von so ziemlich allem verfolgt wird, was laufen kann und von den Menschen eigentlich als Ausgeburten der Fantasie abgetan wird. Und sie alle wollen nur eines: Das verlorene Buch. Enthält: Kapitel 1: drei nervige Kletten Kapitel 2: schon gefunden? Kapitel 3: der in ihren Träumen Kapitel 4: das Spiel beginnt

Kapitel 1: drei nervige Kletten

Alexandra sah sich um.

Der Bahnhof wirkte recht alt. Die hohe Decke war zu den Seiten hin abgerundet und durch die großen Fenster kam zurzeit nur wenig Licht. Das Wasser prasselte auf die Scheiben und machte ein angenehmes, gleichmäßiges Geräusch. Die Lampen an der Decke strahlten ein warmes Licht aus und ließen so im ersten Moment nicht darauf schließen, dass es eigentlich erst vier Uhr nachmittags war. Draußen war es durch die tief hängenden Regenwolken dunkel und ungemütlich.

Einige Züge standen auf den umliegenden Gleisen und warteten darauf, dass die Reisenden entweder ein- oder ausstiegen. Auf den meisten Bahnsteigen herrschte dichtes Gedränge und man kam sich vor die Sardinen in der Dose. Von den Zugreisenden auf Gleis sechs war Alexandra jedoch die Letzte, die noch vor dem Zug stand.

Das wievielte Mal in ihren sechzehn Jahren war sie nun umgezogen? Sie wusste es schon gar nicht mehr. Zwar hatte sie sich mittlerweile daran gewöhnt, aber es war trotzdem jedes Mal wieder irgendwie seltsam.

„Ähm, Miss, kann ich Ihnen helfen?“, fragte ein junger, hilfsbereiter Schaffner und sah das Mädchen vor sich etwas verwirrt an.

„Nein danke“, sagte Alexandra nur, nahm ihren Koffer und ging zur Rolltreppe. Vom Bahnhof aus war es nicht weit bis zu ihrer neuen Wohnung und sie hatte auch nicht viele Sachen bei sich. Ein paar Klamotten, einige Schulsachen und ein Tagebuch, in das sie selten etwas schrieb. Alles andere, was sie nicht unbedingt brauchte, hatte sie schon vor langer Zeit in ihren früheren Wohnungen zurückgelassen. Deswegen unterschrieb sie solche Verträge auch nur, wenn sie für höchstens sechs Monate verbindlich waren. Aber das war auch das Maximum an Vertragsdauer, auf das sie sich einließ. Da sie von ihren verstorbenen Eltern, die früher sehr wohlhabend gewesen waren, auch eine Menge Geld auf dem Konto hatte, das dort nur so vor sich hin staubte, brauchte sie sich um die Kosten ihrer dauernden Umzüge auch kaum Sorgen zu machen.

Draußen sah Alexandra in den von Wolken verhangenen Himmel. Einige Tropfen fielen ihr in die Augen, doch das störte sie nicht sonderlich. Wie lange sie hier in Deutschland bleiben würde, war allerdings fraglich. Das konnte sie vorher nie sagen.

Schweigend ging sie los, mit wem sollte sie auch reden?

Der Regen fiel vom Himmel und durchnässte langsam Alexandras rotbraune Haare. Eigentlich waren sie kurz und reichten ihr bis knapp auf die Schultern, doch sie hatte die unteren Haare lang wachsen lassen und band sie immer zu einem einfachen Zopf am unteren Haaransatz zusammen. Auch ihr dunkelbrauner Mantel würde wohl bald durchnässt sein, aber Alexandra beeilte sich trotzdem nicht. Sie hatte keine Eile. Zur Schule musste sie erst morgen und viel zum Auspacken hatte sie auch nicht, also wozu sollte sie hetzen?

 

Eine gute halbe Stunde später stand sie vor einem sieben Stockwerke hohen Haus. Im ersten Stock auf der Rückseite war ihre Wohnung, das wusste Alexandra bereits und sie betrat das Gebäude. Den Schlüssel hatte ihr die Vermieterin kurzfristig geschickt und so brauchte sie ihr nicht noch erst einen Besuch abzustatten.

Auf dem Türschild stand auch bereits A. Davin, die Vermieterin war zuvorkommend, das musste Alexandra zugeben. Auch die Wohnung schien in einem guten Zustand zu sein. Sie war recht modern eingerichtet und zählte ein Schlafzimmer, ein kleines Bad, eine Küche und ein recht großes Wohnzimmer mit Balkon. Verbunden waren die Räume durch einen schmalen Flur, zuerst kam links das Badezimmer, dann ein Stück weiter vorne rechts die Küche und ganz hinten führte eine Tür nach links ins Schlafzimmer und eine Tür nach rechts ins Wohnzimmer. Soweit sie es sagen konnte, war hier alles recht ordentlich, jedenfalls konnte Alexandra sich nicht beschweren.

Sie zog sich die Schuhe aus, stellte sie auf das niedrige Regal neben der Tür und den nassen Mantel hängte sie über den Hacken direkt über dem Schuhregal. Alexandra berührte kurz ihre linke Schulter, doch der Mantel schien dicht gehalten zu haben, ihre hellgrüne Bluse war nur ein wenig klamm. Auch die braune Hose war so weit trocken, nur unten an den Hosenbeinen hatte sie etwas Wasser abbekommen.

Alexandra ging zum Ende des Flures und dann nach links ins Schlafzimmer. Ein weicher, hellgrauer Teppich war auf dem Boden verlegt und zu ihrer Erleichterung gab es kein Fenster, weshalb sie allerdings auch erstmal das Licht anschalten musste. Links an der kurzen Wand des rechteckigen Raumes stand ein großer, etwas wuchtiger Schrank aus dunklem Holz. Es waren jedoch auch feine Verzierungen in das Holz gearbeitet, ganz billig schien er nicht zu sein und außerdem war er viel zu groß für Alexandras wenige Klamotten, doch andere Leute besaßen wohl auch das Dreifache an Sachen. Das recht große Bett stand schräg rechts gegenüber der Tür an der Wand und an der kurzen Seite rechts standen ein großer Schreibtisch und davor ein Schreibtischstuhl. An der Wand, in der auch die Tür war, hingen nur einige Landschaftsbilder.

„Tja, da wäre ich“, sagte Alexandra und betrat das Schlafzimmer. Wäre das ihr erster Umzug gewesen, hätte sie jetzt wahrscheinlich erstmal neugierig ihre neue Wohnung erkundet, doch das tat sie schon lange nicht mehr. Es war inzwischen fast eine Gewohnheit geworden und allmählich wusste sie auch nicht mehr, was sie früher so interessant an neuen Wohnungen gefunden hatte.

Den Koffer legte sie auf das sogar bereits bezogene Bett und öffnete den Deckel. Es war wahrlich nicht viel, das sie dabei hatte. Manchmal kamen ein paar neue Sachen hinzu, aber meistens sortierte sie im Gegenzug alte Dinge aus. Ansonsten wurde der Koffer auf ihren Umzugsreisen immer schwerer und das war wirklich unpraktisch. Vier Blusen, davon zwei mit kurzen Ärmeln, fünf Hosen, ein Rock, ein Mantel, Unterwäsche, Socken und ein einziges nachtblaues Abendkleid wanderten in den Schrank. Eine kleine Schatulle mit ihrem wenigen Schmuck stellte sie auf den Schreibtisch und hinzu gesellten sich noch ihre Schulsachen und das Tagebuch. Die wenigen Bücher, die sie wirklich mochte, hatte sie einfach mit in den sowieso viel zu großen Kleiderschrank gestellt und der kleine Terminkalender blieb in ihrer Hosentasche.

Schließlich machte sie sich auf den gewohnten Rundgang durch ihr neues Heim. Wie immer hatte sie mit der Vermieterin vereinbart, dass bereits das Nötigste zum Leben in der Wohnung war. Also außer der standardmäßigen Einrichtung noch Geschirr, Putzsachen, Werkzeug für kleinere Reparaturen und so weiter. Natürlich kostete das immer auch etwas mehr, doch Geld hatte für Alexandra noch nie eine Rolle gespielt und laut ihrem Kontostand würde sich das, wenn sie so weiter machte, wohl auch nicht so bald ändern.

Im Wohnzimmer gab es eine schwarze Couch über Eck und eine Kommode auf Brusthöhe mit anschließender Vitrine, die bis fast zur Decke reichte. In der Vitrine standen einige edle Gläser, die wohl als Staubfänger dienten und für Leute, die immer eine Beschäftigung brauchten, ein gefundenes Fressen darstellten. Auf dem Tisch vor der Couch stand eine Vase mit künstlichen Blumen, die auch bereits Staub fing.

Wieso stellten so viele Leute eigentlich immer Dinge auf, die am Ende nur einstaubten? Das hatte Alexandra noch nie verstanden.

Die übertrieben große Balkontür mit gleich zwei Fenstern daneben würde wahrscheinlich noch mal zu ihrem Verhängnis werden – das ahnte sie bereits – doch was machte das schon? Die Küche war ebenfalls ganz gut ausgestattet, zwar gab es keinen Geschirrspüler, aber immerhin eine Waschmaschine. Die Schränke unter der Arbeitsplatte, der Spüle und des Herdes, wie auch die Hängeschränke oben drüber waren aus hellem Holz. Gegenüber der Tür gab es nur ein Fenster, links war ein kleiner Esstisch mit zwei Stühlen davor und neben der Tür waren noch ein Kühlschrank und ein Gefrierfach. Das Bad enttäuschte Alexandra auch nicht sonderlich, eine Dusche, eine Toilette und ein großer Spiegel mit Ablage und einer kleinen Kommode. Es war eine schöne Wohnung. Einfach aber schön.

Den Rest des Abends verbrachte Alexandra damit die Kanäle ihres Fernsehers neben dem Fenster durchzugehen, auch wenn sie keines der Programme sonderlich interessierte.

Als sie dann um zehn Uhr genug davon hatte die Batterie der Fernbedienung zu leeren, stand sie auf und ging auf den Balkon. Die Luft war recht kühl und es roch immer noch nach Regen, auch wenn dieser inzwischen aufgehört hatte. Aus dem ersten Stock hatte man natürlich keine so besondere Aussicht und Alexandra warf nur noch mal kurz einen Blick auf den Garten hinter dem Haus.

Zwar wusste sie nicht so ganz, was ein Garten bei einem mehrstöckigen Mietshaus verloren hatte, doch es war ihr eigentlich auch egal. Er war durch eine etwa zwei Meter hohe Mauer abgegrenzt und der Rasen wirkte im Licht der Straßenlaternen am Rand der Straße neben dem Garten ganz gut gepflegt. Höhere Büsche wuchsen vor der Mauer und auch ein paar Bäume hatten sich gegen das gut gewachsene Buschwerk behauptet. Zwischen den Bäumen bis zu ihrem Balkon war zum Glück auch noch recht viel Abstand, sodass es wenigstens nicht ganz so einfach war in ihre Wohnung einzusteigen.

Als es ihr langsam zu frisch wurde, ging Alexandra zurück in ihre Wohnung und zog sich ihren Pyjama an, den sie gleich auf dem Bett hatte liegen lassen, als sie ihren Koffer unter das Bett geschoben hatte. Morgen würde ihr erster Schultag auf ihrer neuen Schule sein.

Sie warf einen letzten Blick auf das Armband an ihrem rechten Handgelenk, das aus dunkellilanen, schwarzen und hellgrauen, etwas breiteren Fäden geflochten war, und legte sich dann schlafen.

 

Am nächsten Morgen frühstückte Alexandra kurz aus den Vorräten an Toastbrot und Aufschnitt in ihrem Kühlschrank. Dann zog sie wieder die hellgrüne, aber recht edle Bluse und die beige Stoffhose aus ihrem Schrank an. Den Koffer holte sie auch noch mal kurz hervor und zog die ziemlich elegante, schwarze Jacke an, die ihr wie angegossen passte. Ihre rotbraunen Haare bürstete sie kurz, dann band sie die Längeren wieder zu einem lockeren Zopf zusammen, während von den Kürzeren oben drüber nur die Längsten bis kurz unter ihre Schultern reichten, da die anderen durch die Stufen etwas kürzer waren.

In ihrer Aktentasche hatte sie wie immer an ihrem ersten Schultag nur das Nötigste und verließ schließlich um zwanzig vor acht ihre Wohnung. Die breite Straße, der Alexandra praktisch nur die ganze Zeit über folgen musste, wurde an den Seiten von Bäumen gesäumt und wirkte daher nicht ganz so kahl. Die Häuser schienen ohne jegliche Ordnung neben dem Fußweg gebaut worden zu sein und die meisten waren anscheinend auch nur mehrstöckige Mietshäuser. Wahrscheinlich lag das daran, dass sie eher nahe am Stadtrand waren. In der Innenstadt gab es, soweit Alexandra wusste, viele große Kaufhäuser, Firmengebäude, Fernsehstudios, Radiosender und noch viele andere Gebäude dieser Art.

Auf einmal wurde sie angerempelt und ließ ihre Aktentasche fallen. Zum Glück blieb der Verschluss geschlossen, sie hatte keine Lust ihre Sachen noch aufsammeln zu müssen.

„Pass doch mal auf!“

„´Tschuldige“, sagte der Junge und drehte sich zu ihr um. Er machte einen fitten Eindruck, hatte recht kurze, hellbraune bis blonde Haare, kecke blaue Augen und ein breites Grinsen im Gesicht.

„Sag es etwas ernster und ich glaube dir vielleicht“, erwiderte Alexandra nur und hob ihre Tasche wieder auf.

„Ojee.. es tut mir wirklich leid“, seufzte der Junge und verdrehte die Augen, „So besser?“

„Nicht wirklich, aber ich hab auch keine Lust hier Wurzeln zu schlagen“, sagte Alexandra und ging an dem Jungen vorbei. Bis zur Schule war es nicht mehr weit und sie wollte sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten.

Dann lief der Junge von eben schon wieder schwungvoll an ihr vorbei und erneut rempelte er sie dabei an. Nur hatte sie das dieses Mal schon kommen sehen und ihre Tasche in die andere Hand genommen.

„Pass doch auf!“, rief sie ihm trotzdem hinterher.

„Sorry!“, rief der Rüpel nur, auch wenn er schon so weit voraus war, dass seine Stimme vergleichsweise leise klang.

„Was ist das denn für ein Idiot?“, fragte Alexandra resigniert. So schnell konnte doch keiner denselben Fehler hintereinander machen, oder?

Das Schulgebäude sah aus wie die meisten anderen auch. Ein großer Bau mit vielen Räumen und Gängen und einem recht weitläufigen Schulhof. Nicht weiter bemerkenswert und Alexandra betrat das Gebäude durch den Haupteingang. Viele Schülerinnen und Schüler standen überall und unterhielten sich vor dem Unterricht noch kurz über die gestrigen Erlebnisse oder schrieben Hausaufgaben voneinander ab.

Alexandra stieg die Treppe hoch in den zweiten Stock, wo ihr Klassenraum war. Es dauerte auch nicht lange, bis sie ihn gefunden hatte. Allerdings hatte sie noch keine Lust reinzugehen und sich von den anderen ausfragen zu lassen, das kam noch früh genug.

Schließlich aber war es dann acht Uhr und alle setzten sich auf ihre Plätze, während Alexandra noch vor der Tür wartete. Nach noch nicht mal einer vollen Minute hörte sie eilige Schritte auf dem Flur und ein Mann mit zerknittertem Oberhemd, verwaschener Hose und ziemlich wirren Haaren kam an ihr vorbei und wollte schon die Klasse betreten, als ihm das Mädchen neben der Tür erst aufzufallen schien.

„Wer bist du denn?“, fragte er etwas gehetzt.

„Die neue Mitschülerin dieser Klasse“, antwortete Alexandra knapp, „Das dürfte eigentlich in Ihrem Klassenbuch stehen.“

Der Lehrer schlug das Buch unter seinem Arm auf und blätterte kurz darin, ehe er nickte und sagte, dass sie gleich mit reinkommen sollte. Daraufhin betrat sie mit dem Lehrer die Klasse und augenblicklich wurde es still. Alle blickten zu ihr und musterten sie neugierig.

„Tja, ähm, das ist eure neue Mitschülerin“, sagte der Lehrer nur, „Seid nett zu ihr und du setzt dich bitte auf den freien Platz da in der Mitte.“

Alexandra verkniff es sich mit den Augen zu rollen. In der Pause bot sie dort die beste Zielscheibe für die nervigen Fragen ihrer neuen Mitschüler, die zweifelsohne kommen würden. Das war immer so und Alexandra freute sich schon auf das Ende des Unterrichts. Trotzdem setzte sie sich gehorsam auf den freien Einzelplatz, der fast genau in der Mitte des Raumes war. Dass sie dabei von fast allen aus dieser Klasse beobachtetet wurde, kannte sie schon, weshalb sie das auch nicht mehr nervös machte. Ihre schwarze Jacke hängte sie über ihre Stuhllehne und dann setzte sie sich hin.

„Also ist das unsere neue Mitschülerin?“, fragte ein Mädchen etwas weiter vorne flüsternd, während der Lehrer irgendetwas im Pult zu suchen schien.

„Ja, ich habe gehört, dass sie aus einer vornehmen Familie kommt“, flüsterte der Junge neben ihr.

„Sie scheint wirklich viel Geld zu haben, seht euch mal die Jacke an“, bemerkte ein anderes Mädchen.

„Und ihre Haltung ist auch schon so hochnäsig und arrogant“, warf ein drittes Mädchen leise ein, wobei deutlicher Neid in ihrer Stimme klang.

„Hm, ihre Frisur ist interessant“, meldete sich ein weiterer Junge zu Wort.

Alexandra seufzte nur. Wieso glaubten eigentlich immer alle, dass das Flüstern in einer stillen Klasse dazu führte, dass Alexandra sie nicht verstand? In solchen Situationen hasste sie es, dass sie auch noch ein so deutliches Gehör hatte, dass sie in der Lage war einzelne Gespräche auseinander zu halten, wenn sie wollte. Das war manchmal auch von Nachteil.

Schließlich aber hatte der Lehrer anscheinend gefunden, wonach er suchte, und begann mit dem Unterricht, sodass auch die Flüstergespräche eingestellt wurden. Aber das hielt auch nur an, bis es klingelte. Ab dort schien das Wort des Lehrers nicht mehr zu zählen und alle redeten sofort munter los, so als hätten sie nur darauf gewartet.

„Wie heißt du eigentlich?“ Damit hatte sich das erste Mädchen zu Alexandra verirrt.

„Alexandra Davin“, antwortete sie nur knapp.

„Wo kommst du her?“, fragte ein Junge.

„Ursprünglich aus Großbritannien.“

„Ursprünglich? Bis du schon öfter umgezogen?“, fragte ein Mädchen interessiert.

„Kann man so sagen“, antwortete Alexandra und packte ihre Sachen unter den Tisch.

„Ehrlich? Wo warst du denn schon überall?“, fragte ein anderer Junge.

„Norwegen, Ungarn, Frankreich, Spanien, in den USA, Chile, kurzzeitig auch in Ägypten und an die anderen erinnere ich mich nicht mehr“, erwiderte Alexandra genervt.

„Dann bist du ja schon ziemlich weit herumgekommen“, stellte ein weiterer Junge staunend fest, der hellbraune bis blonde Haare und blaue Augen hatte.

Alexandra sah ihn kurz etwas verdattert an, ehe sie seufzte. Also war sie auch noch mit dem Idioten von vor der Schule in einer Klasse, das konnte ja heiter werden.

„Welches ist deine Lieblingsfarbe?“, fragte die Nächste.

„Hast du eine Band, die du gerne magst?“

„Wie steht es mit Schauspielern? Hast du da einen Favoriten?“

„Hast du irgendwelche Hobbys wie Fußball oder Tennis?“

„Dunkelblau und beige, nein, nein und ich beherrsche einige Kampfsportarten“, antwortete Alexandra entnervt und stand auf. Sie nahm ihre Jacke und schob sich ohne ein weiteres Wort an ihren Klassenkameraden vorbei. Hoffentlich war es draußen etwas ruhiger.

Ihr fiel im Gang allerdings auf, dass sie zwei Verfolger hatte.

„Wollt ihr noch irgendetwas wissen?“, fragte sie genervt und drehte sich zu dem Idioten mit dem hellbraunen Haaren und einem Mädchen um, „Vielleicht meine Lieblingsbücher? Welche Musik ich höre? Oder ob ich schon mal auf dem Mond gewesen bin?“

Der Junge und auch das Mädchen fingen an zu lachen, während Alexandra die beiden ungeduldig ansah.

„Der Letzte war gut“, sagte der Junge kichernd.

„Wenigstens hast du Humor“, stellte das Mädchen grinsend fest und schob ihren Zopf, den sie nochmal wieder zu zwei Flechtenzöpfen aufgeteilt hatte, wieder über ihre Schulter. Ihr langes Haar hatte einen schönen, dunkelbraunen Farbton, der im Licht glänzte.

„Was wollt ihr zwei nun?“, wiederholte Alexandra genervt ihre Frage.

„Warum so unfreundlich?“ Der Junge sah sie schief an.

„Probier´s mal mit einem Lächeln“, schlug das Mädchen vor und grinste, „Das wirkt nicht ganz so abweisend.“

„Tut mir leid, aber ich grinse nicht ohne Grund“, konterte Alexandra, „Seid ihr jetzt fertig?“

„Oh Mann, du bist ganz schön unfreundlich“, stellte der Junge fest, „Wir wollen uns nur mal nett mit dir unterhalten und du tust gleich so als würden wir dir auf die Nerven gehen.“

„Das tut ihr auch“, bemerkte Alexandra gereizt. Nachdem sie einige Male umgezogen war, hatte sie aufgehört sich nach Freunden umzusehen. Da sie nach spätestens sechs Monaten sowieso wieder umziehen musste, hinterließ der immer wiederkehrende Abschied nur Narben, auf die sie bestens verzichten konnte.

„Bist du so hochnäsig oder tust du nur so?“, fragte das Mädchen, „Und ich bin übrigens Stella und der Junge hier neben mir wird Seth genannt.“

„Denkt was ihr wollt“, sagte Alexandra nur, „Haltet mich für hochnäsig oder lasst es bleiben, mir ist beides gleich.“

„Oje, du bist wohl nicht gerade eine Plaudertasche“, bemerkte Seth resigniert, „Und wo steckt überhaupt Azraél?“

„Der wollte unser Frühstück holen, glaube ich“, sagte Stella nachdenklich.

Auf einmal flog Seth etwas an den Kopf und er zuckte erschrocken zusammen, ehe er sich umdrehte und das Brötchen in der Plastiktüte wieder aufhob.

„Kannst du dir nicht mal mehr merken, was ich dir vor gerade mal fünf Minuten erst gesagt habe?“, fragte ein Junge, der nun neben Seth trat. Er hatte recht kurze, schwarze Haare, von denen einige Strähnen bis auf seine Schultern reichten, und seine Augen hatten die gleiche, rotbraune Farbe wie Alexandras Haar.

„Da bist du ja, Azraél“, sagte Stella erfreut und nahm das Sandwich entgegen, das er ihr reichte.

„Ah, unsere neue Mitschülerin“, stellte Azraél fest, als er Alexandra gesehen hatte, welche die Arme verschränkt hatte und die Gruppe ziemlich genervt ansah, „Wie gefällt es dir an unserer Schule?“

„Sie ist in Ordnung, wie jede andere auch, an der ich bisher war“, sagte sie nur.

„Dir scheint es aber nicht gerade zu gefallen, so wie du klingst“, vermutete Stella und biss in ihr Brötchen.

„Weil es mich nervt jedes Mal wieder ausgefragt zu werden“, erwiderte Alexandra mühsam beherrscht, „Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich wollte mir gerne noch mal den Schulhof ansehen.“

„Wir könnten dich rum führen“, schlug Azraél vor, wobei seine Stimme schon weniger freundlich als am Anfang klang.

„Ich verlaufe mich schon nicht.“ Damit drehte Alexandra sich um.

„Die Unfreundlichkeit in Person, wie?“ Azraél hatte genau denselben, ziemlich abweisenden Ton angeschlagen wie Alexandra.

Diese drehte sich wieder um und sah ihn finster an. „Denk doch was du willst.“

Damit drehte sie sich endgültig um und ging schnellen Schritts zur Treppe. Sie wusste nicht wieso, doch sie ärgerte sich über die drei. Wenn sie das schon so oft wie Alexandra hinter sich hätten, würde sie das irgendwann auch nur nerven. Und warum hatten die drei überhaupt so schnell einfach mit ihr gesprochen? Selten waren Alexandra Mitschüler unter die Augen gekommen, die so einfach mit ihr reden wollten. Doch da sie nicht damit rechnen konnte hier sesshaft zu werden, freundete sie sich besser mit niemandem sonderlich an. Der Abschied von ihren alten Freunden war ihr am Anfang immer furchtbar schwer gefallen, auch wenn teilweise schon ihr eigenes Leben auf dem Spiel gestanden hatte. Sie hasste es sich von Freunden zu verabschieden und zu wissen, dass sie sie nie wieder sehen würde. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass viele Alexandras Verhalten missverstanden und sie für hochnäsig und ziemlich eingebildet hielten. Mit der Zeit hatte Alexandra zwar gelernt damit umzugehen, aber manchmal fiel es ihr auch schwer sich immerzu als Einzelgängerin durchs Leben zu schlagen.

Doch sie wusste, dass sie es alleine schaffen musste. Das hatten ihr unzählige „Unfälle“, bei denen nicht selten auch Bekannte von Alexandra mit hineingezogen und verletzt worden waren, bereits gezeigt. Früher hatte sie noch versucht sich bei Freunden zu verstecken, doch da diese dabei auch immer in Gefahr geraten waren, unterließ sie das schon seit langem. Schon seit langem hatte sie sich nicht mehr auf so etwas wie Freundschaft eingelassen.

Der Schulhof war eigentlich ganz schön. Hinter dem Schulgebäude gab es einen großen Platz, auf dem die Linien für ein Fußballfeld aufgezeichnet worden waren. Dort spielten einige auch gerade Fußball, während andere weiter hinten sich einfach nur gegenseitig einen Ball zuwarfen. An dem recht hohen Zaun, der das Schulgelände abgrenzte, standen viele Bäume und Büsche, durch die man im Prinzip aber auch wieder ganz einfach über den Zaun klettern konnte. Alexandra musste bei der Logik nur den Kopf schütteln. Ihre Jacke hatte sie sich nur locker über die Schultern gelegt, weil sie keine Lust hatte sie zu tragen, es aber auch zu warm war sie richtig anzuziehen. Gedankenverloren sah sie in den blauen Himmel. Jetzt ging das Spiel wieder von vorne los, mal sehen, wie lange sie dieses Mal in der Stadt bleiben konnte.

Plötzlich zog ihr jemand ihre Jacke von den Schultern und Alexandra drehte sich etwas verwirrt um. Wie sie es schon fast erwartet hatte, standen Stella, Seth und Azraél ihr gegenüber. Das Mädchen hatte gerade auch ihre Jacke in den Händen und beäugte sie interessiert.

„Die sieht ja ganz schön teuer aus“, stellte Stella etwas verblüfft fest, „Du scheinst ja wirklich aus einer reichen Familie zu stammen.“

„Und wenn dem so ist?“

„Dann könntest du deine Höflichkeit mal nicht nur dazu benutzen wie die Prinzessin auf der Erbse zu klingen, sondern mal normal mit uns reden“, schlug Azraél vor.

Seth entriss Stella unterdessen Alexandras Jacke und nahm sie selber unter die Lupe.

„Lasst sie bitte heil, ich habe keine Lust mir eine Neue kaufen zu müssen“, bemerkte Alexandra und sah auf ihre Armbanduhr. Die Pause war zum Glück bald vorbei.

„Keine Angst, wir machen sie schon nicht gleich kaputt“, sagte Seth und seufzte herzhaft, ehe er die Jacke an Azraél weiterreichte. Dieser sah sie sich gar nicht lange an, sondern warf sie Alexandra an den Kopf.

„Du suchst wohl Streit“, stellte sie fest und legte die Jacke wieder um ihre Schultern.

„Nein, ich suche viel eher eine angenehmere Gesellschaft“, korrigierte Azraél gereizt.

„Hört auf ihr zwei“, stöhnte Stella, „Ich will gar nicht erst wissen, wer von euch beiden den Kürzeren zieht.“

„Mich würde es schon interessieren“, wiedersprach Seth grinsend, doch das wurde etwas schief, als Stella ihm ihre Faust in die Seite rammte.

Dabei fiel Alexandra jedoch etwas auf. „Du beherrscht einen Kampfsport, nicht wahr.“

„Gut beobachtet.“ Stella grinste. „Karate liegt mir am besten, aber die beiden hier sind auch nicht allzu schlecht.“

„Und Azraél ist der Beste von uns, also solltest du dich lieber nicht mit ihm anlegen“, bemerkte Seth mit einem triumphierenden Lächeln. Das sollte eindeutig eine Provokation werden.

„Hm.. mich juckt´s ja in den Fingern, aber leider ist die Pause vorbei“, sagte Alexandra nur kalt und ging in Richtung Haupteingang.

„Also jetzt reicht´s mir!“, sagte Seth nun auf einmal und packte Alexandra an der Schulter.

Er wollte ihr mit seiner zweiten Hand leicht auf den Hinterkopf schlagen, doch in dem Moment drehte sie sich halb und legte dabei den Kopf in den Nacken, wodurch sie seiner Hand geschickt auswich. Dann packte sie mit einer Hand das Handgelenk seines ausgestreckten Arms und die andere setzte sie kurz vor seiner Schulter am Oberarm an. Als sie ihn dann an seinem Handgelenk nach vorne zog und zur gleichen Zeit am Oberarm nach oben hin aushebelte, war es nicht schwer ihn über ihre Schulter zu werfen und unsanft auf dem Boden landen zu lassen. Seth war sichtlich überrascht, als er vor Alexandra auf dem Boden saß und sie sein Handgelenk noch mit einer Hand festhielt.

„Das nächste Mal landest du mit voller Wucht auf dem Boden“, drohte sie und ließ ihn los, „Dann fange ich deinen Flug nicht mehr ab.“

Auch Azraél und Stella wirkten ziemlich erstaunt, als Alexandra an Seth vorbei ging und sich auf den Weg zu ihrer Klasse machte. Eigentlich hatte sie Seths Sturz auch noch weiter abfedern wollen, doch normalerweise musste sie ihre Angreifer möglichst mit einem Schlag zur Bewusstlosigkeit bringen, insofern war es für sie nicht ganz einfach ihre Verteidigung abzuschwächen.

Dabei wusste Alexandra noch nicht mal genau, warum einige Leute eigentlich hinter ihr her waren. Lag es an dem Geld, das sie von ihren Eltern geerbt hatte? Alles was Alexandra klar wusste war, dass sie verfolgt wurde. Man hatte auch schon mehrfach versucht sie auf verschiedenste Weisen zu entführen. Daher zog sie auch immer augenblicklich um, wenn sie bemerkte, dass man ihren Wohnort wieder herausgefunden hatte. Sie hatte durch ihre Abstammung auch Kontakte zu anderen wohlhabenden Familien und Firmen, durch die sie häufig schon frühzeitig erfahren hatte, dass es wieder Zeit wurde den nächsten Umzug zu planen. Das hatte ihr so manches Mal die Haut gerettet.

„Das war ein klasse Überwurf!“, sagte Stella auf einmal beeindruckt, die mit den beiden Jungen schon wieder neben Alexandra war.

„So hat mich noch nie einer am Kragen erwischt“, bemerkte Seth grinsend, „Und dafür werde ich mich noch rächen, verlass dich drauf.“

Alexandra stöhnte. „Was muss ich tun, damit ihr mich in Ruhe lasst?“

„Wie wäre es mal mit ein bisschen Freundlichkeit gegenüber deiner Mitschüler?“, schlug Azraél vor. Er klang immer noch genervt.

„Tut mir leid, die habe ich wohl am Bahnhof verloren“, sagte Alexandra gereizt und beschleunigte ihren Schritt die Treppen hoch.

„Was müssen wir denn tun, damit du mal lächelst?“, fragte Stella und nahm immer zwei Stufen auf einmal.

„Haltet eure Münder und lasst mich in Ruhe“, antwortete Alexandra und blieb auf einmal so abrupt stehen, dass die drei beinahe in sie hinein liefen, „Ich brauche keine Freunde, da ich sowieso bald wieder umziehen werde, also lasst mich jetzt bitte endlich in Ruhe.“

„Hm, aber so ganz allein ist es doch langweilig“, bemerkte Seth, „Und wenn du uns noch so oft einen Korb gibst, so schnell geben wir nicht auf.“ Sein überzeugtes Grinsen hätte Mauern einreißen können.

Alexandra seufzte entnervt und schüttelte nur den Kopf, bis sie schließlich weiter zur Klasse ging und sich dort auf ihren Platz setzte. Wer bitteschön hatte ihr diese drei Kletten auf den Hals gehetzt? Das war ja nicht zum Aushalten.

Kapitel 2: schon gefunden?

Wieder zu Hause plante sie sich vor den Hausaufgaben noch etwas zum Mittag zu machen. Zuvor ging sie aber nochmal ins Wohnzimmer und wollte eigentlich auf den Balkon gehen, doch ihr fiel ein Bild über der Couch auf, das sie gestern übersehen hatte.

Vor sich sah der Betrachter ein riesiges, stilles Meer und hoch oben waren an einem schönen blauen Himmel weiße Schäfchenwolken zu sehen. Weit hinten in der Ferne war die Sonne gerade dabei unterzugehen und verlieh dem Bild ein romantisches Ambiente. Es erinnerte Alexandra an einen Traum, den sie vor gar nicht allzu langer Zeit mal gehabt hatte. Allerdings hatte Alexandra sich zu später Nacht dort direkt über dem Wasser befunden und schräg über sich den blassen Vollmond gesehen. Es war schön und aber unheimlich, da war ihr diese Version der Szene wesentlich lieber. Auch wenn es ihr irgendwie sonderbar vorkam, dass sie ausgerechnet hier ein Bild von ihrem eigenen Traum sah.

Plötzlich jedoch fiel ihr ein Schatten auf dem Boden auf, der dort nicht hingehörte. Im selben Moment hörte sie auch schon, wie die Balkontür geöffnet wurde. Ohne darauf zu achten, wer es war, packte sie blind den ausgestreckten Arm des Einbrechers und schleuderte ihn schwungvoll über ihre Schulter. Hätte er den Überwurf nicht durch eine Landung auf seinen Füßen abgefangen, hätte er jetzt wohl arge Rückenschmerzen.

„Hey! Ich bin´s. Ich bin´s!“

Alexandra sah den Einsteiger zum ersten Mal richtig an und bemerkte ziemlich überrascht, dass es Azraél war. Jedoch machte sie das umso wütender.

„Was hast du in meiner Wohnung zu suchen?!“

„Immer mit der Ruhe“, sagte Azraél nur und versuchte seinen Arm zu befreien, den Alexandra immer noch mit einer Hand festhielt. Im nächsten Moment packte sie ihn dann mit ihrer anderen Hand am Kragen seines dunkelblauen Shirts und hob ihn erstaunlich weit nach oben.

„Was. Willst. Du. Hier?!“, fragte sie drohend. Solche Taktiken á la wir beruhigen uns erstmal kannte sie schon, wenn sie nur einen Moment unachtsam war, hatte sie verloren. Und das konnte sie sich nicht leisten, besonders wenn er zu den Leuten gehörte, die es auf sie abgesehen hatten.

„Hey...“

Alexandra reichte es und sie drückte ihn mit nur einer Hand am Hals auf den Boden. Dass sie ihm dabei die Luft abschnürte, interessierte sie nicht im Geringsten. „Rede oder es setzt was!“

Doch statt zu antworten, schien Azraél sich lieber aus seiner ungünstigen Lage halb unter Alexandra befreien zu wollen. Er rammte ihr sein Knie – wenn auch nicht ganz so heftig – in den Magen und stieß sie gleichzeitig an den Schultern nach oben, sodass sie über ihn hinweg flog und etwas unsanft auf dem Boden landete. Azraél hustete kurz, ehe er selber wieder auf seine Füße kam und sie scheinbar festhalten wollte, doch ihr Tritt traf ihn am Oberschenkel und riss ihn glatt von den Füßen. Nun kam Alexandra wieder hoch und packte ihn am Kragen. Sie hob ihn hoch und wollte gerade mit ihrer geballten Faust zuschlagen, als er ihr auf einmal einen Beinhaken stellte und jetzt sie am Kragen gepackt wurde. Azraél schob sie zwei Schritte nach hinten und drückte sie anschließend auf das Sofa. Eine Hand hatte immer noch den Kragen ihrer Bluse gepackt, seine Zweite drückte Alexandra an der Schulter auf die Couch, mit seinem rechten Bein drückte er ihre Beine nach unten – damit sie ihn nicht wieder treten konnte – und auf seinem linken Bein stand er. Sein Atem ging ein ganzes Stück schneller und auch Alexandra keuchte leicht.

„Mann, hör mir kurz zu, du Kampfratte“, sagte Azraél und stöhnte, „Stella und Seth hatten die glorreiche Idee dich bis nach Hause zu verfolgen, weil sie unbedingt wissen wollen, wo du wohnst. Die beiden sind beim Hauseingang und wollen von dort rein kommen, aber weil ich keine Lust hatte am Ende für einen Einbrecher gehalten zu werden, wollte ich lieber den Balkon nehmen.. auch wenn das gerade anscheinend eine noch dümmere Idee war.“

„Das würde ich auch so sehen“, sagte Alexandra nur, „Und jetzt lass mich los.“

„Nur wenn du nicht gleich wieder auf die Idee kommst, mich durch dein halbes Wohnzimmer zu schleudern“, erwiderte der Junge. Sein Griff hatte sich bereits gelockert, doch er war eindeutig noch vorsichtig. War ihm ja auch nicht zu verdenken.

Als Alexandra gerade antworten wollte, hörte sie auf einmal, wie sich jemand an ihrer Haustür zu schaffen machte. Nur wenige Sekunden später sprang das Schloss auf und zwei Stimmen näherten sich dem Wohnzimmer.

„Sei froh, dass ich eine Nähnadel dabei hatte“, stöhnte Stella, „Sonst wären wir hier nie reingekommen.“

„Ich kann doch auch nichts dafür“, sagte Seth, „Ich hatte nicht erwartet, mein Dietrichset heute zu brauchen.“

„Vorsorge schadet nicht“, bemerkte Stella und betrat mit ihrem Freund das Wohnzimmer. Die beiden runzelten die Stirn, als sie sahen, wie Azraél Alexandra immer noch auf die Couch drückte und resigniert zu ihnen blickte.

„Hui, hier scheint´s ja hoch her gegangen zu sein“, stellte Stella etwas überrascht fest.

Azraél knurrte etwas Unverständliches und wirkte ziemlich wütend. „Wenn ihr das nächste Mal auf so eine bescheuerte Idee kommt, erinnert mich daran zu Hause zu bleiben. Ihr könnt euch gerne durch die Gegend schleudern lassen, aber ohne mich.“

„Oje, das hört sich ja so an, als hättest du ganz schön was aufs Dach gekriegt und fast verloren“, bemerkte Seth etwas erstaunt.

Alexandras linkes Auge begann zu zucken. „WAS ZUM HENKER SUCHT IHR IN MEINER WOHNUNG?!“

„Aua, das war mein Ohr.“ Der Junge über ihr verzog ein wenig das Gesicht.

„Reg dich ab, wir wollten nichts klauen“, sagte Seth und sah sich um, „Du hast aber wirklich eine schöne Wohnung, das muss man dir lassen.“

„Was wollt ihr?!“, fragte Alexandra aufgebracht und packte Azraél an den Armen. Sie schleuderte ihn kurzerhand nach hinten, sodass er in der Ecke auf der Lehne des Sofas landete und sich noch gehörig den Kopf an der Wand stieß. Kurz richtete Alexandra ihre Bluse, dann stand sie auf und stellte sich gegenüber von Stella und Seth hin.

„Dich besuchen“, antwortete das Mädchen unverblümt, „Und da du uns unter Garantie auf normalem Wege nicht reingelassen hättest, dachten wir uns, dass wir hier halt einbrechen müssen.“

„Ich will gar nicht wissen, wo ihr das gelernt habt“, sagte Alexandra, „Verlasst einfach wieder meine Wohnung, sonst sehe ich mich gezwungen die Polizei wegen Einbruchs und Hausfriedensbruchs zu rufen.“

„Gott, schon gut, schon gut“, stöhnte Seth.

„Ich bin auch dafür, dass wir gehen“, bemerkte Azraél und rieb sich den Hinterkopf.

„Schön, für heute gehen wir nach Hause.“ Stella wirkte nicht sehr begeistert. „Aber morgen kommen wir wieder, vielleicht hast du dann etwas bessere Laune.“

Noch ehe Alexandra widersprechen konnte, verschwanden die drei aus dem Wohnzimmer und keine fünf Sekunden später fiel auch die Haustür wieder ins Schloss.

„Das gibt´s doch echt nicht“, stöhnte sie entnervt, „Wer zum Kuckuck hat mir diese Kletten auf den Hals gehetzt?“

Am Abend machte Alexandra noch kurz ihre Hausaufgaben, dann legte sie sich ins Bett. Sie hatte die Haustür abgeschlossen und den Schlüssel stecken lassen und bei der Balkontür und den Fenstern hatte sie die Gardinen zugezogen.

Es ärgerte sie jedoch ziemlich, dass sogar Stella, Seth und Azraél einfach so in ihre Wohnung einbrechen konnten. Woher wussten die überhaupt, wie man das machte? Die drei beherrschten es wirklich bis zur Perfektion Alexandra auf die Nerven zu gehen. Schließlich aber war sie eingeschlafen und fand sich schon bald in dem Traum wieder, den sie schon mindestens einmal gesehen hatte.

Sie befand sich unmittelbar über einem nicht enden wollenden Meer. Über ihr war der dunkle Nachthimmel von einigen wenigen, harmlosen Wolken verhangen und zwischen ihnen konnte man die vielen schönen Sterne sehen. Die einzig hellere Lichtquelle als die Sterne war der blasse, aber unheimliche schöne und faszinierende Vollmond. Er spiegelte sich im dunklen Meer unter Alexandras Füßen. Sie war auch nicht sonderlich überrascht darüber, dass sie nicht einfach im Wasser versank. Das war ihr zwar auch schon beim letzten Mal komisch vorgekommen, doch immerhin träumte sie.

Dann fiel ihr jedoch etwas ein und sie sah nach rechts. Tatsächlich sah sie wieder diese seltsame Gestalt, die das Einzige war, was in Alexandras Augen nicht ganz in diese Umgebung passte. Er schien ein junger Mann zu sein, obwohl seine bis zum Wasser reichenden, silberweißen Haare, die von einigen schwarzen Bändern unterhalb der Schulter zu einem lockeren Zopf zusammengebunden wurden, vielleicht nicht ganz zu einem normalen jungen Mann passten.

Sie wusste auch, dass er nicht normal war.

Denn abgesehen von seinem langen, weißen Mantel mit einigen schwarzen Verzierungen und der pechschwarzen Hose hatte er noch ziemlich große und wunderschöne, weiße Engelsflügel. Er war nicht normal. Und dennoch verspürte Alexandra ihm gegenüber keinerlei Furcht.

Allerdings lag das vielleicht auch daran, dass er, wie beim letzten Mal auch, auf Abstand blieb. Und wie beim letzten Mal schon schwiegen sie beide. Er bewegte sich außerdem nicht ein bisschen und schien sie die ganze Zeit über nur zu beobachten. Alexandra stand ihm gegenüber und betrachtete die Landschaft um sich, wobei es nicht viel zu sehen gab. Sie wusste, dass er sie beobachtete, doch es störte sie komischerweise nicht. Es kam ihr sogar fast vertraut vor.

 

Am nächsten Morgen regnete es und da Alexandra den Regen zwar eigentlich mochte, aber keine Lust hatte klitschnass in der Klasse zu sitzen, holte sie ihren Regenschirm aus dem Koffer. Da es laut Wetterbericht so gut wie den ganzen Tag über so bleiben sollte, machte Alexandra sich keine großen Hoffnungen, dass sie heute noch mal die Sonne zu Gesicht bekam.

Draußen ging sie wie üblich die Straße runter, als sie auf einmal angestoßen wurde. Bevor sie jedoch nach vorne stolpern konnte, wurde sie schon an den Schultern festgehalten.

„Schön trocken, ich darf doch?“, fragte Seth hinter ihr und blieb unter ihren Schirm.

„Nein.“ Alexandra rammte ihm kurzerhand ihren Ellenbogen zwischen die Rippen und ging flotten Schritts weiter.

„Du bist echt gemein“, seufzte Seth und holte wieder zu ihr auf.

„Und du bist nervig“, erwiderte Alexandra, „Also wunder dich gefälligst nicht über die Konsequenzen.“

„Ich hab´s ja kapiert“, stöhnte der Junge, „Aber du könntest auch mal ein bisschen umgänglicher sein.“

„Wozu?“

„Einfach so“, antwortete Azraél nur, der auf einmal aus einer Seitenstraße gekommen war und einen Regenschirm über sich hielt.

„Das ergibt doch keinen Sinn“, erwiderte Alexandra und sah stur geradeaus. Jetzt war auch noch Nummer zwei dazugekommen, das schien ja schon wieder was für ihre Nerven zu werden.

„Muss denn alles immer einen Sinn oder Grund haben?“, fragte Azraél.

Alexandra sagte nichts dazu. Sie wusste, dass nicht alles immer einen Sinn oder Grund hatte. Gefühle gehörten dazu. Doch sie hatte beschlossen, dass sie sich nicht mehr darauf einlassen würde. Wenn man so wie sie gejagt wurde, aus welchem Grund auch immer, waren Gefühle im Weg. Und außerdem zerbrachen Freundschaften nach einer gewissen Zeit sowieso immer, also wozu sollte man erst welche eingehen? Und wenn sie weiterhin unfreundlich blieb, ließen die drei sie vielleicht endlich in Ruhe und brachten ihren Entschluss nicht mehr ins Wanken.

„Hallo? Kriegen wir noch eine Antwort?“, fragte Seth und wedelte mit einer Hand vor Alexandras Augen.

„Nein“, antwortete sie schlicht und legte noch einen Zahn zu. Doch die beiden Jungen blieben neben ihr und hielten Schritt, Seth versuchte auch noch immer unter ihrem Schirm zu bleiben. Schließlich aber waren sie kurz vor der Schule und da es Alexandra allmählich zu blöd, klappte sie ihren Schirm einfach ein, als sie gut hundert Meter vom Schulgelände entfernt waren.

„Hey, jetzt werden wir ja nass“, jammerte Seth.

„Du bist nicht aus Zucker, also sollte dir das bisschen Wasser nicht schaden“, sagte Alexandra schlicht.

„Bisschen Wasser? Es regnet wie aus Kübeln!“, sagte der Junge ungläubig und trat mit unter Azraéls Schirm.

„Ach nein, trotzdem bleibt es Wasser.“

„Du bist einsam“, stellte Azraél auf einmal fest.

Alexandra zuckte zusammen.

„Du hast auch keine Eltern, oder?“, fragte Azraél, „Deine Wohnung ist zu klein für eine ganze Familie.“

„Und was wenn nicht?“, fragte Alexandra kalt. Das Wasser tropfte von ihren Haaren. Es war schon lange so, sie hatte sich daran gewöhnt. Es war nichts dabei und dass sie einsam war, wusste sie selber. Aber was machte das schon? Sie konnte und musste damit leben.

„Die Nähe von Freunden kann auch Wunden heilen“, bemerkte Azraél und schob den etwas verwirrten Seth an Alexandra vorbei, „Die Frage ist nur, ob man sich traut auf andere zuzugehen oder ob man sich in sein Schneckenhaus zurückzieht und einsam bleibt.“

Damit überholten er und Seth Alexandra ganz, die etwas langsamer geworden war.

Als wenn sie das alles nicht wusste. Sie wusste es! Doch was sollte sie denn machen?! Welche Möglichkeiten hatte sie denn in ihrer Situation?! Alexandra war auf einmal richtig sauer. Vor allem aber auf Azraél, der meinte sie belehren zu müssen. Sie hasste ihn. Seth mochte sie auch nicht sonderlich und Stella auch nicht, aber Azraél hasste sie. Die anderen beiden nervten vielleicht, aber er wagte es sie genau an den Stellen anzupacken, an denen es wehtat. Und wie es wehtat! Wenn dieser Typ noch ein falsches Wort von sich gab, würde sie ihn so lange verprügeln, bis er schwor sie nie wieder anzusprechen!

In der Pause schnappte sie sich ihren Regenschirm und verschwand schnell nach draußen. Da es immer noch in Strömen goss, war auch eigentlich niemand mehr auf dem Schulhof. Endlich hatte Alexandra etwas Ruhe gefunden und trat nach kurzem Überlegen zwischen die Büsche. Wenn doch jemand nach draußen kam, musste er sie nicht unbedingt sehen.

„Ich will alleine sein“, murmelte sie verbissen, „Ich will es. Nicht weil ich es muss, ich will es!“

„Das glaubst du doch wohl selber nicht?“ Azraél schob sich an dem großen Busch vorbei und trat bis zwei Meter neben sie.

Alexandra starrte ihn nur erschrocken an. Er musste sie gesehen haben, als sie sich versteckt hatte. Anders hätte er sie nicht finden können.

„Willst du nicht lieber reinkommen?“, fragte Azraél und befreite seinen Schirm von dem tief hängenden Ast eines Baumes, „Wir können in den Klassen bleiben und Stella und Seth wollen mit dir reden.“

„Ich bleib draußen“, sagte Alexandra nur und drehte sich um. Warum ließ er sie nicht in Ruhe? Warum musste ausgerechnet Azraél nach draußen gekommen sein?

„Du bist doch nicht glücklich“, erwiderte Azraél und seine recht warme Stimme hatte einen etwas sanfteren Klang als sonst, „Das sieht man dir doch an. Warum willst du dich so unbedingt von allen fern halten?“

„Halt die Klappe!“, sagte Alexandra laut und wunderte sich darüber, dass sie auf einmal glaubte sich verteidigen zu müssen.

Azraél seufzte. „Hey, du musst ja nicht gleich mit uns reden oder so tun als wenn es dir bei uns gefällt. Komm doch einfach erstmal mit und...“

„HALT DEN MUND!“, schrie Alexandra und drehte sich wütend um, „Du hast nicht die geringste Ahnung von mir! Hör auf mit deinen idiotischen Ratschlägen! Du hilfst niemandem! Lass mich einfach in Ruhe! Ich brauche niemanden, der meint mir nutzlose Ratschläge erteilen zu müssen!“

„Warum lügst du?“, fragte Azraél ernst, „Und wenn du nichts von dir erzählst, kann ich auch nichts über dich wissen, da hast du recht.“

„Dann halt endlich die Klappe!“, rief Alexandra verzweifelt.

„Das werde ich nicht“, sagte Azraél, „Wir können...“

Alexandras Regenschirm fiel auf den Boden. Kurzerhand hatte sie ausgeholt und ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. „Halt den Mund“, sagte sie. Ihre Stimme war nur leise und klang selbst in ihren Ohren seltsam zittrig. Sie keuchte.

„Du lässt wirklich niemanden an dich heran“, stellte Azraél fest und rieb sich die schmerzende Wange.

Doch auf die Aussage hin verlor Alexandra endgültig ihre Beherrschung. Sie schlug nach seiner Brust, aber er konnte ihren direkten Fauststoß gerade eben noch abblocken.

Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe?

Alexandra verlagerte ihr Gewicht auf ihr linkes Bein und trat mit dem Rechten zu.

Warum tat er ihr das an?

Er konnte ihren Tritt nur halbwegs abblocken und auch ihre Linke konnte er nur knapp vor seiner Wange stoppen.

Warum sagte er genau das, was ihr am meisten wehtat?

Er versuchte ihre Arme festzuhalten, doch sie riss sich los und schlug ihm ihre geballte Faust in den Magen.

Warum nur sagte er das, was sie nicht ändern konnte, obwohl sie es so sehr wollte?

Azraél verzog das Gesicht, doch ihren Tritt wehrte er ab und auch ihre zweite Faust ging ins Leere.

Sie wollte nicht mehr allein sein, sie wollte eine Familie und Freunde haben, doch wie sollte sie das in ihrer Situation bewerkstelligen? Wie sollte sie Freundschaften schließen, wenn sie doch wusste, dass sie nicht lange halten würden, weil sie schon wieder umziehen musste? Und ihre Familie war tot! Zu denen konnte sie auch nicht, also was blieb ihr dann noch? Nichts! Und dagegen konnte sie nichts machen. Das tat so weh, so furchtbar weh!

Alexandra stiegen Tränen in die Augen, doch das durfte sie Azraél nicht sehen lassen. Als er sie gerade wieder am Arm festhalten wollte, lief sie zwei Schritte, packte einen tief hängenden Ast und zog sich daran hoch. Dann sprang sie über den Zaun und wollte nur schnell weg, doch sie stieß mit jemandem zusammen.

„Tut mir leid“, murmelte Alexandra mit erstickter Stimme und sah auf.

„Nicht weiter schlimm...“ Der Mann und auch der Zweite neben ihr starrten sie verdattert an. Dann wurden ihre Gesichter plötzlich vollkommen ernst. „Alexandra Davin...“

Schlagartig wurde ihr klar, wen sie da gerade vor sich hatte. Die zwei Männer gehörten zu den Leuten, die sie verfolgten!

Zutiefst erschrocken drehte sie sich um und entwischte gerade noch den packenden Händen. Sie rannte los und lief so schnell sie konnte den Weg entlang. Hinter sich hörte sie die schnellen Schritte der beiden Männer. Durch ihre eigenen Tränen in den Augen und den Regen sah Alexandra auch nicht gerade allzu gut und versuchte sich wenigstens die Tränen aus den Augen zu wischen.

Jedoch kamen ihr auch noch ganz andere Fragen in den Sinn. Hatte man sie schon gefunden? Wartete eine ganze Horde dieser Männer bereits bei ihrer Wohnung auf sie? Alexandra wusste es nicht, doch sie musste schleunigst hier weg.

Bei der nächsten Ecke bog sie nach rechts ab und rannte den Weg runter zur Hauptstraße. Durch das Wasser auf dem Fußweg hörte sie das Patschen der laufenden Männer hinter sich. Sie waren nicht weit weg. Höchstens fünf Meter. Ein erschreckend geringer Abstand. Dann bog sie nach links um die Ecke und wollte zu einem richtigen Sprint ansetzen, als sie auf einmal mit einem weiteren Herrn zusammenstieß.

„Halt sie fest!“, rief einer der anderen, „Das ist Alexandra Davin!“

Alexandra wollte an dem Mann vorbeilaufen, doch er hielt sie an den Schultern fest. Sie versuchte sich loszureißen, doch da waren auch schon die anderen beiden Männer da und hielten sie unsanft fest. Es war zum Verzweifeln, die Sache mit Azraél eben trieb ihr immer noch Tränen in die Augen und alle Techniken, wie sie sich befreien konnte, waren wie weggeblasen. Ihr Kopf war leer, einzig erfüllt von einer plötzlichen Angst. Einer Angst, die sie sonst verdrängte.

Was würde jetzt mit ihr geschehen?

Obwohl Alexandra sich wehrte, wurde sie zu dem Auto der drei gezogen, das nur wenige Meter entfernt am Straßenrand stand. Ein Schlag in den Rücken ließ sie das Gesicht verziehen. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Früher hatte sie sich auch aus den Fängen von fünf oder mehr Männern befreien können, doch heute konnte sie gar nichts. Sie war hilflos.

Als ihr das klar wurde, hielt sie still und ließ sich ins Auto setzen.

Früher oder später würden sie sie sowieso erwischen, daran führte kein Weg vorbei, denn sie konnte nicht ewig davonlaufen. Außerdem gab es niemanden, der sie vermissen würde. Keine Familie und auch keine Freunde. Vielleicht erfuhr sie auf diesem Weg wenigstens endlich, warum man sie die ganze Zeit über verfolgt hatte. Weniger wissen wollte Alexandra allerdings, was man dort mit ihr anstellen würde.

Sie hörte noch wie der Motor ansprang und der Fahrer eilig wendete, während der Beifahrer ein Handy aus der Tasche holte und der dritte Mann neben ihr saß und ihre Hände behelfsmäßig mit einem einfachen Seil zusammenschnürte.

Das alles bekam sie noch wie im Halbschlaf mit, bis sie auf einmal wieder hell wach wurde und die Augen aufriss. Ganz plötzlich, von einem Wimpernschlag zum Nächsten, befand sie sich wieder in ihrem Traum. Ihre Füße berührten flüchtig das Wasser und ihr Blick war nach oben in den dunklen Nachthimmel gerichtet. Was sollte das denn so plötzlich? War sie eingeschlafen?

„Schhhh, entspann dich...“

Auf einmal wurde Alexandra sanft nach hinten gezogen, bis sie an etwas lehnte. Aus den Augenwinkeln sah sie seitlich weiße Flügel, die schöner noch als die von Schwänen waren. Und auf einmal begriff sie, wer hinter ihr war. Es war die Gestalt mit den langen silberweißen Haaren und dem ebenfalls weißen Mantel. Doch das erste Mal hörte sie seine Stimme. Sie klang ein wenig furchteinflößend, aber auch irgendwie geheimnisvoll und unergründlich zugleich.

„Vertrau mir...“

Nun spürte sie, wie er ihr eine Hand auf die Stirn legte und ihren Kopf sanft nach hinten zog, bis sie an seiner Brust lehnte. Alexandra war jedoch vollkommen verwirrt und zudem noch immer ziemlich durcheinander. Die Ereignisse kamen gerade etwas sehr schnell hintereinander und so ganz kam sie nicht mehr mit. Doch die Ruhe der Gestalt hinter ihr schien sich irgendwie auf sie zu übertragen. Obwohl Alexandra es nicht für möglich gehalten hätte, begann sie sich wie befohlen zu entspannen. Sie wusste auch nicht, warum sie auf ihn hörte, aber irgendetwas sagte ihr, dass das die richtige Entscheidung war. Sie schloss ihre Augen und als ihre Beine gerade drohten nachzugeben, bemerkte sie, dass er ihr einen Arm um die Taille gelegt hatte und sie so festhielt.

Die Gestalt breitete daraufhin die Flügel aus, die weiß zu leuchten begannen, und schloss die Augen.

„Ich hätte nie gedacht, dass wir ausgerechnet hier im Urlaub auf diese Alexandra stoßen“, sagte der Fahrer des Sportwagens und trat aufs Gaspedal, während der Beifahrer mit dem Gesprächspartner auf der anderen Seite der Leitung sprach und berichtete, dass sie Alexandra Davin geschnappt hatten.

Der Mann neben Alexandra lachte. „Ja, das nenne ich wirklich mal ein Wunder. Ausgerechnet wir haben Glück...“

Auf einmal begann Alexandra, die die Augen geschlossen hatte, ganz leicht zu leuchten und das Seil um ihre Hände löste sich wie von Geisterhand. Im selben Moment begannen ihre Haare zu schweben und wurden auf einmal schneeweiß.

„Was ist da los?!“, fragte der Fahrer erschrocken, der das im Rückspiegel natürlich gesehen hatte.

„Ich-Ich weiß es nicht...“, setzte der Mann neben Alexandra an, doch in dem Moment öffnete sie ihre nun plötzlich eisblauen Augen und richtete den Blick auf ihn. Auf einmal wurde er an die Tür gequetscht und auch die anderen beiden Männer klebten plötzlich an der Frontscheibe, ganz so als hätte sie man dorthin geschleudert. Wahrscheinlich aus Reflex heraus trat der Fahrer auf die Bremse und der Wagen kam abrupt zum Stehen.

Alexandra öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen, doch die Männer schienen sich relativ schnell wieder von dem Schreck zu erholen. Auch sie waren in rekordverdächtigem Tempo aus dem Wagen gesprungen und zückten auf einmal jeder einen Revolver. Alexandra trat einige Schritte zurück, doch die Männer kamen ihr nach.

„Komm schön wieder her“, sagte der Beifahrer, auch wenn er etwas verunsichert klang.

„Wir wollen nicht schießen“, sagte der Mann, der im Wagen neben Alexandra gesessen hatte und seine Waffe auf sie richtete.

„Dann tut es auch nicht!“, rief plötzlich Stella von hinten. Sie, Seth und auch Azraél kamen angelaufen und zielten mit Pistolen auf die drei Männer.

„Eine falsche Bewegung und wir schießen!“, sagte Seth und entsicherte seine silberne Waffe.

„Kinder?!“ Der Beifahrer schien seinen Augen nicht ganz zu trauen.

„Hört auf damit“, sagte der Fahrer jedoch ernst, „Ihr könnt mit den Dingern da doch gar nicht umgehen.“

„Wollen Sie´s unbedingt ausprobieren?“, fragte Azraél drohend.

Damit kamen die drei neben Alexandra zum Stehen, die sie nur vor der niedrigen Mauer hinter sich stand und das Geschehen beobachtete. Ihre weißen Haare schienen immer noch förmlich zu schweben, als würde ein gleichmäßiger Wind von unten ihre kürzeren Haare und auch den Zopf leicht nach oben wehen. Das fiel in dem Moment auch den drei Neuankömmlingen auf.

„K-K-Kiyoshi...“ Stella drehte sich verdattert um und starrte Alexandra an, deren Blick nur gelassen war.

„Ich überlasse sie euch“, sagte die Stimme der Gestalt mit den langen weißen Haaren nur durch Alexandra. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und ihre Haare legten sich langsam wieder auf ihre Schultern und ihren Rücken. Nun waren sie auch wieder rotbraun und Alexandra sank zu Boden.

Sie hatte sich umgedreht und starrte die Gestalt an, die sie gerade eben erst wieder losgelassen hatte. Dann verschwamm jedoch alles vor ihren Augen und im nächsten Moment spürte sie den harten Fußweg unter sich. Noch immer verwirrt starrte sie die Männer an, die gerade nicht zu wissen schienen, ob sie ihre Waffen nun auf Alexandra oder auf die anderen drei neben ihr richten sollten.

Auch wenn Alexandra nicht wusste, was eben mit ihr passiert war, hatte sie, trotz dessen sie ihre Augen im Traum geschlossen hatte, gesehen was im Auto und auf dem Fußweg passiert war. Das verwirrte sie jedoch noch nicht mal am meisten. Was war diese Gestalt, die da gerade anscheinend die Kontrolle über ihren Körper übernommen hatte? Und was machten eigentlich Stella, Seth und Azraél hier? Noch dazu mit Pistolen unterschiedlicher Modelle? Alexandra verstand es nicht.

„Legt die Waffen weg“, sagte der Beifahrer ernst, „Wir wollen nicht auf Kinder schießen.“

„Hm.. ich habe eine bessere Idee“, sagte Stella und entsicherte ihre Pistole, „Ihr lasst Alex in Ruhe und fahrt einfach nach Hause. Was haltet ihr denn davon?“

„Verschwindet“, sagte der Fahrer, „Kinder haben hier nichts zu suchen.“

„Ich denke viel eher, Sie haben hier nichts zu suchen“, sagte Seth unbeeindruckt, „Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, werden wir schießen.“

„Das sind doch bloß Spielzeuge“, sagte der dritte Mann, „Ihr solltet uns lieber nicht in die Quere kommen. Wenn ihr...“

„Spielzeuge?“ Azraéls Pistole war bereits entsichert und er zielte auf den dritten Mann. „Denken Sie wirklich, dass wir uns nur mit Spielzeugen hier einmischen würden? Ich bitte Sie, so dumm sind doch selbst Kleinkinder nicht.“

Die Männer wirkten etwas unsicher, doch dann trat der Fahrer näher. Noch ehe er aber auch nur einen zweiten Schritt machen konnte, schoss Seth und traf genau die Hand des Mannes, in der er die Pistole gehalten hatte. Nach zwei weiteren schnellen Schüssen von Stella und Azraél fielen auch die Pistolen der anderen beiden Herren auf den Boden und sie hielten sich die Hände.

„Das werdet ihr noch bereuen“, sagte der Fahrer nur und sprang mit den beiden anderen ins Auto, das nur drei Sekunden später mit quietschenden Reifen davon jagte.

„Jippie, wie schnell die auf einmal das Weite suchen“, sagte Seth nur kichernd und steckte seine Pistole in die Hosentasche.

„Hey, ist alles klar Alex?“, fragte Stella und ging neben Alexandra in die Knie, die immer noch auf dem Boden saß und dem Wagen der Männer hinterher starrte.

Sie hatte keinerlei Ahnung, was eben passiert war, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie das jemals herausfinden würde, doch eines stand fest: sie musste schleunigst hier weg. Da diese Männer sie nun entdeckt hatten, würden sie bald mit Verstärkung anrücken. Sie durfte nicht darauf warten, dass sie erst vor ihrer Tür standen, und kam schwankend wieder auf ihre Füße. Es wurde Zeit wieder die Sachen zu packen, obwohl sie doch Vorgestern erst angekommen war.

„Hey, wo willst du hin?“, fragte Seth verwirrt und hielt Alexandra an der Schulter fest, die gerade an den drein vorbeigehen wollte.

„Meine Sachen packen“, sagte Alexandra nur. Sie wurde von Seth umgedreht und musste so die drei ansehen. Als ihr Blick jedoch auf Azraél fiel, weiten sich ihre Augen. Bis eben hatte sie den Streit über die sich überschlagenden Ereignisse ganz vergessen, doch durch seinen Anblick wurde sie wieder an die schmerzhaften Fakten erinnert: Dass sie allein war und vor ihren Verfolgern davonlief, von denen sie noch nicht mal wusste, aus welchem Grund sie hinter ihr her waren. Es waren die Fakten, die sie sonst immer verdrängte, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Schnell wandte sie den Blick ab und sah zur Straße. Dennoch fiel es Stella, Seth und Azraél natürlich auf, dass Alexandra auf einmal wie vom Schlag getroffen zu sein schien und Tränen in den Augen hatte.

„Was ist los, Alex?“, fragte Stella und wollte auf Alexandra zu gehen.

„Lasst mich in Ruhe“, sagte diese nur und machte sich von Seth los, der sie immer noch an der Schulter festgehalten hatte.

„Also willst du wieder weglaufen?“, fragte Azraél. Seine Miene verriet nicht, was er dachte oder fühlte.

Alexandra zuckte zusammen, doch im selben Moment stieg eine dermaßen gewaltige Wut – gemischt mit Bitterkeit und Trauer – in ihr auf, dass sie rot sah.

„Halt endlich deine verdammte Klappe!“, schrie sie wutentbrannt, „Du hast keine Ahnung von dem, was ich alles durchgemacht habe! Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle und was ich will! Also hör endlich auf damit dich in meine Angelegenheiten einzumischen! Du wirst mich nie verstehen und selbst wenn ich dir irgendetwas von dem erzählen würde, was bei mir abgelaufen ist, würdest du es nicht verstehen! Ich versteh es ja selber noch nicht mal! Also lass mich verdammt noch mal in Ruhe und misch dich nie wieder ein!“

Azraél schien nun doch etwas überrascht zu sein und auch Stella und Seth waren sichtlich erstaunt. So wütend war noch keiner ihnen gegenüber gewesen. Allerdings hatten sie auch noch niemanden gesehen, der während seines Wutanfalls gleichzeitig so verzweifelt und verwirrt geklungen hatte.

„Alex...“, setzte Stella an und kam auf sie zu.

„NEIN!“, schrie Alexandra und wich zurück, „Lasst mich einfach in Frieden!“

„Nein“, sagte Stella und kam ihr nach. Noch ehe Alexandra protestieren konnte, nahm Stella sie einfach in den Arm. „Wir wissen zwar auch nicht so genau, was eigentlich vor sich geht, aber wir wollen dir helfen. Verstehst du? Wir sind deine Freunde und wir werden dir auf jeden Fall helfen. Also hör auf zu weinen, ja?“

Alexandra hielt inne, denn sie hatte Stella eigentlich gerade auf den Fuß treten wollen. Normalerweise war sie allen gegenüber immer sehr misstrauisch gewesen, schließlich konnte jeder zu ihren Verfolgern gehören. Daher hatte sie es seit den letzten zwei Jahren nach dem Unfall niemandem mehr getraut. Außerdem hatte sie verhindern wollen, dass noch jemand in diese Sache mit hineingezogen wurde. Es war ja schon schlimm genug, dass sie selbst spätestens alle sechs Monate umziehen musste. Und jetzt waren da diese drei hartnäckigen Mitschüler, die sie nicht mehr los wurde und die sagten, dass sie ihr helfen wollten.

Zwar wusste Alexandra nicht wieso, doch sie hatte das Gefühl, dass sie ihnen vertrauen konnte. Auch wenn es da noch einige ungeklärte Fragen gab – beispielsweise wie die drei an Schusswaffen herangekommen waren – schienen sie gar nicht so übel zu sein. Vielleicht waren sie nach langer Zeit ihre ersten richtigen Freunde.

Alexandra fiel in dem Moment auch erst richtig auf, dass sie gerade vollkommen den Kopf verloren hatte. Seit wie vielen Jahren war das das erste Mal, dass sie es zugelassen hatte, dass die Tränen gegen ihren Willen siegten? Und das gerade auch noch vor den anderen. Obwohl Alexandra immer noch etwas durcheinander war, wollte sie doch nicht gleich zeigen, dass sie ihre Meinung geändert hatte und schon beinahe froh darüber war, dass die anderen da waren. Das ließ ihr Stolz nicht zu.

„Wer weint hier?“, fragte Alexandra nur und wischte schnell die letzten Tränen weg, ehe sie sich von Stella wegdrückte.

„Na du“, sagte Seth, der ihrem Stimmungswechsel anscheinend am schnellsten folgen konnte, und klopfte ihr auf die Schulter, „Ich hätte nie gedacht, dass die unfreundliche Alex auch mal Tränen vergießt. Das hat mich ehrlich überrascht.“

„Halt die Klappe“, schnaubte Alexandra nur und schob seine Hand von ihrer Schulter, „Ich hatte nur für einen Moment die Beherrschung verloren, zieht daraus bloß keine falschen Schlüsse.“

„Schön, dass es dir besser geht, Alex“, sagte Stella lächelnd.

„Tse, und was soll dieses Alex?“

„Schon mal was von Spitznamen gehört?“, fragte Azraél, der sie lediglich beobachtet hatte.

Sofort sah Alexandra ihn giftig an. „Stella und Seth akzeptiere ich vielleicht noch, aber dich hasse ich, also bleib mir bloß vom Leib und halt die Klappe.“

Azraél schien ein klein wenig überrascht wegen ihrer plötzlichen Feindseligkeit, doch er setzte eine unbeteiligte Miene auf. „Keine Sorge, ich kann Mädchen wie dich sowieso nicht ausstehen.“

„Hey, sie hat gesagt, dass sie uns akzeptiert“, stellte Seth etwas überrascht fest.

„Hab ich´s mit den Ohren?“, fragte Stella.

„Bekommt das ja nicht in den falschen Hals“, sagte Alexandra nur und stand wieder auf, „Das heißt nur, dass ihr mir folgen könnt, wenn ihr unbedingt wollt. Erwartet aber nicht, dass ich sonderlich freundlich zu euch sein werde, nur weil ihr mich gerettet habt.“

„Keine Sorge, wir haben noch nicht mal erwartet, dass du uns überhaupt mal akzeptieren würdest“, bemerkte Stella schmunzelnd, „Die Freundlichkeit kommt schon irgendwann von alleine.“

„Und wie wäre es mal mit einem Danke?“, fragte Azraél.

„Dir danke ich ganz bestimmt nicht“, fauchte Alexandra, „Wegen dir bin ich erst bei diesen Leuten gelandet.. Aber ich danke Stella und Seth.“

Azraél stöhnte, während Stella und Seth grinsten.

Wie es aussah, hatten sie den ersten Schritt geschafft. Vielleicht wurden sie ja doch noch ein gutes Team. Dann fiel ihnen auf, dass die Sonne zwischen ein paar Wolkenfetzen hervorgekommen war und auf sie herabschien. Die warmen Strahlen ließen das Wasser auf den Wegen und auf den Blättern der Bäume und Büsche glitzern wie tausende kleine Diamanten. Es war ein wunderschöner Anblick.

Kapitel 3: der in ihren Träumen

„Bildet euch aber bloß nichts drauf ein“, ermahnte Alexandra sie erneut und ging los in Richtung Schule. Schließlich hatten sie eigentlich schon Unterricht.

„Interessiert dich denn gar nicht, wie wir eigentlich zu Waffen kommen?“, fragte Stella spitz.

„Die Ehre mir das zu erzählen erteile ich euch nach dem Unterricht.“

„Ho ho, euer Hochwohlgeboren sitzt wieder auf ihrem hohen Ross“, sagte Seth und fing an zu lachen, bis ihn Alexandras gezielter Kinnschieber traf.

„Pass auf, was du sagst, oder ich muss dich knebeln“, bemerkte Alexandra trocken und ging weiter.

Seth und Stella kicherten beide, während Azraél schweigend hinter ihnen her ging und sich das leichte Lächeln auf seinen Lippen nicht anmerken ließ.

Gemeinsam gingen sie zurück zum Unterricht und hörten sich geduldig die Standpauke von ihrem Lehrer an, denn sie waren ja immerhin volle zehn Minuten zu spät zum Unterricht gekommen. Alexandra hörte auch das Getuschel ihrer Mitschüler, dass Geld anscheinend nicht vor Dummheit schützte, doch sie achtete nicht so sehr darauf.

Vielmehr kam sie dazu an die Gestalt aus ihrem vermeintlichen Traum zu denken. Denn dass das kein Traum war, wusste sie jetzt. Die Gestalt hatte wirklich die Kontrolle über ihren Körper gehabt. Wie war das möglich? Das hatte sie selbst in spannenden Romanen noch nie gelesen. Es konnte eigentlich nicht sein, doch sie wusste, dass es wahr war. Vielleicht konnten ihr die anderen auch darauf eine Antwort geben, doch erstmal musste darauf warten, dass der Unterricht endlich vorüber ging.

Schließlich aber hatte sie es überstanden und machte sich auf den Rückweg. Wie erwartet, waren die anderen drei hinter ihr.

„Also, wolltet ihr mir nicht etwas erzählen?“, fragte Alexandra ohne sich zu ihnen umzudrehen, „Und ich habe auch eine Frage an euch.“

„Dann spuck sie mal aus, wir sind ganz Ohr“, sagte Seth grinsend.

„Wisst ihr etwas von einem Mann mit ziemlich langen, silberweißen Haaren, weißem Mantel und genauso weißen Flügeln?“, fragte Alexandra einfach. Es war ihr zu umständlich auf eine vorsichtige Art und Weise zu fragen, die nicht ganz so überfallend war, wie ihre Jetzige.

Stella, Seth und selbst Azraél sahen sie einen Moment lang verdattert an, dann schien ihnen etwas einzufallen und sie wurden wieder ernst.

„Du fragst wegen dem, was vorhin mit dir los war, nicht wahr?“, fragte Stella und ihre Stimme klang zur Abwechslung mal wirklich ernst, „Wir wissen auch nicht genau, was da wirklich passiert ist, aber allem Anschein nach hatte Kiyoshi die Kontrolle über deinen Körper übernommen.“

„So weit war ich auch schon“, seufzte Alexandra, „Also lautet sein Name Kiyoshi.“

„Aber wie kann es sein, dass du weißt, wie er aussieht?“, fragte Seth stirnrunzelnd, „Dass du ihn gesehen hast, ist ausgeschlossen, schließlich lebt er außerhalb der Welten...“

Stella presste ihm noch eine Hand auf den Mund, doch es war zu spät.

Alexandra sah ihn an, als ob er nicht mehr ganz dicht wäre. Dann schüttelte sie jedoch den Kopf und blickte wieder nach vorne. „Ich habe ihn gesehen.. in einem Traum.“

„In einem Traum?“ Stella und Seth sahen sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Höchst seltsam“, murmelte Azraél nachdenklich.

„Ruhe auf den billigen Plätzen“, kam Alexandras bissiger Kommentar, „Und dir habe ich nicht erlaubt, mir zu folgen.“

„Hey hey, er gehört zu uns“, sagte Stella beschwichtigend, „Du wirst ihn noch zu schätzen wissen. Auch wenn man es ihm vielleicht nicht ansieht, kann er sehr nützlich sein und klugen Schwachsinn von sich geben.“

„Klugen Schwachsinn?“ Azraél runzelte die Stirn. „Davon habe ich ja noch nie was gehört.“

„Sie hat aber recht, manchmal gibst du wirklich Dinge von dir, die kein Mensch versteht“, bemerkte Seth und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, „Vielleicht stimmt das, was du sagst ja, aber du könntest dich auch mal etwas verständlicher ausdrücken.“

„Solange er mir jedenfalls nicht in die Quere kommt, kann er mitkommen, wenn er unbedingt will“, meldete sich die etwas genervte Alexandra wieder zu Wort, „Und jetzt noch mal bitte im Klartext, wer oder besser was ist diese Gestalt und.. wo lebt er?“

„Schon wieder redet sie über mich, als wäre ich nicht da“, bemerkte Azraél resigniert.

„Nimm´s nicht so schwer“, grinste Seth nur, „Es können eben nicht alle bei den Frauen beliebt sein.“

„Tja, sein Name ist auf jeden Fall Kiyoshi“, antwortete Stella nachdenklich, „Und auch wenn das jetzt vielleicht ein bisschen verrückt klingt, er lebt außerhalb dieser Welt in einer sogenannten Zwischendimension. Es gibt verschiedene Welten und Kiyoshi wacht mit einigen anderen seinesgleichen, die auch zwischen den Dimensionen leben, über die normalen Welten. Es ist sozusagen seine Aufgabe über das Gleichgewicht der Welten zu wachen und es in Ordnung zu halten.“

„Wer will bei der schon beliebt sein?“, fragte Azraél und sah Seth ungläubig an.

„Wer hat dich nach deiner Meinung gefragt?“, fragte Alexandra nur an Azraél gerichtet und wandte sich dann wieder an Stella, „Und du willst, dass ich dir einfach so abkaufe, was du mir da gerade erzählt hast?“

„Glaubst du, ich lass mir von dir den Mund verbieten?“, fragte Azraél gereizt.

„Du kannst mir ruhig glauben“, sagte Stella, „Und es wird sogar noch abgefahrener, da wirst du noch staunen.“

„Das glaube ich kaum“, erwiderte Alexandra etwas resigniert. Das klang doch gerade viel eher nach irgendeiner abgedrehten Fantasy-Serie und nicht nach dem richtigen Leben. Mehrere Welten und Leute, die zwischen den Welten lebten? So langsam zweifelte Alexandra an dem Verstand der drei.

„Den Blick kennen wir“, bemerkte Seth grinsend, „Du hältst uns gerade für verrückt, Alex, nicht?“

„Vielleicht.“

„So haben wir am Anfang auch ausgesehen.“ Seths Grinsen wurde breiter. „Und glaub mir, wir hatten nicht so einen eindeutigen Beweis wie du erst vorhin, als Kiyoshi die Kontrolle über dich übernommen hat. Wir mussten uns so damit anfreunden.“

„Aber nachdem uns die ersten Dämonen begegnet sind, haben wir ganz schnell angefangen daran zu glauben“, stellte Stella fest und kicherte kurz, „Kiyoshi und seine Freunde, die Dimensionswächter, sind die Guten und dann gibt es da natürlich auch die Bösen, die Dämonen. Sie wollen, soweit wir jedenfalls wissen, die Macht der Dimensionswächter schwächen und gehen deshalb gerne mal in die Welten und richten ein bisschen Chaos an.“

„Aha, und was hat das Ganze nun mit mir zu tun?“, fragte Alexandra schlicht.

„Aus irgendeinem uns unbekannten Grund scheinen einige Menschen, die sich mit den Dämonen verbündet haben, hinter dir her zu sein“, antwortete Stella und zuckte mit den Schultern.

„Aber warum wissen wir ehrlich gesagt auch nicht“, musste Seth zugeben und kratzte sich am Hinterkopf, „Kiyoshi sagte zu uns nur vor einiger Zeit mal, dass bald jemand auftauchen würde, der unsere Hilfe braucht. Daher waren wir wachsam und schließlich kam da auch die neue Mitschülerin, die nichts und niemanden ausstehen konnte und sich von allen absonderte.“

„Ich kann wohl davon ausgehen, dass du mich meinst.“ Alexandra spielte mit dem Gedanken sich für die respektlose Umschreibung zu revanchieren, aber letztlich entschied sie sich doch dagegen. Immerhin hatte sie sich das selber zuzuschreiben.

„Wen denn sonst?“, fragte Azraél leise.

„Unerwünschten Verfolgern ist das Sprechen hiermit untersagt“, sagte Alexandra und blickte giftig über ihre Schulter.

„Sehe ich aus wie ein Hund, der auf deine Befehle hört?“, fragte Azraél empört, „Ganz bestimmt nicht, das wäre ja noch schöner.“

Alexandra juckte es in den Fingern und sie wollte ihm am liebsten ihre Aktentasche vorn Latz knallen, doch sie beherrschte sich und biss lediglich die Zähne zusammen. Irgendwann würde er noch sein blaues Wunder erleben, da konnte er sich sicher sein.

„Wenn ihr dann fertig seid, fahren wir fort“, sagte Stella mit einem schiefen Lächeln, „Da wir nicht wussten, warum Kiyoshi uns diesen Hinweis gegeben hatte und da du als Einzige in Frage kamst, haben wir ein bisschen recherchiert.“

„Ihr habt in meinen Akten geschnüffelt?“, fragte Alexandra und ihre Stimme klang schon beinahe drohend.

Stellas Lächeln wurde noch schiefer. „Geschnüffelt würde ich nun nicht sagen, wir haben lediglich ein bisschen das Internet unsicher gemacht...“

„Das ist doch nichts anderes als Schnüffeln“, warf Alexandra ein und starrte auf den Fußweg, „Und was habt ihr herausgefunden?“

„Tja.. zumindest so viel, dass wir sicher sein konnten, dass Kiyoshi dich gemeint hat.“ Stella sah bedrückt zur Seite.

Inzwischen waren sie auch bei dem Mietshaus angekommen, in dem Alexandra wohnte. Wortlos schloss sie die Haustür auf und stieg über die Treppen hoch in den ersten Stock. Das Schloss ihrer Wohnungstür klickte und die Tür sprang auf, sodass sie die Wohnung betreten konnten.

„Was genau habt ihr herausgefunden?“, fragte Alexandra, als sie alle im Wohnzimmer auf der Couch saßen und Stella und Seth sich unsichere Blicke zuwarfen.

„Du hast glücklich mit deinen Eltern zusammen in einem großen Haus gelebt“, antwortete Azraél ernst und sah sie durchdringend an, „Bis deine Eltern einen Unfall hatten. Wie durch ein Wunder war dir dabei nichts passiert, doch von da an bist du, scheinbar ziellos, quer durch die Welt gereist und nie länger als sechs Monate an einem Ort verweilt. Obwohl du damals gerade mal elf Jahre alt warst, wohl gemerkt. Und vor zwei Jahren hattest du einen weiteren gefährlichen Unfall, der dich beinahe das Leben gekostet hätte. Von da an ist fast nichts mehr bekannt, abgesehen davon, dass du weiterhin durch die Gegend gereist bist und dich möglichst versteckt gehalten hast.“

Alexandra überlegte kurz, ob das wirklich alles war, was sie wussten. Doch sie konnte wohl davon ausgehen, schließlich hatte sie auch nicht sehr viel mehr als nur etwas genauere Details herausfinden können. Dann seufzte sie und lehnte sich zurück.

Sie hatte beschlossen, die Sache erstmal so hinzunehmen. Zwar fiel es ihrem gesunden Menschenverstand nicht gerade leicht zu akzeptieren, was Stella und Seth ihr da zuvor erzählt hatten, doch um ihr Hirn nicht noch in Mitleidenschaft zu ziehen, glaubte sie ihnen vorerst. Was war schon dabei, dass angeblich ein paar Leute, oder Dimensionswächter, zwischen den Welten lebten, von denen es auf einmal ganz viele geben sollte, und dass es auch Dämonen gab, die scheinbar gegen diese Wächter der Dimensionen kämpfen? Klang nach einem spannenden Roman. War doch super. Gerade da sie anscheinend irgendwo dazwischen geraten war. Allerdings musste sie dabei zugeben, dass ihr Leben so oder so einem verrückten Krimi entsprach. Also was machte da schon noch ein Schuss Fantasie? Es war doch sowieso schon alles durcheinander.

„Ja, das was du gesagt hast, entspricht dem, was ich auch herausgefunden habe“, sagte sie schlicht, „Aber wer hat dir erlaubt zu antworten? Ich hab dir doch gesagt, dass du deine verdammte Klappe halten sollst.“

„Entschuldige bitte vielmals, dass ich es gewagt habe, einer normalen Frage eine normale Antwort zu geben“, seufzte Azraél und verdrehte die Augen.

„In wie fern dem, was du auch herausgefunden hast?“ Seth schien die merkwürdige Formulierung der Bestätigung aufgefallen zu sein.

Einen Moment lang überlegte Alexandra, doch dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich habe bei dem Unfall vor zwei Jahren mein Gedächtnis verloren.“

Stella, Seth und auch Azraél starrten sie wie vom Donner gerührt an.

„Ich habe nur anhand meines Passes, einigen Telefonaten und der Nutzung des Internets herausgefunden, wer und was ich bin“, fuhr Alexandra gelassen fort, „Das Einzige, an was ich mich erinnert habe, waren mein Name und dass ich ursprünglich in England geboren wurde. Alles andere musste ich wieder herausfinden, aber da ich meinen Namen und komischerweise auch die Bedeutung meines Familiennamens kannte, konnte ich das meiste aus meiner Vergangenheit herausfinden und mir einprägen, damit ich nicht weiter auffällt.“

„Oh Gott“, hauchte Stella, „Das muss ja ein Schock gewesen sein.“

„Ein größerer Schock war die Entdeckung, dass ich verfolgt werde“, bemerkte Alexandra trocken, „Darüber habe ich nämlich nichts herausgefunden, aber anhand meiner ständigen Umzüge konnte ich mir denken, dass ich schon früher verfolgt wurde. Daher habe ich einfach das gemacht, was ich früher auch schon getan habe, und bin wieder umgezogen.“

„Und die Verfolgungsjagd ging weiter“, sagte Seth ernst, „Aber hast du schon mal daran gedacht, dass die beiden Unfälle keine Unfälle waren.. sondern von deinen Verfolgern inszeniert wurden?“

„Ob ihr es glaubt oder nicht, zu dem Schluss bin ich auch gekommen“, stellte Alexandra fest, „Deswegen bin ich eigentlich auch zu dem Entschluss gekommen, mich mit niemandem mehr anzufreunden. Erstens kann ich nicht wissen, wer mein Feind ist, und zweitens wollte ich vermeiden, dass am Ende noch Unschuldige oder gar harmlose Freunde mit in die Sache hineingezogen werden. Bisher ist mir das auch immer gelungen, nur in letzter Zeit wurde ich drei nervige Anhängsel nicht mehr los, die mir einfach nicht von der Seite weichen wollten.“

Über Stellas und Seths breites Grinsen konnte Alexandra nur den Kopf schütteln.

„Aber heute hat es sich doch auch ausgezahlt, dass wir so anhänglich sind“, bemerkte Seth grinsend, „Schließlich haben wir dich gerettet.“

„Und daran, dass es überhaupt so weit gekommen ist, ist Azraél Schuld, also im Prinzip auch ihr“, entgegnete Alexandra nüchtern und verschränkte die Arme.

„Warum eigentlich?“, fragte Stella ein wenig verwundert.

„Weil er nicht weiß, wann man am besten die Klappe hält“, antwortete Alexandra gereizt und sah Azraél aus zusammengekniffenen Augen an.

„Du hast doch selber Schuld, wenn du unbedingt auf das eingehen musst, was ich sage“, konterte Azraél, „Du hättest mich auch einfach ignorieren können.“

Alexandra wunderte sich, dass ihr noch kein Rauch zu den Ohren raus kam. Sie war beinahe kochend vor Wut und wollte ihn am liebsten mit bloßen Blicken erdolchen.

„Oh oh, Azraél, schlafende Drachen weckt man besser nicht“, bemerkte Seth beunruhigt, der natürlich gesehen hatte, was für einen Gesichtsausdruck Alexandra gerade hatte. Und er hatte auch das Pech genau neben Azraél zu sitzen, der, von Alexandra aus gesehen, am anderen Ende der Couch saß.

„Eine schlafende Stella auch nicht, und sie hat es bisher auch noch nie geschafft mir den Kopf abzureißen“, bemerkte Azraél gelangweilt.

„An deiner Stelle würde ich auf meine Zunge aufpassen“, drohte Alexandra.

„Und pass auf, dass ich nicht doch mal ein Fleischmesser unter meinem Kissen habe, wenn du mich weckst“, warf Stella mit Unglück verheißender Stimme ein.

„Azraél, gegen eine kommst du ja noch an, aber wenn sie es jetzt zu zweit auf dich abgesehen haben, mache ich mir Sorgen um deine Gesundheit“, meldete Seth sich vorsichtig zu Wort.

„Ach was, der Ärger verfliegt bald wieder“, seufzte Azraél und ignorierte die finsteren Blicke, die vom anderen Ende der über Eck verlaufenden Couch aus auf ihn abgefeuert wurden.

„Das glaubst auch nur du“, grollten Alexandra und Stella gleichzeitig und kamen auf die Füße.

„H-Hey...“ Seth sah von dem gelassenen Azraél zu den beiden aufgebrachten Mädchen, die gerade um den Tisch herum auf ihn zu kamen und eindeutig nichts Gutes im Schilde führten. „Stella, du hast doch selbst gesagt, dass das nichts bringt...“

„Oh, es gibt durchaus Ausnahmen, mein Lieber“, sagte Stella und grinste hämisch.

„Oje.. wenn sie schon mein Lieber sagt.. ich geh in Deckung“, murmelte Seth nur und rutschte lieber weiter nach rechts, nur weg von Azraél, für den es gleich ungemütlich werden dürfte.

Alexandra malte sich gerade aus, wie sie Azraél jedes Haar einzeln ausriss, als ihr auf einmal auffiel, dass er ganz leicht lächelte. Er wirkte schon beinahe zufrieden. Und da kam die nüchterne Feststellung, dass sie gerade genau das tat, auf das er es angelegt hatte. Als Stella gerade ausholte, um Azraél so richtig eine zu scheuern, hielt Alexandra ihren Arm fest. Mit ziemlicher Sicherheit würde Azraél sich sowieso nicht so einfach treffen lassen.

„Ich hab keine Lust, genau das zu tun, was er von uns erwartet“, bemerkte Alexandra, auch wenn sie immer noch stink wütend war.

Stella starrte Azraél wutschnaubend an, doch dann drehte sie sich um und stapfte wieder zu ihrem Platz auf der Couch, während Alexandra Azraél nur resigniert ansah. Sein linker Mundwinkel verzog sich auf ihren Blick hin zu einem Lächeln, als wollte er sagen: Du hast es ja gerade noch gemerkt, überaus beeindruckend. Und Alexandra hörte den Sarkasmus seiner Stimme schon fast in ihren Ohren, was sie nur die Hände zu Fäusten ballen ließ, als sie sich wieder setzte.

„Äh.. wo waren wir eigentlich stehen geblieben, bevor die Luft hier so dick wurde?“, fragte Seth schief lächelnd. Da hatte Azraél ja nochmal Glück gehabt.

„Wir waren bei meinen ständigen Umzügen“, antwortete Alexandra und seufzte herzhaft, um den Ärger wieder einigermaßen in die Schranken zu weisen.

„Oh.“

„Wollt ihr sonst noch irgendetwas wissen?“, fragte Alexandra dann, „Wenn nicht, dann würde ich euch bitten die Wohnung zu verlassen.“

„Hä? Wieso denn?“, fragte Stella ein wenig enttäuscht.

„Schon vergessen? Wegen eines hier anwesenden Idioten bin ich dazu verdammt schon wieder umzuziehen, obwohl ich noch nicht mal drei Tage hier bin“, bemerkte Alexandra und ihr wütender Blick lag auf Azraél. Dieser blickte zur Seite und tat so, als würde er das gar nicht merken.

„Hey, jetzt warte doch mal“, sagte Stella etwas überrascht, „Die werden doch nicht morgen schon vor deiner Tür stehen, du hast doch noch Zeit...“

„Nein“, unterbrach Alexandra sie schlicht, „Ich habe nicht mehr als achtundvierzig Stunden, wenn überhaupt. Bis dahin muss ich das Land verlassen, ansonsten werden sie meine Spur zurückverfolgen können.“

„Ach du Heiliger“, sagte Stella ungläubig, „Jungs, dann müssen wir uns wohl auch beeilen.“

„Womit beeilen?“, fragte Alexandra misstrauisch.

„Na dann werden wir auch packen müssen“, antwortete Stella, „Schließlich haben wir doch schon gesagt, dass wir dir helfen werden.“

„Außerdem scheint das ziemlich spannend zu werden, da werden wir uns garantiert nicht abschütteln lassen“, bemerkte Seth grinsend.

Alexandra hob eine Augenbraue. „Habt ihr überhaupt genug Geld dafür?“

„Du wirst zahlen, schließlich hast du mehr als genug davon“, erwiderte Seth.

„Tse.“ Alexandras zweite Augenbraue wanderte nach oben. „Ich kann mich nicht daran erinnern dem zugestimmt zu haben.“

„Und wir möchten erster Klasse reisen“, fügte Seth noch grinsend hinzu und stand mit den anderen beiden auf.

Das verschlug Alexandra für einen Moment glatt die Sprache. „Hey, ihr glaubt doch nicht im ernst, dass ich für euch bezahle?“, fragte sie ungläubig.

„Wieso nicht?“, fragte Azraél schlicht, „Du besitzt wahrscheinlich mehr Geld als wir in unserem ganzen Leben je verdienen werden, also wird dir das bisschen keinen Zacken aus der Krone brechen.“

„Und dir besorge ich erst recht kein Ticket, das kannst du vergessen.“

„Meinetwegen“, sagte Azraél nur und hob die Hand.

Damit verschwanden er, Stella und Seth aus Alexandras Wohnzimmer und wenige Sekunden später fiel die Wohnungstür ins Schloss. Alexandra sah den drein nur ungläubig und verdattert zugleich hinter. Dann schüttelte sie den Kopf und zog ihr Handy aus der Hosentasche.

„Ich glaubt’s nicht“, murmelte Alexandra und wählte kurz eine Nummer.

„Alexandra, wie schön mal wieder von Ihnen zu hören“, erklang die bekannte Frauenstimme aus dem Mobiltelefon.

„Chain, der Überfall tut mir jetzt leid, aber kannst du bis morgen vier Plätze im nächsten Zug nach Spanien reservieren?“, fragte Alexandra.

„So schnell? Wurden Sie etwa entdeckt?“, fragte Chain, „Sie sind doch erst vor zwei Tagen in Deutschland eingereist.“

„Ich weiß, aber es ist inzwischen einiges passiert“, seufzte Alexandra, „Tust du mir den Gefallen? Und benutz die übliche Kontonummer.“

„Aber vier Plätze?“ Chains Stimme klang ein wenig verwundert.

„Ja, wie ich schon sagte, es ist einiges passiert.“

„Verstanden“, sagte Chain daraufhin, „Eurer Zug fährt morgen um vierzehn Uhr auf Gleis elf am Hauptbahnhof ab, verpasst ihn nicht, der Nächste geht erst in einer Woche.“

„Werden wir nicht“, sagte Alexandra, „Und danke, dass du mir schon wieder hilfst.“

„Dafür bin ich da“, sagte Chain und das Lächeln klang in ihrer Stimme mit, bevor sie auflegte.

Alexandra steckte das Handy wieder in ihre Tasche, doch dann fiel ihr etwas ein und sie drückte die Wahlwiederholung.

„Ja?“

„Könntest du mich noch von der Schule hier abmelden?“, fragte Alexandra resigniert, „Ich habe keine Lust mich mit den Lehrern und dem Direktor rumzuschlagen, könntest du meinen Vormund spielen?“

Chain seufzte. „Wie Ihr wünscht.“

Damit war das Gespräch auch wieder beendet und Alexandra sah das Handy mitfühlend an. Sie mutete Chain wirklich einiges zu, obwohl sie sie noch nicht mal persönlich kannte. Auch wenn Chain sagte, dass sie Alexandra früher bereits geholfen hatte und dass sie sich schon begegnet waren, erinnerte Alexandra sich leider nicht daran. Das war alles vor ihrem Unfall gewesen, daher konnte sie sich nur vorstellen, wie Chain aussah. Zwar hatte sie Alexandra mal eine Selbstbeschreibung gegeben, aber irgendwann wollte sie sie auf jeden Fall noch richtig treffen.

 

Am nächsten Morgen machte Alexandra sich gar nicht erst die Mühe zur Schule zu gehen und packte stattdessen ihre Sachen. Anschließend überlegte sie, ob sie wirklich auf Stella, Seth und Azraél warten wollte. Allerdings hatte sie schließlich für drei weitere Plätze bezahlt und verschwenden wollte sie ihr Geld nicht, auch wenn sie vielleicht etwas mehr davon besaß. Als sie gerade überlegte, ob es möglich war die Reservierungen zurückzuziehen, klingelte es an der Tür.

„Hi!“, sagte Stella grinsend.

Alexandra hob nur resigniert eine Augenbraue. Rechts und links neben ihr standen Seth und Azraél, die beide jeweils einen ziemlich großen und einen normalen Koffer in der Hand hatten, während Stella beide Hände frei hatte.

Dieser schien Alexandras Blick aufzufallen, denn sie grinste noch breiter. „Die beiden waren so nett mir was abzunehmen.“

„Von wegen“, knurrte Seth, „Du hast uns doch dazu gezwungen.“

„Wenn du wirklich mit willst, gebe ich dir zehn Minuten, dein Gepäck so weit auszusortieren, dass es in einen der beiden Koffer passt und einem nicht gleich den Arm abreißt“, sagte Alexandra schlicht, „Wir reisen nur mit leichtem Gepäck oder du kannst hier bleiben.“

„Und den ganzen Spaß verpassen, das hättest du wohl gerne“, grinste Stella, doch dann schien ihr erst klar zu werden, was Alexandras Worte bedeuteten, „Wirklich nur ein Koffer?“

„Du hast schon eine halbe Minute deiner Zeit verschwendet“, bemerkte Alexandra, die auf ihre Armbanduhr gesehen hatte, „Unser Zug fährt um elf Uhr ab und ich will ihn nur ungern verpassen.“

„Oje...“ Stella blickte etwas zerknirscht drein, dann nahm sie den Jungen ihre Koffer ab und lief in Alexandras Wohnzimmer.

„Soll ich dir vielleicht helfen?“, fragte Seth und folgte ihr ins Wohnzimmer.

„Wie konntest du eigentlich so schnell Plätze reservieren?“, fragte Azraél ernst.

„Unerwünschten Mitreisenden gebe ich keine Auskunft.“

Azraél stöhnte leise.

Neun Minuten und vierzehn Sekunden später, laut Alexandras Uhr, waren sie auf dem Weg zur nächsten Bushaltestelle und fuhren dann mehrere Stationen, bis sie erstmal noch umsteigen mussten, ehe sie endlich den Hauptbahnhof ansteuerten. Stella und Seth machten die ganze Zeit nur Quatsch und rätselten, was wohl nun auf sie zukommen würde und wohin sie reisen würden. Azraél saß still neben den beiden und schien irgendwelchen Gedanken nachzugehen, ohne auf das laute Geplapper neben ihm zu achten.

Alexandra beschlich jedoch mit der Zeit der Verdacht, dass sie verfolgt wurden. Sie konnte zwar nichts Verdächtiges entdecken, doch in den letzten zwei Jahren hatte sie gelernt, dass sie sich auf ihr Gefühl verlassen konnte. Irgendjemand verfolgte sie schon seit einer Weile und Alexandra konnte nicht sicher sein, mit welchen Absichten dieser Jemand ihnen auf den Fersen blieb.

„Beeilung“, sagte sie und gab Seth einen unsanften Stoß in den Rücken, als er sich die Brötchen beim Becker auf dem Bahnhof angucken wollte, „Der Zug fährt bald ab und ich will mich vorher noch etwas umsehen, also schlaf nicht ein.“

„Ja ja, hetz doch nicht so“, murrte Seth beleidigt und ging weiter.

Alexandra musste Stella auch noch daran hindern, an einem Kiosk mit Zeitschriften stehen zu bleiben, und das erste Mal war sie froh, dass Azraél seine übliche Laune hatte und nicht irgendwo stehen blieb. Sie blickte auch mehrmals unauffällig über ihre Schulter, doch sie konnte immer noch nichts entdecken.

Schließlich waren sie bereits auf dem Weg zu den Gleisen, als Alexandra an einem jungen Mann vorbei ging. Besser gesagt schien es sich eher um einen etwa neunzehnjährigen Jungen zu handeln, dessen schlichter schwarzer Mantel für ihren Geschmack viel zu warm und teuer aussah. Außerdem hatte sie noch niemanden mit kurzen, tief dunkelblauen Haaren gesehen. Jedoch breitete irgendetwas an diesem Jungen Alexandra ein ungutes Gefühl. Ein sehr ungutes Gefühl.

„Du gehörst also zu den Spielern, hm?“

Alexandra drehte sich ruckartig um, doch da war der Junge schon in dem dichten Gedränge verschwunden und Alexandra starrte ihm nur entgeistert hinterher.

„Ist was, Alex?“, fragte Seth stirnrunzelnd.

„Nein“, antwortete Alexandra kalt und ging an ihm vorbei, „Nun seht zu, ich fahre auch ohne euch los.“

„Hey, warte doch mal“, sagte Stella etwas überrascht und folgte Alexandra zusammen mit Seth im Laufschritt. Nur Azraél behielt sein normales Tempo bei und sah kurz über seine Schulter nach hinten.

Alexandra war die ganze Zeit über unruhig, auch wenn sie versuchte das zu überspielen, bis sie endlich im Zug auf ihren Plätzen saßen. Wer war dieser junge Mann gewesen und was hatte er gemeint mit „gehörst also zu den Spielern“? Was für Spieler? Hatte er nicht mehr alle Latten am Zaun oder hatte Alexandra wirklich etwas äußerst Wichtiges vergessen. Doch egal wie sehr sie sich den Kopf zermarterte, sie kam einfach nicht drauf.

Es gab zwar am Anfang einiges Theater, weil Stella unbedingt am Fenster sitzen wollte, doch Alexandra setzte sich eisern durch und so saß Stella eine Weile lang schmollend neben ihr. Seth und Azraél saßen ihnen gegenüber und hatten bei der Platzverteilung wesentlich weniger Probleme gehabt als die Mädchen, denn Azraél hatte sich freiwillig auf den Platz am Gang gesetzt. Schließlich hatte Stella auch genug vom Schmollen und sie beobachtete mit Seth zusammen begeistert die vorüber fliegende Landschaft. Alexandra sah nur wesentlich weniger aufgeregt aus dem Fenster, auch wenn sie im Prinzip nichts direkt ansah, und Azraél hatte ein Taschenbuch aus der Innentasche seines schwarzen Mantels gezogen und las darin.

Irgendwie schien die vorüber fliegende Landschaft eine Art hypnotisierende Wirkung zu haben, denn mit der Zeit wurden Alexandras Augenlider immer schwerer. Ihr fiel gerade noch auf, dass anscheinend auch Seth von der Aufregung ziemlich müde war, denn er war mit dem Kopf am Fenster lehnend eingeschlafen. Außerdem merkte Alexandra noch, dass Stella scheinbar ebenfalls ein Nickerchen hielt, denn sie lehnte an Alexandras Seite und hatte den Kopf auf ihre Schulter gelegt. Bevor Alexandra noch vernehmen konnte, ob Azraél ebenfalls eingeschlafen war, glitt sie in einen leichten Schlaf.

Als sie ihre Augen wieder aufschlug, war sie einen Moment lang überrascht, ja beinahe schon richtig erschrocken. Doch dann entsprang ihrem Hirn der Gedanke, dass sie sich nur wieder in diesem seltsamen Traum befand. Unter ihren Füßen war das dunkle Meer und über ihr der Nachthimmel mit seinen glitzernden Sternen und dem silbern glänzenden Vollmond. Und sie sah auch die in den langen, weißen Mantel gekleidete Gestalt mit bis zum Wasser reichenden, silberweißen Haaren und schneeweißen Flügeln, die mit gut zehn Metern Abstand zu ihr auf dem Wasser stand.

„Dein Name ist also Kiyoshi“, sagte Alexandra nach kurzem Zögern.

An seiner Miene veränderte sich nichts, er sah sie nur weiterhin einfach an und schien dabei direkt in ihr Herz zu blicken.

„Und du bist ein Dimensionswächter“, fuhr Alexandra fort und sah ihn ebenfalls an, „Stella, Seth und Azraél haben mir alles erzählt.“

Er sagte immer noch nichts dazu. Er rührte noch nicht mal einen einzigen Muskel, wie es schien. Alexandra zweifelte schon fast daran, dass er überhaupt atmete.

„Auch gut, wenn du nicht reden willst...“, murmelte sie kopfschüttelnd und sah sich um. Wenn sie ein bisschen umher wanderte, sah sie in dieser seltsamen Landschaft vielleicht noch etwas anderes als Wasser und den Himmel. Wobei sie eigentlich selber nicht daran glaubte.

„Ja, mein Name lautet Kiyoshi.“

Alexandra drehte sich um und starrte den Dimensionswächter an, der nun auf einmal mit nur knapp zwei Metern Entfernung vor ihr stand und sie ansah. Seine Augen waren eisblau und seine Pupillen schlitzförmig, wie die von Katzen.

„Und ich bin der Dimensionswächter des Lichts“, fügte er mit seiner geheimnisvollen und zugleich etwas unheimlichen Stimme hinzu.

Einen Moment lang war Alexandra noch überrascht, doch dann fing sie sich wieder. „Du hast mir die drei Nervensägen auf den Hals gehetzt.“

Angesichts dieser Bemerkung, die beinahe wie eine Anschuldigung klang, hob Kiyoshi nur eine weiße Augenbraue. „Ja.“

Alexandra sparte sich jedweden Kommentar. Er schien weiß Gott nicht gerade derjenige zu sein, der zu einer gesunden Konversation bereit war. Es hatte vielmehr den Anschein, dass er am liebsten wieder nur der stille Mitbewohner ihres Traums sein wollte.

„Das hier ist kein Traum“, bemerkte Kiyoshi auf einmal und Alexandra starrte ihn verdattert an.

„Du kannst meine Gedanken lesen?“, fragte sie beinahe fassungslos.

„Ich kann deine Gedanken hören“, korrigierte Kiyoshi, „Und wir befinden uns hier in deiner Seele.“

Alexandra lobte sich im Stillen dafür, dass ihr bei der Anmerkung nicht die Augen ausfielen. „Aha.. ich glaube, ich nehme es besser so hin, ansonsten kündigt mir mein Verstand noch die Freundschaft“, murmelte sie resigniert.

„Ist das so unglaublich?“, fragte Kiyoshi

„So ziemlich“, antwortete Alexandra und sparte es sich mit den Augen zu rollen.

„Sieh nach unten.“

Alexandra folgte stirnrunzelnd seiner Anweisung. Erst konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken, doch dann weiteten sich ihre Augen. Dass sie kein Spiegelbild im Wasser hatte, nahm sie ja noch hin, doch warum sah sie dann Kiyoshis Spiegelbild klar und deutlich? Sie sah ihn nur ziemlich verwirrt an.

„Dies ist deine Seele“, sagte Kiyoshi, „Du weißt nicht, wer und was du bist oder was du werden willst. Daher hast du kein Spiegelbild, denn das zeigt, wer du wirklich bist.“

Alexandra zog die Stirn kraus. Sie verkniff sich den Kommentar zu der Ausführung, um die sie gar nicht gebeten hatte, und stellte stattdessen lieber eine Frage: „Aber was tust du eigentlich hier? Das ist doch immerhin.. MEINE Seele.“

„Ich habe eine Verbindung zu deinen Gedanken, daher ist es mir möglich, hier auf diese Weise zu erscheinen“, antwortete Kiyoshi.

„Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dich eingeladen zu haben“, bemerkte Alexandra nur und seufzte. Ein Dimensionswächter hatte eine Verbindung zu ihren Gedanken? So langsam wurde die Sache immer abgedrehter. Zumal er auch nicht gerade wie ein normaler Mensch aussah, obwohl er im Alter von höchstens Anfang dreißig war, passten diese ziemlich langen, silberweißen Haare einfach nicht ins Bild. Von den Flügeln ganz zu schweigen. Doch Alexandra musste sich wohl damit abfinden, dass die wohl sonderbarste Gestalt, die sie je gesehen hatte, eine Freikarte zu ihren Gedanken und ihrer Seele hatte. Was hatte sie doch für ein Glück.

Kiyoshi hob nur wieder eine Augenbraue und es hatte fast den Anschein, dass sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen geschlichen hatte.

„Aber ich kann wohl davon ausgehen, dass du weißt, warum ich verfolgt werde“, sagte Alexandra dann jedoch ernst. Sie konnte einfach nicht anders, als auf Umwegen die Frage zu stellen, die ihr am meisten Kopfzerbrechen bereitete.

Kiyoshi schwieg eine Weile, ehe er ihr antwortete. „Es ist ein Spiel.“

Alexandra runzelte die Stirn.

„Es ist ein Spiel, das sich ein Dämonenfürst ausgedacht hat“, präzisierte Kiyoshi seine Antwort, „Du wirst darüber bald mehr erfahren.“

„Und warum erklärst du es mir nicht?“, fragte Alexandra. Allerdings wurde ihr langsam schwindlig, schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen und ihr Gleichgewichtssinn war gerade dabei sich zu verabschieden.

„Weil du gleich aufwachen wirst“, erwiderte Kiyoshi und auch wenn sich sein Tonfall nicht sonderlich verändert hatte, klang er ernst, „In deiner Seele befindet sich etwas sehr Wertvolles, also pass gut darauf auf.“

Alexandra wollte ihm eigentlich noch an den Kopf werfen, dass sie ganz und gar nicht damit einverstanden war, warten zu müssen, doch in dem Moment übermannte sie das Schwindelgefühl und sie kippte nach hinten. Dann verlor sie das Bewusstsein, zumindest schien es ihr so.

„Wow, ich hätte nicht gedacht, dass einem auch im Traum oder in der Seele schwindlig werden kann“, murmelte sie und schüttelte den Kopf. Es fühlte sich tatsächlich so an, als wäre ihr gerade eben noch schwindlig gewesen. So unsanft war das Aufwachen die letzten Male nicht gewesen. Aber vielleicht oder sogar sehr wahrscheinlich hatte dieser Kiyoshi da auch nachgeholfen, inzwischen traute sie ihm alles zu.

Kurz hatte sie ein Bild von Kiyoshi im Kopf, seine Augen lagen im Schatten seines langen schrägen Ponys, doch seine Lippen waren zu einem ganz leichten Lächeln verzogen. Es hatte fast den Anschein, dass er sich über ihre Gedanken lustig machte, und Alexandra verzog nur mürrisch das Gesicht.

Azraél sah sie über den Rand seines Taschenbuchs hinweg mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“

„Eine Laus mit weißen Flügeln und Katzenaugen“, erwiderte Alexandra schnippisch und sah aus dem Fenster.

Azraéls zweite Augenbraue wanderte nach oben. „Du hast mit Kiyoshi Kontakt aufgenommen?“

„Wenn denn er mit mir, schließlich ist er einfach uneingeladen in meinen Kopf spaziert“, korrigierte Alexandra knurrend, „Was fällt ihm eigentlich ein?“

Azraél grunzte und presste sich schnell eine Hand vor dem Mund, um nicht laut loszulachen.

Alexandra sah ihn daraufhin wütend an und biss sich auf die Lippe, um ihn hier nicht vor den ganzen anderen Zuggästen laut anzuschreien. Außerdem hätte das wahrscheinlich Stella und Seth aufgeweckt, die gerade friedlich schliefen.

Kapitel 4: das Spiel beginnt

Die Zugfahrt verlief ohne Probleme und einige Stunden später, als Alexandra sich gerade fragte, wie lange ihr Hintern den Sitz noch aushielt, kamen sie schließlich in Spanien an und es war nicht mehr weit bis zum Bahnhof. Inzwischen hatte Alexandra sich auch etwas entspannt, obwohl sie immer noch verwirrt war. Was hatte dieser Junge gemeint? Was für „Spieler“? Alexandra verstand es immer noch nicht und langsam fragte sie sich, ob der junge Mann sie nicht auch einfach verwechselt haben konnte. Das schien die plausibelste Erklärung zu sein, auch wenn Alexandra beschloss, trotzdem vorsichtig zu sein.

„Kommt ihr auch mal an Laden?“, fragte sie genervt, als sie schon wieder auf ihre drei Anhängsel warten musste. Besser gesagt musste sie auf Stella warten, die es irgendwie geschafft hatte ihren Koffer oben in dem Fach für Gepäck so zu verkeilen, dass sie ihn nun nicht mehr losbekam und Seth und Azraél bereits dabei waren, mit vereinten Kräften dran rumzuwerkeln.

„Du könntest ja auch mal helfen, statt immer nur auf uns rumzuhacken“, warf Azraél ein und zog kräftig an dem Koffer, doch er bewegte sich kaum zwei Millimeter.

„Ich glaub’s echt nicht“, stöhnte Alexandra kopfschüttelnd und kam zu den drein, „Und mit dir rede ich nicht, damit das klar ist.“

Sie sah nur kurz zu der Ablage nach oben, wo der Koffer zwischen einigen anderen Gepäckstücken verkeilt war, die natürlich ebenfalls festgeklemmt waren. Da Alexandra nicht die Lust hatte, erst noch die Besitzer der Gepäckstücke zu suchen, sprang sie einfach ein Stück hoch in die Luft und trat kräftig gegen den großen Koffer neben Stellas, an dem sie zur gleichen Zeit zog. Als sie mit beiden Füßen wieder auf dem Boden stand und die Schaulustigen ignorierte, drückte sie Stella ihren Koffer in die Hände und ging durch die Waggontür nach draußen.

Stella wirkte noch ziemlich überrascht, genauso wie Seth, und auch Azraél blickte etwas überrascht drein. Alexandra konnte manchmal ganz schön gewalttätig sein, wie er bereits am eigenen Leib erfahren hatte. Dann machten die drei sich allerdings daran ihr zu folgen, schließlich wollten sie sie nicht noch verlieren.

Alexandra folgte einfach den Schildern und verließ auf dem Weg den großen Bahnhof. Sie waren nahe der Altstadt in Barcelona und so sahen die Gebäude auch aus. Nach einem kurzen Seufzen griff Alexandra in ihre Hosentasche und zog ihr Handy heraus. Sie war so sehr auf das Wegkommen aus Deutschland versessen gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, Zimmer in einem Hotel zu reservieren.

„Chain? Könntest du mir zwei Hotelzimmer für je zwei Personen reservieren?“, fragte Alexandra.

„Natürlich, sollen es die besten Zimmer sein?“, fragte Chain und man hörte aus ihrer Stimme, dass sie lächelte.

„Hör auf mich zu ärgern, ganz normale Zimmer natürlich in einem normalen Hotel bitte“, antwortete Alexandra resigniert.

„Verstanden“, sagte Chain grinsend und legte auf.

„Wer war das?“, fragte Stella, die inzwischen mit den beiden Jungen zu Alexandra aufgeholt hatte.

„Nur eine Bekannte“, antwortete Alexandra schlicht, „Wir sollten uns erstmal was zu essen besorgen.“

„Ausnahmsweise mal eine vernünftige Idee“, murmelte Azraél nur.

„Pass auf dein Mundwerk auf“, bemerkte Alexandra kühl, „Sonst könnte es demnächst etwas in Mitleidenschaft geraten.“

„Ich passe schon auf, danke für deine Besorgnis“, erwiderte Azraél gelassen.

„Oh, nicht dass du mich falsch verstehst“, sagte Alexandra gereizt, „Das war eine Warnung, die durch meine Hand auch durchaus eintreten könnte.“

„Wie gesagt, ich bin bestens darauf vorbereitet, mich gegen wild gewordene Furien zu verteidigen“, entgegnete Azraél unbekümmert.

„Na wenn das so ist, ist es ja gut“, knurrte Alexandra und marschierte los zur nächsten schmalen Gasse zwischen zwei breiten Häusern. Hoffentlich würde Azraél sich noch mal irgendwann an seinen eigenen Worten verschlucken. Am besten sollte er gleich ersticken.

Nachdem sie die Gasse durchquert hatte, gefolgt von den anderen drein, wurde Alexandra klar, dass sie hier nur durch ein wahres Labyrinth aus Gassen irren würde und deshalb wohl unter übel außen rum oder wo anders lang musste. Als sie sich dann leise stöhnend umdrehte, blieb sie stehen. Am anderen Ende der Gasse standen zwei Frauen. Sie schienen um die dreißig zu sein und sahen aus wie Spiegelbilder, sie schienen Zwillinge zu sein. Beide hatten langes, dunkelrotes Haar und trugen einen dünnen, weißen Pullover und eine dunkelblaue Jeans. Und Alexandra sah sofort, dass die beiden nicht nur zufällig in ihre Richtung gingen, denn ihre Blicke waren stechend und eindeutig auf Alexandra gerichtet. Sie schienen nicht unbedingt etwas Gutes im Sinn zu haben.

„Was wollt ihr?“, fragte Alexandra laut.

Stella und Seth schien erst jetzt aufzufallen, dass sich ihnen zwei Frauen näherten und sie mehr oder weniger feindselig ansahen. Besser gesagt waren ihre Blicke von so etwas wie Vorfreude und Wahnsinn geprägt, gemischt mit einer Prise selbstgefälliger Arroganz. Eine vielversprechende Mischung, wie auch Azraél bereits bemerkt hatte.

„Das fragst du noch?“ Beide lächelten düster und blieben knapp fünf Meter vor ihnen stehen. „Da du das Armband trägst, solltest du eigentlich wissen, weswegen wir hier sind. Nicht wahr?“

„Das Armband?“ Alexandra starrte das Armband an ihrer linken Hand an. Es war aus dunkellilanen, schwarzen und hellgrauen, etwas breiteren Fäden geflochten und hatte keinen Verschluss. Das hatte sie zwar schon nach ihrem Unfall bemerkt, doch sie hatte sich im Prinzip nicht mehr als ein bisschen gewundert. Da es sie nicht gestört hatte, hatte sie auch nie versucht es abzumachen. Nun kam es ihr jedoch arg seltsam vor und sie sah die beiden Frauen an. „Was ist damit?“

„Komm schon, uns kannst du nicht weiß machen, dass du nicht weiß, was es damit auf sich hat“, sagte die Linke der beiden Frauen mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Denn das würde heißen, dass du nichts von dem Spiel weißt. Und das ist unmöglich“, fügte die andere Frau verächtlich hinzu.

„Tja, das heißt es wohl“, bemerkte Alexandra ernst.

„Unmöglich“, erwiderten die beiden und lachten kurz, ehe sie sich ansahen.

„Sollen wir anfangen?“, fragte die Linke.

„Vielleicht sollten wir uns erstmal vorstellen“, warf die Rechte ein, „Mein Name ist Marelynn und der Name meiner Schwester ist Marelei, die vierte Spie...“

„Und eure Namen könnt ihr getrost für euch behalten“, sagte Marelei und lächelte nur boshaft, „Weil wir euch jetzt umbringen werden, zumindest dich, Mädchen mit dem Armband Raphaels.“

Alexandra war bereits aufgefallen, dass nur die Linke, Marelei, das gleiche Armband wie sie trug. Und was es mit diesem Armband von Raphael, wer das auch sein mochte, auf sich hatte, es war definitiv nichts Gutes. Denn plötzlich hatte Marelei ein ziemlich langes Messer gezückt und stürmte die restlichen paar Meter auf Alexandra zu. Ehe diese überlegen konnte, wie sie dem Angriff ausweichen sollte, stieß Seth sie zur Seite und brachte sich selbst aus der Schusslinie.

„Was soll das?“, fragte Stella entgeistert, „Ich wusste zwar, dass diese Reise ziemlich abenteuerlich wird, aber was soll denn dieser Schwachsinn?!“

„Tja, um euch werde ich mich kümmern“, sagte Marelynn grinsend und kam auf einmal auf Stella zu, in ihrer Hand hielt sie ebenfalls ein gefährlich aussehendes Messer.

Stella sprang erschrocken zurück, doch sie knickte um und um ein Haar hätte Marelynn ihr den Arm aufgeschlitzt, Azraél konnte Stella aber zum Glück noch gerade eben zur Seite ziehen. Seth wollte eigentlich Alexandra zur Hilfe kommen, doch Marelynn war wesentlich wendiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Geschickt schnitt sie den drein den Weg zu Alexandra ab, welche gerade mit Marelei zu kämpfen hatte.

Diese schien es sich nämlich in den Kopf gesetzt zu haben, Alexandra ihr Messer direkt ins Herz zu rammen. Zumindest zielte sie beinahe ausschließlich auf Alexandras Brust und ihr reichlich aggressives Verhalten war eindeutig. Sie wollte Alexandra umbringen.

Jedoch hatte Alexandra eigentlich nicht geplant so bald zu sterben und als sie es geschafft hatte Marelei auszutricksen, öffnete sie schnell ihren Koffer und zog den gut ein Meter langen Regenschirm heraus. Das Tuch war abwechselnd dunkelbraun und beige und was keiner der Anwesenden wusste, dieser Schirm war so gut wie unzerstörbar. Zumindest war er es laut Chain, die ihn Alexandra vor einiger Zeit geschickt hatte, wobei Alexandra noch nicht ausprobiert hatte, ob an der Aussage etwas dran war. Sie hoffte es jedoch, denn ansonsten kam sie gegen die bewaffnete Frau nicht an, da diese sich nicht einfach entwaffnen ließ und von ihrem Handwerk ziemlich viel Ahnung hatte. So landete Alexandras Koffer, den sie vorher noch wieder geschlossen hatte, auf dem Boden und sie wich ein weiteres Mal zur Seite.

„Du willst mich mit einem Regenschirm bekämpfen?“, fragte Marelei belustigt, „Das wird nichts!“

Obwohl Alexandra, zumindest soweit ihre Erinnerungen reichten, noch nie mit einem Regenschirm oder einer richtigen Waffe gekämpft hatte, ließ sie den gebogenen Griff des Schirms einfach um ihr Handgelenk kreisen und wehrte so den Angriff ab, ohne dabei Schaden zu nehmen. Und selbst dem Tuch des Schirms schien es nichts auszumachen, dass eine ziemlich scharfe Klinge ihn streifte und in jedem anderen Stoff eigentlich einen langen Riss hinterlassen hätte.

Zwar hatte Alexandra keine Ahnung woher, doch sie wusste, wie sie sich auch mit einem Regenschirm verteidigen konnte, und darüber war sie im Augenblick sehr froh. Sie wehrte einen weiteren Hieb mit dem Messer ab und so langsam schien auch ihrer Angreiferin klar zu werden, dass Alexandra durchaus wusste, was sie tat. Dann stellte Marelei ihr jedoch ein Bein und Alexandra kippte nach hinten. Das Messer sauste von oben herab auf ihre Brust.

Stella, Seth und Azraél versuchten an Marelynn vorbeizukommen, doch diese stellte ein ausgewachsenes Hindernis dar und hatte wohl auch schon einige Erfahrungen. Und die drei waren weiß Gott nicht die Schlechtesten, doch unbewaffnet gegen ein Messer anzukommen gestaltete sich doch um einiges schwieriger, als sie gedacht hatten.

Zum Glück entsprang Alexandras Gehirn in dem Moment eine Idee und sie benutzte den Drall nach hinten, um einen schnellen Flickflack rückwärts zu machen und so gerade eben noch dem Messer zu entkommen. Als sie wieder oben war, kam Marelei ihr allerdings schon wieder bedrohlich nahe und Alexandra musste nach hinten springen, doch dabei stieß sie gegen die Hauswand und schlug mit dem Kopf kräftig gegen den harten Stein. Sie verzog das Gesicht und sah benommen auf, wobei ihre Sicht verschwamm. Schon wieder kam Marelei auf sie zu und dieses Mal wusste Alexandra, dass sie ihr nicht ausweichen konnte. Ihr Kopf war von dem harten Aufprall noch so durchgeschüttelt, dass er anscheinend Probleme dabei hatte, einen Ausweg aus der Situation zu finden.

Plötzlich erklang ein Schuss und Marelei, die gerade mit erhobenem Messer direkt vor Alexandra stand, kippte zur Seite, während sie Alexandra aus geweiteten Augen ansah. Alle Blicke richteten sich auf Azraél, der auf einmal seine Pistole gezogen hatte und ihn sogar noch zum Schuss erhoben hatte. Dann sahen alle zu Marelei, die vor Alexandra auf dem Boden lag und links eine Schusswunde im Rücken hatte, die anscheinend tödlich gewesen war. Für einen kurzen Moment herrschte Stille.

Dann schrie Marelynn auf und rannte zu ihrer Schwester. Sie fiel neben ihr auf die Knie und rief immer wieder ihren Namen, während Alexandra langsam zurückwich und die tote Frau nur beinahe fassungslos ansah.

„Oh Gott.“ Auch Stella klang als wenn sie um ihre Fassung rang und Seth wirkte ebenfalls alles andere als gelassen. Azraél stand nur still da und ließ seinen Arm sinken. Sein Gesichtsausdruck war wie eine Maske und nun sah Alexandra ihn wieder an.

„Was hast du getan?!“, fragte sie entgeistert, „Warum hast du sie getötet?! Das war nicht nötig!“

Azraél erwiderte nichts und steckte nur die Pistole wieder in die Innentasche seines Mantels, nachdem er sie gesichert hatte.

„Antworte!“, schrie Alexandra, die es immer noch nicht fassen konnte, „Antworte, du Mörder!“

Für den Bruchteil von vielleicht einer Sekunde weiteten sich Azraéls Augen und Entsetzen stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Dann wurde die Maske vollkommen und er sah lediglich zur Seite. Gleichgültig blickte er zur Wand und würdigte die anderen nicht eines Blickes mehr.

Alexandra biss sich auf die Unterlippe und sah wieder zu Marelynn, die neben ihrer toten Schwester saß und sie anflehte, wieder aufzuwachen, was natürlich unmöglich war. Sie überwand sich und trat auf die beiden zu, doch kaum war sie näher getreten, beugte sich Marelynn schützend über ihre tote Schwester.

„Verschwinde!“, schrie sie mit Tränen in den Augen.

„Was hat es mit diesem verdammten Armband auf sich?!“, fragte Alexandra genauso laut und sah ihr direkt in die Augen. Sie konnte Mareleis toten Körper nicht ansehen, auch wenn sie vielleicht versucht hatte sie zu töten. Sie konnte es einfach nicht.

„Finde es doch selbst heraus!“, erwiderte Marelynn nur und vergrub ihr Gesicht in dem Pullover ihrer Schwester.

Alexandra war wütend und geschockt zugleich. Wütend, weil sie keine Ahnung hatte, weshalb die beiden sie eigentlich angegriffen hatten, und geschockt, wegen des plötzlichen Todes von Marelei. Besser gesagt war sie so geschockt, weil Azraél derjenige war, der sie getötet hatte. Warum?

So viele Fragen kreisten ihrem Kopf und warteten auf eine Antwort, die sie nicht bekamen. Und dennoch wusste Alexandra, dass sie sich diesem Chaos nicht einfach hingeben durfte. Sie musste unter allen Umständen einen kühlen Kopf bewahren.

„Wir gehen“, sagte sie leise und nahm ihren Koffer, der unberührt auf dem Boden lag. Sie wagte einen kurzen Blick auf Marelei und sah dann zu Stella und Seth, die sich beide scheinbar noch nicht von dem Schock erholt hatten. Was in Azraél vorging, vermochte Alexandra nicht zu sagen, seine Miene war undurchdringlich und kam ihr vor wie eine Maske.

 

„Chain?“ Alexandra hatte die übliche Nummer gewählt und wartete auf eine Antwort vom anderen Ende der Leitung.

„Verstanden, der nächste Zug aus Spanien führt nach Portugal, alle anderen fahren erst morgen oder noch später“, antwortete Chain.

„So lange können wir nicht warten, besorg uns dort vier Plätze“, sagte Alexandra und auch wenn sie gegenüber Chain mal wieder ein schlechtes Gewissen hatte, mussten sie und die anderen drei so schnell wie möglich das Land verlassen, da sie nicht wissen konnte, ob Marelynn Anzeige erstatten würde oder nicht.

Wenn die Polizei erstmal dort eintraf, weil mit Sicherheit jemand den Schuss gehört hatte, mussten sie schleunigst von hier weg. Denn schließlich befand sich unter ihnen jemand, der eine Frau erschossen hatte. Wenn man sie erwischte, konnte Alexandra nicht sagen, welche Folgen das haben würde. Doch auf jeden Fall wäre das nicht zu ihrem Vorteil, schließlich war Alexandra da anscheinend in ein mordlustiges Spiel hineingeraten, das mit Sicherheit auch seine Wege in ein Gefängnis finden würde. Und von dort könnte sie nicht fliehen, also musste sie unbedingt vermeiden, dass sie irgendwo festgehalten wurden, von wo es keinen Ausweg gab.

„Wie Ihr wünscht“, sagte Chain noch, dann legte sie auf und Alexandra steckte das Handy wieder in die Tasche ihrer blauen Jeans.

„Wer ist diese Chain?“, fragte Seth stirnrunzelnd.

Inzwischen waren sie bereits auf dem Weg zum Bahnhof und laut den Informationen, die Chain ihr gesendet hatte, hatten Alexandra und die anderen drei noch genügend Zeit um den Zug zu erwischen. Trotzdem konnte Alexandra sich ein Seufzen nicht verkneifen. Das war ja noch besser als zu dem Zeitpunkt, als sie in Deutschland angekommen war. Sie waren noch keine zwölf Stunden hier – laut ihrer Uhr waren es knappe fünfundzwanzig Minuten – und mussten schon wieder in den nächsten Zug springen. Manchmal konnte das Leben wirklich ganz schön stressig sein und Alexandra lobte ihr Hirn dafür, dass es den Anblick einer Leiche so gelassen hinnahm und sie nicht immer wieder damit quälte.

„Eine Bekannte“, antwortete Alexandra schlicht.

„Was für eine Bekannte?“, fragte Stella ein wenig überrascht, „Ich dachte, du hättest keine Freunde mehr.“

„Hab ich auch nicht, sie ist nur eine Bekannte“, antwortete Alexandra ohne dabei allzu genau zu werden, „Aber ich vertraue ihr, also stellt keine Fragen, die ich euch sowieso nicht beantworten werde.“

„Wieso denn nicht?“, fragte Stella ein wenig beleidigt. Mittlerweile hatten sie und Seth sich ebenfalls einigermaßen von dem Schock erholt und verdrängten die Sache vorerst.

„Weil ich es einfach nicht tue“, erwiderte Alexandra und wich einem torkelnden Mann aus, der eindeutig zu viel getrunken hatte.

„Mmmm.“ Stella schmollte und auch Seth sah sie neugierig an. Nur Azraél, der hinter ihnen ging, sah stumm zu Boden.

Wenig später kamen sie beim Hauptbahnhof an und es dauerte nicht lange, bis Alexandra den Zug gefunden hatte, der sie aus Spanien raus bringen sollte. Zum Pech der vier nur waren auch bereits die Sirenen von Polizeiwagen zu hören. Und kaum wollte Alexandra ihre Anhängsel in den Zug treiben, tauchten schon die ersten Polizisten auf dem Bahnhof auf und richteten ihre Aufmerksamkeit natürlich sofort auf den einzigen Zug, der heute noch das Land verlassen sollte. Warum sollte das Glück auch mal auf ihrer Seite sein? Das war so typisch.

Prompt hielt der erste Polizist auch schon auf die Vierergruppe zu und hatte die übliche grimmige Miene im Gesicht. Doch anstatt erst abzuwarten, bis er vielleicht einen aus der wahrscheinlich abgegebenen Personenbeschreibung erkennen konnte, kam Alexandra ihm bereits entgegen.

„Junge Dame, wissen Sie etwas von dem Mord, der sich nicht weit von hier ereignet hat?“, fragte der Polizist. Wenigstens gehörte er nicht zu der Sorte, die erst groß um den heißen Brei herumredete, sondern kam direkt zur Sache.

„Nein, ich weiß nichts von einem Mord“, antwortete Alexandra und ließ ihre Stimme dabei absichtlich unfreundlich klingen.

„So? Dann habt Ihr nicht zufällig den Mörder hier irgendwo gesehen? Es ist nämlich ziemlich wahrscheinlich, dass er sich hier irgendwo aufhält.“ Der Polizist schien zu ahnen, dass er die richtigen Leute vor sich hatte und wollte sie auf diesem Weg verunsichern, damit sie einen Fehler machten. Und aus den Augenwinkeln heraus sah Alexandra auch, wie Azraél bei dem Wort „Mörder“ leicht zuckte und zur Seite sah. Wenn der Polizist das mitbekommen hatte, waren sie geliefert. Und leider schien er es gemerkt zu haben. Sie waren mal wieder vom Glück verfolgt.

Doch ehe der Polizist sich dem Jungen mit den schwarzen Haaren nähern konnte, der sich da gerade etwas verdächtig verhielt, stellte Alexandra sich vor ihn und der finstere Blick aus ihren goldgelben Augen war direkt auf ihn gerichtet. Was der Polizist konnte, konnte sie noch besser.

„Wie kommen Sie überhaupt auf diese schwachsinnige Idee?!“, fragte Alexandra und ihre Stimme wurde mit jedem Wort drohender. Wenn es darum ging, jemandem Angst einzujagen, war sie ein Naturtalent. „Und falls Sie gerade den Jungen da hinten im Blick haben, er hatte einige schlimme Erfahrungen mit dem Mörder seiner Familie, also kommen Sie ihm ja nicht zu nahe. Wir waren den ganzen Tag über zusammen und ich würde Ihnen auch eine Liste all der Läden geben, die wir alle besucht haben, aber wir sind in Eile und können uns eine Zeitverzögerung nicht erlauben!“

Der Polizist setzte dazu an etwas zu sagen, doch Alexandra war noch nicht fertig.

Sie zog ihren Pass aus der Tasche ihrer schwarzen Jacke und hielt ihn dem Polizisten unter die Nase. „Mein Name ist Alexandra Davin, Tochter von Nadia und David Davin und ich habe Mittel und Wege, die es mir erlauben, ihren Arbeitsplatz in kürzester Zeit kündigen zu lassen, wenn dieser Zug nicht wie geplant um zwanzig Uhr abfährt. Und wagen Sie es nicht, mir und meinen Begleitern noch einmal unter die Augen zu kommen, das hat die gleichen Folgen wie wenn der Zug nicht in zehn Minuten den Bahnhof verlässt. Und das gilt auch für alle anderen Polizisten hier, also warnen sie ihre Leute vor, sonst kann es äußerst ungemütlich für sie alle werden.“

Damit schob Alexandra Stella, Seth und Azraél unsanft in den Zug und ließ den verdatterten Polizisten einfach stehen. Dieser dürfte wohl noch eine Weile brauchen, bis er sich davon erholt hatte, aber das war auch Alexandras Absicht gewesen. Er würde es nicht wagen, sich dem zu widersetzen, alleine schon die Befürchtung seinen Job zu verlieren oder gar noch Schlimmeres zu erleben, würde ihn davon abhalten seine Nase in Angelegenheiten zu stecken, die ihn nichts angingen.

„Huiuijui, du kannst einem wirklich Angst einjagen“, bemerkte Seth erstaunt, der wohl auch ein klein wenig erschrocken war, wie überaus rücksichtslos Alexandra sein konnte. Und vor allem, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken einen Polizisten belogen und sogar bedroht hatte, Seth und Stella wollten lieber nicht auf ihre Abschussliste geraten.

„Ist ja auch nicht weiter schwer, wenn man weiß, wo man anpacken muss“, bemerkte Alexandra gelassen und führte die drei zu ihren Plätzen. Sie saßen sich wieder gegenüber und dieses Mal überließ Alexandra Stella auch den Fensterplatz.

Im Moment fragte sie sich sowieso noch, wieso diese Marelei sie unbedingt töten wollte. Lag es an diesem komischen Armband, das sie nicht abnehmen konnte? Alexandra betrachtete das Schmuckstück argwöhnisch. Auf den ersten Blick wirkte es eigentlich nicht weiter gefährlich oder etwas dergleichen, doch es schien irgendwie eine Art Signal für einige Leute zu sein, dass Alexandra Freiwild war. Zu dumm war nur, dass sie immer noch nichts davon wusste und den Grund dafür nicht kannte. Warum hatte sie bei dem Unfall auch ihre Erinnerungen verlieren müssen? Das hätte ihr heute einiges erspart.

Als Alexandra die Augen aufschlug, befand sie sich wieder in ihrem Traum. Im ersten Moment war sie zwar ein wenig verwundert, doch langsam gewöhnte sie sich daran. Es war still und der dunkle Nachthimmel schien wie immer alle Geräusche zu verschlucken. Auch das Wasser unter ihren Füßen regte sich nicht, dennoch wurde Alexandra das Gefühl nicht los, dass es hier irgendetwas Bedrohliches gab. Die Alarmglocken in ihrem Kopf schrillten und sie sah sich um. Kaum blickte sie nach rechts, bemerkte sie, dass jemand hinter ihr stand. Und es war nicht Kiyoshi, das wusste sie sofort.

„Eigentlich hatte ich nicht geplant, dir noch einen Besuch abzustatten...“

Alexandra drehte sich ruckartig um und erblickte einen Mann Anfang dreißig mit langen, dunkellilanen Haaren, die er zu einem lockeren Flechtenzopf zusammengebunden hatte. Seine Augen waren dunkel und eiskalt. Er trug ein weißes Hemd, eine schwarze Krawatte und eine ebenfalls schwarze, lange Hose. Er sah fast aus wie ein ordentlicher Geschäftsmann, wenn da nicht diese dunkle und absolut bedrohliche Aura um ihn wäre.

„Aber da du es ja erfolgreich geschafft hast, alles zu vergessen, muss ich es dir wohl noch einmal erklären“, beendete er seinen Satz und sah sie lächelnd an.

„Wer sind Sie?“, fragte Alexandra und überspielte ihre Unsicherheit gekonnt, „Und was meinen Sie damit?“ Die Frage, wie er überhaupt hier her kam, sparte sie sich.

Sein selbstgefälliges Lächeln wurde noch eine Spur breiter. „Mein Name ist Raphael und es geht um das Spiel, in das du bereits verstrickt bist.“

„Was für ein Spiel ist das?“, fragte Alexandra sofort ernst, „Was ist das für ein kranker Schwachsinn?“

„Krank? Deine Ausdrucksweise ist keineswegs die einer Dame, Alexandra Davin“, sagte Raphael belustigt, „Und wenn du erst verstehst, um was es geht, wird sich deine Meinung noch ändern, da bin ich mir ziemlich sicher.“

„Das denke ich eher nicht.“

„So? Du bist ziemlich interessant“, bemerkte Raphael schmunzelnd, „Die anderen haben schon hier angefangen zu fragen, worum es geht.“

„Ich bin nicht die anderen“, entgegnete Alexandra und ihre Augen wurden schmal. Dieser Raphael war so verdammt selbstsicher, dass sie ihre Mühe hatte, dem standzuhalten. Doch sie spürte, dass sie keine Schwäche zeigen durfte. Das wäre bei der Macht dieses Mannes verheerend und würde wahrscheinlich Folgen haben, die sie sich noch nicht mal vorstellen konnte.

„Das wird noch sehr interessant“, sagte Raphael, „Aber vielleicht würdest du trotzdem gerne wissen, warum genau dreizehn Spieler auf den Tod der jeweils anderen aus sind.“

Alexandras Blick wurde ernst, was als Antwort ausreichte. Raphael kam langsam auf sie zu, bis nur noch knapp ein Meter zwischen ihnen Platz war und er sie genau ansehen konnte. Er war eindeutig darauf aus, sie zu verunsichern, doch Alexandra widerstand dem Drang zurückzuweichen und blieb stehen. Irgendwie gelang es ihr sogar seinem Blick zu erwidern, auch wenn es sie einiges an Überwindung kostete. Er strahlte eine solche Finsternis – anders konnte Alexandra es nicht beschreiben – aus, dass ihr beinahe die Luft wegblieb.

„In diesem Spiel gibt es genau dreizehn Spieler, die auf dieser ganzen Welt verstreut sind“, erklärte Raphael und ein heimtückisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen, „Jeder trägt ein Armband, wie du es an deinem eigenen Handgelenk siehst, und jeder muss die anderen Spieler besiegen. Dem letzten Spieler winkt der Preis: ein geheimnisvolles Buch, das alle Wünsche erfüllen kann. Jeder hat einen tiefen Wunsch, dessen Erfüllung er anstrebt. Und mit dem Buch kann der Gewinner ihn ganz einfach Wirklichkeit werden lassen.“

„Das ich nicht lache“, sagte Alexandra nur abfällig, „Wenn ein solches Buch wirklich existieren würde, hätten es die Menschen schon vor langer Zeit erfahren und danach gesucht. Das ist nicht mehr als eine fantasievolle Geschichte, die Sie sich da ausgedacht haben.“

„Ach ja?“ Raphael schien keineswegs sauer zu sein, sondern es schien ihn viel mehr zu amüsieren, dass Alexandra ihm nicht glaubte. „Und wie kommt es dann, dass außer dir bereits zwölf Menschen auf der Suche nacheinander sind, um sich zu bekämpfen und am Ende derjenige zu sein, der das Buch bekommt?“

„Wahrscheinlich haben Sie ihnen den gleichen Schwachsinn erzählt und in Ermangelung an ereignisreichen Geschehen wollten sie unbedingt glauben, dass Sie die Wahrheit sagen, damit endlich etwas Aufregendes in ihrem Leben passiert. Anders würde kein normaler Mensch diesen Unsinn für wahr halten“, vermutete Alexandra und lobte ihr Hirn dafür, dass es trotz der bedrohlichen Situation noch zuverlässig arbeitete und sie nicht im Stich ließ.

„Hm, eine interessante Theorie“, gestand Raphael lächelnd, „Ich muss zugeben, sie klingt durchaus plausibel. Für einen Menschen bist du ziemlich gewandt, was deine Wortwahl und deine Art zu denken angeht, und das in diesem Alter. Aber ich bin mir sicher, dass auch du einen tiefen Wunsch hast, für dessen Erfüllung du kämpfen wirst. Denn du hast in diesem Spiel nur zwei Möglichkeiten: Entweder du kämpfst gegen die anderen oder du wirst getötet. Du kannst dich sogar entscheiden, auch wenn ich es etwas schade fände, wenn ein Mädchen wie du sang und klanglos aufgibt und stirbt.“

„Sie sind also fest überzeugt, dass es keine andere außer der beiden Möglichkeiten gibt?“, stellte Alexandra fest.

„Ja“, bestätigte Raphael und stützte eine Hand in die Hüfte, „Es gibt keinen anderen Weg als zu kämpfen oder zu sterben. Entweder du wirst zum Jäger oder du wirst zum Gejagten.“

„Ich werde eine andere Möglichkeit finden“, entgegnete Alexandra stur, „Ich lasse mich doch nicht einfach in eine Rolle stecken und führe sie aus wie ein gehorsamer Hund. Wer auch immer hinter diesem bescheuerten Spiel steckt, ich werde nicht nach seiner Pfeife tanzen.“

„Ho? Ganz schön mutig“, sagte Raphael und sein Lächeln wurde arrogant, „Du glaubst also, dass du ihn in seinem eigenen Spiel schlagen kannst?“

„Ich WERDE ihn schlagen, und das können Sie wortwörtlich nehmen“, sagte Alexandra ernst, „Darauf können Sie wetten.“

Raphael sah sie überheblich an. „Na dann freue ich mich schon darauf dein verzweifeltes Gesicht zu sehen, wenn du eben Gesagtes nicht schaffst.“

„Oh glauben Sie mir, ich halte mein Wort“, erwiderte Alexandra.

„Hmm...“ Raphael lächelte herablassend. „Dann hoffe ich, dass wir irgendwann nochmal dazu kommen, auf dieser Ebene zu diskutieren. Denn ich mag deine widerspenstige Art, sie ist eine sehr erfrischende Abwechslung in meinem Alltag. Leider aber muss ich mich jetzt verabschieden, bis zum nächsten Mal, Alexandra Davin, Spieler Nummer dreizehn...“ Er verbeugte sich vor ihr und wurde dabei durchsichtig. Keine zwei Sekunden später war er bereits verschwunden.

„Tse, was war dieser Raphael?“, fragte Alexandra und rieb sich die Arme, auf denen sich eine Gänsehaut gebildet hatte, „Und wie kommt er überhaupt hier her? Ist er etwa auch ein Dimensionswächter?“

Auf einmal wurde Alexandra jedoch wieder schwindlig und ehe sie sich überhaupt über den plötzlichen Anfall wundern konnte, wurde ihr schwarz vor Augen.

„Alex! Alex wach auf!“, sagte Stella laut und rüttelte Alexandra, bis diese endlich die Augen aufschlug und sie benommen ansah.

„Gott sei Dank, ist alles in Ordnung?“, fragte Stella besorgt.

Alexandra sah sie einen Moment lang einfach nur perplex an, bis ihr Gehirn sich von der plötzlichen Umstellung erholt hatte und sie Stellas Arme von ihren Schultern löste und sie zurück auf ihren Sitz schob.

„Mir geht es gut“, antwortete Alexandra unfreundlich, „Und was hat dir überhaupt den Anlass dazu gegeben mich durchzuschütteln als hätte ich den Verstand verloren?“

„Du hast auf einmal so ausgesehen, als hättest du einen Alptraum“, antwortete Seth an Stellas Stelle, „Wir haben versucht dich zu wecken, aber du hast nicht reagiert und.. dann war da noch...“

Alexandra folgte Seths Blick zu ihrem linken Handgelenk, wo das Armband saß. In dem Moment fiel ihr auch wieder ein, was Marelei gesagt hatte: dass Alexandra das Armband von Raphael trug.

Ihr wurde klar, dass sie gerade eben mit dem gesprochen hatte, der für dieses Spiel verantwortlich war. Außerdem fiel ihr auch ein, dass Kiyoshi gesagt hatte, dass ein Dämonenfürst sich das Spiel ausgedacht hatte. Demnach hatte sie gerade einen Dämonenfürsten bedroht und ihr wurde das Dilemma erst richtig klar. Zudem bemerkte sie noch, dass in das Armband auch einige dunkellilane Fäden eingearbeitet waren. Sie verwettete das gesamte Geld auf ihrem Konto, dass das Lilane keine Fäden sondern Haare waren, die von dem Dämonenfürsten persönlich stammten. Sie konnte sich bei dem Wort Fürst im Namen auch schon denken, dass er allem Anschein auch noch ein ziemlich hoch gestellter Dämon war. Und sie war natürlich so schlau gewesen, ihm lang und breit unter die Nase zu reiben, dass sie ihn in seinem eigenen Spiel schlagen würde. Manchmal war sie wirklich dumm.

„Was ist Alex? Geht es dir nicht gut?“, fragte Stella besorgt, der natürlich aufgefallen war, dass Alexandra mit den Gedanken etwas weggetreten war.

„Hm? Alles bestens“, antwortete Alexandra schief lächelnd, „Ich habe nur einen Dämonenfürsten gegen mich aufgehetzt, weiter nichts.“

Stellas und Seths entsetzte Blicke sprachen für sich, während Azraél noch nicht mal zugehört zu haben schien.

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Über den Autor

SilverRose
Tjaaa.. eigentlich ich bin mehr eine Einzelgängerin und eine komlette Tagträumerin dazu xD
Aber ab und an bin ich auch gerne unter Leuten, wobei es mir etwas an Gesprächsstoff fehlt, es sei denn es geht ums Schreiben und meine Geschichten. Da kann ich tagelang drüber reden :P
Allerdings möchte ich hier auch mal zu meinen Geschichten anmerken, dass sie wirklich lange Stories sind, die sich über einen längeren Zeitraum erst richtig entwickeln und daher auch gut und gerne zwischen zwanzig bis vierzig Kapitel mit unterschiedlichen Längen varieren. Sie sind nichts für Leute, die nur gerne kurze Happen lesen, sondern mehr für die, die auch im normalen Buchladen gerne mal zu einem drei - bis vierhundert-Seiten-Wältzer greifen. Sorry, aber kurz schreiben ist nicht gerade meine Stärke. Wenn ich das versuche, werden sie am Ende nur umso länger xD
(Auch wenn ich ja mittlerweile auch wenigstens ein paar Kurzgeschichten zum Reinschnuppern in meinen Schreibstil habe :P)
Und (der Ordnung halber) die erste Interviewfrage hier oben: Welche Geschichten hast du bisher schon verfasst?
Hm, das sind mittlerweile so einige...meine abgeschlossenen sind der Reihenfolge nach:
Meine abgeschlossenen Manuskripte sind der Reihenfolge nach:
1.1) Das Geheimnis der Federn: Die Wächterinnen der Federn;
1.2) Das Geheimnis der Federn: Der Kampf gegen die Finsternis;
2) Kyra: Die Wahl zwischen Licht und Finsternis;
3) Scarlett und das Geheimnis von Avalon;
4.1) Kampf der Geister: Vertrag;
4.1) Kampf der Geister: Geschwister der Dunkelheit;
5) Das verlorene Buch;
6) Silver Rose: Das Gesetz der Killer;
7) Der Schlüssel zum Tor der Feuergeister;
8) Reinblut & Halbblut;
9) Die Wächterin von Reilong;
10) Die letzte Zauberin;
11.1) Juwelenritter: Das vergessene Jahr des Blutes;
11.2) Juwelenritter: Die sieben Höllenfürsten;

Meine noch laufenden Geschichten (auch wenn ich nicht weiß, ob und wann ich es schaffe sie zu beenden) sind:
11.3) Juwelenritter: Dämonenherz (aktiv)
12) Bund mit dem Tod (neu - auf Standby)

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