Wenn ich zurückblicke auf meine Kindheit und besonders auf die Weihnachtszeit, muss ich letztendlich gestehen, auch wenn es nicht viel gab, es war doch eine schöne Zeit, vielleicht die schönste Zeit überhaupt, die man als Kind je erleben kann. Da wurden die Pyramide und die Räuchermännlein
ausgepackt.
Auch Bergmann und Engel, die obligatorischen Lichterfiguren durften nicht fehlen.
Da stand auf dem großen Wohnzimmertisch der Adventskranz mit vier roten Kerzen und jeden Sonntag wurde eine weitere Kerze angezündet.
Mutti las dann immer Mundartgeschichten vom Wenzel Max vor und das Lachen und Kichern wollte kein Ende nehmen.
Wir wohnten zusammen mit meiner Großmutter in einer 4-Zimmer-Wohnung in der zweiten Etage eines Geschäftshauses, die wir nun nach langem Kampf mit dem Wohnungsamt und in Einvernehmen mir dem Vermieter, allein bewohnten. Ursprünglich hatten wir nur die hinteren zwei kleinen Zimmerchen mit Dachschräge, ohne Wasseranschluß und Toilette als Behausung. Als dann die Tochter des Hauswirtes, die die beiden vorderen Zimmer bewohnte, mit Ehemann und Tochter in den Westen "abhaute", wurden diese Zimmer frei, wo es in dem einen wenigstens fließendes Wasser
gab.
Dort jedoch wollte die Wohnungsverwaltung eine sechsköpfige Umsiedlerfamilie rein setzen, was unserem Hauswirt, einem kugelrunden glatzköpfigen Frisiermeister, gar nicht in dem Kram passte. Pffh, Umsiedler! Wer weiß, was man da bekam und so ermutigte er meine Mutter die zwei Räume sofort zu beziehen. Somit waren wir, ungewollt zwar, Wohnungsbesetzer geworden.
Von eben jenem Hauswirt, dem auch die beiden Ladengeschäfte im Erdgeschoßß gehörten, einem Herren-und einem Damenfriseurladen (damals mussten Männlein und Weiblein noch getrennt frisiert werden) wurden wir nur das Dreimäderlhaus
genannt.
Wir hatten jetzt viel Platz, zwei Schlafzimmer eines für Oma und eines für meine Mutti und mich (endlich hatte ich ein eigenes Bett und musste nicht mehr zwischen beiden auf der
Besucherritze schlafen), ein Wohnzimmer und eine große Küche, in welcher wir uns auch meistens aufhielten, um Heizkosten zu sparen.
Ein Bad oder gar eine Innentoilette gab es damals noch nicht. Ein sogenanntes Plumsklo befand sich noch im Hinterhof, kein besonderes Glücksgefühl, wenn man mal dringend musste. Dann ging es im Dauerlauf aus der zweiten Etage hinunter, durch einen langen unbeleuchteten Gang in den Hinterhof. Auch das Klo war unbeleuchtet, was in der Dunkelheit auch nicht sehr prickelnd war. Außerdem fror man sich im Winter dort den Allerwertesten ab. Dringende Geschäfte mussten also schleunigst erledigt werden, wollte man nicht mit Eiszapfen am
Hinterteil diesen unsäglichen Ort verlassen.
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Aber ich schweife ab und will den werten Leser nicht mit Berichten über unsere damalige Wohnsituation langweilen.
Zurück zum eigentlichen Thema.
Bereits in der Vorweihnachtszeit gab es auch damals schon Einkaufsstress. Da es das ganze Jahr über in den Lebensmittel-geschäften meist nur Äpfel, Weißkraut und Rotkraut gab, jedoch manchmal vor den Feiertagen auch Südfrüchte, wie Apfelsinen, Mandarinen und Bananen, stellte man sich überall, wo lange Schlangen standen, halt mit an, um die begehrten Südfrüchte zu ergattern.
Die wurden dann auch meist noch zugeteilt.
Süßigkeiten, wie Schokolade, gab es zur damaligen Zeit auch nur wenig, war aber wahrscheinlich gut für die Zähne, so kam es, dass ich als Kind mit dem Zahnarzt keine schlechten Erfahrungen machen musste. Ich glaube, ich habe meine erste Schokolade mit drei Jahren bekommen und wusste damit gar nichts anzufangen.
Dass man die essen konnte, musste mir erst beigebracht werden und sie schmeckte mir anfangs gar nicht (was sich später allerdings leider änderte).
Meine Großmutter war das ganze Jahr über schon rege gewesen und hatte Geschenke
für Weihnachten „gesammelt“, die sie dann in ihrem großen Schlafzimmerschrank oder in ihrer Kommode versteckte und meist zu Weihnachten vergessen hatte, wo sie die hingelegt hatte. Manchmal fand sie diese erst zu Ostern wieder, ebenso wie den Rest des obligaten Stollens, den sie stets selber buk.
Das war immer ein Fest für mich, denn dabei durfte ich mithelfen.
Da wurden Mandeln gebrüht, abgezogen und gerieben, Rosinen verlesen und in Rum eingeweicht. Eine Menge davon wanderte meist heimlich in den Mund. Die anderen Zutaten, wie Zitronat bekam Omchen meist von ihrem Sohn, meinem Onkel aus dem Westen geschickt, denn bei uns gab es so
was doch nicht.
Dann wurden die ganzen Zutaten in die Großbäckerei geschafft, wo sich Großmama dann die ganze Zeit über am Backtrog mit dem Kneten des Teiges beschäftigte.
Daraus wurden immer zwölf Stollen angefertigt, die meist bis auf einen kleinen Rest wieder den Weg gen Westen antraten.....
Der Rest des Teiges wurde mit gekochten geriebenen Kartoffeln vermengt und daraus ein riesengroßer runder Stollenteigkuchen gebacken, der immer am leckersten schmeckte, besonders wenn er gerade eben aus dem Backofen kam und noch warm
war.
Kurz vor dem Fest wurde dann bei einem Holzhändler ein Weihnachtsbaum gekauft, der zwar noch ein paar Verschönerungen über sich ergehen lassen musste, da die Bäume meist ausgesonderte Fichten und nicht immer gerade und schön gewachsen waren. Also wurden an einigen Stellen mittels intensiver Bohrtätigkeit neue Äste eingesetzt.
Beim Schmücken des Baumes durfte ich dann immer mithelfen. Da wurden aus der hintersten Ecke der Bodenkammer die Weihnachtsbaumkugeln und die sorgfältig sortierten Lamettafäden, die jedes Jahr wieder abgenommen und wieder verwendet
wurden, hervorgekramt.
Später gab es schon eine elektrische Baumbeleuchtung, die natürlich sicherer war, als die Stearinkerzen, die oft genug schon Wohnungsbrände verursacht hatten.
Eines Freitags kurz vor Weihnachten wurde halt in Ermangelung eines Badezimmers die Küche zur Badestube umfunktioniert. Dazu wurde unsere große Zinkwanne vom Dachboden herunter geschleppt, der Küchenherd angeheizt und sämtliche Töpfe, die es im Haushalt gab mit Wasser gefüllt, daraufgestellt. Wenn das Wasser heiß war, wurde es in die Wanne gegossen und dann kam so viel kaltes Wasser dazu, bis die
richtige Badetemperatur erreicht war.
Nun durfte ich, als die Jüngste, aber vielleicht schmutzigste, zuerst baden, danach badete meine Mutter und zuletzt kam Oma an die Reihe. Ob diese hinterher auch noch sauber war, kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit behaupten.
Es war auch immer wieder eine Prozedur, die Wanne zu leeren, da diese keinen Abfluss hatte. Sie musste halt mit einem Topf wieder leer geschöpft werden und nur den letzten Rest konnte man unter mühsamen Anheben der Wanne in das Waschbecken entleeren. Nach dieser Prozedur waren Mutti und Oma wieder so verschwitzt, dass sie hätten gleich wieder baden können.
Ja nun waren wir alle sauber (bis auf Oma?) und für das Weihnachtsfest gerüstet.
Ob es einen Weihnachtsmann gab, konnte ich damals nicht mit Bestimmtheit sagen…. Hätte aber durchaus sein können.
Zu sehen bekam ich jedenfalls keinen. Das heißt einmal sah ich einen, der war so kugelrund wie unser Hauswirt und kam, als seine Tochter noch mit Ehemann und ihrer Tochter in den zwei vorderen Zimmern wohnten.
Die kleine Gudrun hatte natürlich Angst und versteckte sich, aber ich flüsterte ihr zu:
"Der sieht doch aus, wie dein Opa. Da brauchste doch keene Angst zu haben."
Kurz vor Weihnachten hatte ich "Gute-Stube-Verbot" und durfte tagelang nicht mehr da hinein, da passte Oma auf, wie ein Wachhund. Sogar das Schlüsselloch wurde von innen zugeklebt, damit neugierige Kinderaugen nicht doch zufällig was erspähen konnten.
Von Aussen wurde dann stets abgeschlossen und den Schlüssel trug Oma immer bei sich. Also gab es keine Chance die Neugier zu befriedigen.
Man war das immer spannend, diese Heimlichkeiten. Es war manchmal kaum auszuhalten.
Jedoch zum heiligen Abend erstrahlte dann
besagte "gute Stube" in hellem Lichterglanz. Ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum stand in der Ecke und zwischen den Glitzerkugeln hingen kleine bunt bestreuselte Schokoladenringe. Da lief mir schon mal das Wasser im Mund zusammen, denn solche Köstlichkeiten gab es damals nur selten.
Punkt siebzehn Uhr gab es die obligate Linsensuppe mit Bratwurst und viele andere „Leckereien“. Die Linsen kochte Oma zwar immer süßsauer, aber da hatte sie nicht mit ihrer Enkeltochter gerechnet. Süßsaure Linsen, brrr, die mochte ich gar nicht.
Damit war irgendwann geregelt, dass diese nur wie „normaler“ Eintopf gekocht wurden
und jeder machte sich Essig und Zucker nach Belieben dran.
Danach kam die Bescherung. Am meisten bekam wahrscheinlich ich. Oma hatte wieder an meiner Puppenstube gebastelt, neue Lämpchen verlegt oder neues Inventar gekauft. Manchmal saß auch ein Teddy darin oder eine neue Puppe. Da war die Freude natürlich groß. Dazu gab es immer etwas zum Anziehen, eine neue Hose, oder ein gestrickter Pullover aus Schafwolle, den ich gar nicht liebte, weil das auf der Haut immer so kratzte. Meistens fiel Oma dann aber noch etwas ein und sie ging suchen, weil sie sich erinnerte, dass sie doch noch ein Geschenk irgendwo in ihren Schränken versteckt hatte, aber meist nicht mehr wußte, wo. Geschenke
wurden ja zu jener Zeit schon das ganze Jahr über gekauft, wenn es gerade mal was gab und wenn man Geld hatte. Meistens bekam man kurz vor Weihnachten sowieso nichts mehr.
Gelegentlich fand sie das Geschenk dann wieder, mitunter jedoch kam es vor, dass es ihr erst zu Ostern wieder in die Hände fiel.
Meine Geschenke für Mutti und Oma fielen immer recht klein aus, meist waren es kleine Bastelarbeiten, die ich ihnen schenken konnte, weil ich kein Geld hatte, um für Oma und Mutti Geschenke zu kaufen, denn Taschengeld gab es damals keines und auch ein Sparschwein befand sich zu jener Zeit nicht in meinem Besitz.
Trotzdem war es die schönste Zeit, wenn ich bei Dunkelheit vor meiner beleuchteten Puppenstube sitzen und mit den Püppchen spielen konnte.
Das mit den Geschenken konnte ich erst später nachholen, als ich selber Geld verdiente, aber da war es noch lange hin.
© Baesta