- Den Stein mit einem Gasfeuerzeug erhitzen
dann mit kaltem Wasser übergießen und somit sprengen.
- Den Stein meerblau streichen.
- So tun, als wenn wir ihn nicht gesehen hätten.
Weiter Vorschläge schieden aus, da die benötigten Materialien wie Dynamit, oder Schwarzpulver nicht zur Verfügung standen. Mutter kam auf die Idee, das ganze Haus erst einmal nach den Gegenständen abzusuchen, die uns bei unserem Problem hilfreich sein könnten. Leider fanden wir nicht das Geringste, das uns als Hilfsmittel dienen konnte. Meine Schwester rief mich zu sich, da sie eine baufällige Hütte entdeckt hatte, die etwas unterhalb des Hauses am Hang stand. Ich vermutete, dass sie so etwas wie ein Gartenhaus darstellte. Sie war zwar abgeschlossen, aber die Tür war so morsch, dass sie nach einem kleinen Tritt von mir willig aufsprang. Muffiger Geruch schlug uns aus ihrem Innern entgegen. Hier hatte seit Jahren keiner mehr sauber gemacht. Aber in einem Verschlag fanden meine Schwester und ich etwas Brauchbares. Ein alter Seilzug, der wohl früher zum Ausreißen von Baumstümpfen benutzt worden war. Mit einem Liter Motoröl und gutem Zureden ließ er sich wieder in Gang setzen. Nachdem wir das eine Ende des Stahlseiles um die Spitze des Steines gelegt hatten, mussten wir etwas finden, was als Gegenanker dienen konnte. Die Stahlträger des Vordaches der Veranda schienen Vater stabil genug, schließlich wollten wir den Stein lediglich umlegen. Vater hatte ihn ausgemessen und ermittelt, dass er in liegendem Zustand nicht höher als 80 cm war und die Sicht auf das Meer somit nicht mehr behindern würde. Nach den ersten Hebelbewegungen an der Winde straffte sich das Stahlseil. Vater musste nun kräftiger an dem Hebel ziehen, aber zuerst tat sich nichts. Der Stein stand wie der berühmte Fels in der Brandung."Noch zwei Hübe, dann kommt er", rief er siegessicher.
Und tatsächlich, es kam Bewegung in die Winde."Er fällt", schrie Vater wie ein Waldarbeiter, "dass Seil wird schlaffer!"Ich zweifelte, da ich die ganze Zeit die unbewegliche Spitze des Brockens beobachtet hatte. Meine Vermutung wurde bestätigt, als ich durch ein lautes Knallen hinter uns in meiner Konzentration gestört wurde. Niemand hatte beobachtet, dass die Stahlstützen des Vordaches durch die hohe Kraft aus ihrer Verankerung gerissen wurden. Sie kippten um, das Vordach klappte wie ein Deckel nach unten und bedeckte die gesamte Fensterfront des Ferienhauses.Meine Bemerkung, dass der Stein nun nicht mehr vom Innern des Hauses die Aussicht stören würde, wurde ignoriert.Den Rest des Tages verbrachten wir damit, das ramponierte Vordach wieder an Ort und Stelle zu versetzen. Bis auf ein paar unbedeutende Kratzer war ihm nichts mehr anzusehen. Das Projekt Winde wurde als Fehlschlag stillschweigend zu den Akten gelegt.Am Abend tagte wiederum unser Familienrat und in aller Bescheidenheit kann ich sagen, dass es meine Idee war, die dem Projekt einen erfolgreichen Abschluss versprach. Mein Vorschlag war es, unter Zuhilfenahme unseres Autos den Stein zum Umfallen zu bewegen.Der erste Versuch kostete unseren Wagen jedoch die hintere Stoßstange, die der ungewohnten Belastung nicht gewachsen war. Dann kam Vater auf die Idee, das Seil der Winde um eine Achse des Antriebs zu wickeln und mittels Motorkraft das Objekt zu kippen. Schnell wurde der Reservereifen bei einer Tankstelle vom Gummi befreit und nachher mit einem Rad der Antriebsachse getauscht. Dann bockten wir den Wagen vorne mit dem Wagenheber hoch und stützten ihn mit Steinen ab. Das Stahlseil wurde ein paar Mal um die Felge gedreht und das andere Ende wie ein Lasso um den Stein gezogen. Wenig später versammelte sich die gesamte Familie Winkelmann erwartungsvoll um den Wagen. Vater stieg würdevoller hinters Lenkrad, als ein Astronaut in seine Rakete, startete den Motor, legte den ersten Gang ein, gab Gas und ließ langsam die Kupplung kommen.Wir alle sahen gebannt zu, wie sich das Stahlseil spannte. Da! Die Spitze des Steines begann leicht zu zittern.
"Mehr Gas", rief ich.Der Motor heulte auf und langsam stieg uns der Geruch von verbrannten Kupplungsbelägen in die Nase. Dann geschah das Entsetzliche. Die Steine, die wir unter den Wagen gelegt hatten, rutschten weg, unser Wagen schoss wie ein Pfeil an unseren ungläubig dreinschauenden Gesichtern vorbei und landete krachend am unteren Ende des Hinkelsteines.
Mutter rief entsetzt den Namen meines Vaters und wir liefen alle schreckensbleich zu den dampfenden Überresten unseres Autos. Der Bruchpilot entstieg jedoch gerade unverletzt, aber kalkweiß dem Wagen und trottete ohne ein weiteres Wort an uns vorbei ins Haus. Später untersuchten wir den Schaden und stellten fest, dass der Kühler durch den Aufprall geplatzt war und alles in Wasserdampf gehüllt hatte. Die vordere Stoßstange war jedoch nur noch ein Haufen verbogenes Blech."Alles noch reparabel", stellte Vater später fest.
Am Abend saßen wir ratlos zusammen auf der Veranda, als mein Blick am Stein hängen blieb.
"Er steht schief", rief ich.
Alle Augen richteten sich nun auf den Monolith. Tatsächlich, das schwere Monster hatte sich ein paar Grad zur Seite geneigt. Zwar reichte das noch lange nicht, um einen ungestörten Blick in die Bucht werfen zu können, aber wenn Onkel Poul kam, konnten wir ihm wenigstens beweisen, dass wir es versucht hatten.Etwas später am Abend fing es an zu regnen. Erst nieselte es nur ein wenig, dann schüttete es wie aus Eimern. Wir beschlossen, an diesem Abend früh zu Bett zu gehen. Irgendwann gegen Morgen wurde ich von einem Geräusch geweckt. Zuerst war es nur ein dumpfer Schlag, dann polterte es noch eine ganze Weile und wurde schließlich von dem Geräusch der Brandung, die gegen die Felsen schlug, verschluckt.
Am Morgen war von dem Unwetter der Nacht nichts mehr zu bemerken. Da die Morgensonne als erstes in mein Zimmer schien, wurde ich vor allen Anderen wach. Ich beschloss, der Familie eine Freude zu machen und auf der Veranda den Frühstückstisch zu decken. Nachdem Kaffee und frisch aufgebackene Brötchen den Tisch zierten, lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück, um die Ruhe und den Blick auf das türkisfarbene Wasser der Bucht zu genießen. Das türkisfarbene Wasser in der Bucht?Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Der Stein war nicht mehr an seinem Platz! Wie eine Sprungfeder schnellte ich vom Stuhl auf und lief zu der Stelle, an der gestern noch der Brocken gestanden hatte.Bis auf eine grubenartige Vertiefung im Boden war nichts mehr von ihm zu erkennen. Dann erst erkannte ich Spuren in dem aufgeweichten Boden, die aussahen, als wenn ein schwerer Gegenstand über ihn gerollt wäre. Den Rest konnte ich mir zusammenreimen. Unsere gestrige Aktion hatte wohl seinen Schwerpunkt verlagert. Dann war der Boden, auf dem das Gewicht des Steines ruhte, in der Nacht durch den Regen aufgeweicht worden. Daraufhin war er umgekippt und auf dem abschüssigen Hang ins Rollen geraten. Ich verlor keine Sekunde und jagte zurück ins Haus, um die freudige Nachricht zu verkünden. Weil mir kein Wort geglaubt wurde, zerrte ich meine Schwester in ihrem Pyjama nach draußen. Durch unseren lautstarken Freudentanz angelockt, erschienen kurze Zeit später meine Eltern. Ungläubig starrten sie auf die Stelle, wo gestern noch der Stein gestanden hatte."Wo ist er hin?", fragte mein Vater, nachdem er sich gefangen hatte."Keine Ahnung", entgegnete ich schulterzuckend.
Daraufhin verfolgten wir an Hand der Spur den Weg, den der Stein genommen hatte. Wir fanden ihn vor dem verfallenen Gartenhaus. Er hatte sich eine Schneise durch das Gestrüpp, das vor der Bruchbude wuchs, gebahnt und sich in einer Felsspalte im Boden verklemmt. Erstaunlicherweise stand er wieder aufrecht da, als wenn er schon seit Urzeiten nirgendwo anders gewesen wäre. Nachdem die Aufregung abgeebbt war, schauten wir uns noch ein wenig die Umgebung an.
"Eine merkwürdige Hütte", meinte mein Vater. „Scheint aber gelegentlich noch bewohnt zu werden."
Dann ging er um das Gebäude herum und kam Sekunden später bleich wie ein Blatt Papier zu uns zurück. Er fasste meine Mutter am Arm, zog sie ohne ein weiteres Wort hinter sich her und verschwand mit ihr hinter der Hütte.
Dann hörten wir nur noch einen spitzen Schrei. Wir Kinder schauten uns nur entgeistert an und stürmten um das Haus herum. Meine Mutter stand weinend an einen Pfosten gelehnt, während mein Vater sichtlich erschüttert auf den morschen Treppenstufen saß, die zu der von mir eingetretenen Eingangstür hinaufführten."Holt eure Sachen", meinte Vater. Wir verstanden immer noch nichts. "Wir sind ins falsche Haus gezogen!"
Er deutete auf ein unscheinbares Namensschild an der Tür, welches den Nachnamen meines Onkels Poul trug. Nun bekam alles einen Sinn. Der Schlüssel, der nicht ins Schlüsselloch, und das hübsch eingerichtete Haus, das nicht zu meinem Onkel passte.Wie die begossenen Pudel zogen wir los und schafften all unser Hab und Gut in die Bruchbude, die meinem Onkel gehörte. Allein einen Tag brauchten wir, um den Müll, der überall herumlag, zu beseitigen. Weitere zwei um einen halbwegs bewohnbaren Zustand zu erreichen. Dann sägten und schnitten wir Büsche und kleine Bäume ab, die den Blick auf das Meer verhinderten.Eine Woche später kam Onkel Paul, wie ihn jetzt auch meine Mutter nannte, vorbei. Verwundert blieb er vor dem mannshohen Stein stehen."Seltsam", meinte er. "Der ist mir früher überhaupt nicht aufgefallen, er war wohl die ganzen Jahre von Bäumen und Gestrüpp verdeckt gewesen."Wir haben ihn erst viel später über unser Abenteuer aufgeklärt und erfahren, dass es sich bei dem Stein um einen echten Menhir gehandelt hatte, der in der Steinzeit von der Urbevölkerung aufgestellt worden war. Mein Onkel war nach unserer Abreise noch in einen Rechtsstreit mit dem Besitzer des schmucken Ferienhauses verwickelt worden, der behauptete, dass er den Menhir absichtlich auf sein Grundstück verfrachtet hatte. Der Prozess war mangels Beweisen eingestellt worden.In den folgenden Ferien, die ich mit meinen Eltern verbrachte, fuhren wir nach Holland an die See, da die größten Steine, die wir in den Dünen fanden, nur ein paar Millimeter groß waren.
FSBlaireau Eine wirklich - fesselde Geschichte. Echt. Aber Frankreich gegen Holland zu tauchen na ja. Bin auch so ein großer Fan von Frankreich und vor allem der Bretagne. Sehr gute Story. Gruß FSBlaireau |