Die Marktfrauen
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Um eins von vorneherein klar zustellen, ich gehöre nicht zu diesem leichtgläubigen Typus von Mensch, der an Vampire, Werwölfe oder Zauberer glaubt.
Ganz im Gegenteil, ich bin sehr rational veranlagt. Ich glaube an das was ich sehe, und nicht an das, was ich gesagt bekomme. Schon früher, als ich noch ein kleiner Junge war, tendierte ich eher zu den Abenteuererzählungen als zu den Märchen.
Und doch gibt es Hexen.
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Aber ich sollte von vorne anfangen. Mein Name ist Johannes zu Herrenberg.
Nein, ich bin kein Adliger, auch wenn mein Name das vermuten lässt.
Auch bin ich kein reicher Mann, und so musste ich mir etwas außerhalb der Stadt, in der ich studieren wollte, eine Bleibe suchen.
Als Naturbegeisterter Mensch, hatte ich mich als Biologiestudent eingeschrieben und fieberte nun schon seit Monaten dem Semsterbeginn entgegen.
Eine Unterkunft fand ich schließlich in dem kleinen Dörfchen Rotblut, das umgeben von dichten Wäldern, etwa eine halbe Stunde entfernt von meiner Universitätsstadt liegt.
Um mich ein wenig einzugewöhnen, zog ich bereits vier Wochen vor offiziellem Semesterbeginn in das besagte Städtchen.
Rotblut, gegründet im Jahre 12 49, protzt mit einer wunderschöne Altstadt, die umgeben von vier großen Türmen, die perfekte Kulisse für einen im Mittelalter spielenden Film bieten würde.
Der große Marktplatz ist eingerahmt von schiefen Fachwerkhäusern, welche die besondere Atmosphäre des Dörfchens, einmal mehr unterstreichen. Es kommt einem vor, als wäre hier die Zeit irgendwie zum erliegen gekommen.
Während meiner ersten Tage in Rotblut, sah ich mehr Kutschen durch die Straßen fahren, als Autos. Sogar die Einwohner besaßen einen gewissen nostalgischen Charme.
Das klingt im ersten Moment herzerfrischend und abwechslungsreich, gegenüber dem sonstigen Trubel, welches ein Studentendasein normalerweise bietet, jedoch hatte Rotblut auch eine andere Seite.
Es gab so gut wie keine jungen Leute hier. In den vielen kleinen Geschäftchen von Rotblut, arbeiteten ausschließlich Damen älteren Kalibers.
Noch etwas fiel mir auf. Es herrscht ein ständiger Mangel an Männern.
Während meiner unzähligen Spaziergänge, durch die verwinkelten Gässchen von Rotblut, begegnete ich nicht vielen. Die wenigen, die ich hin und wieder sah, waren alt und ausgezehrt.
Sie reagierten nicht auf mein freundliches Grüßen, sondern zogen sich umgehend in ihre Häuser zurück, wenn sie mich sahen.
Ich bin kein aufdringlicher Mensch, eher bin ich ein stiller Beobachter und so registrierte ich diese seltsamen Umstände mit wissenschaftlicher Genauigkeit, die einem jeden Biologiestudenten zu Eigen ist.
Und ich musste noch eine weitere, viel mysteriösere Beobachtung machen.
Wie in den meisten Städten und Dörfern üblich, so fand auch in Rotblut ein wöchentlicher Markt statt. Ich hatte mich etwas abseits auf eine Bank gesetzt und beobachtete das Marktgeschehen.
Ich war bereits zwei Wochen wohnhaft in Rotblut und hatte mir doch schon einige Gesichter merken können, doch schienen die Personen, die jetzt zwischen den Ständen hin und her gingen, nicht ausschließlich nur die Einwohner Rotbluts zu sein.
Dies war nicht leicht zu erkennen, denn auch sie humpelten, waren sehr alt und nur wenige wirkten auf mich, als seien sie jenseits der achtzig.
Sie alle schlichen von Stand zu Stand und deckten sich mit den Waren ein.
Von dort wo ich saß, blieb mir allerdings ein Blick auf die einzelnen Güter verwehrt, und so entschloss ich mich näher zu treten.
Als angehender Biologiestudent, ist man hinsichtlich der vielen theoretischen aber auch praktischen Untersuchungen, wohl vertraut mit der Flora und Fauna seiner Gegend, weshalb ich auch auf dem Markt, dass ein oder andere mir vertraute Gewächs erkannte.
Gleich der erste Stand an den ich trat, bot eine nie gesehene Auswahl an Pflanzen und Kräutern jeglicher Art.
Von ganz gewöhnlichen, wie Minze und Salbei bis hin zu giftigen Nachtschattengewächse, wie der Giftbeere oder der schwarze Tollkirsche, die Vielfalt war verblüffend.
Direkt vor mir, in einem großen Korb, sah ich auch die Wolffswurtz, eine giftige und berauschende Pflanze, vor der eindringlich in jedem Pflanzenführer gewarnt wird.
Gerade diese Pflanze erschien sich allerdings großer Beliebtheit zu erfreuen.
Ich war nicht ganz an den Stand heran getreten, sondern ein paar Meter davor stehen geblieben und sah jetzt bereits die dritte alte Dame, welche sich an der Pflanze bediente.
Erst jetzt fiel mir auf, dass keiner der Alten bezahlt hatte. Ebenso wurde kaum gesprochen. Vielmehr kam es mir so vor, als fänden die Unterhaltungen auf einer anderen Ebene statt, der ich nicht mächtig war zu folgen.
Zwar stand ich etwas abseits des eigentlichen Marktgeschehens, stach jedoch als einzig anwesender Mann, deutlich aus der Masse hervor.
Seltsamer Weise schien mich aber keine der Frauen weiter zu beachten.
Ich lief noch ein wenig weiter und befand mich kurz darauf mitten im Geschehen.
Um mich herum humpelten, viele an einen Stock gestützt, die Alten vorbei.
Manche sahen sich derartig ähnlich, dass man sie ohne weiteres als Zwillinge hätte bezeichnen können. Die meisten waren bucklig, hatten irgendwo im Gesicht eine fette Warze und waren schlecht zu Fuß. Die Körbe unter ihren dünnen Ärmchen, schwankten hin und her.
Da man bekanntlich im hohen Alter an Körpergröße verliert, überragte ich sie fast allesamt um zwei Köpfe.
Der ganze Markt, kam mir mittlerweile äußerst bizarr vor, denn jetzt sah ich auch, dass an einigen Ständen lebende Tiere verkauft wurden. Nicht aber Hühner oder Gänse.
Hunderte Kröten hüpften in einem hoch geflochtenen Korb umher. Spitznasige Fledermäuse hingen zusammengebunden, entlang eines Standes.
Das alles war bisweilen sehr seltsam gewesen, ängstigte mich jedoch noch keinesfalls.
Vielleicht würde ich ja mit einer der Alten ins Gespräch kommen, dachte ich, um etwas mehr über die hiesigen Gebräuche zu erfahren, die in Rotblut scheinbar bizarre Formen angenommen hatten.
So nahm ich mir vor, das nächstbeste Fräulein abzusprechen.
Als hätte man meine Gedanken erraten, zupfte es im nächsten Moment leicht aber bestimmt an meinem Ärmel.
Ich musste mein Kinn fast vollständig auf die Brust legen, um ihr in die Augen zu sehen.
Es war das erste Mal, seit ich diesen Markt betreten hatte, dass mein Blick erwidert wurde.
Ihre Augen wirkten unglaublich lebendig und intelligent, in dem ansonsten so eingefallenen Gesicht.
 „Du bleibst hier“, sagte sie schlicht.
Ich antwortete mit meinem freundlichsten Lächeln, da ich mir nicht mehr ganz so sicher war, nicht doch einer altersdemenzen Frau gegenüber zu stehen.
Ihre nächsten Worte werden jedoch auf ewig mein Fluch bleiben. Sie lächelte mich zahnlos an und sprach:
Mächte des Wasser und Mächte der Luft, stärkt meinen Glanz, betört meinen Duft.
Mächte des Feuers und Mächte der Erde, auf das mein Wunsch Wirklichkeit werde.
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Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, kehrte sie mir den Rücken zu und schlich langsam davon. Ihre Worte hallten noch in meinem Kopf und ich sah ihr regungslos nach, bis sie unter den anderen Weibern verschwand.
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Das ist jetzt fast fünfunddreißig Jahre her, und genauso lange habe ich Rotblut nicht mehr verlassen.
Weiß Gott, ich habe es unzählige Male versucht, jedoch ist es mir nicht möglich, auch nur einen Schritt außerhalb der Grenzen Rotbluts zu gehen. Versuch ich es doch, habe ich das Gefühl, mein Kopf müsse explodieren. Mein Körper fängt an zu zittern und helle, weiße Sterne tanzen vor meinen Augen. Auch noch Tage danach, werde von schrecklichen Kopfschmerzen geplagt.
Ich habe die anderen Männer kennengelernt, aber wir reden nicht viel. Wir sind wenige, gerade einmal ein dutzend und wir haben viel Arbeit.
Wir bestellen die Felder und hüten die Tiere, renovieren die Häuser und pflastern die Straßen.
Seit kurzem bin ich nicht mehr der jüngste in Rotblut.
Gestern Mittag habe ich einen jungen Mann durch die Gassen schlendern sehen. Auf sein Grüßen habe ich nicht reagiert, ich werde ihn wohl noch früh genug kennenlernen.
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