Kurzgeschichte
Wir haben den gleichen Weg

0
"Wir haben den gleichen Weg "
Veröffentlicht am 02. November 2011, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

es ist schön sich kleine Geheimnisse zu bewahren und so werde ich hier nichts wichtiges über mich schreiben. Wer aber meine Gefühle, Ängste und Freuden kennen und teilen möchte darf mich in meinen gedichten suchen. Dort ist auch überall ein wenig über mich zu finden. Meine Homepage müsste ich zwar mal wieder überarbeiten aber auch hier ist jeder willkommen http://www.ostseemoewe-privat.de/page1.php
Wir haben den gleichen Weg

Wir haben den gleichen Weg

 Dieses Mal wollte Karin vorbereitet sein. Ihre kleine Reisetasche stand gepackt in einer Ecke des Schlafzimmers. Obenauf die Papiere fürs Krankenhaus.

Nachdem der Entschluss, sich unters Messer zu begeben feststand, fühlte sie sich von tausend Kämpfen befreit. Nun galt es Ruhe und Gelassenheit zu bewahren, so wie sie es von ihren stoischen Philosophen gelernt hatte. Zu den wichtigsten Tugenden zählte, in Krisen und Nöten besonnen bleiben, dem Tod gelassen entgegen sehen, seine Gefühle beherrschen.

Karin schaut noch einmal auf den Namen des OP-Oberarztes, Doktor Martin Oppendorf.

Mit zusammengekniffenen Augen sitzt sie eine Weile auf der Bettkante. Fühlt sich wie die chinesische Sportschützin Du Li. Die vor ihrem Olympiasieg sagte, "Meine volle Konzentration, mein ganzes Ich, gilt nur dem einen Ziel, nichts vermag mich zu stören oder aufzuhalten."

 Bis in letzte Detail liegt ihr Plan vor ihrem inneren Auge.

Sie greift zum Handy, wählt die Nummer ihrer Freundin Gabi. "Hallo Gabi, ich nehme Deine Einladung zum Medizinerball doch gerne an und freue mich schon. Wann soll ich bei Dir sein?"

Aus ihrem Lautsprecher hört sie Gabis fröhliche Stimme. "O, wie fein, dann brauche ich doch nicht allein hin zu gehen. Ich sitze gerade beim Frisör und lasse mich aufschönen. Mein Prof, die Labertasche meinte, ich solle dich unbedingt mitbringen. Dort wären attraktive Frauen immer in der Unterzahl. Stell dir vor, im Klinikum gibt es noch 300 unverheiratete Ärzte. Na, wir werden da schon was aufmischen. Also bis um sieben bei mir. Tschüssi."

 Karin geht noch einmal an ihren PC-Platz. Immer noch leuchtet ihr das Foto des Oberarztes entgegen. Die halbe Nacht hatte sie im Netz geforscht. Fand sein Bild und Referenzen. Es scheint ein kompetenter, junger Arzt zu sein, der sein Handwerk versteht.

Nur welche Wahl habe ich, dachte sie bitter. Ohne OP bin ich in einem halben Jahr nicht mehr unter den Lebenden.

 Erinnerungen kommen. Längst verblasste Bilder stehen bleiern, keinen Meter entfernt vor ihr. Sie fuchtelt hilflos mit den Armen, so als ob sie, vergeblich versucht sich von einer Riesenboa zu befreien. Wieder liegt sie als zwanzig jähriges Mädchen auf der Intensivstation. Hört die Worte des Arztes das ihr die Eileitern entfernt wurden. Tubenkarzinom, sehr selten bei jungen Frauen, doch bei ihr frühzeitig erkannt. Dabei ist sie nur zum Gynäkologen um eine Schwangerschaft auszuschließen.

Wieder hört sie die Worte, "Sie sind Jung und werden das wegstecken."

 All die Jahre versucht sie ihren Makel zu verstecken. Geht Frauen aus dem Weg, die einen Kinderwagen schieben. Lässt Männer, wie heiße Kartoffeln fallen, sofern sie in ihre Zukunftspläne

den Kinderwunsch einbeziehen. Spielt die emanzipierte Frau, die die Männer nur zur Lustbefriedigung braucht. Kostet ihr "nicht mehr ganz Frausein können" aus. Spürt, wie sie oft von Müttern beneidet wird. Sie schwebt viel zu oft auf hohen Schuhen nach der Stadt, sie küßt in den Bars nicht nur die Gläser tief auf den Mund.

Mehr als zehn Jahre braucht sie, um zu sich zurück zu finden. Entdeckt in Büchern neue Lebensinhalte, macht sie sich zu Eigen.

Karin erhebt sich mit einem Ruck, richtet sich auf wie ein Triumphbogen. Es wird Zeit sich auf den Abend und die letzte Nacht vorzubereiten. Heute gilt es, als äußerlich unversehrte Frau, wie eine römische Feldherrin die letzte Schlacht zu schlagen. Alles andere mag dann kommen, wie es kommt. Diese Nacht will sie sich dem Mann schenken, der ihr nur Tage später das Letzte nimmt.

Bei Gabi gibt es gut gekühlten Sekt zum Warmwerden. Karin ist überzeugt, sie spielt ihre Rolle glänzend. Inzwischen ist sie sich sicher, sie wird durch Gabi auch Martin Oppendorf kennen lernen.

Alles andere ist dann ein Kinderspiel.

Bei ihrem Erscheinen legen die beiden Frauen einen großen Auftritt hin. Darin waren sie mittlerweile geübt. Karin trägt sehr hohe, weinrote, vorne gebundene Sommerstieffellettos, dazu ein hautenges Kleid. Es dauert keine zehn Minuten und sie sind umringt von Ärzten.

Eine Stunde später tanzt sie im Arm des Oberarztes Martin. Eine halbe Stunde nach Mitternacht verabschiedet sie sich mit einem Augenzwinkern von ihrer Freundin Gabi.

Als Karin gemeinsam mit Martin das Fest verlässt, denkt sie, alles läuft im Zeitplan.

 An der Wohnungstür schaut sie aus den Augenwinkel auf Martin. Genau diesen Schlafzimmerblick erwarte ich nun, denkt sie mit innerlicher Genugtuung. Die Tür fällt ins Schloss und sie fallen sich in die Arme. Den ersten zarten Küssen folgen Verlangende.

"Martin, was magst du trinken?" Martin lächelt verschmitzt, "nur noch dich, gehen wir ins Schlafzimmer?"

Karin macht die Tür auf. "Ich möchte mich nur noch frisch machen, bin gleich wieder bei Dir. Magst du mir das Kleid aufmachen?" Martin öffnet es ganz sachte und berührt zärtlich Karins Brüste. Er küsst sie liebevoll auf den Hals.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, sackt Karin wie ein entleerter Kartoffelsack in sich zusammen. Martin fängt sie im letzten Moment erschrocken auf. Legt sie auf das Bett.

"Was ist los mit dir Karin, was habe ich falsch gemacht?" Er schaut in ihre Augen, die ihn wie ein todgeweihtes Kind anschauen. Sie zittert am ganzen Körper. Martin hüllt sie in die Bettdecke und nimmt sie wie ein hilfloses Baby in seine Arme. Lange bewegt er sich keinen Millimeter, bis er merkt, Karin hört langsam auf zu frieren. Vorsichtig steht er auf. In diesem Augenblick treffen sich ihre Blicke. Fast flüsternd sagt Karin: "Jetzt willst du gehen, nicht wahr?"

"Nein, ich will dir einen Tee kochen. Der wird dir guttun." Dicke Tränen rollen über Karins Gesicht.

"Bitte gehe nicht weg, ich brauche dich heute so sehr. Ich muss mich heute festhalten. Morgen kann ich es nicht mehr. Morgen wirst du nur noch mein OP-Arzt sein. Ich habe die Diagnose Brustkrebs und eine Brustamputation ist zwingend nötig. Ich habe solche Angst, ich bin doch so gerne Frau gewesen."

Martin schloss Karin ganz fest in seine Arme.

"Ich werde dich begleiten, solange du willst. Du wirst auch danach eine Frau sein, ich verspreche es dir."

Stunden später schaut Karin auf den Wecker. Wie konnte sie nur so gemein sein? Martin schaut sie liebevoll an. "Denke jetzt nicht darüber nach, geh unter die Dusche. Ich setze uns Kaffee auf. Danach nehme ich dich an die Hand. Wir haben den gleichen Weg zu gehen".

http://www.mscdn.de/ms/karten/v_538799.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_538800.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_538801.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_538802.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_538803.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_538804.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_538805.png
0

Hörbuch

Über den Autor

Ostseemoewe
es ist schön sich kleine Geheimnisse zu bewahren und so werde ich hier nichts wichtiges über mich schreiben. Wer aber meine Gefühle, Ängste und Freuden kennen und teilen möchte darf mich in meinen gedichten suchen. Dort ist auch überall ein wenig über mich zu finden. Meine Homepage müsste ich zwar mal wieder überarbeiten aber auch hier ist jeder willkommen http://www.ostseemoewe-privat.de/page1.php

Leser-Statistik
55

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Ostseemoewe Re: ... -
Zitat: (Original von SaenaPJ am 02.11.2011 - 16:20 Uhr) Liebe Ilona,
sehr Ausdrucksstark die Gefühle in jener Situation beschrieben

Liebe Grüße Petra-Josie

liebe Petra
das freut mich riesig

glg Ilona
Vor langer Zeit - Antworten
SaenaPJ ... - Liebe Ilona,
sehr Ausdrucksstark die Gefühle in jener Situation beschrieben

Liebe Grüße Petra-Josie
Vor langer Zeit - Antworten
Ostseemoewe Re: Ein bedrückendes Thema, -
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 02.11.2011 - 11:42 Uhr) das jedem Angst macht, hast du sehr berührend bearbeitet.

GlG fleur



Danke Dir für Deinen Kommentar - so sollte der Text auch ankommen

GLG Ilona
Vor langer Zeit - Antworten
Ostseemoewe Re: Liebe Ilona, -
Zitat: (Original von erato am 02.11.2011 - 10:22 Uhr) eine wundervoll gefühlsnahe Schilderung, die mich sehr an menschliche Gefühle und Gedanken erinnert, die ich in meiner klinischen Studienzeit
erleben durfte. Insgesamt waren Frauen - für mein Empfinden - die
stärkeren Patienten in Konfliktsituationen.

GghG Thomas


lieber Thomas

danke Dir herzlich für Deinen Komentar

glg Ilona
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Ein bedrückendes Thema, - das jedem Angst macht, hast du sehr berührend bearbeitet.

GlG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
erato Liebe Ilona, - eine wundervoll gefühlsnahe Schilderung, die mich sehr an menschliche Gefühle und Gedanken erinnert, die ich in meiner klinischen Studienzeit
erleben durfte. Insgesamt waren Frauen - für mein Empfinden - die
stärkeren Patienten in Konfliktsituationen.

GghG Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Ostseemoewe Re: Re: Re: wunderbar - nein Jürgen mit Sicherheit nicht, so habe ich es auch nicht gemeint. Aber hier ging es mir vorallem um die Frage, wie verkraftet es die Frau, wenn sie glaubt ihr "Frausein können" wird ihr genommen?
Hier geht es um eine Frau, die zwar nach Außen die Starke spielt, aber innerlich fast vor Schmerz zerbricht.
Ich denke so wird es auch einem Mann gehen der Hodenkrebs hat. Wie geht ein Mann damit um, sieht er sich noch als Mann?
Solche Fragen und die Konflikte interessieren mich besonders.

GLG Ilona
Zitat: (Original von Boris am 02.11.2011 - 09:19 Uhr) Gefühle sind nicht nur eine Frauendomäne :-))))))
Zitat: (Original von Ostseemoewe am 02.11.2011 - 09:17 Uhr) lieber Jürgen

das hier auf meine Geschichte gleich ein Mann so ein Lob abgibt freut mich ganz besonders.
Ich kann zwar einschätzen, dieser Text kommt bei Frauen an, aber wenn auch Männer es genauso nachempfinden können macht es mich Stolz.

glg Ilona
Zitat: (Original von Boris am 02.11.2011 - 09:02 Uhr) einfühlsam
nachfühlbar
einfach schön geschrieben

LG Jürgen



Vor langer Zeit - Antworten
Boris Re: Re: wunderbar - Gefühle sind nicht nur eine Frauendomäne :-))))))
Zitat: (Original von Ostseemoewe am 02.11.2011 - 09:17 Uhr) lieber Jürgen

das hier auf meine Geschichte gleich ein Mann so ein Lob abgibt freut mich ganz besonders.
Ich kann zwar einschätzen, dieser Text kommt bei Frauen an, aber wenn auch Männer es genauso nachempfinden können macht es mich Stolz.

glg Ilona
Zitat: (Original von Boris am 02.11.2011 - 09:02 Uhr) einfühlsam
nachfühlbar
einfach schön geschrieben

LG Jürgen


Vor langer Zeit - Antworten
Ostseemoewe Re: wunderbar - lieber Jürgen

das hier auf meine Geschichte gleich ein Mann so ein Lob abgibt freut mich ganz besonders.
Ich kann zwar einschätzen, dieser Text kommt bei Frauen an, aber wenn auch Männer es genauso nachempfinden können macht es mich Stolz.

glg Ilona
Zitat: (Original von Boris am 02.11.2011 - 09:02 Uhr) einfühlsam
nachfühlbar
einfach schön geschrieben

LG Jürgen

Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
11
0
Senden

61687
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung