Narrenmond
Hell stand Aegis-Auge, der Mond, über den Dächern der Stadt und tauchte diese in seinen fahlen, grünlichen Schein bis der Wind wieder einige Wolken vor den Himmelskörper schob. Auf einem dieser Dächer bewegte sich nun eine Gestalt in im Schatten des Schornsteines, nachdem der Himmel nun wieder verhüllt war. Langsam wagte Malcom wieder zu atmen und wischte sich den Schweiß von seiner Stirn, welcher sich dort in dicken Tropfen gesammelt hatte. Mit großer Mühe versuchte der junge Mann seinen Atem zu beruhigen, während er das schwere Brecheisen aus der Hülle zog und es prüfend in der Hand hielt. Er war sich ziemlich sicher, dass ihn der Wächter auf der Zinne nicht gesehen hatte, aber warum hatte ausgerechnet jetzt der Mond zum Vorschein kommen und ihn den möglichen Blicken eines Beobachters preisgeben müssen, dachte er frustriert bei sich. Nur langsam beruhigte sich sein Herzschlag als er begann, die Dachschindeln neben dem Kamin aus ihrer Verankerung zu hebeln und sie hinter dem Kamin abzulegen. Sein Meister hatte ihm deutlich gemacht, dass dies seine letzte Chance sein würde, sich zu bewähren und den Blutkuss zu empfangen. Malcom spürte immer noch das Kribbeln im Magen, als an die Worte seines Meisters zurückdachte.
„Malcom, mein treuer Diener, ich weiß nun, wo sich der letzte Talisman befindet. Die beiden anderen Talismane haben zusammen eine schwache Verbindung geschaffen, die ich bis zum Magnus-Museum zurückverfolgen konnte. Irgendwo in diesem Gebäude befindet sich das Armband, aber ich kann es nicht betreten. Die Segen der Donarpriester sind zu stark, darum musst du es mir holen, Malcom. Und wenn du dich meines Vertrauens als würdig erweist, werde ich dich weit über das Maß der Sterblichen hinaus belohnen.“
Während sich die Nägel der letzten Dachschindel mit einem leisen Knarren aus dem Holz lösten, durchströmte den jungen Mann wieder ein Glücksgefühl, welches die aufkeimende Panik vollständig verdrängte. Er würde den Meister nicht enttäuschen, der Wächter hatte ihn nicht gesehen und seine Vorbereitungen waren schließlich umfassend gewesen. Den ganzen Tag hatte er sich im Museum umgesehen, so dass er nun eine ungefähre Ahnung hatte, wo sich der letzte der drei Talismane befinden würde. In den öffentlich zugänglichen Räumen war das Armband nicht zu finden gewesen, also musste es an anderer Stelle eingelagert worden sein. Schnell packte er das Brecheisen zurück in sein Futteral, bevor er sich geschickt durch das von ihm geschaffene Loch im Dach des Museums zwängte und von dort aus auf den Boden gleiten ließ. Der Gegenstand musste entweder hier auf dem Dachboden oder im Keller zu finden sein, mit etwas Glück konnte er schon bald wieder verschwinden.
Für einen Moment lauschte er auf die Geräusche innerhalb des Gebäudes und versuchte zu erahnen, ob der Rundgang eines Wächters ihn auch zu diesem Ort gelangen lassen würde. Doch alles blieb still, bis auf das leise Trippeln von Rattenpfoten und so nahm er die große Lederrolle von seinem Rücken. Mit, aus Gewohnheit geborener, Routine legte Malcom die Rolle auf den Boden, öffnete die Verschnürung und rollte dann das Leder auf. Leise klirrte es bei dieser Bewegung und seine Werkzeuge für den weiteren Verlauf des Einbruchs kamen nun zum Vorschein. Verschieden Dietriche, Feilen, Zangen, eine kleine Säge und mehrere flache Metallbleche befanden sich in genau passenden Steckfächern, die verräterische Geräusche verhindern sollten. Vorsichtig strich er über die Innenseite der Rolle und überprüfte so deren Inhalt, er brauchte nicht zu sehen, wo sich seine Werkzeuge befanden, alleine sein Tastsinn war ausreichend für die Überprüfung.
Zufrieden lächelte er, als er sich nun weiter im Raum umsah. Seine Augen begannen sich bereits an das schwache Licht zu gewöhnen, welches durch das Loch im Dach hereinfiel, scheinbar waren die Wolken wieder weiter geweht worden. Regale und große Kisten nahmen beinahe den ganzen Raum des Dachbodens ein und Malcom konnte nur mit Mühe ein leises Seufzen unterdrücken. Die Suche hier oben würde schon einige Zeit dauern, wenn er dann noch in den Keller musste, würde er es heute nicht Nacht gewiss nicht schaffen, den Talisman zu finden. Doch wenn er nicht endlich anfing, würde es noch länger dauern und so erhob sich der junge Mann vom Boden und begann die Regale zu durchforsten. Sehr zu seinem Glück hatte er schnell das System verstanden, welches der Ablage zu Grunde lag. Es dauerte zwar immer noch lange, nach dem Läuten der Glocken, waren es mindestens zwei Stunden, die er hier verbracht hatte, aber schließlich war er mit den Regalen fertig geworden und konnte sich endlich daran machen, die Kisten zu durchsuchen. Wieder lief ihm Schweiß über das Gesicht, aber dieses Mal war Anstrengung und nicht Aufregung die Ursache. Da er bereits so viel Zeit mit der erfolglosen Durchsuchung der Regale vergeudet hatte, hatte er sich nun entschlossen, die Kiste einfach aufzubrechen, statt die Schlösser mühselig mit seinen anderen Werkzeugen zu öffnen. Gerade als er bei der vierten Kiste angelang war und sich daran machte das Scharnier aus dem Holz zu hebeln, hörte er am anderen Ende des Dachbodens das Geräusch von schweren Stiefeln. Sofort drückte er sich zwischen die Kisten und verhielt sich so still wie möglich, denn die Schritte begannen sich nun zu nähern. Malcom hielt den Atem an, als ihm nun sein Fehler bewusst wurde. Das Loch im Dach würde der Wächter garantiert nicht übersehen und so würde seine Anwesenheit verraten werden. Er musste sich nun schnell etwas einfallen lassen, bevor es zu spät war, doch seine Möglichkeiten waren begrenzt. Schon griff er an seinen Stiefelschaft und zog die schmale Klinge seines Dolches hervor, als ihm sein Glück dann doch noch half.
„Verdammte Ratten. Elendes Viehzeug. Na wartet, jetzt reicht es mir. Ich hol das Gift.“
fluchte der Wächter aufgebracht, eine Ratte musste wohl durch sein Blickfeld gehuscht sein und so die Aufmerksamkeit von seiner eigentlichen Aufgabe abgelenkt haben. Die Worte waren noch nicht richtig verklungen, als sich die Schritte der schweren Stiefel bereits wieder entfernten und Malcom wieder alleine mit den Ratten auf dem Dachboden zurückgelassen wurde.
Erleichtert stieß Malcom den angehaltenen Atem aus, er hatte nicht einmal gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. Er hatte noch eine Chance bekommen und diese würde er jetzt nutzen, um seinen Fehler wieder zu korrigieren. Gewandt schwang er sich an den Balken des Daches zum Loch nach oben, schnell waren einige Schindeln notdürftig über das Loch gelegt und der letzte Spalt mit einem dunklen Tuch verdeckt. Die Tarnung würde des Tages niemanden lagen täuschen, aber jetzt und hier war sie auf jeden Fall besser als nichts. Dem jungen Mann war klar, dass er sich nun noch mehr beeilen und den Dachboden so schnell wie möglich verlassen musste, wenn er nicht doch noch hier entdeckt werden wollte. So machte er sich nun mit großer Eile daran, die nächste Kiste aufzubrechen, allerdings fand er auch hier nicht den gesuchten Talisman, sondern nur alte von Motten zerfressene Kleidungsstücke. Beinahe hätte er enttäuscht den Deckel der Kiste zugeschlagen, doch im letzten Moment bremste er seine Bewegung und schloss sie wieder lautlos.
Eigentlich hatte er noch fünf weitere Kisten vor sich, aber dafür würde die Zeit nicht mehr reichen und das letzte, was er wollte, war sich von dem Wächter hier erwischen zu lassen. Geschickt rollte er seine Werkzeugrolle wieder zusammen und schwang diese wieder auf seinen Rücken. Und gerade noch rechtzeitig, denn er konnte wieder die gedämpften Schritte des Wächters holen und ein leises melodisches Pfeifen. Beinahe geräuschlos schwang sich Malcom auf einen der Stützbalken und betrachtete nun von oben, wie der Wächter seine Bahn durch den Dachboden zog. In der linken Hand hielt der Wächter eine kleine Laterne, während sich in seiner rechten Hand ein kleiner Leinensack befand, aus dem er immer wieder einen kleinen Brocken Speck hervorholte und diesen in die dunklen Ecken des Raumes warf. Dabei pfiff er immer noch zufrieden sein kleines Liedchen, ohne Malcom zu bemerken, welcher an einer Stelle des Rundganges direkt über dem Wächter auf dem Balken kauerte. Dabei hatte der junge Mann den Dolch bereits wieder fest in der Hand, falls der Wächter durch bloßen Zufall nach oben sehen sollte, aber da der Wächter weiter friedlich pfeifend seines Weges ging, blieb ihm diese blutige Tat erspart.
Als der Wächter nun endlich wieder verschwunden war, steckte Malcom den Dolch wieder in den Schaft seines Stiefels zurück, packte den Balken fest mit beiden Händen und schwang sich so wieder auf festeren Untergrund. Das Beste würde es sein, dem Wächter auf seinem Rundgang zu folgen, vielleicht wurde er ja so in den Keller geführt und dann konnte er ja weitersehen. Und so begann der junge Mann dem Schein der Wächterlaterne hinterher zu schleichen, immer darauf bedacht keine Geräusche zu verursachen, was nicht unbedingt leicht bei den knarzenden Dielen des alten Gebäudes war. Den Weg durch die Ausstellungsräume kannte Malcom zwar schon, aber wenigsten erfuhr er auf diese Weise nun auch, wo sich der Ruheraum der Wachen befand. Im Moment war tatsächlich nur ein Wächter auf seiner Runde durch das Gebäude und das Glück verließ den Einbrecher nicht. Während er nun dem Wächter auf seinem Weg durch das Gebäude folgte, fragte sich der junge Mann erneut, warum die Menschen so ein Verlangen danach verspürten, sich die Relikte aus vergangenen Tagen anzusehen. Die wenigsten der Besucher waren alt genug, um sich auch nur entfernt an die Zeiten der ausgestellten Stücke erinnern zu können und das die glorreichen Taten längst verrotteter Helden auf sie abfärbten, konnten sie ja nicht allen Ernstes erwarten. Bei seinem Meister konnte er die Bindung zur Vergangenheit nachvollziehen, immerhin war dieser damals schon über den Boden der Welt gewandelt und so musste der Besuch eines geschichtlichen Museums, wie eine Reise durch die eigenen Erinnerungen sein. Aber bei normalen Menschen war es für ihn einfach unverständlich, einen Besuch in dem Museum der technischen Akademie, wo die Entwicklung mechanischer Geräte dargestellt wurde, konnte er noch nachvollziehen, aber ein Ort wie dieses Museum war nicht in seiner Gedankenwelt unterzubringen.
Doch diese Gedanken verdrängte er schnell wieder, da er sich weiterhin darauf konzentrieren musste, dem Wachmann unbemerkt zu folgen. Als sie dann endlich durch die zahllosen Reihen von Rüstungen, Gewändern und Waffen geschritten waren und den Keller erreicht hatten, atmete Malcom erleichtert auf. Den Weg kannte er nun und es sollte für ihn nun ein leichtes sein, sich an diesem Ort umzusehen und im Anschluss einen Weg nach draußen zu finden. Und als er sah, dass die verschiedenen Türen eine deutliche Beschriftung, in Form von Pergamentseiten, trugen, konnte er spüren wie sein Herz in freudiger Erwartung schneller zu schlagen begann. Kerzen verbreiteten ihren goldenen Schein im Hauptgang des Kellers und geschickt nutzte er die zwischen den Flammen lauernden Schatten, um dem Wächter zu folgen, bis dieser den Keller durch einen zweiten Aufgang wieder verließ. Erst dann gestatte er es sich etwas von seiner Anspannung abfallen zu lassen und die Beschriftungen der Räume durchzugehen. Das Ordnungssystem hier im Keller ergänzte sich mit demjenigen des Dachbodens, wo scheinbar nur Kleidungsstücke und Rüstungen gelagert worden waren, während sich hier die wirklich wertvollen Stücke des Museums befanden. Die Beschriftung an der Tür eines Raumes, ließ Malcoms Herz erneut zitternd schlagen.
Schmuckgegenstände unbekannter Herkunft wurden in diesem Raum aufbewahrt, kaum hatte er dies gelesen, da machte er sich schon daran das schwere Schloss der Tür zu öffnen. Der junge Mann kniete sich vor die Tür, breitete sein Werkzeug neben sich aus und begann den Verriegelungsmechanismus zu untersuchen. Nach einigen Minuten hatte er sich für verschiedene Werkzeuge entschieden und begann nun mit der Manipulation des Schlosses. Leise klickende Laute hallten durch die Stille des Kellerganges, allerdings zu leise, um gehört zu werden, wenn man nicht vollkommen still stand. Auch wenn er nicht wusste, wann die nächste Runde des Wächters erfolgen würde, trieb sich der junge Einbrecher nicht zu unnötiger Hast an, denn er wusste Hast und Eile vertrugen sich nicht mit seiner Tätigkeit. Er musste so ruhig wie möglich arbeiten, ansonsten würden seine Anstrengungen fruchtlos bleiben. Endlich schaffte er es mit Hilfe der schmalen, dreieckigen Metallbleche den Riegel des Schlosses anzuheben und mit einem leisen Klicken öffnete sich der Mechanismus. Nun war es an der Zeit sich zu eilen, schnell zog der Malcom die Tür auf und huschte mit seinem Werkzeug ins Innere des Raumes, bevor er die Tür wieder hinter sich ins Schloss zog. Lieber war er eingesperrt in diesem Raum, als die Türe offen stehen zu lassen und so die Wachen auf sich aufmerksam zu machen. Absolute Finsternis hüllte ihn nun ein, doch nicht für lange, da er eine Kerze aus einem Beutel an seiner Seite zog und mit dem geschickten Einsatz einer Zunderbüchse und einem Holzspan entzündete.
Flackernd tauchte die Kerze den Raum in ihr gelbliches Licht, welches von unzähligen Schmuckgegenständen reflektiert wurde. Die Augen des jungen Mannes weiteten sich vor Überraschung als er all diesen, in seinen Augen, verschwendeten Reichtum zu sehen bekam. Rubine, Diamanten, Smaragde, Gold und Silber, all dies lag funkelnd nun vor ihm, aufgereiht in Regalen und auf Werktischen, wo es wahrscheinlich gesäubert und für die Ausstellung vorbereitet wurde. Es war einfach unglaublich, wie seltsam die Menschen sein konnten, manchen bedeutete Geld offensichtlich gar nichts. Verzaubert vom Anblick des Geschmeides gestatte er es sich kurz durch den Raum zu gehen und seine Hände über verschieden Stücke gleiten zu lassen. Wenn er nur einige Stücke mitnahm, konnte er für Jahre sorglos leben und müsste sich doch nie wieder Sorgen um Geld machen. Dieser Gedanke führte ihn wieder zu seinem Meister und bedächtig zog er seine Hand zurück. Lächerlich worüber er sich Gedanken machte, wenn ihn sein Meister belohnte, würde er sich nie wieder Gedanken über Geld machen müssen, also konnte er sich die eitle Träumerei sparen und einfach seine Mission erfüllen. So begann er mit seiner Durchsuchung des Raumes, während seine Kerze kleine Wachstropfen auf dem kalten Steinboden hinterließ. Nach einer Stunde wollte er nun erschöpft eine Pause einlegen, als plötzlich ein dunkles Funkeln seinen Blick anzog. Verborgen unter einer gewaltigen Halskette aus massivem Gold, konnte der junge Mann eine Hälfte eines Armbandes hervor blitzen sehen. Es war genauso wie es sein Meister beschrieben hatte, Runen waren in das Gold des Talismans geschnitten und schwarzer, glatter Stein war in das Material eingefasst worden. Vorsichtig zog Malcom das Armband unter dem Halsschmuck hervor und betrachtete es genauer im Schein der Kerze. Ja, auch in den glatt polierten schwarzen Stein, waren die Ornamente eingeritzt und er konnte sein Herz schneller schlagen spüren, als ihn die Erkenntnis durchzuckte. Er hatte tatsächlich geschafft, was seinem Meister verwehrt geblieben war. Seine Hände begannen leicht zu zittern und er verstaute das Armband in einem Lederbeutel an seiner Seite, nur langsam wollten sich seine Nerven wieder beruhigen. Doch als seine Hände endlich aufhörten zu zittern, packte er sein Werkzeug zusammen, öffnete den Riegel der Kellertür und zog die Kellertür leicht auf.
Kein Geräusch war vom Kellergang aus zu hören und mit klopfendem Herzen schob sich der junge Mann durch den Türspalt hinaus auf den Gang, wobei er die Tür wieder hinter sich zu zog. Er machte sich nicht die Mühe die Tür wieder zu verschließen, mochten die Menschen doch denken, was sie wollten. Welcher Gegenstand vermisst wurde, würden sie so schnell nicht herausbekommen und bis dahin war er schon lange kein Mensch mehr, dachte er bei sich und schlich durch die Inseln aus Schatten wieder aus dem Keller. Den Weg nach oben auf den Dachboden hatte er sich genau einprägen können und so erreichte er diesen auch schnell wieder, ohne von den Wächtern bemerkt zu werden. Auch wenn sein Herz ihn zu Eile trieb, wurde der Einbrecher nicht unvorsichtig, schließlich musste er den Talisman auch bei seinem Herrn abliefern, sonst war die Belohnung nur ein Traum. Auf dem Dachboden angekommen, war er schnell wieder im Gebälk und machte sich daran seinen Durchgang wieder zu öffnen. Von draußen drang wieder das fahle, grünliche Licht des Mondes in den Dachboden ein, bevor sich der junge Mann wieder auf das Dach zog. Für den Abstieg wählte er nun wieder die Route, die ihn schon auf das Dach geführt hatte, dabei kümmerte er sich nicht um das Loch im Dach. Sollten die Wächter ruhig merken, dass sie übertölpelt worden waren und ihre Herren würden sicher die Peitsche dafür schwingen. Lächelnd kletterte er nun am Gebäude hinab und war schon nach wenigen weiteren Augenblicken in den Schatten der Gassen verschwunden. Nur der Mond war Zeuge dieses Einbruchs geworden.
Zufrieden lächelnd und schwer atmend erreichte Malcom schließlich den neuen Unterschlupf seines Meisters. Niemand war ihm hierher gefolgt und es war gut gewesen, den Unterschlupf zu wechseln, während sein Meister das Haus des Barons von Bingen in Brand gesteckt hatte. Immer noch kursierten Geschichten über den Vorfall in der Stadt, arm und reich beteiligten sich gleichermaßen an den Gerüchten, obwohl es immerhin schon einige Tage her war. Doch dies würde ihn schon bald gar nicht mehr kümmern, er hatte seine Aufgabe erfüllt und sein Meister würde zufrieden mit ihm sein. Allerdings fragte er sich inzwischen auch, was dieser mit den drei Gegenständen vorhatte. Sie mussten sehr wichtig sein, da sie bisher kaum Mühen gescheut hatten die Talismane in die Hände zu bekommen. Vielleicht würde ihn sein Herr heute Nacht ja auch einweihen, dachte er sich zufrieden lächelnd, während er durch das finstere Haus ging. Alle Heimlichkeit war von ihm abgefallen und er bewegte sich mit den sicheren Schritten eines erfolgreichen Mannes. Nach kurzer Suche fand er schließlich seinen Meister im Garten des Hauses vor, von hohen Wänden den Nachbarn verborgen, wie er mit einem wolfsähnlichen Geschöpf zu spielen schien. Verwesungsgeruch stieg dem jungen Mann in die Nase und er musste kurz den Atem anhalten, als er den verfaulenden Leichnam des Wolfes erkannte. Scheinbar hatte sein Meister Langeweile verspürt, da er diese Dienerkreatur erweckt hatte und nun mit dieser, wie mit einem Hund, spielte. Langsam und bedächtig näherte er sich, Angst durfte er keine zeigen, da er nicht die Instinkte des untoten Tieres wecken wollte.
„Ah, da bist du ja wieder Malcom. Du hast dir Zeit gelassen, die Nacht ist beinahe schon vergangen. Hast du, was ich dir zu holen aufgetragen habe?“
Ohne sich nach ihm umzublicken, hatte sein Herr gesprochen, aber dies war nichts besonders für Malcom. Der Vampir hatte scharfe Sinne und kein anderer Mensch hatte Zugang zu diesem Haus. Ein Einbrecher hätte seinen Fehler inzwischen schon bitter gebüßt. Er ging noch einige Schritte näher und ließ sich auf ein Knie herab, beugte ehrerbietig den Kopf, während er den Beutel von seinem Gürtel löste.
„Ja, mein Herr. Ich habe den gesuchten Gegenstand:“
Seine Erwiderung fiel kurz und knapp aus, doch die freudige Erwartung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Mit einer Geste seiner Hände schickte sein Meister den untoten Wolf in eine Ecke des Gartens und wandte sich dann zu Malcom um. Im fahlen Mondlicht sah der Vampir noch unheimlicher aus als sonst. Seine Augen schienen gierige Funken zu schlagen, als er sich dem jungen Mann näherte und seine bleiche Haut wirkte noch bleicher als im Schein von Kerzen und Fackeln. Mit gesenktem Kopf hob der Diener den Beutel seinem Herrn entgegen und versuchte seinen Herzschlag zu beruhigen.
Absolut lautlos schritt der Untote über das Gras des Garten, seine Schritte schienen das Gras kaum zu knicken, und blieb dann vor dem knienden Mann stehen. Langsam und beinahe zögerlich nahm er den Beutel aus den Händen seines Dieners und öffnete die Verschnürung des ledernen Behältnisses. Kaum öffnete sich der Beutel, da drang auch schon ein schwaches Leuchten aus dessen Inneren. Zufrieden schüttelte der Vampir den Gegenstand aus dem Beutel auf seine ausgestreckte Hand und betrachtete ihn im Schein der Monde. Absolute Stille senkte sich nun über den Garten, einzig der Atem des Dieners war noch zu hören, der immer noch vor seinem Meister kniete.
„Das hast du gut gemacht, Malcom. Ich bin zufrieden mit dir.“
Leise flüsternd durchbrachen die Worte die Stille des Ortes und das Herz des Angesprochenen machte einen kleinen Satz. Diese Worte hatte er zu hören gehofft und sein Traum würde sich nun endlich erfüllen. Ohne es zu merken, leckte er sich über die Lippen und sog gierig die Luft ein, die er bald nicht mehr benötigen würde.
„Wirklich zufrieden. Du kannst deine Belohnung sicher kaum noch erwarten?“
fuhr der Untote mit seinen Worten fort, beugte sich nach vorne, um Malcom an seiner Schulter zu greifen und langsam auf die Füße zu ziehen. Die Blicke des Mannes und des Ungeheuers trafen sich und ein Lächeln erschien auf den Lippen des jungen Dieners, als er nur zu nicken wagte. Das Licht des Mondes rahmte den Kopf seines Meisters ein und er konnte nur das Lächeln erkennen, weil sich die langen Fänge von Rest des Gesichtes abhoben. Wie immer verspürte er einen kurzen Stich der Furcht als er auf diese Weise einmal mehr das wahre Wesen seines Herrn zu sehen bekam, aber dies war nun egal. In drei Nächten würde er selbst zu einem solchen Wesen geworden sein und dann würden sie sich die Nacht gemeinsam unterwerfen.
Plötzlich schoss die Hand des Vampirs nach vorne und umfasste Malcoms Hals. Mit unglaublicher Kraft wurde der Mann nach oben gehoben und für einen Moment vergaß er jegliche Gegenwehr. Sein ganzer Körper erstarrte im Schock, als er nun bemerkte, dass irgendetwas nicht richtig verlief. Unmenschliche Augen starrten ihn von unten aus dem Gesicht seines Meisters an und verzweifelt schlug er mit seinen Armen um sich. Doch es war als würde er gegen eine Statue schlagen, seine verzweifelten Schläge ließen den Vampir nicht einmal wanken.
„Leider weißt du zu viel, kleiner Malcom. Und meine Macht teile ich mit niemandem, nicht einmal mit einem so guten Diener. Du hättest nur versucht mich zu betrügen, wie es immer geschieht.“
Diese Worte fraßen sich in den Kopf des jungen Dieners, seine Augen weiteten sich in Unglauben und alle seine Muskeln erschlafften, so dass sich der Schritt seiner Hose dunkel färbte. Mit aller Macht wehrte er sich gegen den Griff des untoten Wesens, doch schon begann er zu spüren, wie ihm die Sinne schwanden. Der Griff raubte ihm die Luft zum Atmen und strampelnd trat er um sich, doch der Erfolg blieb aus. Sein Blick begann sich zu trüben und schwarze Schatten erschienen am Rande seines Gesichtsfeldes, als plötzlich scharfer Schmerz seine Brust durchzuckte. Feuer schien in seiner Brust zu brennen und er blickte an sich herab, nur um zu sehen, dass die andere Hand des Meister in seinem Brustkorb steckte und sich nun mit einem nassen Reißen wieder zurückzog. Mit offenem Mund sah er den Klumpen blutigen Fleisches in der Hand des Vampirs und einen Moment bevor ihn die Schwärze umfing, erkannte er sein eigenes noch zuckendes Herz.
Achtlos ließ Simon den Körper des Mannes auf den Boden fallen, ebenso wie das Herz des Menschen, bevor er sich das Blut von den Fingern seiner linken Hand leckte. Mit einem leisen Pfiff rief er den untoten Wolf herbei, welcher sofort begann, sich an der noch warmen Leiche gütlich zu tun. Es war Verschwendung, aber den Blutkuss würde er nicht weitergeben und sobald er die Talismane zum Triskelon vereint hatte, war ein Mitwisser nur gefährlicher Ballast. So war es besser gewesen und er hatte ihn schnell sterben lassen, dies war die wahre Gnade der Vampire. Langsam strich er über den nun blutigen Talisman und spürte, wie er sich mit seinen Gegenstücken verbinden wollte. Kalt lächelnd ging er in Richtung des Hauses zurück, schon bald würde er die Macht haben, die er so sehr begehrte. Dann würde ihn niemand mehr aufhalten können und auch keinen Tagesdiener mehr benötigen. Mit ruhigen Schritten ging er zurück in Richtung des Gebäudes, während hinter im das untote Wesen mit reißenden, schmatzenden Lauten von der Leiche fraß. Sein Blick wanderte kurz nach oben zum Mond, der seit Jahrhunderten der einzige Lichtspender in seinem Unleben gewesen war. Bald würde sich dies ändern und er konnte es kaum noch erwarten. Doch in dieser Nacht musste er sich noch in Geduld fassen, die Zeit für das letzte Ritual war noch nicht gekommen. Und mit diesen Gedanken verschwand Simon im Haus und ließ das fressende Wesen im Licht der Monde zurück, die als einzige Zeugen die Ereignisse beobachtet hatten.