Kapitel 3 der Geschichte "Schattengeflüster" aus der Rabenfels-Chronik
Um ja keine Wort zu übersehen, fuhr Marcus, mit dem Zeigefinger über die Seiten des schweren Buches auf seinem Schreibtisch. Es war in schwarzem Leder gebunden und mit schwarzem Eisen beschlagen, nur Eingeweihte würden erkennen, dass dieses Leder einst den Körper eines Menschen geziert hatte. Ebenso schwarz wie der Einband, waren auch die Seiten dieses Buches, die Schrift im harten Kontrast dazu, war von einem hellen weiß. Es war nicht zu erkennen, auf welche Art und Weise dieses Werke geschrieben worden war, mit weißer Tinte auf schwarzem Pergament oder ob bei der Färbung des Pergamentes die Lettern ausgespart worden waren. Doch dies alles kümmerte den Zauberlehrling nicht, er war einzig am Inhalt des Buches interessiert. Auch wenn man ihn wohl verbrennen würde, wenn die falschen Personen Kenntnis von seinen privaten Studien erlangten. Doch auch diese Konsequenzen würden bald nichts mehr bedeuten, denn er war auf dem Weg wahre Macht zu erlangen, er würde stärker und besser sein als seine Lehrer, welche dies nie für möglich halten würden, dass sich der schüchterne und oft so tollpatschige Marcus mit solchen Werken des Verderbens befasste. Einfältige Narren, das waren sie, sie würden wahre Größe nicht einmal dann erkennen, wenn sie ihnen die Nase abbiss. Schon bald würde er über sie lachen und dafür sorgen, dass sie sich im Staub vor ihm wanden. Aber erst musste er lernen, diese neuen Kräfte zu beherrschen und zu schulen. Erst wenn ihm dies gelungen war, konnte er daran gehen sich zu nehmen, was ihm sowieso schon immer zugestanden hatte.
Ein gefährliches Lächeln erschien auf seinen Lippen, während er den Abschnitt zu Ende las. Heute Nacht würde er zum ersten Mal versuchen, dass gelernte Wissen anzuwenden und wenn es ihm gelang die Winde der Magie so zu lenken, wie es ihn diesem Buch geschrieben stand, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er sein Ziel erreichte. Fast schon wehmütig schloss er das Buch und betrachtete es voller Hingabe und Bewunderung, wie wunderschön Leder und Metall sich ergänzten und dies war nur der Einband, der wahre Schatz lag zwischen den Seiten verborgen. Marcus konnte sich wirklich glücklich schätzen, dass er diesen Schatz in dem kleinen Nebenraum der Bibliothek seines Meisters gefunden hatte, als er wieder einmal damit beschäftig gewesen war, Staub und die Überreste von Nagetierauscheidungen zu entfernen. Sonst war dieser Raum immer verschlossen gewesen, aber darüber hatte sich Marcus keine Gedanken gemacht, er hatte einfach nur diese erniedrigende Aufgabe hinter sich bringen wollen und hatte stattdessen diesen Schatz gefunden.
Es war fast so gewesen, als hätte das Buch nach ihm gerufen. Zärtlich strich er nun mit seiner Rechten über den Einband, das Buch fühlte sich beinahe warm an, als wäre es ein Lebewesen und auch wenn dieser Eindruck wohl nur seine Phantasie entsprang, so war der Gedanke doch irgendwie tröstlich für den angehenden Magier. Nach dieser kurzen gedankenversunkenen Pause zog er ein dunkles Tuch hervor, welches er dazu benutzte, das Buch sicher einzupacken, damit es beim späteren Transport vor Schaden geschützt war. Anschließend legte er das Päckchen vorsichtig zu unterst in eine lederne Umhängetasche, in welche er dann die anderen Utensilien für sein nächtliches Experiment packte.Im Geiste überprüfte er ein weiteres Mal den Stand seiner Vorbereitungen und richtete sein besonderes Augenmerk auf die Vollständigkeit seiner Materialien, schließlich nickte er zufrieden, da er nichts vergessen hatte und ihm damit nichts mehr im Weg stand sein Experiment durchzuführen.
Genug getrödelt, befand er für sich selbst, noch war er seinem Lehrmeister Rechenschaft schuldig und dieser würde ihm garantiert keinen freien Abend gönnen, wenn er seine Aufgaben nicht erfüllte. Und so machte sich Marcus daran, seine anderen Studien vorzubereiten. Als erstes musste er einige Schutzkreise und Pentagramme zeichnen, die ihn vor den Gefahren bei einer Beschwörung der Magie schützen sollten. Natürlich war dies nur eine Aufgabe für Lehrlinge, richtige Magier hatten andere Mittel und Wege sich zu schützen. Es fiel ihm schwer sich auf die Aufgabe zu konzentrieren und mehr als einmal musste er von neuem beginnen, weil seine Linien nicht exakt genug waren, doch schließlich hatte er die leidige Aufgabe hinter sich gebracht. Nun musste er nur noch drei Absätze aus dem Buch des Feuers auswendig lernen, was für ihn sogar noch schwerer war, da er zu spüren glaubte, wie sich langsam der Abend näherte und Ungeduld an seinen Nerven zehrte. Endlich gelang es ihm die drei Absätze fehlerfrei aufzusagen, aber Erleichterung wollte sich nicht bei ihm einstellen, da er nun bei seinem Meister vorsprechen musste. Wenn dieser zufrieden war, konnte Marcus darauf hoffen, die heutige Nacht in der Stadt verbringen zu dürfen. Und dies war nun mal die Voraussetzung für die Durchführung seines Experimentes, so dass es kaum verwunderlich für ihn war, seinen Herzschlag in den Schläfen zu spüren, als er sein Zimmer verließ und sich auf den Weg zum Studierzimmer seines Meisters machte.
Unruhig und mit hämmerndem Herzen stand er vor der Tür seines Lehrmeisters und einen Moment zögerte er mit erhobener Hand, bevor er sie zur Faust schloss und laut anklopfte. Sein Herz schlug ihm nun bis zum Hals, immerhin hing sein ganzer Plan davon ab, dass er seinen Meister zufrieden stellte und nun da er vor dieser Hürde stand, wurde ihm vor Aufregung beinahe schlecht. Als dann endlich der Ruf von drinnen ertönte, atmete Marcus noch einmal tief ein, öffnete die Tür und trat dann in den Raum. Nun würde sich zeigen, ob er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte.
Selbstzufrieden lächelnd schritt Marcus durch die Straßen von Arnulfsheim, während in der Ferne der Sonne Licht den Horizont in rotgoldene Flammen tauchte. Seine Schritte waren federleicht und beschwingt, da er die Aufgaben für seinen Meister zu dessen vollster Zufriedenheit erledigt hatte. Es war schon beinahe unheimlich gewesen, wie sicher und gelassen er auf die Fragen reagiert hatte, nachdem er sich erst so viele Sorgen gemacht hatte. Aber das war nun egal, er hatte diese Nacht Ausgang erhalten und musste erst am nächsten Morgen wieder beim Unterricht sein und dies war alles, was für Marcus in Bezug auf seinen Meister zählte. Aber nun würde er als erstes die Freiheit außerhalb der Mauern genießen, immerhin hatte er noch ein paar Stunden Zeit, bis er am Ort seiner nächtlichen Unternehmungen sein musste. Und so beschloss Marcus erst einmal durch die Straßen der Stadt zu ziehen und sich am Leben zu erfreuen, bevor er sich auf den alten Friedhof schleichen würde, um dort sein Experiment zu beginnen. Und obwohl er es wirklich geplant und sich darauf gefreut hatte, seine Zeit in einigen der teuren Buchhandlungen und Tavernen zu verbringen, konnte er sich nicht darauf konzentrieren.
Immer wieder begannen seine Gedanken um sein Experiment und das Buch zu kreisen und je mehr er sich anstrengte, dies zu verhindern, desto bestürzender war es, wenn sie sich wieder ganz langsam und allmählich in den Vordergrund schoben und sein Denken darum kreisen ließen. Erst erschreckte ihn der Gedanke, dass das Buch vielleicht Macht auf ihn ausüben könnte, bevor er den Gedanken verwarf und sich klar machte, dass es einen anderen Grund hatte. Schließlich plante er das Experiment bereits seit einigen Wochen, hatte dabei viel Zeit und Aufwand in die Vorbereitungen gesteckt und so war es doch nur verständlich, wenn er endlich den Lohn für seine Mühen einstreichen wollte. Sich auf diese Weise beruhigend, machte sich Marcus nun auf den Weg zu einem alten Friedhof, welcher sich am Rand der gewaltigen Stadt befand und den er bereits vor Wochen für seine Experimente ausgesucht hatte.
Der Ort musste abgelegen sein und über große Mausoleen verfügen, wenn er ungestört seiner Arbeit nachgehen wollte. Beide Eigenschaften vereinte dieser Ort, er musste es nur noch schaffen, sich an den Priestern des Charon vorbei zu schleichen und in ein Mausoleum einzudringen, dann konnte er endlich anfangen. Marcus fiel es gar nicht auf, dass sein Plan immer noch auf sehr schwachen Füßen stand und von vielen Eventualitäten abhing, beinahe sorglos marschierte er durch die Stadt, während die Nacht langsam von der Welt Besitz ergriff. Zwei Stunden später hatte er endlich den Garten Charons erreicht und beobachtete ihn von einem nahegelegenen Versteck aus. Die Mauern waren nicht besonders hoch und die Priester Charons hatten hier keine ständige Unterkunft mehr. Das Gebäude, welches früher diesen Zwecken diente, schien verlassen, bis auf ein oder zwei Priester, die hier ihren Wachdienst verrichteten. Ob es wirklich zwei unterschiedliche Männer waren, konnte Marcus nicht sagen, die langen schwarzen Kapuzenmäntel verbargen zu viel, einzig an Haltung und Gang könnte man sie auf Entfernung unterscheiden. Nachdem er sich die Zeit genommen und drei Stunden ruhig wartend den Friedhof beobachtet hatte, begann der Zauberlehrling zu handeln.
Gerade eben war der Priester von seinem Kontrollgang zurückgekommen und verschaffte Marcus damit die benötigte Zeit für sein Eindringen. Der Frevel seiner Tat und die Konsequenzen, wenn er dabei gefasst werden würde, blitzten nur noch am Rande seines Bewusstseins auf und er maß diesen Umständen keinerlei Bedeutung mehr zu, immerhin stand er kurz davor endlich wahre Macht zu erlangen, fern von den Regeln seines Meisters und denen der Schule. In seiner Vorstellung hatte er sich förmlich über die Mauer fliegen sehen, aber nun musste er feststellen, dass es doch wesentlich anstrengender und schweißtreibender war, als er gedacht hatte. Doch schließlich glitt er schwer atmend auf der Innenseite der Mauer auf den Boden und nur der Mond, Aegis-Auge, war Zeuge für das Eindringen des jungen Mannes. Der fremdartige Geruch des Leichengartens drang ihm in die Nase, der Geruch von verrottenden Blumen und auch von Verwesung hing schwer in der Luft und ließen ihn kurz inne halten. Aber nicht aus Ekel, sondern weil er erkannte, dass dies wirklich ein Ort war, an dem er wahre Größe erlangen konnte.
Marcus konnte den Grund dafür nicht benennen, aber er konnte spüren, dass hier an diesem Ort alles genau so war, wie es für seine Zwecke sein musste. Er wunderte sich nicht einmal mehr, woher er dieses Wissen hatte, sondern eilte so schnell wie möglich zwischen den Gräbern hindurch auf die Mausoleen zu. Sein Herz schlug ihm wieder bis zu Hals, als er sich fragte, wie er den richtigen Ort erkennen sollte, doch kaum war er in der Nähe der Mausoleen angelangt, wusste er welches geeignet für seine Zwecke sein würde. Schnell huschte er im Schutz der tiefen Schatten heran und wollte gerade die Brechstange aus seiner Ledertasche ziehen, als seine Hände auch schon, wie von selbst, einige Zeichen in der Luft formten.
Kurz flackerte schwarzes Licht um seine Finger und den Eingang des Mausoleums auf, da schwang auch schon die schwere, massive Tür lautlos auf. Etwas überrascht verharrte Marcus für einige Sekunden, hatte er nicht gerade leise Worte gemurmelt, die er nicht einmal kannte. Woher war dieser Zauber gekommen, fragte er sich und Kälte wollte nach seinem Herzen greifen, bis er sich an einen solchen Zauber zu erinnern glaubte, den er im schwarzen Buch gelesen hatte. Ja, so musste es gewesen sein und sein Instinkt hatte ihn diesen Zauber versuchen lassen. Der Erfolg sprach für ihn, wenn dies nicht seine Bestimmung war, wieso sonst war ihm der Zauber so leicht von der Hand gegangen.
Seine Erstarrung löste sich und schnell huschte er in durch den Eingang des Mausoleums, bevor er die Tür hinter sich zu zog. Zufrieden hörte er den Riegel einschnappen und nun beschwor er eine Kugel aus Licht, denn jetzt musste er sich nicht länger verstecken und konnte seine Kräfte frei einsetzen. Das bleiche Licht der magischen Kugel enthüllte ihm das Innere des Grabmales. Es musste sich um ein altes Familiengrab handeln, denn hier über der Erde befand sich nur der Eingangsbereich mit dem steinernen Sarg des ursprünglichen Familienoberhauptes. Ein kurzer Blick auf die Zeichen, die in den Stein des Sarges geschlagen worden waren, zeigte Marcus, dass dieses Grab bereits vor zweihundert Jahren zum ersten Mal benutzt worden war und damit wirklich ideal für seine Zwecke sein würde.
Links und rechts vom dem zentral liegenden Steinsarg führten zwei Treppen nach unten, wo sich wohl die restlichen Gräber befinden würden. Und genau dort würde Marcus sein Experiment durchführen, ein siegessicheres Lächeln erschien auf seinen Zügen, das bleiche Glühen seiner Lichtkugel gab ihm dabei einen ungesundes Aussehen, wobei er selbst nicht die kleine schwarze Linie bemerkte, die sich nach dem Öffnen der Tür auf seinem linken Handrücken gebildet hatte. Schnell eilte er die linke Treppe nach unten, wo er in einem großen Raum angelangte, an dessen Wänden sich die Särge der übrigen Familienmitglieder befanden. Nun den Anweisungen des Buches folgend, stellte sich Marcus in die Mitte des Raumes und ließ kurz den Blick schweifen. Genau hier und in diesem Moment konnte er es fühlen, Macht hatte sich an diesem Ort gesammelt und er öffnete seinen Blick für die Winde der Magie. Ja genau hier, wo er stand gab es einen Knotenpunkt aus dunkler Energie, genau die Art von Energie, die ihm zu wahrer Größe und Unsterblichkeit verhelfen würde.
Fast schon andächtig ließ er seine Tasche zu Boden gleiten und kniete sich daneben, bevor er anfing die Zutaten für sein Experiment herauszuholen und neben der Tasche auszubreiten. Leise klirrend legte er zwei große Phiolen mit einer schwarzen Flüssigkeit auf den Boden, darauf folgten 5 schwarze Kerzen, ein kleines scharfes Messer, ein Tongefäß und schließlich das schwarze Buch, welches er nun von seinem Schutz aus Leinen befreite. Schnell hatte er die richtigen Seiten aufgeschlagen, aber nun stellte er überrascht fest, dass er sie gar nicht mehr zu lesen brauchte. Er wusste genau, was er nun zu tun hatte. Langsam griff er nach dem Tongefäß, öffnete es und begann den Inhalt um sich herum in einem perfekten Kreis auszuschütten. Salz rieselte auf den Boden und formte eine gleichmäßige Linie, als nächstes nahm sich Marcus die erste der Phiolen, brach deren Siegel und begann mit seinen Fingern arkane Schutzzeichen um den Kreis herum auf den Boden zu zeichnen. Als er dies beendet hatte, musste er dem unerklärlichen Drang widerstehen, sich das Blut von den Fingern zu lecken, denn nichts anderes befand sich in den Phiolen. Kurz kämpfte er gegen den Drang an und gerade als er glaubte ihn besiegt zu haben und nach der anderen Phiole griff, musste er feststellen, dass er das Blut bereits abgeleckt hatte.
Ein ungutes Gefühl wollte sich einstellen, aber diesem Gefühl wurde er leicht Herr. Schnell und konzentriert zeichnete er mit dem verbliebenen Blut einen Stern mit fünf Zacken in den Kreis, in dessen Mitte er sich nun befand. Seine Tasche und das Buch lagen außerhalb des Kreises, aber dies störe ihn nicht, schließlich musste er nur noch die Kerzen aufstellen, bevor er die Vorbereitungen für sein Experiment beenden konnte. So stellte er die Kerzen an die Spitzen des Pentagramms und entzündete sie mit einem Wort der Macht und ließ dabei seine Lichtkugel verlöschen. Das flackernde Licht der Kerzen erfüllte nun den Raum und ließ die Schatten beinahe lebendig wirken, Angst konnte der Zauberlehrling nicht fühlen, dazu war er nun zu sehr auf die richtige Ausführung seiner Handlungen konzentriert. Nachdem nun die Kerzen brannten, fehlte nur noch der letzte Schritt, um den Kreis zu schließen und damit die Voraussetzungen für die Durchführung des Zaubers zu schaffen. Seine Hände zitterten nicht als er sich nach dem Messer bückte und es an sein linkes Handgelenk hielt. Ein scharfer Ruck und schon begann Blut zu fließen.
Leise begann er nun die Worte des Rituals zu murmeln und wobei er dafür sorgte, dass Tropfen seines Blutes auf den Kreis aus Salz fielen. Er begann mit den Spitzen des Sterns, bevor er in regelmäßigen Abständen das Blut auf den Kreis fallen ließ. Schneller und schneller intonierte er die Worte, bis er schließlich spüren konnte, dass sich der magische Kreis geschlossen hatte. Mit einem Schlag veränderte sich das Licht der Kerzen, sie brannten nun mit schwarzen Flammen und doch war das Licht nicht verschwunden. Energie durchströmte den Zauberlehrling in der Mitte des Kreises wie ein starker Sturmwind und reinste Verzückung durchfuhr ihn in diesem Moment. Normalerweise verspürte er die Macht der magischen Energien nur schwach und dies waren für ihn schon Augenblicke, in denen er sich beinahe allmächtig fühlte. Doch was er nun empfand, war jenseits des schwachen Tröpfelns, welches er sonst fühlte. Wie ein Wasserfall strömte die Energie des schwarzen Windes durch seine Glieder und in seiner Hose breitete sich ein feuchter Fleck aus, als sein Körper versuchte die aufsteigende Erregung in einem Höhepunkt versiegen zu lassen. Aber dies genügte nicht, er musste die Energien irgendwie in eine Bahn zwingen. Und wieder schien er instinktiv zu handeln, richtete eine Hand auf das nächste Grab und sprach harsche Worte der Anrufung.
„Erhebe dich, mein Diener. Dein Geist mag vergangen sein, doch nun befehle ICH!“
Marcus wusste nicht einmal mehr, woher diese Worte kamen, doch sie schienen nur zu richtig und passend. Sein magischer Blick zeigte ihm, wie die Energien, die sich in dem Kreis sammelten, ein neues Ziel fanden. Mühelos drangen schwarze Ranken durch den steinernen Sarg und in dessen Inneres. Erst schien nichts zu geschehen, aber der Zauberlehrling konnte deutlich fühlen, wie sich das Skelett im Inneren des Sarges neu zusammensetzte. Er konnte spüren, wie sich Knochen neu verbanden und nun durch Magie an ihrem Platz gehalten wurden. Und als sich der Deckel des Sarges hob und krachend zu Boden fiel, konnte er nur mit Mühe einen Schrei des Triumphes unterdrücken, es war ihm gelungen und das beim ersten Mal.
Seine Augen hefteten sich auf das Skelett, welches immer noch vermoderte Fetzen seiner Begräbniskleidung trug, das sich mit knackenden Knochen aus dem Sarg erhob und sich gegenüber von seinem neuen Meister aufstellte. Fasziniert betrachtete der Zauberlehrling seine Schöpfung und war so von diesem Anblick gefesselt, dass er nicht auf die Reaktionen seines eigenen Körpers achtete. Seine Adern hatten sich inzwischen schwarz verfärbt, während seine Haut unnatürlich bleich geworden war. Doch diese Veränderungen waren durch den Ansturm der Magie verdeckt worden und er würde erst später feststellen, welchen Preis er für das Erlangen seiner neuen Macht gezahlt hatte. Gerade wollte Marcus dem Skelett den Befehl geben, die Arme zu heben und sich dem Kreis zu nähern, als es dies bereits auf seine bloßen Gedanken hin tat. Dies überraschte und erfreute ihn gleichermaßen und für einen Moment achtete er nicht auf seine Gedanken, so dass das Skelett gegen den Kreis lief.Mit einer krachenden Entladung schwarzer Energie wurde es zurück geschleudert und zerbarst in einer Explosion aus Knochenstaub an der Wand.
Ein Glucksen erklang nun in der Kammer, welches sich langsam zu einem lauten Lachen steigerte. Er hatte es wirklich geschafft, sein Meister würde vor ihm auf dem Boden kriechen und ihn um Gnade anwinseln. Endlich würden alle erfahren, zu was er wirklich fähig war. Immer noch wie irre lachend, streckte er beide Arme aus und deutete auf die verbliebenen Särge. Knirschend öffneten sich deren Deckel aus Stein und fielen dann krachend auf den Boden, als sich die Skelette erhoben. Sie formierten sich um den Schutzkreis, wie stumme Wächter, während der Zauberlehrling immer noch im Rausch seiner Macht schwelgte. Doch nun musste er sich im Umgang mit seiner Macht üben, damit er keine Überraschungen erlebte. Immer wieder und wieder entzog er den Skeletten nun die Energie, um sie dann so schnell wie möglich wieder erstehen zu lassen. Bei seinen letzten Versuchen genügten schon Gesten mit seinen Händen, um die Macht des schwarzen, magischen Windes zu kanalisieren und den Skeletten das Leben einzuhauchen. Anstrengung verspürte er keine, es war schon beinahe unglaublich, wie stark er hier an diesem Ort war. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf sein Experiment mit den Skeletten gerichtet, so dass er von dem Klatschen hinter seinem Rücken vollkommen überrascht wurde. Erschrocken fuhr Marcus herum und blickte auf die Gestalt eines Mannes, der hinter ihm auf der Treppe stand und dort klatschend an der Wand lehnte. Die Züge des Fremden waren fein geschnitten, die Haare dunkel und lang. Unter seinem rechten Arm klemmte ein Spazierstock mit einem silbernen Knauf und Belustigung war in seiner Miene zu erkennen.
„Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht. Du scheinst schnell zur lernen.“
Die Stimme war klar und kalt, wie sie so durch den Raum halte und die Belustigung fiel von dem fremden Mann ab, wie ein Mantel. Langsam richtete dieser sich auf und trat näher an Marcus heran. Sofort schoben sich zwei Skelette, auf den geistigen Befehls des jungen Magiers, zwischen sich und den Mann. Gefahr strahlte von diesem aus, in beinahe schon greifbaren Wellen, und der Zauberlehrling konnte sich nicht erklären, warum ein einfacher Mann ihn so beunruhigen konnte.
„Wer hat dich unterrichtet? Oder hast du andere Hilfsmittel für dich entdeckt, als die angestaubten Ideen deiner Lehrer?“
Die Fragen kamen wie beiläufig, doch Marcus konnte einen Seitenblick auf das Buch außerhalb des Kreises nicht verhindern. Sofort stand ein Skelett neben dem Buch und hob es auf, um es nach hinten zu den Särgen zu bringen. Diese Reaktion entlockte dem Mann ein raubtierhaftes Lächeln und er trat näher an die beiden Skelette heran, seinen Stock hatte er wieder in der Hand und mit einem leisen Klacken setzte er die Spitze auf den Boden.
„So, so. Du hast also das Buch von Varun gefunden. Und ich dachte, es wäre von einem Magier vernichtet worden.“
flüsterte der Fremde leise und blickte direkt in die Augen des jungen Magiers. Doch irgendetwas schien ihm nicht zu gefallen, denn er runzelte plötzlich die Stirn und unterbrach den Blickkontakt. Hatte Marcus gerade gespürt, wie irgendetwas versucht hatte den Kreis zu durchdringen oder bildete er sich das nur ein? Sein Blick wanderte über die Gestalt des Fremden und plötzlich erkannte er, womit er es zu tun hatte. Ein Vampir stand vor ihm und wahrscheinlich hatte er gerade versucht seinen Geist zu übernehmen. Ein kaltes Lächeln erschien auf den Lippen des jungen Mannes, so einfach war er nicht zu kriegen.
„Und wenn schon, das Buch gehört jetzt mir, Blutsauger. Und du machst dich besser von dannen, bevor ich dich von meiner Macht kosten lasse.“
knurrte er leise. Ein Ruck ging durch die Skelette und schon schoben sie sich näher an den Fremden heran, der aber in keinster Weise besorgt zu sein schien. Und er machte auch keine Anstalten sich zu entfernen, sondern lächelte nur immer noch raubtierhaft bei den Worten des jungen Menschen. Und plötzlich kam Bewegung in den Vampir, schneller als das Auge von Marcus folgen konnte, wirbelte er seinen Stock nach oben und führte zwei schnelle Hiebe, welche die Skelette in seiner unmittelbaren Umgebung einfach enthaupteten. Klappernd fielen die Knochen zu Boden, während der Vampir bereits seinen Stock mit beiden Händen griff und mit einem Ruck, die Klinge zückte, die sich im Inneren des Holzes verborgen hatte.
In einem funkelnden Halbkreis fuhr die Klinge auf das nächste Skelett herab und teilte es mit einem sauberen Schnitt genau in der Mitte, gleichzeitig schlug er mit der Gehstockscheide einer anderen Dienerkreatur den Brustkasten ein. So waren vier seiner Diener vernichtet worden, bevor Marcus auch nur die Gelegenheit gefunden hatte zu reagieren. Der Vampir stand wieder an seinem Ausgangspunkt, die zerstörten Knochen lagen kreisförmig um ihn herum verteilt und er blickte den menschlichen Magier wieder an.
„Gib mir das Buch und ich verschwinde.“
Die Forderung war nun frei von jeglichem menschlichen Gefühl und Marcus erschauerte bis ins Mark. Weder wollte er das Buch aufgeben, noch sich mit dem Monster messen, er wusste einfach noch nicht, ob seine Macht schon für eine solche Probe ausreichen würde. Kurz flackerte eine Frage am Rand seines Geistes auf, wie hatte der Vampir ihn eigentlich finden können, doch dafür musste er sich später Zeit nehmen, wenn es denn ein „Später“ überhaupt noch gab. Seinem geistigen Befehl folgend stürzten sich nun die verbliebenen Skelettdiener auf den Vampir, sie würden ihm aber nur Zeit zum Nachdenken erkaufen können und nicht viel mehr.
Wieder erfolgte die Reaktion des Ungeheuers mit übermenschlicher Schnelligkeit und Stärke. Wie in einem fein abgestimmten Tanz tauchte er zwischen den Skeletten durch und die Hiebe seiner Klinge waren funkelnde Bahnen aus Stahl, die mühelos durch die alten Knochen schnitten. Die getroffenen Gegner fielen zerschnitten und zerschlagen auf den Boden, die Klinge des Vampir wob ein tödliches Netz aus Stahl in die Luft, welches keine Möglichkeit des Entrinnens für die Skelettdiener bot. Nach wenigen Herzschlägen lagen die Knochen der wiederbelebten Körper auf dem Boden und der Vampir schnellte mit gezückter Klinge auf Marcus zu. Dieser konnte nur noch die Augen schließen und den Kuss des kalten Stahls erwarten, doch dieser blieb aus.
Das Geräusch einer Entladung von magischer Energie erfüllte den Raum und er konnte gerade noch sehen, wie der Körper seines Angreifers durch die Luft geschleudert wurde. Die Entladung war so stark, dass der Körper des Vampirs den Steinsarg zertrümmerte, gegen welchen dieser geschleudert wurde. Dies bedeutete jedoch noch kein Sieg für Marcus, denn beinahe augenblicklich war das fremdartige Wesen wieder auf den Füßen. Seine Kleidung schien zu schwelen, wo es von der Entladung des Schutzkreises getroffen worden war und das Gesicht hatte sich zu einer albtraumhaften Fratze verzogen, die mehr einem Tier als einem Menschen glich. In den dunklen Augen des Vampirs brannte ein unmenschliches Feuer und deutlich waren nun die langen Zähne zu erkennen, als er sich mit einem tierhaften Brüllen erneut auf Marcus stürzte. Doch wieder hielt der Schutzkreis stand und schleuderte den Vampir zurück, allerdings war dieser nun darauf vorbereitet und fing sich wieder, bevor er erneut gegen eine Wand oder einen Sarkophag geschleudert werden konnte.
Lauernd umkreiste das Nachtwesen nun Marcus und schien nach Schwachstellen in dessen Schutz zu suchen. Immer wieder zuckte die Klinge vor und wurde vom Schutzkreis abgewiesen, so dass sie sich schon nach wenigen Schlägen schwarz verfärbt hatte. Plötzlich ruckte der Kopf des Vampirs herum und ein dämonisches Grinsen erschien auf dem Gesicht. Er hatte das letzte Skelett entdeckt, welches immer noch das Buch hielt. Eisige Furcht erfasste das Herz von Marcus, als sich der Vampir nach vorne warf und mit einem einzigen gewaltigen Hieb das Skelett zerteilte. Geschickt fing er das Buch auf noch bevor es den Boden berührte und drehte sich dann zu Marcus um.
„Das hättest du auch einfacher haben können, Mensch. Nun….“
Doch weiter kam das Ungeheuer in Menschengestalt nicht, denn ein schwarzer Blitz zuckte von Marcus Hand aus dem Kreis und traf es mitten in der Brust. Die Wucht schleuderte den Vampir wieder gegen eine Wand und seine Kleidung fing Feuer. Kreischend und fluchend riss er sich die Kleidung vom Leib, wobei er sich hinter einem der Steinsärge in Deckung brachte.
„Ahhh. Komm doch raus, Blutsauger. Komm schon. Ich werde dir zeigen, was es bedeutet sich mit mir anzulegen.“
rief der junge Magier voller Triumph und schleuderte einen weiteren Blitz, der allerdings an der Deckung des Vampirs verpuffte, allerdings nicht ohne dem steinernen Material Schaden zuzufügen. Doch scheinbar wollte es dieser nicht auf einen magischen Schlagabtausch ankommen lassen, denn Marcus konnte nur noch einen Schemen erkennen, als das Ungeheuer mit einem gewaltigen Satz die Treppe erreichte und so außerhalb seines Blickfeldes war.
„Das wirst du mir büßen, Mensch. Wir sehen uns wieder.“
Die Worte waren nicht mehr als ein Fauchen, pure Bosheit lag in darin, doch Marcus konnte spüren, wie sich die Präsenz des Wesens schnell, sehr schnell von ihm entfernte. Erleichtert atmete er auf, doch erst nach einer Stunde verließ er den Kreis. Er brauchte das Buch, er hatte noch nicht einmal einen Bruchteil seines Wissens erlangt und nun hatte es dieses Ungeheuer gestohlen. Doch diesem Problem würde er sich stellen, wenn er den Ort hier verlassen hatte. An die Schule würde er nicht mehr zurückkehren, er hatte von der wahren Macht der Magie gekostet und würde nicht länger darauf verzichten. So schlich sich der junge Magier, der in einer einzigen Nacht der Nekromantie verfallen war, von dannen und sann auf seine Rache, während der Vampir an einem anderen Ort der Stadt seine Wunden leckte.
Er konnte es nicht glauben, dass dieser schwächliche Mensch ihn so leicht hatte verletzten können. Er hatte die Anrufung der schwarzen Magie gespürt und aus reiner Neugier hatte er herausfinden wollen, was es damit auf sich hatte. So war er dann über den jungen Magier gestolpert und es hatte sich als Glücksfall erwiesen, zumindest zum Teil. Nun saß er hier in seinem Unterschlupf und trank Blut aus einem Weinglas, während sein Diener ihm frische Kleidung brachte. Die Verbrennungen waren nicht allzu schlimm, aber schmerzhaft und demütigend. Doch Varuns Buch war die Sache wert gewesen, er hätte niemals damit gerechnet dieses Artefakt hier zu finden, hatte sogar geglaubt, dass es zerstört worden war. Seiner eigentlichen Suche half es bisher noch nicht weiter, aber immerhin hatte er schon den Ring gefunden. Dieser Ring lag nun neben dem Buch auf dem alten Schreibtisch und leuchtete sanft im Licht des Mondes. Nooch immer fehlten ihm die zwei anderen Gegenstände, doch Varuns Buch konnte ihm vielleicht bei der Suche helfen.
Varun war ein mächtiger Nekromant gewesen und er konnte einen Teil des Geistes in diesem Buch spüren, leise flüsternd schien es zu ihm zu sprechen und hatte dies sicherlich auch mit dem jungen Magier getan, der wohl nicht einmal den Einfluss des Buches bemerkt hatte. Seine kühlen Finger strichen über den Einband aus Menschenhaut, während er schon spürte wie sich seine Verletzungen durch den Genuss des Blutes zu schließen begannen. Ein wahres Meisterwerk lag da vor ihm, aber unbedeutend verglichen mit seiner eigentlichen Beute, sein Blick wanderte zu dem Ring. Dies war das erste von drei Stücken, es fehlten ihm nur noch zwei. Ein Amulett und ein Armband, sobald er diese Dinge in seinem Besitz hatte, würde er seine Kräfte soweit steigern können, dass sich ihm niemand mehr widersetzen konnte. Doch dies lag noch in der Zukunft und von solchen Gedanken ließ man sich nur zu leicht von der Gegenwart ablenken. Ruhig trank er das Glas in einem Zug aus und beugte sich neben dem Tisch herab, wo das gefesselte Mädchen lag, dessen Blut er gerade getrunken hatte. Ihr Atem ging schwach und schon bald würde er ein neues Gefäß brauchen, doch für heute Nacht war sie noch ausreichend. Mit einem geübten Griff öffnete er mit einem Fingernagel ihr Handgelenk und fing den roten Lebenssaft im Weinglas auf, bevor er über ihre Wunde leckte und diese so wieder verschloss.
Genüsslich trank er einen weiteren Schluck aus dem Weinglas, genoss den metallischen Geschmack, gewürzt mit der Verzweiflung des Mädchens. Schon bald würde die Sonne aufgehen und er würde wieder einen Tag warten müssen, bis er sich wieder auf die Suche machen konnte.
Chimera Re: Lesezeichen - Zitat: (Original von roxanneworks am 04.11.2011 - 12:15 Uhr) Hi... Du schreibst gut, - flüssig kommt der Text daher, gut formuliert ohne geschraubt zu wirken...nmacht Spass auf mehr... ich habe mir ein Lesezeichen gesetzt... es dauert ein bisschen, aber...;-)) liebe Grüße roxanne Vielen Dank für die lobenden Worte, es freut mich wenn die Geschichte gefällt. Nur keine Eile beim Lesen, soll ja auch genossen werden ;-) Ich hoffe allerdings, dass du dir auch die ersten beiden Kapitel zu Gemüte führst, die ja auch schon veröffentlicht sind ;) Alternativ kannst du natürlich noch darauf warten bis ich das vollständige Buch veröffentliche, wenn alle Kapitel einzeln da sind ;-) Liebe Grüße Chimera |
roxanneworks Lesezeichen - Hi... Du schreibst gut, - flüssig kommt der Text daher, gut formuliert ohne geschraubt zu wirken...nmacht Spass auf mehr... ich habe mir ein Lesezeichen gesetzt... es dauert ein bisschen, aber...;-)) liebe Grüße roxanne |