Kurzgeschichte
Blicke

0
"Blicke"
Veröffentlicht am 01. November 2011, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de
Blicke

Blicke

Beschreibung

Niemand hatte es ihr gesagt. Sie wusste nicht, was sie trauriger machte. Ihr Tod, oder dass es tatsächlich keinem eingefallen war, sie zu informieren.

 

Perdita Klimeck

 

Blicke

short-story

 

Alle Rechte bei der Autorin

 

Niemand hatte es ihr gesagt. Sie wusste nicht, was sie trauriger machte. Ihr Tod, oder dass es tatsächlich keinem eingefallen war, sie zu informieren. Ihre Hand zitterte ein wenig , als sie mit der Kreide den letzten Strich an der linken Augenfalte zog. Sie hob den Kopf und versuchte den perfekten Winkel zu finden, um den Blick der meergrünen Augen einzufangen. Das Klimpern einiger Münzen die jemand im Vorrübergehen in den Becher warf, lenkte sie für einen Augenblick ab. Geld war ihr nie wichtig gewesen. Es war in geringem Maße notwendig um den Hunger zu stillen, sie zu kleiden und das Dach über dem Kopf zu gewährleisten.  Hauptsächlich brauchte sie es für Leinwand und Farben. Dafür erfüllte es seinen Zweck. Mehr wollte sie gar nicht.

"Hat bestimmt keine Arbeit", drang als Wortfetzen an ihr Ohr. Ach, wie oft hatte sie diesen und ähnliche Sätze schon gehört. Es machte ihr nichts aus. Sie brauchte keine

 

Arbeit, sie hatte ihre Kunst.

Mit ihren Bildern, durch ihre Bilder , lebte sie, kommunizierte mit anderen. Mit denen, die verstanden darin zu lesen. Viele waren es nicht, aber den Wenigen, die durch ihre Bilder einen Blick in ihre Seele warfen, war sie mehr als dankbar.

Die Kreide in ihrer Hand zerbrach, als sie an den Menschen dachte, der  stets mit einem Blick, selbst den tiefsten Punkt ihres Seins erfasst hatte. Groll stieg in ihr hoch, auf all die, die sie fern gehalten hatten.  Besonders auf ihren Vater.

"Wenn du diesen Weg einschlägst, bist du für die Familie gestorben." Der Tag lag weit zurück, an dem  diese Worte aus seinem Mund traten.  Ein vor Wut verzerrter Mund. Nur die Augen ihrer Großmutter hatten davon sie abgehalten,  in Tränen auszubrechen.

Sie sprachen ihr Mut zu. Und das war es auch was sie damals am Nötigsten brauchte. Mut, ihren vorgezeichneten Weg zu gehen. Seither rief sie sich stets diesen Blick ins Gedächtnis, wenn Zweifel an ihrer Kunst die Nächte zum Tag werden ließen. Brotlose Kunst, wie wahr. Nicht weniger als einhundertzweiundzwanzig Werke stapelten sich in ihrem kleinen Zimmer. Verkauft hatte sie bisher nur eine Handvoll. Die Straßenmalerei im Sommer war ihre einzige Einkommensquelle. Nicht nur notgedrungen, nein, auch das war Kunst. Kunst, die sie am Leben hielt und das Geld für Farben lieferte.  Letztes Jahr hatte sie ihre Mutter bemerkt, die mit gebührendem Abstand ihr Wirken in der Fußgängerzone beobachtete. Als sie aufstand und ein paar Schritte auf sie zuging, drehte diese sich abrupt um.  Ihr Rufen verhallte ungehört. Es tat weh.

An jenem Abend hatte sie lange das Bild ihrer Großmutter betrachtet. Über das matte Papier gestreichelt  und sich aus den meergrünen Augen, den Trost , den sie brauchte geholt. Der Schmerz in ihr war nur langsam gewichen.

Und nun  gab es sie nicht mehr, die Eine, die Einzige, die an sie geglaubt hat. Tot, und man hatte es ihr nicht gesagt. Vor einer Woche war schon die Beerdigung gewesen und nur durch einen Zufall hatte sie davon erfahren. Zwei Tage hatte sie keinen Pinsel mehr anrühren können. Dann trieb es sie auf die Straße.

Sie musste Abschied nehmen, auf ihre eigene Art.

Wieder viel ein Geldstück in den Becher.  Sie schaute auf, geradewegs in das Gesicht eines älteren Mannes.

Verständnis schlug ihr aus grauen Augen entgegen. Eine Hand hob sich an einen altmodischen Hut und ein Finger tippte leicht gegen den Rand. Der Mann nickte ihr zu, lächelte und ging weiter.

Gedankenverloren schaute sie ihm noch eine Weile nach, bis sie den Hut unter den Passanten nicht mehr ausmachen konnte.

Was er ihr  sagen wollte, wusste sie nicht genau, doch fühlte sie sich seltsam frei. Sie nahm ein neues Stück Kreide, betrachtete noch einmal das aufgeschlagene Album neben sich, mit den vergrößerten Fotos  und spürte, dass sie die Vorlage nicht mehr brauchen würde.  Jeder Millimeter hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Zwei, drei kleine Striche noch, etwas Verwischen und sie fand in den Augen ihrer Großmutter das, was sie suchte, was ihr niemand nehmen konnte. Nicht ihr Vater, nicht der Tod.

Ein kleines Stück von ihr entfernt, tanzte ein Zitronenfalter  über einer Mülltonne.

 

 

was sie damals am Nötigsten brauchte. Mut, ihren vorgezeichneten Weg zu gehen. Seither rief sie sich stets diesen Blick ins Gedächtnis, wenn Zweifel an ihrer Kunst die Nächte zum Tag werden ließen. Brotlose Kunst, wie wahr. Nicht weniger als einhundertzweiundzwanzig Werke stapelten sich in ihrem kleinen Zimmer. Verkauft hatte sie bisher nur eine Handvoll. Die Straßenmalerei im Sommer war ihre einzige Einkommensquelle. Nicht nur notgedrungen, nein, auch das war Kunst. Kunst, die sie am Leben hielt und das Geld für Farben lieferte. Letztes Jahr hatte sie ihre Mutter bemerkt, die mit gebührendem Abstand ihr Wirken in der Fußgängerzone beobachtete. Als sie aufstand und ein paar Schritte auf sie zuging, drehte diese sich abrupt um.  Ihr Rufen verhallte ungehört. Es tat weh.

An jenem Abend hatte sie lange das Bild ihrer Großmutter betrachtet. Über das matte Papier gestreichelt  und sich aus den meergrünen

 

Augen, den Trost, den sie brauchte geholt. Der Schmerz in ihr war nur langsam gewichen.

Und nun  gab es sie nicht mehr, die Eine, die Einzige, die an sie geglaubt hat. Tot, und man hatte es ihr nicht gesagt. Vor einer Woche war schon die Beerdigung gewesen und nur durch einen Zufall hatte sie davon erfahren. Zwei Tage hatte sie keinen Pinsel mehr anrühren können. Dann trieb es sie auf die Straße.

Sie musste Abschied nehmen, auf ihre eigene Art.

Wieder viel ein Geldstück in den Becher.  Sie schaute auf, geradewegs in das Gesicht eines älteren Mannes. Verständnis schlug ihr aus grauen Augen entgegen. Eine Hand hob sich an einen altmodischen Hut und ein Finger tippte leicht gegen den Rand. Der Mann nickte ihr zu, lächelte und ging weiter.

Gedankenverloren schaute sie ihm noch eine Weile nach, bis sie den Hut unter den Passanten nicht mehr ausmachen konnte.

Was er ihr  sagen wollte, wusste sie nicht genau, doch fühlte sie sich seltsam frei. Sie nahm ein neues Stück Kreide, betrachtete noch einmal das aufgeschlagene Album neben sich, mit den vergrößerten Fotos  und spürte, dass sie die Vorlage nicht mehr brauchen würde.  Jeder Millimeter hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Zwei, drei kleine Striche noch, etwas Verwischen und sie fand in den Augen ihrer Großmutter das, was sie suchte, was ihr niemand nehmen konnte. Nicht ihr Vater, nicht der Tod.

Ein kleines Stück von ihr entfernt, tanzte ein Zitronenfalter  über einer Mülltonne.

Gedankenverloren schaute sie ihm noch eine Weile nach, bis sie den Hut unter den Passanten nicht mehr ausmachen konnte.

Was er ihr  sagen wollte, wusste sie nicht genau, doch fühlte sie sich seltsam frei. Sie nahm ein neues Stück Kreide, betrachtete noch einmal das aufgeschlagene Album neben sich, mit den vergrößerten Fotos  und spürte, dass sie die Vorlage nicht mehr brauchen würde.  Jeder Millimeter hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Zwei, drei kleine Striche noch, etwas Verwischen und sie fand in den Augen ihrer Großmutter das, was sie suchte, was ihr niemand nehmen konnte. Nicht ihr Vater, nicht der Tod.

Ein kleines Stück von ihr entfernt, tanzte ein Zitronenfalter  über einer Mülltonne.

 

 

Passanten nicht mehr ausmachen konnte.

Was er ihr  sagen wollte, wusste sie nicht genau, doch fühlte sie sich seltsam frei. Sie nahm ein neues Stück Kreide, betrachtete noch einmal das aufgeschlagene Album neben sich, mit den vergrößerten Fotos  und spürte, dass sie die Vorlage nicht mehr brauchen würde.  Jeder Millimeter hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Zwei, drei kleine Striche noch, etwas Verwischen und sie fand in den Augen ihrer Großmutter das, was sie suchte, was ihr niemand nehmen konnte. Nicht ihr Vater, nicht der Tod.

Ein kleines Stück von ihr entfernt, tanzte ein Zitronenfalter  über einer Mülltonne.

 

copyright by Perdita Klimeck

 

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_61615-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_61615-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_537641.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_537648.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_537651.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_537678.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_537679.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_537713.png
0

Hörbuch

Über den Autor

sundown

Leser-Statistik
94

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
SaenaPJ ... - Liebe Perdita,
Ein teifergreifender Text, der einen mit auf die eigene Reise nimmt. Bei mir ist es sound mit eigenen erlebten Bilder ergänzen so wirkt deinen Text für mich mit Leben, das was Fleur in diesen gesucht hat, Ich fühle ihn tief, sehr tief und mit einem angenehmen Gefühl verlass ich ihn.
Bilder Erlebnisse die mir Kraft und Hald schenkten

Vielen dank für dieses Werk, welches mir ebend durch reinen Zufall begegnete

Liebe Grüße zu dir deine Petra-Josie
Vor langer Zeit - Antworten
Ostseemoewe wunderbar - Bilder die ein mitnehmen

glg ilona
Vor langer Zeit - Antworten
Silberwolf Eine Geschichte die Mitnimmt, die Berührt und fühlen lässt.
Freue mich Dich hier zu sehen, dich wieder zu lesen und dir zu Begegnen.

einen lieben Gruß an dich
Dirk/Silberwolf
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR ***** - Es ist in seiner Art perfekt geschrieben, aber auch steril, wie abgezirkelt, dennoch sehr berührend.
Denn irgendwie fehlt mir noch ein innerer Klang...etwas zwischen den Zeilen... Da ich dich kenne, weiß ich, dass du das kannst. In deinen Gedichten (GS) habe ich es jedenfalls immer gefunden

Freue mich sehr, dass du hier bist
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
sundown Re: -
Zitat: (Original von Traumw3b3rin am 01.11.2011 - 19:34 Uhr) Wunderbar gesetzte Worte ... Ich hatte das Gefühl, in der Fußgängerzone zu stehen. Und das Ende ... Ich hatte Tränen in den Augen.

Herzl. Grüße


Hallo Traumweberin,
vielen Dank für die netten Worte.
LG Perdita
Vor langer Zeit - Antworten
sundown Re: -
Zitat: (Original von Tippmaus am 01.11.2011 - 14:47 Uhr) Ich bin ja keine expertin, lese also eifach mit dem Herz und hoffe das sich was tut.
Und das hat es eben. Wirklich schön geschrieben.


Vielen Dank, tippmaus..
mehr erwarte ich gar nicht.
LG Perdita
Vor langer Zeit - Antworten
Tippmaus Ich bin ja keine expertin, lese also eifach mit dem Herz und hoffe das sich was tut.
Und das hat es eben. Wirklich schön geschrieben.
Vor langer Zeit - Antworten
sundown Re: -
Zitat: (Original von Seelenklang am 01.11.2011 - 11:32 Uhr) ...gern gelesen und mitempfunden...

lg
seelenklang


Hallo seelenklang,
das freut doch das Autorenherz, wenn Worte den Leser erreichen.
Danke dir.
Lg Perdita
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
13
0
Senden

61615
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung