Romane & Erzählungen
Das erste Date - Ben und Esther - Vorgeschichten zu E-Mail mit Herz

Steinbeckstraße 14 in N., Haus von Familie Jäger

Steinbeckstraße. Ja, hier war ich. Keine Zweifel. Und Nummer 14 war ein wunderschönes Haus. Hier lebte Ben also. Ich nickte, als würde man mir das jetzt erst sagen. Wahnsinn. Als ich das Grundstück betrat, bemerkte ich erst den riesigen Garten, in dem zwei Liegestühle standen. Ein buchstäbliches Paradies, dachte ich lächelnd und ich klingelte an der Haustür.

"Hi", grinste Ben verschmitzt. "Komm rein."

"Danke."

"Alles beim Alten?"

Bei der Frage musste ich losprusten, weil ich an meine ständig zoffenden Eltern dachte, die gerade mitten in der Scheidung steckten. "Ja. Du glaubst gar nicht, WIE alles beim Alten ist."

"Hast du Lust nach draußen zu gehen? Ist ja so warm heute..."

"Ja, klar. Ihr habt übrigens einen tollen Garten", schwärmte ich, während ich Ben in ebendiesen folgte.

"Danke. Find ich auch. Setz dich auf..."

Ehe er zu Ende gesprochen hatte, lag ich inmitten des grünen Rasens und hielt mir die Arbeitsblätter vor die Brust.

"Sportsoziologie ist aber auch echt ätzend."

Ben nickte und legte sich neben mich.

"Ben?"

"Hm?" Seine großen braunen Augen wanderten zu meinen hinüber und ich musste lächeln.

"Warum seid ihr eigentlich umgezogen? S. ist so eine tolle Stadt, finde ich. Was hat euch denn hier nach N. getrieben? In dieses Nest?"

"Ach... Ehrlich gesagt wäre ich auch lieber in S. geblieben, aber... Es ist wegen meinem Vater."

"Achso." Ich schluckte und drehte mich auf den Bauch.

"Ja, genau... Er weiß, dass er sterben wird. Und deshalb wollte er seine letzten Jahre in N. verbringen. Das war schon immer sein größter Traum", erzählte Ben. "Und dann haben wir ihm einfach diesen Wunsch erfüllt. War Ehrensache für mich, mitzukommen. Er ist schließlich mein Vater."

Ich lächelte. "Wie ist das eigentlich für dich? Du musst mir jetzt nicht drauf antworten, wenn du nicht willst, aber... Wie lebt es sich mit der Gewissheit, dass dein Vater irgendwann... na, ja..."

"Du kannst es ruhig aussprechen. Na, ja, wie lebt es sich damit? Beschissen, wenn du es ehrlich wissen möchtest." Ben lächelte bitter und im nächsten Moment schüttelte ich mit dem Kopf. Welcher Teufel hatte mich da geritten, ihm ausgerechnet diese Frage zu stellen?

"Man versucht eben, das Beste daraus zu machen. Auch, wenn es nicht ganz einfach ist."

"Ich verstehe", meinte ich, obwohl ich nicht verstand. Ich wollte ihn zwar verstehen, aber ich war mir sicher, dass ich das nicht konnte. So sehr ich auch wollte. Es musste fürchterlich sein, mit der Gewissheit zu leben, dass ein Elternteil bald sterben wird.

"Für meine kleine Schwester ist es ganz schlimm", meinte Ben dann.

"Du hast noch eine Schwester?"

"Ja. Cheyenne ist sechzehn. Das Ganze macht uns alle fertig, aber sie am meisten."

Ich war erstaunt, wie gefasst Ben darüber - über diesen herben Schicksalsschlag reden konnte. Ich wäre schon beim zweiten Wort in Tränen ausgebrochen. Dessen war ich mir todsicher. 

"Ich stell mir das so fürchterlich vor, Ben." Vielleicht lag es daran, dass ich besonders emotional war oderso, aber ich spürte, wie mir eine Träne die Wange entlang lief.

Dann lachte Ben. "Komm, lass uns über was anderes reden."

"Na, gut, wie du willst", lächelte ich."So, dann definiere mir doch mal bitte den Begriff 'Sportsoziologie', mein Lieber, und wenn's richtig ist, hast du einen Wunsch bei mir frei."

O MEIN GOTT. Was war denn mit mir los? War das gerade wirklich ich?

"Einen Wunsch bei dir? Das ist 'ne Motivation... Besteht aus Sport, Sportwissenschaft und Soziologie. Sie geht außerdem streng empirisch vor und kann mit der Theorie von Weiß verglichen werden, die besagt, dass es in den Sportwissenschaften soziale Wechselwirkungen gibt, die eine große Rolle spielen."

Ich applaudierte. "Juchu! Du hast einen Wunsch frei!"

"Cool", meinte Ben, drehte sich wie ich auf den Bauch und drückte mir einen Kuss auf die Wange. "Das war er schon."

"Dann war das aber ein sehr angenehmer", lächelte ich.

In der Sonne strahlten seine großen, braunen Augen noch mehr als sonst.

"Aber das war nur ein Teil des Wunsches", meinte er dann.

"Oh nein... Sollte ich jetzt Angst haben?"

"Nein, bitte nicht." Ben legte seine Hand auf meinen Bauch und streichelte ihn.

"Magste was trinken? Ich bin so unhöflich... Ich vergesse normalerweise nie, das zu fragen."

"Nein, danke. Ich find das, was du gerade machst, wesentlich angenehmer", lächelte ich und wollte dabei besonders sexy rüberkommen, aber ich hatte keine Ahnung, ob Ben das auch so sah. Das war immerhin gerade eine absolute Prämiere für mich. So offensiv hatte ich in meinem Leben noch nie mit einem Jungen geflirtet. Wenn jetzt mein Vater hier wäre... Klar, dass da plötzlich mein Handy klingelte und mein Vater dran war, weil ich mit Ben die Zeit ganz vergessen hatte.