Freitag, 20. Dezember 1996
Eisige Kälte peitschte über die Fahrbahn während wir auf dem Weg zum Flughafen waren. Ein lange verdienter Urlaub, denn es war der erste seit gut 3 Jahren den ich überhaupt antrat. Sogleich sollte es auch ein besonderer Urlaub werden, da ich mit meiner Familie nach New York reiste. Meiner Frau wollte ich ein wenig Shopping ermöglichen und gemeinsam mit ihr die Stadt entdecken. Und meiner Tochter war nur eines wichtig: Den geschmückten Tannenbaum vor dem Rockefeller Center zu beäugen. Es war harmonisch und wir sangen sogar tatsächlich ein Weihnachtslied auf der Fahrt, weil meine Kleine Sylvie "Oh Tannenbaum" zu singen begann und auch prompt von ihren Eltern forderte, dass sie mitsingen sollten. Meine Frau Luisa grinste mir zu und begann sogleich zu singen, während ich mich zunächst sträubte. Erst nachdem Sylvie einige Male kräftig gegen meinen Sitz trat stimmte ich mit ein. Es schien einer dieser Urlaube zu werden, die man aus amerikanischen Filmen kennt. Mama, Papa und Kind auf dem Weg in eine glückliche Zukunft. Hätte ich damals schon gewusst was ich heute weiß, wäre ich wohl mitten auf der Autobahn stehen geblieben und hätte kehrt gemacht. Aber ich war blauäugig und fuhr meinem Schicksal entgegen.
Wir erreichten den Düsseldorfer Flughafen ohne große Probleme. Einzig Sylvie's Müdigkeit war so nicht geplant. In ihrem Alter kein Wunder, war sie doch gerademal 9 Jahre alt und es weit nach 23 Uhr. Dass wir noch auf einer Familienfeier waren, wo sie länger aufblieb als sie sollte, trug natürlich einiges dazu bei, dass sie nun bei Papa auf dem Arm schlief. Ich hatte alle Mühe gleichzeitig noch das Gepäck zu ziehen, aber meine Frau hatte ihren Spaß daran. Wir checkten ein und befanden uns bald im Flieger, sodass endlich die Last von Gepäck und der Kleinen von mir abfiel. Nun lag ein 7 stündiger Flug vor uns. Wenn Sylvie durchschlafen würde, würde sie sich wundern dass bei unserer Ankunft kaum Zeit vergangen wäre, da sie die Zeitverschiebung nicht wahrnahm. Ich hoffte, dass mir diesmal der Jetlag erspart bliebe, denn auf meinen Geschäftsreisen war er fast immer gegenwärtig. Meine Frau lehnte sich zu mir und ich legte meinen Arm um sie. Es tat gut sie und die Kleine bei mir zu haben, denn allzu oft stand die Firma im Vordergrund. Doch jetzt war alles anders und wir genossen unsere gemeinsame Zeit. Während dem Flug sprachen wir über die Pläne für vor Ort. Es erfüllte mich mit einer ungeahnten Vorfreude.
Als wir landeten war es kurz vor Mitternacht. Schnell machten wir uns auf zum Hotel und freuten uns auf den verdienten Schlaf bevor es am nächsten Tag mit dem Familienspaß beginnen sollte. Die schillernden Lichter der Stadt waren ein herrliches Panorama zum Einschlafen.
Samstag, 21. Dezember 1996
Um 6 Uhr morgens weckte uns Sylvie in dem sie auf unser Bett sprang und rumhüpfte. Als wir ihr sagten, dass sie sich doch etwas im Fernseher ansehen solle, meinte sie nur dass die Leute darin komisch Reden würden. Wie Recht sie doch hatte, schließlich waren wir ja nun in den USA. Somit standen Luisa und ich auf um uns unserer Tochter zu widmen. Ich nahm eine Dusche während Luisa für Sylvie Cornflakes zubereitete. Kurz darauf ging auch Luisa duschen und ich suchte ein deutsches Programm auf dem Fernseher. Bei meiner Suche stieß ich zufällig auf einen Bericht über Kutschfahrten im Central Park. Da Sylvie Pferde mochte, war sie hellauf begeistert. So eine Kutschfahrt wollte sie nun auch machen und ich wusste, dass ich da nicht drumherum kommen würde. Zunächst stand aber erstmal etwas anderes an. Der Besuch der Schlittschuhbahn vor dem Rockefeller Center, und somit auch Sylvie's Weihnachtsbaumbesuch. Nachdem meine Frau fertig war, fuhren wir auch schon los.
Auf der Fahrt fragte Sylvie ständig nach wohin es denn gehen würde, doch meine Frau und ich verrieten es ihr nicht. Wir sagten ihr nur, dass es eine Überraschung sei. Man spürte ihre wachsende Ungeduld mit jeder Minute die vergang. Erst als wir an einem Schild vorbeifuhren worauf groß "Rockefeller Center - Next Turn" drauf stand, wusste sie Bescheid und begann freudig zu jubeln. Kaum hatten wir geparkt, sprang sie auch schon aus dem Wagen. Sie war völlig aufgeregt und es war schön ihre kindliche Freude miterleben zu dürfen. Sofort brachen wir zu der Eisbahn auf und kaum dass wir eine Treppe hochgingen, war die Spitze des Baumes schon zu erkennen. Mit jedem Schritt zeigte sich etwas mehr von ihm und ebenso wurde mit jedem Schritt das Lächeln von Sylvie größer und größer. Als sie dann auch die Eisbahn sah, wusste ich dass wir wohl den ganzen Tag hier verbringen würden.
So vergingen die Stunden und unser Familienglück war so wie man es aus Bilderbüchern kennt. Lag es am American Way of Life oder einfach daran, dass wir die Zeit die wir hatten nutzen wollten, weil man nicht wusste wann es nochmal dazu kommen würde? Als es Abend wurde, bekamen wir Hunger und beschlossen Essen zu gehen. Von meinem Chef wurde mir ein kleines Restaurant empfohlen bevor ich zu meinem Urlaub aufbrach, welches etwas ausserhalb von New York lag, aber sich sehr lohnen würde. So schwärmte zumindest mein Chef und ich dachte mir, dass es keine schlechte Idee sei. Nach einer 70 minütigen Fahrt erreichten wir dann auch unser Ziel. Jedoch waren alle Parkplätze belegt, sodass wir in einer Seitenstraße parkten. Ich zog noch schnell ein Parkticket und schon betraten wir das Lokal. Feinste italienische Küche, denn sofort duftete es nach frischer Pasta und Pizza. Schnell fanden wir einen Tisch und setzten uns nieder um zu Speisen. Sylvie alberte noch ein wenig herum und fand den Akzent des Kellners lustig als er versuchte Deutsch zu sprechen. Das Lokal gehörte nämlich einem Deutsch-Italiener, der aber während dem 2. Weltkrieg nach Amerika auswanderte. Wir genoßen das Essen und der Abend klang gemütlich aus. Morgen würde dann die Shoppingtour meiner Frau anstehen und sicherlich würde sie sich etwas besonderes zu Weihnachten aussuchen. Auch für Sylvie mussten noch Geschenke her, aber da hatten wir keine Sorge. Sie würde mit Sicherheit etwas finden was ihr gefällt. Das sah bei meiner Frau schon wieder ganz anders aus.
Wir verließen das Lokal und lachten dabei sehr viel. Als wir das Auto erreichten, gab mir Luisa das Parkticket welches ich begleichen sollte. In der Zwischenzeit stiegen die beiden schon mal in den Wagen. Ich dachte mir nichts dabei und winkte ihnen nochmal grinsend zu bevor ich mich rumdrehte und dem Weg zum Parkautomaten zuwandte. Nichts konnte mich auf das vorbereiten was dann geschah. Kein Omen. Keine Warnung. Nichts.
Nach ein paar Metern vernahm ich hinter mir einen Schrei und ich drehte mich sofort um. Keine Sekunde später ertönte ein lauter Knall und im Augenwinkel sah ich einen kleinen Lichtblitz im Wageninneren meines Autos aufhellen. Gefolgt von einem zweiten und dritten Knall und den dazugehörigen Lichtblitzen. Ich rannte zum Wagen und sah nur noch wie Jemand mit der Handtasche meiner Frau weglief. Geschockt sah ich in den Wagen und musste feststellen, dass man auf meine Frau schoß, welche noch versuchte sich schützend über meine Tochter zu beugen. Doch beide waren verwundet und bewegten sich nicht mehr. Ich konnte nicht realisieren was da geschah und schon bald traf ein Rettungswagen ein. Man fuhr uns zum Krankenhaus und bereitete zwei Notoperationen vor. Es sollte die schrecklichste Nacht meines Lebens werden.
Sonntag, 22. Dezember 1996
Ich machte kein Auge zu. Meine Sorge um meine Frau und meine Tochter waren viel zu groß als dass man hätte schlafen können. Selbst wenn ich es wirklich gewollt hätte, wäre es mir nicht möglich gewesen. Als ich am Rande der Erschöpfung war, kam der operierende Arzt zu mir. Er brauchte kein Wort sagen, denn an seinem Gesicht konnte ich schon ablesen was los war. Ich fiel auf die Knie und bekam plötzlich keine Luft mehr. Mein Leben schien endlos leer. Die Realität so surreal wie ein ein Alptraum aus dem man aufzuwachen versucht. Doch es war kein Traum. Es war wirklich geschehen. Meine Frau und meine Tochter starben für ein paar hundert Dollar. Geld zerstörte nicht nur ihre Leben. Den Mörder fasste man schnell und er wurde zum Tode verurteilt, da er noch einige weitere Delikte ähnlicher Härte zuvor durchführte. Und mein Leben? Es war kein Leben mehr, denn ich änderte mich schlagartig. Jede Freude die ich zuvor noch empfand, war nun keine Freude mehr. Ich gab meinen Job auf und kapselte mich von den anderen Verwandten ab. Ich führte ein Leben, dass ich so nicht leben wollte, doch ich kam aus dem Strudel der Einsamkeit nicht mehr heraus. Alkohol wurde schnell zu einem Freund, wusste er doch den Schmerz kurzzeitig zu lindern. Doch irgendwann reichte auch das nicht mehr, und so kam es zu Drogenkonsum.
Der 22. Dezember 1996 war der Tag an dem meine Seele zum erstenmal starb. Doch es sollte nicht bei einem Tod bleiben. Eine Wiedergeburt sollte folgen und ich schaffte den Absprung aus der Drogenhölle. Aber das ist eine andere wahre Geschichte, die es zu erzählen gilt wenn ihr stark genug dazu seid.