Der Mensch und die Eifersucht
Jack ist ein guter Mann. Er ist treu. Er hat einen Job, der gut bezahlt wird. Er kommt jeden Abend nach Hause zu seiner Frau. Er wickelt jeden zweiten Tag das Baby. Einmal.
Heute ist einer der Tage, an denen er es nicht tut. Heute ist einer der Tage, an denen das Baby ihm egal ist. Denn seine Frau probiert ein neues Kleid an. Es ist wirklich schön und steht ihr gut. Doch sie trägt es nicht für ihn. „Und? Gefällt es dir?“, fragt sie noch und will es wahrscheinlich gar nicht wissen. Ihm soll es ja schließlich nicht gefallen. Deshalb gibt er statt einer Antwort auch nur ein Grunzen zum Besten. „Oder doch lieber das kleine Schwarze, das hat dir doch immer so gefallen...?“ - „Wo willst du überhaupt hin?“, fragt er sie nun, denn das will er wirklich wissen.
„Ich treffe mich mit einer Freundin, von damals...“ Wieder grunzt er. Eine Freundin? Pah! Als ob.
„... Und dann gönne ich mir eine Nacht in dem Hotel.“
„Was? In welchem Hotel?“
„In ihrem Hotel. Sie hat ein Hotel.“
„Warum? Weshalb gehst du ganz allein in dieses Hotel?“
„Ich will es mir mal ansehen.“
„Eine ganze Nacht hindurch? Du siehst dir doch die Gegend nicht an, während du schläfst! Und was wird aus dem Baby?“
„Ich brauche auch mal Ruhe vor dem Muttersein. Du hast doch jetzt frei. Kümmer du dich doch auch mal.“
„Was heißt denn hier ''auch mal'' ? Ich kümmer mich doch!“
„Jaa, natürlich: Du kümmerst dich. Einmal im Monat wechselst du die Windeln von dem Kleinen. Das war's doch auch schon!“
„Du gehst nicht in dieses Hotel!“
„Ich mache, was ich will!“
Er ballt die Hände zu Fäusten.
Ja, Jack ist ein guter Mann. Doch seine Frau macht, was sie will. Immer. Deshalb bleibt Jack nichts anderes übrig, als das Schlafzimmer zu verlassen und ins Wohnzimmer zu gehen. Den Fernseher einzuschalten. So zu tun, als wäre seine Frau nicht da. Er ignoriert ihre tänzelnden Schritte auf dem Parkett. Sie tänzelt wieder, denkt er. Immer wenn sie früher ein Kleid anprobiert hat, bevor sie beide ausgegangen sind, hat sie so getänzelt. Er sieht das breite Lächeln noch vor sich, dieses beinahe alberne Lächeln voll Vorfreude. Eine Schande, dass nun nicht ihm, sondern einem anderen Mann diese Vorfreude gelten soll. Eine Schande, dass sie es so offensichtlich macht. Und während seine Frau sich vorbereitet, sich aufhübscht und sogar das Parfüm benutzt, welches er am liebsten an ihr riecht, wächst der Zorn in seiner Brust. Es geht nicht, denkt er. Ich kann es nicht zulassen, dass sie alles kaputt macht. Und vor allem: Ich will sie nicht teilen. Wenn ich sie nicht für mich habe, dann soll keiner sie haben!
Das letzte, was er von seiner Frau in diesen wenigen Momenten sieht, ist der Träger des BHs, der unter dem des Kleides hervorblitzt. Es war genau dieser BH, den sie immer getragen hat, wenn nach einem Essen im Nobelrestaurant etwas für ihn dabei herausgesprungen ist, wenn ihr versteht, was ich meine. Der Gedanke, dass nun etwas für einen anderen Mann 'herausspringen' wird, dass sie noch dazu SEINE Lieblingsunterwäsche trägt, gibt Jack den Rest. Seine Leitungen brennen durch. Er umfasst den großen Kerzenständer, der auf dem Wohnzimmertisch steht, mit beiden Händen und folgt seiner Frau in die Garage. Er schlägt ihr das Ding, blind vor Wut, gegen den Hinterkopf. Etwas splittert. Sie macht keinen Mucks. Sie sinkt in sich zusammen, auf den Boden; nun erst recht nicht mehr.
Und jetzt soll dieser Kerl daran glauben, meint Jack, lässt die Mordwaffe fallen und nimmt der Frau den Autoschlüssel ab.
Wo wollte sie sich mit ihm Treffen? So, wie sie gekleidet war, wohl im Restaurant. Meine Güte, eine große Auswahl hat sie nicht gehabt, denkt Jack beinahe belustigt. In dieser gottverdammten Stadt gibt es nur dieses eine vernünftige Restaurant. Sie hasst Cafés, sie muss in dieses Restaurant gewollt haben.
Die Wut ist noch nicht ganz verkocht, das merken auch alle Umstehenden, die nicht wissen, was passiert ist. Die haben sowas von keine Ahnung, nicht die geringste. Jack kichert wie ein Schuljunge, der dem Vertretungslehrer einen Streich gespielt hat. Die Kellnerin sieht ihn erschrocken an. Vielleicht liegt es an dem Blut, das an seinem Hemdsärmel klebt. Vielleicht.
Fast wollen sie ihn gar nicht reinlassen. Aber es bleibt ihnen nichts anderes übrig, er lässt sie mit ihren Vorwürfen und langen Reden links liegen und sucht das ganze Restaurant nach einem Mann ab, der allein an einem Tisch sitzt und so aussieht, als warte er auf eine Frau.
Wie er so durch die Gänge streift, sieht er aus wie ein Tiger, der seine Beute sucht.
Dabei fällt sein Blick wiederholt auf eine Person, die tatsächlich allein sitzt und auch zu warten scheint. Allerdings ist diese Person unverkennbar eine Frau. Warum fällt sie ihm so besonders auf? Weil sie ihm bekannt vorkommt. Ist es nicht … ? Er tippt ihr auf die Schulter. „Klaudia...?“
„Jack! Meine Güte, wie lange wir uns nicht mehr gesehen haben“, ruft die Frau aus, die tatsächlich Klaudia ist, die Klaudia von damals. Sie hat zugenommen. „Zehn, fünfzehn Jahre ?“
„Ja, unglaublich, was? Wo ist Anita?“ „Anita? Sie ist … zu Hause. Mannomann, wenn sie wüsste, dass ich dich hier zufällig getroffen habe...“ Klaudia schaut jetzt ein wenig verwirrt drein.
„Aber, sie hat mich doch auch getroffen. Wir sind doch verabredet. Weißt du das denn nicht?“
Eine dunkle Ahnung schleicht sich in Jacks Gewissen. „Sie hat doch extra das Hotelzimmer...“, fährt sie fort, doch Jack kann sie nicht mehr verstehen. Die Gedanken wirren derart heftig und unkontrolliert in seinem Kopf herum, dass er keinen einzigen von ihnen fassen kann. „Das Hotelzimmer“, sagt er nur, „Ich will es sehen.“
„Das hier ist es.“, verkündet Klaudia nun und lässt Jack allein, nachdem sie die Tür für ihn aufgeschlossen hat. Wie altmodisch das ist, denkt Jack plötzlich, ich dachte heutzutage gibt es dafür spezielle Karten, keine Schlüssel mehr. Dann lässt er die Tür auffliegen. Noch kann er nichts erkennen, doch sobald das Licht aufflammt und den Blick auf einen Brief freigibt, der auf der Tagesdecke dieses riesigen Bettes liegt, trifft es ihn wie ein Schlag. Ein Wort prangt auf dem Kuvert: „JACK“. Er reißt es auf.
Jack, steht dort.
Jack, ich kenne dich doch. Ich weiß, wie eifersüchtig du bist. Ich weiß, du würdest mich nicht hier in diesem Hotel übernachten lassen, ohne dich. Ich kenne dich. Ich weiß, du würdest jedes einzelne Hotel der Stadt nach mir absuchen. Ich weiß, du wartest hier auf mich. Du wirst es nicht glauben: Ich habe Klaudia getroffen! Du weißt schon, die Klaudia, mit der du vor mir zusammen warst. Es ist bestimmt schon fünfzehn Jahre her. Sie ist übrigens dicker geworden.
Geh noch nicht wieder weg, Jack. Warte auf mich. Sandra passt über Nacht auf das Baby auf. Ich habe noch eine Überraschung für dich. Ich liebe dich, Anita.