Schon eine einzige Entscheidung kann unsere Welt zum Kippen bringen und uns in den Abgrund einer ganz anderen, düsteren Welt schleudern. Ob und wie wir diesen Sturz überstehen... Hängt ganz von uns selbst ab. Kapitel 1: "Ein Blick in die Dunkelheit"
Fühlst du, wie sich Schatten um dich zu scharren scheinen, wenn dein Weg dich durch dunkle Gassen führt, wenn deine Schritte mit einer leisen Dopplung zu verhallen scheinen, als ob etwas seine Bewegungen im Klang deiner Schritte verstecken wollte?
Sahst du auch schon glühende Augen in der Menge blitzen und hast gespürt, wie sich ihr Blick in dich, dein Herz, in deine Seele zu bohren schien, während eisige Schauer deinen Körper erbeben lassen?
Oder die nächtlichen schrillen Schreie, die doch nur von Katzen stammen können, was sollte es auch sonst sein?
All dies erklärst du dir mit zu viel Arbeit, dass du zu müde, zu gestresst bist und das deine Phantasie dir Streiche spielt. Denn es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Doch tief in dir weißt du es, dass es nicht nur Übermüdung, Stress und ausufernder Phantasie sein kann, denn deine Träume sind zu echt zu real und die blitzenden Augen, scheinen dich nicht loszulassen.
Früher, vor einer Ewigkeit scheint es mir, war ich genauso wie du, verschloss Augen, Ohren und Geist vor dem Unerklärlichen und meinen eigenen Beobachtungen. Und wie auch du, wuchs ich behütet durch Unwissen auf, unerklärliche Dinge waren für Filme und Bücher reserviert, die nur Freaks relevant waren. Diese Freaks, die an X-Files und Verschwörungen glaubten und das Vollmondnächte etwas Besonderes waren. Wie habe ich damals über sie gelacht, vielleicht lachen sie ja jetzt, denn das Lachen ist mir vergangen.
Wie auch immer ich wuchs auf und ging in die Schule mit dem Wissen, dass nur die Fiction, welche Form auch immer sie annehmen mochte, die Heimat von Monstern sei. Auch später als Erwachsener gelang es mir, wie auch dir, meine Augen und Ohren vor allem zu verschließen, was einfach nicht sein konnte.
Und so lebte ich mein Leben, wie es auch Millionen andere Menschen tun, ging meiner Arbeit nach, heiratete und wurde Vater eines Mädchens. Alles war, wie man so schön sagt, in Butter und keine Sekunde verschwendete ich in Gedanken daran, ob mein Leben anders verlaufen sollte.
Bis zu jenem Abend im November, als ich müde und gestresst von meiner Arbeitsstelle zur nächsten U-Bahn lief und einen leisen Schrei aus einer Seitengasse vernahm. Als wäre es gestern gewesen, kann ich mich an diesen speziellen Moment erinnern, als der schrille Klang einer panischen Frau meine Ohren erreichte, während Schneeflocken vom Himmel segelten und ein Versprechen auf einen weihnachtlichen Winter machten. Und obwohl ich mich Zeit meines Lebens aus den größten Schwierigkeiten herausgehalten hatte und eigentlich auch keine Ahnung hatte, was ich hätte tun sollen, folgte ich meinem ersten Impuls und trat in die Schatten der Gasse, welche die Ereignisse ohne den Schrei vor mir verborgen hätten. Für einen Moment war ich beinahe blind, als ich so vom erleuchteten Gehweg in die Düsternis eintrat und meine Augen versuchten mit dem wenigen Licht zurechtzukommen. Und da sah, was ich eigentlich nie hatte sehen wollen, eine junge, blonde Frau stolperte auf mich zu, packte mich an der Jacke, während sie hysterisch jammernd um Hilfe bettelte.
Blutige Schnitte zierten ihre Wangen, wie Tränen floss das Blut in der kalten Luft träge ihre Haut hinab und tropfte von dort auf ihre helle Daunenjacke und auch auf meine schwarze Windjacke. Die Ärmel ihrer Jacke wirkten als wären sie ab den Ellenbogen in rote Farbe getaucht worden, bis mir durch die klaffenden Schnitte und fallende Federn klar wurde, dass es ihr Blut sein musste, dass den Stoff färbte.
Als sie sich so an mich klammerte, am ganzen Körper zitternd und bebend, konnte ich über ihre Schulter hinwegsehen, wovor sie zu fliehen versuchte. Eine Gestalt, dunkler als die umgebenden Schatten, näherte sich mit schnellen Schritten und da sich meine Augen nun an die Dunkelheit gewöhnt hatten, war es mir möglich Details zu erkennen. Woran ich mich für alle Zeiten erinnern werde, sind diese rötlich schimmernden Augen, welche die Gestalt wie einen alptraumhaften Schatten erscheinen ließen, bevor auch der Rest des Verfolgers für mich sichtbar wurde. Direkt unterhalb der so widernatürlich erscheinenden Augen, die nun auch ihren Schimmer verloren zu haben schienen, war der breit grinsende Mund eines Mannes mit kurzen, weißen Haaren zu erkennen. Es musste seine dunkle Kleidung gewesen sein, dachte ich damals, die den Eindruck einer Schattengestalt vermittelt hatte, auch wenn dies keine Erklärung für die rötlich schimmernden Augen oder die nur langsam erkennbaren Gesichtszüge gewesen war. Aber wie sagte ich nicht bereits, es ist so leicht seine Sinne und den Geist vor dem Offensichtlichen zu verschließen, wenn es nicht in das eigene Weltbild passt.
Reflexartig schob ich mich an der weinenden, jungen Frau vorbei und drängte sie mit der linken Hand hinter mich, als diese Gestalt sich aus den Schatten der Gasse schälte, um die Unbekannte zu schützen, wovor auch immer. Verängstig klammerte sie sich wieder an mich, als wäre der Körperkontakt zu mir, dass einzige was sie retten konnte, doch darauf konnte ich in diesem Moment nicht achten. Denn erst jetzt fiel mir der Gegenstand in der rechten Hand des weißhaarigen Mannes auf, der zwar langsamer geworden war, sich aber immer noch auf uns zu bewegte, das Grinsen immer noch breit im Gesicht und die weißen Zähne entblößt. Es handelte sich um eine gefährlich gekrümmte Klinge, deren Schneide von einer dunklen, klebrigen Flüssigkeit bedeckt zu sein schien. Das es sich dabei um das Blut der jungen Frau hinter mir handeln musste, war mir sofort klar und obwohl ich es vorher nicht gespürt hatte, schlug nun mein Herz bis zum Hals, als ich mich für einen Moment fragte, was in drei Teufels Namen ich hier eigentlich tat, wo ich doch eigentlich nach Hause zu meiner Frau und meiner Tochter gehen sollte, statt in einer Gasse aufgeschlitzt zu werden.
Mein Atem beschleunigte sich und stieg in kleinen weißen Wölkchen von meinem Mund auf, als die mörderische Gestalt etwa fünf Schritte vor uns zum Stehen kam.
„Gib sie mir. Dann lasse ich dich laufen.“
erklang die leise Stimme des weißhaarigen Mannes, während er seine linke Hand ausstreckte und mit den Fingern eine winkende Bewegung machte, um seinen Worten auf diesem Weg unmissverständlich Nachdruck zu verleihen. Die Stimme schien mir nur voller Belustigung über die kurze Unterbrechung seiner Jagd, keinerlei Ärger war herauszuhören, als wäre sich der Mann seiner Sache sicher und dass ich die Frau herausgeben würde.
Diese begann hinter meinem Rücken sich noch fester an mich zu klammern und begann mit leiser, gebrochener Stimme zu betteln, sie nicht diesem Mann zu überlassen. Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, ob sie wirklich „Mann“ gesagt hatte oder doch „Monster“.
Mein Mund war mit einem Mal trocken wie Staub, das Adrenalin peitschte durch meine Adern und ich konnte meinen eigenen pochenden, hämmernden Puls in den Ohren rauschen hören, während sich mein Körper scheinbar nicht entscheiden konnte, ob er auf dies Bedrohung mit Angriff oder Flucht reagieren sollte.
„Nein…“
antwortete ich mit beinahe tonloser Stimme, schüttelte dabei den Kopf, um dem kleinen Wort zusätzliches Gewicht zu verleihen, auch wenn ich selbst kaum glauben konnte, dass ich einem bewaffneten Mann Widerstand leisten wollte, der ganz offensichtlich nur allzu gern bereit war Gewalt anzuwenden. Doch nur wenige Meter hinter uns lag der sichere Hafen des Gehweges, wo sich auch in dieser Jahreszeit noch genug Menschen aufhielten. Und Menschen bedeuteten doch sicher, oder nicht? Zumindest dachte ich dies damals noch, etwas anderes zu denken hätte allerdings auch nicht weiter geholfen.
Und noch während ich dieses einzelne, kleine Wort sprach, begann ich mich rückwärts zu bewegen, schob dabei die junge weinende Frau mit mir, deren Tränen und Blut den Rücken meiner Jacke zu tränken begannen.
„Ich gebe dir eine letzte Chance. Verschwinde und ich lasse dich laufen.“
erwiderte der weißhaarige Mann auf meine Weigerung, wobei sich an seinem breiten Grinsen nichts änderte, er sorgte nur dafür, dass der Abstand zwischen uns gleich blieb, indem er sich mit agilen, katzenhaften Schritten meiner Rückwärtsbewegung anpasste. Und wie er uns zu folgen begann, schienen die Wände der Gasse näher zurücken, bis ich glaubte, dass meine Schultern an den Wänden entlang streifen mussten. Und nicht dies, sondern auch der Weg nach draußen auf den Gehweg zur Straße, schien mir länger und länger zu werden, die Schatten dichter und die Augen meines unheimlichen Gegenüber hatten wieder einen rötlichen Schimmer angenommen, der irgendwie ein Funkeln auf der Klinge des gekrümmten Messers auszulösen schien.
Dieses Mal blieb mir die Antwort im Hals stecken und ich konnte nur noch den Kopf schütteln, mein Herz schien mir aus der Brust springen zu wollen und schwarze Flecken tanzten am Rande meines Gesichtsfeldes, als ich bemerkte, dass ich meinen Atem angehalten hatte. Nach Luft schnappend holte ich Atem, was ein leises Kichern bei meinem Gegenüber auslöste, doch es schien nicht echt zu sein, tiefe Falten bildeten sich auf der Stirn des Mannes und das Grinsen wirkte nun immer weniger amüsiert, als blecke er nur noch die Zähne in einer Drohgebärde wie ein wildes Tier. Auch sein Körper schien sich nun zu spannen, die rechte Hand mit dem Messer zog sich langsam nach hinten, ganz als mache er sich zum Angriff bereit. Eine, mir bis dahin unbekannte, Emotion erschien in seinem Gesicht, die ich nur als reine Mordlust deuten konnte.
Ich war so völlig auf diesen unheimlichen namenlosen Mann konzentriert, dass ich viel zu spät bemerkte, wie die junge Frau gegen irgendetwas stieß und zu stürzen begann, da sie sich noch an mich klammerte, wie an einen Rettungsanker, wurde ich ebenfalls nach hinten gerissen, ohne Möglichkeit mich auf den Sturz vorzubereiten. So fiel ich über ihre Beine nach hinten auf den kalten mit einer dünnen Schneeschicht bedeckten Asphalt und versuchte noch mit der linken Hand meinen Sturz abzufangen, was mir aber gehörig misslang und dafür sorgte das ein brennender Schmerz durch meinen Arm schoss, bevor ich vollkommen auf dem Boden aufschlug. Mit einem dumpfen Krachen landete mein Kopf auf der unnachgiebigen Fläche und mein Blick verschwamm für einen Moment.
Kopfschüttelt richtete ich mich auf, wobei wieder ein scharfer Schmerz durch meinen linken Arm zuckte, später sollte sich herausstellen, dass er gebrochen war.
Gerade am Übergang zwischen den Schatten der Gasse konnte ich verschwommen das Gesicht des weißhaarigen, namenlosen Angreifers erkennen, dessen Gesicht von purer Mordlust und Hass verzerrt wurde.
„Dafür wirst du bezahlen, Kleiner.“
hörte ich sein Knurren, als auch schon Stimmen in der näheren Umgebung laut wurden, die sich erst schimpfend über die junge Frau und mich äußerten, dabei kein Blatt vor den Mund nehmend. Doch schlagartig änderte sich der Tonfall auch die Worte als der Zustand des, wie ich nun erkannte, weinenden Mädchens offensichtlich wurde.
Hilfreiche Hände zogen uns nach oben und niemand schien auf den Schatten, mit den rötlich schimmernden Augen, zu achten, der in der Gasse verschwand als hätte er sich in Luft aufgelöst. Nebeneinander wurden das Mädchen und ich an eine Wand gesetzt, wo sie sich an mich klammerte und heiser unter Tränen Worte der Dankbarkeit murmelte, während mein Herzschlag sich nur langsam beruhigte und ich versuchte die Ereignisse der letzten Minuten, die sich wie Stunden angefühlt hatten, zu verstehen und mit meiner Sicht der Welt in Einklang zu bringen.
Nach wenigen Minuten erklangen dann auch Sirenen, die sich mit großer Geschwindigkeit näherten, irgendjemand hatte wohl den Notruf verständigt, etwas woran ich gar nicht mehr gedacht hatte, während ich immer noch im Schock an der Wand saß und Schneeflocken sich auf mir und dem Mädchen, welches inzwischen nur noch leise wimmernde Laute über die bläulichen Lippen brachte, niederließen. Schließlich erreichten Notarzt und Polizeikräfte den Schauplatz meines kleinen Abenteuers, der inzwischen von mehr Schaulustigen, als man bei der abendlichen Stunde vermutet hätte, bestaunt, gefilmt und photographiert wurde. Wir beide wurden mit einem Rettungswagen in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht, allerdings nicht ohne die Begleitung durch einen Beamten, der wohl sicherstellen wollte, dass meine gestammelte Erklärung auch wirklich der Wahrheit entsprach. Denn das Blut auf meiner Kleidung und meinen Händen hatten nicht unbedingt dazu beigetragen mich als Opfer oder Helfer zu sehen, wie ich dann im Verlauf des weiteren Abend feststellen musste.
Kaum war ich im Krankenhaus untersucht, mein linker Arm geschient und die kleine, bisher von mir unbemerkte, Platzwunde an meinem Hinterkopf versorgt worden, begann praktisch auch schon das Verhör durch einen Polizeibeamten. Meinen zerschnittenen Pullover neben mir, die Notaufnahme fackelte wirklich nicht lange mit meiner Kleidung, die Jacke direkt nach der Ankunft in die Notaufnahme von einem Beamten eingetütet und beschlagnahmt, saß ich also auf einem Stuhl in einem der Arztbüros, während mein Gegenüber, ein Detective namens Sanderson, immer wieder und wieder dieselben Fragen zu den Ereignissen stellte, als hoffe er, dass ich mich in Widersprüche verstricken würde. Machtlos und langsam wütend werdend musste ich diese Fragestunde über mich ergehen lassen, ohne die Möglichkeit zu haben, meine Frau anrufen zu können, da mein Handy sich in der konfiszierten Jacke befand, was mir allerdings erst nach der Behandlung meines Armes eingefallen war. Für die meisten Menschen wäre es durchaus verständlich gewesen, dass ich meiner Frau mitteilen wollte, wo ich mich befand und das mit mir alles in Ordnung sei. Aber Detective Sanderson sah dies anscheinend anders und versuchte auf diese Weise noch zusätzlichen Druck auf mich auszuüben, was allerdings an meiner Aussage, die ich auf die reinen Fakten beschränkte, so gut es eben ging, nichts änderte.
Ich war drauf und dran mich auf diesen Mann zu stürzen, nur um die ewigen Fragen zu unterbrechen, als wir dann von einem anderen Polizisten unterbrochen wurden, der es nach zwei Stunden geschafft hatte Informationen aus dem jungen Mädchen, namens Julia Gentry wie hier erfuhr, herauszubekommen, die sich doch tatsächlich in mit meiner Aussage deckten. Und wie durch ein Wunder tauchte auch mein Handy in den Händen von Detective Sanderson auf, seine mehr oder weniger geheuchelte Entschuldigung für dieses bereits an Sadismus grenzende Verhalten wischte ich grob beiseite, nahm aber doch seine Visitenkarte für den Fall, dass mir noch etwas einfiele.
Eilig stolperte ich mit einer geliehenen Jacke des Krankenhaus Fundbüros nach draußen und stieg in ein Taxi, während ich versuchte mit dem Handy meiner Frau zu erreichen, die sich sicherlich bereits Sorgen machte und wahrscheinlich schon bei meinem Arbeitgeber angerufen hatte. Mit zittrigen Fingern scrollte ich durch das Telefonbuch des Handys, still aber heftig meine Faulheit verfluchend, dass ich die Nummer nicht auf die Kurzwahltaste gelegt hatte, während ich dem Taxifahrer meine Adresse nannte. Erst als das Taxi bereits anfuhr, war es mir gelungen die richtige Nummer zu wählen und als das Geräusch des Anklingelns an meinem Ohr ertönte, sackte ich erleichtert im Beifahrersitz des Fahrzeuges zusammen.
„Ja? Laura Thorn.“
meldete sich dann schließlich meine Frau am Telefon, im Hintergrund hörte ich die leise Frage meiner Tochter, ob ich am Apparat sei. Dies ließ ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen und die letzten Stunden traten vollkommen in den Hintergrund.
„Hey, Laura, Babe. Ich bin es, Tom. Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist….“
antwortete ich hastig und voller Freude ihre Stimme zu hören, endlich konnte ich die vergangenen Stunden hinter mir lassen und wieder in die Normalität meines Lebens zurückkehren. Und trotz dieses Gedankens an Normalität und Sicherheit, regte sich in mir ein kleiner Funke des Stolzes, Stolz darüber nicht einfach weggegangen zu sein, sondern für einen anderen Menschen Stellung bezogen zu haben und diesen vor einem schlimmen Schicksal bewahrt zu haben. Die Gedanken an Todesangst und mögliche Konsequenzen begannen bereits in meiner Erinnerung zu verblassen und selbst der Ärger auf Detective Sanderson schwand beim Klang der Stimme meiner Frau.
„Tom? Wo bist du? Wir sind schon ganz krank vor Angst gewesen. Jag mir nie, nie, nie wieder so einen Schrecken ein oder du kannst bleiben wo der Pfeffer wächst.“
erklang die vertraute Stimme meiner Frau, aus dem Lautsprecher meines Handy, und schwankte zwischen Lachen und Weinen, wie es mir schien, glücklich darüber meine Stimme zu hören und doch wütend, dass ich mich nicht gemeldet hatte. Als sie meinen Namen nannte, hörte ich erneut die Stimme meiner Tochter im Hintergrund freudig aufschreien und konnte mir nur zu gut vorstellen, wie Laura versuchte sie mit Gesten wieder etwas zu beruhigen, damit sie mich am anderen Ende der Leitung verstehen konnte. Wärme breitete sich in mir aus, als ich diese nur allzu vertrauten Bilder vor meinem geistigen Auge sah.
„Ich bin gleich zu Hause, Laura. Ich erzähle dir…“
erwiderte ich mit einem Lächeln auf den Lippen, doch bevor ich den Satz beenden konnte, hörte ich das vertraute Geräusch der Türklingel durch die Verbindung.
„Warte kurz, Schatz. Es hat an der Tür geklingelt. Bleib kurz dran, ja?“
hörte ich ihre sich entfernende Stimme, während sie schon den Hörer aus der Hand legte und mit einem leisen Klacken ablegte. Ein plötzliches Gefühl der Sorge schlich sich in meine Gedanken, dass ich nicht näher erklären konnte, aber mit einem Mal hatte ich ein ganz schlechtes Gefühl. Wie aus weiter Ferne hörte ich wie Laura zusammen mit Jenny, unserer Tochter an die Tür ging und diese öffnete, um zu sehen wer zu dieser späten Stunde noch vorbeischaute. Das leise Klappern der Türkette war zu hören, als die Tür geöffnet wurde und von einem Moment auf den anderen veränderte sich meine Welt für immer.
Denn statt eines nur zu erahnenden Wortwechsels mit einem Nachbarn hörte ich das laute Bersten der Tür und der Kette, die diese eigentlich verschlossen halten sollte, gefolgt von den panischen Schreien meiner Frau und meiner Tochter. Mit einem Mal glaubte ich keine Luft mehr zu bekommen, meine Hand krampfte sich so sehr um das Kunststoffgehäuse meines Mobiltelephons, das ich das Knacken des überbeanspruchten Materials hören konnte. Erst als der Schrei meiner Tochter nach einem dumpfen Krachen abbrach, als wäre sie gegen eine Wand geworfen worden, bekam ich wieder genügend Luft, um nun meinerseits panisch in das Telefon rufen, was den Taxifahrer mehr als nur überraschte. Doch darum kümmerte ich mich nicht, ich rief panisch nach meiner Frau und nach meiner Tochter, während heiße Tränen meine Wangen hinab rannen und außer den beiden Namen nur noch unverständliche Laute über meine Lippen kam. Schließlich brach nach einem letzten Schrei auch die Stimme meiner Frau und Stille senkte sich über telefonische Verbindung.
Voller Verzweiflung wiederholte ich immer wieder und wieder den Namen meiner Frau, bis ich hörte wie der Hörer angehoben wurde und Atem über das Mikrofon strich.
„Wer ist da? Was ist mit meiner Frau? Was ist mit meiner Tochter?“
brüllte ich in den Hörer, was erneut den Taxifahrer erschreckte, der inzwischen selbst ganz bleich geworden war und mich immer wieder mit schreckensweiten Augen anstarrte. Doch darum kümmerte ich mich nicht, blicklos starrte ich durch die Windschutzscheibe und war vollkommen auf das Mobiltelephon in meiner Hand konzentriert, als wäre dies die einzige und letzte Sache in meinem Leben, die noch wichtig war. Gerade als ich Luft holen musste, begann ein leises Kichern aus dem Hörer zu dringen, lauter und lauter werdend, erfüllt von so viel Bosheit und Verdorbenheit, dass mir das Blut in den Adern stocken wollte.
„Ich hatte dich gewarnt, Kleiner. Ich hatte dich gewarnt…. Und jetzt nehm ich mir was ich haben wollte. Sag Goodbye“
formten sich dann Worte aus dem Kichern in einer Stimme, die ich nur einmal gehört hatte und niemals wieder vergessen würde. Es war die Stimme des weißhaarigen Mannes aus der Gasse und als ich dies erkannte, erfasste Schwindel meinen Körper und wäre ich nicht bereits gesessen und angeschnallt in einem Auto gewesen, wäre ich wohl zusammengesackt.
Kaum waren die Worte verklungen hörte ich ein leises Wimmern, dass immer lauter zu werden schien und ich erkannte die Stimme meiner Frau in diesen entsetzlichen Geräuschen, als der Hörer des Telefons an ihr Gesicht gepresst wurde.
„Verabschiede dich, Darling…“
hörte ich dies Stimme des Verrückten, als er meine Frau ansprach, deren Wimmern ein wenig lauter wurde und dann plötzlich, nach einem nassen, reißenden Geräusch, in einen gellenden Schrei überging, der nichts mehr menschliches an sich hatte, nur noch Ausdruck unendlicher Qual. Ich glaubte taub zu werden, während in meinem Inneren jegliches Gefühl abzusterben drohte.
„Schöne Augen hat deine Frau…. Und so lecker…“
hörte ich ein letztes Mal die Stimme des Unbekannten und bevor er die Verbindung unterbrach konnte ich noch ein feuchtes Knacken hören, als hätte er eine Weintraube zerbissen. Dann war der Apparat still.
Vollkommen erstarrt saß ich nun auf dem Beifahrersitz und hatte immer noch das Mobiltelephon ans Ort gepresst, so fest, dass es sich schon taub angefühlt hätte, wenn ich in diesem Moment des absoluten Schreckens fähig gewesen wäre noch etwas zu spüren. Erst nach einigen Versuchen gelang es dem Taxifahrer meine Aufmerksamkeit zu erregen und durch den Schleier der Taubheit zu dringen, der mich in diesem Moment so vollkommen eingehüllt hatte. Ganz langsam drehte sich mein Kopf in seine Richtung und meine geröteten Augen starrten in das fassungslose Gesicht des dunkelhäutigen Mannes, der selbst mehr als nur schockiert wirkte.
„Fahr schneller… So schnell du kannst…. Oder ich bringe dich um…“
brachte ich mit unheimlicher ruhiger Stimme hervor und meinte jedes Wort davon tödlich ernst. Offensichtlich hatte der Fahrer nach einem kurzen Blick auf mich sich entschlossen, lieber wegen einer Geschwindigkeitsübertretung belangt zu werden, als sich mit einem Mann auseinanderzusetzen, der am Abgrund des Wahnsinns tanzte. Ohne weiter auf den Mann neben mir zu achten, der mit seinen eigenen Ängsten zu kämpfen hatte, wählte ich mit tauben Fingern den Notruf, dabei fühlte ich mich seltsam schwerelos und losgelöst, als beobachtete ich die Handlungen einer anderen Person.
Mit monotoner und entrückter Stimme gab ich der Person am anderen Ende der Leitung die nötigen Informationen und beendete dann den Anruf ohne auf die Aufforderung zu reagieren, auf das Eintreffen der Polizeikräfte zu warten. Als ob ich das nicht selbst gewusst hätte und das es mir in dieser Situation einfach nur egal sein würde.
Immerhin ging es um meine Frau und meine Tochter.
Mit quietschenden Reifen kam das Taxi dann schließlich vor dem Apartmenthaus zum stehen, wo sich die Wohnung meiner Familie befand. Der Fahrer starrte weiter gerade nach vorne, als wolle er mich auf keinen Fall zu irgendeiner Handlung verleiten. Ich beobachtete mich dabei, wie ich mit mechanischen Bewegungen den Gurt löste, dann blind in mein Portmonee griff und alle Geldscheine herausholte, die ich bei mir hatte und diese dem Fahrer auf den Schoß warf, mit der Aufforderung hier auf das Eintreffen der Polizei zu warten.
Ohne einen weiteren Blick oder Gedanken an die Polizei oder den Taxifahrer zu verschwenden, stürmte ich die Treppe zum Eingang nach oben und nach einem kurzen Kampf mit dem Schloss der Eingangstür weiter die Treppe in den vierten Stock hinauf. Meine Gedanken rasten, alle möglichen und unmöglichen Szenarien breiteten sich vor meinem geistigen Auge aus und verschwanden wieder, um von neuen ersetze zu werden. Im Taxi hatte ich mich noch kalt und leblos gefühlt, kaum noch wahrgenommen wie mein Herz schlug und ich Atem schöpfte, dies änderte sich nun mit jedem Schritt, mit jeder Treppe mit der ich mich der Wohnung näherte. Auf den letzten Treppenstufen, noch bevor ich die Tür unserer Wohnung sehen konnte, schlug mein Herz so stark in meiner Brust, dass ich dachte es würde mir direkt aus dem Brustkorb springen, mein Atem ging so schnell und flach, dass ich kaum noch genügend Luft bekam und mich schwer keuchend und inzwischen auch voller Angst und Panik bebend mit meinem unverletzten Arm an das Treppengeländer klammern musste.
Ich musste mich zwingen weiter zu gehen, als wäre alle Kraft während des Weges die Treppen hinauf aus mir herausgeflossen, wie Wasser aus einer undichten Leitung. Und dann sah ich die geborstene Wohnungstür vor mir und neue Kraft durchströmte meinen Körper. Wie im Traum überwand ich die letzten Stufen und stand dann vor der zertrümmerten Tür, die nur leicht angelehnt worden war.
„Laura? Jenny?“
presste ich zwischen meinen tauben Lippen hervor, als ich mit der rechten Hand vorsichtig die Tür zur Wohnung aufstieß. Mit einem leisen Knirschen schwang die Tür auf und enthüllte die ersten Anzeichen des Unheils, das sich hier abgespielt hatte, wie einzelne Wolkenformationen das Nahen eines Sturms verraten. Der zerschmetterte und quer über den Flur liegende Garderobenständer sprach ebenso wie die blutige Delle in der Wand neben der Badezimmertür eine deutliche Sprache. Wie ein Schlafwandler wankte ich vorwärts, stieg über Jacken und den zerbrochenen Garderobenständer hinweg und stieß die Tür zum Wohnbereich, die von einem blutigen Handabdruck verziert wurde.
Geräuschlos öffnete sich dir Tür und ich sah mich meiner Frau gegenüber, deren Körper im Wohnzimmer auf dem Boden ausgebreitet lag. Wie eine Corona war ihr dunkelblondes Haar um ihren Kopf herum ausgebreitet worden, die Arme zu den Seiten ausgestreckt und die Beine leicht gespreizt. Fast hätte ich glauben können, dass sie schliefe…. Fast, wenn nicht statt ihren Augen blutige Höhlen in ihrem Gesicht gewesen wären, wenn ihre Kleidung nicht zerfetzt und zerschnitten neben ihrem Körper auf dem Boden verteilt worden wären. Wenn ihr Körper nicht über und über von tiefen Schnitt- und Bisswunden übersät gewesen wäre, ja dann hätte man glauben können, dass sie schliefe. Heiße Tränen rannen über meine Wangen, als ich stolpert zu ihrem geschändeten Körper wankte und mich neben ihrem Kopf kraftlos auf die Knie sinken ließ. Mein Finger fuhren über ihr ein schönes Gesicht, ein Gesicht das ich geliebt hatte, mit jeder Faser meines Körpers und als meine Finger ihre kalte Haut berührten, wurde mir klar, dass ich sie verloren hatte. Ein Schluchzen brach sich aus meiner Kehle Bahn und schüttelte meinen Körper, Tränen nahmen mir die Sicht, als ich mich nach vorne beugte und ihre Körper an mich zog, sie auf meinem Schoß zu wiegen begann. Sinnlose Worte sprudelten aus meinem Mund, entschuldigendes Gestammel, da ich mir nun endlich auch eingestand, dass meine „Heldentat“ die Ursache für ihren Tod war. Zitternd und bebend drückte ich mich an sie und spürte ihre kalte Haut auf meiner heißen.
Ich kann nicht sagen, wie lange ich meine tote Frau so in den Armen hielt, meine Tränen auf ihr zerstörtes Gesicht fielen und sich in den Höhlen ihrer ausgerissenen Augen sammelten, als schließlich schemenhafte Gestalten mit hell leuchtenden Taschenlampen in die Wohnung eindrangen und mich mit Gewalt zu Boden warfen, da ich auf die für mich unverständlichen, gebrüllten Worte nicht reagierte. Völlig widerstandlos ließ ich diese Behandlung über mich ergehen, ich spürte nicht einmal den Schmerz meines gebrochenen Arms, als man mir die Arme auf den Rücken drehte und Handschellen anlegte. Während kräftige, schwarz behandschuhte Hände mich grob aus der Wohnung stießen, warf ich noch einen letzten Blick zurück auf die sterblichen Überreste meiner Frau, wie sie nackt, geschunden und schutzlos im angeblich sicheren Hafen unseres Zuhauses lagen. Und ich muss gestehen, dass ich in diesem Moment gar nicht mehr an meine Tochter dachte oder besser und ehrlicher gesagt, wollte ich nicht wissen, was mit ihr geschehen war, denn dieses Wissen hätte mich wohl umgebracht.
Vollkommen apathisch wurde ich im Anschluss, nach einer oberflächlichen Untersuchung durch den Notarzt, unter Bewachung durch die Polizei in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht.
Chimera Re: Re: Re: Okay, - Zitat: (Original von LadyLy am 22.10.2011 - 20:45 Uhr) Ah, ich danke von Herzen, die Dopplung war mir nicht aufgefallen. Aber ich würde mich wiederholen, ob es Euch gefällt oder nicht. Seit dem Lesen Eurer Geschichten, kreisen meine Gedanken um unsere Jagd. Und es durchtreibt mich ein wohliges Schaudern. Glaubt mir, ich komme wunderbar mit wenig Schlaf aus. Überlasst mir also die Entscheidungen zu lesen. *lacht* Ich werde mich hüten Eure Entscheidung anderweitig zu beeinflussen, werte Lady. Die Jagd wird eine Herausforderung für mich... die ich genießen werde. Danke für eure Worte ;-) |
LadyLy Re: Re: Okay, - Zitat: (Original von Chimera am 22.10.2011 - 20:42 Uhr) Zitat: (Original von LadyLy am 22.10.2011 - 13:39 Uhr) das wird die nächste ungemütliche Nacht werden, ich bin mir sicher. Wie absolut großartig, eine Geschichte aus zwei Perspektiven zu lesen ohne dass es jemals langweilig werden würde. Wow, bei dir wird Gewalt ästhetisch, wird Blut tatsächlich Leben. Absolut großartig. Sag deinem Arzt, er soll sehen, dass deine Hand schnell gesund wird. Lychen (nun im Jagdfieber) Ich habe mir erlaubt den doppelten Kommentar zu entfernen, da ich zu viel Lob nur schwer aushalten kann, besonders wenn es so direkt vorgetragen wird. Da danke ich der Lady für ihre Worte, die meinem kleinen Experiment etwas Glaubwürdigkeit verleihen und meine Sorge, mich zu sehr zu wiederholen oder gar zu weit auseinander zu driften, etwas entschärfen. Ich hoffe allerdings, dass die schlaflosen Nächte ausbleiben, da sonst irgendwann wohl der Selbsterhaltungstrieb weitere Lektüre verhindern wird ;-) Liebe Grüße Chimera Ah, ich danke von Herzen, die Dopplung war mir nicht aufgefallen. Aber ich würde mich wiederholen, ob es Euch gefällt oder nicht. Seit dem Lesen Eurer Geschichten, kreisen meine Gedanken um unsere Jagd. Und es durchtreibt mich ein wohliges Schaudern. Glaubt mir, ich komme wunderbar mit wenig Schlaf aus. Überlasst mir also die Entscheidungen zu lesen. *lacht* |
Chimera Re: Okay, - Zitat: (Original von LadyLy am 22.10.2011 - 13:39 Uhr) das wird die nächste ungemütliche Nacht werden, ich bin mir sicher. Wie absolut großartig, eine Geschichte aus zwei Perspektiven zu lesen ohne dass es jemals langweilig werden würde. Wow, bei dir wird Gewalt ästhetisch, wird Blut tatsächlich Leben. Absolut großartig. Sag deinem Arzt, er soll sehen, dass deine Hand schnell gesund wird. Lychen (nun im Jagdfieber) Ich habe mir erlaubt den doppelten Kommentar zu entfernen, da ich zu viel Lob nur schwer aushalten kann, besonders wenn es so direkt vorgetragen wird. Da danke ich der Lady für ihre Worte, die meinem kleinen Experiment etwas Glaubwürdigkeit verleihen und meine Sorge, mich zu sehr zu wiederholen oder gar zu weit auseinander zu driften, etwas entschärfen. Ich hoffe allerdings, dass die schlaflosen Nächte ausbleiben, da sonst irgendwann wohl der Selbsterhaltungstrieb weitere Lektüre verhindern wird ;-) Liebe Grüße Chimera |
LadyLy Okay, - das wird die nächste ungemütliche Nacht werden, ich bin mir sicher. Wie absolut großartig, eine Geschichte aus zwei Perspektiven zu lesen ohne dass es jemals langweilig werden würde. Wow, bei dir wird Gewalt ästhetisch, wird Blut tatsächlich Leben. Absolut großartig. Sag deinem Arzt, er soll sehen, dass deine Hand schnell gesund wird. Lychen (nun im Jagdfieber) |