Beschreibung
Nachdem es schon länger von mir nichts zu lesen gab, ist dies nun entstanden.
PS. Danke Moena90 für die Idee ^^
"Ordnung ist das halbe Leben" hatte meine Mutter mir schon früh gepredigt. Ich wusste zwar nicht, was die andere Hälfte des Lebens sein sollte, aber es ist doch immerhin beruhigend, wenn man weiß, dass ein Teil entschlüsselt ist. Ich folgte ihrem mütterlichen Rat und hielt eine strickte Ordnung ein. Nichts in meinem Haus hatte nicht seinen eigenen Platz. Das Problem war nur, dass ich nur sehr schwer etwas wegwerfen konnte. Doch dafür hatte ich eine Lösung gefunden: Pappkartons. Nicht diese billigen Dinger, die bei der kleinsten Belastung zusammenbrachen, sondern eine von mir eigens kreierte Falt- und Materialvariante. Damit waren sie so robust gebaut, dass problemlos Elefanten mit Autos darauf jonglieren konnten. Ich habe gleich den Wert dieser Kartons erkannt und sie vertrieben. Mit dem Geld konnte ich mir nicht nur ein geräumiges Haus leisten, sondern auch eine kleine Lagerhalle, in die ich ein Pappkartonlabyrinth stapelte. Auf diese Weise waren meine Platzprobleme gelöst und es herrschte weiterhin die von mir geliebte Ordnung.
Eines Tages geschah jedoch etwas, das mir unbegreiflich war. Mehrere Kartons waren verschwunden. Die Kartonwand, deren Teil sie waren, sah mit den Löchern wie ein schweizer Käse aus. Im Grunde hätte es unmöglich sein sollen genau diese Kartons zu entfernen, da sie nicht nur eine tragende Rolle in der Konstruktion hatten, sondern auch ein unmenschliches Gewicht enthielten und doch hatte es jemand geschafft. Allein diese Tatsache war wunderlicher als die, dass die Wand nicht einfach in sich zusammengebrochen war. Sofort verständigte ich die Polizei.
Nachdem die Polizei den Tatort untersucht und keine Spuren gefunden hatte, nahm sie nur noch auf, was in den Kartons gewesen war. Als sie dann weg war, habe ich die Löcher sofort mit einer kleineren Anzahl von Kartons gefüllt. Die Ordnung durfte nicht aus dem Ruder laufen. Mit mir selbst zufrieden, ging ich wieder in mein Haus. In keinem meiner Zimmer gab es nicht so eine Kartonwand. Doch ich habe die Kartons so geschickt gestapelt, dass es wie eine Designertapete wirkte. Auf diese Leistung war ich sehr stolz. Schließlich schafft es nicht jeder so viel zu horten und doch eine solche Ordnung zu halten. Sicherheitshalber durchschritt ich jedes Zimmer und untersuchte, ob nicht auch im Haus ein Karton fehlte. Doch meine Sorgen waren unbegründet. Alles war fein säuberlich und akkurat an Ort und Stelle. So begab ich mich zu Bett.
Mitten in der Nacht wurde ich von einem lauten Knall aus dem Bett gerissen. Sofort schaltete ich das Licht an und griff nach meiner Waffe. Ich wurde immer gewarnt, dass es mit ihr nach hinten gehen könnte, doch lieber den Versuch der Gegenwehr erbracht zu haben, als wie ein begossener Pudel erschossen zu werden.
Vorsichtig schlich ich mich zum Zimmer in dem ich den Knall vermutete. Auf alles gefasst, betätigte ich den Lichtschalter und hielt die Waffe vor mich. Doch es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Alles schien wie immer zu sein. Ich durchsuchte die anderen Zimmer und kontrollierte dabei auch, ob irgendwo ein Fenster oder eine Tür aufgebrochen waren oder offen standen, aber alles war verschlossen und ordentlich. In unerschütterlichem Glauben, dass ich mir den Knall nicht einfach nur eingebildet habe, kehrte ich wieder ins Ausgangszimmer meiner Suche zurück. Ich schaute mich diesmal genauer um und entdeckte tatsächlich, dass eine Vase in eine unauffällige Ecke gefallen war. Wie sie dahin kam, war mir jedoch ein Rätsel, da der Stellplatz der Vase sich am anderen Ende des Zimmers befand. Ich kehrte die Scherben sorgfältig zusammen, wischte den Boden, trug Bodenwax auf und fischte aus einem Karton eine andere Vase, die ich an die Stelle stellte, wo vorher die verunglückte Vase gestanden hatte. Als dann wieder Ordnung herrschte, legte ich mich ins Bett und schief friedlich bis zum Morgen.
Die darauf folgenden Tage waren nicht leicht für mich. Mit jeder vergangenen Stunde hatte ich das Gefühl, dass ich nicht nur verfolgt wurde, sondern mir auch jemand ziemlich übel zusetzten wollte. Gegenstände lagen nicht mehr an ihrem angestammten Platz, ganze Kartonwände waren durcheinander und immer wieder gab es Nachts unerklärlichen Lärm. Ich hätte mir die Sache mit dem Lärm und die Gegenstandswanderung noch irgendwie erklären können. Schließlich ist es ja nicht unbedingt abwegig anzunehmen, dass Ratten oder anderes Getier ins Haus gefunden hatten, doch die Sache mit den Kartonwänden ließ mich fast paranoid werden. Keinem Außenstehenden wäre aufgefallen, dass die Anordnung der Kisten an der Wand jeden Tag aufs Neue sich veränderte. Es waren zunächst kleine Änderungen, dann ganze Abschnitte und zuletzt wurde eine ganze Kartonwand durcheinander gebracht. Als hätte jemand ein Puzzle auseinander genommen und mit anderem Innenleben wieder zusammengesetzt. So konnte es nicht weitergehen. Ich schaffte mir ein ausgeklügeltes Hi-Tech-Überwachungssystem für das ganze Haus an. Kein Raum und kein Winkel waren mehr unbeobachtet. Erst an diesem Tag kam ich wieder gedankenfrei und schnell zur Ruhe.
Meine Freude währte jedoch nicht lange. Es war immer noch dunkel draußen, als ich wieder von ohrenbetäubendem Lärm geweckt wurde. Diesmal schien er aus dem ganzen Haus zu kommen. Ich sprag aus dem Bett, griff mir meine Waffe und stürmte von Zimmer zu Zimmer. Der Lärm schien jedoch mit jedem durchquerten Raum, als würde er vor mir fliehen, abzuebben. Schlussendlich war es im Haus still. An Schlaf war für mich jedoch nicht mehr zu denken. Ich setzte mich ins Wohnzimmer um mich ein wenig zu beruhigen, als ich auf dem Tisch einen meiner kleineren Kartons stehen sah. Ich erschrak und mein Blick schnellte zur Wand. Die Lücke klaffte in der oberen Reihe mit verhöhnender Tiefe mir entgegen. Ich öffnete den Karton um sicher zu gehen, dass alles noch da war. Er enthielt den Rest meiner Kindersachen. Die Plakette mit der Aufschrift "Ordnung ist das halbe Leben", die meine Mutter in mein Zimmer hing, weckte nostalgische Gefühle. Ich hätte wohl noch lange da so gesessen und in Erinnerungen geschwebt, wenn mich das Loch in der Wand nicht in so eine Unruhe versetzt hätte. Mich drängte es aus dem Abgrund meines Seins das Loch zu schließen und endlich wieder Ordnung herzustellen. Der Karton war schnell gepackt und die Ordnung wieder hergestellt.
Am nächsten Morgen rief ich sofort jemanden von dem Unternehmen an, das mir das System eingebaut hatte, um die Überwachungsbänder anzusehen. Es konnte nicht angehen, dass alle Schlösser und Lichtschranken keinen Alarm ausgelösten hatten, obwohl offensichtlich jemand im Haus gewesen war.
In der Aufnahmezentrale sahen wir uns gemeinsam dann das Band aus dem Wohnzimmer an. Als wir jedoch an die Stelle kamen, wo das Bild die Lärmquelle hätte anzeigen sollen, wurde es für mehrere Minuten schwarz. Das Bild blieb solange schwarz bis der Lärm abstarb. Erst von der Stelle ab war es wieder zu sehen. Es zeigte mich, wie ich mit dem Karton beschäftigt war. Genau der Zeitabschnitt mit dem Krach, hatte kein Bild. So war es auf allen Bändern aus dem Haus. Ich war außer mir vor Wut. Ich schrie den Mann an, wie das passieren könne und ob das ein schlechter Scherz von seiner Firma wäre. Er war jedoch ratlos und versuchte mich zu beschwichtigen. Doch zu dem Zeitpunkt war ich nicht nur übermüdet, genervt und frustriert, sondern hatte auch noch alle meine erhofften Beweise für das Eindringen in mein Heim verloren. Unter Flüchen, die selbst einem Matrosen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, stauchte ich ihn so zusammen, dass er aus dem Zimmer kriechen musste. Als ich ihm folgte, dämmerte mir aber langsam, dass ich außer einem falschen Ziel nichts davon hätte. Ich beruhigte mich ein wenig, während er zusammengekauert an der Wand hockte und hin und her wippte. In versöhnlichem Tonfall redete ich nun auf ihn ein.
Das Ergebnis war, dass er nicht nur alle Kameras kontrolliert hatte, sondern auch die Nacht im Überwachungsraum verbringen würde. Dies reichte mir aus, da ich auch mal wieder eine ruhige Nacht erleben wollte und eine persönliche Wache mir die nötige Sicherheit vermittelte.
Wie sehr ich mich geirrt habe. Kaum dass ich eingeschlafen war, weckte mich das bisher stärkste Donnern und Krachen. Ich konnte nicht mehr. Es war einfach zu viel. Diesmal, im Glauben, dass es sowieso nichts nützt, beeilte ich mich nicht mehr so sehr. Ich stand in gemäßigtem Tempo auf, verzichtete auf Licht und machte mich mit der Waffe in der Hand zur Tür. Gerade wollte ich aus dem Schlafzimmer treten, da stockte ich. Der Raum sah auf einmal so lang aus. Ich sah mich um, doch alles war an seinem gewohnten Platz. Und trotzdem hatte die Länge des Raumes zugenommen. Da der Krach immer noch nicht abgenommen hatte, tat ich es als eine durch meinen Schlafmangel hervorgerufene Einbildung ab. Mit dem ersten Schritt in den Korridor aber, nahm das Gefühl zu. Es war keine Einbildung! Der Korridor war auch länger geworden und nun fiel mir auch auf warum. Die Kartons am Korridorende und auch im Schlafzimmer waren verschwunden. Sofort war ich hellwach und rannte ins Wohnzimmer. Vor mir zeichnete sich das gleiche, schattenhafte Bild ab: ein längeres Wohnzimmer ohne Kartons. Ich geriet in Panik. Jemand hatte meine ganzen Kartons gestohlen.
Meine ganze Welt brach vor meinen Augen zusammen. Mir wurde es schwindelig und ich tastete mich zu meiner Couch hin. Ich war gerade in Griffweite, als ich einen Schrei hörte und kurz darauf ein Schatten von oben auf mich fiel.
Zwei Tage vergingen bevor jemand zum Haus kam und sich umsah. Als er auf dem Boden eine Blutlache und den dazugehörigen Körper sah, verständigte er sofort die Polizei.
Die Polizei stellte fest, dass der Eigentümer von einem der schweren Kartons, die überall im Haus verstreut lagen, erschlagen wurde. Auf die gleiche Art kam auch der Mann im Überwachungsraum ums Leben. Keiner der Beamten konnte sich erklären, was hier vorgefallen war, da weder ein Fenster noch ein Schloss aufgebrochen waren. Einzig ein einzelner, kleiner Karton auf dem Wohnzimmertisch war ein Hinweis, den keiner zu deuten wusste. Der Karton war deshalb so besonders, weil auf ihm, im Gegensatz zu den anderen, ein enttäuschtes Gesicht mit Blut aufgemalt war. Als der Kartoninhalt näher untersucht wurde, fiel die Plakette mit dem Spruch "Ordnung ist das halbe Leben" versehentlich runter und zersprang längst in zwei Teile. Auf der Innenseite der Plakette entdeckten die Beamten etwas, was ihnen noch mehr Rätsel aufgab. Da stand in roten Buchstaben geschrieben: "übertreibst du es jedoch, wird dir nicht vergeben."