Hömma Schätzken, weisse noch … Schröder?
Weißt Du eigentlich, wie ich unseren gemeinsamen lieben Freund Christian Schröder vor vielen, vielen Jahren in meiner jüngsten Kindheit kennen gelernt habe? Nich? Na dann pass ma auf…
Wie heißt es immer so schön: „Wahre Liebe gibt es nur unter Männern“, und zu dieser so genannten „Liebe“ sollten Schröder und ich wohl fast lebenslänglich verurteilt werden. Ich bin mir sicher, Gott wollte es so.
Schröder ist der Mann an meiner Seite (so wie ich an seiner), die sich einfach kennen lernen mussten um gewisse steile und holperige Pfade des Lebens überwinden zu können.
Wir drückten gemeinsam die Schulbank (zumindest in der Grundschule), bauten unsere Buden komischerweise auf demselben Baum, verliebten uns manchmal in dasselbe Mädchen, unternahmen mit Bonanza- Fahrrädern, Zündapp-Mofas und später TÜV-fälligen Billigautos unendlich viele Ausflüge, die es immer in sich hatten.
Bis es jedoch zu dieser „Liebe“ kam, sollte einiges passieren. Dieser kleine, clevere Drecksack hatte es schon als Sechsjähriger faustdick hinter den Ohren, obwohl (oder gerade weil) er ein sehr strenges Elternhaus hatte. Seine Eltern legten sehr großen Wert auf Dinge, die es heutzutage leider nicht mehr oft gibt. Pünktlichkeit, Moral, Sauberkeit, Ehrlichkeit... um nur ein paar zu nennen.
Besonders seine Mutter war eine sehr schwierige Person, denn um ihrem Sohn diese Tugenden beizubringen, griff sie nicht selten zum Kochlöffel, Kleiderbügel, Teppichklopfer oder Gürtel. Diskussionen gab es keine, es musste so gemacht werden, wie seine Mutter es wollte, auch wenn es oft verkehrt war, was wir selbst als Pimpfe nicht selten voraussahen (später bemerkten Schröder und ich, dass unsere Mütter in einigen Dingen gleich tickten, und das gab uns in manchen Situationen Kraft, als wenn wir Brüder wären, obwohl wir beide Einzelkinder waren).
Ich konnte diesen Lausbuben am Anfang einfach nicht ausstehen, auch wenn ich nicht wusste, warum…. Oder wusste ich es vielleicht doch und wollte es einfach bloß nicht zugeben? Er war immer einen Schritt schneller als ich - egal, ob beim Sportfest auf der Aschelaufbahn, mit dem Mundwerk oder auch bei den Mädchen.
Wahrscheinlich verärgerte mich das Letztere ganz besonders, ich denke schon…. Schröder sollte in seinem Leben jedoch noch sehr viele gemeine Menschen kennen kernen, genau wie ich, die seine Gutmütigkeit und Ehrlichkeit ausnutzten, aber erst möchte ich Dir erzählen, wie ich ihn kennen gelernt habe.
An einem verregneten Herbsttag Anfang der 70er Jahre schellte es an der Tür und meine Mutter öffnete sie. Schröder hatte wohl irgendwie niemanden zum Spielen gefunden, und obwohl er wusste, dass ich ihn nicht wirklich leiden konnte, versuchte er, mich nach draußen zu locken, und das mit einem Fußball unterm Arm, was mich ganz besonders wunderte. Er war zwar verdammt schnell auf den Beinen, aber mit einem Ball umgehen konnte er wirklich nicht.
Naja, dachte ich mir, dann kannst Du ihm endlich mal etwas vormachen, kommt ja wirklich nicht oft vor, also ließ ich mich von ihm überreden, mit ihm zu spielen. Stolz warf ich mich in meine nagelneue Fußballkluft, und wir beide stürmten den Hausflur hinunter.
Doch was passierte, als wir gerade das Haus verließen?
Schröder - der Arsch! - warf den Ball in ein Gebüsch und holte an derselben Stelle eine Tengelmann- Plastiktüte raus, die er schon vorher dort verstaut hatte, es war also alles von ihm fest und perfekt geplant.
Inhalt der Tüte: Hammer, Säge, Nägel, Taschenmesser, eine Plane und zwei Plastikflaschen Kakao, eine für ihn und eine für mich, sowie eine Tüte Haribo.
„Hömma Nobbärt, da hinten umme Ecke is ne neue Baustelle. Lass uns dahin gehen und ne Bude bauen, is nich weit von hier!“ Etwas verärgert ging ich dann mal eben mit ihm, und schon nach fast einer halben Stunde waren wir da…. knapp zwei Kilometer von zuhause entfernt. Es sollte nicht die einzige Überraschung für mich an diesem Tag sein, beileibe nicht.
Mann, was es da nicht alles so zu bewundern gab! Diese kraftprotzenden Bagger, die sich mit ihren lauten Motoren und verdreckten Ketten spielend einfach durch den tiefen Schlamm bewegten. Diese fürchterlich hohen Kräne, die sich wie von Geisterhand bewegten und Lasten beförderten, die etliche von diesen kräftigen Bauarbeitern auf einmal gar nicht hätten bewegen können. Diese hoch aufgeschütteten ockergelben Lehmberge, die förmlich zum Klettern einluden. Außerdem schien Schröder ein paar Bauarbeiter zu kennen, denn er organisierte direkt alles, was wir so an Brettern für unsere Bude brauchten, und los ging es.
Bemerkenswert war für mich, wie er mit diesen Materialien und den Werkzeugen schon umgehen konnte und so wurde aus der Lehrstunde, die ICH IHM eigentlich im Fußballspielen geben wollte, eine für mich, im Umgang mit Baustoffen…. Naja, war nichts Neues, aber es machte mir einen Riesenspaß.
Meine nagelneue Fußballkluft sah nach ein paar Stunden aus, als hätte sie schon etliche Schlachten hinter sich - zum einen völlig verdreckt, zum anderen auch zerrissen, weil sich der eine oder andere Nagel, der aus den Brettern ragte, in sie hinein bohrte. Ohne dass wir es bemerkten, verging die Zeit wie im Flug.
Während meine Mutter sich zuhause mit den Nachbarkindern in Verbindung setzte, die Polizei anrief und mich als vermisst meldete, tollten wir unbeschwert auf der Baustelle herum, und zu allem Überfluss blieb mein rechter Schuh auch noch einen halben Meter tief irgendwo im Schlamm stecken, was mir aber erst ein paar Schritte später auffiel.
Ich brauche Dir bestimmt nicht zu beschreiben, wie ich aussah, als ich ihnendlich wieder gefunden hatte. Abgekämpft an unserer provisorisch gebauten Bude angekommen, wurde sich erstmal mit Kakao und Haribos gestärkt. Nach ein paar selbst erfundenen Witzen, über die wir uns halbtot lachten, warf ich einen Blick aus dem mit Plane bespannten Fenster, welche als Regenschutz diente, doch was ich da erkannte, ließ mich direkt blass werden und erstarren, was auch Schröder sofort bemerkte: Der Ford Taunus unseres Nachbarn bewegte sich langsam auf unsere Hütte zu, und auf dem Beifahrersitz erkannte ich unschwer meine (schnaubende) Mutter.
Schröder, die blöde Sau, grinste bloß doof, während ich in Todesangst geriet. Ihm war es ja scheißegal, sein Vater war „auffe Mittachschicht“ und seine Mutter hatte bis abends eine Putzstelle zu erledigen. „Ich muss dann ma“ sagte ich während mir der Köttel schon aus dem Hintern kroch.
Mit einer gut gespielten Freundlichkeit (Na, mein lieber Junge, komm, lass uns nach Hause fahren) forderte mich meine Mutti auf, in den Wagen zu steigen. Gott sei Dank hatte unser Nachbar Planen im Kofferraum liegen, sonst hätte ich wohl nach Hause laufen dürfen, weil ich von oben bis unten völlig verdreckt war, genau wie Schröder, der mit ins Auto stieg und meine Hand hielt.
Ich glaube, genau ab diesem Zeitpunkt waren wir spätestens Freunde gewesen, denn ich spürte plötzlich eine unheimliche Vertrautheit zu ihm.
Erst während der Autofahrt wurde mir klar, wie weit ich eigentlich von zuhause fort war, und je länger die Fahrt dauerte, umso bewusster wurde mir trotz des Handhaltens Schröders, dass dieser Tag kein gutes Ende nehmen sollte. Als wir dann endlich in unsere Straße einbogen, bemerkte ich zudem, wer mich bereits alles vermisste. Meine Mutter musste wohl in den Stunden zuvor ganze Arbeit geleistet haben. Eine Schar von Kindern lief neben unserem Auto her und riefen: „Hurra. Unser Norbert ist wieder da!“ … die Eltern dieser Kinder standen in den Fenstern und winkten uns zu, es war alles so unheimlich herzergreifend und warm…. bis wir dann vor unserem Haus standen.
Mit (k)einem freundlichen „AB NACH OBEN“ machte mir meine Mutter klar, dass meine Vermutungen, die ich kurz zuvor in Nachbars „Taunus“ hatte, nicht verkehrt waren.
„Schröders Frage an meine Mutter. „Kommt der Nobbi gleich noch raus?“ war wohl das Quentchen, was das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Sie antwortete: „Nee Du, der muss sich erstmal baden und danach ausruhen!“
Also die Reihenfolge wäre mir ja wirklich egal gewesen, wenn es wenigstens so stattgefunden hätte. Was soll ich Dir jetzt erzählen… während Schröder auf dem Brachland gegenüber unseres Hauses nach neuen Brettern für unsere Bude an der Baustelle suchte, erlebte ich in unserer Küche fast ein Massaker… naja, was heißt fast…. ich kassierte die wahrscheinlich längste Tracht Prügel, die ich je in meinem Leben bezogen habe.
Als es dann irgendwann vorbei war schleppte ich mich schluchzend und mit roten Augen zum Fenster… naja…. wen ich da sah brauche ich Dir wohl nicht zu erklären…. Schröder, die blöde Sau, hielt mir die Haribotüte entgegen, als wenn er sagen wollte „Ey Nobbi nimms leicht und iss erstmal einen Lakritz, Morgen sieht die Welt wieder anders aus.“
Ich wusste nicht, ob ich ihn in diesem Augenblick hassen oder lieben sollte…. Ich entschied mich im Laufe der Zeit dafür, das Zweite zu tun, was auch gut so sein sollte.
Eine Woche später testeten Schröder und ich unsere selbst gebauten Bögen, dabei schoss ich ihm versehentlich fast ein Auge raus, was mir fürchterlich leid tat. Noch heute kann man diese Narbe in seinem Gesicht sehen, die er „die Narbe der Freundschaft“ nennt… dieser liebevolle Drecksack.
…weisse noch, Schätzken…. Schröder?
Vielen Dank für das Lesen, liebe Leserin, lieber Leser!
Der Autor
Norbert van Tiggelen