Die Sonne geht langsam unter, die Schatten werden länger, sie verschlingen, was sich ihnen mutig in den Weg stellt: Häuser, Menschen, Gegenstände, Seelen. Beklommenheit erfasst mich im Angesicht der schwarzen Macht, die durch jede Ritze zu mir dringt. Bald wird sie über mir sein, mich in dunklen Samt hüllen, fressen, mir, aufgrund des Fehlens von Licht, andere Bilder hervorbringen, Bilder, die ich schon lange hoffte in meinem tiefsten Inneren auf ewig zu verwahren. Nie wieder wollte mein Geist sie schauen, doch jene Macht zwingt mich noch einmal dies alles zu erleben.
Becky, meine damalige Frau, gab mir den lieben Rat immer gründlich nachzudenken, bevor ich handle. Sie kannte mich gut, noch heute sehe ich ihr treues Gesicht, welches sich nie wieder lächelnd zu mir erhebt, nur die starren Augen, der weit aufgerissene Schlund, die Fratze des Todes, die mit tausend Stichen mein Herz durchbohrt. Ich will schreien, doch ich kann nicht, das Bildnis steht vor meinem Auge, der Mund ist trocken und gleichzeitig wie verkleistert, kein Laut entrinnt meiner Kehle.
Normalerweise ließ ich mich nur mit geprüften Kunden ein, doch dieser Kerl, Sanders, verführte mich mit Geld, der Aussicht auf schnellen Reichtum, dem Entkommen aus der niedrigen Schicht des Einzelhandels, der gerade genug für meine liebe Becky und mich abwarf. Ich tat es aus Liebe zu ihr, denn sie sehnte sich schon lange nach einem Kinde, welches unsere Liebe krönen sollte. Doch das Geld war nie vorhanden, das Kind sollte in ordentlichen Verhältnissen, nicht mit unseren Sorgen aufwachsen. Und so willigte ich in jenes Geschäft ein, ohne lange nachzusinnen.
Am kommenden Tag ließ ich mein Geschäft geschlossen und begab mich zum verabredeten Treffpunkt. Sanders erwartete mich, zusammen mit einem glupschäugigen Herrn, der aus jeder Pore triefte und mit paranoiden Augen um sich sah. Er flehte um Gnade, ich verstand nicht. Dann drückte mir der verruchte Vertragspartner eine Pistole in die Hand und befahl mir zu schießen, ich sträubte mich. Nie sollte durch meine Hand ein menschliches Wesen gerichtet werden, doch Sanders zwang mich, entweder er oder ich, ich hatte keine Wahl, das Geld, mein Leben, Becky und das Wunschkind, all jenes zwang mich abzudrücken. Blut spritzte an die Wand hinter dem Delinquenten, seine ekelhaften Augen starrten mich durchdringend an, während sich der Rest des Körpers schlaff verengte, doch diese Augen hafteten auf mir wie die Schande, die ich gerade auf mich geladen hatte. Doch Sanders klopfte mir auf die Schulter, gab mir das Geld und beglückwünschte mich zum bestandenen Eintritt ins Syndikat.
Die Stimme, Sanders, sie quält mich jeden Tag, immer wieder muss ich diesen kalten Glückwunsch hören, bei dem sich meine Gedärme zusammenziehen. Ich war zum ersten Mal gestorben, der ehrliche Mann war gestorben, verreckt mit dem Glupschäugigen in einer chicagoer Seitenstraße.
Doch was dann kam ist mir bis heute unbegreiflich. Meine Handlung erscheint mir heute übereilt, hysterisch, doch damals glaubte ich mich schlauer als der Rest der Welt, doch heute weiß ich, dass meine Leiden noch schlimmer wurden, dass ich sie mehrte, jene Schatten, die mich jetzt gerade verzehren.
Mein Geschäft konnte ich nicht einfach aufgeben, also entschloss ich mich es zu verbrennen. Alles lief reibungslos, die Versicherung zahlte, wie es in ihrer Natur liegt, widerwillig, aber schnell. Mein ständiges Wegbleiben erklärte ich Becky mit einer Anstellung bei einem örtlichen Inkassobüro, welches vom Syndikat betrieben wurde und mir einen Arbeitsvertrag ausstellte, der vor jedem Gericht der Welt bestand hatte. Und ja, ich arbeitete für diese Kerle, dabei erschoss ich in der Folgezeit mehrere säumige Kunden und lud mir immer mehr Schuld auf die Seele. Ich schlief unruhig, erste Alpträume drückten mich, allein das Geld und die gesicherte Zukunft für meine liebe Frau war mir ein schwacher Trost. Und dann die freudige Nachricht in jener düstren Zeit: Becky trug ein neues Leben unter dem Herzen! Doch lange sollte mich diese Freude nicht über das wegretten, was ich täglich tat und mir damit die seelische Weste blutrot färbte.
Einige Wochen waren seitdem vergangen, als ich einen meiner sogenannten Kollegen in meiner kleinen Wohnung antraf. Er verschwand aus der Tür, als ich hereinschlüpfte. Ein hämisches Grinsen lag auf seinem Gesicht, ich sehe es noch heute. Hätte ich doch damals schon gewusst, was er meinem lieben Weibe sagte, ich hätte den schwersten Eisenhammer gegriffen, den ich hätte finden können und dem Elenden die Fresse blutig geschlagen, bis man in dem Klumpen dieses monströse Grinsen nicht einmal mehr erahnen hätte können.
Mit der bereits beschriebenen verzerrten Maske sah sie mich an, Becky, mit ihrem sich wölbenden Bauch. Tränen standen ihr im Gesicht und ein paar von ihnen hatten bereits Kanäle auf ihrer zarten Haut gebildet, sie schienen sie tief zu schmerzen. Ein letztes Mal nannte sie mich Liebling und fragte, ob ich wahrlich jenem Geschäft nachginge, welches dieser Herr beschrieben habe. Ich verschwieg nichts, ich war ehrlich, was sie nicht tröstete, erstarrt blickte sie zu mir, Augenblicke, in denen ich sterben wollte, ich konnte diese anklagenden Blicke dieses Engeln nicht länger ertragen. So nahm ich die Axt und schlug sie ihr in den Schädel. Damit tötete ich die Liebe meines Lebens und auch mein einziges Kind.
Die Leiche steckte ich in einen beschwerten Sack und warf sie bei Nacht und Neben in den Hudson River, wo beide noch heute, in ihrem nassen Grab liegen.
In der Wohnung konnte ich nicht bleiben, alles erinnerte mich an die Gräueltaten an den Sternen meines Lebens. Also zündete ich auch diese an, allerdings zu einer Zeit, in der sich sonst niemand im Haus befand. Danach floh ich soweit mich meine Füße trugen.
Jetzt sitze ich in diesem halb verfallenen Haus, irgendwo in Louisiana, rechne jeden Moment damit durch ein Bleigeschoss getötet zu werden, denn die Schergen des Syndikats werden mich nicht am Leben lassen, entweder man ist drin, oder tot. Am Tag versuche ich mich durchzuschlagen, dann bin ich beschäftigt, abgelenkt. Doch die Nacht, die grässliche, dunkle Nacht! Ich kann nichts tun, und deshalb muss ich denken, muss ich mich quälen mit den Schatten meines Tuns. Ich höre den Herzschlag meines ungeborenen Kindes, welches ich nie in den Armen halten durfte, das Knallen scheint mein Trommelfell bersten zu lassen, Beckys Totenmaske blickt mich verständnislos an, der leibende Engel, ihre Vergebung, die ich in den schweren Zeiten jeden Tag in ihren Armen fand, sie wird mir ewig versagt bleiben, denn dort wo ich hingelange wird sie niemals sein. Sanders, das Schwein, lacht mich höhnisch aus, der Teufel hat ihn geschickt und ich bin ihm erlegen, ich verlor, ich gab mich der Verlockung hin und muss dafür büßen, schrecklich büßen, jede gottverdammte Nacht, immer wenn sich die Schatten erheben, wenn sie mich jagen! Und nirgendwo ist ein freundliches Licht in dessen Schein ich die Geister besiegen kann, in dem ich mich sonnen kann, in dem ich wenigstens für ein paar Stunden Frieden finden kann. Die Glupschaugen beobachten mich, sie verfolgen mich, sie hetzen mich, überall wo ich bin, aber vor allem jetzt, da die Nacht den Tag besiegt.
Die geschändeten Seelen, sie greifen nach mir, sie wollen mich zu sich ziehen, doch sie können nicht, mein fleischlicher Panzer schützt mich, doch mein Inneres wird zerfressen, ich sterbe von innen heraus. Ich altere schneller als alle anderen, jeden Tag spüre ich mehr Leiden am Körper, doch den letzten Schritt des Suizides wage ich nicht, jene Barriere wage ich nicht zu durchbrechen, obwohl sie mich endlich vom irdischen Leiden erlösen würde und vor meinen hohen Richter rufen würde, der mich dann endlich richten könnte, damit ich für alle meine Sünden schmoren dürfte. Doch es ist noch nicht so weit! Verdammt, es ich noch nicht so weit! Dabei sehne ich mich danach, am liebsten heute als morgen will ich mein Leben beendet sehen, doch man lässt mich weiter leiden, ich verdiene es nicht anders! Ich werde leiden, leiden! Bis ich endlich durch des Schnitters gnädige Hand erlöst werde.
ENDE