Kurzgeschichte
Schatten der Vergangenheit

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"Schatten der Vergangenheit"
Veröffentlicht am 15. Oktober 2011, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Schatten der Vergangenheit

Schatten der Vergangenheit

Beschreibung

Achtung, die Geschichte deckt sich nicht mit meinem üblichen Schreibstil. Irgendetwas in mir wollte dies schreiben, ich weiß nicht was, aber irgendwie entsetzt es mich doch leicht, dass dies mir so leicht über die Tastatur kam. Irgendwie passt es ja auch zu Halloween, danke für's Lesen im Vorab und freue mich auf viele Kommentare. Titelbild: www.pixelio.de/©Marianne1/PIXELIO

Die Sonne geht langsam unter, die Schatten werden länger, sie verschlingen, was sich ihnen mutig in den Weg stellt: Häuser, Menschen, Gegenstände, Seelen. Beklommenheit erfasst mich im Angesicht der schwarzen Macht, die durch jede Ritze zu mir dringt. Bald wird sie über mir sein, mich in dunklen Samt hüllen, fressen, mir, aufgrund des Fehlens von Licht, andere Bilder hervorbringen, Bilder, die ich schon lange hoffte in meinem tiefsten Inneren auf ewig zu verwahren. Nie wieder wollte mein Geist sie schauen, doch jene Macht zwingt mich noch einmal dies alles zu erleben.

Becky, meine damalige Frau, gab mir den lieben Rat immer gründlich nachzudenken, bevor ich handle. Sie kannte mich gut, noch heute sehe ich ihr treues Gesicht, welches sich nie wieder lächelnd zu mir erhebt, nur die starren Augen, der weit aufgerissene Schlund, die Fratze des Todes, die mit tausend Stichen mein Herz durchbohrt. Ich will schreien, doch ich kann nicht, das Bildnis steht vor meinem Auge, der Mund ist trocken und gleichzeitig wie verkleistert, kein Laut entrinnt meiner Kehle.

Normalerweise ließ ich mich nur mit geprüften Kunden ein, doch dieser Kerl, Sanders, verführte mich mit Geld, der Aussicht auf schnellen Reichtum, dem Entkommen aus der niedrigen Schicht des Einzelhandels, der gerade genug für meine liebe Becky und mich abwarf. Ich tat es aus Liebe zu ihr, denn sie sehnte sich schon lange nach einem Kinde, welches unsere Liebe krönen sollte. Doch das Geld war nie vorhanden, das Kind sollte in ordentlichen Verhältnissen, nicht mit unseren Sorgen aufwachsen. Und so willigte ich in jenes Geschäft ein, ohne lange nachzusinnen.

Am kommenden Tag ließ ich mein Geschäft geschlossen und begab mich zum verabredeten Treffpunkt. Sanders erwartete mich, zusammen mit einem glupschäugigen Herrn, der aus jeder Pore triefte und mit paranoiden Augen um sich sah. Er flehte um Gnade, ich verstand nicht. Dann drückte mir der verruchte Vertragspartner eine Pistole in die Hand und befahl mir zu schießen, ich sträubte mich. Nie sollte durch meine Hand ein menschliches Wesen gerichtet werden, doch Sanders zwang mich, entweder er oder ich, ich hatte keine Wahl, das Geld, mein Leben, Becky und das Wunschkind, all jenes zwang mich abzudrücken. Blut spritzte an die Wand hinter dem Delinquenten, seine ekelhaften Augen starrten mich durchdringend an, während sich der Rest des Körpers schlaff verengte, doch diese Augen hafteten auf mir wie die Schande, die ich gerade auf mich geladen hatte. Doch Sanders klopfte mir auf die Schulter, gab mir das Geld und beglückwünschte mich zum bestandenen Eintritt ins Syndikat.

Die Stimme, Sanders, sie quält mich jeden Tag, immer wieder muss ich diesen kalten Glückwunsch hören, bei dem sich meine Gedärme zusammenziehen. Ich war zum ersten Mal gestorben, der ehrliche Mann war gestorben, verreckt mit dem Glupschäugigen in einer chicagoer Seitenstraße.

Doch was dann kam ist mir bis heute unbegreiflich. Meine Handlung erscheint mir heute übereilt, hysterisch, doch damals glaubte ich mich schlauer als der Rest der Welt, doch heute weiß ich, dass meine Leiden noch schlimmer wurden, dass ich sie mehrte, jene Schatten, die mich jetzt gerade verzehren.

Mein Geschäft konnte ich nicht einfach aufgeben, also entschloss ich mich es zu verbrennen. Alles lief reibungslos, die Versicherung zahlte, wie es in ihrer Natur liegt, widerwillig, aber schnell. Mein ständiges Wegbleiben erklärte ich Becky mit einer Anstellung bei einem örtlichen Inkassobüro, welches vom Syndikat betrieben wurde und mir einen Arbeitsvertrag ausstellte, der vor jedem Gericht der Welt bestand hatte. Und ja, ich arbeitete für diese Kerle, dabei erschoss ich in der Folgezeit mehrere säumige Kunden und lud mir immer mehr Schuld auf die Seele. Ich schlief unruhig, erste Alpträume drückten mich, allein das Geld und die gesicherte Zukunft für meine liebe Frau war mir ein schwacher Trost. Und dann die freudige Nachricht in jener düstren Zeit: Becky trug ein neues Leben unter dem Herzen! Doch lange sollte mich diese Freude nicht über das wegretten, was ich täglich tat und mir damit die seelische Weste blutrot färbte.

Einige Wochen waren seitdem vergangen, als ich einen meiner sogenannten Kollegen in meiner kleinen Wohnung antraf. Er verschwand aus der Tür, als ich hereinschlüpfte. Ein hämisches Grinsen lag auf seinem Gesicht, ich sehe es noch heute. Hätte ich doch damals schon gewusst, was er meinem lieben Weibe sagte, ich hätte den schwersten Eisenhammer gegriffen, den ich hätte finden können und dem Elenden die Fresse blutig geschlagen, bis man in dem Klumpen dieses monströse Grinsen nicht einmal mehr erahnen hätte können.

Mit der bereits beschriebenen verzerrten Maske sah sie mich an, Becky, mit ihrem sich wölbenden Bauch. Tränen standen ihr im Gesicht und ein paar von ihnen hatten bereits Kanäle auf ihrer zarten Haut gebildet, sie schienen sie tief zu schmerzen. Ein letztes Mal nannte sie mich Liebling und fragte, ob ich wahrlich jenem Geschäft nachginge, welches dieser Herr beschrieben habe. Ich verschwieg nichts, ich war ehrlich, was sie nicht tröstete, erstarrt blickte sie zu mir, Augenblicke, in denen ich sterben wollte, ich konnte diese anklagenden Blicke dieses Engeln nicht länger ertragen. So nahm ich die Axt und schlug sie ihr in den Schädel. Damit tötete ich die Liebe meines Lebens und auch mein einziges Kind.

Die Leiche steckte ich in einen beschwerten Sack und warf sie bei Nacht und Neben in den Hudson River, wo beide noch heute, in ihrem nassen Grab liegen.

In der Wohnung konnte ich nicht bleiben, alles erinnerte mich an die Gräueltaten an den Sternen meines Lebens. Also zündete ich auch diese an, allerdings zu einer Zeit, in der sich sonst niemand im Haus befand. Danach floh ich soweit mich meine Füße trugen.

Jetzt sitze ich in diesem halb verfallenen Haus, irgendwo in Louisiana, rechne jeden Moment damit durch ein Bleigeschoss getötet zu werden, denn die Schergen des Syndikats werden mich nicht am Leben lassen, entweder man ist drin, oder tot. Am Tag versuche ich mich durchzuschlagen, dann bin ich beschäftigt, abgelenkt. Doch die Nacht, die grässliche, dunkle Nacht! Ich kann nichts tun, und deshalb muss ich denken, muss ich mich quälen mit den Schatten meines Tuns. Ich höre den Herzschlag meines ungeborenen Kindes, welches ich nie in den Armen halten durfte, das Knallen scheint mein Trommelfell bersten zu lassen, Beckys Totenmaske blickt mich verständnislos an, der leibende Engel, ihre Vergebung, die ich in den schweren Zeiten jeden Tag in ihren Armen fand, sie wird mir ewig versagt bleiben, denn dort wo ich hingelange wird sie niemals sein. Sanders, das Schwein, lacht mich höhnisch aus, der Teufel hat ihn geschickt und ich bin ihm erlegen, ich verlor, ich gab mich der Verlockung hin und muss dafür büßen, schrecklich büßen, jede gottverdammte Nacht, immer wenn sich die Schatten erheben, wenn sie mich jagen! Und nirgendwo ist ein freundliches Licht in dessen Schein ich die Geister besiegen kann, in dem ich mich sonnen kann, in dem ich wenigstens für ein paar Stunden Frieden finden kann. Die Glupschaugen beobachten mich, sie verfolgen mich, sie hetzen mich, überall wo ich bin, aber vor allem jetzt, da die Nacht den Tag besiegt.

Die geschändeten Seelen, sie greifen nach mir, sie wollen mich zu sich ziehen, doch sie können nicht, mein fleischlicher Panzer schützt mich, doch mein Inneres wird zerfressen, ich sterbe von innen heraus. Ich altere schneller als alle anderen, jeden Tag spüre ich mehr Leiden am Körper, doch den letzten Schritt des Suizides wage ich nicht, jene Barriere wage ich nicht zu durchbrechen, obwohl sie mich endlich vom irdischen Leiden erlösen würde und vor meinen hohen Richter rufen würde, der mich dann endlich richten könnte, damit ich für alle meine Sünden schmoren dürfte. Doch es ist noch nicht so weit! Verdammt, es ich noch nicht so weit! Dabei sehne ich mich danach, am liebsten heute als morgen will ich mein Leben beendet sehen, doch man lässt mich weiter leiden, ich verdiene es nicht anders! Ich werde leiden, leiden! Bis ich endlich durch des Schnitters gnädige Hand erlöst werde.        

ENDE      

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RogerWright
Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.

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RogerWright Re: -
Zitat: (Original von shirley am 28.10.2011 - 11:45 Uhr) Schön Halloween- mäßig....doch die Szene mit der Axt kam mir zu schnell und dennoch nicht unerwartet. Gefällt...

LG Shirley


Erst mal Dank für den Kommentar.
Die Axtszene war auch nicht als überraschend beabsichtigt. Denn sie ergab sich logisch aus den Umständen, was nicht entschuldigen solle oder verharmlosen, denn das Erzählende Ich ist sich seiner Schuld bewusst. UNd das es nicht eine Radneuerfindung von mir ist, dass will ich an dieser Stelle nicht leugnen, schon in Poes "Schwarzer Katze" findet sich so eine Axtszene, allerdings in einem gänzlich anderen Zusammenhang und aus anderen Motiven heraus.
Vor langer Zeit - Antworten
shirley Schön Halloween- mäßig....doch die Szene mit der Axt kam mir zu schnell und dennoch nicht unerwartet. Gefällt...

LG Shirley
Vor langer Zeit - Antworten
RogerWright Mal ein allgemeiner Dank - Hallo vergangene und zukünftige Leser dieses Textes!
Wie ihr aus meinen Antworten entnehmen könnt, ist mir hier mien eigenes Geschriebenes nicht geheuer gewesen, denn solches hatte ich bisher in der tiefsten Ecke meines Ichs verborgen und niemals zu Papier gebracht, obwohl ich wusste, es würde wohl mal passieren. Wohl hat ich die Verehrung und Lektüre von Hoffmann und Poe dorthin gebrsacht Mut zu fassen und loszutippen und eine Stunde später war es vollbracht, und trotzdem war es mir nicht minder ungeheuer.
Doch ihr sorgt mit euren aufmunternden Worten dafür, dass ich allmählich akzeptiere, dass ich auch so kann und es vielleicht heilsam ist dies auch manches Mal herauszulassen.
Deshalb, danke!
Vor langer Zeit - Antworten
RogerWright Re: irgendwie einfach klasse -
Zitat: (Original von cbvisions am 16.10.2011 - 17:44 Uhr) also von mir aus, dürftest du dir noch ein paar solche Ausrutscher erlauben.

GLG Chris


Scheine ja doch den Geschmack einiger getroffen zu haben, obwohl ich solch eine Geschichte, wie es Kafka hatte mit seinem Nachlass veranlasst hatte, gerne hätte nach dem Beenden vernichtet.
Wie gesagt es bereitete mir doch einige Sorgen, was sich da in meinem Hinterstübchen zusammengebraut hatte, aber wenn es wohlwollende Leser gibt, dann kann ich vielleicht auch lernen damit zu leben.

Vor langer Zeit - Antworten
MysticRose Re: Re: -
Zitat: (Original von RogerWright am 16.10.2011 - 15:31 Uhr)
Zitat: (Original von MysticRose am 16.10.2011 - 14:48 Uhr) Dieses "irgendetwas" in dir, was diese Story geschrieben hat, gefällt mir irgendwie :-P


Auch dir Dank für den Kommentar. Dummerweise erschreckt mich dieses Etwas, welches versteckt in mir lauert und solche Geschichten hervorbringt. Bisher bin ich an ernstere Themen wie Teufel, Gott, Tod etc. mit Humor herangegangen oder Zynismus, dies dürfte das erste Mal sein, wo ich dies wegließ und so schrieb wie es beispielsweise der verehrte Herr Poe tat, ben ohne diesen Schutzmechanismus, einfach menschlicher Abgrund pur.


Ich find's einfach interessant, wie du diese Story fabriziert hast. Die ist ja wirklich was ganz anderes zu deinen sonstigen Sachen immer, insofern ich das beurteilen kann. Ich wünschte mir, dieses ETWAS würde mich auch mal wieder überfallen :D
Vor langer Zeit - Antworten
RogerWright Re: -
Zitat: (Original von MysticRose am 16.10.2011 - 14:48 Uhr) Dieses "irgendetwas" in dir, was diese Story geschrieben hat, gefällt mir irgendwie :-P


Auch dir Dank für den Kommentar. Dummerweise erschreckt mich dieses Etwas, welches versteckt in mir lauert und solche Geschichten hervorbringt. Bisher bin ich an ernstere Themen wie Teufel, Gott, Tod etc. mit Humor herangegangen oder Zynismus, dies dürfte das erste Mal sein, wo ich dies wegließ und so schrieb wie es beispielsweise der verehrte Herr Poe tat, ben ohne diesen Schutzmechanismus, einfach menschlicher Abgrund pur.
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MysticRose Dieses "irgendetwas" in dir, was diese Story geschrieben hat, gefällt mir irgendwie :-P
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RogerWright Re: - Danke, hätte nicht gedacht eine positive Resonanz zu erhalten.
Vor langer Zeit - Antworten
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