Beschreibung
Hier ein möglicher Prolog für mein aktuelles Projekt.
Wind
Nur eine Plastiktüte, die vom Wind in einem scheinbar ewigen Zirkel aus Auf und Abwärtsbewegungen gefangen war, verriet ihre Anwesenheit auf der dunklen Lichtung. Doch trotz des stürmischen Heulens verhielten sich die Blätterdächer der Eichen, die den runden Platz umrahmten, totenstill. Und der Wind pfiff weiter, bewegte nichts außer das dreckige Stück Plastik, dessen matte Oberfläche das schwache Leuchten des Mondes verzerrt auf sich spiegelte. Erst als eine hallende Stimme über sie hinwegschwappte, wurde das gespenstische Heulen aus den Köpfen der Anwesenden verdrängt.
„Es ist soweit. Wir haben die Bestätigung, der Kreis des Erhebens wurde gefunden.“ Dann verstummte die Stimme und erzeugte eine knisternde Stille, die die Relevanz der Aussage belegen sollte.
„Er hat es weitergegeben?“, fragte eine andere Stimme leise, voller unterdrückter Freude, Aufregung und offensichtlicher Ungläubigkeit.
„Ja und es ist keine zehn Jahre her, dass er es getan hat. Die Chance auf die wir seit Jahrtausenden warten ist nun endlich gekommen!“, erwiderte die hallende Stimme, worauf ein unstimmiger Chor von lautem Gemurmel losbrach. Hohe und tiefe, mächtige und kleine Stimmen wurden erhoben, aber alle Anwesenden formten fassungslos die gleichen Worte.
„Wir können nach Hause. Wir können wirklich nach Hause.“
Doch der Hall ertönte erneut, worauf alle schlagartig verstummten.
„Lasst die Freude nicht eure Sinne trüben. Noch haben wir den Erhobenen nicht gefunden. Noch wissen wir nicht, wie er auf die Gabe reagiert. Und doch… Brüder, es ist wieder an der Zeit, dass ich selbst zu den Menschen gehe. Wir werden erwartet werden… Wir werden bekämpft werden, aber diese Chance werden wir uns nicht entgehen lassen! Getrennt von dem, was uns am meisten bedeutet, haben wir etliche Jahrhunderte in dieser elenden Welt verbracht, die für uns Tot und Verderben bedeutet. Unzählige der unseren sind in der Wüste der Zeit vertrocknet und erleben diese Versammlung nicht mehr mit. Es ist unsere Pflicht der Vergangenen gegenüber einen Weg in unsere Heimat zu finden und ihren Verbundenen zu berichten, was uns wiederfahren ist.“
Erneut brach Gemurmel los. Lauter, freudiger, erleichtert. Auch der Wind wurde heftiger, der Tanz der Tüte intensiver, als wäre sie die Definition von Tatendrang.
„Wir werden es öffnen! Das Tor wird geöffnet, wir können nach Hause. Die Zeit ist reif.“
Doch wurde der freudige Choral der Stimmen unterbrochen, als die Bäume plötzlich anfingen zu rascheln. Ein schwarzer Schatten, der sich über die etwa zehn Meter breite Hälfte des Baumkreises erstreckte erhob sich langsam aus seiner liegenden Position und drehte seinen Kopf in Richtung der tanzenden Tüte. Diese verlangsamte dabei ihren Tanz, bis sie zitternd zu Halt kam.
Eine raspelnd raue Stimmme deren mächtige Tiefe einem Menschen bis in die Knochen gedrungen wäre, erhob sich dröhnend:
„Ihr geht also endlich in die Offensive, um das Tor zu öffnen, das die Menschen vor unseresgleichen schützt? Ich glaube nicht, dass die Söhne euch handeln lassen werden, wie es euch beliebt. Stellt euch auf einen harten Kampf ein.“
Nach einigen Augenblicken ehrfürchtiger Stille und Leere auf der Lichtung, ertönte erneut die hallende Stille und die Tüte setzte ihren Tanz fort.
„Wir sind bereit. Unsere Alternativen sind das langsame Vergehen, der Tod im Kampf um unser Glück oder die Erfüllung unseres sehnlichsten Wunsches beim Erlangen unseres Ziels. Und was ist mit dir? Wirst du dich uns anschließen?“
Ein dröhnendes lautstarkes Lachen fegte fauchend über die Lichtung, worauf die Tüte erschrocken zu Boden fiel und sich nicht mehr rührte.
„Ich war und werde immer ein Beobachter sein. Eure Probleme sind nicht die meinen, aber sie sind interessant. Die Reaktion der Menschen auf ihre Konfrontation mit dem ältesten Feind und Freund ihrer Zivilisation ist umso interessanter.“
Mit diesen Worten verschwamm der Schatten des Körpers und verschwand letztendlich gänzlich. Auch der Wind hatte sein Heulen eingestellt, die Tüte erhob sich nicht mehr zum Tanz. Die Zweige der Bäume fingen an sich in der nächtlichen Brise zu wiegen, die Blätter raschelten und der Sichelmond versteckte sich hinter schwarzen Wolken.