Wiedersehen mit Lolita
Als ich verheiratet war, hatte ich eine kurze, aber heftige Affäre mit einer Siebzehnjährigen. Ich lernte sie auf einem Internetforum für Kurzgeschichten kennen, auf dem ich einige meiner Geschichten veröffentlichte, um zu schauen, wie andere Menschen auf sie reagieren. Es ist eigentlich der intimste Austausch zwischen einem Autor und seinem Leser, wie meine Bücher auf mein Publikum wirken weiß ich nicht immer, da sich die meisten Menschen nicht bei einem „Künstler“ wie mir melden.
Na ja, ich hatte also dieses Mädchen kennengelernt und war über verschiedene Chats mit ihr ins Gespräch gekommen. Sie war eigentlich keine richtige Lolita, ich glaube nicht, dass man ein Mädchen mit einem C-Körbchen- BH und einer Größe von fast einem Meter siebzig als Lolita bezeichnen kann, aber mein bester Freund nannte sie immer so. Von ihm stammt auch der Spruch: Frauen über sechsundzwanzig interessieren mich nicht! Dem kann ich mich nicht immer anschließen, weil mich eigentlich alle Frauen interessieren, aber im Großem und Ganzen hat er schon Recht. Wir sind vierzigjährige Loser von denen die meisten erwachsenen Frauen wohl nichts wollen, also geben wir uns mit dem zufrieden, was wir bekommen.
Und vor vier Jahren hatte ich also mein Verhältnis mit meiner Lolita. Meine Frau und ich hatten uns nach dem zweiten Kind doch sehr auseinander gelebt und hingen unseren eigenen sexuellen Träumen hinterher. Und so kam es, dass ich mich mit Lolita traf. Wir tranken einen Kaffee in meinem Stammcafé und trafen uns die folgenden Tage um über meine Geschichten zu diskutieren, dann zeigte sie mir ihre, die wirklich sehr gut waren, meist sogar besser als meine. Immer irgendwie über sehr traurige Beziehungskisten zwischen Menschen, die nicht zu sich fanden, oft war auch der Altersunterschied zu groß. Sie gestand mir einen Vaterkomplex, nicht dass sie es mit ihrem Vater treiben wollte, aber ältere Männer schienen sie seit dem Erwachen ihrer Sexualität zu interessieren. Ihr Freund, sie hatte einen Freund, ging auch schon auf die dreißig zu und sie hatte immer heiße Affären mit Bekannten ihres Papas. Ob sie jetzt dazu genötigt wurde, oder ob sie es selbst wollte, kann ich nicht sagen, auf jeden Fall war ich schnell von ihr fasziniert.
Als meine Frau wieder einmal auf eine ihrer längeren Reisen war, besuchte sie mich zuhause. Eigentlich wollte ich mit ihr was Trinken gehen, oder vielleicht ins Kino, doch wir landeten auf mein zu Hochglanz poliertem Parkett. Ich hatte mit Lolita meinen ersten und einzigen James-Bond-Sex. Sie riss mir das Hemd vom Leibe, ich schob nur ihren Rock hoch, zerriss ihre Nylonstrumpfhose und drang so schnell in sie ein, dass meine Socken und meine Hosen sich an meinen Knöcheln vereinigten. Schnell und heiß. Zungen wollten sich zu einem Band verflechten und Körpersäfte flossen in Strömen zu einem Niagarafall der Leidenschaft zusammen. Und wahrer Liebe. Ja Liebe! Es klingt seltsam, aber ich glaube Lolita war und ist die einzige Frau in meinem Leben, die ich bedingungslos und ehrlich geliebt habe und immer noch liebe, auch wenn wir nicht lange zusammen waren und auch nie mehr zusammen kommen.
Sie erzählte mir von ihrem Freund, der wohl nie jemanden lieben könne und an dieser Kälte, des nicht lieben können, ging mein Mädchen seelisch kaputt und stürzte sich in Abenteuer. Ich glaube, sie mag mich auch noch immer, aber damals wollte sie nur ihn, wollte ihn von sich abhängig machen, wollte ihn dazu kriegen, sie zu lieben. Gefühle zu zeigen, ihn umdrehen. Ich weiß nicht, wie ich es besser beschreiben soll, Gefühle sind nichts Greifbares, besonders die von Teenagern. Sie versuchen sich gerade zu finden, was uns als Erwachsene nicht einmal gelingt. Nun ich ließ sie ziehen, es brach mir das Herz, aber was sollte ich tun?
Ich bin fast zwanzig Jahre älter, habe Kinder und war damals verheiratet. Sie hatte noch alles vor sich, ihre Reise - und ich gab ihr meine Liebe mit. Ich hoffte, und hoffe, das dies reichen würde. So trennten sich unsere Wege. Eine Affäre die nur einen Sommer hielt, in dem Jahr, in dem Kid Rock seinen Hit „All summer long“ hatte. Wenn ich den Song höre, geht es mir sofort besser, denn ich denke dann immer an meine Lolita .
Es ist wirklich so, dass man das was man liebt gehen lassen muss. Und so ließ ich auch meine Frau gehen, die ich auch mal sehr geliebt habe. Ihr Herz fand einen anderen, auch ihr wünschte ich nur alles Gute, doch wie sie ging und mir die Kinder nahm, dass war schlimmer als jede verflossene, unerfüllte Liebe in meinem Leben und ich dachte nicht, dass ich das überleben kann. Aber der Mensch ist härter, als das Material aus dem er ist. Ich überlebte. Ein Jahr, zwei Jahre. Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss, so heißt es, aber irgendwie bin ich an einer Stelle angelangt, wo es nur Stromschnellen gibt und ich spüre die Saugkraft des nahenden Wasserfalls.
In diesem Jahr habe ich meine Lolita wieder gesehen. Sie hatte sich einfach bei mir gemeldet. Wir verabredeten uns in meinem Café. Ich war als Erster da, trank schon einen Kaffee, als sie mit suchenden Augen den Raum betrat. Als sie mich erblickte, begann sie für einen Augenblick zu strahlen, als sähe sie einen längst vergessenen Geist. Ich stand auf, nahm sie in meine Arme und unsere Wangen berührten sich sanft. Kein Kuss, irgendwie konnte ich nicht, sie wohl auch nicht.
Wir bestellten einen weiteren Kaffee, dabei schaute Melanie, unsere Bedienung, mich mit hochgezogen Brauen an, ihr Blick schien zusagen: Die ist jung. Jünger als ich! Mein Mädchen erzählte mir von ihrem Job, der hart war, aber sie zu erfüllen schien, von ihrem jetzigen Freund, der ein talentierter Maler war und nebenbei Psychologie studierte und nur zwei Jahre älter sei als sie. Ich berichtete ihr von meiner Scheidung, das meine „Große“ jetzt zur Schule ging und ich mich hin und wieder mit einer Frau traf, die zehn Jahre älter war als ich, mit der ich aber nicht schlief, weil ich neben meiner Schreibblockade, auch eine Bumsblockade habe und dass mein letztes Buch ganz gut in den Läden lief. Sie lachte und nannte mich ihren Hemingway, wie sie es immer gerne tat. Sie ist der einzige Mensch, der mich versteht, so hoffe ich. Als wir mit unserem verspäteten Frühstück fertig waren bummelten wir noch durch die Stadt, aßen Eis und sie wollte dann unbedingt meine neue Wohnung sehen, die kleiner als mein Haus ist, aber was bleibt mir bei den Unterhaltszahlungen anderes übrig?
Als wir an meinem Tisch saßen und wir ein Glas Wein tranken, erzählte sie wieder von ihrer Arbeit und kam dann zu ihrem jetzigem Freund. Der alles für sie tat und mit dem sie wohl alt werden könnte, wenn das denn ihr Schicksal sei und ganz nebensächlich sagte sie, dass sie immer noch nicht treu sein könne. Ich lächelte. Ich hatte den Wink verstanden und alles in mir wollte sie, aber mein Herz ließ es nicht zu. Nicht, dass ich plötzlich an mein zerbrochenes Glück mit meiner Ex dachte, aber nach all den Monaten war mein Herz so verletzt, dass ich selbst dieses verlockende Angebot nicht annehmen konnte. Ja, der Kater lässt das Mausern sein, könnte man sagen, aber so war es nicht. Wenn ich mit ihr geschlafen hatte, wäre ich gestorben, weil ein großer Teil in mir mein Mädchen liebt, mehr als jede andere in meinem Leben, aber unsere Zeit ist vorbei. Mehr als das was wir hatten wird es nicht geben. Das war mir klar. Sie schreibt nicht mehr, vielleicht liest sie ja noch? Aber sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das sich mit ein paar Hemingwayzitate herumkriegen lässt. Sie ist eine Frau, die ihren Platz in der Welt findet, ich bin nur ein Dichter, der verblutet.
Auch hier muss man die Liebe gehen lassen.
Ich brachte sie noch in die Nähe ihrer Wohnung. Die Wohnung, die sie sich mit ihrem Freund teilt. Wir nahmen uns in die Arme, wieder kein Kuss, doch sehr warm. Ich sagte so was wie, wenn sie wolle, könne sie ja am nächsten Tag noch einmal vorbei kommen. Mich anrufen? Sie rief nicht an. Ich wusste es in dem Moment, als ich mich umdrehte. Unser Sommer war vorbei und sie war keine Lolita mehr. Aber es war ein schönes Wiedersehen.