Eine Sammlung von Geschichten über Freiheit (aus der Sicht eines Vogels)
Es war sein allererstes Mal gewesen. Und so elegant wie er sich den Wellen der Luft hingab, mochte man das gar nicht glauben. So musste dieses kleine, zierliche Etwas wohl ein Naturtalent gewesen sein. Die Freude, der Freiheit nun so nahe sein zu können, stand in seinen Augen. Das glückliche Zwitschern, das er nach jedem Luftzug von sich gegeben hatte; es war einfach ein schier ergreifendes Bild. Mit all seiner verzaubernden Pracht und Schönheit hatte nun dieses winzige Wesen den endlosen Himmel erobert, und er schrieb mit seinen Flügeln den eigenen Namen in die Luft. Sein grünes Gefieder stand ihm nur zu gut. Jeder konnte ihm damals ansehen, dass er nicht nur irgendein kleiner Vogel war, kein einzelner Kolibri, sondern ein Wesen, dessen Zauber jeden in seinen Bann gezogen hatte. Wie bei einem Kind, das zu Laufen beginnt. Wieder und wieder ließ er sich vom Wind tragen, reckte dabei die Flügel, soweit es ging. „Die Majestät der Lüfte“ wäre eine vortreffliche Bezeichnung gewesen. So schön und talentiert. Von Gott gesegnet.
Doch eines Tages schoss der Kolibri gen Erde - wie vom Blitz getroffen - und er verstarb noch in der Luft. Das Herz war den großen Belastungen einfach nicht gewachsen gewesen. Alle Beobachter trugen Tränen in ihren Augen ob allem was geschehen war. So kurz nur hatte diese Schönheit mit seiner Präsenz die Welt beehrt. Nur einige Tage, und alles war vorbei. Ein kleines Leben war damals geschaffen worden, doch nachdem es gerade die Schönheit der unbegrenzten Freiheit hatte spüren dürfen, musste es wieder fort. Irgendwohin, an einen fernen Ort.
Und im Laufe der Jahre eroberten viele kleine Vögel nach ihm die Winde unserer Welt, und sie verzauberten sie ebenso wie der kleine Kolibri von damals. Ein jeder von ihnen wurde irgendwann ersetzt, damit der Himmel weiter Farbe erhielt. Heute erinnert sich niemand mehr an den Kolibri; den majestätisch-anmutenden Herrscher der Lüfte von einst.
An das kleine Etwas ohne Namen.
Ich fliege. Der Wind zerzaust mein eng-anliegendes Gefieder. Er trägt mich hoch hinaus, trägt mich, wohin ich getragen werden will. Ich fliege. Ich atme tief ein und meine kleine Brust füllt sich mit Luft, schwillt dabei an, als zerplatzte sie gleich. Fröhlich schreie ich mein Glück heraus. Denn dort unten stehen Menschen, sie sehen mir gespannt zu. Sie bewundern mich, wegen meiner Freiheit. Und wegen der zerbrechlichen Fassade. Die könnten mich in ihren Händen zerquetschen; sie könnten mich zertreten - wie auch immer. Sie mögen mir körperlich überlegen sein, doch ihr Fehler ist, dass sie sich für klüger halten.
Das stimmt nicht!
Ich fliege. So, wie der Mensch es gern einmal tun würde. Befreit von allen Gedanken - ziellos vor sich hertreiben, das wäre ihr Wunsch. So, wie ich es mache. Denken die Menschen. Denn ich denke unentwegt, während ich scheinbar schwerelos auf den Wellen der Lüfte dahingleite. Wo ich ein neues Nest finden könnte, ob meine Braut das selbe empfindet wie ich für sie, frage ich mich andauernd. Sooft ich fliege, sooft denke ich über solche Dinge nach. Hier kann ich meine Gedanken ordnen und habe die Zeit, sie abermals zu überdenken.
Ich fliege. Die Menschen dort unten winken mir zu. In diesem Moment - von hier oben - erscheinen sie mir genauso klein, wie ich für sie zu jederzeit. Sie wollen sicherlich, dass ich zu ihnen heruntergeflogen komme. Damit sie mich überlisten können. So, wie sie es immer wieder versuchen. Sie wollen mich mit aller Macht um meine Freiheit berauben. Warum öffnen sie nicht die Hände, lassen mich darauf landen, und streicheln mein zartes Gefieder, mit feinen, ach so leicht gebrechlichen Knochen darunter? Warum fragen sie mich dann nicht danach, wie es mir geht, wie mein Tag denn bisher so verlaufen war. Oder ob ich hungrig, zufrieden oder glücklich bin.
Weil sie mich hassen; sie hassen mich, weil ich ihnen in unzähligen Dingen überlegen bin. Das frisst sie von innen auf. Deshalb können sie mir nicht ihre Liebe schenken, sondern nehmen mir alles, was mein Leben ausmacht. Meine Freiheit stellt mein gesamtes Leben dar. So töten sie viele meiner Artgenossen. Täglich sind neue dazu verdammt, in menschliche Gefangenschaft übergehen zu müssen. Damit beginnt eine jahrelange Quälerei, der niemand von unserer Art entgegenwirken kann, oder könnte. Alle sitzen sie unentwegt auf ihren Stangen im Käfig, harren auf die Chance aus, zu entkommen. Doch den wenigsten bietet sich eine Fluchtmöglichkeit. Und jene, denen die Flucht gelingt, ist es nicht mehr möglich, sich in der Natur zurechtzufinden, und ernähren können sie sich selbst auch nicht mehr. Durch die Abhängigkeit, die der Mensch entstehen ließ, schafft er es, uns vollkommen um unsere Freiheit zu berauben. Wem du seine Freiheit
nimmst, der verliert mit der Zeit auch die große Freiheit im Geiste. Deshalb sind es die Meisten, die Tag für Tag gedankenlos auf der Stange hocken und darauf warten, leblos herunterzufallen.
Doch eigentlich nehmen sie uns die Freiheit, damit wir am eigenen Leibe zu spüren bekommen wie es sich anfühlt, Mensch zu sein. Ich selbst kenne die Einsamkeit besser als viele Menschen. Sie ist schließlich mein steter Begleiter. Der Einzige, der mir die Treue hält.
Ich fliege. Tauchten jetzt hinter mir weitere meiner Sorte auf, dann könnte ich im Sturflug untergehen und niemand würde es bemerken. Nein, ich müsste wenigstens zerplatzen und meine Federn, die es vom Himmel regnen würde, müssten die da unten kitzeln, damit sie es mitbekämen. So ist nun mal die große Freiheit. Sie nimmt dir alles, was dich binden könnte.
Ich fliege. Wer weiß, wie weit ich kommen werde.
Ich fliege. Immer weiter, ohne jemals zurückzusehen. Denn ich fliege in die große Freiheit. Da ist mein Zuhause: Überall und Nirgendwo.
Hört, hört: da ist sie wieder, die Schönste aller Stimmen. Sanft und voller Gefühl, besingt die Nachtigall ihr Schicksal. Dort oben lebt sie nun, im Käfig der Herrin, dessen Schloss nun ihre Herberge ist.
Heute klingt die Stimme noch etwas trauriger als sonst, an jedem anderen Tag. Die Nachtigall denkt mit tränenden Augen zurück an ihre große Zeit im Wald. Damals haben alle Tiere ihrem Gesang gelauscht. Sie war der Höhepunkt der vielen Leben gewesen. Die Einzige Farbe in einem Meer aus Grautönen. Alle hatten ihrer Stimme gehorcht und ihr mit dem Applaus alles gegeben, was sie brauchte. Die Nachtigall bekam fast täglich prächtige Geschenke von den Waldbewohnern. Ein freundlicher Adler hatte ihr einst spärliches Nest vergrößert und geschmückt, damit sich der schöne Singvogel dort immer heimisch fühlen konnte. Ihr Glück war allen sehr wichtig; jedes Tier im Wald fürchtete über alles, dass sie eines Tages verstummen könnte.
Immer wenn sie sang, horchten alle Bewohner dem zarten Klang ihrer herrlichen Stimme in der Nacht. Sie spendete so unbeschreiblich viel Freude und hielt den Frieden untereinander aufrecht. Bis irgendwann die Elster kam ...
In einer kalten Nacht hatte sich der junge Raubvogel aufgemacht, um nach Beute zu suchen. In den tiefen des Waldes war er einem Braunbären und einer Hyäne begegnet, die er nach einem leichten Opfer ausgefragt hatte. Angewidert brummte der Bär: „Die Nachtigall.“.
Mit leuchtenden Augen ergänzte ihn die Hyäne: „Ja genau, die Nachtigall! Sie nervt uns, immer wenn sie singt.“.
Verachtend schüttelte sie den Kopf und fügte hinzu: „ Sie hat großen Reichtum erlangt. Nimm dir alles, was du tragen kannst.“.
Die Elster flog triumphierend davon. Vor ihr lag nun das schöne Heim des Singvogels. In Gedanken hörte sie das wunderschöne Lied, das die Nachtigall an jedem Abend gesungen hatte, und dabei war sie angetan von dem ergreifenden Klang ihrer bezaubernden Stimme, die Kraft und Schönklang wie nichts in der Welt vereinte.
Alles was sie beim ersten Flug hatte tragen können, nahm die Elster mit in ihr Versteck. Zwar war sie völlig aus der Puste, als sie bei sich angekommen war, doch sie musste einfach noch mal zurück zum Nest der Nachtigall. Doch davor holte sie sich Hilfe durch eine befreundete Krähe. Gemeinsam transportierten sie das gesamte Heim des Singvogels ab, samt der verschreckten Nachtigall, die kurz zuvor erst heimgekehrt war.
Die diebische Elster dankte der Krähe und versprach ihr zur Belohnung, dass sie einen Platz bekäme im neuen Heim der Elster, sobald sie sich ein ihr entsprechendes ausgewählt hatte. Beide Vögel lachten diabolisch, denn die Beute war von sagenhaftem Wert. Und, noch während sie lachten, zog eine eisige Kälte über das gesamte Waldgebiet herein. Alle Tiere bekamen es plötzlich mit der Angst zu tun, je länger das Schweigen der Nachtigall angehalten hatte. Nun herrschte die Stille, und wenn überhaupt, so konnte man höchstens den Wind heulen hören.
In den darauffolgenden Wochen verkaufte die Elster all das Hab und Gut der gefangenen Nachtigall. Davon ließ sie sich ein Schloss bauen, auf der Spitze eines Berges am Rande des Waldes. Innen war es versehen mit allem Prunk und Luxus, den man sich nur vorstellen kann. An der Decke des größten Zimmers hingen zwei goldene Käfige.
Einen davon behauste nun die Krähe, die voller Wut war auf die lügnerische Elster. In dem anderen Käfig kauerte die kleine Diva auf dem kalten Boden. Sie sehnte sich nach Freiheit. Und jeden Tag sang sie davon in dem traurigsten Lied, dass sie jemals gesungen hatte. Und jeden Tag war die Elster voller Freude, wenn die Waldbewohner Geschenke brachten für die Nachtigall, die nun endlich wieder getan hatte, wofür man sie so sehr verehrte. Niemand hatte damals gewusst, dass es das Schloss der Elster war. Sie waren alle in den Glauben gewesen, dass sich die Nachtigall nicht mehr heimisch gefühlt hatte in dem spärlichen Heim, inmitten des Waldes. So dankten sie es ihr, dass sie nun weiterhin für sie sang. Doch mit der Zeit wurden die Geschenke immer weniger.
Die Bewohner hatten nie viel zu geben gehabt, und so dachten viele irgendwann, dass es nicht recht ist, dem König noch mehr Gold in den Rachen zu werfen, der schon mit Rubinen besetzt war.
Jetzt gerade singt die kleine Nachtigall wieder aus voller Kehle:
„Einmal, da war die Nachtigall. Sie sang für Liebe und Frieden.
Doch heute weiß man ’s überall, will sie nicht mehr existieren.
Einmal, da war die Elster. Sie stahl mir all mein Gut.
Ich seh’ aus ihrem Fenster; in mir ist niemals Platz für Wut.
Sie tat, was sie für richtig hielt, mit Freude in den Augen.
Wenn wer meine Freiheit stiehlt, woran darf ich noch glauben?
Ich erzähle vom Leben heute, damit ihr mich versteht,
sodass ihr lieben Lebensleute all meine Ängste vor euch seht.“.
Alle lieben noch immer diese unverwechselbare Stimme, und alle geben sich noch immer den wenigen Momenten der Sinnlichkeit hin, mit aller möglichen Hingabe.
Das sind Momente, in denen die Schönheit eine Existenz annimmt und jeder kostet sie bis zur letzten Sekunde aus, wenn der Nachhall die letzten Worte aus dem Wald mitnimmt. Sie alle behalten die schönen Melodien im Kopf, doch niemand hört, und hörte jemals, wovon die kleine Diva in ihren Liedern singt.
Ein Teil der Waldbewohner liebt die Nachtigall; ihre Fähigkeit, das Leben für Augenblicke leicht und schön zu machen, was es in der Realität niemals für sie ist. Doch der andere Teil verachtet die kleine Sängerin, die sich wohl zu fein ist für das grobe Fußvolk, wie viele unter ihnen denken.
Und nun singt sie wieder:
„Innerlich, da sterbe ich. Anders als von außen.
Denn äußerlich, so denke ich, ist’s weit entfernt vom Grausen.
Der Käfig ist das Heim für mich, für heute und auf ewig.
In diesem Käfig sterbe ich, Lebenskrank und ledig.“
Kraftlos gibt sich die Nachtigall der Nacht hin. Unter Tränen denkt sie an die Ungewissheit, wie lange sie noch leben muss. „Auf ewig!“, krächzt die Krähe, „Wohl ebenso wie ich.“. Und plötzlich verfliegt nun all ihre Einsamkeit, weil sie in jenem Moment erkennt, dass sie ihr Schicksal mit der Krähe neben sich teilt.
Geteiltes Leid ist halbes Leid, denken jetzt die beiden Gefangenen der Elster. „Alles ist wohl, wie es zu sein hat.“, sagt die Krähe. Und seit diesem Tag singt sie ihre Lieder nur noch in ihrem Kopf. Nur hier hat sie wahrlich noch ihre Freiheit behalten. Niemand ist imstande, ihre Gedanken zu rauben.
Und so ist sie stumm seit diesem einen Tag. Niemand brachte seitdem Geschenke für den verstummten Vogel. Und während die Zeit vergeht, vergeht mit ihr auch der Reichtum der Elster. Eines Tages ist sie schon so verarmt, dass sie alles Hab und Gut versetzen muss.
Und so ist genau heute der Tag gekommen, wo die Elster gar das Schloss hergeben muss. Voller Wut öffnet sie die Türen der goldenen Käfige und die Krähe und die Nachtigall tauchen in die Freiheit ein, nach der sie sich seit Jahren schon gesehnt hatten.
„Nun ist es an der Zeit, ihnen von der echten Freiheit zu erzählen.“, ging es der kleinen Diva durch den Kopf. Und der schöne Singvogel versinkt in einem Meer aus Hunderten von Baumkronen, um den Bewohnern nun von allem zu erzählen. Von der Krähe, doch besonders von der Elster, die ihr eist alles genommen hatte, weshalb sie noch heute traurig ist.
Doch sie findet, dass sie doch alles besitzt, was sie überhaupt nur gebrauchen könnte: ausreichend Luft zum atmen, mehr als genug zu fressen, Unmengen an Gesprächsstoff - und der Freiheit unbegrenzte Unendlichkeit.
Ich spreche von der Freiheit, in dieser seltsamen Nacht.
Die Menschen lügen und bestehlen sich um das letzte Geld.
Wie Elstern schaffen sie die Beute in ihr Nest.
Und feiern voller Stolz immer nur sich selbst.
Vom höchsten Punkt des Himmels sehe ich hinab,
im Flug, während ich Futter suche für den Tag.
Meine Flügel gleiten auf den Wellen der Luft.
Und ich höre jede Stimme, die nach Freiheit ruft.
Chorus
Er sagte:
Ich kann euch immer sehen. Meine Augen verfolgen eure Taten.
Ich brauch euch nicht zu suchen und Fehler aus Verzweiflung abzuwarten.
Nein. Ich bin ein wachsamer Sperling, der Geschichten erzählt.
Ihr wollt mich alle nur töten, weil euch meine Freiheit fehlt.
Also ruf nach der Freiheit dieser Welt.
Kleiner Freund sei sicher, dass niemand sie erhält.
Sie liegt allein in deinen Händen,
und nichts und niemand kann es so abwenden.
Fliege immer, wenn du kannst.
Und genieߒ es ohne Angst.
Ich fliege immerzu, ohne stillzustehen.
Doch durch die Einsamkeit kann ich nicht nur nach vorne sehen.
Ich würde meine Freiheit sofort gegen echte Liebe eintauschen.
Denn ich möchte mich lieber an Gefühlen berauschen.
Mein kleines Herz ist kalt und niemand lebt darin.
Worin liegt der Sinn, wenn ich so einsam auf allen Flügen bin?
Dass ich die Menschen beobachte – wissen die, wie’s um mich steht?
Wohin der Wind wohl meine Wünsche und meine Hoffnung trägt?
oscarwilde Re: *deleted* - Zitat: (Original von oscarwilde am 28.11.2008 - 21:50 Uhr) das ist bis heute meine eigene lieblingsstory bzw. storysammlung von mir selbst ach ja? woran denn? vg |
oscarwilde *deleted* - das ist bis heute meine eigene lieblingsstory bzw. storysammlung von mir selbst |