Das Monster der Imagination.
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Wenn ein Romanautor anfängt zu schreiben, läßt er sich oft sehr schnell vom Klang seiner frisch geschaffenen Prosa bezaubern und ist gleichzeitig zutiefst berührt, welch starke Gefühle das Schreiben fiktionaler Texte auslöst. So wie Schauspieler Gefühle in sich wecken müssen, um ihre Darbietung Leben einzuhauchen, müssen Romanautoren ihre Gefühle wecken, um ihren Figuren Leben einzuhauchen.
Diese Gefühle ziehen den Autor in bisher unerforschtes Gebiet, in den dunklen Wald der Imagination, einem Furcht einflößenden Ort.
Zunächst noch ängstlich, wagt sich der Autor oder die Autorin nicht allzu weit in den Wald vor. Doch hier, am äußeren Rand des Waldes, wo der Autor sich noch sicher fühlt, ist das, was er schreibt, oft viel zu akademisch und deshalb langweilig. Der er sich fürchtet, tiefer in den Wald zu gehen, wird er bald eine ästhetische Blindheit entwickeln und nicht sehen, wie blutleer seine Schöpfungen sind.
Statt dessen ist der Autor davon begeistert und sieht in diesen dürftigen Werken sein vermeintliches Ich widergespiegelt.
Diese Blindheit ist allerdings nur vorübergehend. Ablehnung, Kritik in Creativ-Writing-Kursen, der schmerzliche Ausdruck auf den Gesichtern von Freunden, die diese stümperhaften Werke lesen, zwingen den Autor, sich auf unbekanntes Gebiet vorzuwagen, wo der Wald dicht und beinah undurchdringlich ist. Verzweifelt stellt der Autor fest, dass es dort keine Wegweiser, keine Pfade und keine Spuren gibt, denen man folgen kann, denn das ist der Wald der eigenen Imagination, wo niemand je zuvor gewesen ist.
Ist er erst einmal tief in diesen Wald vorgedrungen, hört der Autor mysteriöse Geräusche – heftiges Atmen, das Raschlen von Zweigen, ein Geheul und Geschrei, das ihn entsetzt erstarren lässt. Plötzlich taucht aus der Dunkelheit ein feuerspeiendes, unglaublich riesiges Monster auf. Zitternd vor Angst greift der Autor nach einem Köcher mit Pfeilen: Vernunft, Logik, harte Arbeit, Beharrlichkeit, gute Sprachbeherrschung, immense Belesenheit, Lebenserfahrung. Pfeile, die in der Alltagswelt zahlreiche Monster mit einem einzigen Schuß ins Herz erlegt haben.
Der Autor ist treffsicher, und die spitzen Pfeile dringen tief in die dicke Haut. Doch das Monster lacht nur schalend, denn es ist das Monster der ureigenen Imagination des Autors und ganz anders als alle Monster, die ihm in der Alltagswelt begegnet sind. Dieses Monster wird von den Gefühlen, Ängsten, Skrupeln, Erinnerungen und Qualen des Autors angetrieben und kann deshalb nicht mit gewöhnlichen Waffen besiegt werden.
Der Autor dreht sich auf dem Absatz um und flieht voller Panik aus dem Wald.
Zurück in der Alltagswelt, liest er über andere Schriftsteller, die bereits dort waren, in der Hoffnung, eine Waffe zu finden, mit der man das Monster erschlagen kann. Indem er die Meister studiert, baut der Autor sein Selbstvertrauen auf. Von den Meistern erfährt der Autor einige merkwürdige Gewohnheiten des Monsters, dass es sich zum Beispiel von Autorenfleisch ernährt, und er entdeckt, dass man es aushalten kann.
Während er Wissen und Anregung bei den Meistern sucht, versucht der Autor, diese zu imitieren, nicht nur formal, sondern auch ihren Stil und ihre Sprache. Vielleicht findet er einen populären Schriftsteller und produziert eine Imitation von dessen Werk, indem er nur einige Äußerlichkeiten ein wenig ändert, um dem Vorwurf des Plagiats zu entgehen.
Mit solchen Imitationen kann man durchaus eingen Erfolg haben, doch selbst dieser Erfolg wird nicht die vagen Schuldgefühle beruhigen, die mitten in der Nacht hochkommen. Ganz gleich wie geschickt der Autor darin wird, die Meister zu kopieren, letztlich wird er in dieser Arbeit keine Befriedigung finden.
Nun wird der Romanautor voller Verzweiflung weisen Rat bei Lehrern suchen, die selbst schon tief im Wald waren. Von diesen Lehrern erfährt der Autor die Wahrheit; man kann das Monster nicht töten.
Aber wenn man das Monster nicht töten kann, wie kommt man denn dann weiter? Will der Autor wissen.
In diesem Punkt schweigen sich die Lehrer aus. Ihr Rat ist immer technischer Natur – schreiben Sie aufrichtig, versuchen Sie, ihr Werk realistisch erscheinen zu lassen, machen Sie es universell und trotzdem einmalig, versuchen Sie, ihre Figuren bis in die Tiefe auszuloten, und bringen Sie sie in ein existentielles Dilemma. Doch die eigentliche Botschaft bleibt unausgesprochen. Die Hinweise sind eher metaphorischer Natur, Aussagen über Wahrheit, das Ich und über wahres Wissen, Aussagen, die der Autor nicht ganz begreift. Erst durch immer neues Ausprobieren erkennt der Autor schließlich das Wesen des Dilemmas – man kann das Monster nicht erschlagen, aber man kann es reiten. Der Sattel ist zwar klein und voller scharfer Kannten, und das Monster lässt sich kein Zaumzeug anlegen. Doch wenn der Autor aufzusitzen wagt, dann ist es machbar.
Nun ist der Autor bereit, noch einmal den Wald zu betreten, entschlossen, das Monster zu suchen und ihm auf den Rücken zu klettern. Er steuert direkt auf den finstersten Teil des Waldes zu, weil er spürt, dass das Monster dort auf ihn wartet und Feuer speit, das so heiß ist, dass es Stahl zum schmelzen bringen könnte.
Es ist ein wilder Ritt, wenn das Monster krachend durch das Unterholz stürmt und alles, was ihm in die Quere kommt, zertrampelt.
Hier begegnet der Autor noch weiteren Monstern, die ihm den Weg versperren. Er muss sich jedem einzelnen von ihnen stellen und es im Zweikampf überwinden. Das sind die Monster, die tiel im Inneren der kreativen Phantasie des Autos verborgen sind. Diese Monster sind die geheimen und unerkannten Ichs des Autors. Die Kämpfe sind hart und blutig, und der Autor ist ganz erschöpft, kann aber auch Siege verbuchen.
Talent und harte Arbeit ebnen den Weg, doch um Erfolg zu haben, muss man auf dem Rücken des Monsters jedem Pfad folgen, den es einschlägt. Denn sie alle führen zur wahren Individualität des Autors – einem Ort, an dem die Kreativität wie eine heiße Quelle aus dem Waldboden sprudelt. Dort, im Zentrum seiner Individualität, findet der Autor alles, was es über menschliche Wesen zu wissen gibt. Und dort findet er auch – mit Narben und Blessunren übersät von den Kämpfen, die er unterwegs austragen musste – die Wahrheit, die die Quelle ist für Literatur, die nicht nur unterhaltsam ist und einen Verleger findet, sondern für Literatur, die den Anspruch hat, große Kunst zu sein.
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Von: James N. Frey
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Anmerkung des Autors, Ernst G. Dierking:
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Mich haben diese Zeilen, von James N. Frey, in meinem schriftstellerischem Schaffen, sehr beeinflusst, mich gelehrt und begleitet, sodass ich der Meinung bin dieses Wissen, um das Monster in uns, meinen schreibenden Freunden hier bei My Story`s weiter geben zu müssen.
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