Kurzgeschichte
Manchmal töten Kerzen

Der verliebte Seemann

Ihm wird schon nichts passieren. Ihm wird nichts passieren! Das rede ich mir jetzt seit zwei Stunden ein. Das kann doch nicht wahr sein, eigentlich sollte ich jetzt Spaß haben, sitze hier mit meinen Freunden und meiner Familie und warte mit ihnen, samt Alkohol und gut gelaunter Leute, auf meinen Geburtstag. Normalerweise liebe ich es, in meinen Geburtstag in meiner Lieblingsbar und all meinen Liebsten rein zu feiern. Doch heute kann ich es nicht genießen. Nicht solange er da draussen ist. Ich hab ihm gesagt, er soll heute nicht mehr zum Fischen aufs Meer rausfahren. Es ist schon lange dunkel und die Luft riecht nach Gewitter. Aber er meinte er brauche das Geld für mein Geburtstagsgeschenk, dabei hatte er den Gesichtsausdruck, den er immer macht, wenn er sich an einer Sache festgebissen hatte. Also liess ich ihn gehen. Warum liess ich ihn bloss gehen? Er ist ein guter Fischer, der seine Grenzen kennt. Wahrscheinlich liess ich ihn wegen deiesem Wissen und der Tatsache, das ich ihm in jeder Lebenslage vertraue – was sich auch bewährt hat... Aber ich werde dieses ungute Gefühl nicht los.
Alle um mich herum singen, lachen und tanzen. Und ich sitze hier allein in der Ecke und mache mir Sorgen. Komm Mädchen, hör auf damit! In ein paar Stunden kommt er mit einem Lächeln im Gesicht und der guten Laune, die er immer verbreitet, sobald er einen Raum betritt, durch diese Türe. Du wirst ihm von deinen Sorgen erzählen, worafhin er dich angrinst, in den Arm nimmt und sich lauthals dafür bedankt, dass du dich immer um ihn sorgst und er nicht wüsste, womit er das verdient habe. Im ersten Moment wirst du stocken, doch dann erröten und, in dem Wissen, dass all deine Sorgen unnötig waren, beschämt zu Boden schauen.
Ahh, da kommt Bill, sein bester Freund, und setzt sich zu mir. Er versucht mich aufzumuntern und erzählt mir seine Geschichte, wie er besoffen auf allen Vieren ins Bad krabbelte. Diese Geschichte habe ich schon tausendmal gehört und doch muss ich immer wieder darüber Lachen. Normalerweise.
Heute kann nicht mal diese Geschichte meine Stimmung heben. Ich höre ihm nicht mal richtig zu. All meine Gedanken sind bei IHM. Ich erinner mich an all die schönen Tage, an denen er mich mit zum Fischen nahm. Ich beobachtete ihn immer aufmerksam,in der Sonne liegend, beim Fischen, bis er es bemerkte und zu mir rüberkam. Ab diesem Zeitpunkt alberten wir stundenlang herum. An diesen Tagen fing er immer am wenigsten Fische, was ihn aber nicht davon abhielt, mich immer wieder mitzunehmen.
Bill bemerkte, dass ich ihm nicht richtig zuhörte und wollte mich gerade in den Arm nehmen, um einen neuen Aufbauversuch zu unternehmen, wurde jedoch in dem Moment von seiner momentanen Freundin auf die Tanzfläche gezogen.
Jetzt sitz ich hier wieder. Allein in meiner Ecke und mache mir Sorgen. Der Wetterdienst prophezeite einen Sturm und ich liess ihn gehen.
Meine Mutter setzte sich neben mich. Anscheinend taten ihr ihre Füße vom Tanzen weh, da sie ihre Schuhe auszog und erleichtert aufatmete. Sie schaute zu mir rüber, lächelte mich an und erklärte ihr es sei nicht meine Schuld, dass er los gefahren ist, ich hätte nichts tun können. Er glaubte noch nie an die Wetterprognosen, sondern verliess sich jedesmal auf sein Bauchgefühl und hätte ich ihn aufgehalten und angefleht nicht zu gehn, wäre er sicher gekränkt gewesen.
Ich weiss, dass sie damit Recht hat und nehme mir deshalb eine Zigarette aus der Schachtel, um meine Nerven zu beruhigen.. Wo ist mein Feuerzeug? Ich kann es nicht finden, weshalb ich mich, um meinen Sargnagel anzuzünden, zu der Kerze, die auf dem Tisch steht, herunterbeuge. Als ich mich gerade wieder aufrichtete und den herrlichen ersten Zug einer frisch angezündeten Zigarette genoss, hörte ich meine Mutter scherzhaft sagen:
„Tu das nicht, mein Kind. Weisst du nicht das immer, wenn man eine Zigarette mit einer Kerze anzündet ein Seemann stirbt?"